50 Jahre Abenteuer - Christiane Wahle - E-Book

50 Jahre Abenteuer E-Book

Christiane Wahle

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Beschreibung

In ihren Memoiren erzählt Christiane von der wilden Fahrt durch die ersten fünfzig Jahre ihres Lebens. In ihren Zwanzigern war sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau, später eine respektable Designerin für tragbare Mode und Taschen. Auf ihren abenteuerlichen Reisen durch verschiedene Länder, u.a. durch die USA, Mexiko, Algerien und Marokko, fand Christiane die Liebe, lebte in fremden Kulturen, erfuhr kuriose Dinge und begegnete zahlreichen wunderbaren Menschen. Dabei kreuzten sich ihre Wege mit etlichen Berühmtheiten. Zwischendurch besuchte Christiane West-Australien, lernte Ukulele spielen auf Hawaii, umsegelte die British Virgin Islands und durchquerte die Sahara. Es ist die außergewöhnliche und wahre Geschichte einer unerschrockenen Frau, die immer die Freiheit und das Abenteuer gesucht hat, mit allen Höhen und Tiefen. Das Glück war stets auf ihrer Seite, und so hat Christiane auf ihrer Odyssee das Leben bis zum Äußersten ausgekostet.

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Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Liebe,

Lache,

Weine,

Trau dich,

Fühle,

ALLES!

Für mein Mutschekiepchen

INHALT

1. Reise meines Lebens

2. Wie ich das Reisen lieben lernte

3. Alger la Blanche

4. Turbulente Jahre

5. Die Alleinreisende

6. New York City

7. Greyhound

8. Go West

9. The right Turn

10. Taos

11. Follow me

12. California – here we come

13. Der Weg ist das Ziel

14. Indianerland

15. Fishing

16. Sightseeing

17. Earthship

18. MorningRain

19. Fourtyniner und Georgia

20. Germany

21. Home is where the Heart is

22. San Geronimo Fest

23. Traditionen

24. Hochzeit und Geburt

25. Der allerschönste Platz auf Erden

26. Kinder und weitere Lieblinge

27. Kuriose Erlebnisse

28. TAOS my Home

29. Kiva-Nächte

30. Der heilige Blue Lake

31. Umzug in die Stadt

32. Der Peyote-Weg

33. Auf dem Kriegspfad

34. Ein langer Weg zurück

35. …kommt von irgendwo ein Lichtlein her…

36. Und noch mehr Licht

37. Ab in die Wüste

38. Der türkisfarbene Turban und ein Überfall

39. Tam und Dadi

40. Meer ohne Wasser

41. Ouaga und Mopti

42. Bamako und Abidjan

43. Neue Freunde

44. Umzug nach Santa Fé

45. Mein neues Leben

46. Harry

47. Letzte Monate in Santa Fé

48. Follow your Dreams

49. Marrakesch

50. Ouarzazate

51. Abdel

52. Meine marokkanische Familie

53. Dinge überschlugen sich

54. Was danach geschah

1. Reise meines Lebens

Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.

Jean Paul (1763-1825)

Wenn ich mal alt bin – so hatte ich es mir immer vorgestellt – werde ich in einem knarzigen Schaukelstuhl sitzen und mich in Gedanken auf eine Reise durch mein Leben begeben. Nun sitze ich hier in meinem knallroten Ohrensessel von Ikea, nippe an einem Martini Fiero und ziehe das endlich durch.

In meinem Inneren tut sich ein Brunnen von Gefühlen auf, und ich flenne Freudentränen über die Geschenke meines Lebens: LIEBE, GUTE FREUNDE, GLÜCK, REISEN, FREIHEIT, ABENTEUER und GESUNDHEIT.

1950, mit 10 ½ Pfund in Braunschweig auf die Welt gekommen, Augen zu gequollen, dunkle Haut und schwarze Locken, wurde ich Joe Louis genannt. Von da an habe ich mich wie der Box-Weltmeister auf leichten Füßen, trotz heftiger Widerstände und Tiefschläge, durchs Leben geboxt.

Beide Eltern, meine Mutter war Stenotypistin und mein Vater Ingenieur, arbeiteten ganztags. Mein Bruder und meine Schwester, zehn Jahre älter als ich, waren kaum anwesend und heirateten früh. Mein Bruder wanderte sechsundzwanzigjährig mit Frau und Kind nach Australien aus. Meine Schwester zog in die Schweiz. Ich wurde von zwei Patentanten gehütet. Meine Taufe fand in der St. Michaelis Kirche statt, die von den Erbauern „den Reisenden und Heimatlosen“ gewidmet worden war.

Wenn das man kein Omen bedeutete…

Ab dem siebten Lebensjahr baumelte ein Schlüssel um meinen Hals. Er gab mir das erste Gefühl von FREIHEIT und Grenzenlosigkeit. Mark Twain‘s Tom Sawyer und Huckleberry Finn, ebenso Mecki‘s Abenteuer waren die Zündung für meine Unternehmungen. Wen wundert‘s, dass ich herumstreunte, oft mit Jungs aus der Nachbarschaft, und mich neugierig auf eigene Entdeckungsreisen begab?

Als Mutprobe klaute ich mal ne Zitrone, mein schlimmstes Vergehen! Das wurde in der Schule gemeldet, und ich wurde „schwer“ bestraft.

Wenn meine Mutter mich dann mit dem Teppichklopfer „verkloppen“ wollte, stellte mein Vater sich schützend vor mich und meinte: „Lasse doch!“. Man sagte daher: ich sei mit „Lasse doch!“ großgeworden. Tagelang strich ich an einem Roma-Camp vorbei, in der Hoffnung, sie würden mich mitnehmen, wovor meine Mutter mich eindringlich gewarnt hatte. Dort gab es obendrein Tiere, die ich nicht haben durfte.

Später trieb ich mich auf dem „Rummel“ herum, fuhr Tunnelbahn und Auto-Skooter, wobei ich mir mal das Handgelenk brach. Das Geld für die Vergnügungen verdiente ich mit dem Pfand von Flaschen, die gegenüber im Eintracht-Stadion unter die offenen Tribünen fortgeworfen wurden.

In der Innenstadt von Braunschweig gab es eine Eis-Diele „Tante Puttchen“. Für die Besitzer, ein älteres Ehepaar, erledigte ich Einkäufe und bekam dafür leckeres Eis oder Cola. Ich liebte den kleinen, verqualmten Laden, denn er war immer voll von Jugendlichen, und aus der Juke-Box tönten die neuesten Hits. Vorm nachhause gehen staubte ich eine Zigarette ab, um sie hinter einem Gebüsch im Park heimlich zu rauchen. Wie kindisch war das denn?

Eine Zeit lang schwärmte ich für Rasputin und den Torero EL Cordobés. Damals trug ich ausschließlich „501“ Lewis, Nyletest-Hemden und Club-Blazer. Im Fernseher schaute ich am liebsten Western-Filme an und hing gebannt vor dem Musikladen. Natürlich sang ich – wie alle - mit einer Haarbürste als Mikrofon sämtliche Hits mit.

Ich liebte es, mit meinem Vater schwimmen zu gehen. Sonntags schickte meine Mutter uns ins Kino, während sie kochte oder in der Eckkneipe „Preisskat kloppte“.

Meine Mutter festigte zudem den Glauben in mir, immer GLÜCK zu haben. Stets durfte ich auf dem Rummel für die ganze Familie die Lose ziehen, weil angeblich nur ich das Glück gepachtet hatte. Bei ihren Zigarettenpausen auf Reisen sollte ich vierblättrigen Klee suchen. Noch heute tauchen immer wieder gepresste Zeugnisse meiner erfolgreichen Erkundungen in Büchern auf.

Bis dato habe ich viel gewonnen: unzählige CDs und Konzertkarten, u.a. für UB40, Michael-Jackson, Katzenjammer, James Morrison, Juanes, Mighty Oaks, Wincent Weiss, Sasha und Roger Cicero.

Ich war bei Günther Jauch (Wer wird Millionär), bei Alexander Bommes (Gefragt/Gejagt), habe bei “99 - Wer schlägt sie alle?“ mit „SchmiSo“ mitgespielt und wurde zu Reise-Reportagen eingeladen.

Wildfremde Mädchen nahmen mich umsonst mit in eine ausverkaufte Show in der „Großen Freiheit 36“ auf der Reeperbahn, wo Matthias Reim ein bombastisches Spektakel abzog.

Auf Sylt ließ mich eine ältere, einheimische Dame kostenlos in ihrem Haus wohnen, solange ich mochte.

Mein Spielerglück hat sich mehrmals deutlich in Las Vegas und in Baden-Baden gezeigt, und ein Lottogewinn brachte mich nach Hawaii.

Selbst als ich völlig blank war, luden mich GUTE FREUNDE zu Trips nach Balboa Island, zum Urlaub in Australien, zum Segeltörn um die Jungferninseln oder zu einer Sahara-Durchquerung ein. Einige Freiflüge in die USA habe ich ebenso dankbar angenommen, wie „Upgrades“ in die Business-Class oder in die VIP-Lounge beim Rod-Steward-Konzert. Lucky me!!!

Mein Vater war meine erste große LIEBE. Andere folgten.

Ich gründete verschiedene Geschäfte und verkaufte sie, sobald sie gut liefen. Das gab mir die Freiheit, Neues auszuprobieren, und ich hatte wiederum Mittel für frische ABEN-TEUER.

Am dankbarsten jedoch bin ich für meine GESUNDHEIT! Negative Erfahrungen kann ich, sind sie einmal vorbei, wunderbar verdrängen. Also, ich kann es nicht anders sagen: ich bin ein richtiger Glückspilz!

Ich habe das Leben geführt, was meiner Bestimmung entsprach. Es war gefüllt vom ersten Tag an. Ich erlebte höchste Höhen und tiefste Tiefen, und es hat mich zu der gemacht, die ich heute bin. Nichts davon möchte ich missen, und nichts davon bereue ich auch nur für eine Sekunde.

Ich habe gelebt, geliebt, mich getraut, gelacht, geweint, alles gefühlt, und ich habe auch keine Angst vor dem Tod.

Mein Paradies ist auf der Festplatte in meinem Kopf gespeichert. Doch habe ich das Gefühl, ein paar MBs sind noch frei und warten darauf, gefüllt zu werden…

…bevor es auf die letzte große Reise geht.

2. Wie ich das Reisen lieben lernte

Als ich sieben war, erschien das Rote Kreuz mit einer fremden Frau aus Jugoslawien, die behauptete, die Schwester meiner Mutter zu sein.

Niemand hatte bis dahin gewusst, dass „Opi“ nicht mein richtiger Großvater war. Es stellte sich heraus, dass ein serbischer Gastarbeiter meine Großmutter geschwängert hatte und sie zurücklassen musste, als der 1. Weltkrieg ausbrach.

Nachdem Tante Gordana aufgetaucht war, fuhren wir mit unserem Brezelkäfer (geteilte Heckscheibe) jeden Sommer nach Jugoslawien, um meinen „Deda Boja“, meinen Opa Jovanovic, zu besuchen.

Ich hatte es mir immer zwischen Rücksitz und Heck gemütlich gemacht und ließ alles an mir vorbeirauschen. Standardsatz meiner Mutter: „Nun sieh dir doch bloß die Landschaft an!“.

Wenn mir in den österreichischen Serpentinen saumäßig schlecht wurde, habe ich die damals neuartigen Kraft Scheibletten gelutscht. Meine Eltern, beide Raucher, legten viele Pausen ein, mit „Peter Stuyvesant, dem Duft der großen, weiten Welt“. Die knallrote Parallelo-Jacke meiner Mutter musste stets mit dabei sein - für die ersten Farbfotos, die mein Vater schoss. Dabei brachte er mir das Fotografieren mit meiner Agfa Synchro Box bei.

Wenn meine Eltern für die gesamte Dauer meiner Schulferien keinen Urlaub bekamen, setzten sie mich kurzerhand in den Zug nach Belgrad, wo mich meine Tante in Empfang nahm. Dann ging‘s in einer klapprigen Eisenbahn weiter zu meinem Deda, der in Novi Sad lebte.

Es war die selbe Bahn, die noch heute diese Strecke befährt, denn ich habe vor wenigen Jahren die gleiche Reise wiederholt („Sentimental Journey“). Das Rattern der Eisenbahnräder war längst zum Lieblingssoundtrack für meine Reisen geworden.

In Deda Bojas Garten spielte ich damals mit seinen Kaninchen. Er brachte mir Weitspucken in einen Spucknapf bei (ich bewunderte seine Fähigkeit darin), sowie das Fliegenfangen mit gekrümmter Hand. Dann schipperten wir auf der Donau herum und angelten.

Liebevoll nannte er mich „Mala Lutka“ - kleine Puppe.

Täglich streunte ich mit anderen Kindern durch die Gegend und lernte dabei fließend Serbokroatisch.

Waren meine Eltern dann schließlich da, floss bei den Erwachsenen der selbstgebrannte Slibowitz, und alle Sprachbarrieren waren auch bei ihnen futsch. Ein lebendes Schwein, auf dem Markt ersteigert und (hin- und) hergerichtet, wurde beim Bäcker über Nacht knusprig gebacken. Krautsalat, Musik und ausgelassene Stimmung dazu – besser ging‘s nicht!

Reisen in fremde Länder, andere Kulturen erleben, das war was Tolles!

Ein paar Jahre darauf verstarb mein Großvater. Nun erkundeten meine Eltern und ich die gesamte Adria-Küste, Italien und Frankreich – zuerst mit einem Zelt, später mit dem Wohnwagen.

Einige Sommer verbrachten wir in Spanien, wo ich viele internationale Freundschaften schloss. Mit einem ausgelassenen Haufen junger Leute hing ich im Schatten duftender Pinienwälder herum, mit Gitarren, Songs und heißen Flirts. Dort bekam ich meinen ersten Kuss.

Abends kreiste die Sangria-Flasche, während wir uns beim Tischfußball mit eisernen Männchen bekämpften.

In meiner Gymnasium-Klasse daheim waren wir 24 Jungs und sechs umschwärmte Mädchen. Pubertierende Teenager, die Spaß auf Klassenfahrten hatten und die bei Keller-Partys, in dampfenden Polyesterpullovern eng aneinandergeschmiegt, schwoften. Mein Schulfreund Wolfgang war mein Favorit und ist ein Freund bis heute. Wir alle waren verrückt nach den BEATLES oder den STONES. Beides ging nicht! Entweder Mods oder Rocker.

Ich war mega-faul, lernte für das Schreiben von Arbeiten erst kurz vorher in den Pausen auf der Toilette. So flatterte zum Jahresende stets ein „blauer Brief“ ins Haus: „Christianes Versetzung ist gefährdet“ (Mathe, Chemie, Physik: „mangelhaft“).

Doch bis Ostern hatte ich das jedes Mal irgendwie wieder hingebogen.

Mit der Mittleren Reife hatte ich trotzdem von der regulären Schule genug, obwohl meine Eltern mich mit ‚einem Auto für ein Abitur‘ lockten. Ich wollte weg vom Gymnasium und auf die Kunsthochschule. Davor brauchte ich dann allerdings eine Lehre.

So wurde ich Schneiderin.

O-Ton meiner Mutter: „Mit dem Beruf hast du immer was zu essen, ob im Krieg oder im Ausland!“. Und sie sollte so recht behalten!

Mit meiner Jugendliebe Friedhelm erlebte ich auf einer Studienreise 1968 den „Prager Frühling“. Auf der Hinfahrt ging es im Bus noch hoch her. Alle tanzten und sangen ohne Unterlass das Lied von Franz Josef Degenhardt „Sie tanzten besessen die Tarantella“. So eindringlich und laut - es klingt noch heute in meinen Ohren.

Die Stimmung in Prag hingegen war düster, ebenso wie das Wetter. Sowjetische Panzer standen in den Straßen und um den Wenzelsplatz herum.

Es war eine sehr beängstigende Atmosphäre. Für unsere zwangseingewechselten Devisen konnten wir lediglich Kaviar und Krimsekt kaufen – sonst gab es nichts. Die Regale in den Läden waren leer. Im Fahrstuhl des Hotels wurden wir oft um D-Mark angehalten.

Nach meiner Ausbildung begann ich eine Verkaufs- und Schneider- Tätigkeit bei „CARLSON Damenmoden“ in Braunschweig. Ich wollte erstmal Geld verdienen – Kunsthochschule hin oder her. Wir waren ein eng verbundenes Damen-Team. Dazu hatten wir einen tollen Chef, mit dem ich noch jahrelang in freundschaftlichem Kontakt blieb.

Trotz dieser schönen Erfahrung brach ich auf zu neuen Abenteuern. Ich folgte der Liebe und meinem Verlobten Sami nach Algier.

3. ALGER LA BLANCHE

Niemals im Leben wollte ich sagen müssen: „Ach hätte ich doch nur…“. Auch auf die Gefahr hin, dass es grandios in die Hose ging!

Kaum hatte mir meine Mutter zu meinem 21. Geburtstag (damals Volljährigkeit) meinen Pass zugeschickt, kündigte ich Job und meine kleine Miet-Butze, in die ich wegen ständiger Auseinandersetzungen zuhause, gezogen war. Alle sieben Sachen waren bereits in Seesäcke gestopft. Army-Säcke, möglichst mit Namen eines G.I. drauf, rochen für mich nach weiter Welt und versprachen Abenteuer! Damit ging‘s ab in Richtung Algier zu Sami.

Meine Moneten reichten gerade für Zug und Flug, aber nicht fürs Übergepäck. Der Frankfurter Flughafen bestand 1971 nur aus einem kleinen Gebäude. Ich erklärte dem Käpt‘n der Air Algérie meinen Fall. „Pas de problème!“, meinte der. Es gab bloß vier Passagiere. Er lud mich beim Flug sogar ins Cockpit ein, wo wir gutgelaunt „Hühnchen mit Reis“ verdrückten – unter einem einzigartigen Sternenhimmel.

Es war traumhaft, und damals war das alles noch möglich.

Am „Airport Boumedienne“ erwartete mich ungeduldig mein Verlobter. Wir waren seit zwei Jahren zusammen, woran meine Mutter schier verzweifelt war. Sami hatte in Deutschland Mühlenbau-Technik studiert, musste jedoch sofort nach Beendigung in seine Heimat zurück. Wir hatten damals sogar erwägt, nach Gretna Green in Schottland auszubüxen, um noch schnell zu heiraten. Das war dort ohne Einwilligung der Eltern ab 16 Jahren möglich.

In Algier fühlte ich mich sofort zuhause, als ob ich dort schon einmal gelebt hatte. Die Stadt, sowie die Menschen, waren mir derart vertraut. Mit Samis Mutter Zoubida kam ich gut aus. Sie konnte als Hausmeisterin einer Schule sogar dort wohnen. So lebten wir allein in der großen Wohnung, bis auf ihre wöchentlichen Besuche.

Sie gab mir den Namen „Samira“ (Schönheit des Mondes).

Einzig die gierigen Männerhände, die mich in Bussen oder Straßen angrabbelten, brachten mich auf die Palme. Ich verhielt mich aber ebenso hirnlos: meine Kleidung bestand lediglich aus knapper Mini-Mode, wie sie in Europa damals gerade angesagt war.

Also bat ich Samis Mutter, mir einen Ganzkörperschleier, den Haik, zu leihen. An Kajal-Augen, die übers spitzenbesetzte Gesichtstuch blinzelten, konnte ja niemand erkennen, ob ich jung oder alt war. Von da an fühlte ich mich frei und konnte unbelästigt gehen, wohin ich wollte. Vor allem durch die unheimliche und damals noch sehr gefährliche Kasbah. Dort huschte ich über Treppen, durch enge Gassen hinunter zum Hafen, wo sich mein kleiner Nähzutaten-Laden befand.

Als Couturière eroberte ich prompt die Frau des Deutschen Konsuls als Kundin. Für sie zauberte ich kostbare Abendroben für ihre vielen Empfänge, wurde großzügig entlohnt und dann noch mit deutschem Brot und Wurst versorgt. Was wollte ich mehr?

Wir lebten hoch über der Stadt und konnten auf die weiße Stadt und den hell erleuchteten Hafen blicken. Tagsüber hockte ich mit Nachbarinnen in meinem selbstgenähten Sarouel, dem langen Rock mit seitlichen Beinschlitzen, auf der Dachterrasse, von der man in Innenhöfe spähen konnte.

Die Frauen schäkerten mit anderen in den tiefergelegenen Häusern, während sie sich gegenseitig mit Henna die Haare färbten und in Blechtrommeln Chaoa schwarzrösteten. Der holzige Kaffeeduft schwebt noch heute in meiner Nase.

Wenn wir abends bei Sonnenuntergang die beleuchteten Schiffe unten auf dem Meer liegen sahen, umwehte uns der Wohlgeruch gegrillter Mechoui, der Grillspieße, der sich mit dem Duft von Jasmin-Sträuchern verquirlte. Heitere Stimmen und das Gehupe von Autos, Rufe des Muezzins und Schreie der sich paarenden Katzen waren unsere Tonkulisse, untermalt vom Zirpen der Zikaden. Da waren Deutschland, und der Wunsch nach Rückkehr fern wie nie.

Algier, die weiße Stadt, mein Sehnsuchtsort bis zur heutigen Stunde.

4. Turbulente Jahre

Ein Jahr später floh ich aus Algier mit Hilfe des Konsul-Ehepaars. Eifersucht, gepaart mit Jähzorn, ließen mir damals keine andere Wahl. Vierzig Jahre später fand ich Sami in Frankreich, inzwischen ein ruhiger und zufriedener Familienvater, durch das Internet wieder. Es begann eine innige Freundschaft mit ihm, sowie mit seiner algerischen Frau, die von Anfang an alles über mich erfahren hatte und ebenfalls Schneiderin ist. Bei Besuchen in Nîmes, wo sie jetzt mit ihren Kindern leben, verwöhnen sie mich mit meinen algerischen Lieblingsspeisen.

Unterdessen trat mein erster Mann Klaus, ein verwegener Rugby-Spieler aus Hamburg, in mein Leben. Er war ein Frauenschwarm, der allerdings lange um mich kämpfen musste, bis wir ein Paar wurden und ich wieder vertrauen konnte. Sieben Jahre später heirateten wir.

Inzwischen arbeitete ich im Ein- und Verkauf in verschiedenen Boutiquen in Braunschweig, Goslar und Hannover und wurde dabei mehrfach zur Geschäftsleiterin ernannt. Bald fand ich, dass andere genug durch mich verdient hatten, und so wurde die Selbständigkeit mein größter Wunsch und angestrebtes Ziel.

Da wir kaum Finanzmittel hatten und keinen Bankkredit zum Gründen einer Boutique bekamen, nahm ich ein Jahr lang jeden Nebenjob an und sparte jeden Pfennig. Mein Mann fand eine gute Anstellung - eine Sicherheit, falls etwas schiefging.

Dann endlich, mit sechsundzwanzig Jahren, eröffnete ich, mit Hilfe von Freunden beim Ladenbau, einem privaten Möbelkredit und mit viel Werbung, die „Boutique Papillon“.

Klaus war Möbeltischler, und mit einigen Antiquitäten hatten wir ein Schmuckstück daraus gemacht. Es war Anfang März.

Vera, Dekorateurin und gute Freundin seit Angestelltenzeiten, schmückte gerade die Fenster mit Frühlingsutensilien, als ein Schneesturm losbrach, der den Laden zuschüttete.

Trotzdem kamen viele Kundinnen, es gab Sekt und Häppchen, und am Abend war die gesamte Ware fast ausverkauft. Das „Papillon“ wurde über Nacht ein Riesenerfolg.

Damals gab es noch Marktlücken ohne Ende und kaum Konkurrenz!

Unsere Hochzeitsreise ging nach Paris, Urlaube nach Ibiza, Jamaika und Marokko. Wir verbrachten mit unseren Freunden jedes Jahr Ostern in Holland und Skiurlaube in den Dolomiten, wo mich unsere Männer schwarze Abfahrten herunterlotsten - die Langkofelscharte inbegriffen. Heute ist sie wegen der Gefährlichkeit für Skifahrer gesperrt. Es gab bereits einige Tote.

Als mir eine Frau zwei Jahre später sehr viel Geld für mein Geschäft bot, verkaufte ich es. Mein Mann und ich eröffneten das Restaurant „Anno“ im selben Vorort von Hannover in einem alten Fachwerkhaus, ein langgehegter Traum.

„Gott segne deinen Eingang, wenn du Geld hast und deinen Ausgang, wenn du gezahlt hast“, prangte in goldenen Lettern in Plattdeutsch im Balken über der Tür.

Da wir durch die Boutique und durch unsere Mitgliedschaft im Tennis- und Schützenverein jedermann kannten und wir beide Tag und Nacht anwesend waren, lief es von der ersten Minute an wie geschmiert.

Wir erwarben einen Atrium-Bungalow, den wir allerdings wenig genießen konnten, da sich alles nur noch um die Arbeit drehte.

Dabei ging auch unsere Liebe verloren.

Trotz Scheidung blieben Klaus und ich beste Freunde - bis heute.

Ich eröffnete das „Katzenparadies“ in Hannover und machte Bodybuilding, um Katzenstreu und Futterpaletten nach Ladenschluss ausliefern zu können. Mein nun Ex-Mann führte das „Anno“ weiter.

Für eine Weile genoss ich meine neue Freiheit, Liebesabenteuer und das Vergnügen, tanzen und feiern zu gehen. Aber das ewig Gleiche nervte mich bald. Das konnte noch nicht alles gewesen sein!

Nachdem mein einziger Konkurrent mir den Katzenladen abgekauft hatte, beschloss ich, so lange in den USA umher zu reisen, bis das Geld alle war.

Zuvor verkaufte oder verschenkte ich meine Habseligkeiten, baute den Toyota Landcruiser um, der bis dahin als Lieferwagen und für Wochenend-Geländetouren mit meinen Freunden Thomas und Micha gedient hatte. Nun konnte ich darin schlafen und Campingzubehör verstauen.

Ich begleitete meine Freundes-Clique auf dem Weg in den Skiurlaub bis München. Mit dem brennenden Verlangen loszuziehen, ging‘s allein weiter. Ich inspizierte Freiburg, wo ich mal „alt werden“ wollte. Dann kutschierte ich zum Schlittenhunde-Rennen nach Todtmoos im Schwarzwald. Anschließend durch die Schweiz und danach zu äußerst abgelegenen Orten in Frankreich, die mich schon immer neugierig gemacht hatten.

Alte Erinnerungen zogen mich weiter nach Spanien, nach Vendrell an der Costa Dorada, zum Sommercamp meiner Jugend.

Bei meinen Eltern, die sich im Süden bei Marbella niedergelassen hatten, blieb ich ein paar Tage. Danach verschiffte ich meinen Wagen von Lissabon nach New York City.

Da der Frachter keine Passagiere befördern durfte, nahm ich den Flieger mit allen Dingen, die ich in zwei Seesäcken mitschleppen konnte. Denn alles, was nicht niet- und nagelfest war, würde auf dem Schiffstransport „abhanden“ kommen, hatte man mich zuvor gewarnt.

Mein damals 31-jähriger Teddy, unzählige Male von meinem Vater repariert, nunmehr neu mit Western-Outfit und mit Platzpatronen-Pistole ausgestattet, musste natürlich auch mit.

Er ist bis heute mein liebster Wegbegleiter – meckert nicht, brummt nur manchmal‘n bisschen.

5. Die Alleinreisende

Niemals in meinem Leben fühlte ich mich einsam. Schon als Kind war ich nur allzu gern allein zuhause. Ich kann mich selber hervorragend amüsieren und unterhalten und bin mir selbst mein bester Freund.

An unscheinbaren Dingen erfreue ich mich, wie das vorsichtige Lächeln eines fremden Menschen, glitzerndes Kopfsteinpflaster im Regen, der Duft feuchter Erde, das Rascheln der Espen-Blätter im Wind, Vogelgezwitscher am frühen Morgen und die ersten glänzenden Kastanien. Die aufsteigende Wärme der Morgensonne genieße ich ebenso, wie die beißende Kälte des Winters.

Meine Gedankenwelt ist mein Zufluchtsort und mein Lieblingsplatz. Sie ist fantasievoll, bunt und frei.

Es gab trotz allem zahlreiche Strecken, auf denen ich ein Leben zu zweit genoss und Erlebnisse und meinen Alltag teilen wollte. Aber immer wieder stehe ich vor dem selben Zwiespalt: Zweisamkeit und Zugeständnisse, oder Freiheit und Selbstbestimmung ohne Planung oder zeitliche Verpflichtungen.

Trotzdem hatten liebevolle Verbindungen zu anderen Menschen den größten Einfluss auf das Glück meines gelungenen Lebens.

Spannende, geheimnisvolle Dinge geschehen immer dort, wo man sich nicht auskennt und wenn man sie nicht erwartet. Ich möchte nicht zurückgehalten werden, wenn meine Neugier mich spontan auf neue Pfade schickt. Ich möchte mich überraschen lassen.

Dabei bin ich keinesfalls angstfrei und gehe oft auf Nummer Sicher: Pfefferspray, Alarm am Auto und in der Tasche, sowie ein Kubotan, ein Selbstverteidigungs-Stick, sind meine Begleiter. Das Taschenmesser meines Vaters ist immer dabei, jedoch wohl eher als Talisman, denn als eine Waffe. Survival-Bücher von Rüdiger Nehberg habe ich eingehend studiert. Obendrein habe ich im Selbstverteidigungskurs mir ein paar Schläge auf Eier, Kehlkopf und Augen antrainiert.

An Revolver habe ich mich in den USA allerdings nie gewöhnen können, obwohl beim Housesitting und in den Handtaschen meiner Freundinnen stets welche vorhanden waren.

Ich reise ungeschminkt, unauffällig gekleidet und geräuschlos, d.h. ohne raschelnde Kleidung und klappernde Schuhe. Mein Gehör ist fein und in alle Richtungen ausgerichtet. Ich parke stets so, dass ich im Nu startklar sein kann, wenn erforderlich: immer auf dem Sprung. Darum bezahle ich auch heute noch sofort und sitze im Kino immer auf dem Platz am Gang.

Als Frau, die alleine fremde Länder bereist, sind Leichtigkeit, Begeisterung und ein gleichzeitiges Gefühl der Bedrohung kein Widerspruch. Vor allem nachts! Diese Angewohnheiten gehören zu einer Alleinreisenden, und ich nenne es augenzwinkernd: Charakter eines Straßenköters.

Alles was ich wissen muss, hat mich das Reisen gelehrt.

Ich will Abwechslung statt Routine, fremde Länder und Menschen kennenlernen, ungewöhnliche Dinge erfahren, Liebe spüren, mich verändern und gespannt bleiben auf jeden Tag, der neue Überraschungen bereithalten kann.

Es gibt Gerüche, die ich in mir aufbewahren will, um Gefühle zurück zu bringen und Musik, die Erinnerungen an Zeiten, Orte und bestimmte Personen weckt. Ich möchte alles aus meinem Leben herausholen, Abenteuer erleben, Grenzen erfahren, gute Erinnerungen bei anderen hinterlassen und mit Vorfreude auf das Ungewisse nach vorne schauen.

Reisen veredeln den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf.

Oscar Wilde

6. New York City

„What do you want here without money? Work?“. Die Männer am Zoll konnten nicht glauben, dass eine junge Frau ein Jahr lang allein durch die USA reisen, aber nicht arbeiten wollte. Es war im Frühjahr 1983. Da ich nur mit meiner Kreditkarte ausgestattet war, wie es damals empfohlen wurde, durchwühlten die Zollbeamten stundenlang alles nach Dokumenten, die Arbeitsabsichten bewiesen. Mein Pfefferspray - in NYC eine Waffe!!! - wurde mir abgenommen, mir jedoch heimlich beim Verlassen des Airports von einem Zöllner wieder zugesteckt. Ein paar Tage später musste ich, „The Kraut“ (von: Sauerkraut), bei der Einwanderungsbehörde belegen, dass ich genug Geld auf der Bank hatte. Danach bekam ich ein Visum für drei Monate. Ich hatte tierische Angst gekriegt, dass sie mich ausweisen würden und sie dann meinen Wagen, wenn er mit dem Schiff eingetrudelt war, einkassiert hätten.

Inzwischen war es Nacht, und ich hatte die damals gefährliche U-Bahn-Fahrt vermeiden wollen. Doch ich kam heile in NYC an. Es war laut, es wimmelte vor Menschen, es stank, und es gab andauerndes Sirenengeheul, das ich bis dahin nur von Krimis aus dem TV kannte. Kein Taxi wollte anhalten, um mich und meine vollgepackten Seesäcke zum YWCA (Unterkunft nur für Frauen) zu bringen. Ich kannte niemanden in NYC und fand es alles ziemlich beängstigend.

Coffeeshops mit knusprigen Bacon‘n Eggs und Pancakes wurden mein täglicher Antrieb, hinaus in den Trubel zu ziehen. Mein Lieblingslokal war das schwarz-weiß gehaltene „AU-TOMAT“ mit viel Chrom und glänzenden Marmorböden. Hier konnte man günstig aus hunderten spiegelnder Fächer delikate Speisen auswählen. Gezahlt wurde nur mit Nickel, die man an einer Bude am Eingang bei einer Kassiererin (the nickel thrower) eintauschen musste. Es herrschte reger Betrieb. Gäste aßen an blitzblanken Tischen, und Fremde plauderten endlos lange miteinander.

Im Central Park studierte ich die kunstvollen Darbietungen der Paartänzer und Rollschuhläufer. Dampfende Gullys, Hotdog-Stände, Straßenkünstler und Hütchenspieler waren an jeder Ecke zu finden.

Beobachten war und ist immer noch besser als Kino.

Die St.-Patricks-Parade zog durch die Stadt, alles war in Grün gekleidet, und jeder, der vorgab irisch zu sein, küsste mich einfach.

Ein paar New Yorker wurden aufdringlich, als sie mitbekamen, dass ich alleine in NYC war. Einer lockte mich sogar mit einem Pelzmantel, den er mir schenken wollte. Ich musste hier ja auf meinen Wagen warten, und so hing ich weiterhin im Big Apple rum.

Versehentlich landete ich eines Tages mit dem Bus mitten in Harlem - damals noch ein sehr gefährliches Gangster-Viertel, ausschließlich von Schwarzen bewohnt. An jeder Ecke hockten Kerle zusammen, und es dauerte lange, bis ich, ganz schön bange, letztlich doch zurückfand.

In einem Pastrami-Shop alberte neben mir George Clooney mit Freunden herum. Er war zu jener Zeit noch ein Newcomer im TV.

Auf der Fähre tuckerte ich mit zwanzig Japanern nach Liberty Island. Vor der Freiheitsstatur wollte einer von ihnen ein Foto mit mir im Arm machen. Bald kam einer nach dem anderen und wollte dasselbe…

Wie doof war das denn?

Eines nachts verirrte ich mich in die Disco „Limelight“, einer umgebauten Kirche, in der gerade Schwulen-Nacht war.

Das wusste ich aber nicht, denn der Bounzer hatte lediglich kontrolliert, ob ich schon achtzehn war. Drinnen tanzten halbnackte, schweißgebadete Männerkörper, dicht an dicht. Go-Go-Men baumelten in Käfigen, Disco-Boxen dröhnten. An sämtlichen Wänden hingen schwarz-weiße Aktfotografien von Robert Mapplethorpe. Sie zeigten wunderschöne Körper, brillant und zugleich ganz schön heftig!

Aus dem zweiwöchigen Warten auf mein Auto sollten plötzlich sechs Wochen werden, denn der Kahn war auf hoher See liegengeblieben. Ich hatte bereits alles von Interesse angesehen und jede Nebenstraße zu Fuß abgeklappert. Immer mit dem Walkman und KISS FM im Ohr.

Ich fand inzwischen aber auch alles sehr teuer und wollte einfach nur noch weg!

7. Greyhound

Mein Gepäck in der Busstation verwahrt, kaufte ich ein Monatsticket für den Greyhound, mit dem ich kreuz und quer durch die USA sausen und Unterbrechungen einlegen konnte, wo ich wollte. Strecken wählte ich mit ca. acht Stunden Fahrzeit aus, wobei ich oft nachts im Bus schlief, auf zwei Sitzen zusammengerollt wie eine Katze. Ab und zu nahm ich mir ein Motel-Zimmer, um mich auszustrecken und ein schönes heißes Bad zu nehmen. Tagsüber machte ich Besichtigungen.

Bei vielen meiner Stopps in 38 Staaten und Kanada gab es wenig Sehenswertes. Jeder Ort, an dem schon JEMALS jemand (um)gefallen war, wurde als Historic Marker deklariert. Anderseits hatte ich bemerkenswerte Begegnungen mit Mitreisenden, oder faszinierende Landschaften taten sich vor mir auf.

Ich bestaunte die Niagara-Fälle, blickte auf Chicago vom 442 m hohen Sears Tower herab, genoss im Drehrestaurant der Space Needle in Seattle den überwältigen Ausblick auf den Mount St. Helen, der schneebedeckt noch immer Dampf und Asche nach dem riesigen Vulkanausbruch 1980 ausspie.

In New Orleans traf ich auf Schweizer, mit denen ich ein Zimmer teilte, sauscharfe Cajun-Gerichte kostete und Jazz-Spelunken abklapperte.

Rumsitzen und Leute beobachten, war jedoch zu meiner Leidenschaft geworden: kleine schwarze Mädchen mit kunterbunten Haarspangen an unzähligen Zöpfchen hüpften, gekleidet in Schuluniformen, vorbei, und beängstigend massige Menschen, saßen im Park und schaufelten Mega-Imbisse rein. Ein strubbeliger Typ, auf dessen T-Shirt "Mañana – I’m on mexican time“ stand, grinste mich mit braunen Zähnen an. Ein identisch-gekleidetes Männerpärchen mit schneeweißen Lackschühchen marschierte im Gleichschritt. Einer war lang und dürr, der andere massig mit quadratischem Kopf. Zwei Pagen hechteten mit schweren Koffern einer lila-gelockten Dame hinterher. Ein zahnloser Schwarzer, sein gutmütiges Gesicht mit unzähligen Warzen übersäht, gab mir mit Waschbrett und einer tollen Bluesstimme ein Ständchen. „Homeland Security – wir bekämpfen Terrorismus seit 1492“ stand auf dem Shirt einer rassigen Ureinwohnerin. Ein Vielklang von Stimmen in unterschiedlichen Sprachen war zu hören, und von überall schwebten Düfte exotisch-gewürzter Speisen heran.

Bei Reno machte unser Greyhound-Bus bei Nacht Halt an einer kleinen, unbemannten Busstation, die wie überall Toiletten und vollgepackte Snack- und Getränkeautomaten beherbergte. Ich hatte wohl nicht genau verstanden, wann wir weiterfahren würden, denn als ich aus dem Häuschen trat, sah ich nur noch die Rücklichter meines Busses im Dunkel verschwinden. Verzweifelt schreiend raste ich hinterher. Meine Sachen waren ja noch in dem Gefährt. Es war keine Menschenseele mehr zugegen. Die Station, mit einer spärlichen Funzel ausgestattet, lag weit entfernt von der Spielerstadt, die damals bloß ein kleines Kaff war. Ringsherum schwarzer Wald. Nach einer elend-langen Weile tauchten plötzlich Busscheinwerfer auf. Die nette Frau vom Sitz gegenüber hatte den Fahrer darauf aufmerksam gemacht, dass ich wohl nicht mitgekommen war.

UFF – wieder mal Glück gehabt!

Tumbleweed kullerte im Wind auf dem Highway mit Pappbechern und Plastikverpackungen um die Wette.

Unbeachtete Schilder drohten mit hohen Strafen fürs Wegwerfen von Müll aus Autos.

Aus dem Greyhound-Fenster beobachtete ich, wie an Straßenrändern Gruppen von Gefangenen in orangefarbenen Overalls Abfälle aufsammelten.

Wir rollten an endlosen, in der Hitze flimmernden Weiden, an Ölpumpen, Windkrafträdern und unzähligen Longhorn-Rindern vorbei. Kinder rannten am Morgen zur Hauptstraße, wo sie ein gelber Schulbus abholte. Und ich lernte, Kentucky Fried Chicken zu lieben.