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Rudi kann es kaum glauben, als er plötzlich im süßen Tal landet, in dem es ein Gebirge aus Zuckerkristallen und einen Wald aus Gummischlangen gibt. Und was liegt jenseits im sauren Tal? Auf jeden Fall sieht Rudi überall das Gute, doch es gibt immer jemanden mit bösen Absichten.
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wilma Müller, geboren 2003, ist mitten in ihrem dualen Studium im Bereich Physiotherapie. Mit 13 Jahren fing sie an ihre Ideen zu Papier zu bringen und das Schreiben ist aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. 2019 wurde ihr erster Fantasy-Roman „Aufgelöst – Hinterm Nebel liegt die Wahrheit“ veröffentlicht. „Rudi Geisterrübe“ gehört wie die Bougoslavien-Reihe zu ihren Kinderbüchern.
Für Rudi Thesen, der jedem sein ganzes Herz schenkt.
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
Alles fing mit Dunkelheit an.
Ich spürte den Regen, wie er in die Erde sickerte und meine Wurzeln sammelten die Feuchtigkeit auf. In letzter Zeit regnete es viel, aber es war ja auch Herbst und ich mochte den Regen. Das Wasser ließ alles wachsen und auch ich spürte, wie es mir Kraft gab. Von Tag zu Tag wurde ich größer. Schützend umgab mich die Erde und ich fühlte mich von ihr richtig schön umarmt. Doch ich war auch neugierig auf das, was außerhalb dieser heimeligen Dunkelheit lag.
Manchmal spürte ich die Wärme und Energie der Sonne auf meinem Grün und ich reckte mich ihr entgegen. Die Welt da oben war sicher schön…
Und dann war der Tag gekommen, der Tag der Ernte. Darauf hatte ich schon so lange gewartet, obwohl ich gar nicht genau wusste, was mich erwartete. Auf jeden Fall war es jetzt so weit. Ich spürte wie ein Schatten über mich fiel und meine grünen Blätter kribbelten vor Aufregung.
Mit einem Ruck wurde ich aus dem Boden gezogen. So viel auf einmal strömte auf mich ein. Das Licht, die Farben, die Luft… Es war eine vollkommen andere Welt. Voller Staunen sah ich mich um. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich geglaubt, dass es hier oben so groß war!
Natürlich war auch das Erdreich riesig, aber es war eben auch dunkel und man bemerkte davon nicht mehr als die Geschichten der Würmer und die Reichweite der eigenen Wurzeln. Aber hier war es anders.
Das Licht zeigte mir so viel! An dem blauen Himmel trieben weiße Wolken und er war so groß, einfach unbeschreiblich hoch! Und die Bäume! Sie waren echt riesig! Ich wollte so groß wachsen wie sie! Und dann ihre hübschen Blätter! Gelb, orange, rot. Ganz bunt! Viele lagen schon auf der Wiese und zauberten damit farbenfrohe Flecken auf das hübsche Grün.
Hier gab es so viele Pflanzen! Und sie alle waren ganz unterschiedlich und vielseitig!
Mit meinen Wurzeln hatte ich zwar hier und da auch mal Kontakt zu einem Löwenzahn oder Klee gehabt, aber dass es so viele gab, war einfach überwältigend.
All das nahm ich in einem spektakulären Herzschlag wahr und dann ging es schon richtig los.
„Oma! Oma! Guck mal! Die Möhre ist gelb!“, rief eine ausgelassene Kinderstimme. Das war so ein schönes Geräusch.
„Oh. Du hast recht. Das ist dann wohl eine Geisterrübe“, erwiderte die alte Frau mit den giftgrünen Gummistiefeln und der feuerroten Jacke. Ich mochte ihre Farben richtig, sie wirkte so fröhlich.
„Eine Geisterrübe“, wiederholte das Kind fasziniert. „Immerhin ist morgen doch Halloween“, ergänzte die Oma mit einem warmen Lächeln.
Ich war eine Geisterrübe. Ich war etwas Besonderes. Vor Freute strahlte ich. Das war so ein schönes Gefühl!
Diese große, weite Welt war so herzlich!
Einfach herrlich! Zusammen mit jeder Menge anderer Möhren wurde ich in einen hellgrünen Eimer gelegt. „Was ist denn mit dir los? Warum bist du so blass?“, fragte mich eine Möhre irritiert.
„Ich bin eine Geisterrübe“, antwortete ich stolz.
„Was soll das denn sein?“, eine der anderen Möhren klang ziemlich abfällig. „Ich weiß es auch nicht so genau, aber das Kind und die Oma haben sich gefreut“, erklärte ich super gut gelaunt. Aber wie könnte man bei dieser tollen Welt auch nicht gut gelaunt sein?
„Du bist komisch“, meinte eine weitere Karotte distanziert. Sie schienen mich nicht zu mögen… Aber ich war deswegen nicht traurig. Jeder hatte seine eigene Persönlichkeit und es war in Ordnung, dass nicht alle zueinander passten. Am Ende zählte doch nur, dass sich alle auf ihre Weise gut fühlten.
„Warum lächelst du wieder so komisch?“, wollte eine der vielen, orangenen Möhren von mir wissen. „Ich bin einfach glücklich. Diese Welt ist doch schön“, antwortete ich ehrlich.
„Die Erde war auch gut. Ohne Wurzeln ist es nicht richtig“, gab eine andere Rübe unflexibel und grummelig von sich.
„Ich mochte die Erde auch, aber eine neue Welt bietet auch neue Möglichkeiten“, versuchte ich ihm mit ein paar lieben Worten zu helfen. Nur leider war er nicht offen dafür und entgegnete mega missmutig: „Laber nicht so einen Friede-Freude-Eierkuchen-Quatsch.“
Und danach ging der Streit erst richtig los. Es war gar nicht schön, das mit anzuhören, doch ich ließ sie. Vielleicht war es ja genau wie beim Wetter und nach dem Gewitter würde wieder Sonnenschein kommen und durch den Regen konnte alles stärker wachsen… Der Gedanke, dass Konflikte uns stärker machen konnten, war doch schön.
Immer mehr Möhren kamen zu uns in den Eimer, bis er irgendwann schon überquoll.
Eifrig griffen sich zwei Kinder den Eimer am Henkel und trugen uns ins Haus. An all den erdigen, orangenen Rüben vorbei sah ich noch ein paar Flecken blauer Himmel, der im Haus zu einer braunen Holzdecke wechselte.
Auf einem Brett dort erhaschte ich den Blick auf ein paar Astlöcher, die wie ein breit grinsendes Gesicht aussahen.
Für mehr Entdeckungen war leider keine Zeit.
Schon wurden wir in der Küche abgestellt, wo es eine große Lampe gab, die mit bunten Blumen bemalt war. Und danach veränderte sich wieder alles.
Wir wurden geschält, gewaschen und in kleine Würfel geschnippelt. Am Ende landeten wir mit Kürbissen, Kartoffeln und ganz viel anderem Gemüse im Kochtopf und eine unglaubliche Hitze umgab uns. Ich fing richtig an zu schwitzen und wurde ganz wabbelig. So ein lustiges und verrücktes Gefühl.
Bestimmt war es in der Sauna genauso.
Ein paar der anderen Möhren klagten lautstark, dass unsere Zeit in der Welt des Himmels nur so kurz gewesen war. Aber ich war immer noch einfach nur zufrieden. Alles war ein Kreislauf und die Kinder freuten sich schon so auf die Suppe und auch das sanftmütige Lächeln der Oma, wenn sie mit dem alten Holzlöffel im Topf rührte.
Mehr und mehr verschwammen meine Gedanken und ich spürte, wie meine Seele mit dem Dunst aufstieg.
Jetzt war ich wahrhaftig eine Geisterrübe! Es war wieder eine komplette Veränderung und ich freute mich schon darauf, alles zu erkunden! Heute war wirklich ein unglaublicher Tag!
Aufgeregt versuchte ich mich zu bewegen.
Ich fühlte mich so schwerelos, aber es klappte! Wie von selbst machte ich eine Drehung.
Wuhu! Und noch ein richtiger Looping! Und noch einer und noch einer! Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Oh oh. Ich konnte wirklich nicht mehr aufhören! Uiuiui! Ich bekam einen richtigen Drehwurm! Irgendwie schaffte ich es, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Für einen Moment drehte sich noch alles vor meinen Augen.
Fliegen war so genial! Jetzt hatte ich so viele Möglichkeiten! Ich konnte überallhin! Ich konnte alles sehen! Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte!
Vielleicht sollte ich mich einfach von der Welt überraschen lassen. Voller Vorfreude flog ich auf das Fenster zu, das einen kleinen Spalt geöffnet war, damit der Essensdampf abziehen konnte.
Zum Glück war die Abzugshaube nicht an, sonst hätte sie mich sicher sofort aufgesaugt.
Aber das hätte auch lustig sein können, alles konnte ein Abenteuer sein.
Der Fensterspalt kam immer näher. Oh. Ich war ein bisschen tief. Weiter oben war es viel breiter. Also höher, höher… Wieso kam ich nicht höher? Fliegen war doch noch ein wenig ungewohnt.
Oh oh! Ich konnte wieder nicht bremsen! Hier würde ich nicht durchpassen! Oh nein! Schwupps. Auf einmal war ich einfach durchs Fenster gerutscht und ich meine wirklich durch.
Stimmt ja, als Geisterrübe konnte ich auch durch Wände und so fliegen. Super! Ich fühlte mich so frei! Ich könnte in ganz vielen Häusern rumspuken! Mit leuchtenden Augen sah ich mich um. Oh! Alles war so schön dekoriert! Aus dem Eimer hatte man so viel nicht gesehen! Vor fast allen Häusern standen geschnitzte Kürbisse.
Ich liebte all diese Gesichter sofort.
Manche lächelten ganz breit, andere hatten die Augen gefährlich zusammengekniffen und ganz viele Zacken im Mund wie spitze Zähne.
Es gab dreieckige Augen und viereckige oder etwas ausgebeulte runde. Ein paar Kürbisse hatten sogar Katzengesichter. So eine schöne Vielfalt!
Und es gab auch Girlanden und Figuren.
Zombies, Skelette, Geister, auch ein düsterer Sensenmann. Bei manchen Häusern sah man überhaupt nichts, andere waren super tief im Halloween-Modus.
Ein schlumpfblaues Haus war fast komplett mit Spinnenweben überzogen und auf allen Fensterbänken standen halb abgebrannte, elektrische Kerzen, die bestimmt nachts eine schaurige, geheimnisvolle Atmosphäre ausstrahlten.
Das wollte ich mir auch von innen ansehen! Kurzerhand steuerte ich direkt auf die Wand zu. Schwupps. Es war ganz leicht! Neugierig schaute ich mich um. Auch von innen war alles fleißig dekoriert worden. Die Leute, die hier lebten, mussten dieses Fest richtig lieben!
Totenköpfe lagen auf den Tischen und von den Decken baumelten Fledermäuse. Voll das Gruselhaus!
Ich passte ja echt gut hier hin! Kichernd versteckte ich mich hinter einer Skeletthand, aber mich konnte ja sowieso niemand sehen.
Ob ich die Hand vielleicht dazu bringen konnte zu winken? Oh! Das wäre so witzig!
Angestrengt konzentrierte ich mich und versuchte dagegen zu stupsen, doch ich glitt immer wieder hindurch. Schade.
Womöglich machte ich ja einfach etwas falsch. Vielleicht konnte ich ja irgendwo einen anderen Geist finden, der mir alles zeigte.
Gemeinsam war doch alles viel schöner! Wir könnten echt so viel Spaß haben!
Nur wo trafen sich Geister? Nachdenklich schwebte ich durch das Haus.
Alle saßen gerade beim Essen. In der Luft lag der deftige Geruch nach einer Gemüsepfanne mit extra viel Kürbis und Möhren waren auch dabei. Das sah richtig schön orange aus! Und dazu gab es noch verlockend dampfende goldgelbe Kartoffeln und braungebrannte Würstchen.
Zusammen zu essen, stellte ich mir wirklich wunderschön vor. Konnten Geister eigentlich essen? Als Möhre hatte ich ja immer nur Nährstoffe durch meine Wurzeln und Fotosynthese aufgenommen.
So viele unglaublich tolle Ideen zogen durch meinen Kopf und es wurden immer mehr!
Begeistert flog ich wieder durch die Wand.
Auf geht’s!
Staunend schwebte ich einfach nur durch die Straßen und sah mir all die hübschen Häuser an. Selbst die Natur schien sich der geheimnisvollen Stimmung angepasst zu haben mit den gedämpften Farben in rot und orange, als würden sie sanft brennen.
Mysteriös.
Ich liebte es auch, wie der kühle Wind sie wispern ließ. Verspielt wirbelte ich durch die Blätter. Wuhu! Bäume waren so groß und einfach toll!
Die Zeit verging wie im Flug und schon bald wurde es dunkel. Die Dunkelheit war ja eigentlich etwas, dass ich schon aus der Erde kannte, aber das hier war ganz anders.
Über mir erstreckte sich immer noch der endlos weite Himmel, obwohl er jetzt schwarz war statt blau und dort oben leuchtete noch der Mond als weißlicher Bogen. In seinem Licht wurden auch die Wolken sichtbar, wenn sie an ihm vorüberzogen. Bei Tag hatte man sie ja wunderschön als weiße, unergründliche Formen gesehen, doch jetzt waren sie mysteriöse Schatten. Zwischen ihnen blitzten immer wieder kleine Sterne auf, als würden sie mit ihnen verstecken spielen.
Ich könnte stundenlang nur in den Himmel sehen und dieses geheimnisvolle und ruhige Schauspiel verfolgen, aber es gab noch so viel mehr!
Da waren all die grinsenden Kürbisgesichter mit flackernden Kerzen in ihrem Inneren und die großen, beständigen Straßenlaternen und hell erleuchtete Fenster in den Häusern, die glückliche Familien zeigten, die gemeinsam aßen oder sich auf dem Sofa zusammenkuschelten.
Sie schienen so viel Spaß zu haben, dass ich gerne dabei sein wollte. Kurzerhand flog ich einfach durch das Fenster zu den glücklichen Menschen. Sie hatten eine kuschelige, dunkelgrüne Decke quer über sich gelegt und vor sich auf einem kleinen Tischlein hatten sie zwei Schüsseln stehen. In der einen waren kleine, goldbraune Scheiben, die wunderbar herzhaft-würzig rochen, das mussten Chips sein und in der anderen waren weiße, knubbelige Dinger, die wunderbar süßlich dufteten, was sich als Popcorn herausstellte.
Die Menschen fragten sich nämlich manchmal gegenseitig, ob sie die Schüsseln haben konnten und dabei bekam ich mit, was sich hinter den verlockenden Snacks verbarg.
All das neue Wissen war so spannend!
Und auch was sie sich ansahen! Auf einer großen, eckigen Fläche war ein schauriges Haus zu sehen, in dem andere Menschen mit Taschenlampen rumliefen und sich vor knarzenden Türen und schwebenden Kerzenleuchtern erschreckten. Was war das? Diese kantige Scheibe wirkte wie ein Spiegel, nur dass es etwas ganz anderes zeigte, als diesen Raum. Faszinierend…
Ständig passierte in diesem Wunderspiegel irgendetwas Schauriges oder Überraschendes. Die Menschen, die dieses Abenteuer erlebten, zuckten immer wieder zusammen und die auf dem Sofa fieberten ebenfalls sehr mit. Es schien ihnen zu gefallen sich zu erschrecken und zu gruseln.
Auf einmal bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung draußen. Im Licht einer der goldenen Straßenlaternen tappte eine gefleckte Katze. Sie ließ den Kopf hängen und sah irgendwie traurig aus.
Katzen kannte ich schon von meiner Zeit im Garten. Sie hatten manchmal in der Erde gescharrt und waren dort aufs Klo gegangen.
Irgendwie hatten sie auf mich immer so wild und frei und auch eine Spur verrückt gewirkt, doch diese hier schien einfach nur einsam zu sein. Das war doch schade!
Spontan flog ich wieder durch das Fenster nach draußen und gleich zu der Katze. „Du bist nicht alleine“, versicherte ich ihr aufmunternd.
Manchmal brauchte man doch einfach jemanden, der einem gut zuredete, selbst wenn es nur eine Geisterrübe war, die von niemandem gehört werden konnte. Ich wollte trotzdem für sie da sein.