Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Schule ist so viel mehr als nur Lernen und HÜs, auch wenn es durchaus witzig sein kann, beim Vokabelpauken vom Tag der Schneekugel und verrückten Verkupplern unterbrochen zu werden und wenn ein winterliches Liebesgedicht von einem Lehrer vorgelesen wird. Es kann ganz schön peinlich und chaotisch sein und hinter jedem Türchen wartet eine neue Geschichte mit Liebe und Herz.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Wilma Müller, geboren 2003, hat gerade ihr duales Studium im Bereich Physiotherapie begonnen. Mit 13 Jahren fing sie an ihre Ideen zu Papier zu bringen und das Schreiben ist aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. „24 Schultage mit Liebe und Herz“ ist ihre sechste Kurzgeschichtensammlung. Außerdem stammen diverse Fantasyromane und die Kinderbuch-Reihe „Bougoslavien“ – eine Katzenwelt aus ihrer Feder.
Für alle, die ihre eigenen, herzlichen Schulgeschichten erzählen können.
♥
Über den Autor
Motto
Kapitel-1
Kapitel-2
Kapitel-3
Kapitel-4
Kapitel-5
Kapitel-6
Kapitel-7
Kapitel-8
Kapitel-9
Kapitel-10
Kapitel-11
Kapitel-12
Kapitel-13
Kapitel-14
Kapitel-15
Kapitel-16
Kapitel-17
Kapitel-18
Kapitel-19
Kapitel-20
Kapitel-21
Kapitel-22
Kapitel-23
Kapitel-24
Fröhliche Weihnachten!
Lust auf mehr
Mehr von Wilma Müller
Impressum
Wie von selbst flossen die Worte aufs Papier. Er nahm gar nichts anderes mehr wahr. Er war völlig versunken in der endlosen Welt der Worte, in der einfach alles möglich war. Verträumt schrieb er Wort um Wort bis sie sich zu einem wunderschönen, unerreichbaren Traum zusammenfügten:
„In deinen Augen spiegeln sich die Lichter und wecken in mir gleich den Dichter ich würd so gern über dein Haar streichen und dein Herz mit Worten erweichen denn mein Herz schlägt längst für dich mit deinem Lächeln verzauberst du mich hätte ich einen Weihnachtswunsch frei wäre es ein Moment nur für uns zwei wir würden lachen, du würdest mich sehen du könntest mich endlich verstehen du bist so funkelnd wie eine Schneeflocke in warmem Braun deine Haarlocke dein Gesicht so friedlich weltvergessen denkst du vielleicht ans Plätzchenessen?
An eine wilde Schneeballschlacht?
Die klaren Sterne in eiskalter Nacht?
Ich will all diese Momente mit dir teilen und…“
Fest spürte er einen Ellenbogen in seiner Seite und nur eine Sekunde später wurde ihm das Blatt weggezogen. Abrupt wurde er aus seiner Traumwelt gerissen.
Oh nein! Ihre strenge Deutschlehrerin hatte jetzt sein Liebesgedicht! Das war der Weltuntergang!
Hatte er ihren Namen geschrieben? Xenia… So ein schöner Name… Aber jetzt wäre es schrecklich! Nicht so! Das würde einfach nur peinlich werden! Erniedrigend! Katastrophal!
Schadenfroh fing die Schreckschraube von Lehrerin an: „Na was war denn so wichtig?“ Und dann ging der Alptraum richtig los. Beschämt rutschte er immer tiefer in seinem Stuhl. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Alle hörten seine verliebten Worte.
Es war ein Fehler gewesen! Er hätte damit rechnen müssen! Nie bei Frau Marenzahn unaufmerksam sein. Verdammt!
Schließlich war sein gedankenloses Gedicht beendet. Jetzt würden ihn alle auslachen und er würde fast sterben vor Scham.
Doch es blieb beim Konjunktiv. Statt grenzenloser Demütigung gab es einen Moment der Stille. Jetzt fehlte eigentlich nur noch ein Grillenzirpen, um diesen Moment zu einem vollständigen Klischee zu machen.
Wusste Xenia, dass sie gemeint war?
Braune Haare waren zum Glück kein eindeutiges Erkennungsmerkmal.
Nach diesem schrecklichen, undefinierbaren Moment der Stille ging der Unterricht endlich weiter, doch er war immer noch nicht ganz da. Was dachten die anderen jetzt? Und Xenia! Aus dem Augenwinkel sah er sie immer mal wieder rüber gucken, doch er traute sich nicht, sie direkt anzusehen.
„Sehr romantisch“, raunte sein Sitznachbar ihm hochriskant zu. Frau Marenzahn würde sie sicher heute verschärft beobachten.
„Sei still!“, zischte er nur angespannt. Er wollte diesen Tag nur hinter sich bringen, morgen würden die anderen nicht mehr an seine peinliche Lyrikeinlage denken, spätestens nach einer Woche. So lange musste er einfach durchhalten.
Endlich klingelte es zur Pause, doch das interessierte ihre liebe Frau Lehrerin reichlich wenig. Eiskalt überzog sie noch fünf Minuten und drückte ihnen zur Krönung einen ordentlichen Berg Hausaufgaben auf.
Heute war echt kein guter Tag, ein wirklich mieser Start in die Weihnachtszeit.
Gemeinsam mit seinem Kumpel zog er sich in die hinterste Ecke des Schulhofs zurück. Es war so kalt, dass ihr Atem weiße Wolken bildete und in seinen Fingern und seinem Gesicht verlor er fast sofort das Gefühl.
Die meisten ihrer Klassenkameraden waren jetzt im warmen Aufenthaltsraum, aber er hatte Angst vor ihrem möglichen Gespött. Außerdem passten die grauen Wolken und die Kälte ausgezeichnet zu seiner Stimmung.
„So schlimm war es doch nicht“, versuchte sein Freund ihn zu trösten. „Doch“, beharrte er niedergeschlagen.
„Steffen! Du bist ein Poet! Lass es raus!“, forderte dieser verrückte Brillenträger ihn auf. „Und du bist ein Idiot, aber das musst du nicht raus lassen!“, erwiderte der Dichter gereizt.
Plötzlich lachte sein Freund auf und enthüllte abgehackt seinen neusten Gedanken: „Das war ein richtiges X-mess! Weißt du X wie Xenia und mess wie Chaos! X-mess! Wie X-mas für Weihnachten!“
„Du bist so lustig Peter“, genervt verdrehte Steffen die Augen. „Dafür hat man doch Freunde“, immer noch hemmungslos kichernd legte er dem hoffnungslos Verliebten die Hand auf die Schulter. Genau.
„Ähm… Steffen?“, meldete sich auf einmal eine melodische Stimme, von der er schon Gedichte geschrieben hatte. Mit rasendem Herz fuhr sein Kopf herum. Xenia stand da! Ihre Nase und ihre Wangen waren vor Kälte gerötet und der Blick ihrer warmen, braunen Augen war direkt auf ihn gerichtet.
„Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass dein Gedicht wunderschön war. Du solltest deine Texte veröffentlichen“, ihre lieben Worte sorgten in seinem Inneren für einen regelrechten Zuckerschock und auch sein Gehirn fühlte sich an wie mit Süßigkeiten vollgestopft. Zuckerstangen, Dominosteine, Zimtsterne, Spekulatius…
Kein Wort kam über seine Lippen, in seinem Kopf lief nur diese dämliche Aufzählung von Weihnachtsschnausereien weiter. Dabei mochte er noch nicht einmal Dominosteine! Er war voll überfordert!
Sie mochte sein Gedicht. Weiter kam sein Verstand nicht und seine Gefühle waren vollauf damit beschäftigt, jeden Herzschlag liebevoll wie ein Plätzchen zu verzieren.
„Ich hoffe, du findest die Peron aus deinem Gedicht für dich“, wünschte sie ihm so offen freundlich. Ihre Art war einfach zauberhaft! „Ja“, gedankenlos nickte er einfach nur.
Das wäre jetzt seine Chance zu sagen, dass seine Worte von ihr gehandelt hatten und dass er sie wundervoll fand und halt die ganze poetischromantische Palette, die sein glühendverliebtes Herz widerspiegelte.
Doch davor hatte er zu viel Angst. Xenia mochte sein Gedicht, sie hatte ihm einen glänzenden Moment mit ihrem lieben Herz geschenkt, das war ihm schon Weihnachtswunder genug. Er war glücklich und er wollte es nicht zerstören.
„Du bist es“, verkündete Peter ohne Vorwarnung: „Das Gedicht ist über dich.“
Wie ein Reh im Scheinwerferlicht erstarrte der ertappte Romantiker. So hätte das nicht laufen sollen! Er sollte nicht wie der letzte Idiot keinen Satz rausbringen können!
Er sollte witzig und philosophisch und romantisch sein! Es sollte ein perfekter Moment sein!
Und wie sie ihn auch ansah! So überrascht! War das eine gute Überraschung? Eine schlechte Überraschung? Überlegte sie gerade wie sie ihm möglichst schonend das Herz brechen konnte?
„Stimmt das?“, fragte sie schließlich immer noch so undefinierbar verwundert.
„Ähm…“, setzte er unruhig an. Jetzt hatte er eine letzte Gelegenheit die mögliche Katastrophe abzuwenden, indem er einfach alles leugnete. Aber irgendein irrwitziger Anflug von Mut ließ ihn statt dem sicheren Rückzug nach vorne preschen: „Ja. Du bist ein wundervoller Mensch und du inspirierst mich. Ich könnte tausend Gedichte über dich schreiben.“
„Hast du das nicht schon?“, warf sein Freund wenig hilfreich ein. Na toll! Damit wirkte er wie eine Art verrückter Stalker!
Zerknirscht und auch eine Spur ängstlich lächelte er. Wie würde sie darauf jetzt reagieren? Seine Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Jede Sekunde zog sich ewig in die Länge. Wie in Zeitlupe öffnete sie ihren Mund…
„Warum hast du nie etwas gesagt?“, wollte sie wissen und drückte sich damit vor einer echten Antwort.
„Ich… Ich bin mehr ein…Gedankenmensch… Schreiben ist leichter“, brachte Steffen irgendwie hervor. „Ich würde gerne noch mehr deiner Gedichte lesen“, warm lächelte sie ihn an: „Wir könnten uns ja mal treffen. Zum Beispiel zum Plätzchen backen und lesen. Oder für eine wilde Schneeballschlacht.“
Bei dem letzten Satz stockte sein Herz ungläubig. Xenia hatte sich seine Worte sogar gemerkt! Konnte es noch besser werden?!
„Heute?“, war das ein Vorschlag, eine ungeduldige Erwartung, etwas Anderes? Er wusste es selbst nicht. Alles war so überwältigend!
„Nach der Schule?“, ihr Gesicht war nicht nur von der Kälte rot.
„Ja“, er schwebte irgendwo da oben in den grauen Wolken, die schon gleich viel fröhlicher und wärmer wirkten.
Schrill brach die Schulglocke in ihren schwerelosen, wunderschönen Moment ein. „Ich freu mich schon“, sagte Xenia noch mit einem umwerfenden Lächeln und er schaute ihr selig grinsend hinterher, während sie zurück ins heizungswarme Schulgebäude schritt.
„Wohl doch kein X-mess sondern ein Weihnachtswunder“, kommentierte Peter frech. Steffen hatte total vergessen, dass sein verrückter Kumpel ja auch noch da war.
„Ich liebe Weihnachten!“, verkündete der Dichter strahlend: „Das ist der Anfang von meinem Glück, ich geh voran und nicht zurück.“
„Schwacher Reim. Voll der Standard. Das kannst du doch besser“, stichelte ihn Peter und machte sich auch langsam mal auf den Weg zum Unterricht.
„Sie ist süßer als tausend Zuckerstangen! Das Abenteuer hat angefangen! Das wird der beste Tag aller Zeiten! Ich lass mich von der Freude leiten! Mit Mehl und Milch und so Zutaten! Ich kann es kaum noch erwarten! Wir werden sowas von durchstarten! Und alles…“, reimte Steffen regelrecht vor Glück übersprudelnd.
„Schon gut! Das reicht!“, unterbrach Peter ihn lachend.
„Nein. Es wird nie reichen! Worte sind dafür nicht genug“, schwärmte der Poet übertrieben. Und das würde sich sein Sitznachbar wahrscheinlich die ganze Weihnachtszeit anhören müssen. Ein extrem verliebter Romantiker und sein Weihnachtschaos… Spaßig…
In der Luft lag der Geruch nach Zimt und Schokolade, dazu frischgebackene Waffeln und als herzhafte Note belegte Brötchen. Wie jede Pause hatte sich in der Cafeteria schon eine lange Schlange aus schnatternden Schülern gebildet.
Die Oberstufenschüler, die ihre Pause ganz fleißig mit Lernen verbringen wollten (was nicht besonders viele waren), schnitten bei dem Lautstärkepegel immer sehr genervte Gesichter. Aber Heike liebte es.
Sie liebte diesen lebendigen Tumult an der Schule und besonders die kleinen Fünftklässler, von denen einige super-süß „Bitte und Danke“ sagten, wärmten jedes Mal ihr Herz. Und natürlich war da noch Berthold, ihr Stammkunde, der immer so knuffige Pullunder und eine dicke Hornbrille trug. Er war wirklich der perfekte Lehrer und ein richtiger Gentleman-Scherzkeks. Herr Fritzen…
Jede Pause direkt nach dem Klingeln kam er, um sich einen Kakao mit Zimt zu kaufen. Nur donnerstags war immer eine Lehrerkonferenz und er
kam erst gegen Ende der Pause. Auf ihn war einfach immer Verlass und ja, sein freundliches Lächeln und seine schokobraunen, glänzenden Augen gehörten auch zu den täglichen Dingen, die ihr Herz wärmten.
Generell liebte sie ihre Arbeit als die „Cafeteria- Frau“ einfach. Mit Essen konnte man so leicht die Leute glücklich machen, vor allen Dingen in der Weihnachtszeit. Wenn es draußen richtig kalt wurde, freuten sich die Kinder nochmal mehr über die warmen Waffeln. Auch heute gingen sie weg wie nichts.
„Hier. Das habe ich für Sie gemalt“, mit diesen Worten überreichte ihr eine extra knuffige Fünftklässlerin ein Bild von einem lächelnden Donut mit Kulleraugen. „Vielen Dank!“, gerührt nahm Heike das kleine Kunstwerk an. Solche kleinen Gesten waren doch einfach nur zauberhaft!
Seid sie letztes Jahr angefangen hatte, hatte sie jetzt insgesamt fünf Bilder geschenkt bekommen und jedes hing sie an den Kühlschrank hinter sich. So wurde ihr Arbeitsplatz Stück für Stück ein bisschen bunter und fröhlicher. Einfach ein schönes Gefühl.
Danach kamen ein paar grummelige Teenager in der Schlange, die sich nicht mal ein Lächeln abringen konnten, aber auch über sie freute sich Heike. Alles war so, wie es sein sollte. Es könnte kaum besser sein…
„Herr Fritzen steht auf sie, aber ist zu schüchtern. Sie sollten die Initiative ergreifen“, sprach eine der verschlossenen Jugendlichen sie unvermittelt an, nachdem sie bezahlt hatte. Völlig überrumpelt sah die Betreiberin der Cafeteria sie an und bevor sie sich wieder richtig sammeln konnte, war das Mädchen auch schon mit einem Energy-Drink und der Laugenstange verschwunden.
Herr Fritzen sollte auf sie stehen? Bei dem Gedanken wurden Heikes Wangen bratapfelrot.
„Sie wären ein schönes Paar!“, schwärmte eine kleine Fünftklässlerin mit pinker Einhornmütze. Warum waren auf einmal alle Schüler so in Kupplerstimmung?
„Ähm. Was willst du haben?“, versuchte die Verkäuferin sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Kakao, bitte!“, bestellte das Mädchen strahlend und hielt ihr einen Becher hin, der passend zur Mütze rosa glitzernd war.
Mit einem kleinen Lächeln füllte Heike ihr das dampfende Getränk ein, das alles mit seinem schokoladigen Seelenwärmer-Geruch erfüllte. Das beste Gegenmittel für trist-graues Winterwetter.
„Danke!“, trällerte die Kleine und bezahlte mit einem Haufen Rotgeld. Hach, immer diese ganzen Münzen, wenn die Kinder das Restgeld zusammenkratzten, um sich noch etwas zu kaufen. Fröhlich hüpfte das Einhornmädchen am Rest der Schlange vorbei nach draußen. Heike sah ihr nach und dabei fiel ihr Blick auf Berthold, der sich mittlerweile ans Ende der Reihe gestellt hatte.
Zum Gruß hob er die Hand und lächelte ihr zu. Automatisch erwiderte sie sein Lächeln und winkte kurz zurück. Doch dann hallten in ihrem Kopf die Worte der Schüler eben wider: „Sie wären ein schönes Paar.“
Stimmte das? Wären sie ein schönes Paar? Konnten sie überhaupt ein Paar werden? Der Gedanke war irgendwie komisch, aber auf eine gute, aufregend prickelnde Art. Sollte sie es wirklich wagen und ihn fragen? Sie hatte das eine Ewigkeit nicht mehr gemacht. Sie wusste gar nicht mehr, wie das ablief!
Na ja, eigentlich fragte man ja nur, ob man gemeinsam einen Kaffee trinken wollte oder Frühstück oder etwas in der Art.
So schwer war es nicht. Und das Schlimmste, das passieren konnte, war ein kleiner peinlicher Moment. Aber er hätte einen peinlichen Moment vor seinen Schülern. Was, wenn ihm das unangenehm war oder er sich bedrängt fühlte? Nein, sie machte sich zu viele Gedanken! Er war kein kleines Kind mehr! Er konnte ablehnen, wenn er nicht wollte.
Sie sollte es versuchen. Berthold war so nett und irgendwie lustig mit seinen Flachwitzen, die er jedes Mal brachte. Es wäre schön, ihn auch mal außerhalb der Schule zu sehen. Gedanklich nicht ganz anwesend bediente sie ein Kind nach dem anderen. Die Schlange wurde immer kürzer und Berthold kam beständig näher.
Auf seinem Gesicht lag dieses warme, vorfreudige Lächeln. Ihn nach einer Verabredung zu fragen war die richtige Entscheidung, da war sich Heike ganz sicher, trotzdem fühlte sie sich hin und her gerissen und unruhig.
Plötzlich war er an der Reihe und für einen Herzschlag stand die Welt still. Eigentlich war das keine Überraschung, immerhin hatte sie ihn Stück für Stück aufrücken gesehen und sie hatte auf diesen Augenblick gewartet, mehr noch, sie hatte ihn kaum erwarten können. Und jetzt… Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, als wäre sie wieder eine verliebte Teenagerin, die auf die Schule ging. „Hallo!“, begrüßte Berthold sie auf seine sonnige Art und ging gleich zu einem seiner Witze über: „Was qualmt und läuft über die Wiese?“ Wie immer lächelte sie statt einer Antwort nur unbeschwert. Dieser Scherzkeks.
„Ein Kaminchen!“, enthüllte er stolz und Heike konnte gar nicht anders als loszukichern. Ein Kaminchen! Der Witz war so flach, aber wie Berthold ihn erzählt hatte… Es fühlte sich so an, als hätte jemand auch in ihrem Inneren ein Kaminchen angezündet.
„Das Gleiche wie immer?“, fragte sie mit der Leichtigkeit, die sie in seiner Nähe jedes Mal spürte.
„Genau“, bestätigte er lächelnd und hielt ihr seine Tasse hin. Auf ihr stand der Spruch: „Ich lass die Tasse nicht leerer werden, ich bin Lehrer!“ und jedes Mal, wenn sie ihn las, musste sie schmunzeln.
Fest klammerte sie sich an dem Griff der besonderen Tasse fest und füllte sie mit warmem Kakao, der nicht annähernd mit der Hitze in ihrem Inneren mithalten konnte.
„Oh. Ein neues Bild“, fiel es Berthold hinter ihr auf. „Ja, mein Arbeitsplatz wir immer bunter“, meinte sie glücklich und sammelte ein letztes Mal Mut. Jetzt oder nie.
Die Tasse immer noch etwas verkrampft in der Hand drehte sich Heike zu ihm um und die Worte brachen aus ihr hervor: „Wollen wir uns mal außerschulisch treffen? Für einen Kakao? Vielleicht heute nach Schulschluss?“
Im ersten Moment sah er sie nur völlig überrumpelt an und sie hatte das Gefühl, doch einen Fehler gemacht zu haben. Aber dann kehrte das herzliche Lächeln in sein Gesicht zurück und als er ihr antwortete ging ihr richtig das Herz auf: „Liebend gerne.“
„Hallo? Hier warten noch andere“, meldete sich ein ziemlich respektloser Fünftklässler zu Wort. Mit einem kleinen Lachen gab Heike Berthold die Tasse zurück und ihre Finger streiften sich leicht. Eine kleine, flüchtige Bewegung voller Wärme.
Sie konnte den Schulschluss kaum noch erwarten, was allen anderen in der Cafeteria wohl genauso ging…
Gelangweilt standen sie im Flur vor den Bio- Räumen. Die dick eingepackten Frostbeulen quetschten sich an den uralten Heizkörper, der immer wieder beunruhigende Glucker- und Zischgeräusche von sich gab. Außerdem roch der ganze Flur nach der faden, abgestandenen Heizungsluft.
„Von der trockenen Heizungsluft und der Kälte draußen werden meine Lippen immer so rissig“, beschwerte sich Lucy und machte einen süßen Schmollmund.
„Ich küsse deine Lippen trotzdem gerne“, nutzte Janis diese Steilvorlage und gab ihr einen kleinen Kuss, einen wirklich sehr kleinen, für mehr kauerten die anderen zu dicht an ihr.
Lucy gehörte nämlich zu den Heizungs- Frostbeulen. „Du küsst ja auch deine Katze ständig auf den Kopf“, erwiderte sie alles andere als süß.
„Meine Katze freut sich wenigstens darüber und ist das ganze Jahr über liebenswürdig. Außerdem ist ihr Fell super weich und nicht rissig“, konterte er mit einer gewissen Kritik.
In den Wintermonaten wurde sie immer zu einer Art Grummelbär, der am liebsten einfach in Winterschlaf fallen würde und ansonsten außer frieren und essen gar nichts mehr machte. Ihm war es ein Rätsel, wir ihr mit diesem Monstrum von Jacke inklusive Zwiebellook aus Top, T-Shirt und Kuschelpulli immer noch kalt sein konnte.
„Deine Katze muss ja auch nicht aus dem Haus und in die Schule“, verteidigte sich seine Freundin.
„Ja, das Leben einer Katze müsste man schon haben…“, stimmte er ihr mit einem kleinen Seufzen zu. „Du bist manchmal schon eine verrückte Katzentante“, meinte sie mit einem kleinen Lächeln. „Und du bist manchmal schon ein Grummelbär“, konfrontierte er sie ebenfalls mit ihren Eigenarten.
„Ihr seid immer noch so ein süßes Paar“, schwärmte Petra, die direkt neben Lucy hing. Null Privatsphäre. Na ja, es war Schule, was erwartete man da schon?
„Kann Herr Ochsenbach nicht langsam kommen? Ich hasse es, wenn wir immer so blöd rumstehen müssen“, beschwerte sich Hannah auf der anderen Seite.
„In der Klasse kann man wenigstens noch etwas machen“, schloss sich Leonie ihr an.
„Seht es positiv: Wir haben weniger Unterricht“, versuchte Janis die Stimmung ein wenig zu bessern. Es war doch Weihnachtszeit, da sollten nicht alle mies drauf sein.
„Aber das hätten wir auch, wenn wir drinnen warten könnten“, erwiderte Leonie spitzfindig. Dieser Haufen war hoffnungslos. Frostbeulen waren im Winter wirklich unverbesserlich.
„Gib mir deine Hände“, verlangte Lucy mit einem täuschend netten Grinsen und streckte ihre blassen, fast schon violetten Finger aus. Das konnte doch nicht mehr gesund sein. Trotzdem griff er nach ihren Eisfingern und wärmte sie ganz aufopferungsvoll mit seinen eigenen Händen.
„Du bist der Beste“, schwärmerisch strahlte Lucy ihn an. „Ich weiß“, erwiderte er mit einem genügsamen Lächeln. „So süß“, kommentierte Petra nochmal von der Seite. Sie brauchten echt mehr Freiraum.
„Sollte vielleicht nicht irgendwer mal zum Lehrerzimmer gehen und fragen, wo der Ochse bleibt? Sonst kriegen wir am Ende noch Anschiss, weil wir nichts gesagt haben“, warf Hannah missmutig ein.
Die Heizungsclique hatte das Potenzial ihres Händchenhalte-Moments nachhaltig zerstört. „Wer fragt, der geht“, meinte Janis nur und seine Laune passte sich langsam immer mehr dem allgemein vorherrschenden Niveau an.
„Nein, hier ist es gerade ein bisschen warm“, sträubte sich Hannah. „Johannes ist schon los“, informierte sie Maurice von der Seite. Ihre Klasse stand hier wirklich in den Flur gepresst, wie ein Würstchen, das kurz vorm Platzen war. Na toll. Jetzt hatte er auch noch Hunger.
Auf einmal waren auf der Treppe hastige Schritte zu hören, die für einen Lehrer viel zu energiegeladen waren. Nur eine Sekunde später tauchte Johannes ordentlich außer Atem auf. Aha. Wenn man vom Teufel spricht.
„Herr Ochsenbach kommt nicht mehr! Wir haben eine Freistunde!“, verkündete er die frohe Botschaft und machte damit seinem Namen alle Ehre. Johannes war doch ein Apostel oder Evangelist oder Engel oder so, irgendetwas Christliches auf jeden Fall.
„Dank sei Gott dem Herrn! Halleluja!“, rief Janis und riss ausgelassen die Arme in die Höhe. Schlagartig war die ganze Stimmung total gelöst.
„Komm! Ich weiß, wo wir hin können!“, aufgedreht griff Lucy wieder seine Hand und zerrte ihn durch das ausgelassene Gedränge im Flur. Man würde dem kleinen, dick gepolsterten Grummelbär gar nicht zutrauen, mit welcher Energie sie sich jetzt durch die Menge bahnte. Eine Rugby-Karriere wirkte da schon echt naheliegend. Schnell stürmten sie die Treppe nach oben und raus auf den Schulhof.
Fröstelnd zog sie sofort die Schultern hoch, doch davon ließ sie sich kaum ausbremsen. Durch ihr Warten war schon einige Zeit ihrer kostbaren Freistunde verstrichen und sie hatte noch ein Ziel.
Zügig brachten sie die Schule hinter sich und auch gleich ein paar Straßen, bis sie schließlich vor dem Dönerladen ihres Vertrauens standen. Direkt neben der Tür hatte er ein weißes Plastikweihnachtsbäumchen mit bunt blinkender Lichter- kette stehen, sehr weihnachtlich. Döner sollte als neues Weihnachtsfestessen eingeführt werden.
„Es ist noch nicht mal zehn Uhr, willst du jetzt schon einen Döner essen?“, fragte Janis ein wenig skeptisch. „Ach, Döner kann man doch immer essen und ich habe da noch eine Überraschung für dich“, erwiderte sie endlos begeistert. Eine Überraschung im Dönerladen? Da war er ja mal gespannt.
„Hat der überhaupt schon auf?“, warf Janis noch hinterfragend ein. „Ganz offiziell noch nicht, aber gleich“, nach wie vor vollends überzeugt trat seine verrückte Freundin vor die Tür und klopfte an. Von hinten kam der Dönermann höchstpersönlich in den Laden. Sobald er Lucy sah, verwandelte sich sein irritiertes Stirnrunzeln gleich in ein breites Grinsen.
Fröhlich winkte sie ihm zu und er öffnete die Tür ohne zu zögern. „Hallo Lucy! Und Janis! Was macht ihr um die Zeit hier? Ihr schwänzt doch nicht etwa! Schule ist wichtig!“, begrüßte er sie auf seine herzliche Art.
„Ne, wir haben eine Freistunde und ich hatte richtig Heißhunger auf einen deiner bombastischen Döner“, antwortete sie ihm locker: „Außerdem hat Janis noch gar nicht Gyros gesehen.“
Verwirrt runzelte er die Stirn, das war doch eine glatte Lüge. Er kannte die braungetigerte Katze des Ladens.
„Ah, ich verstehe“, wissend lächelte der Türke und machte dann entschuldigend weiter: „Döner gehen gerade noch nicht, der Spieß ist noch nicht heiß, aber Fritten oder Soßenbrötchen wären drin.“ „Super Emir! Du bist der Beste!“, glücklich stürmte Lucy in den Laden, der intensiv nach Dönerfleisch roch.
Etwas zögerlicher folgte er ihr. Zwar hatte er auch schon öfter hier gegessen, aber er konnte bei Weitem nicht mit der Stammkundin Nummer eins mithalten. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie geradezu in dem Laden wohnte.
„Gyros ist hinten, du weißt ja wo, ich mach dir schonmal etwas“, meinte der Ladenbesitzer einladend: „Willst du auch etwas, Janis?“ „Ja, das Gleiche“, nahm er immer noch ein kleinwenig überrumpelt an.
„Wir sind dann kurz bei Gyros“, mit diesen aufgedrehten Worten zog Lucy ihn begeistert nach hinten zu einem Karton in der Ecke.
Und dort lag die getigerte Katze, zusammen mit drei super süßen Babykätzchen, eins sogar mit der Färbung einer Glückskatze. „Tadaa!“, stolz präsentierte sie ihm diese katzige Überraschung.
„Oh!“, hauchte Janis hingerissen. Ihre kleinen Krallen und Öhrchen und dieses hohe, absolut bezaubernde Maunzen, bei dem man ihre super winzigen Zähnchen sehen konnte und diese Mini-Näschen…
„Ich wusste, dass es dir gefallen würde“, lächelnd grinste seine Freundin ihn an und freute sich einfach, dass er sich freute. „Du bist vielleicht doch kein Grummelbär“, gerührt, dass sie dabei an ihn gedacht hatte, gab er ihr einen kleinen Kuss.
„Aber du bist und bleibst eine verrückte Katzentante“, erwiderte sie schelmisch: „Wenn du die Kleinen gleich abknutschst, darfst du mich aber nicht mehr küssen.“
„Na dann…“, ohne zu zögern nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie richtig. Er küsste sie lieber als extra knuffige Babykätzchen… Das war das schönste, wortlose „Ich liebe dich“ überhaupt.