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Die Lektüre meiner Erzählung wird Dich einmal um die Welt führen. Du fährst mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau bis Peking und dann weiter per Zug nach Lahasa in Tibet. Danach geht die Reise weiter über Shanghai nach Japan. Ein Besuch eines Zen-Klosters und weitere Besonderheiten dieses liebenswerten Landes lassen ein Bild von Japan entstehen. Dein nächstes Ziel wird die Südsee mit Neu Kaledonien, Tahiti und den Marquesa Inseln im Pazifik sein. Anschließend werden wir Neuseeland, Australien mit Tasmanien kennenlernen, bevor es weiter nach Santiago de Chile und Patagonien geht. Die Seefahrt um Kap Hoorn und durch die Inselwelt Süd Patagoniens bereisen wir um dann weiter nach Buenos Aires und Montevideo zu ziehen. Hier musste das Abenteuer wegen Corona am 20. April 2020 mit dem Rückflug nach Deutschland abgebrochen werden Die dabei besuchten Orte und Landschaften sind in klarer, leicht lesbarer Prosa geschrieben und um persönliche Erlebnisse und Empfindungen sowie geschichtliche und kulturelle Hintergründe und Besonderheiten ergänzt.
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Seitenzahl: 247
Veröffentlichungsjahr: 2022
Dieter Kaiser
360 Längengrade für Methusalem
Aus dem Tagebuch einer
Weltreise
© 2021 Dieter Kaiser
Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer
ISBN Softcover: 978-3-347-28197-4
ISBN Hardcover: 978-3-347-28198-1
ISBN E-Book: 978-3-347-28199-8
ISBN Großschrift: 978-3-347-56045-1
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Inhalt
Vorwort
Berlin-Moskau 16. September 2019
Moskau 17. September 2019
Jekaterinburg 25.September 2019
Transsib 28. Sept. 2019
Baikalsee 28.September 2019
Irkutzk 30.September 2019
Ulan Bator 1.Oktober 2019
Peking 4.Oktober 2019
Lhasa 9.Oktober 2019
Peking 14. Oktober 2019
Shanghai 17.Oktober 2019
Osaka 22.Oktober 2019
Hiroshima 27.Oktober 2019
Miyajima 28. Oktober 2019
Wakajama 31.Oktober 2019
Nara 2.November 2019
Aomori 7.November 2019
Morioka 10. November 2019
Nikko 13.November 2019
Tokyo 14.November 2019
Noumea 15. November 2019
Papeete, Tahiti 17.Oktober 2019
Die Marquesas 23.Oktober 2019
Auckland 8. Dezember 2020
Rotorua 12. Dezember 2019
Wellington 16. Dezember 2019
Christchurch 19. Dezember 2019
Westküste Südinsel 21.Dez. 2019
Wanaka 23. Dezember 2019
Milford Sound 23.Dez. 2019
Dunedin 26.Dezember 2019
Sydney 31.Dezember 2019
Brisbane 4.Januar 2020
Cairns 7.Januar 2020
Ostküste 12.Januar 2020
Outback-Mungo Park 16.Jan. 2020
Känguru Island 24. Januar 2020
Melbourne 28.Januar 2020
Tasmanien 30. Januar 2020
Santiago de Chile 8.Februar 2020
Puerto Montt 13.Februar 2020
Puerto Natales 18. Februar 2020
Punta Arenas 21. Februar 2020
Ushuaia 26. Februar 2020
Kap Hoorn 3. März 2020
Buenos Aires 10. März 2020
Colonia 16.3. 20
Montevideo 19. März 2020
Frankfurt/München 20. März 2020
Vorwort
Die Zeit ist ein nicht zu beeinflussender Faktor unseres Lebens, der nur eine Richtung kennt, immer weiter in eine unbekannte Zukunft. Eine Zeitmaschine, mit der sich die Zeit zurückdrehen lassen könnte, die gibt es leider nur in Science-Fiction Filmen. Aber zum Glück haben wir ein Gedächtnis, das sich von einem guten Tagebuch unterstützen lässt, auch um so der rasch davoneilenden Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Über die Notizen in meinem Tagebuch, das ich auf meiner Weltreise geführt habe, will ich Dir von vielen glücklichen und manchmal weniger glücklichen Eindrücken und Momente erzählen.
Mit der Einstellung alles intensiv erleben zu wollen und voller Vorfreude und Neugier, machte ich mich also, als fast achtzigjähriger Methusalem, auf den Weg um die Welt, um die Schönheiten und auch die Verletzlichkeiten unseres Heimatplaneten und seiner Menschen mit den unbefangenen Augen des Reisenden zu erkunden.
Allein mit zwei Kreditkarten, Reisepass, einem Smartphone, und kleinem Gepäck bewaffnet, hätte der Start meiner Reise sehr spontan verlaufen können. So abenteuerlich war die Idee meiner Reise, von der ich erzählen will, dann doch nicht. Manches war sorgfältig geplant und gut vorbereitet, vieles dagegen auch spontan erlebt. Bei der Vorbereitung der Reise waren mir drei Dinge wichtig: Erstens nur mit kleinem Gepäck zu reisen, zweitens, so wenig feste Termine wie möglich vorher festzulegen und drittens, die Reise unterwegs Schritt für Schritt völlig frei und entlang meiner angedachten Route weiterzuentwickeln. Mein wichtigster Helfer dabei war mein Smartphone, dem ich in allen Ländern, außer China, einen Internetzugang per lokaler SIM-Karte verschafft habe. Start des Abenteuers, war der 16. September 2019 in Berlin, beenden musste ich die Reise nach 360 Längengraden, also einmal rund um die Welt, gezwungenermaßen am 20. März 2020 in Frankfurt am Main, denn an dem Tag war der weltweite internationale Flugverkehr wegen der Corona-Pandemie fast komplett eingestellt worden. An Gepäck hatte ich einen leichten Rimowa-Cabin-Koffer dabei, dazu einen Rucksack (20 Liter), eine Fototasche und eine flache unsichtbare Gürteltasche. Einige Hinweise zur Organisation der Reise: Grundsätzlich habe ich alle Buchungen Online, von unterwegs und direkt bei den durchführenden Gesellschaften vorgenommen. Das Prinzip ließ sich bei allen Flügen, Schiffspassagen, oder Übernachtungen anwenden. Wichtig war die rechtzeitige Beschaffung der Visa für Belarus, Russland, China und das Permit für Tibet. Ansonsten haben meine schrittweisen Planungen und Buchungen auf der ganzen Welt, bis auf kleinere Ausnahmen, immer gut funktioniert. So vorbereitet konnte mein Traum einer Solo-Reise um die Welt losgehen. Eine wunderbare Reise, bei der es auch Höhen und Tiefen gab, die mich gelehrt haben, der Welt immer freundlich, gelassen, tolerant und mit offenem und gelegentlich kritischem Blick gegenüberzustehen. Mit dieser Einstellung war mir in allen Ländern Hilfe und Sympathie sicher, egal ob es um einen geplatzten Autoreifen in Australien, oder ein sehr begehrtes Flugticket in Uruguay ging. Na und, könnte man versucht sein zu fragen, ist so eine Weltreise heutzutage überhaupt noch ein Abenteuer? Allerdings, das Abenteuer beginnt da, wo das Unerwartete losgeht, und davon gibt es um so mehr je länger man unterwegs ist. Mit meiner Erzählung liegt eine durchgehende Beschreibung meiner Erlebnisse, Gedanken und Begegnungen auf der langen Reise vor, der eilige Leser kann auch gezielt einzelne besonders interessierende Kapitel nachlesen, ohne Gefahr zu laufen, den roten Faden zu verlieren. Auf Bewertungen der politischen Verhältnisse in vielen der besuchten Länder habe ich weitgehend verzichtet, obwohl der aufmerksame Reisende zu dem Thema sicher viele eigene Erkenntnisse sammeln kann. Für mich standen immer die Menschen im Mittelpunkt meiner Betrachtungen, nicht die Andersartigkeit der religiösen oder politischen Systeme, die auf die Menschen unterschiedlich einwirken.
Berlin-Moskau 16. September 2019
Bild 1 Start der Reise am Berliner Ostbahnhof mit kleinem Gepäck
Mit seinen buschigen Augenbrauen über dunklen Augen, starrte mich der Waggon Schaffner so vorwurfsvoll an, wie ein Pfarrer banausenhafte Touristen anblickt, die sich erlauben, in unangemessener Bekleidung seine Kirche zu betreten. Das soll ja vorkommen, ich aber wollte nur in seinen Strizh einsteigen, der mich nach Moskau bringen sollte. Strizh oder Mauersegler nennt die russische Bahnverwaltung etwas tiefgründig ihren Intercity, der in rund zwanzig Stunden die Stecke von Berlin nach Moskau befährt. Den Zug durfte ich nicht besteigen, denn vor mir hatte sich dieser hartnäckige Waggon Schaffner breitbeinig aufgebaut und verwehrte mir strikt jeden Einlass. In respektfordernder Uniform, mit einer Schirmmütze auf dem Kopf so groß, dass sie leicht zu einer russischen Admiralsuniform gepasst hätte, stand er wie ein unüberwindbares Hindernis vor mir. Die Ursache für seinen Unmut lag offenbar in meinem Reisepass, den er in der Hand hielt, immer wieder auf das Datum meines Transit-Visums für Belarus pochend, das ich auf den 17. September ausgetüftelt hatte, also für den kommenden Tag. Heute war erst der 16. September 2019. Das passt für ihn offenbar alles gar nicht zusammen. Als zusätzliche Pointe war der gute Mann nicht bereit in einem anderen Idiom zu sprechen als in seinem vertrauten russisch, wovon ich kein Wort verstand, außer einem „njet“, dass mich immer wieder aus seinem Wortgetümmel ansprang und mir sehr bekannt vorkam. Nach einigem Hin und Her ließ er mich dann doch resignierend passieren. Entweder wegen meiner Hartnäckigkeit oder wegen seiner viel besungenen unergründlichen russischen Seele oder vielleicht einer plötzlichen Erkenntnis folgend, wer weiß das schon. Den Start meiner Reise rund um die Welt hatte ich mir etwas glatter vorgestellt, aber Probleme müssen gelöst werden, dazu sind sie da, sagte ich mir voller Tatendrang. Ich bestieg also erleichtert und froh den rollenden Boden von Mütterchen Russland. Ein paar Floskeln in russischer Sprache und einige Rubel zur Hand, kann bei dieser Bahnfahrt sicher nicht schaden, dachte ich mir. In meinem Abteil hatten sich inzwischen meine drei Mitreisenden gemütlich eingerichtet, zwei ältere und eine junge hübsche Dame. Eine der Älteren beschäftigte sich mit ihrem Strickzeug und arbeitete mit leisem Klicken an einem Schal, wobei sie ständig konzentriert auf ihrer Unterlippe kaute. Die andere schaute mich aufmunternd an und erkundigte sich mit stark russisch gefärbtem Deutsch nach meinem woher und wohin. Sie hatte etwas Mütterliches, was mir gefiel. Verwundert blickte sie auf mein leichtes Gepäck für die lange Reise, schleppten die drei doch große Reisetaschen mit sich, deren Inhalt mir, wenn auch unfreiwillig, später noch offenbart werden sollte. Alle drei wollten nach Brest in Belarus. Bis auf die jüngere hübsche, die aus Paris kam, sprachen die beiden anderen neben russisch ganz gut deutsch. Die Reise über die knapp 1900 km bis Moskau dauert rund 20 Stunden, mit dem Start pünktlich um 18: 45 Uhr in Berlin Ostbahnhof. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass es eine Nacht mit Unterbrechungen sein würde, denn der Zug passiert zunächst die Grenzen zu Polen und später nach Mitternacht die zu Belarus, das heißt volles Programm bei den Grenzkontrollen. Der Zug rumpelte gemächlich über Schienenstöße und Weichen in die Nacht hinaus. Die Aussicht auf die Hinterhöfe von Berlin, eher trübe. Hier erhält der erste Teil der Devise „arm, aber sexy“ für Berlin eine sehr reale Bedeutung. Die drei in meinem Abteil mitreisenden und russisch sprechenden Damen stürzten sich im Laufe des Abends in eine temperamentvolle Diskussion, die in ein Juchzen und schließlich in ein schier endloses ansteckendes Gelächter überging. Schließlich lachten wir alle vier, mit Tränen in den Augen. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, das sollte ich später mit vielen Details ausgemalt, noch zu hören bekommen. Aber zunächst ging es ans Bettenbauen, das die drei gleich routiniert und schwungvoll für das ganze Abteil erledigten. Wie selbstverständlich gab es auch für mich noch etwas Gebäck aus dem unerschöpflichen Vorrat der Damen, bevor sie sich auf den schmalen Betten zur Ruhe legten. Bald breitete sich jene Stille aus, wie sie spätabends für ein Zugabteil typisch ist, nur vom regelmäßigen Schlagen der Räder auf die Schienenstöße gestört. Schlafen konnte ich nicht, mich trieben viele Gedanken um, was hatte ich alles vergessen, würde es Probleme an den Grenzen geben, würde das Geld reichen, außerdem befiel mich ein unbestimmtes Gefühl von Tristesse. Ich hatte für die nächsten sechs oder sieben Monate von meiner Familie Abschied genommen, dem Freundeskreis, der Nachbarschaft und meinem gewohnten Umfeld mitsamt meinem geliebten kleinen Segelboot. Dazu kam, dass ich allein unterwegs war, was für mich ungewohnt ist. Im Abteil verbreiteten die gleichförmigen Schlafgeräusche meiner Mitreisenden eine beruhigende Atmosphäre, ich beneidete sie. Gegen 3: 20 Uhr wurde die Fahrt langsamer und schließlich stoppte der Zug mit einem quietschenden Ruck. Wir standen im Bahnhof von Warschau. Die hell erleuchtete menschenleere Station hatte etwas Gespenstisches. Draußen liefen einige Bahn-Mitarbeiter eilig hin und her, ein Pfiff auf der Trillerpfeife und schon rollte der Zug langsam weiter gegen Osten. Wenig später, ein energisches Klopfen an der Kabinentür begleitet vom Ruf „granitza , pasportnyy kontrol“. Alle springen auf, denn das ist eine ernsthafte Angelegenheit: Ein polnischer und ein belorussischer Grenzbeamter erschienen in der Tür und wollten die Reisepässe, belorussisches Transitvisa und russisches Visum sehen. Dann sammelten sie alle Pässe ein und verschwanden wieder. Wenig später erschien ein weiterer Grenzbeamter, der das Gepäck kontrolliert. Meine Sachen interessierten ihn nicht, dafür um so mehr die ungewöhnlich großen Taschen meiner drei Mitreisenden. Meine Diskretion und meine inzwischen gewachsene Sympathie für die Damen erlauben mir nicht im Einzelnen zu beschreiben, was der Zöllner, neben dem köstlichem Gebäck, von dem ich schon profitiert hatte, an verführerischen Dessous, zarter Damenwäsche aus Paris und Berlin und verschiedenen Parfüms, alles noch original verpackt, aus ihren Reisetaschen ans Licht beförderte. Damit hätte die Damenwäsche-Abteilung eines kleinen Kaufhauses gut bestückt werden können. Einer der Zöllner forderte die drei in barschem Ton auf, mitzukommen. Ich war voller Mitgefühl mit den drei, aber was nutze das schon. Nach einer endlosen Zeit kamen sie jede ein Formular in der Hand zurück und ließen sich seufzend in die Polster fallen. Nachfragen wollte ich nicht, konnte mir aber leicht denken, dass etwas schiefgegangen war. „Corriger la fortune“ hatte zu Galinas, so hieß die Schöne aus Paris, und auch zu meinem Bedauern diesmal nicht funktioniert. Wir mussten dann alle vier noch Einreise- und Ausreisekarten ausfüllen und erhielten die inzwischen gestempelten Pässe wieder zurück und alles war zumindest für mich „karascho“, meine drei Begleiterinnen ernteten dagegen einen strengen Blick. Vor Brest kam die Durchsage, dass ab jetzt die Uhr, um eine Stunde vorzustellen sei. Das sind also nach meiner einfachen Rechnung die ersten 15 Längengrade Richtung Osten, die ich zurückgelegt hatte, 345 weitere und spannende sollten bis zur Heimkehr nach Deutschland folgen. Die nächste Aktion war die Umstellung der Spurweite des Zuges auf das etwas breitere russische Maß. Das wird nahezu unbemerkt von den Bahnreisenden bewerkstelligt, indem der Zug ganz langsam über eine automatische Umspur-Anlage gefahren wird. Meine drei Damen hatten inzwischen ihre Zollformulare ausgefüllt und ihren schier grenzenlosen Humor wieder zurückgefunden. Jetzt waren alle entspannt und ich sollte in die abendliche, unser Gelächter auslösende Geschichte eingeweiht werden. Die will ich ohne die dekorativen Ausschmückungen meiner Übersetzerin erzählen, denn Galina, die Heldin der Erzählung sprach außer russisch nur französisch. Für mich war es dabei ein besonderes Vergnügen, der angenehmen Stimme Galinas zu folgen, mit ihren charmanten französischen Einsprengseln. Mit ihren immer strahlenden blauen Augen, und dem von einer schicken blonden Kurzhaarfrisur umspielten angenehmen Gesicht, war sie zweifellos ein sehr liebenswertes Wesen. Zu einem zweiten Monsieur Bonnet, der der Protagonist ihrer Geschichte war, hätte ich mich allerdings nie hinreißen lassen, wie wir später noch deutlich sehen werden. Ich bin da eher von der zurückhaltenden Sorte, wie wir bald sehen werden. Hier ist ihre Erzählung: Galina, war im feinen 6. Pariser Arrondissement bei der wohlsituierten Familie Bonnet (Name geändert) als Mädchen für die Tochter des Hauses engagiert. Eines Abends, bei günstiger Gelegenheit, unternahm Monsieur Bonnet, klein, glatzköpfig, nach einer Mischung aus Käse und Wein riechend, den Versuch Galina zu verführen. Das sollte nach Galinas Worten mit stürmischen Küssen und „je t’aime“ Gemurmel eingeleitet werden. Der Versuch wurde leider für Monsieur zum Fiasko und endete nach einigem übergriffigem Gerangel mit einer „Gifles de visage“, wie Galina es nannte, also einer Ohrfeige für den kühnen Verführer, der sich danach schmollend zurückzog. Galinas Unbekümmertheit und die ursprüngliche Freude an der Arbeit in der Familie und dem Leben in Paris waren von da an verweht und hatten einer gewissen Anspannung Platz gemacht. Galina beschloss deswegen bald nach dem Vorfall die Heimreise nach Brest anzutreten, wodurch ich wiederum in den Genuss ihrer kurzen Bekanntschaft im Strizh nach Moskau kam. Außerdem hatte sie einen bestimmten Anlass nach Hause zurückzukehren: Ihr Freund in Brest bestand auf baldiger Verlobung, er wollte wohl kein Risiko eingehen, mit der Zukünftigen, auf dem heißen Pflaster von Paris. Der Zug war unterdessen gegen 6: 10 Uhr morgens in Brest Centralny eingelaufen, die drei packten ihre Sachen und verabschiedeten sich mit vielen Umarmungen und guten Wünschen für meine Reise und überließen mir noch ihr restliches Gebäck als Proviant, das dann bis Moskau reichen sollte. Für mich war das die Gelegenheit, den Speisewagen zu erkunden. Ich war an dem noch frühen Morgen der einzige Gast und wurde vielleicht deshalb sehr freundlich betreut. Die Speisekarte war in kyrillisch ausgedruckt. Mit etwas Fantasie, Glück und meiner eigenen Zeichensprache wurde mein Frühstück ein Käse-Schinken-Omelette, dazu viel Kaffee. Im Speisewagen zu reisen ist immer ein vierfaches Vergnügen, das es nur bei der Bahn gibt: Man speist, genießt die Landschaft, reist seinem Ziel entgegen und mit etwas Glück darf man das alles in angenehmer Gesellschaft erleben. Die Landschaft, die der Zug ab Brest durcheilt, ist eben und nur von halbhohen Büschen und Sträucher bewachsen, die gelegentlich von Birkenwäldern mit kleinen Gewässern und Flussläufen abgelöst werden. In der Ferne sind weiträumige Felder sichtbar, die um die Jahreszeit schon abgeerntet waren. Das alles erinnerte mich sehr an die Lüneburger Heide. Ausgenommen die einfachen niedrigen Gehöfte, die sich in die Landschaft ducken, von Bauern bewohnt, die gerne zum Bahndamm hin ihre nicht mehr genutzten Gerätschaften dem Verfall überlassen. Der Zug fährt stundenlang im einschläfernd klopfenden Rhythmus der Räder durch diese Landschaften, bevor ein Halt in einer größeren Stadt die Melodie unterbricht und für etwas Abwechslung sorgt. Ab Minsk und weit nach dem Frühstück teilte ich das Abteil mit einem Ehepaar, das in der Taubstummensprache miteinander kommuniziert hat. Mir stellte sich die Frage, ob die Gebärdensprache, die ja vielen Taubstummen auf der Welt zur Verständigung dient, eine international einheitliche Sprache ist, ähnlich dem Esperanto. Ich konnte auch nicht erkennen, ob beide oder nur einer von dem Handicap betroffen war, so ergab sich leider keine Gelegenheit zu einer kleinen Unterhaltung. Nach kurzer Fahrt, bis Smolensk verließen die Beiden den Zug dann auch schon wieder. Dafür stieg ein sympathisch wirkender und gut gekleideter noch jüngerer Mann ein. Wir stellten uns gegenseitig vor und Michail erklärte mir in gutem Englisch, dass er zunächst etwas Schlaf brauchen werde. Den wollte ich ihm gerne gönnen, zumal bis Moskau immerhin noch gut vier Stunden zu fahren waren. Etwa zwei Stunden vor Moskau erhob sich Michail von seinem Lager und packte seinen mitgebrachten Proviant aus. Der Geruch von Würsten und Käse begann langsam durch das Abteil zu wabern. Hungrig verzog ich mich deswegen in den Speisewagen, wo eine kräftige Portion Borschtsch auf den Tisch kam. Borschtsch Suppe gehört in Russland traditionell zu einem der beliebtesten Gerichte. Die Liste der Zutaten ergibt eine kräftige Suppe, die durch die enthaltene Rote Bete ihre typisch rote Färbung erhält. Wegen der roten Farbe wird sie vielleicht von vielen zu Unrecht verschmäht, wie ich meine. Im Abteil hatte unterdessen Michail seinen Proviant verzehrt und wurde gesprächiger. Er kam aus der Stadt Orel südwestlich von Moskau und war als Ingenieur an einem Modernisierungsprojekt in der Nähe von Smolensk beteiligt, wo er wochenlang zu tun hatte. Seine Frau und die beiden Kinder, deren zerknitterte Fotos er aus der Geldbörse zog, lebten zusammen mit der Babuschka, also der Oma, in Jekaterinburg tief im Osten des Landes. Er freute sich schon auf Moskau und die Einkäufe, die er für die Familie dort machen wollte. Die Schienen wurden hinter Minsk schlechter, ich habe mir nicht vorstellen können, dass ein Zugwaggon so sehr rollen und springen kann. Die restliche Fahrt bis Moskau rumpelte der Zug deshalb gemütlich über Weichen und Stöße dahin. Zeit genug, die Landschaft vor Moskau in Muße zu betrachten. Sümpfe, kleine Wasserläufe, Birken in moorigem Untergrund und immer wieder Holzkaten und einfache Bauernhäuser wechselten einander ab. Es ist eine Landschaft, die eine große Ruhe ausstrahlt. Mit der Ruhe war es übergangslos vorbei, als ich den Zug im Trubel und Menschengewühl des Belorussischen Bahnhofs von Moskau verlassen habe und mich plötzlich mitten im abendlichen Berufsverkehr einer gigantischen Millionenstadt befand.
Moskau 17. September 2019
Bild 2 Russisch-orthodoxe Kirchen im Kreml/Moskau
Ich war Michail dankbar, dass er mir noch im Strizh angeboten hatte, mit mir gemeinsam in Moskau zur nächsten Metro-Station zu gehen, um ein Ticket zu kaufen. So marschierten wir also im gleichen hastigen Schritt wie die Moskowiter über einen belebten Platz zum nächsten-Metro-Schild und weiter treppab durch lange Gänge wieder treppauf in eine große Halle, wo die Ticket-Automaten der Metro an den langen Menschenschlangen davor erkennbar waren. Als ich an der Reihe war, zeigte Michail mir, wo der Knopf für „Englisch“ war, dann ging alles schnell: Ticket-Nummer für den Zielbahnhof eingeben, -sie findet sich in einer Tabelle neben dem Automaten-, Geld rein und schon spuckt der Automat zirpend das Ticket aus. Hier musste ich mich von Michail verabschieden, der in Moskau ja noch die Einkäufe für seine Familie zu erledigen hatte. Die anschließende Fahrt durch den Moskauer Untergrund zum Hotel im Leningrader Bahnhof war dann ein Kinderspiel.
Bis zur Weiterreise mit der Transsibirischen Eisenbahn hatte ich 5 Tage für Moskau geplant. Genug Zeit, um die Stadt zu erkunden und vielleicht einige Lieblingsplätze zu entdecken. Was mit der Metro ein preiswertes Vergnügen ist. Erleichtert wird so ein Streifzug auch durch die einprägsamen Namen vieler Metro-Stationen wie Komsomolskaja, Barrikadnaja oder Puskinskaja. Manche dieser Stationen sind wahre Kunstpaläste, gebaut für den Arbeiter-und-Bauern-Staat unter Stalin. Er soll auch für den Bau der Ringbahn gesorgt haben, die alle Außenäste der Metro miteinander verbindet. Eine Fahrt kostet etwa 80 Cent. Solange man keine Ausgangssperre benutzt, kann man dafür beliebig lange Metro fahren, in alle Richtungen. Mich zog es zuerst in die Neue Tretjakow Galerie in der ul. Krymskiy Wal. Die Galerie beherbergt Russlands größte Sammlung nationaler Kunst. Dieses Museum war der ideale Einstieg in meine weitere Russland Reise, denn hier lässt sich über die Exponate einen Einblick in russische Kultur, Geschichte, das religiösen Leben und das längst vergangenen Leben des Adels und der einfachen Leute auf dem Land gewinnen. Es ist wie ein Blick durch ein Fenster in eine längst vergangene Zeit. Einen ganzen Tag zur Besichtigung hatte ich für diesen besonderen Höhepunkt in Moskau geplant.
Bild 3 Im Kaufhaus Gum geht es gemütlich zu
Bild 4 Eines der belebten Zentren von Moskau
Bild 5 Der Rote Platz
Nach der Tretjakow Galerie standen der Rote Platz und das Kaufhaus GUM auf meinem Programm und später der Kartenkauf für den Nikulin Zirkus am Zwetnoj Bulwar. Der Rote Platz ist für viele Moskau Besucher ein Muss. Sicher denken dabei die Wenigsten an den jungen Deutschen aus Wedel bei Hamburg. Er war im Mai 1987, also mitten im Kalten Krieg, von Helsinki und Petersburg kommend, mit seiner kleinen einmotorigen Cessna, direkt hinter der Basilius Kathedrale, auf der Moskwa Brücke gelandet. Ursprünglich wollte er eine Landung direkt auf dem Roten Platz versuchen, eine sichere Landung war auf dem bevölkerten Platz jedoch nicht möglich. Die Idee war, mit der riskanten Solo-Aktion etwas für den Weltfrieden zu erreichen. Zumindest wurden damals einige russische Generäle gefeuert und unser kühner Flieger landet nach dem Husarenstück im Gefängnis. Hier ging es ihm gut, zumal unser Friedensapostel genügend Motivation hatte die russische Sprache, mithilfe seiner Wärter perfekt zu lernen. Nach einigen Jahren wurde er gesund und munter wieder entlassen. Aber zurück zum Roten Platz, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Der Platz war in früheren Jahrhunderten ein zentraler Markt- und Festplatz im Herzen Stadt. Hier war der Ort, an dem die Pelzhändler aus dem Ural und die Bauern der Umgebung ihre Waren verkauften und hier wurden dem Volk die Erlasse und Urteile des Zaren öffentlich verkündet. In schweren Fällen waren die Urteile Hinrichtungen oder im günstigsten Fall die Verbannung nach Sibirien. Auf die vielfältigen Entwicklungshilfen, die sibirischen Siedlern von den so Verbannten zugutekamen, komme ich später, wenn wir in Sibirien sind, noch zurück. Zu Zeiten der Sowjetunion rollten auf dem Roten Platz die Panzer und Raketen zur Demonstration von Macht und Größe des Kommunismus. Auch in der heutigen Zeit finden hier die großen Siegesparaden und Aufmärsche aller Waffengattungen der russischen Armee statt, zur Erinnerung an den siegreichen Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Der Platz wird von der Basilius-Kathedrale dominiert, deren Bau Iwan der Schreckliche 1522 in Auftrag gab. Die Kirche mit ihrem zentralen Hauptgebäude und den acht kreisförmig angeordneten Kuppeltürmen ist ohne Zweifel ein architektonisches Meisterwerk. Zur Rechten der Basilius-Kathedrale steht das riesige, in mehrere Gebäudeflügel gegliederte Kaufhaus GUM. Das Kaufhaus führt die alte Tradition des Marktplatzes fort, mit einem sehr umfassenden Angebot auch westlicher Waren und mit guten Speiselokalen. Dem GUM gegenüber liegt das Zentrum der Macht in Russland – der Kreml. Ab dem 14. Jahrhundert herrschten von hier die Zaren, wie Iwan der Schreckliche oder Katharina die Große. Aus der Zeit sind die vielen prächtigen Kathedralen und Paläste geblieben, deren Schatzkammern heutzutage für das Publikum geöffnet sind. Die Moskowiter lieben ihren Zirkus über alles, so gibt es in Moskau natürlich den großen Staatszirkus mit Spitzenleistungen in Artistik, Dressur oder Clownerie. Daneben existieren in der Stadt noch ein Katzen-Zirkus, ein Tierzirkus mit Nilpferd, Bär und Wildschwein, der älteste von allen aber ist der Nikulin-Zirkus, der seit 1880 seine Aufführungen einem begeisterten Publikum vorführt. Ich machte mich also auf die Fahrt per Metro zum Zirkus Nikolin auf dem Zwetnoi Boulevard. Der Dame an der Kasse des Zirkus-Nikulin hatte ich „bilety“ murmelnd einen Zettel mit Datum und Uhrzeit der gewünschten Vorstellung hingeschoben. Das Verfahren hat sich später in China oder Japan auch gut bewährt. Daraufhin erhielt ich ein Ticket gleich in der ersten Reihe für die Kindervorstellung, für die ich mich entschieden hatte. Das hatte den Vorteil, dass ich die riesigen Luftballons, von den Clowns unter das jauchzende Publikum geworfen, gleich weiter in die oberen Ränge befördern durfte. Ein Clown demonstrierte, sehr zur Schadenfreude und unter dem Gelächter der Zuschauer, alle möglichen Verrenkungen, um es sich auf einer immer wieder zusammenklappenden Campingliege gemütlich zu machen. Bis er sich schließlich im Gestell der Liege völlig verfangen hatte und sich nur mit Mühe wieder aus dem Gestänge befreien konnte. Eine großartig choreografierte Nummer, die es auf die Schadenfreude vor allem der Kinder abgesehen hatte. Außer den Clowns, die für die aufgeregten Kinder natürlich das Wichtigste waren, gab es noch Hochseil-Akrobatik, Tiger- und Pferdedressur-Nummern und vieles mehr. Die Atmosphäre des Nikulin, mit seinen Tieren, den Geräuschen und Gerüchen, den artistischen Nummern, den Clowns und allen anderen Zirkusleuten übte auf mich einen magischen Reiz aus, der auch die vielen Kinder in Begeisterung versetzte und uns hinterher zufrieden nach Hause gehen ließ. Ganz in der Nähe des Zirkus Nikulin, am Anfang des Rozdestvenskij bulwar liegt einer meiner Lieblingsplätze in Moskau. Eine an den früheren Großmarkt von Paris erinnernde Halle aus dem frühen vorigen Jahrhundert mit kleinen Speiselokalen aus aller Welt. Hier findet sich auch eine große Auswahl deutscher Wurstsorten (Wurstland genannt) und Gerichte. Wurst und Brot werden neben Autos und Biergärten vielerorts mit Deutschland in Verbindung gebracht, was ja nicht schlecht sein muss. Eine besondere Sehenswürdigkeit in Moskau ist der Jelissejewskij Laden auf der Twerskaja uliza, ein altes Delikatessengeschäft der Familie Jelissejew. In deren palastartigen Verkaufsräumen, geschmückt mit einem Gemisch aus Barock und Jugendstil Elementen, wird der Verkauf von feinsten Delikatessen zelebriert. Zum Beispiel das Zarenlachs-Rückenfilet oder diverse Sorten von Stör, alles für die Zubereitung schon vorbereitet und in prächtigen Auslagen dem Publikum verführerisch zum Kauf angeboten. Nur einige ausgewählte Delikatessengeschäfte in Paris, Berlin oder München können mit der hier gebotenen verschwenderischen Pracht mithalten. Der ausufernde Luxus dieses besonderen Lokals gibt heute noch ein Eindruck von der Lebensart der feinen Moskauer Gesellschaft zur Zarenzeit. In die damalige Zeit zurückversetzt, erwartete ich, dass adeligen Damen mit Dienerschaft eintreten, um hier ihre Einkäufe zu zelebrieren. Mit einer kleinen Portion köstlichem Fischsalat zog ich weiter. Der Jelissejewskij palastartige Laden ist inzwischen leider geschlossen und wird hoffentlich unverändert einer anderen Nutzung zugeführt.
Eines meiner Highlights in Moskau war der Abend im Bolschoi Theater mit einer Aufführung von Dornröschen durch die berühmte Ballettkompanie des Theaters. Weil ich für meine Reise keine passende Operngarderobe eingepackt hatte, sollte meine Karte für die oberen Ränge des Hauses für mein Outfit gerade angemessen sein, dachte ich. Meine Sorge war aber unbegründet, denn es ging im ganzen Haus sehr locker und ungezwungen zu. Mit noch ungezwungener Begeisterung ging das Theaterpublikum während der eigentlichen Aufführung temperamentvoll mit. Die märchenhafte Handlung des Balletts wird von der einfühlsamen Musik Peter Tschaikowskys getragen, der Dornröschen für sein schönstes Ballett hielt. Das Publikum verfiel nach jedem gelungenen Luftsprung, jeder gelungener Pirouette oder einem besonders zärtlichen Pas de Deux in stürmischen Beifall, den die Tänzer an der Rampe mit elegant-graziösen Gesten entgegennahmen. Die Choreografie und Interpretation des Stückes durch die Tänzer zusammen mit der Musik waren so perfekt einstudiert, dass sie selbst bei einem Büffel etwas zum Klingen gebracht hätte. Vom Jubel des Publikums beim Schlussapplaus ließ ich mich in meiner Begeisterung selig anstecken. Selbst während der anschließenden nüchternen Fahrt mit der Metro zu meinem Hotel im Leningrader Bahnhof klangen die zauberhafte Musik Tschaikowskys getragen von den feenhaften Bildern des Balletts noch lange in mir nach. Gut, ein Glas Wein in einem gemütlichen Lokal zum Ausklang des Abends und zusammen mit Freunden wäre eher nach meinem Geschmack gewesen als mein kleines Hotelzimmer im Leningrader Bahnhof. Einen kalten ungemütlichen Vormittag habe ich in einer der großen Moskauer Buchhandlung beim Stöbern verbracht. Meine Buchhandlung – die Biblio Globus Buchhandlung in der Lubyanskij Proyezed - versteckt sich hinter einem unscheinbaren Seiteneingang und verfügt über eine gut sortierte deutschsprachige Abteilung. Hier darf man stundenlang und gemütlich in den Büchern blättern und lesen. Mit Goethes Wahlverwandtschaften unter dem Arm habe ich schließlich die Buchhandlung wieder verlassen. Meine Entdeckungstouren durch Moskau mussten damit langsam zu Ende gehen. Moskau ist eine Stadt, die,