4000 Wochen - Oliver Burkeman - E-Book
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4000 Wochen E-Book

Oliver Burkeman

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Beschreibung

Die Zeit reicht nicht aus – niemals. Gerade einmal 4000 Wochen haben wir auf der Erde, und das auch nur, wenn wir um die achtzig werden. Kein Wunder, dass wir unaufhörlich versuchen, möglichst viel in diese kurze Zeit hineinzupressen. Und gleichzeitig die Dinge aus dem Blick verlieren, die uns wichtig sind und uns vor allem glücklich machen. Oliver Burkeman führt geistreich und kurzweilig vor, wie wir dem Zeit- und Effizienzdruck widerstehen und der unerhörten Kürze und den schillernden Möglichkeiten unseres Lebens gerecht werden können. »Ein wunderbar ehrliches Buch!« Mark Manson »Das wichtigste Buch, das je über Zeitmanagement geschrieben wurde.« Adam Grant

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Für Heather und Rowan

((Hier kann eine Info stehen))

Aus dem Englischen von Heide Lutosch und Henning Dedekind

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Four Thousand Weeks : Time Management for Mortals bei Farrar, Straus and Giroux, New York

© Oliver Burkeman, 2021

All rights reserved including the rights of reproduction in whole or in part in any form.

Für die deutsche Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Matthew Flute

Covermotiv: Xinzheng/Getty Images

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Motti

Einleitung: Am Ende sind wir alle tot

Das Leben am Fließband

Wenn man die falschen Dinge geregelt bekommt

Teil I

Die Entscheidung, sich zu entscheiden

1 Die Begrenztheit des Lebens akzeptieren

Die Zeit, bevor es Zeitpläne gab

Das Ende der Ewigkeit

Bekenntnisse eines Produktivitätsfreaks

Ein eisiger Hauch von Realität

2 Die Effizienzfalle

Sisyphos’ Posteingang

Die unendliche Liste

Warum man aufhören sollte, »klar Schiff« zu machen

Die Tücken der Bequemlichkeit

3 Der Endlichkeit begegnen

Geworfen in die Zeit

Realistisch denken

Alles ist geborgte Zeit

4 Gekonnt aufschieben

Die Kunst kreativen Vernachlässigens

Perfektion und Lähmung

Die Unvermeidlichkeit des Sichfestlegens

5 Das Wassermelonen-Problem

Eine Maschine für falsche Lebensführung

6 Die Lust der Ablenkung

Das Unbehagen des Wichtigen

Teil II

Jenseits unserer Kontrolle

7 Man hat nie wirklich Zeit

Alles könnte passieren

Sich um die eigenen Angelegenheiten kümmern

8 Immer schon im Hier und Jetzt

Die Kausalkatastrophe

Das letzte Mal

Nicht präsent im Hier und Jetzt

9 Die Wiederentdeckung der Ruhe

Das Verschwinden der Freude

Pathologische Produktivität

Ruheregeln

Wandern als Selbstzweck

Rod Stewart, radikal

10 Die Ungeduldsspirale

Der Schnelligkeit entkommen

Aufhören müssen, aber nicht aufhören können

11 Im Bus sitzen bleiben

Hinschauen und abwarten

Die drei Prinzipien der Geduld

12 Die Einsamkeit des digitalen Nomaden

Abgestimmt unabgestimmt

Gemeinsam im Takt

Die Freiheit, sich nie mit seinen Freunden zu treffen

13 Die »Dem-Kosmos-ist’s-egal-Therapie«

Die große Pause

Ein halbwegs sinnvolles Leben

14 Die Leiden des Menschen

Das provisorische Leben

Fünf Fragen

Das Nächste und Nötigste

Nachwort: Jenseits der Hoffnung

Zehn Tipps für den Umgang mit der eigenen Endlichkeit

1. Definieren Sie den Umfang Ihrer Produktivität

2. Eins nach dem anderen

3. Entscheiden Sie im Voraus, wo Sie scheitern

4. Richten Sie Ihr Augenmerk auf das, was Sie bereits erledigt haben, und nicht nur darauf, was noch zu erledigen ist

5. Bündeln Sie Ihr Engagement

6. Nutzen Sie langweilige und einseitige Technologien

7. Suchen Sie Neues im Alltäglichen

8. Werden Sie zum »Beziehungsforscher«

9. Seien Sie spontan großzügig

10. Üben Sie sich im Nichtstun

Dank

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Register

Es ist das Letzte, wofür wir dankbar sind: existiert zu haben. Man weiß, dass das keineswegs selbstverständlich war. Man hätte ebenso gut nicht existieren können. Aber man hat existiert.

Douglas Harding

Was das Ganze unerträglich macht, ist der eigene Irrglaube, es könnte einen Ausweg geben.

Charlotte Joko Beck

Einleitung: Am Ende sind wir alle tot

Die durchschnittliche menschliche Lebensspanne ist absurd, erschreckend und beleidigend kurz. Um das Ganze einmal in Relation zu setzen: Die ersten modernen Menschen tauchten vor mindestens 200 000 Jahren in den Ebenen Afrikas auf, und Wissenschaftler schätzen, dass das Leben in der einen oder anderen Form noch 1,5 Milliarden Jahre oder länger fortbestehen wird, bis die zunehmende Hitze der Sonne den letzten Organismus endgültig auslöscht. Und Sie? Angenommen, Sie werden 80 Jahre alt, dann haben Sie etwa 4000 Wochen gelebt.

Natürlich kann man auch Glück haben: Wenn man es bis 90 schafft, hat man fast 4700 Wochen gelebt. Vielleicht hat man auch richtig Glück, wie etwa Jeanne Calment, eine Französin, die bei ihrem Tod im Jahre 1997 angeblich 122 Jahre alt war, was sie zum ältesten bekannten Menschen machte.[1] Calment behauptete, sie könne sich an eine Begegnung mit Vincent van Gogh erinnern – hauptsächlich, dass er nach Alkohol gestunken habe. Bei der Geburt von Schaf Dolly im Jahre 1996, dem ersten erfolgreich geklonten Säugetier, war sie immer noch da. Biologen sagen voraus, dass Calments Lebenserwartung schon bald ganz alltäglich werden könnte.[2] Doch selbst sie erreichte nur etwa 6400 Wochen.

Wenn man die Angelegenheit in derart nüchterne Worte fasst, wird klar, warum Philosophen von der griechischen Antike bis heute die Kürze des Lebens als das entscheidende Problem der menschlichen Existenz betrachten: Wir besitzen die Fähigkeiten, schier unendlich ehrgeizige Pläne zu schmieden, haben aber praktisch keine Zeit, sie in die Tat umzusetzen. »Nur für eine kurze Spanne Zeit werden wir geboren, und diese uns zugestandene Frist läuft so rasch, ja rasend schnell ab, dass das Leben die Menschen, mit nur wenigen Ausnahmen, verlässt, während sie sich gerade im Leben einrichten«, klagte der römische Philosoph Seneca in einer Schrift, die heute unter dem Titel Das Leben ist kurz bekannt ist.[3] Als ich die Rechnung mit den 4000 Wochen zum ersten Mal aufstellte, wurde mir etwas mulmig. Sobald ich mich aber wieder erholt hatte, begann ich, meine Freunde damit zu nerven. Ich bat sie, aus dem Stegreif und ohne Kopfrechnen zu raten, wie viele Wochen der Durchschnittsmensch ihrer Meinung nach zu leben habe. Eine nannte eine Zahl im sechsstelligen Bereich. Ich musste sie darüber aufklären, dass die Dauer der gesamten menschlichen Zivilisation seit den alten Sumerern in Mesopotamien gerade einmal die recht magere sechsstellige Anzahl von 310 000 Wochen beträgt. Auf praktisch jeder halbwegs ernst zu nehmenden Zeitskala »sind wir alle jede Minute tot«, wie der Philosoph Thomas Nagel schreibt.[4]

Daraus folgt, dass Zeitmanagement, im weitesten Sinne des Wortes, das Hauptanliegen eines jeden Menschen sein sollte. Zeitmanagement ist vermutlich alles, was das Leben ausmacht. Doch die moderne Disziplin, die als Zeitmanagement bezeichnet wird, ist – ebenso wie ihr hipper Cousin, die Produktivität – eine deprimierend kleingeistige Angelegenheit, die sich darauf konzentriert, so viele Arbeitsaufgaben wie möglich zu bewältigen, die perfekte Morgenroutine zu entwickeln, oder darauf, sonntags in einem einzigen großen Schwung sämtliche Mahlzeiten für die Woche zu kochen. Solche Dinge sind in gewissem Maße durchaus wichtig, kein Zweifel. Doch sie sind beileibe nicht alles, was zählt. Die Welt strotzt vor Wundern. Offenbar ziehen aber nur wenige Produktivitätsgurus die Möglichkeit in Betracht, dass der eigentliche Sinn all unseres hektischen Tuns darin bestehen könnte, mehr von diesen Wundern zu erleben. Außerdem scheint die Welt wie in einer Seifenkiste in Richtung Hölle zu rasen – unser bürgerliches Leben ist aus den Fugen geraten, eine Pandemie hat die Gesellschaft lahmgelegt, und der Planet wird immer heißer – also viel Glück bei der Suche nach einem Zeitmanagementsystem, das noch Raum für eine produktive Auseinandersetzung mit unseren Mitbürgern, mit aktuellen Ereignissen oder mit dem Schicksal der Umwelt lässt. Zumindest hätte man annehmen sollen, dass es eine Handvoll Bücher über Produktivität gibt, die die nackten Fakten hinsichtlich der Kürze des Lebens ernst nehmen, statt so zu tun, als könnten wir das Thema einfach ignorieren. Aber das ist nicht der Fall.

Dieses Buch ist also ein Versuch, das Gleichgewicht wiederherzustellen – und zu sehen, ob wir nicht einige Denkweisen über die Zeit entdecken oder wiedererlangen können, die unserer tatsächlichen Situation gerecht werden: der ungeheuren Kürze und den vielfältigen Möglichkeiten unserer 4000 Wochen.

Das Leben am Fließband

In gewissem Sinne muss man heutzutage natürlich niemandem mehr sagen, dass die Zeit knapp ist. Wir sind beherrscht von unseren überfüllten Posteingängen und den immer länger werdenden Aufgabenlisten, geplagt von dem schlechten Gewissen, dass wir mehr oder andere Dinge erledigen sollten oder beides. Umfragen zeigen zuverlässig, dass wir uns mehr denn je unter Zeitdruck fühlen,[5] doch im Jahre 2013 stellte ein Team niederländischer Wissenschaftler die amüsante Überlegung in den Raum, dass derartige Umfragen das Ausmaß der »Geschäftigkeits-Epidemie« unterbewerten – weil viele Menschen schlicht keine Zeit haben, an Umfragen teilzunehmen.[6] Seitdem die Gig-Economy wächst, wird Geschäftigkeit auch als »Hustle« bezeichnet – unablässige Arbeit gilt somit nicht als Last, die man erdulden muss, sondern als aufregender Lebensstil, mit dem man in den sozialen Medien angeben kann. In Wirklichkeit aber handelt es sich um dasselbe alte Problem, das lediglich auf die Spitze getrieben wurde: den Druck, immer mehr Aktivitäten in eine begrenzte Menge täglicher Zeit zu packen, die einfach nicht mehr werden will.

Dabei ist die Arbeitsbelastung eigentlich nur der Anfang. Bei genauerem Hinsehen wurzeln noch viele weitere Probleme in unserer begrenzten Zeit. Nehmen wir den täglichen Kampf gegen die Ablenkung durch das Internet und das beunruhigende Gefühl, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne so stark gesunken ist, dass selbst diejenigen unter uns, die als Kinder Bücherwürmer waren, heute Mühe haben, einen Absatz zu lesen, ohne gleich nach ihrem Handy zu greifen. Was dies letztendlich so problematisch macht, ist die Tatsache, dass wir nicht in der Lage sind, die knappe Zeit optimal zu nutzen. (Sie würden sich weniger dafür schämen, einen Vormittag auf Facebook zu verschwenden, wenn der Vorrat an Vormittagen unerschöpflich wäre.) Das Problem kann aber auch sein, dass man nicht zu viel, sondern zu wenig zu tun hat, in einem langweiligen Job versauert oder gar nicht beschäftigt ist. In diesem Fall wird die Situation durch die Kürze des Lebens noch wesentlich bedrückender, weil man die begrenzte Zeit auf eine Weise nutzt, die einem nicht behagt. Selbst einige der schlimmsten Erscheinungen unserer Zeit – etwa unsere zunehmend unreflektierte Voreingenommenheit oder Terroristen, die sich über YouTube-Videos radikalisieren – lassen sich auf Umwegen mit denselben Fakten erklären, die aus der Kürze des Lebens entstehen. Weil unsere Zeit und Aufmerksamkeit so begrenzt und damit wertvoll sind, haben die sozialen Medienunternehmen ein Interesse daran, mit allen Mitteln so viel wie möglich davon abzugreifen. Deshalb zeigen sie den Nutzern statt langweiliger und korrekter Inhalte Material, über das sie sich garantiert aufregen.[7]

Dann wären da noch die ganzen zeitlosen menschlichen Dilemmas wie die Frage, wen man heiraten, ob man Kinder haben und welcher Art von Arbeit man nachgehen soll. Stünden uns Tausende von Jahren zur Verfügung, wären solche Entscheidungen weitaus weniger quälend, da wir genügend Zeit hätten, jede Art möglicher Existenz jahrzehntelang auszuprobieren. Zudem wäre kein Katalog unserer zeitbedingten Probleme vollständig ohne die Erwähnung jenes beunruhigenden Phänomens, das allen jenseits der dreißig bestens bekannt ist: Die Zeit scheint sich mit zunehmendem Alter zu beschleunigen – und zwar so lange, bis, den Aussagen von Menschen in ihren Siebzigern und Achtzigern zufolge, die Monate in gefühlten Minuten vorbeiziehen. Man kann sich kaum etwas Grausameres vorstellen: Unsere 4000 Wochen werden nicht nur kontinuierlich weniger, sondern scheinen auch noch schneller zu vergehen, je weniger davon übrig ist.

War unser Verhältnis zu unserer begrenzten Zeit schon immer schwierig, so haben die jüngsten Ereignisse die Dinge noch weiter zugespitzt. Im Jahre 2020, als unser normaler Tagesablauf durch den Corona-Lockdown unterbrochen war, berichteten viele Menschen, sie hätten das Gefühl, die Zeit löse sich völlig auf, was zu dem verwirrenden Eindruck führte, dass ihre Tage gleichzeitig wie im Flug vergingen und sich unendlich in die Länge zogen. Die Zeit trennte uns noch mehr als zuvor: Für diejenigen, die einen Arbeitsplatz und kleine Kinder zu Hause hatten, gab es nicht genug davon; diejenigen, die in Kurzarbeit waren oder arbeitslos, hatten zu viel. Die Menschen arbeiteten zu ungewohnten Zeiten, losgelöst von den Zyklen des Tages und der Dunkelheit, kauerten zu Hause über leuchtenden Laptops oder riskierten ihr Leben in Krankenhäusern und Versandlagern. Es schien, als wäre die Zukunft aufgeschoben worden. Viele Menschen steckten, wie es ein Psychiater formulierte, »in einer neuen Form immerwährender Gegenwart« fest – einer bangen Vorhölle aus Social-Media-Scrolling, flüchtigen Zoom-Telefonaten und Schlaflosigkeit, in der es unmöglich schien, vernünftige Pläne zu schmieden oder sich das Leben über das Ende der nächsten Woche hinaus klar vorzustellen.[8]

Umso frustrierender ist es, wie schlecht wir mit unserer begrenzten Zeit umgehen – und dass unsere Bemühungen, das Beste daraus zu machen, nicht nur scheitern, sondern alles nur noch zu verschlimmern scheinen. Seit Jahren werden wir mit Ratschlägen für ein rundum optimiertes Leben überschüttet, in Büchern mit Titeln wie Extreme Productivity,Die 4-Stunden-Woche und Smarter, schneller, besser oder auf Websites voller »Life Hacks«, mit denen sich Alltagsaufgaben um ein paar Sekunden verkürzen lassen. (Man beachte die seltsame Andeutung in dem Begriff »Life Hack«, dass man sich sein Leben am besten als eine Art fehlerhafte Vorrichtung vorstellt, die modifiziert werden muss, damit sie nicht mehr suboptimal funktioniert.) Es gibt zahlreiche Apps und tragbare Geräte, mit denen man seinen Arbeitstag, sein Training und sogar seinen Schlaf optimieren kann, sowie Nahrungsergänzungsmittel wie Soylent, dank derer man keine Zeit mehr mit dem Abendessen vergeuden muss. Das Hauptverkaufsargument für Tausende weiterer Produkte und Dienstleistungen von Küchengeräten bis hin zum Onlinebanking ist, dass sie uns dabei helfen, das meiste aus unserer Zeit herauszuholen, was allgemein als wichtiges Ziel gilt.

Das Problem ist nicht unbedingt, dass solche Techniken und Produkte nicht funktionieren. Es ist vielmehr so, dass sie funktionieren – in dem Sinne, dass man mehr erledigt, zu noch mehr Meetings rennt, seine Kinder zu mehr außerschulischen Aktivitäten bringt, mehr Gewinn für seinen Arbeitgeber erwirtschaftet und sich dadurch paradoxerweise nur noch hektischer, angespannter und irgendwie leerer fühlt. In der modernen Welt, so hat der amerikanische Anthropologe Edward T. Hall einmal festgestellt, fühlt sich die Zeit wie ein unaufhaltsames Fließband an, das uns neue Aufgaben so schnell bringt, wie wir die alten abarbeiten können.[9] Wenn man »produktiver« wird, beschleunigt sich das Band nur – bis man irgendwann zusammenbricht: Es ist mittlerweile gang und gäbe, dass vor allem jüngere Erwachsene von einem tiefgreifenden, schweren Burn-out berichten, der sich dadurch auszeichnet, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind, die grundlegenden täglichen Aufgaben zu bewältigen – die lähmende Erschöpfung einer »Generation fein geschliffener Werkzeuge, die vom Embryo an als billige, willige Produktionsmaschinen geschaffen wurden«, wie es der Sozialkritiker Malcolm Harris formuliert.[10]

Das ist die irritierende Wahrheit über die Zeit, die den meisten Ratschlägen zum Umgang mit ihr fehlt. Sie ist wie ein aufmüpfiges Kleinkind: Je mehr man sich bemüht, sie zu kontrollieren, sie nach seinen Vorstellungen zu gestalten, desto mehr entgleitet sie einem. Man denke nur an die ganzen Technologien, die uns helfen sollen, die Zeit zu beherrschen: In einer Welt mit Geschirrspülern, Mikrowellen und Düsentriebwerken müsste sich die Zeit nach jeder vernünftigen Logik dank all der frei gewordenen Stunden weitläufiger und reichhaltiger anfühlen. Doch niemand macht diese Erfahrung tatsächlich. Stattdessen beschleunigt sich das Leben, und alle werden ungeduldiger. Es ist in gewisser Weise viel ärgerlicher, zwei Minuten auf die Mikrowelle zu warten als zwei Stunden auf den Ofen oder zehn Sekunden auf eine langsam ladende Webseite als drei Tage, um dieselben Informationen per Post zu erhalten.

Dasselbe selbstzerstörerische Muster zeigt sich in vielen unserer Versuche, bei der Arbeit produktiver zu werden. Vor einigen Jahren, als ich förmlich in E-Mails erstickte, richtete ich erfolgreich das System »Inbox Zero« ein, stellte jedoch bald fest, dass, wenn man bei der Beantwortung von E-Mails sehr effizient wird, man nur noch mehr E-Mails erhält. Durch die vielen Mails hatte ich das Gefühl, noch mehr zu tun zu haben – und kaufte mir das Buch Wie ich die Dinge geregelt kriege von Zeitmanagementguru David Allen, verführt von seinem Versprechen, dass es einem Menschen möglich sei, »eine erdrückende Anzahl von Dingen zu bewältigen« und trotzdem mit klarem Kopf und, wie die Kampfsportler sagen, einem »Geist wie Wasser« produktiv zu arbeiten.[11] Allerdings entging mir der tiefere Sinn hinter Allens Ausführungen – dass es nämlich immer zu viel zu tun geben wird –, also machte ich mich stattdessen daran, ein unmögliches Pensum zu erledigen. Tatsächlich gelang es mir immer besser, meine Aufgabenliste abzuarbeiten, nur um festzustellen, dass wie von Zauberhand immer größere Mengen an Arbeit hinzukamen. (Eigentlich ist es keine Hexerei, sondern simple Psychologie, gepaart mit Kapitalismus. Doch dazu später mehr.)

Nichts von alledem ist so, wie man sich die Zukunft einst vorstellte. Im Jahre 1930 traf der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes in einer Rede mit dem Titel »Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder« eine berühmte Vorhersage: Innerhalb eines Jahrhunderts müsse dank des wachsenden Wohlstands und des technischen Fortschritts niemand mehr als etwa 15 Stunden pro Woche arbeiten. Die Herausforderung bestehe vielmehr darin, die neu gewonnene Freizeit zu füllen, ohne wahnsinnig zu werden. »Zum ersten Mal seit seiner Erschaffung«, verkündete Keynes seinen Zuhörern, »wird der Mensch mit seinem wirklichen, seinem ständigen Problem konfrontiert sein – wie er seine Freiheit von drängenden wirtschaftlichen Sorgen nutzen kann.«[12] Aber Keynes hatte unrecht. Es stellte sich heraus, dass die Menschen, wenn sie genug Geld verdienen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nur neue Dinge finden, die sie brauchen, und neue Lebensstile, die sie anstreben; sie schaffen es nie ganz, mit den Nachbarn gleichzuziehen, denn immer, wenn sie Gefahr laufen, dies zu erreichen, suchen sie sich neue und bessere Nachbarn, mit denen sie wetteifern können. Infolgedessen arbeiten sie immer härter, und schon bald wird Geschäftigkeit zu einem Zeichen von Prestige. Was natürlich völlig absurd ist: In der Geschichte bestand der Sinn des Reichtums fast immer darin, möglichst wenig arbeiten zu müssen. Obendrein ist die Geschäftigkeit der Bessergestellten infektiös, denn ein äußerst wirksames Mittel, mehr Geld zu verdienen, besteht für die Spitzenkräfte darin, die Kosten zu senken und die Effizienz in ihren Unternehmen und Branchen zu verbessern. Das bedeutet eine größere Unsicherheit für die unteren Schichten, die dann gezwungen sind, härter zu arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Wenn man die falschen Dinge geregelt bekommt

Hier kommen wir nun zum Kern der Sache, zu einem Gefühl, das tiefer geht und das sich schwerer in Worte fassen lässt: das Gefühl, dass trotz all dieser Aktivitäten selbst die relativ Privilegierten unter uns nur selten dazu kommen, die richtigen Dinge zu tun. Wir spüren, dass es wichtige und erfüllende Möglichkeiten gibt, wie wir unsere Zeit verbringen könnten, auch wenn wir nicht genau sagen können, welche das sind – und doch verbringen wir unsere Tage systematisch mit anderen Dingen. Diese Sehnsucht nach mehr Sinn kann viele Formen annehmen: Sie äußert sich zum Beispiel in dem Wunsch, sich einer größeren Sache zu widmen, in der Ahnung, dass dieser besondere Moment in der Geschichte mit all seinen Krisen und Leiden mehr von uns verlangen könnte als das übliche Konsumieren und Ausgeben. Sie steckt auch in der Frustration darüber, einen normalen Job ausüben zu müssen, nur um etwas Zeit für die Dinge zu haben, die man gern tut, oder in dem simplen Wunsch, mehr von der kurzen Zeit, die einem auf Erden vergönnt ist, mit seinen Kindern oder in der Natur zu verbringen, oder wenigstens nicht zu pendeln. Der Umweltschützer und spirituelle Schriftsteller Charles Eisenstein erinnert sich, dass er diese grundlegende »Verkehrtheit« in unserem Umgang mit der Zeit zum ersten Mal als Kind spürte, als er im Amerika der 1970er-Jahre inmitten von materiellem Komfort aufwuchs:

Das Leben, so wusste ich, sollte fröhlicher sein als das hier, realer, bedeutungsvoller, und die Welt sollte schöner sein. Es war nicht vorgesehen, dass wir den Montag hassen und nur für die Wochenenden und Feiertage leben. Wir sollten nicht die Hand heben müssen, um auf die Toilette gehen zu dürfen. Wir sollten an einem schönen Tag nicht drinnen bleiben müssen, Tag für Tag.[13]

 

Dieses Gefühl der Verkehrtheit wird durch unsere Versuche, produktiver zu werden, nur noch verstärkt, denn dadurch werden die wirklich wichtigen Dinge immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Wir verbringen unsere Tage damit, Aufgaben zu »erledigen«, um sie »abzuarbeiten«, mit dem Ergebnis, dass wir gedanklich in der Zukunft leben und darauf warten, wann wir endlich zu dem kommen, was wirklich wichtig ist – und uns unterdessen darum sorgen, dass wir nicht mithalten können, dass uns vielleicht der Antrieb oder das Durchhaltevermögen fehlt, um mit der Geschwindigkeit Schritt zu halten, mit der sich das Leben jetzt zu bewegen scheint. »Der Zeitgeist ist von freudloser Dringlichkeit«, schreibt die Essayistin Marilynne Robinson, die feststellt, dass viele Menschen ihr Leben damit verbringen, »sich und ihre Kinder darauf vorzubereiten, Mittel für unergründliche Ziele zu sein, die ganz und gar nicht unsere eigenen sind.«[14] Unser Bestreben, immer auf dem neuesten Stand zu sein, mag jemandes Interessen dienen; länger zu arbeiten und mit dem zusätzlichen Einkommen mehr Konsumgüter zu kaufen macht uns zu besseren Rädchen in der Wirtschaftsmaschine. Aber es führt nicht zu Seelenfrieden oder dazu, dass wir mehr von unserer begrenzten Zeit für die Menschen und Dinge aufwenden können, die uns selbst am meisten am Herzen liegen.

4000 Wochen ist ein weiteres Buch über die optimale Nutzung unserer Zeit. Doch ist es in der Überzeugung geschrieben, dass das Zeitmanagement, wie wir es kennen, kläglich gescheitert ist, und dass wir aufhören müssen, uns etwas anderes vorzumachen. Dieser seltsame Moment in der Geschichte, in dem sich die Zeit so entgrenzt anfühlt, könnte tatsächlich die ideale Gelegenheit sein, unser Verhältnis zu ihr neu zu überdenken. Frühere Denker haben sich diesen Herausforderungen bereits gestellt, und wenn man ihre Erkenntnisse auf die heutige Zeit anwendet, werden bestimmte Wahrheiten immer deutlicher. Produktivität ist eine Falle. Wenn man immer effizienter wird, hat man es nur noch eiliger, und wenn man versucht, »klar Schiff« zu machen, entsteht nur schneller neue Unordnung. Niemand in der Geschichte der Menschheit hat jemals eine »Work-Life-Balance« erreicht, was auch immer das sein mag, und es gelingt auch ganz sicher nicht dadurch, dass man die »sechs Dinge, die erfolgreiche Menschen vor 7 Uhr morgens tun«, übernimmt. Es wird nie der Tag kommen, an dem man endlich alles im Griff hat – an dem die E-Mail-Flut eingedämmt ist, die To-do-Listen nicht mehr länger werden, man allen Verpflichtungen im Beruf und im Privatleben nachkommt, einem niemand mehr böse ist, weil man eine Frist verpasst oder einen Fehler gemacht hat – und man sich als voll optimierter Mensch endlich den Dingen zuwenden kann, um die es im Leben eigentlich geht. Geben wir uns zunächst einmal geschlagen: Nichts davon wird jemals eintreten.

Und wissen Sie was? Das sind ausgezeichnete Neuigkeiten.

Teil I

Die Entscheidung, sich zu entscheiden

1 Die Begrenztheit des Lebens akzeptieren

Das eigentliche Problem ist nicht unsere begrenzte Zeit. Das eigentliche Problem – jedenfalls hoffe ich, Sie davon überzeugen zu können – besteht darin, dass wir unwissentlich eine Reihe problematischer Vorstellungen davon übernommen haben, wie wir unsere begrenzte Zeit nutzen sollten, und dass wir uns unter Druck gesetzt fühlen, nach diesen Vorstellungen zu leben, obwohl dadurch mit ziemlicher Sicherheit alles nur noch schlimmer wird. Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte und wie wir ein besseres Verhältnis zur Zeit gewinnen können, müssen wir die Uhr zurückdrehen – in die Zeit, als es noch keine Uhren gab.

Alles in allem muss man dankbar sein, dass man nicht als Bauer im England des frühen Mittelalters geboren wurde. Zunächst einmal wäre es viel unwahrscheinlicher gewesen, dass man das Erwachsenenalter erreicht hätte; aber selbst wenn man es geschafft hätte, wäre das Leben, das vor einem gelegen hätte, von Knechtschaft geprägt gewesen. Man hätte seine mühsamen Tage damit verbracht, das Land zu bewirtschaften, auf dem man mit Erlaubnis des örtlichen Grundherrn leben durfte, und ihm dafür einen erdrückenden Anteil an den Erträgen oder den daraus erzielten Einkünften abgetreten. Auch die Kirche hätte regelmäßige Abgaben verlangt, und man hätte viel zu große Angst vor der ewigen Verdammnis gehabt, um sich zu widersetzen. Nachts hätte man sich in seine Einzimmerhütte zurückgezogen, nicht nur mit dem Rest der Familie (die sich, wie man selbst, selten gebadet oder die Zähne geputzt hätte), sondern auch mit den Schweinen und Hühnern, die man nachts ins Haus brachte; Bären und Wölfe streiften noch immer durch die Wälder und holten sich die Tiere, die nach Sonnenuntergang draußen blieben. Seuchen waren ein weiterer ständiger Begleiter: Die bekannten Krankheiten reichten von Masern und Grippe bis hin zu Beulenpest und Antoniusfeuer, einer durch verschimmeltes Getreide verursachten Lebensmittelvergiftung, bei der die Betroffenen im Delirium das Gefühl hatten, dass ihre Haut verbrannte oder sie von unsichtbaren Zähnen gebissen wurden.[15]

Die Zeit, bevor es Zeitpläne gab

Bestimmte Probleme hätte man jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht gehabt: Zeitprobleme. Selbst an den anstrengendsten Tagen wäre einem vermutlich nicht in den Sinn gekommen, dass man »zu viel zu tun« hat, dass man sich beeilen muss oder dass das Leben zu schnell verläuft, geschweige denn, dass man die Work-Life-Balance falsch eingeschätzt hat. Umgekehrt hätte man sich an ruhigeren Tagen nie gelangweilt. Und obwohl der Tod ein ständiger Begleiter war und das Leben weitaus häufiger verfrüht endete als heute, hätte man nicht das Gefühl gehabt, die Zeit sei knapp bemessen. Man hätte keinen Druck verspürt, Wege zu finden, sie zu »sparen«. Man hätte sich auch nicht schuldig gefühlt, wenn man sie vergeudet hätte: Wenn man am Nachmittag eine Pause vom Getreidedreschen gemacht hätte, um sich einen Hahnenkampf auf dem Dorfanger anzusehen, hätte man sich nicht als Drückeberger während der »Arbeitszeit« gefühlt. Das lag nicht daran, dass damals alles langsamer ging, dass die mittelalterlichen Bauern entspannter waren oder sich eher in ihr Schicksal fügten. Es lag daran, dass sie, soweit wir wissen, die Zeit insgesamt nicht als abstraktes Gebilde – als Ding – empfanden.

Wenn das verwirrend klingt, dann deshalb, weil unser moderner Zeitbegriff so tief verwurzelt ist, dass wir vergessen, dass es sich dabei eigentlich um eine Denkweise handelt; wir sind wie die sprichwörtlichen Fische, die keine Ahnung haben, was Wasser ist, weil es sie vollständig umgibt. Mit etwas gedanklichem Abstand erscheint unsere Perspektive jedoch recht sonderbar. Wir stellen uns die Zeit als etwas vor, das von uns und der Welt um uns herum getrennt ist, »eine unabhängige Welt mathematisch messbarer Sequenzen«, wie es der amerikanische Kulturkritiker Lewis Mumford formulierte.[16] Um zu verstehen, was er damit meint, denke man an eine zeitbezogene Frage – zum Beispiel, wie man den morgigen Nachmittag gestalten will oder was man im letzten Jahr erreicht hat. Ohne dass es einem anfangs bewusst ist, stellt man sich wahrscheinlich einen Kalender, einen Zollstock, ein Maßband, die Zahlen auf einem Ziffernblatt oder irgendeine andere abstrakte Zeitleiste vor. Dann misst man sein reales Leben an diesem imaginären Maßstab, indem man seine Aktivitäten mit dem Zeitstrahl im Kopf abgleicht. Edward T. Hall hat mit seinem Bild von der Zeit als Fließband, das ständig an uns vorbeizieht, denselben Punkt angesprochen. Jede Stunde, jede Woche oder jedes Jahr ist wie ein Behälter, der auf dem Band transportiert wird und den wir füllen müssen, wenn wir das Gefühl haben wollen, unsere Zeit gut zu nutzen. Wenn es zu viele Aktivitäten gibt, die nicht bequem in die Behälter passen, empfinden wir Stress; wenn es zu wenige sind, langweilen wir uns. Wenn wir mit den vorbeiziehenden Behältern Schritt halten, beglückwünschen wir uns dazu, dass wir »auf dem Laufenden sind«, und haben das Gefühl, unsere Existenz zu rechtfertigen; wenn wir zu viele Behälter ungefüllt vorüberziehen lassen, glauben wir, dass wir sie vergeudet haben. Wenn wir Behälter mit der Aufschrift »Arbeitszeit« für Freizeitzwecke verwenden, könnte unser Arbeitgeber verärgert sein. (Er hat für diese Behälter bezahlt; sie gehören ihm!)

Für die mittelalterlichen Bauern gab es schlicht keinen Grund für eine derart abwegige Vorstellung. Bei Sonnenaufgang standen sie auf, und wenn die Dämmerung hereinbrach, legten sie sich schlafen. Die Länge ihrer Tage hing von den Jahreszeiten ab. Es bestand keine Notwendigkeit, die Zeit als etwas Abstraktes und vom Leben Getrenntes zu betrachten: Man melkte die Kühe, wenn sie gemolken werden mussten, und erntete das Getreide, wenn Erntezeit war, und jeder, der versucht hätte, irgendetwas davon einem äußeren Zeitplan zu unterwerfen – zum Beispiel, indem er probiert hätte, das Melken eines Monats an einem einzigen Tag zu erledigen oder die Ernte vorzuverlegen –, wäre zu Recht für verrückt erklärt worden. Es bestand auch nicht der Zwang, »alles zu bewältigen«, denn die Arbeit eines Bauern endet nie: Es wird immer wieder ein nächstes Melken und eine nächste Ernte geben, sodass es gar keinen Sinn hat, auf einen hypothetischen Zeitpunkt der Vollendung hinzuarbeiten. Historiker nennen diese Art zu leben »Aufgabenorientierung«, weil sich der Lebensrhythmus organisch aus den Aufgaben selbst ergibt und nicht aus einer abstrakten Zeitachse, wie es uns heute zur zweiten Natur geworden ist. (Es ist verlockend, sich das mittelalterliche Leben als langsam vorzustellen, doch trifft eher zu, dass das Konzept des »langsamen« Lebens den meisten Menschen damals sinnlos erschienen wäre. Langsam im Vergleich wozu?) Wenn man in der Zeit vor den Uhren erklären wollte, wie lange etwas dauerte, konnte man es nur mit einer konkreten anderen Tätigkeit vergleichen. Im Mittelalter sprach man etwa von einer »Miserere whyle« – der ungefähren Zeit, die man brauchte, um Psalm 50, das sogenannte Miserere, aus der Bibel zu rezitieren – oder alternativ von einer »pissing whyle«, was wohl keiner weiteren Erklärung bedarf.[17]

Man kann sich durchaus vorstellen, dass diese Lebensweise als weitläufig und fließend empfunden wurde, durchdrungen von etwas, das man ohne Übertreibung als eine Art Magie bezeichnen kann. Trotz der vielen realen Entbehrungen ihres Daseins könnten unsere Bauern in der Welt um sie herum eine strahlende, Ehrfurcht gebietende Dimension gespürt haben. Unbeeindruckt von der Vorstellung, dass die Zeit »abläuft«, erlebten sie möglicherweise ein gesteigertes Bewusstsein für die Lebendigkeit der Dinge – das Gefühl der Zeitlosigkeit, das der Franziskanerpater und Autor Richard Rohr »Leben in tiefer Zeit« nennt.[18] In der Abenddämmerung vernahmen die mittelalterlichen Landbewohner vielleicht das Flüstern der Geister im Wald, zusammen mit den Bären und Wölfen; beim Pflügen der Felder fühlten sie sich vielleicht als winziger Teil einer alles umfassenden Geschichte, in der ihre entfernten Vorfahren für sie fast so lebendig waren wie ihre eigenen Kinder. Das alles lässt sich mit einiger Gewissheit behaupten, weil wir bis heute gelegentlich auf Inseln tiefer Zeit stoßen – in jenen Momenten, in denen wir, um den Schriftsteller Gary Eberle zu zitieren, »in ein Reich gleiten, in dem es genug von allem gibt, in dem wir nicht versuchen, eine Leere in uns selbst oder in der Welt zu füllen«.[19] Die Grenze zwischen dem Selbst und dem Rest der Wirklichkeit verschwimmt, und die Zeit steht still. »Die Uhr bleibt natürlich nicht stehen«, schreibt Eberle, »aber wir hören sie nicht ticken.«[20] Bei manchen Menschen geschieht dies im Gebet, in der Meditation oder bei der Betrachtung herrlicher Landschaften; ich bin mir ziemlich sicher, dass mein kleiner Sohn seine gesamte Kindheit in einem solchen Zustand verbracht hat und ihn erst jetzt langsam verlässt. (Solange wir sie nicht an einen Zeitplan gewöhnen, sind Babys die ultimativen rein »aufgabenorientierten« Wesen, was zusammen mit dem Schlafmangel die Andersartigkeit der ersten Monate mit einem Neugeborenen erklären mag: Man wird aus der Zeit der Uhr in die tiefe Zeit gezogen, ob man will oder nicht.) Der Schweizer Psychologe Carl Jung, der 1925 Kenia besuchte, machte sich im ersten Licht der Morgendämmerung auf eine Wanderung, als auch er plötzlich in die Zeitlosigkeit eintauchte:

Auf einem niedrigen Hügel in dieser weiten Savanne erwartete uns eine Aussicht sondergleichen. Bis an den fernsten Horizont sahen wir riesige Tierherden: Gazellen, Antilopen, Gnus, Zebras, Warzenschweine usw. Langsam strömend, grasend, die Köpfe nickend bewegten sich die Herden – kaum dass man den melancholischen Laut eines Raubvogels vernahm. Es war die Stille des ewigen Anfangs, die Welt, wie sie immer schon gewesen, im Zustand des Nicht-Seins … Ich entfernte mich von meinen Begleitern, bis ich sie nicht mehr sah und das Gefühl hatte, allein zu sein.[21]

Das Ende der Ewigkeit

Allerdings hat es einen großen Nachteil, wenn man der abstrakten Zeitvorstellung derart geringe Beachtung schenkt: Die Möglichkeiten, etwas zu erreichen, sind erheblich eingeschränkt. Man kann ein Kleinbauer sein, der sich bei seinem Zeitplan nach den Jahreszeiten richtet, aber man kann auch nicht viel mehr sein als ein Kleinbauer (oder ein Baby). Sobald man die Aktivitäten von mehr als einer Handvoll Menschen koordinieren will, braucht man eine zuverlässige, verbindliche Methode zur Zeitmessung. Es wird allgemein angenommen, dass die ersten mechanischen Uhren von mittelalterlichen Mönchen erfunden wurden, die mit ihren Morgengebeten beginnen mussten, während es noch dunkel war, und eine Möglichkeit suchten, das gesamte Kloster zum gewünschten Zeitpunkt zu wecken. (Eine frühere Strategie war, dass ein Mönch die ganze Nacht wach blieb und die Bewegungen der Sterne verfolgte; ein System, das nur funktionierte, wenn es nicht bewölkt war und der Mönch, der die Nachtschicht übernahm, nicht einnickte.) Wenn die Zeit auf diese Weise standardisiert und sichtbar gemacht wird, führt das unweigerlich dazu, dass die Menschen sie als etwas Abstraktes betrachten – mit einer eigenständigen Existenz, die von den konkreten Aktivitäten getrennt ist, mit denen man seine Zeit verbringt. »Zeit« ist das, was tickt, während sich die Zeiger um das Ziffernblatt der Uhr bewegen. Die Industrielle Revolution wird in der Regel auf die Erfindung der Dampfmaschine zurückgeführt, aber wie Lewis Mumford in seinem 1934 erschienenen Werk Technics and Civilization aufzeigt, wäre sie ohne die Uhr wahrscheinlich auch nicht möglich gewesen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts strömten die Bauern vom Land in die englischen Städte und nahmen Arbeit in Werken und Fabriken an, in denen jeweils Hunderte von Menschen mit festen Arbeitszeiten, nicht selten sechs Tage die Woche, koordiniert werden mussten, um die Maschinen am Laufen zu halten.

Wenn man abstrakt über Zeit nachdenkt, liegt es nahe, sie als Ressource zu betrachten, als etwas, das gekauft und verkauft und so effizient wie möglich genutzt werden muss, wie Kohle oder Eisen oder jeder andere Rohstoff. Früher wurden die Arbeiter für eine vage definierte »Tagesarbeit« oder im Akkord bezahlt und erhielten einen bestimmten Betrag pro Heuballen oder pro geschlachtetes Schwein. Im Laufe der Zeit wurde es jedoch zunehmend üblich, nach Stunden bezahlt zu werden, und der Fabrikbesitzer, der die Arbeitszeit seiner Arbeiter effizient nutzte, indem er so viel Arbeit wie möglich aus jedem Beschäftigten herausholte, konnte einen größeren Gewinn erzielen als derjenige, der dies nicht tat. Tatsächlich befanden manche streitsüchtigen Unternehmer, dass Arbeiter, die sich nicht genügend anstrengten, buchstäblich des Diebstahls schuldig seien. »Ich bin von etlichen Leuten furchtbar betrogen worden«, schimpfte der Eisenmagnat Ambrose Crowley aus der englischen Grafschaft Durham in einem Memo aus den 1790er-Jahren, in dem er seine neue Politik des Lohnabzugs für die Zeit ankündigte, die mit »Rauchen, Singen, Lesen von Zeitungsberichten, Streit, Disputen, allem, was meinem Geschäft fremd ist«, oder »Herumlungern« verbracht wurde.[22] Nach Crowleys Ansicht waren seine untätigen Angestellten Diebe, die sich widerrechtlich an den vorbeilaufenden Behältern vom Fließband bedienten.

Man darf nicht glauben, wie Mumford bisweilen anzudeuten scheint, dass die Erfindung der Uhr die alleinige Wurzel all unserer modernen Zeitprobleme ist. (Ich werde auch bestimmt nicht für eine Rückkehr zum Lebensstil der mittelalterlichen Bauern plädieren.) Aber es wurde eine Schwelle überschritten. Vorher war die Zeit nur das Medium, in dem sich das Leben entfaltete, der Stoff, aus dem das Leben gemacht war. Nachdem »Zeit« und »Leben« in den Köpfen der meisten Menschen getrennt worden waren, wurde die Zeit zu einem Gut, das man nutzte – und diese Veränderung bildete die Grundlage für all die typisch modernen Erscheinungen, wie wir heute mit der Zeit zu kämpfen haben. Sobald die Zeit eine Ressource ist, die man nutzen muss, verspürt man den äußeren oder inneren Zwang, sie gut zu nutzen, und tadelt sich selbst, wenn man meint, sie vergeudet zu haben. Wenn man sich zu vielen Anforderungen gegenübersieht, geht man leicht davon aus, dass die einzige Antwort darin bestehen muss, die Zeit besser zu nutzen, indem man effizienter wird, sich mehr anstrengt oder länger arbeitet – als wäre man eine Maschine –, anstatt sich zu fragen, ob die Anforderungen selbst vielleicht unangemessen sind. Die Verlockung ist groß, Multitasking zu betreiben, d. h. dieselbe Zeit für zwei Aufgaben gleichzeitig zu nutzen, wie der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche als einer der Ersten feststellte: »Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, den Blick auf die Börsenzeitung gerichtet«, beklagte er 1887 in einem Aufsatz.[23] Außerdem projiziert man seine Gedanken über das eigene Leben zunehmend intuitiv in eine imaginäre Zukunft, sodass man sich besorgt fragt, ob sich die Dinge so entwickeln werden, wie man sie sich wünscht. Bald ist das Selbstwertgefühl völlig davon abhängig, wie man die Zeit nutzt: Sie ist nicht mehr nur das Wasser, in dem man schwimmt, sondern wird zu etwas, das man beherrschen oder kontrollieren muss, um sich nicht schuldig, panisch oder überfordert zu fühlen. Der Titel eines Buches, das neulich auf meinem Schreibtisch lag, fasst die Dinge gut zusammen: Master Your Time, Master Your Life.[24]

Das Grundproblem besteht darin, dass diese Einstellung zur Zeit ein abgekartetes Spiel ist, bei dem man niemals das Gefühl haben kann, gut genug zu sein. Anstatt unser Leben einfach so zu leben, wie es sich in der Zeit entfaltet – einfach nur zu sein, könnte man sagen –, wird es schwierig, nicht jeden Moment in erster Linie nach seinem Nutzen für ein zukünftiges Ziel zu bewerten oder für eine zukünftige Oase der Entspannung, die man zu erreichen hofft, wenn sämtliche Aufgaben endlich »erledigt« sind. Oberflächlich betrachtet erscheint dies als vernünftige Art zu leben, vor allem in einem hyperkompetitiven Wirtschaftsklima, in dem man das Gefühl hat, ständig seine Zeit so sinnvoll wie möglich nutzen zu müssen. (Es spiegelt auch die Art und Weise wider, in der die meisten von uns erzogen wurden: künftige Vorteile über gegenwärtige Freuden zu stellen.) Letztendlich aber geht das nach hinten los. Es reißt uns aus der Gegenwart und führt zu einem Leben, in dem wir ständig in die Zukunft blicken, uns Sorgen machen, ob alles gut gehen wird, und alles im Hinblick auf einen späteren, erhofften Nutzen erleben, sodass wir nie ganz zur Ruhe kommen. Und das macht es fast unmöglich, »tiefe Zeit« zu erfahren, jenes Gefühl von zeitloser Zeit, das darauf beruht, den abstrakten Maßstab zu vergessen und stattdessen wieder in die Lebendigkeit der Realität einzutauchen.

In dem Maße, in dem sich diese moderne Denkweise durchsetzte, so heißt es bei Mumford, »diente die Ewigkeit allmählich nicht mehr als Maßstab und Mittelpunkt menschlichen Handelns«.[25] An ihre Stelle traten die Diktatur der Uhr, des Zeitplans und der Google-Kalender-Benachrichtigung, Marilynne Robinsons »freudlose Dringlichkeit« und das ständige Gefühl, dass man eigentlich mehr erledigen müsste. Das Problem bei dem Versuch, die Zeit zu beherrschen, besteht darin, dass man am Ende von der Zeit beherrscht wird.

Bekenntnisse eines Produktivitätsfreaks

Dieses Buch widmet sich der Erkundung einer vernünftigeren Art, mit der Zeit umzugehen, und bietet dazu einen Werkzeugkasten mit praktischen Gedanken von Philosophen, Psychologen und spirituellen Lehrern, die alle den Kampf um die Beherrschung der Zeit abgelehnt haben. Ich glaube, dass damit ein Leben skizziert wird, das weitaus friedlicher und sinnvoller ist – und das, wie sich herausgestellt hat, langfristig auch eine nachhaltigere Produktivität ermöglicht. Doch verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe jahrelang versucht, Herr über meine Zeit zu werden, und bin dabei gescheitert. Tatsächlich waren die Symptome bei der Subspezies, zu der ich gehörte, besonders eklatant. Ich war ein »Produktivitätsfreak«. Sie wissen bestimmt, dass es Menschen gibt, die sich für Bodybuilding, Mode, Klettern oder Poesie begeistern. Produktivitätsfanatiker streichen mit Leidenschaft Punkte von ihrer Aufgabenliste. Es ist also in etwa dasselbe, nur unendlich trauriger.