Der Herr der Noten - Wilma Müller - E-Book

Der Herr der Noten E-Book

Wilma Müller

0,0

Beschreibung

Ich bin Dex, eine Gottesanbeterinnen-Seele mit einer Tendenz zum zu spät kommen, doch für diesen einen Moment, kam ich genau zur richtigen Zeit und mein ganzes Leben änderte sich. Jetzt habe ich auf einmal mit überkorrekten Bediensteten, Entarteten und dem Herr der Noten zu tun. Keine Ahnung, was mich zuerst umbringen würde: Die Langeweile im Unterricht oder die Krankheit, die dabei war alles ins Chaos zu stürzen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 590

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wilma Müller, geboren 2003, steckt mitten in ihrem dualen Studium im Bereich Physiotherapie. Mit 13 Jahren fing sie an ihre Ideen zu Papier zu bringen und das Schreiben ist aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. 2019 wurde ihr erster Fantasy-Roman „Aufgelöst – Hinterm Nebel liegt die Wahrheit“ veröffentlicht. „Der Herr der Noten – Auf der Jagd“ ist der erste Band eines geplanten Zweiteilers.

Für die Leute

aus dem Ortho-Klinikum,

die eine krasse Inspiration waren.

Inhaltsverzeichnis

1: Lauf!

2: Wahrheit oder Tod

3: Die Wette gilt

4: Hoch hinaus

5: Das Versprechen

6: In der Falle

7: Die Entarteten

8: Ein neues Schicksal

9: Die Auserwählten

10: Um Mitternacht

11: Verräter

12: Im Licht der Magie

13: Die erste Botschaft

14: Der Weg des Wassers

15: Am Boden

16: Die Stimme der Zukunft

17: Beflügelte Gedanken

18: Tiefe Geheimnisse

19: Neues Wissen

20: Drei Leben

21: Es wird sich ändern

22: Nicht mehr allein

23: Beweise dich

24: Schlafende Hunde

25: Asche

26: Für die Katze

27: Die Jagd

28: Partytime

29: Verwandlung

30: Ein Schicksal fällt

31: Die Stimme erhoben

32: Mein Blut

33: Wenn ich sterbe

Danke!

1

Lauf!

„Man hört den Schrei. Es fließt das Blei. Die Meute tobt, ich bin dabei!“, hämmerte es fetzig auf meine Ohren. Energiegeladen wippte ich mit dem Kopf und bog in die Glasgasse ein. Laut ratterte das Kopfsteinpflaster unter den Rollen meines Skateboards.

All die gläsernen Windspiele zeichneten bunte, tanzende Regenbögen auf den Boden, doch ich hörte ihre verträumte Melodie gar nicht. Dafür folgte mein Skateboard bei seinen Bewegungen ihrem Beispiel. Unberechenbar stockte es ständig oder sprang zur Seite. Wie ich diese verdammte Gasse hasste, aber es war der schnellste Weg zu Tina‘s und ich war schon echt spät dran, wie eigentlich immer.

Scheiße! Plötzlich erwischte ich einen der abgetretenen Steine besonders mies und kriegte voll Seitneigung. Wild ruderte ich mit den Armen, doch meine Flügel waren noch nicht zu gebrauchen, mal abgesehen davon, dass sie unter meinem T-Shirt hingen. Also Pech gehabt.

Wie ein Stein knallte ich auf den Boden oder genauer gesagt gegen die Auslage von irgendeiner der unzähligen Glasbläsereien. Klirrend kippten die bunten Vasen um, eine kullerte auch über die Tischkante und zerbrach geräuschvoll auf dem Boden, sogar passend auf den Beat, der wild aus meinen leicht verrutschten Kopfhörern dröhnte. Was für ein Timing!

Schnell sprang ich wieder auf die Beine. Ritsch. Ups. Das war meine Hose gewesen. Eine der Scherben hatte den Stoff seitlich an meinem Oberschenkel aufgeschnitten. Zum Glück war es eine der Stellen, wo ich meinen kräftig grünen Insektenpanzer hatte, zwar nicht unzerstörbar, aber zäher als normale Haut. Echt praktisch. Und dieser Riss in der Hose sah auch noch ziemlich stylisch aus. Voll korrekt.

„Hey! Vandale!“, rief der Ladenbesitzer und kam wütend rausgestürmt. Ach du Scheiße! Das war so ein richtig bulliger Typ mit Stierhörnern und fettem Nasenring. Der sah eher wie ein knallharter Schmied statt einem Glasbläser für schicke Vasen aus. Und er schien echt keinen Spaß zu verstehen. Nichts wie weg!

Flink klemmte ich mir das Skateboard unter den Arm, richtete mit einem Ruck die Kopfhörer und sprintete los. „Bleib hier! Du Wicht! Für den Schaden wirst du bezahlen!“, brüllte mir der Typ hinterher und passend dazu kam gerade energiegeladen die Zeile: „Spürst du meinen Atem in deinem Nacken? Ich werde dich greifen, ich werde dich packen. Lauf! Lauf! Ich bin auf der Jagd! Lauf! Lauf! Hast du die Götter gefragt? Lauf! Lauf!“

Die Maultauschen hatten es echt drauf, meine absolute Lieblingsband. Hinter mir bebte die Erde richtig, als die Stier-Seele zur Verfolgung ansetzte. Pures Adrenalin jagte durch meine Adern.

Hastig warf ich einen kleinen Blick über die Schulter. Oh verdammt! Der Koloss war noch echt schnell! Ich konnte mir gut vorstellen, wie er mich voll überrannte und komplett platt trampelte, wie einen Pfannkuchen. Man, hatte ich wieder Hunger! Zum Glück gab es im Tina‘s die beste Lasagne überhaupt.

Verdammte Axt! Ausgerechnet jetzt musste ein übertrieben vollbeladener Karren quer über die Straße geschoben werden. Mit voller Kraft drückte ich mich vom Boden ab. Knapp segelte ich über das Ding und ein paar Gläser klirrten. Atemlos landete ich auf der anderen Seite auf dem Boden. Wuh! Total aufgedreht rannte ich weiter. Bei diesem krassen Manöver hatte ich meinen fetten Verfolger locker abgehängt. Wild breitete sich das Grinsen auf meinem Gesicht aus. Das war echt ein krasses Gefühl! Fast hätte ich laut aufgejubelt. Einfach geil!

Yeah! Das Ende des Kopfsteinpflasters! Sofort sprang ich auf mein Skateboard und raste weiter. Der Beat, das Tempo, fast wie ein Rausch. Vor mir kam die große Treppe zum grünen Viertel in Sicht. Oh ja.

Zielgenau sprang ich aufs Geländer und schlitterte den ganzen Weg nach unten. Am unteren Ende wucherte schon der Efeu und ich rasierte ein paar Blätter ab. Haha! Und bam! Schwungvoll landete ich und zischte weiter.

Lässig machte ich einen kleinen Satz über ein plätscherndes Bächlein, das einfach so über die Straße floss. Aber das war schon seit Jahren so. Diesen Ort kannte ich wie meine Westentasche. Nur zwei Abzweigungen weiter war auch schon Tina’s.

Immer noch ganz überdreht stoppte ich und zog die Kopfhörer runter. Man war das ein Trip gewesen!

Durch die alte Holztür mit Grünspan drang schon das Wummern des Basses und auch gedämpft die Gitarre. Schon jetzt konnte ich sicher sagen, dass es nicht so krass war, wie die Songs der Maultaschen. Halt typische Gute-Laune-Pop-Musik, aber das war auch noch voll korrekt.

Locker öffnete ich die knarzende Eingangstür. Der Schuppen war echt komplett voll und alle gingen richtig ab. Um Laurel zwischen all den Leuten zu entdecken, brauchte ich selbst mit meinen scharfen Augen einen langen Moment.

Sie saß auf ihrem Standard-Barhocker, eigentlich hätte ich auch da gleich als erstes hinsehen können. Intelligenz ist halt manchmal Glücksache. Oh. Und sie hatte den Hocker neben sich freigehalten. Das freche Kätzchen konnte schon nett sein.

Umständlich bahnte ich mir den Weg zu hier. Hier und da stieß jemand gegen meine Fühler und einmal erwischte ich auch eine der Wurzeln, die von der Decke hingen. Diese Band musste echt angesagt sein, so voll wie die Bude war, eigentlich fast zu voll. Sich an der Theke zurückzuziehen erschien mir ein ganz guter Plan zu sein.

Völlig selbstverständlich nahm ich ihre Jacke, mit der sie mir den Platz freigehalten hatte und hielt sie ihr entgegen: „Was geht ab?“ Gut gelaunt pflanzte ich mich auf den Hocker und legte das Skateboard locker auf meinem Schoß ab.

„Ey! Dex! Wo warst du?! Du hast schon den ersten Song verpasst! Du bist so ein Penner!“, beschwerte sie sich ausgelassen und boxte mich leicht gegen die Schulter. „Tschuldigung. Ich geb dir einen aus“, meinte ich versöhnlich und bestellte gleich: „Einen Kiwi-Splash und einen Hab-dich-lieb-Mix, bitte! Oh und eine Brokkoli-Lasagne!“

„Kommt sofort!“, bestätigte die flotte Barkeeperin direkt mit einem kleinen Lächeln. „Bist die Beste, Mori!“, rief ich ihr zu und klopfte mir mit einem Zwinkern auf die Brust. Laurel und ich waren halt auch Stammgäste.

Zackig machte sich die Känguru-Seele an die Arbeit und beim Ausschenken kamen nochmal ihre krassen Oberarmmuskeln zum Vorschein. Einmal war ich auf die geniale Idee gekommen, mit ihr ein Armdrücken zu machen. Es war halt eine Wette gewesen und der Gewinn wären endlos Freigetränke gewesen… Tja, das Ende vom Lied war ein verstauchtes Handgelenk gewesen.

Ich hatte eine Ewigkeit so eine Bandage tragen müssen, echt nervig. Allerdings hatte ich da gemerkt, wie praktisch es war, wenn die kleinen Widerhaken an meinem Unterarm abgedeckt waren. Seitdem wickelte ich mir immer Bandagen darum, nur halt nicht mehr so steif übers Handgelenk. Und jetzt blieben auch keine Westenärmel und so ein Scheiß mehr an meinen Armen hängen.

Außerdem waren das krasse Accessoires, die verwegen und lässig aussahen, zumindest hatte mir das Laurel gesagt, die Königin in Modefragen. „Was ist denn mit deiner Hose passiert?“, fiel es ihr gleich auf. Wahrscheinlich kannte sie meinen Kleiderschrank sogar besser als ich.

„Deswegen kam ich zu spät. Ich bin auf der Glasgasse in einen Stand gekracht“, erklärte ich ihr laut, um über die Musik und die ganzen singenden und kreischenden Fans zu kommen. „Und weil du immer auf den allerletzten Drücker losgehst“, durchschaute sie mich grinsend.

Sie kannte mich einfach zu gut. Entschuldigend grinste ich zurück.

„Wohl bekomm’s!“, schon stellte Mori unsere Getränke vor uns ab. Mit ein bisschen Alkohol würde ich vielleicht auf diese Musik mehr abfeiern. Kurzerhand nahm ich den ersten Schluck von meinem kräftig grünen Drink. Kiwis waren einfach mega krasse Früchte! Frisch, süß, sauer, grün. Hammer!

„Ey!“, meldete sich meine beste Freundin mit einem auffordernden Blick. Oh, klar. Wieder vergessen. „Prost“, sagte ich mit einem extra breiten Grinsen und hob mein Glas. Mit einem zufriedenen: „Prost“, stieß sie an. Ja, meine Manieren könnten manchmal besser sein.

Ganz verträumt schloss Laurel die Augen und nickte mit dem Kopf, dann summte sie die Melodie mit. Das schien eine ihrer Lieblingsstellen zu sein, wenn sie sie so krass aus dem Moment holte.

„Und im Sonnenschein, wenn dein Herz ist mein, seh ich hoch hinaus. Es könnt‘ nicht besser sein! Nicht besser SEE-EIIIN!“, sang der Frontmann mit ganzem Herzen und viele andere Stimmen stiegen mit ein. Ich war ganz froh, dass Laurel noch nicht zu ihnen gehörte. Nichts gegen sie, aber wenn sie „sang“… Bis dahin brauchte ich auf jeden Fall einen guten Pegel.

Eine rote Panda-Seele in der Nähe schien das weniger auszumachen. Sie war schon echt gut dabei. „Ich will dem Alltag entflieh’n und mit den Wolken zieh’n! Komm greif meine Hand! Wir fliegen ins Traumland!“, grölte sie aus voller Seele. Ihre Augen leuchteten richtig vor Energie und Freude. Total das Gute-Laune-Bündel. Irgendwie ansteckend. Aber ich kannte die Lieder halt null.

Gedankenverloren drehte ich an den Rädern meines Skateboards, das auf meinem Schoß lag. „Hier, deine Lasagne. Lass es dir schmecken, Dex“, mit diesen Worten stellte mir Mori den super duftenden Teller vor die Nase. Extra viel Käse, extra viel Brokkoli, extra viel alles. Perfekt! So musste es sein!

Zufrieden nahm ich mir gleich erstmal einen dicken Löffel voll und hätte mir trotz Pusten fast die Zunge verbrannt. Es schmeckte einfach zu gut und ich war auch viel zu hungrig. Na ja, das war ich eigentlich immer.

„Ich versteh immer noch nicht, wie du so viel fressen kannst und nicht fett wirst“, in Laurels Stimme lag eine Spur Neid. Locker zuckte ich nur mit den Schultern und aß weiter.

„Ein Wodka-Lemon, bitte!“, bestellte die super energiegeladene rote Panda-Seele direkt neben uns. Ihr Gesicht war vom wilden Tanzen und Singen total gerötet, was perfekt zu dem flauschigen Fell passte, das ihren Nacken bedeckte. Vielleicht war ihr aber auch heiß, weil sie hier drinnen einen Pulli trug.

„Deine Ohrringe sehen super aus!“, machte meine beste Freundin ihr fröhlich ein Kompliment. Sie hatte in ihren dreieckigen, plüschigen Ohren jeweils drei Ringe und sie standen ihr auch echt gut. Außerdem erinnerte mich dieser Stil an Laurel, sie hatte ihre spitzen Katzenöhrchen auch gepierct.

Strahlend drehte die Fremde ihren Kopf zu uns: „Danke! Deine auch! Besonders der grüne Stein. Passt zu deinen Augen“, gab die Feiernde das Kompliment ausgelassen zurück. „Der ist auch mein Liebling!“, meinte die Katzen-Seele grinsend und brachte das nächste Kompliment: „Krasse Bauchtasche.“

„Ja, ist voll praktisch“, zufrieden klopfte sie auf die schwarze Tasche mit dem goldenen Reißverschluss, die in meinen Augen jetzt nichts Besonders war, aber praktisch bestimmt. Ich wollte auch in die Komplimente-Runde einsteigen.

„Schicke Handschuhe“, improvisierte ich fröhlich. „Ähm, danke“, dieses Mal wirkte sie nicht so glücklich-geschmeichelt wie eben, sondern… verlegen. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Oder war es ihr einfach unangenehm, weil ich ein Kerl war? Diese bedingungslose, unterstützende Party-Freundschaft zwischen Frauen hatte ich noch nie zu hundert Prozent verstanden. Aber es wirkte auf jeden Fall schön.

„Die Lasagne riecht echt gut“, kehrte die Feiernde zu ihrer lockeren und unbeschwerten Stimmung zurück: „Ich glaube, ich nehm mir auch eine.“ Schwungvoll setzte sie sich auf den Barhocker auf der anderen Seite von Laurel und zog ihre Bauchtasche aus.

Ein kleines, verspieltes Gitarren-Solo kündigte den nächsten Song an. „Oh! Sternentränen! Den liebe ich!“, erkannte Laurel das Lied sofort. „Mein Lieblingssong ist ja Traumland, aber Sternentränen ist auch echt gut“, meinte der andere Fan ausgelassen.

Hatten die eben nicht auch etwas von einem Traumland gesungen? War das der Song gewesen? Ich konnte wirklich so gar nicht mitreden, wie wenn irgendwelche uralten Freunde Insider-Witze machten und man selbst nur blöd daneben saß.

„Traumland mag ich auch. Super schöne Melodie“, stimmte meine beste Freundin ihr zu. Schon fing die erste Strophe an und das bedeutete dieses Mal eine Katastrophe, weil beide so laut sie konnten mitsangen.

Voll traurig, dass sie richtig abgingen und ich einfach keinen Plan hatte. Aber dafür hatte ich ja meine Lasagne. Korrekt.

Auf einmal änderten sich die Geräusche der Party. Da war so eine undefinierte Unruhe. Was war da denn los? Neugierig drehte ich meinen Kopf um 180° nach hinten. Diese Eigenschaft meines Seelentiers war einfach der Hammer. Gottesanbeterinnen waren echt abgefahrene Tiere, auch wenn mich Laurel immer gerne damit aufzog, dass es null männlich klang. Aber wen juckt’s?

Ich war eine super Fangschrecken-Seele, mit ordentlich Sprungkraft und krass guten Augen und das sogar ohne die extrem dreieckigen Gesichtszüge und die Glubschaugen, die entweder voll den Psychoblick draufhatten oder zum Todlachen aussahen.

Apropos Augen, was ich jetzt sah, war schon ein wenig seltsam. Ein Typ war mit seinem Hund reingekommen, so ein richtig fettes, schwarzes Teil, das grimmig in der Gegend rumschnüffelte. Und der Kerl sah auch nicht so aus, als wäre er wegen der Musik oder der Lasagne hier.

Sein Blick scannte konzentriert den Raum ab. Er hatte die typisch, langgezogenen Pupillen eines Steinbocks und was noch viel hervorstechender war, waren seine langen, gerillten Hörner. Bei der Art, wie er durch den Raum marschierte, konnte man sich irgendwie sehr gut vorstellen, wie er einen damit aufspießte.

Der Typ nahm sich selbst echt viel zu ernst und seine Kampfmaschine von Hund hätte er auch besser mal draußen gelassen. Viele starrten das Tier ganz ängstlich an. Am besten wäre er gleich mit seinem Hund draußen geblieben. Er sorgte für so einen unnötigen Stress! Mann!

Plötzlich bellte der Hund laut los und kam wie besessen auf uns zu gerast. Verdammte Axt! Jetzt wurden auch die beiden „Sängerinnen“ auf ihn aufmerksam. Erschrocken fuhren sie herum und die Fremde sprang so panisch von ihrem Barhocker auf, dass er polternd umfiel. Schnell machte sie einen Satz auf die Theke und lief darüber. Mein Kiwi-Splash kippte voll in die Lasagne. Was hatte sie vor? Oh.

Kräftig drückte sie sich am Ende der Theke ab und griff nach einer der dicken Wurzeln von der Decke. Knapp bekam sie sie zu fassen und zog sich hoch. Wild jagte ihr der Hund hinterher und schnappte nach ihrem flauschigen, weiß-rot-geringelten Schwanz.

Warum war er so verrückt nach ihr?

Flink huschte sie durch das Wurzelgeflecht, in dem auch ich schon ein paar Mal spaßhaft geklettert war. Sie steuerte auf den Ausgang zu. Sie versuchte zu flüchten.

Auf einmal schnellte der Besitzer des Hundes senkrecht in die Höhe. Klar, Steinbock-Seelen konnten in der Regel verdammt gut springen. Er riss die Feiernde erbarmungslos aus den hölzernen Ranken und schleuderte sie zu Boden. Ohne zu zögern, trat er nach ihr. Sie krümmte sich vor Schmerz zusammen.

Ach du Scheiße! Das konnte doch nicht gerade wirklich passieren. Wir waren hier doch in Tina’s und nicht irgendeiner zwielichtigen Gasse! Eben hatten wir hier doch noch ganz normal gesessen…

Zwei Leute griffen die wahnsinnige Steinbock-Seele und zogen ihn zurück. „Nein! Lasst mich los!“, brüllte er und wand sich tobend hin und her: „Es ist eine Bedrohung! Es muss aufgehalten werden!“ Der tickte doch nicht mehr ganz richtig! Eine Ameisen-Seele half der vorher so glücklich Feiernden auf die Beine, doch die stieß ihren Helfer sofort weg und lief panisch weiter. Aber nach so einer krassen Aktion war es ja klar, dass sie nur weg wollte.

Laut winselte der Hund auf. Mori hatte ihn am Genick gegriffen, wie eine Löwenmutter, die ordentlich angepisst ihr Junges trug, nur halt als tätowiertes Känguru. Wütend riss sich der Angreifer los und befahl ihr: „Lass meinen Hund sofort frei oder du wirst die Konsequenzen zu tragen haben!“

„Im Tina’s gibt es keine Schlägereien. Du hast Hausverbot. Nimm deinen Hund und geh“, verkündete die Barkeeperin eisern und warf ihm das Tier zu. Dabei unterschätzte sie ihre eigene Kraft wohl ein wenig, denn der fliegende Hund kickte den Kerl glatt um, wie beim Bowling. Da hatte ich auch schon mal eine Wette verloren.

Mit einem letzten verächtlichen Blick wandte sich der Irre um und rannte ebenfalls raus. Immer noch echt erschlagen von seinem Auftritt wandte ich mich meiner ertränkten Lasagne zu. Auf der Theke lag auch noch die gold-schwarze Bauchtasche. Sie hatte sie vergessen. Was, wenn da etwas Wichtiges drin war? Natürlich war da etwas Wichtiges drin.

Ohne wirklich nachzudenken griff ich das Ding und drückte Laurel mein Skateboard in die Hände: „Pass bitte kurz mal darauf auf.“ Es war fast so eine Art Instinkt. Ich wollte einfach helfen. Damit ich mich nicht durch die aufgewühlte Menge quetschen musste, sprang auch ich zu den Wurzeln hoch und hangelte mich schnell zur Tür. Draußen war niemand mehr zu sehen. Natürlich hatte sie nicht hier gewartet.

Kurzerhand kletterte ich an den Schlingpflanzen eines der Nachbargebäude hoch, das grüne Viertel war für solche Aktionen echt wie gemacht. Angestrengt spähte ich in die Straßen. Meine Superaugen funktionierten in der Dunkelheit doch nicht so super.

Zum Glück gab es in diesem Viertel außer Tina’s nichts, wo nachts noch irgendwas los war. Ich musste also nur… Ah! Da! Eine Bewegung! Das war sie! Glaube ich… Auf gut Glück sprang ich über die Häuserdächer zum Ahorn-Platz, wo ich sie (vermutlich) gesehen hatte.

Schwungvoll landete ich ein Stück von ihr entfernt und rief gleich: „Hey! Hallo! Ich hab deine Tasche! Du hattest sie vergessen!“ Unschlüssig stockte sie und sah zu mir rüber. Sie war von ihrer Flucht ganz außer Atem und traute mir offensichtlich nicht.

Kein Ding. „Hier“, locker warf ich ihr das Teil einfach rüber. „Danke“, sagte sie und nickte mir knapp zu und wandte sich gleich wieder ab. Alarmiert zuckten ihre Ohren. Verdammte Axt! Kam da der Typ mit seinem Hund? Was hatte der für ein Problem?! Und scheiße war er schnell!

Hier auf freier Fläche hatte die rote Panda-Seele keine Chance, außer sie schaffte es bis zum Zentrum des Platzes zu den hohen Ahornbäumen… Oder sie zog aus ihrer Bauchtasche eine Granate. Warum auch nicht? Sowas hatte ich auch immer dabei. War ja voll normal.

Für mehr als ein bisschen Ironie war keine Zeit, bevor das blinkende Ding hochging und mich mit einem übertrieben lauten Knall nach hinten schleuderte. Aua. In meinen Ohren surrte es und bis auf das, hörte ich gar nichts mehr.

Benommen richtete ich mich auf. Wo war ich da rein geraten?

Die Steinbock-Seele hatte sich deutlich schneller gefangen als ich. Er hatte sie trotz dieser verdammten Granate erreicht und gepackt, doch dieses Mal wehrte sie sich richtig. Und bei ihrem Kampf kamen sie ausgerechnet auf mich zu. Ich hatte ihr doch nur ihre Tasche bringen wollen!

Im Chaos zerriss er ihr Oberteil und ihre Schulter… glänzte schwarz mit leuchtend gelben Flecken?! Ein Feuersalamander?! Sie war doch ein roter Panda! Was war das?!

Bevor ich irgendwie darauf klarkommen konnte, spritzte auf einmal eine blasse Flüssigkeit aus ihrem Nacken. Wirklich direkt aus ihrer Feuersalamander-Haut! Was?!

Ihr Angreifer bekam die volle Ladung am Hals ab und ließ sie mit schmerzverzerrtem Gesicht los. Ein bisschen was erwischte auch mich und zwar genau auf dem Stück freier Haut zwischen Bandagen und T-Shirt-Ärmel.

Scheiße brannte das! Schrecklich gedämpft hörte ich meinen eigenen Schrei. Schnell versuchte ich es von meiner Haut zu wischen und bekam es dabei auch an meinen Fingern ab. Ich spürte wie mein Herz sich zusammenzog und stolperte. Und mein Blut raste brutal durch meinen Kopf. Scheiße!

Und als wäre der Moment nicht schon mies genug, stand plötzlich noch der wahnsinnige Hundebesitzer über mir und schrie mich kochend vor Wut an, vielleicht war ein bisschen davon auch Schmerz. Doch seine Worte kamen nur als undeutliches Geblubber bei mir an.

Im Endeffekt war es auch egal, denn bevor ich auch nur die Gelegenheit hatte selbst etwas zu sagen, hatte ich schon seinen Huf im Gesicht und alles wurde schwarz.

2

Wahrheit oder Tod

Langsam kam ich wieder zu mir. Mein Schädel dröhnte, ich bekam voll schlecht Luft und ich hörte so ein schrilles Fiepen. Konnte ich nicht einfach wieder einschlafen? Mir ging es echt beschissen.

Mit einem kleinen Grummeln wollte ich mich wieder umdrehen, doch irgendwer hielt mich zurück und jemand redete, aber ich konnte kein einziges Wort verstehen. Nur warum war jemand bei mir und wer?

Noch etwas benommen öffnete ich meine Augen. Oh. Das war nicht mein Zimmer und da waren gleich mehrere Leute. Ordentlich verspätet checkte ich jetzt auch mal die Zusammenhänge. Die ganze Sache mit der Granate, dem aggressiven Hunde-Typ und der Feuersalamander-roter Panda-Seele hatte ich irgendwie voll vergessen, auch wenn das eigentlich schon unmöglich war. Ich meine, das war doch total irre gewesen!

Woah, was ging denn jetzt hier ab?! Jemand hob mich hoch, ich lag auf einer Trage. Wer waren diese komischen Leute überhaupt?! Ich wollte nicht weggebracht werden!

Hektisch setzte ich mich auf, zu hektisch. Mir wurde schwindelig und ein fieses Stechen zog durch meinen Kopf. Und zu allem Überfluss wurde mir auch noch übel. Ich hätte nicht einmal die Person gebraucht, die mich zurück auf die Trage drückte.

„Wer seid ihr? Wo bringt ihr mich hin?“, presste ich irgendwie hervor, was echt nicht viel brachte, weil ich die Antwort einfach nicht richtig hören konnte. Auf einmal bekam ich irgendwas gespritzt und man musste das gutes Zeug sein. Fast sofort war ich wieder weg.

Als ich erneut aufwachte, war ich nicht mehr ganz so hinüber, aber wirklich gut ging es mir auch noch lange nicht. Auf meinen Ohren hörte ich immer noch so ein nerviges Rauschen und generell fühlte ich mich einfach ein wenig platt.

Im ersten Moment dachte ich auch dieses Mal komplett selbstverständlich, dass ich zu Hause wäre, was natürlich nicht der Fall war. Vorsichtig sah ich mich um. Der Raum war sehr karg eingerichtet. Ein Tisch, eine Uhr, so ein Säulending mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten, an das ich für meinen Blutdruck und so angeschlossen war und zwei stämmige Typen mit Schwertern am Gürtel. Echt toll.

Wenigstens waren es keine dubiosen Gangster oder sonstige Entführer sondern Ordnungshüter. Auf dem Rücken ihrer Uniform prangte groß das Triquetra, die drei verschlungenen Kreisbögen, die für die drei Völker standen: Wasser, Luft und Land. Die beiden bei mir mussten ziemlich hochdekorierte Beamte sein, denn bei ihnen war dieses so heilige Symbol in glänzendem Gold und auch ihr Schwertknauf blinkte ordentlich aufgehübscht. Nur warum sollten sie bei mir abhängen?

„Ähm, hallo? Was geht ab?“, fragte ich etwas planlos. Erhobenen Hauptes wandten sich die Kämpfer zu mir um und betrachteten mich einfach nur von oben herab. Alles klar. Knapp nickte der eine dem anderen zu und der verzog sich wortlos. Konnte mir vielleicht mal jemand sagen, was Sache war?

„Ich wollte nur eine Tasche zurückbringen. Ich hab nichts damit zu tun. Kann ich nicht einfach gehen? Ihr müsst eure Zeit und eure Ressourcen echt nicht an mich verschwenden. Sicher habt ihr viel Besseres zu tun“, redete ich ganz lässig weiter, auch wenn ich in Wahrheit schon ziemlich unruhig war.

Wann hockte man auch schon mal alleine mit zwei stummen Ordnungshütern in einem Raum und hing dabei an einer medizinischen Apparatur?

Was war passiert, während ich bewusstlos gewesen war? Wo genau hatten sie mich hingebracht? Wer waren die Granatenwerferin und der Schläger gewesen? Nur wegen einer kleinen Auseinandersetzung machten die Behörden doch nicht so einen Aufriss.

Auf einmal öffnete sich die Tür wieder und der Kerl von eben kam zurück, in Begleitung eines Mädchens. Mir stockte der Atem. Sie war eine Seewespen-Seele! Ihre Haut war ganz blass und bläulich und ihr Lächeln hatte etwas Eiskaltes. Obwohl sie ein sonnengelbes Kleid trug, wirkte sie so kalt und tödlich wie die Tiefen des Ozeans und trotz ihres Alters strahlte sie mehr Autorität und Gefahr aus als die beiden erfahrenen Ordnungshüter zusammen.

Sie hatte ihre weißlichen Haare zu einem Dutt hochgesteckt und ihre langen, farblosen Tentakel hingen dennoch bis fast auf den Boden. Die Teile waren halt gut zwei bis drei Meter lang und hochgiftig. Nur eine Berührung und… Sense.

Bisher war das Giftigste, womit ich zu tun gehabt hatte, eine Euscorpius-Seele gewesen und der Skorpion war echt nicht krass giftig und außerdem voll die korrekte Gitarristin gewesen, niemand bei dem man Angst vor einem Stich hatte. Tödliche Würfelquallen waren da wirklich eine andere Liga. Besonders hier. Eigentlich fand man in der Gegend nur Landlebewesen und ein paar Flugfähige. Wasserbewohner verirrten sich kaum hier hin und schon gar keine Seewespen!

Leichtfertig hüpfte sie auf den Tisch und ließ die Beine baumeln. Plötzlich schlug sie sich die Hände vor den Mund und schloss die Augen. Häh? Sanft lockerte sie ihre Hände wieder und blies über ihre Handflächen. In der Luft bildete sich ein knisterndes, weißlich leuchtendes Wölkchen.

Ich glaub’s nicht! Sie hatte Magie!

Mit beiden Händen umschloss sie das funkelnde Gebilde und presste es gewaltsam zusammen. Eine kleine Elektrizitätswelle zog durch den Raum und stellte mir sämtliche Härchen auf. Jetzt war das Wölkchen zu einem hellen Lichtball konzentriert, den sie einfach so in die Luft stellte, als wäre das völlig normal. Vollkommen irre.

Mit diesem unheimlichen Lächeln fing die Kleine an zu reden: „So, das wäre erledigt. Falls du dich wunderst, das ist ein Lügenlicht. Es erlischt, wenn jemand lügt und wenn das passiert, wird auch dein Licht ausgehen. Verstanden?“

Sie sprach diese Todesdrohung aus, als hätte sie mir gerade gesagt, dass sie Gänseblümchen mochte. Richtig unschuldig und sorglos, was sie zu einem absoluten Psycho machte.

„Ach, stimmt ja. Du hattest ein Knalltrauma. Kannst du mich richtig hören?“, erkundigte sie sich locker. Schwer schluckte ich und nickte. Das Rauschen war zwar immer noch da, aber taub war ich nicht, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich es mir in diesem Moment vielleicht wünschte.

Freudig klatschte sie in die Hände: „Gut! Dann spielen wir jetzt ein kleines Spiel! Ich stelle zuerst eine Frage und dann du und wir versuchen einfach das Licht schön am Leuchten zu halten. Alles klar?“

Wieder nickte ich und mein Herz raste brutal. Ich durfte nicht lügen. Was, wenn ich aus Versehen log? Verdammte Scheiße! Ich wollte nicht sterben! Was waren das eigentlich für kranke Verhörmethoden?!

„Fangen wir einfach an: Wie heißt du? Voller Name bitte“, startete sie ihr tolles Spiel. „Verandex Nospes“, antwortete ich etwas fahrig: „Und du?“ Was? Ich musste ganz andere Sachen fragen als das! Denk nach!

„Mein Name ist Serlina Ozearis. Lieb, dass du fragst“, und plötzlich kam sie richtig zur Sache: „Hattest du bereits in der Vergangenheit Kontakt zu Kriminellen?“ „Nein“, sagte ich prompt und das Licht flackerte bedrohlich. Schnell setzte ich hinterher: „Also keine krassen Kriminellen. Ich hab mal auf einer Party einen Joint geraucht und ein Kumpel ist wegen seinen Graffitis verknackt worden. Aber nichts Großes. Das sind doch keine richtigen Kriminellen.“

Panisch schaute ich zu dem glühenden Ding, von dem mein Leben abhing, doch es schien mir die fast-Lüge noch durchgehen zu lassen.

„Gut. Du bist dran“, lauernd lächelte sie mich an. Die Frage musste jetzt sitzen und wie auf Kommando war mein Kopf wie leergefegt. Hektisch improvisierte ich: „Wer seid ihr? Was wollte ihr von mir?“ „Nein, nein, Verandex. Keine zwei Fragen auf einmal. Und nicht so schwammig. Da kann man doch alles und nichts antworten. Versuch es noch einmal“, forderte sie mich spielerisch auf.

„Wieso spielst du dieses Spiel mit mir?“, riskierte ich eine direkte Konfrontation und sah dem giftigen Mädchen in die blassen Augen. „Weil ich es lustiger finde, als ein normales Verhör und weil ich es einfach kann. Du bist ein Verdächtiger und ich werde so oder so alle Informationen aus dir rauskitzeln“, gab sie mir unbeschwert Auskunft. Sehr beruhigend.

Locker stellte sie mir die nächste Frage: „Was genau ist letzte Nacht passiert?“

„Ich war bei einem Auftritt im Tina’s und da war eine roter Panda-Seele. Sie hat nett gewirkt und wir haben uns kurz unterhalten. Dann kam eine Steinbock-Seele mit großem Hund. Er hat alle erschreckt und angefangen die andere zu jagen. Sie ist geflüchtet und hat ihre Bauchtasche vergessen. Ich wollte sie ihr wieder bringen und bin ihr gefolgt. Doch auf dem Ahorn-Platz hat uns der Typ wieder eingeholt und sie hat eine Granate geworfen. Und dann haben die beiden gekämpft und ihr Oberteil ist kaputt gegangen und darunter war ihre Haut wie die von einem Feuersalamander. Und dann hat sie ihn mit ihrem Gift erwischt und ist weggelaufen und er hat mich ausgeknockt. Danach waren noch irgendwelche Leute mit einer Trage und Spritzen da. Mehr weiß ich nicht“, schilderte ich ihr diese vollkommen verrückte Nacht.

Das klang, als hätte ich auf dieser Party auch einen Joint geraucht. Eine roter Panda-Seele mit Feuersalamander-Schulter und eine Verfolgungsjagd inklusive explodierender Granate? Wer sollte mir das schon glauben?

Prüfend warf die Seewespen-Seele einen Blick auf ihr Lügenlicht, das fröhlich weiter strahlte. So unglaubwürdig es sich auch anhörte, es war halt die Wahrheit.

Und jetzt war ich wieder dran: „Wo genau sind wir?“ „Im Kevinus Krankenhaus. Das ist eins der Zimmer im Keller, die für die medizinische Versorgung von Gefangenen und Verdächtigen genutzt werden“, klärte mich das Mädchen weiter auf und bohrte gleich darauf nach: „Du hast die Flüchtige vorher noch nie gesehen?“

„Nein. Das erste Mal letzte Nacht“, bestätigte ich selbstbewusst. Langsam kam ich bei diesem verrückten Spiel auch in Fahrt: „Was muss ich tun, um hier wieder raus zu kommen?“ „Einfach nur weiter mitspielen. Wenn alle Fragen beantwortet sind, kannst du gehen“, meinte sie und plötzlich erstarb das magische Licht. Entsetzt riss ich die Augen auf. Sie hatte gesagt, ich würde sterben, wenn es aus ging… Aber das war nicht meine Schuld gewesen! Ich hatte die ganze Zeit die Wahrheit gesagt! Hatte sie das mit Absicht getan, weil von Anfang an nie vorgesehen gewesen war, dass ich diesen Raum wieder lebend verließ?

Todernst ließ sich die Kleine von dem Tisch gleiten und kam zu mir rüber. Verkrampft krallte ich meine Hände in die Bettdecke, für mehr war ich gerade viel zu perplex. Ich hatte keine Chance.

Auf einmal beugte sie sich runter, aber nicht zu mir sondern zu etwas neben mir. Der Säulen-Apparat! Mit einer gezielten Drehung an einem Rädchen schaltete sie das Gerät ab. Dabei gab es ein leises „Pling“ und ein kleines Lichtchen ging aus.

Verständnislos starrte ich sie an und sie lachte total los: „Dein Gesicht! Buhahahaha! Du müsstest mal dein Gesicht sehen!“ Was? Sollte das mein Licht sein, das sie auslöschen wollte? Ernsthaft?

Nachdem sie sich wieder einigermaßen eingekriegt hatte, erklärte sie mir kichernd: „Das war doch nur ein Witz! Wir bringen doch nicht einfach Leute um! Und das mit dem Lügenlicht war mein Fehler. Nach den Fragen musst du noch bei einem Phantombild von der Flüchtigen helfen und ein paar Formalitäten erledigen.“

Beruhigend legte sie mir die Hand auf den Arm und ich fuhr übertrieben zusammen. Wieder lachte das irre Mädchen auf. „Meine Hände sind doch nicht giftig. Nur meine Tentakel“, um ihre Worte zu untermalen, griff sie nach den tödlichen Fäden und wedelte damit vor meinem Gesicht rum. Reflexartig lehnte ich mich so weit zur Seite, wie es irgendwie ging und sie lachte sich darüber total schlapp.

So ganz war ich mir immer noch nicht sicher, ob sie mich jetzt töten wollte oder nicht. Ich stieg da echt nicht durch.

Schließlich wurde sie wieder ernst: „Die beiden werden den Rest deiner Aussage aufnehmen und das ganze Drumherum erledigen. Du scheinst wirklich nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein, Verandex. Leb wohl!“

Zum Abschied winkte sie mir noch einmal extra lieb zu, bevor sie aus dem Raum tänzelte. Nach der Nummer war ich echt endgültig durch. Keine Ahnung, wie ich es schaffte noch den Rest der Fragen zu beantworten und „das ganze Drumherum“.

Am Ende ließen sie mich sogar wirklich einfach gehen. Ich spazierte aus dem Krankenhaus als wäre nichts weiter gewesen. Zuerst war ich noch ganz benommen wie ein Schlafwandler, doch irgendwann… Ja, es fühlte sich schon krass an. Gerade hatte ich voll die heftige Befragung bei den berüchtigten Ordnungshütern gehabt und dann eine Begegnung mit einer abgedrehten, hochgiftigen Seewespen-Seele. Einfach der Hammer.

Nicht zu vergessen der irre Kampf auf dem Ahorn-Platz. Wenn ich nur daran dachte, jagte das Adrenalin wieder mit Volldampf durch meinen Körper. Ich hatte echt ein Haufen krasses Zeug erlebt.

Und bis auf die kleine Stelle an meinem Arm und meinen Fingern, die von dem Gift noch gerötet und empfindlich war, ging es mir wirklich gut. Absoluter Wahnsinn!

Mit voll der überdrehten Energie lief ich durch die Straßen und hätte jetzt eigentlich mein Skateboard gebraucht und natürlich nochmal einen geilen Song von den Maultaschen. Auf einmal traf es mich wie ein Blitz.

Scheiße! Laurel! Ich hatte sie mit meinem Skateboard einfach im Tina’s sitzen gelassen! Bestimmt machte sie sich schon Sorgen! Schnell griff ich nach der kleinen Kristallkugel in meiner Hosentasche, um sie anzurufen, doch das Ding hatte die letzte Nacht nicht überlebt. Risse durchzogen die milchige Oberfläche und ein winziges Stück war sogar abgesplittert. Daran schnitt ich mich auch erst einmal. Das wäre jetzt echt nicht nötig gewesen.

Umso dringender nötig war allerdings die Erklärung für meine beste Freundin. Nicht dass sie mir am Ende für mein Verhalten noch den Kopf abbiss. Haha! Ähm ja. Ich lief einfach los. Zum Glück war das Kevinus Krankenhaus nicht weit vom grünen Viertel entfernt. Logisch, dass die Ordnungshüter mich nicht durch die halbe Stadt hatten schleifen wollen.

Ziemlich außer Atem erreichte ich Laurels Zuhause. Sie wohnte in einem Apartment in einem der großen Hausbäume. Von dort hatte man wirklich eine super Aussicht. Wenn es nicht so verdammt teuer wäre, wäre ich wahrscheinlich schon längst auch in so eine schicke Wohnkugel eingezogen, die ein wenig an moderne Misteln erinnerten.

Aber meine eigene Wohnung war auch voll korrekt und… Verdammte Axt! Les! Mein Mitbewohner hatte ja auch keinen Plan, wo ich die ganze Nacht gesteckt hatte! Allerdings war das bei ihm nicht so schlimm wie bei Laurel. Er verschwand auch öfter mal einfach so für eine Nacht oder auch zwei.

Ich musste auf jeden Fall zuerst das hier klären und das bedeutete Treppen steigen, das einzig nervige an diesen Apartments. Um den mächtigen Stamm schlängelte sich eine Wendeltreppe bis ganz nach oben und die hatte bestimmt tausend Stufen. Und weil ich es heute eilig hatte, nahm ich immer zwei auf einmal. Schon anstrengend. Die könnten hier echt mal ein Aufzugsystem installieren!

Laut klopfte ich an ihre Tür an. Kaum eine Sekunde später riss sie die Tür auf und umarmte mich erst einmal super erleichtert, nur um mir gleich darauf einen wütenden Schubser zu verpassen.

„Dein Auge! Was ist gestern passiert?“, verlangte sie mit vor der Brust verschränken Armen von mir zu wissen. „Kann ich reinkommen? Das ist eine lange Geschichte“, meinte ich mit einem irgendwie aufgeregten Grinsen. Ich freute mich schon richtig darauf, ihr das alles zu erzählen. Das würde sie mir nie glauben!

Und ich hatte recht, schon an der Stelle mit der Granate in der Bauchtasche unterbrach sie mich mit zweifelnd hochgezogenen Augenbrauen: „Eine Granate? Echt jetzt? Wir waren doch auf einer Party und keinem Bandenkrieg!“

„Ja! Ich fand das auch voll verrückt! Aber das Ding ist wirklich hochgegangen und ich hab immer noch so ein Rauschen auf den Ohren“, beteuerte ich, auch wenn ich das mit dem Rauschen leider nicht beweisen konnte. Doch dafür hatte ich andere Beweise.

Regelrecht stolz hielt ich ihr meinen Oberarm hin: „Zieh dir das mal rein! Das ist vom Gift eines Feuersalamanders und das war auch sie! Sie war ein roter Panda und ein Feuersalamander! Die Steinbock-Seele hat sie damit ordentlich fertig gemacht. Ich glaube, mich wollte sie nicht einmal treffen. Und das blaue Auge hab ich von ihm, er hat mich nach der Giftattacke einfach noch ausgeknockt.“

„Was? Willst du mich auf den Arm nehmen? Man kann keine zwei Seelentiere haben, du Spinner!“, glaubte sie mir natürlich auch das nicht: „Das hat dir deine Mama, doch bestimmt erklärt: Wenn zwei Leute sich ganz doll lieb haben, gibt es ein Baby und mit einem Tropfen Magie kann es dann sein inneres Seelentier annehmen. Und das war’s. Keine schrägen Mischlinge oder Umentscheidungen.“

„Ja, ich weiß! Ich bin ja nicht komplett hohl! Aber es war so! Ihr Arm hatte die Haut von einem Salamander und da kam auch das Gift raus! Sie hatte eine Giftdrüse! Das hab ich mir doch nicht eingebildet!“, widersprach ich ihr heftiger als beabsichtigt.

Die beiden Ordnungshüter hatten am Ende auch gemeint, dass ich es mir bestimmt nur einbildet hatte. Dass sie das Gift einfach so dabei hatte und dass alles nur am Schock lag oder an der Spritze, um mich ruhig zu stellen. Klang ja auch irgendwie logisch, aber ich wusste, was ich gesehen hatte!

„Ja klar. Was hast du wirklich getrieben?“, wollte sie unbeeindruckt wissen. „Ich hab es dir doch schon erzählt! Und dann haben mich die Ordnungshüter einkassiert und voll die Psycho-Seewespen-Seele hat mich befragt! Ich dachte, die killt mich jede Sekunde!“, schob ich nicht gerade glaubwürdiger hinterher und hätte sie am liebsten geschüttelt, bis sie mich endlich verstand.

Warum sollte ich mir auch sowas ausdenken?!

„Eine Psycho-Seewespen-Seele?“, wiederholte sie immer noch so schrecklich skeptisch: „Dex, im Ernst. Du musst mir nicht so einen Blödsinn als Ausrede verzapfen. Ich bin nicht wütend auf dich, also ein bisschen schon, aber das ist in Ordnung. Hör einfach auf mit dem Müll.“

„Das ist kein Müll! Das ist wirklich passiert!“, konnte ich einfach nicht lockerlassen und argumentierte entschlossen weiter: „Du kennst mich doch, ich bin nicht so kreativ, dass ich mir so etwas Verrücktes ausdenken könnte! Und wenn es etwas Anderes gewesen wäre, hätte ich dir doch auch eine kurze Nachricht geschickt. Außerdem hast du doch gesehen was zwischen der Steinbock-Seele und ihr im Tina’s abging. Da hat doch alles schon angefangen!“

Abwägend musterte sie mich einen Moment und entschied sich für einen Kompromiss: „Und was, wenn es nur wie ein Feuersalamander ausgesehen hat? Vielleicht war es ja einfach nur ein krasses Tattoo.“ „Aber das Gift!“, entgegnete ich überzeugt: „Und es würde doch auch voll Sinn machen, dass sie lange Ärmel und Handschuhe anhatte! Sie wollte es verstecken!“

„Das klingt schwer nach einer Verschwörung“, merkte meine beste Freundin kritisch an und sie hatte ja recht. Konnte das die Wahrheit sein oder verrannte ich mich da gerade total?

„Aber es muss irgendetwas Wichtiges gewesen sein. Sonst hätten sie doch nie eine Seewespen-Seele zu mir geschickt. Sie war zwar noch ein Kind, aber sie hatte schon Magie. Sie hat einfach aus dem Nichts ein Lügenlicht erschaffen“, dachte ich laut nach.

Statt weiter mit mir zu diskutieren, wechselte Laurel ganz diplomatisch das Thema: „Magie zu haben, wäre schon krass. Stell dir das mal vor! Ich würde Sachen schweben lassen und dann darauf durch die Luft tanzen! Oder noch besser: Ich würde gleich selbst schweben!“

Bei der Vorstellung musste ich grinsen. „Ich würde mit dem Wind meinem Skateboard extra Geschwindigkeit geben und damit durch die Stadt rasen“, malte ich mir ebenfalls ausgelassen aus.

„Oh! Oder grüne Magie und ich würde alle Pflanzen super krass wachsen lassen. Dann gäbe es Löwenzähne so groß wie Bäume und die Äste würden mich hier hochtragen und ich müsste nie mehr diese ätzende Treppe gehen!“, plante die Katzen-Seele energiegeladen weiter.

„Oh, ja bitte! Die Treppe killt mich jedes Mal!“, war ich von dieser Idee gleich begeistert: „Du könntest ja einfach ganz viele Kinder kriegen, wie die alte Bäckerin. Weißt du noch, wie sie immer kleine bunte Funken aus ihren Fingern sprühen gelassen hat?“

„Genau. Ich werde schwanger für den Tropfen Magie, der durch mich zu meinem Baby fließt, in der Hoffnung, dass nach meinem zehnten Kind etwas hängen bleibt“, meinte sie scherzhaft. „Klingt doch super“, ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Vor mir sah ich Laurel als die alte Bäckerin, einfach zum Schießen!

„Warts nur ab! Mit meiner Magie werde ich das beste Hand-Feuerwerk machen, das du je gesehen hast! Viel beeindruckender als Lügenlichter!“, spaßhaft fuchtelte sie mit ihren Händen rum, als hätte sie längst krasse Kräfte und wir lachten uns einfach beide nur kaputt.

All die irren, unmöglichen Ereignisse wirkten irgendwie ganz weit weg. Wir waren einfach nur zwei Freunde, die Spaß hatten. Doch ich hätte wissen sollen, dass die Wahrheit nicht so einfach verschwand…

3

Die Wette gilt

Zwei Tage später hockten Laurel und ich wieder auf unseren Stammplätzen im Tina’s. Dieses Mal spielte keine Live-Band und es war auch bei Weitem nicht so übertrieben überfüllt, es war einfach gemütlich. Zum Teil lag das heute aber auch daran, dass wir deutlich früher hier waren und nachmittags war nie viel los.

Eigentlich wirkte alles ganz normal, trotzdem ertappte ich mich dabei, wie ich nach der roten Panda-Seele Ausschau hielt. Ich wollte einfach Antworten haben und nachdem ich ihr nett ihre Tasche gebracht und sie mich dafür mit einer Granate abgeworfen hatte, hatte ich die auch echt verdient! Auf diese Granate kam ich immer noch nicht klar.

Wo bekam man so ein Ding eigentlich her? Selbstgebastelt hatte sie auf jeden Fall nicht gewirkt.

„Hallooohoo! Dex!“, auf einmal wedelte Laurel mit ihrer Hand vor meinem Gesicht rum. Überrumpelt blinzelte ich. „Ich hab gerade nur über deine Argumente nachgedacht. Sehr überzeugend“, improvisierte ich einfach mal.

„Du gehst also doch mit mir zu Alphas großer Rede vor der Kristallresidenz?“, fragte sie unschuldig grinsend. Scheiße. Ich hätte schlicht sagen sollen, dass ich nicht zugehört hatte. Jetzt stand ich blöd da.

„Ähm. Klar“, willigte ich zerknirscht ein. Die Kristallresidenz und der ganze Nobelbezirk waren einfach nur ätzend. Da liefen nur Schnösel und Divas rum. Als ich das letzte Mal dort gewesen war, wäre ich fast in eine Schlägerei mit so einem Gockel geraten, weil ich seine Freundin einen Moment zu lange angeschaut hatte. Tut mir leid, dass sie eine Chamäleon-Seele gewesen war, die übel witzig geschielt hatte. Wirklich alles Deppen, die sich selbst zu ernst nahmen.

Und Alphas Rede war mir auch sowas von egal. Bestimmt faselte die Gräfin des Land-Volks nur wieder irgendetwas von Zusammenhalt und Einigkeit und diesem ganzen Floskel-Zeug. Genau wie letztes Jahr und dem Jahr davor! Da hatte mich Laurel auch schon zu ihrem großen Idol mitgeschleift. Keine Ahnung, was sie an ihr fand. Vielleicht war es ja nur, weil Alpha auch eine Katzen-Seele war und sie dadurch träumen konnte, auch mal dort zu stehen. Was weiß ich! Die ganzen Reichen und Mächtigen lebten doch in einer ganz anderen Welt.

„Eigentlich habe ich ja über etwas ganz Anderes geredet, aber schön, dass du mitkommst“, enthüllte die Katzen-Seele mit einem breiten Grinsen ihre List. „Hey! Das zählt nicht!“, protestierte ich sofort: „Machen wir eine Runde Schnick-Schnack-Schnuck. Ganz fair.“

„Ganz fair? Du ziehst mich da immer ab! Außerdem hast du doch gerade eben schon zugestimmt“, beschwerte sie sich uneinsichtig. „Du musst einfach nur noch mehr üben und das wäre die ideale Gelegenheit dazu“, ging ich voll in den Diskussionsmodus über.

„Du solltest echt Verkäufer werden, so wie du immer alles aufschwatzt“, kommentierte Mori amüsiert, doch als die Eingangstür mit ihrem charakteristischen Knarzen aufging, verfinsterte sich ihr Gesicht sofort.

Wer löste bitteschön so eine Reaktion aus? Neugierig drehte ich wieder meinen Kopf lässig um 180° und auch meine Gesichtszüge entgleisten ganz schön. Ach du Scheiße! Das war die Steinbock-Seele, die mich ausgeknockt hatte! Doch seinen schwarzen Monster-Hund hatte er dieses Mal nicht dabei, was die Sache allerdings nur minimal besser machte. Sein kalter Blick fixierte mich. Verdammte Axt! Wollte er mich als nächstes fertig machen? Mein blaues Auge war immer noch längst nicht verheilt und auf ein zweites war ich echt nicht scharf.

„Du hast Hausverbot. Verschwinde oder ich werfe dich raus“, erinnerte Mori ihn drohend und kam hinter der Theke hervor. „Ich werde verschwinden, wenn Verandex mitkommt“, stellte der irre Schläger doch ernsthaft Bedingungen. Der hatte echt Nerven. Und woher kannte er meinen vollen Namen?

„Das Einzige, das du mitbekommst, ist mein Fuß in deinem Arsch“, blockte die schlagfertige Känguru-Seele eisern ab und ließ einmal die Finger knacken. Autsch. Sie würde ihn so platt machen. Als sie das letzte Mal jemanden rausgeworfen hatte, war das voll die Show gewesen. Fast schon freute ich mich, nochmal dabei zu sein und der Kerl hatte es aber auch echt verdient.

Selbstgefällig blieb er einfach stehen, als könnte sie ihm gar nichts anhaben. Irgendwie war das so gar nicht wie letztes Mal. Ich hatte gar kein gutes Gefühl bei der Sache. Plötzlich griff er ihren Arm und drehte ihn mit brutaler Geschwindigkeit nach hinten. Scheiße. Laut knallte er sie mit dem Gesicht auf einen der leeren Tische.

Mit zusammengebissenen Zähnen und angestrengt rotem Gesicht versuchte sie sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hatte die absolute Kontrolle. Das sah echt gar nicht gut aus…

„Verandex kommt mit mir“, wiederholte er zischend. „Nein! Er hat nichts mit dir und der Sache mit der roten Panda-Seele zu tun! Er hat ihr doch nur ihre verdammte Tasche gebracht! Lass ihn in Ruhe!“, setzte sich Laurel mit zurückgelegten Ohren für mich ein. Aber wenn er Mori schon so leicht fertig machte, hatte sie nicht die geringste Chance gegen ihn. Ich wollte nicht, dass ihr etwas passierte.

„Schon in Ordnung. Ich gehe mit ihm“, schaltete ich auf einmal in den bescheuerten Märtyrer-Modus. Aber vielleicht konnte ich mich ja irgendwie rausreden oder abhauen. Alles war besser, als meine Freundin zusammenschlagen zu lassen.

„Du spinnst doch! Ihr spinnt beide! Ich ruf gleich die Ordnungshüter!“, ließ sich die sture Katzen-Seele nicht so einfach beschützen und dafür liebte ich meine beste Freundin. An die Ordnungshüter hätte ich auch denken können. Das war doch die perfekte Lösung ohne verrücktes Risiko. Ich war echt manchmal zu impulsiv.

„Ruf sie doch an. Richte Serlina süße Grüße aus“, erwiderte der Schläger mit einem überlegenen Grinsen. Lief ja super. Er kannte den Namen von der Seewespen-Seele. Wahrscheinlich kannte er daher auch meinen.

Aber wenn er irgendwie zu den Ordnungshütern gehörte, würde er doch keine krass illegalen Aktionen durchziehen, oder? Wie er Mori erbarmungslos auf die Tischplatte drückte, wirkte ja nicht so vertrauenserweckend.

Ach Scheiß drauf!

„Entspannt Euch“, betont lässig stand ich auf: „Ich bin Dex und wie heißt du?“ „Das geht dich überhaupt nichts an, Dex“, er sprach meinen Namen aus wie eine Beleidigung. „Das geht dich überhaupt nichts an? Was ist das denn für ein Name?“, ich konnte mir den Spruch einfach nicht verkneifen. So ein Scheißkerl!

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich und er beschuldigte mich mit schneidender Stimme: „Ich weiß, dass du mehr mit der Sache zu tun hast, als du vorgibst. Serlina hat dich vielleicht als ungefährlich eingestuft, aber ich weiß, dass es nicht so ist. Das Biest konnte nur wegen dir entkommen. Du hast ihr die Granate gebracht. Ich hatte sie genau da, wo ich sie haben wollte. Das war geplant. Du warst viel zu schnell bei ihr.“

„Du weißt es besser als die Magie einer Seewespen-Seele?“, musste ich einfach noch einen stichelnden Kommentar bringen, doch dann entschied ich mich, lieber ernsthaft zu antworten: „Hey man, da war nichts geplant. Ich wusste nicht, was in der Tasche war. Und ich war nur so schnell bei ihr, na ja, weil ich eben schnell bin. Ich kann es dir beweisen.“

„Soll das eine Wette werden?“, ein herausforderndes Funkeln hatte sich in seinen Blick geschlichen. „Wenn du dich traust“, nahm ich entschlossen an. „Muss das sein?“, meldete sich Laurel skeptisch zu Wort.

„Ja“, bestätigte der Typ todernst. Warte, war das etwa eine Wette um mein Leben? Nur eine Sekunde später räumte er jeden Zweifel beiseite: „Wenn du nicht verdammt schnell bist, werde ich Serlinas Drohung wahrmachen und für diese Lüge dein Licht löschen, dieses Mal aber richtig.“

Yeah. Das war doch mal ein Wetteinsatz.

„Du kannst ihn doch nicht allen Ernstes wegen einer Wette umbringen! Was ist bei dir falsch gelaufen?! Das lassen dir die Ordnungshüter nie durchgehen!“, ließ sich meine beste Freundin null von dieser krassen Stimmung mitreißen. „Halt lieber dein loses Mundwerk, kleines Kätzchen, sonst lasse ich mir aus deinem Fell einen Bettvorleger anfertigen“, drohte die Steinbock-Seele jetzt auch ihr.

„Ey! Lass sie aus dem Spiel!“, protestierte ich und kam entschlossen zum Thema zurück: „Machen wir es jetzt oder nicht?“ „Du bist ja sehr erpicht darauf zu sterben“, wieder grinste der Kerl so überlegen und tödlich. Kraftvoll schleuderte er Mori auf den Boden und marschierte auf mich zu.

Angespannt wickelte ich die Bandagen von meinen Unterarmen ab, bei Klettermanövern konnten die kleinen Widerhaken echt praktisch sein, besonders wenn es um mein Leben ging.

„Dex! Das kannst du doch nicht echt durchziehen!“, in Laurels Stimme lag ganz klar die Sorge, aber ich konnte das schaffen. „Keine Sorge. Heute komme ich für die Shot-Runde zurück und dieses Mal geht sie auf mich“, versprach ich ihr mit einem kleinen, schiefen Grinsen.

Auch wenn meine Lage gerade richtig kritisch aussah, fühlte ich mich irgendwie total aufgekratzt und energiegeladen, einfach lebendig. Ich würde diesem eingebildeten Schläger zeigen, was ich draufhatte.

Klettern war genau mein Ding. Bei einer ähnlichen Wette hatte ich sogar Laurel geschlagen und sie war eine flinke Katze. Der Einsatz war damals eine Runde Shots gewesen. Klar, jetzt ging es um ein bisschen mehr, aber was hatte so ein Wiederkäuer da schon für eine Chance?

Seite an Seite stellten die Steinbock-Seele und ich uns vor die Eingangstür, unsere stumm vereinbarte Startlinie. Ein kleines Zucken in seinen Ziegenohren verriet auch bei ihm die Anspannung, ansonsten stand er da wie ein ausdrucksloser Soldat. Vielleicht war er ja ein Söldner oder so.

„Wer als erstes auf dem Ahorn-Platz ist“, verkündete er noch einmal ganz offiziell die einzige Regel, die so viel unschuldiger klang, als die möglichen Konsequenzen. Tief atmete ich noch einmal durch und machte mich bereit. Meine Energie war kurz vorm Explodieren.

„Los!“, gab er den Startschuss und sprintete irre schnell durch die Straße. Bei einem Wettrennen hätte ich keine Chance, aber zum Glück war das sowieso nicht der schnellste Weg.

Kraftvoll stieß ich mich vom Boden ab und kletterte so flink wie nie nach oben. Jeder Schritt saß, jeder Sprung katapultierte mich weiter in Führung. Ich hangelte mich an den wild wuchernden Pflanzen entlang, als wären sie ein Teil von mir. Die Geschwindigkeit und die Kraft waren wie ein Rausch. Ich flog beinahe dahin. Absolut krass.

Da war schon der Ahorn-Platz! Haha! Friss meinen Staub, Loser! Oh Scheiße! Kurz war ich unkonzentriert gewesen und war auf eine sehr dünne Ranke getreten. Sie gab nach. Schnell griff ich nach einem Ast, der zwar auch ungut knackste, aber meinen Sturz auffing. Und weiter!

Kraftvoll schwang ich mich zurück aufs Dach und überwand dieses letzte Hindernis. Ein Stück kletterte ich an der Hausfassade abwärts, bevor ich mich das letzte Stück locker fallen ließ.

Atemlos stand ich einfach nur da und grinste vor mich hin. Man war das krass gewesen! Mein Herz raste immer noch total vor Adrenalin. Und dann der Blick von dem so unbesiegbaren Kerl! Das war es mehr als nur wert gewesen! Triumphierend verschränkte ich die Arme vor der Brust.

„Wie hast du das gemacht?“, presste er ebenfalls gut außer Atem hervor. „Ich bin über die Dächer geklettert. Bietet sich doch an“, verriet ich ihm lässig. Misstrauisch musterte er die Häuser, die wirklich geradezu nach einer Kletterpartie schrien. Wer das nicht sah, war schon selten dumm.

„Gut. Du bist wirklich schnell“, gestand er jetzt mal ein, doch natürlich blieb es nicht dabei: „Aber unter fairen Bedingungen wäre es dir nie gelungen, mich zu schlagen.“ „Was war denn hieran nicht fair? Du hast dich entschieden auf dem Boden zu bleiben. Das war einfach deine Dummheit“, verteidigte ich meinen Sieg.

„Du kennst dieses Terrain bereits, ich nicht. Das hat dir einen Vorteil verschafft“, erklärte er mir seine eingeschnappte Verlierer-Logik. Ja, klar. Zweifelnd zog ich meine Augenbrauen hoch.

Auf einmal forderte er entschlossen: „Ich will eine Revanche, ein Gebiet, das für uns beide unbekannt ist.“ „Und was soll das sein?“, wollte ich immer noch eher skeptisch von ihm wissen. Ohne groß überlegen zu müssen, verkündete er: „Einer der Stützpfeiler zum Königreich der Luft.“ Die Antwort war ein wenig zu schnell gekommen.

„Und du bist dir sicher, dass du selbst noch nie da hochgeklettert bist?“, bohrte ich nach. „Du wagst es, mir einen Betrug zu unterstellen?“, ein ungläubiger Zorn loderte in seinem Blick auf. „Ich kenn dich doch gar nicht. Wie sollte ich dir da vertrauen? Nicht einmal dein Name geht mich etwas an“, konterte ich herausfordernd.

Nach einer kleinen missmutigen Pause sagte er überraschend: „Mein Name ist Skyris und ich bin kein Betrüger. Wir werden jetzt zu dem Stützpfeiler gehen und ganz fair und ehrlich festhalten, wer von uns beiden der Schnellere ist.“

„Skyris also. Ich glaube, ich nenne dich Sky“, gab ich ihm auch gleich einen Spitznamen, vielleicht wollte ich ihn damit auch ein kleinwenig ärgern. Schwer beherrscht schnaubte er nur und seine Ohren wackelten lustig.

„Gilt die Wette? Wer den Stützpfeiler schneller erklimmen kann?“, wieder so übertrieben ernst hielt er mir seine Hand entgegen. „Die Wette gilt“, bestätigte ich mit einem Handschlag, der nicht ganz so dramatisch ausfiel, weil meine Widerhaken sich beim Armeverschränken in meinem T-Shirt verfangen hatten und ich mir da jetzt erstmal bei der schnellen Bewegung ein paar kleine, blöde Löcher reinriss. Schön. Ohne weitere Worte machten wir uns auf den Weg und zwar genau in die Gegend, vor der ich mich die ganze Zeit gesträubt hatte: Die Nobelbezirke. Und es war wirklich ein langer Weg. Wenn wir die ganze Zeit dieses Tempo beibehielten, wäre ich platt, bevor wir überhaupt ankamen. Vielleicht war das aber auch genau die Strategie von diesem hinterlistigen Kerl.

Plötzlich sprang er aus dem Stand einige Meter nach oben auf einen Balkon und von dort weiter aufs Dach. Spöttisch grinste er von oben auf mich herab: „Kannst du etwa nicht mithalten?“ Na warte!

So fest ich konnte, drückte ich mich vom Boden ab. Verdammt! Der Balkon war zu hoch! Planänderung! Ich ließ mich einfach gegen die Hauswand prallen und gab noch ordentlich Schub dahinter, sodass ich mich einmal auf die andere Straßenseite katapultierte und von dort ging es mit Schwung schräg nach oben.

Als wäre es nichts, landete ich neben dem Angeber. „Und was machen wir jetzt hier oben?“, erkundigte ich mich locker bei ihm. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht. Aber ich ziehe es vor, nicht den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen“, mit diesen Worten ging er über das Dach. So ganz schlau wurde ich aus der Aktion ja immer noch nicht.

„Immer am Ball bleiben, Dex“, mit seinem besten Schurkengrinsen sprang der Kerl einfach vom Dach. Sollte das einfach nur eine kleine Aufwärmübung sein? Mit gerunzelter Stirn lief ich zur Dachkante. Oh. Alles klar.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir schon so nah am Fluss waren. Er verlief direkt neben dem Haus. Und auf dem Fluss war ein Schiff und auf dem Schiff war Sky. Das war also seine tolle Strategie, um nicht durch die ganze Stadt laufen zu müssen.

Hämisch winkte er zu mir rüber. Dachte er etwa ich hatte Schiss? Ohne zu zögern drückte ich mich ab und zischte zielgenau auf das Schiff zu. Mit meinen kleinen Widerhaken bremste ich meine Landung am Segel aus und ließ mich von dort lässig runterfallen. Saubere Nummer.

„Sollten die Leute von den Ordnungshütern sich nicht an jede Vorschrift halten?“, fragte ich ihn stichelnd. „Ich bin kein Ordnungshüter“, erwiderte er unbeeindruckt. „Und woher kennst du dann die Seewespen-Seele?“, wollte ich jetzt doch verwirrt von ihm wissen. Was, wenn er in Wahrheit voll der krasse Kriminelle war? Konnte ich mir bei ihm schon vorstellen und irgendwie war der Gedanke aufregend.

„Sagen wir mal, ich arbeite mit ihnen zusammen“, gab er mir keine genaue Auskunft und ich würde wohl auch nicht mehr erfahren. Ich versuchte es trotzdem: „Hat es etwas mit dieser roten Panda-Seele zu tun? Du hast sie gejagt, oder? Was hat sie getan?“

„Das ist streng vertraulich“, blockte er schlicht ab. Wie langweilig. Auch den Rest der Fahrt kam ich nicht weiter. Alles war nur geheim, hatte nicht mit mir zu tun und ging mich erst recht nichts an. Einmal hatte ich ihn sogar so weit, dass er mir fast eine reinhaute, weil ich ihm zu… standhaft war.

Und dann kamen die großen Stützpfeiler in Sicht. Weit ragten sie in die Höhe und trugen das große Königreich der Luft, das einen weitflächigen Schatten auf die Regionen jenseits der Stadt warf, nur hier und da durchbrochen von freien Stellen, die sie die „Lichtungen“ nannten.

Ich könnte da ja echt nicht leben. Alleine die Vorstellung unter einem Loch zu hocken. Was, wenn da jemand von oben runter spuckte? Wenn ich dort stehen würde, könnte ich es mir wahrscheinlich nicht verkneifen. Aber dafür musste man halt auch erst einmal hochkommen.

In der Nähe der Kristallresidenz gab es eine große Himmelstreppe, die dieses abgedrehte Königreich mit uns verband, ansonsten musste man fliegen können oder man kletterte die Stützpfeiler hoch…

Ohne Vorwarnung machte die Steinbock-Seele wieder so einen krassen Sprung nach oben und zwar direkt auf eine Brücke, unter der wir gleich durchfahren würden. Verdammte Axt! Das war zu hoch für mich und ich hatte auch schon den Zeitpunkt verpasst.

Hastig machte ich einen Satz auf den Schiffsmast und schwang mich bis auf die Spitze. Von hier aus müsste es eigentlich klappen, hoffentlich… Alles oder nichts!

Als das Schiff auf der anderen Seite wieder unter der Brücke hervorkam, sprang ich ab und bekam die Balustrade zu fassen. Atemlos zog ich mich hoch. Momentan ging es echt voll ab, doch das Krasseste würde erst noch kommen.

Zielsicher führte mich Sky zu einer der fetten Säulen, die von Nahem noch viel mächtiger aussah. „Die hier ist alt und baufällig. Niemand achtet auf diesen Teil. Der perfekte Ort für unsere kleine Wette“, beurteilte er mit einem kleinen verschmitzten Grinsen.

Dass dieser Pfeiler nicht von den Ordnungshütern strengstens überwacht wurde, war schon auf den ersten Blick zu sehen. Einige Plakate hingen dort, manche davon schon so alt, dass sie von der Sonne ausgeblichen und zerrissen waren. Außerdem hatten sich einige Graffitikünstler daran versucht, doch wegen der sehr unregelmäßigen Bienenwaben-Oberfläche, war dabei nur ganz abstraktes Zeug rausgekommen. Auch wenn ein echter Könner da sicher richtig was draus machen könnte. Vielleicht sollte ich einem gewissen Kumpel die Idee mal stecken…

Aufgedreht legte ich den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Jap, das war auf jeden Fall verrückter als das meiste, das ich bisher getan hatte. „Worauf warten wir noch?“, herausfordernd grinste ich zu meinem Herausforderer zurück.

4

Hoch hinaus

„Auf drei. Eins…“, fing er an zu zählen und machte sich sichtlich für einen seiner mega Sprünge bereit: „Zwei… Los!“ Augenblicklich schnellte er in die Höhe. Flink legte ich ebenfalls los.

Es war schon etwas anderes als das grüne Viertel, in dem ich schon unzählige Male unterwegs gewesen war. Schon allein, dass es viel länger gerade nach oben ging. Und die Oberfläche war auch gewöhnungsbedürftig. Wann kletterte man auch mal auf Bienenwaben rum?

An manchen Stellen merkte man den Wachs richtig und es war sau glatt und rutschig, andere waren übel trocken und porös. Man wusste echt nie, was einen beim nächsten Griff erwartete und ich verlor mehr als einmal fast den Halt. Doch ich gab nicht auf.

Sky war schon weit über mir. Oh Scheiße! Unter seinem Huf brach ein richtig großes Stück weg und stürzte genau auf mich zu. Instinktiv drückte ich mich ganz fest an die Säule. Um Haaresbreite verfehlte mich das Teil.

Mit panisch rasendem Herzen blickte ich ihm nach, wie es nach unten fiel und auf dem Boden zerbrach. Man waren wir schon hoch! Für einen Moment bekam ich schon ein wenig Angst. Aber ich war auch schon zu weit, um jetzt feige aufzugeben.

Fest biss ich die Zähne zusammen und kletterte weiter, noch schneller als zuvor. Der Wind fegte um mich, als wollte er mich weiter anstacheln. Immer höher! Immer schneller! Ja! Der Himmel war fast zum Greifen nah!