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Ein humoristischer Blick aus dem 19. Jahrhundert auf das Schachspiel und den Schachspieler.
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Seitenzahl: 32
Veröffentlichungsjahr: 2021
1.
Geliebt und befördert von den größten und weisesten Regenten; geliebt und angepriesen von den scharfsinnigsten Geistern und den zartfühlendsten Seelen1; geheiligt durch die Zeit; zu keiner Zeit, von keinem Sterblichen mit Erfolg bekämpft, hat sich das Schachspiel seit vielen Jahrhunderten von Land zu Sand verbreitet und ist, als eine Lust des menschlichen Geschlechtes, nicht nur in Palästen, sondern auch in niederen Hütten aufgenommen worden. Dennoch, dennoch ist es, wie wir sattsam dartun werden, ein Übel, und, weil es ein unerkanntes, ein verkapptes Übel ist, ein nur desto größeres.
2.
Vom Morgenlande her kommt uns das Licht der Sonne; vom Morgenlande kam uns das Licht der Weisheit und vom Morgenlande das Licht der beseligenden Christusreligion. An diesen Gaben haben wir genug. Darum muß das, obgleich aus demselben Teile der Erde zu uns gekommene, Schachspiel schlechthin verworfen werden; denn was darüber ist, das ist vom Übel.
3.
Das Schachspiel ist ein Bild des Krieges.2 In dem Schachbrette erkennst du ein Schlachtfeld und in den Schachfiguren zwei feindliche Heere, die sich bekämpfen. Zwar fließt kein Blut und keine Wunde wird geschlagen. Aber doch wird das zarte, empfindsame, weichgeschaffene Herz des Zeitgeistes verwundet, wenn es das Bild des Krieges, des Schrecklichsten auf Erden, erblickt.
4.
Die traurigsten Wahrheiten, erkannt bei Betrachtung der unvollkommen Welt, werden im Schachspiele immer von neuem und oft nur greller vor unsere Seele geführt. Da sehen wir: der arme Bauer, obgleich von ihm das meiste abhängt, er wird am wenigsten geachtet; seiner wird am wenigsten geschont; er muß, einem gewissen Tode entgegengehend, das Treffen eröffnen; soll eine Feste erstürmt werden, er muß zuerst angreifen, er muß immer voraus und hinter ihn stecken sich die Herren, um durch ihn sicher zu sein. Armer Bauer!
5.
Will aber das Schicksal, daß ein Bauer groß wird; so steigt er auch zu einer übermäßigen, zur furchtbarsten Größe.3 Wird er da nicht den Augenblick aus dem Wege geräumt; so schlägt er alles nieder.
6.
Gilt es das Heil des Königs; so wird weder Bauer noch Herr geschont. Der beste Offizier, trotz aller seiner Verdienste um den König, selbst die Königin, und wenn sie zehnmal sein Leben gerettet hat, wird aufgeopfert, wird dem Feinde preisgegeben.
7.
Stehen die Könige allein auf dem Schlachtfelde, so sind sie die Ruhigsten und Friedlichsten; keiner kommt dem anderen zu nah; keiner zeigt den geringsten Mut.
8.
Haben sie aber nur noch einen Bauer, den sie vor sich hertreiben können; ei, wie feindlich stehen sie dann auf einmal einander gegenüber!
9.
Hat einer von diesen Königen einen Bauer, sage, nur einen Bauer mehr, als der andere; da ist gar an keinen Frieden zu denken, da ist der grimmigste Kampf.
10.
Tut ein solcher Bauer das seinige, so mache ihn der König zum Generalfeldmarschall. Welch eine ärgerliche, übertriebene Belohnung für einen Bauer!
11.
Siegt ein König mit dem einzigen, ihm übriggebliebenen, Bauer; so heißt dennoch sein Sieg vollkommen, heißt dennoch glorreich; unangesehen, daß sein ganzes Heer vernichtet worden ist. Genug er hat gesiegt, und damit ist alles gut; die Triumphkrone ist errungen!
12.
Ja, je größer der Verlust ist, den der Sieger erlitt, je größer die Anzahl der Seinen ist, die er im wilden Sturme aufopferte; desto größer ist sein Ruhm!
13.
Ferner sehen wir im Schach die Frau, zum Schimpf der Männer die größte Rolle spielen.
14.
Wie auf den Brettern der Bühne, so werden auch auf dem Schachbrette Komödien gespielt. Jede von diesen könnte man, nach gewissen Entscheidungszügen besonders überschreiben, etwa: „der glücklich gewordene Bauer; der zudringliche Springer; der voreilige Läufer; der grobe Roggen; die geängstigte Königin; der König auf der Wanderschaft“; oder: „Schnelle Rettung aus großer Not; die glückliche Retirade; der teure Gasthof“4