A Curse of Dusk and Dawn. Herzenspakt - Anna-Sophie Caspar - E-Book
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A Curse of Dusk and Dawn. Herzenspakt E-Book

Anna-Sophie Caspar

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Beschreibung

**Das sind doch alles nur Legenden … oder?** In Hollys Leben läuft es gerade richtig mies: Sie ist von ihrer Highschool geflogen und muss mitten im Jahr an eine völlig neue Schule wechseln. Doch das Chaos scheint Holly auf dem Fuß zu folgen, denn an der Desert Ridge High geht eindeutig etwas Seltsames vor. Zuerst verschwindet ein Spieler der erfolgreichen Schul-Football-Mannschaft spurlos, und der Letzte, der ihn gesehen hat, ist der geheimnisvolle Mason. Überhaupt scheint er immer dann in der Nähe zu sein, wenn etwas Furchtbares passiert. Denn mehr und mehr merkwürdige Dinge geschehen, und Holly beginnt langsam an ihrem Verstand zu zweifeln – bis sie entdeckt, dass an ihrer neuen Schule dunkle Mächte am Werk sind. Immer tiefer wird sie in einen Strudel aus düsteren Legenden und alten Familiengeheimnissen gerissen. Und stets ist es Mason, der dabei Hollys Weg kreuzt und zu dem sie sich stärker hingezogen fühlt, als es gut für sie ist … Heiße Footballspieler, Highschool-Vibes und eine Protagonistin, die sich allen Widrigkeiten stellt – aufregende Young Adult Urban Fantasy voll Spannung und knisternder Gefühle!  »A Curse of Dusk and Dawn. Herzenspakt« ist ein in sich geschlossener Einzelband.//

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Anna-Sophie Caspar

A Curse of Dusk and Dawn. Herzenspakt

**Das sind doch alles nur Legenden … oder?**In Hollys Leben läuft es gerade richtig mies: Sie ist von ihrer Highschool geflogen und muss mitten im Jahr an eine völlig neue Schule wechseln. Doch das Chaos scheint Holly auf dem Fuß zu folgen, denn an der Desert Ridge High geht eindeutig etwas Seltsames vor. Zuerst verschwindet ein Spieler der erfolgreichen Schul-Football-Mannschaft spurlos, und der Letzte, der ihn gesehen hat, ist der geheimnisvolle Mason. Überhaupt scheint er immer dann in der Nähe zu sein, wenn etwas Furchtbares passiert. Denn mehr und mehr merkwürdige Dinge geschehen, und Holly beginnt langsam an ihrem Verstand zu zweifeln – bis sie entdeckt, dass an ihrer neuen Schule dunkle Mächte am Werk sind. Immer tiefer wird sie in einen Strudel aus düsteren Legenden und alten Familiengeheimnissen gerissen. Und stets ist es Mason, der dabei Hollys Weg kreuzt und zu dem sie sich stärker hingezogen fühlt, als es gut für sie ist …

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Vita

Danksagung

© Nina Caspari

Anna-Sophie Caspar, geb. 1986, hat sich schon als Kind kleinere Geschichten ausgedacht. Wenn sie nicht gerade schreibt oder durch die Welt reist, analysiert sie die Sterne und die Wirkung des rückläufigen Merkurs in ihrem Geburtshoroskop. Man munkelt, dass ihre magische Fähigkeit darin besteht, Notizbücher vollzukritzeln.

Neuanfang mit Hindernissen

Mit quietschenden Reifen parkt Mom den Wagen vor dem Schultor der Desert Ridge High.

Ich habe noch nie die Schule gewechselt und es wäre eine Lüge, wenn ich sagen würde, dass ich mich auf meinen ersten Schultag freue.

»Du bist mir wirklich nicht böse, wenn ich gleich weiterfahre?« Mom wirft einen unruhigen Blick auf die Rückbank, wo Daisy, meine vierjährige Schwester, im Kindersitz angeschnallt ist und neugierig aus dem Fenster schaut.

Wir sind spät dran, Mom muss die Kleine noch in den Kindergarten bringen und sich um den Ämterkram kümmern, den so ein Umzug mit sich bringt, während Dad bereits heute seinen ersten Arbeitstag hat.

Als Antwort schüttele ich den Kopf.

»Du schaffst das«, sagt sie. »Hier kennt dich niemand, du kannst noch mal von vorn anfangen.« Sie lächelt, um ihre aufmunternden Worte zu untermauern.

»Ja«, seufze ich, öffne die Tür und steige aus.

»Und Holly.« Sie beugt sich über den Beifahrersitz, bevor ich die Tür zuschlagen kann. »Bitte mach keinen Ärger.«

»Nein«, sage ich und presse die Lippen aufeinander. »Mach ich nicht.«

Ein erleichtertes, wenn auch skeptisches Lächeln tritt in ihr Gesicht und die Beifahrertür gibt einen dumpfen Laut von sich, als ich sie schließe. Ich winke den beiden kurz zum Abschied und wende mich dann mit geschultertem Rucksack meiner neuen Schule zu.

Vor einer Woche sind wir von Los Angeles nach Flagstaff gezogen. Eine kleine Stadt mitten in Arizona, durch die die Route 66 läuft und die für den Monsun im Sommer bekannt ist. Wir sind hierher zurückgekommen, weil meine Grandma uns ihr Haus vererbt hat. Ich bin hier aufgewachsen – es ist die Heimat meiner Kindheit. Aber das ist nicht der einzige Grund, weshalb wir aus L. A. weggegangen sind, auch wenn es die Geschichte ist, die wir jedem erzählen, der nachfragt.

Mit einem tiefen Atemzug versuche ich mein pochendes Herz zu beruhigen, streiche mir eine blonde Locke hinters Ohr, die der leichte Wind mir ins Gesicht weht, und steuere dann endlich dem Haupteingang entgegen.

Vereinzelt laufen Schüler an mir vorbei, als ich die große Eingangshalle betrete und mich umsehe. Am Schwarzen Brett direkt am Eingang hängt neben einem Nachhilfegesuch, an dem bereits einige Telefonnummernzettel abgerissen sind, das Foto eines Schülers in Footballjacke. In dicken Buchstaben prangt oberhalb des Bildes das Wort VERMISST. Unter dem Foto steht Sean Grayson. Der Name des Vermissten, vermute ich. Offenbar ist er vor einer Woche verschwunden. Der Aushang fordert dazu auf, die Nummer des Police Departements anzurufen, sollte man hilfreiche Hinweise haben.

Über einen vermissten Footballspieler habe ich im Internet nichts gelesen.

An der Desert Ridge High gibt es einen Schulblog, aber im Vergleich zu L. A. ist der harmlos. Alkohol im Cheerleaderteam, ein Matheprüfungsbetrug und ein Lobgesang auf die Desert Ridge Eagles, die erfolgreichste Highschool- Footballmannschaft der USA. Das waren die letzten Beiträge auf dem Blog. Kein Vergleich zu den täglichen Posts der Gossip App meiner alten Schule, die immer wieder aufs Neue die Gerüchteküche anheizten und für jede Menge Gerede sorgten. Im Gegensatz zu einer angeblichen Affäre zwischen einem Lehrer und einer Schülerin, der Veröffentlichung von Sextapes oder einer von Wasser gefluteten Schulaula wirkt meine neue Schule geradezu unschuldig. Na ja, bis auf den vermissten Footballspieler.

Nicht mein Problem. Ich habe mir vorgenommen mich aus sämtlichen Schwierigkeiten herauszuhalten. Außerdem ist mein Leben seit ein paar Monaten ein totales Chaos, das ich erst mal in den Griff bekommen muss. Und genau dafür werde ich den Neuanfang hier in Flagstaff nutzen: um endlich wieder Ordnung zu schaffen.

Ich wende mich vom Schwarzen Brett ab und folge den Ausschilderungen zum Sekretariat.

Mit flauem Gefühl im Magen trete ich an den Informationstresen. Mrs Brown, die Sekretärin, blickt vom Computer auf, schiebt ihre schwarz geränderte Brille etwas nach unten und begrüßt mich mit einem freundlichen, aber doch reservierten Lächeln.

»Holly Gilbert«, stelle ich mich vor.

»Der Direktor erwartet Sie schon«, sagt die zierliche Frau mit einer erschreckend tiefen Raucherstimme und steht auf.

Sie führt mich zu einem kleinen Warteraum, in dem bereits ein Junge in meinem Alter sitzt.

»Einen Moment bitte«, sagt sie, klopft an die Tür, öffnet sie, verschwindet im Büro des Direktors und lässt meinen Mitschüler und mich zurück.

Ich lehne mich ihm gegenüber an die Wand. Er sitzt in der Mitte der Bank, seinen Rucksack neben sich gelegt, sodass kaum Platz für eine weitere Person bleibt, obwohl die Bank mindestens für drei Leute gedacht ist.

Die Hände hat er in den Taschen seiner Lederjacke vergraben, während er gelangweilt an die Wand starrt und auf der Kordel seines grauen Hoodies herumkaut, den er unter der Jacke trägt. Eine große Narbe zieht sich durch seine linke Augenbraue und eine etwas schmalere umrahmt die Kante seines Kinns. An Attraktivität hat er dadurch allerdings nichts eingebüßt. Eher im Gegenteil, die Narben verleihen ihm etwas Geheimnisvolles und seinem selbstgefälligen Blick nach zu urteilen ist er sich dessen mehr als bewusst.

Sein Blick wandert von der Wand in meine Richtung und seine graublauen Augen fixieren mich für einen Moment. Mir wird plötzlich wärmer und mich überkommt ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht einordnen kann. Vertraut und gefährlich zugleich. Er sieht mich mit diesem Raubtierblick an, als würde er sich fragen: Küsse oder töte ich sie?

Mein Herz beginnt nervös zu pochen und ich wende den Blick ab, weiß aber nicht, wo ich hinsehen soll. O Mann, ich hab mir definitiv zu viele Horrorfilme in der letzten Zeit angesehen, aber nur, weil ich mich selbst und das, was mit mir passiert, besser verstehen wollte. Es gibt leider keinen Menschen in meinem Umfeld, der mir dabei helfen kann.

Mit einer flüchtigen Handbewegung fährt er sich durch die braunen Haare und ändert die Sitzposition, als würde er die plötzlich angespannte Atmosphäre genauso bemerken wie ich.

Die Bürotür wird geöffnet und Mrs Brown erlöst uns von der erdrückenden Spannung, die in der Luft liegt. »Sie können jetzt hineingehen, Holly.«

Während ich ihrer Aufforderung folge, höre ich sie noch sagen: »Danach hat der Direktor für Sie Zeit, Mason.«

Der Direktor, ein älterer Mann Anfang sechzig mit vollem grauen Haar, erhebt sich, als ich das geräumige Büro betrete und die Tür hinter mir schließe. Er weist mir mit einer Geste den Stuhl vor seinem Hochglanzschreibtisch zu, auf dem lediglich eine einsame Akte liegt, wartet, bis ich mich gesetzt habe, streicht seinen anthrazitfarbenen Anzug glatt und nimmt ebenfalls wieder Platz.

»Sie sind also Holly Gilbert«, stellt er fest und faltet seine Hände über der schwarzen Akte, auf der in weißen Druckbuchstaben mein Name zu lesen ist. »Ich bin Mr Valentine, Direktor der Desert Ridge High School.« Er räuspert sich und öffnet die Akte, was dazu führt, dass ich innerlich erstarre und den Impuls unterdrücke, sie ihm aus der Hand zu reißen. »Klassenbeste, Auszeichnung für die beliebteste Schülerin des Jahrgangs, Stipendium für eine Cheerleader-Ausbildung in Los Angeles …«, liest er vor. »Da lag ja eine riesige Karriere vor Ihnen«, sagt er und lächelt. Ich kann nicht einschätzen, ob er es ernst meint oder sich über mich lustig macht. »Und dann das … eine starke Wendung in Ihrem Lebenslauf.« Er blättert eine Seite weiter, faltet wieder seine Hände, mustert mich und legt fragend die Stirn in Falten. »Was genau ist passiert?«

Ich schürze die Lippen. Bitte mach keinen Ärger, hallen Moms Worte durch meinen Kopf. In Gedanken bin ich ein solches Gespräch unzählige Male durchgegangen, aber wie auch immer ich mein Verhalten an dem besagten Samstag an meiner alten High School zu erklären versuche, entweder verstricke ich mich in ein Netz aus Lügen oder ich sage die Wahrheit und jeder zweifelt an meiner geistigen Gesundheit – einschließlich mir selbst. Deshalb entscheide ich mich für die vernünftigste Reaktion auf diese Frage. »Es tut mir immer noch sehr leid, was geschehen ist, und ich verspreche, dass so etwas nie wieder passieren wird.«

»Na, kommen Sie schon«, sagt er und lächelt wieder. »Sie waren eine Vorzeigeschülerin.« Offenbar scheint ihm meine Entschuldigung nicht zu genügen. Nachdenklich faltet er seine Hände vor dem Mund. »War es vielleicht ein Erfolgskollaps … Ist Ihnen alles zu Kopfe gestiegen?«, versucht er mir bei der Suche nach einer Erklärung zu helfen.

»Nein, ich hatte einfach … eine schwierige Phase.«

»Eine schwierige Phase? Sie haben die komplette Schulaula unter Wasser gesetzt.« Skeptische Fältchen bilden sich auf seiner Stirn.

Nervös öffne ich die Schnalle meines Rucksacks, um sie gleich darauf wieder zu schließen, und lausche dem beruhigenden Klacken, das dabei erklingt. Erwartet er etwa, dass ich etwas zu meiner Verteidigung sage? Es ist die Wahrheit: Ich habe die gesamte Aula mit Wasser geflutet. Mit Weihwasser, um genau zu sein. Ich wusste mir nicht anders zu helfen und es war der einzige Weg, den ich im Internet finden konnte, um den Poltergeist zu vertreiben. Also das Weihwasser zu benutzen, nicht das Durchfluten der Schulaula. Letzteres ist eher aus der Not heraus entstanden und hat mir einen Schulverweis beschert.

»Es tut mir wirklich leid«, sage ich noch einmal, ohne meine Rucksackschnalle aus dem Blick zu lassen. Der Direktor wartet einige Sekunden, dann lehnt er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück.

»Holly«, sagt er, »ich weiß, wie die jungen Leute von heute ticken.« Er tippt sich gegen die Stirn. »Das Gehirn ist mit siebzehn Jahren noch nicht komplett entwickelt. Es gibt sogar Studien, die besagen, dass das Gehirn eines Jugendlichen dem eines Psychopathen gleicht.« Er macht eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht, dass ich damit sagen will, dass alle Schüler der Desert Ridge High School Psychopathen sind.« Er lächelt und lässt dabei die Zähne blitzen. »Einige vermutlich mehr als andere.« Dann nimmt er einen Zettel, kritzelt etwas darauf und heftet ihn in meine Schulakte. »Wissen Sie, was das Traurige ist, wenn man Schulleiter einer High School ist? Man muss erst mal alle Schüler aufnehmen, auch wenn ihnen höchstwahrscheinlich eine Gefängniskarriere bevorsteht anstelle einer Footballkarriere oder einer in Harvard. Aber …«, sagt er, nicht ohne den Moment auszukosten – die Schockstarre zu genießen, in die mich seine Worte versetzen. »Ich vertrete die Ansicht, dass jeder eine zweite Chance verdient hat. Sehen Sie das auch so?« Er wartet, bis ich mit einem zaghaften Nicken zustimme. »Deshalb«, er schließt meine Akte wieder, »dürfen Sie sich im nächsten Jahr beweisen.«

»Sie werden nur meine beste Seite kennenlernen«, sage ich etwas zu eifrig. »Ich verspreche es.«

Direktor Valentine quittiert meine Worte mit einem Zucken seiner buschigen grauen Brauen, legt meine Akte auf einen Beistelltisch, holt aus einer Schublade eine Liste und reicht mir einen Flyer mit der Aufschrift: Halloweenball. »Das Vorbereitungskomitee für unseren Halloweenball sucht noch tatkräftige Helfer. Genau das Richtige für Sie, da stimmen Sie mir bestimmt zu, oder?« Er kritzelt meinen Namen auf die Teilnehmerliste des Ballkomitees. »Ehrenamtliche Tätigkeiten stärken das Sozialverhalten, mit etwas Glück bewahrt Sie Ihr Engagement an unserer Schule vor einer kriminellen Karriere.«

Er lächelt und ich bekomme langsam den Eindruck, dass es ihm Spaß macht, mir mein Fehlverhalten immer wieder um die Ohren zu pfeffern.

»Das erste Treffen ist nächsten Montag. Die wichtigsten Eckdaten können Sie im Flyer nachlesen. Ich werde mich bei Delilah Green erkundigen, ob sie mit Ihrer Einsatzbereitschaft zufrieden ist.« Selbstgefällig legt er den Stift nieder, erhebt sich, schaut auf die Uhr und begleitet mich zur Tür. »Bei Mrs Brown bekommen Sie Ihren Stundenplan und den Code für Ihr Schließfach.« Mit diesen Worten verabschiedet er mich und wendet sich dem Typen auf der Bank zu, der uns aufmerksam beobachtet.

»Mason Baker«, knurrt er und macht eine einladende Geste in sein Büro.

Gelangweilt erhebt sich Mason von der Bank und kommt der Aufforderung nach.

»Noch ein guter Rat zum Abschluss«, sagt der Direktor finster, »halten Sie sich von Jungs wie dem hier fern.«

Ich mustere Mason sorgfältig. Offenbar haben dieser mysteriöse Calvin-Klein-Model-Typ und ich etwas gemeinsam: Wir stehen beide auf der schwarzen Liste des Direktors. Masons Blick streift mich unmerklich, als er mit seiner Null-Bock-Miene ins Büro geht. Und ohne ein weiteres Wort schließt Direktor Valentine die Tür.

»Mason Baker«, höre ich ihn durch die verschlossene Tür hindurch sagen. Es ist so hellhörig, dass Mason unser komplettes Gespräch mitbekommen haben muss. »Sheriff Wellington hat mir gesagt, dass Sie ihm die gleiche Geschichte aufgetischt haben wie mir. Aber Fakt ist, dass mir von verschiedenen Augenzeugen berichtet wurde, dass Sie der Letzte waren, mit dem Sean Grayson vor einer Woche gesehen wurde.«

»Holly.« Mrs Brown steht plötzlich in der Tür und fordert mich mit einer Ladung Papieren in ihrer Hand auf, ihr ins Vorzimmer zu folgen.

»… also verraten Sie mir endlich, wo er sich herumtreibt«, höre ich Direktor Valentine noch sagen, während ich der Aufforderung der Sekretärin nachkomme und den Warteraum verlasse.

Sie gibt mir neben Stundenplan und Schließfachcode auch noch eine Karte des Schulgeländes, das aus mehreren Gebäuden besteht, und zeichnet mir die Räume ein, in denen ich Unterricht habe. Als ich endlich losgehe, sind die Flure bereits leer, und ich befürchte, dass ich gerade zu meiner ersten Unterrichtsstunde zu spät komme. Genau das kann ich jetzt gebrauchen. Mein erster Tag an der neuen High School und ich mache sofort einen schlechten Eindruck und ziehe unnötige Aufmerksamkeit auf mich.

Ich versuche den Plan zu verstehen, den die Sekretärin mir gegeben hat, und laufe durch ein gläsernes Treppenhaus zu einer weiteren Treppe, die sich teilt und zu mehreren Schulfluren führt. Da es unwichtig ist, welchen dieser Flure ich nehme, weil ich nur ins andere Gebäude kommen möchte, steige ich die Treppen nach unten und drücke gegen die Glastür. Sie klemmt und ich muss mich mit meinem gesamten Körpergewicht dagegen lehnen, bis sie nachgibt. Mit einem gequälten Quietschen schwingt sie auf und ich betrete einen dunklen, fast fensterlosen Trakt. An den Stellen, wo eigentlich Lampen befestigt sein müssten, ragen abgeschnittene Kabel aus der Wand.

Nach wenigen Metern bin ich mir sicher, dass in diesem Trakt kein Unterricht stattfindet. Aber ich will nur ins andere Gebäude kommen und sehe am Ende des Ganges eine weitere Glastür, also drehe ich nicht um, sondern laufe weiter. Etwa in der Mitte des Flures wird die Luft plötzlich kälter. Erst denke ich, es ist ein Windzug aus einem offen stehenden Fenster, aber dafür ist es zu kalt. Es ist so eisig, dass ich meinen Atem sehen kann.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts, erscheint er vor mir. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, aber ich erstarre und gleichzeitig beschleunigt sich mein Puls. Und die einzige Frage, die mir durch den Kopf schießt, ist: Warum?

Vor mir steht ein leicht transparenter Junge in Footballjacke. Wenn er noch leben würde, wäre er vielleicht ein Jahr älter als ich. Dunkle Flecken zeichnen sich auf dem Weiß des Hemdes ab, das er darunter trägt, und ich kann nicht einschätzen, ob es Dreck oder Blut ist. Aber sein Gesicht erkenne ich trotz der geisterhaften Transparenz und obwohl ich ihm vorher noch nie begegnet bin. Ich kenne ihn von dem Foto auf dem Vermisstengesuch. Sean Grayson.

Meine Kehle fühlt sich staubtrocken an, weil mich die bittere Erkenntnis überfällt, dass der Junge tot ist.

»Er kommt wieder.« Seans Geisterstimme klingt blechern.

Seit meiner ersten Geisterbegegnung vor ein paar Monaten weiß ich, dass ein Geist mich nicht in Ruhe lässt, wenn ich ihn ignoriere. »Wer kommt wieder?«, frage ich daher.

Vor einigen Monaten hatte es an meiner alten High School einen tragischen Unfall im Schwimmteam gegeben, bei dem Charlotte Harrison, eine Schülerin aus dem Jahrgang über mir, ertrunken war. Kurz darauf wurde ich von ihrem Geist heimgesucht. Charlotte bat mich um Hilfe, weil sie von einem Poltergeist gequält wurde, der sich ebenfalls an unserer Schule herumtrieb und sie davon abhielt, ins Licht zu gehen.

Es war keine Glanzleistung von mir, den Poltergeist in die Schulaula zu sperren und diese mit geweihtem Wasser zu fluten, aber ich hatte in dem Moment keinen Plan B.

Mich persönlich hat es jedenfalls nicht weitergebracht. Ich habe dadurch meinen Ruf ruiniert, wurde von meinen Mitschülern geächtet und bin von der Schule geflogen. Dafür hat es den Poltergeist vertrieben und Charlotte konnte ins Licht schweben und ihren Frieden finden.

»Er kommt wieder«, sagt Seans Geist erneut, als hätte er einen Sprung in der Platte. »Er wird sie töten.«

»Wen wird er töten?«, frage ich diesmal.

»Die anderen aus dem Team.« Verängstigt blickt er sich um. »Er will unsere Seelen.«

Und ich will einen Neuanfang und nicht das hier. Ein Geist, der in Rätseln spricht und einen Serienmord ankündigt. Mein Fuß beginnt ungeduldig zu tippeln – eine unschöne Angewohnheit, wenn mir etwas nicht gefällt und ich die Angelegenheit am liebsten sofort erledigt haben möchte.

Ich verwerfe die Idee, dass Sean auch von einem Poltergeist davon abgehalten wird, ins Licht zu gehen. Poltergeister sind keine Serienmörder. Glaube ich zumindest.

»Und wie kann ich dir helfen?« Ich reibe mir die Nase, die von der Kälte der Geisteraura bestimmt rot angelaufen ist.

Er öffnet den Mund, dann flackert er wie das Bild in einem alten Röhrenfernseher, wenn der Empfang schlecht ist, und löst sich in Luft auf.

Hinter mir quietscht die Glastür, durch die ich gekommen bin, und als ich mich umblicke, sehe ich Mason. Nach einem kurzen Zögern läuft er auf mich zu, scannt den Flur und bleibt dann etwa einen Meter neben mir stehen. Er hat wirklich ein verboten schönes Gesicht. »Mit wem hast du geredet?«, fragt er mit rauer Stimme, die ich jetzt zum ersten Mal höre und deren Klang ein heißkaltes Kribbeln durch meine Adern pulsieren lässt.

»Mit mir selbst.« Ich versuche es sarkastisch klingen zu lassen. »Mir sind hier leider noch nicht so viele gesprächige Menschen begegnet.«

Unbeeindruckt verschränkt er die Arme vor der Brust und ich sehe ihm an, dass er mir nicht glaubt. Aber selbst wenn ich in der Vergangenheit keine schlechten Erfahrungen damit gemacht hätte, würde ich nicht auf die Idee kommen, ihm die Wahrheit zu sagen. Anderen davon zu erzählen, den Geist eines vermissten Footballspielers gesehen zu haben, der neue Todesopfer ankündigt, macht bestimmt keinen guten ersten Eindruck. Und im schlimmsten Fall hängt man es mir noch an, falls seine Leiche gefunden werden sollte.

Was will Mason überhaupt hier? Er müsste doch wissen, dass dieser Flur eine Baustelle ist. Plötzlich erinnere ich mich an die wenigen Sätze, die ich durch die Tür des Direktors gehört habe. Mason war der Letzte, der mit Sean zusammen gesehen wurde, und jetzt ist Sean tot. Ich schlucke und weiche einen Schritt zurück, um etwas mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Immer noch verschränkt er die Arme und seiner gesamten Haltung merke ich pures Misstrauen an. Erst zögere ich, dann halte ich meinen Stundenplan in seine Augenhöhe. Ein schwacher Versuch, der Situation zu entkommen, aber der einzige, der mir gerade einfällt. »Ich bin auf der Suche nach dem Matheraum.«

Seine Augen überfliegen meinen Stundenplan und richten sich dann wieder auf mich. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten und weiß nicht, ob er mir nicht glaubt oder was er überhaupt denken könnte.

»Hier bist du jedenfalls falsch«, sagt er. »Der Gang ist seit Monaten eine Baustelle, angeblich spukt es hier.« Sein Blick wird intensiver, als wollte er meine Gedanken lesen, und ich merke erst einen Moment später, als ich nach Luft schnappe, dass ich vergessen habe zu atmen.

»Und was machst du dann hier?«, frage ich.

Er neigt den Kopf. »Ich habe dich reden hören und war neugierig.«

»Ach so.« Hastig wende ich mich ab und gehe in Richtung Ausgang.

»Ich kann dir zeigen, wie du zum Matheraum kommst«, sagt er. »Ich muss in die gleiche Richtung.«

Mit einem Ruck öffnet er die Tür am anderen Ende des Flurs, wodurch etwas Baustaub am Boden aufgewirbelt wird, und endlich treten wir aus der kalten Dunkelheit heraus in ein Treppenhaus. Die Morgensonne zeichnet durch die verspielten Scheiben der hohen Rundbogenfenster kleine Muster auf die Stufen und verrät die Staubpartikel, die sonst unsichtbar in der Luft schweben.

»Hier lang.« Er deutet nach links und lässt mir den Vortritt, als wolle er sichergehen, dass ich mitkomme. »Nicht jeder Schüler wird zu Beginn des Schuljahres zu einer Audienz zum Direktor bestellt«, bemerkt er, während wir die Treppen hochlaufen. »Was hast du angestellt?«

Ich streife ihn mit einem misstrauischen Seitenblick. Dabei bemerke ich einen zerknüllten Halloweenball-Flyer, der aus seiner Jackentasche ragt, als wäre er widerwillig eingesteckt worden.

»Was ist mit dir?«, weiche ich seiner Frage aus. »Hast du dich freiwillig zum Ballkomitee gemeldet?« Er gibt ein unverständliches Knurren von sich, was mir ein erstauntes Lachen entlockt. »Das Komitee muss schrecklich sein, wenn Direktor Valentine es als bevorzugte Erziehungsmethode einsetzt«, stelle ich fest.

»Und warum hat er sie bei dir für nötig gehalten?«, bringt Mason das Gespräch wieder auf mich.

Wenn er wirklich etwas mit dem Tod von Sean Grayson zu tun hat, ist es vielleicht gar nicht so falsch, ihm ein paar dunkle Details meiner Vergangenheit zu verraten. Als Abschreckung.

»Ich bin von meiner alten Schule geflogen, weil ich die Aula mit Wasser geflutet habe«, gestehe ich.

Er versucht ein Lächeln zu unterdrücken, indem er sich auf seine Unterlippe beißt. »Na, dann bin ich mal gespannt, ob deine Anwesenheit beim Vorbereitungskomitee die Desert Ridge High vor einem Untergang bewahrt«, bemerkt er und der Sarkasmus in seiner Stimme ist nicht zu überhören.

»Und was ist mit dir?«, frage ich und versuche dabei möglichst gleichgültig zu klingen. Einen Teil des Gesprächs habe ich mitbekommen, ich weiß, dass es etwas mit Sean zu tun hatte, und vielleicht verrät Mason mir noch ein bisschen mehr, nachdem ich ihm gerade eins meiner Geheimnisse anvertraut habe. »Direktor Valentine ist nicht besonders begeistert von dir«, sage ich, weil ich mich an die Warnung erinnere, mich von Mason fernzuhalten.

Er lacht träge. »Direktor Valentine ist von niemandem begeistert.«

Er öffnet die Tür zu einem weiteren Flur. »Hier«, sagt er und lässt mir den Vortritt. »Das ist dein Raum.«

Wie es aussieht, bin ich gerade noch pünktlich. Vor einer verschlossenen Tür warten einige Schüler, manche ungeduldig, aber die meisten wirken so, als wären sie lieber noch länger im Bett geblieben.

»Im Ernst.« Ich bleibe hartnäckig. »Was hast du gemacht?«

Er legt den Kopf schief, kommt näher und sieht mir tief in die Augen, sodass mir für einen Moment der Atem stockt und sich die Luft wie zum Zerschneiden anfühlt. »Willst du das wirklich wissen?«, flüstert er.

Ich bin so überrumpelt, dass ich nichts darauf antworte. Idiot. Ich hätte ja wohl nicht gefragt, wenn ich es nicht wissen wollte. Aber als ich meine Fassung zurückgewonnen habe, ist es zu spät, denn ein Typ stößt ihm kumpelhaft gegen die Seite und beendet damit unsere Unterhaltung.

»Wo warst du denn, Mase?« Er legt Mason seinen Arm über die Schultern, wobei sich sein kariertes Hemd nach oben zieht und die großen weißen Kopfhörer, die um seinen Hals hängen, verrutschen, sodass er sie festhalten muss, damit sie nicht herunterfallen.

»Beim Direktor.« Mit einer geschickten Drehung befreit Mason sich aus seinem Griff.

Der andere lacht, fährt sich mit einer Hand durch die braunen Locken und rückt mit der anderen seinen Kopfhörer wieder zurecht. »Ich dachte schon, du machst blau.« Mit gespielter Empörung schiebt er hinterher: »Und das ohne mich!« An einem Handgelenk trägt er mehrere Lederarmbänder, seine Jeans ist modisch eingerissen und seine knöchelhohen Sneaker abgenutzt. Es fehlt nur noch das Skateboard, um das Outfit zu vervollständigen. »Und?«, fragt er und mir fällt auf, dass seine Augen im selben Graublau glänzen wie Masons. »Was wollte Valentine von dir?«

Mason hält den Halloweenball-Flyer hoch. »Mich bestrafen.«

Der andere seufzt theatralisch und wendet sich an mich. »Und wer ist das?«

Mason wendet sich mir ebenfalls zu, legt den Kopf schief und sieht mich abwartend an.

»Holly«, stelle ich mich vor.

Der Typ mustert mich eingehend. »Neu hier?«

Ich nicke knapp.

»Deine Begeisterung hält sich in Grenzen, was?«, stellt er fest. »Ich hoffe, das liegt nicht an Mason. Mein kleiner Bruder kann manchmal etwas abschreckend wirken.« Er verschränkt die Arme und sieht in Masons Richtung, der auf den Kommentar lediglich mit einer angehobenen Augenbraue reagiert. »Ich bin übrigens Amadeus«, fügt er noch hinzu und lächelt schief.

»Und ich bin Ludwig, aber alle nennen mich Ludy«, mischt sich ein etwas kleinerer, pummeliger Typ mit einem fröhlichen Lächeln dazwischen. Enthusiastisch schüttelt er meine Hand, wobei die kleinen Rastalocken, die unter seiner Cap hervorlugen, lustig wackeln.

Ich kann nicht anders, als sein freundliches Lächeln zu erwidern. Er hebt kurz seine weiße Cap, die im Kontrast zu seiner dunklen Haut steht, dreht sie nach hinten und setzt sie verkehrt herum auf. Jetzt muss er den Kopf nicht mehr nach oben recken, um die anderen anzusehen.

»Wollen wir zum Kiosk gehen?« Amadeus zieht sein Portemonnaie aus der Hosentasche und überprüft, ob er noch genug Geld dabei hat.

»Leute«, mischt sich Ludy ein. »Das Schuljahr hat gerade erst angefangen und ihr wollt schon schwänzen?«

»Amadeus will schwänzen«, korrigiert Mason ihn.

»Mr Wilson lässt mich sowieso durchfallen. Der Kerl hasst mich. Ob ich jetzt im Unterricht sitze oder nicht.« Gleichgültig hebt Amadeus die Schultern, tritt einen Schritt zurück und stößt dabei gegen ein Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren und elfenhafter Statur.

»Lilly?«, sagt Amadeus, als er sich umsieht, und sein cooles Gehabe scheint wie auf den Schlag verschwunden zu sein. »Ich wusste nicht, dass du schon da bist.« Sein Ausdruck wird ganz weich.

»Nicht schlimm.« Ihre Wangen erröten und sie blickt neugierig von Amadeus zu mir und dann zu Mason.

»Zu spät zum Abhauen.« Ein breites Grinsen tritt in Ludys Gesicht und er zieht sich seine Cap vom Kopf. »Da kommt Mr Wilson.«

Amadeus gibt ein genervtes Knurren von sich, als der Mathelehrer an uns vorbeirauscht, die Tür aufschließt und den Eintritt in den Klassenraum gewährt.

Glücklicherweise verläuft meine erste Unterrichtsstunde nicht so, wie ich es aus High-School-Filmen kenne. Ich muss mich nicht vor der Klasse vorstellen. Als ich zu Mr Wilson gehe und ihm sage, dass ich neu bin, blickt er nur kurz von seinen Unterlagen auf, deutet flüchtig mit der Hand in Richtung Klassenraum und sagt: »Suchen Sie sich einen freien Platz.«

Es ist noch ein Stuhl in der zweiten Reihe neben Lilly frei. Direkt dahinter sitzen Amadeus, Ludy und Mason.

Lilly lächelt freundlich und nimmt ihren Rucksack herunter, damit ich mich setzen kann.

»Danke«, flüstere ich und erwidere ihr Lächeln.

Mr Wilson schreibt eine Formel an die Tafel, dreht sich zur Klasse, schlägt ein grünes Heft auf dem Pult auf, fährt mit seiner großen Hand über seine Halbglatze, betrachtet einen Schüler nach dem anderen und rümpft die spitze Nase, was ihn ein wenig wie eine Maus aussehen lässt.

»Sean Grayson«, sagt er dann. »Können Sie bitte die Gleichung lösen?« Im Klassenraum wird es still. »Sean«, sagt Mr Wilson wieder. »Ich kann Sie nicht hören, sprechen Sie bitte etwas lauter.«

»Sean ist nicht da«, traut sich ein Schüler zu sagen. »Er wird seit ein paar Tagen vermisst.«

Skeptisch mustere ich den Lehrer. Das müsste er doch wissen. Ich bin gerade mal seit einer halben Stunde auf dieser Schule und habe mitbekommen, dass Sean vermisst wird. Aber Mr Wilson ignoriert den Kommentar des Jungen.

»Dann gehe ich davon aus, dass Sie die Antwort nicht kennen, Sean.« Der Lehrer zieht einen roten Stift aus der Brusttasche seines Hemdes und kritzelt etwas in sein Heft. »Mündliche Note: ungenügend.«

Mir klappt der Mund auf. »Ist das ein Scherz?«, frage ich Lilly leise.

Diese schüttelt den Kopf. »Das macht er mit allen Schülern, die seinen Unterricht schwänzen.«

»Aber Sean wird … vermisst«, sage ich entsetzt und unterdrücke den Impuls, sie darüber aufzuklären, dass Sean tot ist.

»Das glauben die Lehrer nicht«, flüstert sie. »Sie glauben, er macht ›Urlaub‹. Vielleicht will Mr Wilson auf diese Weise Seans Freunde dazu bringen zu verraten, wo er sich aufhält.« Unwillkürlich wandert mein Blick zu Mason in der Reihe hinter mir. Er dreht einen Stift in der Hand, blickt nach vorn und als er mich sieht, wendet er sich mir zu und neigt fragend den Kopf. Auch wenn er nichts mit Seans Tod zu tun haben sollte, glaube ich, dass er mehr weiß, als er preisgibt.

»Kann jemand anderes die Rechnung lösen?«, fragt Mr Wilson und ich drehe mich wieder nach vorn. Niemand meldet sich.

»Das habe ich mir gedacht.« Kopfschüttelnd nimmt er einen Stapel Blätter, gibt diesen einem Jungen, der in der ersten Reihe sitzt, und überträgt ihm die Aufgabe, die Arbeitsblätter zu verteilen. »Sie haben eine Viertelstunde Zeit, danach möchte ich, dass mir jeder die Lösung sagen kann.«

Der Junge steht schlurfend auf und beginnt die Arbeitsblätter auszuteilen. Im Klassenraum steigt der Geräuschpegel wieder an. Ein elegantes Mädchen in einem dunkelblauen Blusenkleid geht nach vorn und spitzt einen Stift über dem Mülleimer an, die Schüler, die ihre Arbeitsblätter schon erhalten haben, lehnen sich mit konzentrierten Gesichtern darüber.

»Woher kommst du?«, fragt Lilly, während sie farbige Stifte aus ihrem Etui zieht und vor ihr Matheheft legt, auf das sie in bunten Buchstaben ihren Namen geschrieben hat: Emilia Johnson-Yamamoto.

»Ich bin vor einer Woche aus Los Angeles hergezogen«, antworte ich und nehme das Arbeitsblatt entgegen, das der Junge mir reicht.

Lilly wendet sich zu mir und ihre Augen leuchten. »Da wollte ich schon immer mal hin. Da ist doch bestimmt viel mehr los als hier.«

»Ist nicht so toll, wie man es sich vorstellt«, sage ich, während ich im Augenwinkel Mason beobachte, der sich auf seinem Stuhl zurücklehnt und in unsere Richtung blickt. Er lächelt flüchtig und wendet sich dann dem blonden Typen in Footballjacke zu, der gerade aus einer der hinteren Reihen aufgestanden ist und ihm einen kumpelhaften Faustcheck gibt.

»Hey, Cole«, sagt Mason und klingt gelangweilt.

»Kommst du Freitag nach dem Spiel zu meiner Party?«, will dieser wissen und schiebt sich mit der Hand die blonden Haare aus seinem Captain-America-Gesicht.

»Mal schauen«, ist Masons Antwort.

»Kannst auch deinen Anhang mitbringen«, sagt Cole gütig und nickt zu Amadeus und Ludy, ohne die beiden dabei anzusehen.

Amadeus, der sich über den Tisch zu uns beugt, murmelt kaum hörbar: »Das sagt er nur, weil er weiß, dass Mase ohne uns nicht kommt.«

»Warum würde er ohne euch nicht hingehen?«, frage ich. Mason wirkt auf mich nicht wie jemand, der Probleme damit hat, irgendwo allein aufzukreuzen.

Amadeus grinst nur und hebt unschuldig die Schultern.

»Ich muss auch hingehen.« Lilly lässt die Schultern hängen.

»Muss?«, frage ich erstaunt und blicke von Amadeus zu Lilly. »Das klingt ja nach einer ziemlich schlechten Party.«

Aber sie schüttelt den Kopf. »Nein, eigentlich sind die Partys vom Footballteam immer gut, aber Cole ist …« Sie sucht nach einem passenden Wort.

»Ein Arsch«, beendet Amadeus ihren Satz.

»Und warum gehst du dann hin?«, will ich von ihr wissen. Schließlich zwingt sie doch keiner, oder?

»Ich muss einen Artikel für den Schulblog schreiben«, sagt sie.

»Du schreibst für diesen Blog?«, frage ich aufrichtig interessiert.

»Ich bin die Redakteurin.« Ihre Schultern richten sich stolz auf.

»Die beste, die wir jemals hatten«, betont Amadeus und Lilly lächelt verlegen. »Seitdem du die Artikel schreibst, lese ich jeden Beitrag.«

»Allerdings betreibe ich den Blog komplett allein«, wendet Lilly ein. »Das ist echt viel Arbeit.«

Gut zu wissen. Mit der Redakteurin des Schulblogs sollte man es sich nicht verscherzen, wenn man vermeiden will, dass negativer Tratsch über einen die Runde macht.

»Leihst du mir einen Stift, Lilly?«, wechselt Amadeus das Thema.

»Klar.« Sie nimmt die bunten Dinger, dreht sich zu Amadeus und hält sie ihm hin. »Such dir einen aus.«

Amadeus überlegt kurz und wählt dann einen neongrünen. »Ich liebe diese japanischen Filzstifte.«

»Mein Dad kommt aus Japan«, erklärt Lilly in meine Richtung. »Wir fahren jeden Sommer nach Tokio und da kaufe ich so viel ein, wie ich in meinen Koffer bekomme.«

»Du musst mal diese Süßigkeiten probieren«, sagt Amadeus zu mir. »Mossi. Die mit Erdnussbutter sind die besten.«

»Mochi.« Lilly lacht.

»Und, kleine Fee?«, flüstert Amadeus und beugt sich näher zu Lilly. Ein ziemlich treffender Kosename für ihre zierliche Erscheinung, finde ich. »Wann sehen wir uns wieder?«, fragt er leise.

Ihre Wangen erglühen wie reife Kirschen.

Amadeus scheint das zu gefallen, denn er beugt sich noch etwas näher zu ihr nach vorn und flüstert ihr etwas ins Ohr, was ich nicht verstehe. Mir fällt nur auf, dass sie verlegen lächelt und ihr noch mehr Hitze in den Kopf steigt. Was auch immer zwischen den beiden läuft, es ist mehr als Freundschaft.

»Wann lernst du endlich, dass du Emilia in Ruhe lassen sollst?«

»Hallo, Schätzchen!« Amadeus lehnt sich zurück und schenkt dem Mädchen ein Lächeln, das gerade noch am Mülleimer gestanden und ihren Bleistift angespitzt hat.

Elegant wirft sie ihren schwarzen Pferdeschwanz nach hinten und reagiert auf Amadeus’ Bemerkung nur mit einem nüchternen Blick.

»Bist du eifersüchtig, Jasmin?«, fragt er und beginnt mit seinem Stuhl leicht zu wippen.

»Wovon träumst du nachts?«, gibt diese zurück und wendet sich wieder meiner Sitznachbarin zu. »Mach endlich mal deinen Mund auf, Emilia, und lass dich nicht ständig von dem Kerl verarschen.«

Mittlerweile hat sich Lillys kompletter Kopf rot gefärbt und sie sinkt immer tiefer in ihren Stuhl, als hoffte sie verschwinden zu können.

»Ich verarsche niemanden«, entgegnet Amadeus.

»Warum wirst du denn jetzt so rot?«, fragt Jasmin sichtlich genervt von Lillys Anblick, ohne auf Amadeus einzugehen. Um das Ganze noch zu toppen, fügt sie hinzu: »Du siehst aus wie eine Tomate, guck mal in den Spiegel.«

»Na, wer so eine Schwester hat, der braucht keine Feinde mehr, was?«, sagt Amadeus und hört auf mit seinem Stuhl zu wippen. »Und noch einmal: Ich verarsche hier niemanden.«

Jasmin schenkt ihm einen misstrauischen Blick und geht zurück zu ihrer Reihe, in der mehrere Mädchen sitzen, die alle dasselbe Kleid und dieselbe Frisur tragen wie sie.

Unauffällig mustere ich Lilly von der Seite.

Wenn Amadeus nicht erwähnt hätte, dass die beiden Schwestern sind, wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Sie wirken vollkommen verschieden. Lillys Outfit schreit förmlich nach Rebellion. Zerrissene schwarze Skinny Jeans, Plateau-Doc-Martens, ein bauchfreies Shirt, abgeknibbelter Nagellack und ein Pixie Cut. Jasmin hingegen wirkt wie eine angehende Firmenchefin, die so selbstbewusst ist, dass sie kein Problem damit hätte, sich mit jedem anzulegen, der sich ihrer Karriere in den Weg stellt.

»Die beiden sind Zwillingsschwestern«, klärt Amadeus mich auf. »Hättest du das gedacht?«

»Mason und Amadeus sind Brüder und Amadeus ist nur in unserer Stufe, weil er schon zweimal sitzen geblieben ist«, mischt sich Ludy ein.

»Musst du das jedem erzählen?« Genervt rollt Amadeus mit den Augen.

»Ich helfe dir nur.« Ludy tippt mit seinem Stift auf das Arbeitsblatt vor Amadeus. »Mach lieber mal deine Aufgaben, wenn du das Schuljahr diesmal schaffen willst.«

Masons Blick streift mich flüchtig, als würde ihm das Gespräch zwischen Amadeus, Ludy, Lilly und mir nicht gefallen, und wieder entsteht diese Spannung zwischen uns, als wäre er ein Magnet, zu dem ich mich unwiderruflich hingezogen fühle. Ich schaffe es, mich von ihm abzuwenden, aber das Gefühl bleibt und ich kann es mir zum einen nicht erklären und zum anderen befürchte ich, dass es kein gutes Zeichen ist. Wie so vieles, was ich in den letzten Monaten erlebt habe.

Der schwarze Schatten

Mein erster Tag hätte schlimmer verlaufen können. Bis auf Sport und Englisch habe ich alle Kurse mit Lilly, die mir netterweise die Wege zu den Unterrichtsräumen zeigt.

Ich erwische mich dabei, dass ich genau überlege, was ich ihr erzähle. An meiner alten Schule habe ich keine allzu gute Erfahrung mit den Schreiberlingen unserer Schul-App gemacht. Die Desert Ridge High und Lillys Schulblog scheinen etwas altmodischer zu sein und nicht so sensationsgierig, wie ich es kenne. Trotzdem habe ich Respekt davor. So ein Blog kann einen groß machen oder zerstören. Davon abgesehen, dass es in meinem Fall bestimmt nicht schaden kann, sich mit der Redakteurin des Schülerblogs anzufreunden, scheint Lilly wirklich nett zu sein.

Nur eine Frage liegt mir auf der Zunge, seit ich erfahren habe, dass sie den Blog betreibt. »Kanntest du Sean Grayson?«, beginne ich das Thema beiläufig.

»Kannte?«, fragt sie. »Also, ich kenne ihn, jeder kennt ihn, er spielt im Footballteam.«

»Hm«, mache ich. »Ich habe den Vermisstenaushang gesehen.«

Sie nickt kaum merklich. »Sean ist vor einer Woche spurlos verschwunden.«

Ich warte einen Moment, bevor ich weiterspreche, damit es nicht zu neugierig wirkt. »Auf dem Schulblog habe ich nichts darüber gelesen.«

»Du hast meinen Blog gelesen?«, fragt sie erstaunt.

»Ja«, sage ich. »Er ist wirklich gut. Die Beiträge sind immer an den passenden Stellen ironisch.«

»Danke.« In ihre Augen tritt ein freudiger Glanz. »Es ist gar nicht so einfach, meine persönliche Meinung in die Artikel einfließen zu lassen. Alles, was ich schreibe, unterliegt der Korrektur des Direktors, und er gibt die Themen vor. Glaub mir, wenn es nach mir ginge, würde nicht jeder zweite Beitrag vom Footballteam handeln. Aber es ist nun mal der ganze Stolz unserer Schule.«

Ich muss grinsen, weil Lilly den letzten Satz mit Würgegeräuschen untermalt, werde dann aber schnell wieder ernst. »Ich habe mich nur gefragt, warum in dem Blog nichts über Seans Verschwinden zu lesen ist.«

Sie lässt die Schultern sinken und neigt den Kopf, als würde sie sich überwinden müssen darüber zu sprechen. »Ich weiß, das sieht nach schlechter journalistischer Arbeit aus, was?« Schuldbewusst sieht sie mich an. »Direktor Valentine hat mir verboten darüber zu schreiben. Zu viel negative Publicity. Er möchte nicht, dass die Schule einen schlechten Ruf bekommt. Außerdem, und das, was jetzt kommt, waren genau seine Worte«, um das zu untermauern, setzt sie mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, »›ist der Schüler vermutlich einfach abgehauen, wie Jugendliche das eben so machen … diese kleinen Psychopathen‹.«

***

Grandmas Haus steht in einer bürgerlichen Wohngegend. Es ist eine dieser kleinen viktorianischen Villen, die aussehen wie ein dekorierter Kuchen. Mit einer türkisfarbenen Fassade, weißen Verzierungen an den Fenstern und einem kleinen Erker mit Türmchen.

Seit wir vor einer Woche eingezogen sind, habe ich mindestens schon drei Nachbarn tuscheln hören, dass mit dem Haus etwas nicht stimme oder dass es darin spuke. Aber bis jetzt ist mir noch kein Geist begegnet.

Jedes Mal, wenn ich die Tür aufschließe, denke ich, Grandma wartet auf mich. So wie früher hoffe ich sie am Esszimmertisch sitzen zu sehen, in einer Zeitschrift oder einem Buch lesend – und mit einer Teetasse ihres edlen Porzellanservice in der Hand. Sie hatte immer schon eine zweite Tasse für mich hingestellt, damit ich mich sofort zu ihr setzen und ihr alles erzählen konnte, was mir auf dem Herzen lag. Mit ihr hätte ich auch über die Geister reden können, weil ich einfach über alles mit ihr gesprochen habe. Im Gegensatz zu Mom, die komplizierte Themen am liebsten wegschweigen würde, als würden sich die Probleme dadurch von selbst auflösen.

Wie jedes Mal, seit wir hierher zurückgezogen sind, wird meine Hoffnung bitter enttäuscht. Grandma ist nirgends zu sehen, der Tisch im Esszimmer ist leer und nur das leise Gemurmel des Fernsehers empfängt mich, als ich das Haus betrete. Onkel Harry, Grandmas Bruder, schaut sich die Nachrichten an.

Ich grüße ihn kurz, aber er bemerkt mich kaum, weil er dem Nachrichtensprecher gebannt zuhört. Vermutlich hat dieser noch nichts gesagt, was ihn ärgert, denn sonst hätte er mit Sicherheit eine Schimpftirade losgelassen. Dank Harry bin ich immer auf dem neuesten Stand über die schrecklichen Dinge, die alltäglich in der Welt passieren. Er kann da sehr theatralisch werden. Auch wenn es hin und wieder interessant ist, welche Strafen ihm für all die Übeltäter dieser Welt einfallen. Was das betrifft, ist er unglaublich kreativ. Seine Lieblingsmordwaffe ist die Stinger-Rakete. Ich weiß nicht, wie diese Rakete aussieht oder ob es sie überhaupt gibt, aber er hat sie mental schon auf einige Politiker und Diktatoren abgefeuert.

Die Treppenstufen knarzen, als ich sie betrete. Ich habe das Zimmer mit dem Erker im ersten Stock bekommen, das schönste in diesem Haus. Schon als Kind gehörte es mir, an dem Erkerfenster habe ich immer Prinzessin gespielt. Auf den Dielenbrettern unter dem Erkerfenster ist noch ein Brandfleck von der Zigarette zu sehen, die ich mit dreizehn heimlich geraucht habe und die mir runtergefallen ist, als Grandma mich dabei erwischt hat. Ich muss bei der Erinnerung lächeln. Wie immer hat sie mir geholfen, es vor Mom zu verheimlichen und die Zigarette unauffällig verschwinden zu lassen. Damals haben wir schon in L. A. gewohnt und ich kam nur in den Sommerferien zu Besuch. Und obwohl wir so früh weggezogen sind und ich nur noch in den Ferien zu ihr gekommen bin, hat sie mein Zimmer nie in ein Gästezimmer umfunktioniert, als hätte sie geahnt, dass ich irgendwann zurückkehren würde.

Mit den Fingerspitzen streiche ich über den weißen Kleiderschrank mit den verzierten Flügeltüren und den großen runden Spiegeln. Grandma hat das Zimmer für mich genauso eingerichtet, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich habe dieses Zimmer geliebt und jetzt fühle ich mich verlassen und allein, weil es mich an eine Zeit erinnert, in der die Welt noch heil war – eine Welt, von der ich weiß, dass sie nicht wieder zurückkommen wird. Traurig betrachte ich das Himmelbett. Ich weiß noch genau, wie sie mit mir losgezogen ist, um dieses Bett und den dazu passenden Kronleuchter zu kaufen, den ich mir so sehr gewünscht hatte. Es hat Stunden gedauert. Offen gestanden ist die Einrichtung das einzig Schöne, was es hier gerade zu sehen gibt, denn der Rest des Raumes ist vollgestopft mit Umzugskartons und Koffern. Bis jetzt konnte ich mich nicht dazu durchringen, meine Sachen auszupacken, dabei hasse ich Unordnung.