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Catching Magic 1: Berührt von der Dunkelheit E-Book

Anna-Sophie Caspar

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Beschreibung

**Verliere dich nicht im Sog der Magie**  Nur mit Mühe und Not gelingt es den drei Schwestern Blake, Nell und Lucy, sich mit zwielichtigen Nebenjobs über Wasser zu halten. Ihr vermeintlich seriöser Auftritt in einer Fernsehshow über Geisterjäger sitzt ihnen noch in den Knochen, da erhält Blake ein unerwartetes Angebot von dem düsteren und verschlossenen Skylar Morrell. Die Schwestern sollen sich für ihn auf die Suche nach verschollenen magischen Artefakten begeben. Das klingt eindeutig verrückt – und lukrativ. Während ihre Schwestern noch zögern, begibt sich Blake mit Skylar auf einen Pfad, der weitaus gefährlicher ist, als sie ahnt. Denn einmal im Sog der Magie, kann man sich diesem nur schwer entziehen … Heiß erwartet: ein neues Fantasy-Highlight der Autorin Anna-Sophie Caspar  Drei Schwestern im Bann der Magie, ein Beschützer mit gefährlichen Geheimnissen und die Sehnsucht nach Verbundenheit vereint in einer zauberhaften Liebesgeschichte. //Dies ist der erste Band der magisch-romantischen Buchserie »Catching Magic«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Catching Magic 1: Berührt von der Dunkelheit -- Catching Magic 2: Verbunden im Licht//

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Catching Magic 1: Berührt von der Dunkelheit

**Verliere dich nicht im Sog der Magie** Nur mit Mühe und Not gelingt es den drei Schwestern Blake, Nell und Lucy, sich mit zwielichtigen Nebenjobs über Wasser zu halten. Ihr vermeintlich seriöser Auftritt in einer Fernsehshow über Geisterjäger sitzt ihnen noch in den Knochen, da erhält Blake ein unerwartetes Angebot von dem düsteren und verschlossenen Skylar Morrell. Die Schwestern sollen sich für ihn auf die Suche nach verschollenen magischen Artefakten begeben. Das klingt eindeutig verrückt – und lukrativ. Während ihre Schwestern noch zögern, begibt sich Blake mit Skylar auf einen Pfad, der weitaus gefährlicher ist, als sie ahnt. Denn einmal im Sog der Magie, kann man sich diesem nur schwer entziehen …

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Danksagung

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© Nina Caspari

Anna-Sophie Caspar, geb. 1986, hat sich schon als Kind kleinere Geschichten ausgedacht. Wenn sie nicht gerade schreibt oder durch die Welt reist, analysiert sie die Sterne und die Wirkung des rückläufigen Merkurs in ihrem Geburtshoroskop. Man munkelt, dass ihre magische Fähigkeit darin besteht, Notizbücher vollzukritzeln.

8 Regeln für Protektoren

Wir haben keine Geheimnisse voreinander.

Wir schützen und bewahren die magischen Gegenstände.

Wir stellen uns jeder Prüfung, auch wenn wir dabei sterben können.

Jede bestandene Prüfung wird für immer auf unserer Haut verewigt.

Um unseren Dienst für den Zirkel erfüllen zu können, werden uns Catcherinnen zur Seite gestellt.

Eine Liebesbeziehung zwischen einem Protektor und einer Catcherin ist strengstens verboten.

Die Regeln des Zirkels sind unser Gesetz.

Wer eine der Regeln bricht, wird bestraft.

– Auszug aus der Verfassung des Zirkels –

Kapitel 1

Blake

Ich drängte mich an einer Gruppe Betrunkener vorbei, die Tischtennisbälle in Bierbecher warfen. Stickige Luft vermischte sich mit Schweißgeruch und Zigarettenrauch und der Bass der Musik hallte laut von den Wänden wider. Obwohl die Studentenparty in einer Villa in South Kensington stattfand, gab es keine Beschwerden wegen des Lärms aus der Nachbarschaft. Einfach deshalb, weil es ein großes alleinstehendes Haus war und die nächsten Villen weit genug entfernt waren, um noch etwas von dem Partylärm mitzubekommen.

»Vorsicht!« Jemand rempelte mich zur Seite und im nächsten Moment wurde ich mit Konfetti beworfen. Warum war ich noch mal mitgekommen? Oder besser gefragt: Wieso hatte ich mich von Lucy überreden lassen? Ich wusste doch, was mich erwartete. Diese Verbindungspartys hatten mir noch nie gefallen. Ich zupfte Konfetti aus meinem Dekolleté und versuchte meine langen schwarzen Haare von den bunten Papierschnipseln zu befreien, indem ich mehrmals mit meinen Fingerspitzen hindurchfuhr.

»Für dich, Blake.« Einer der Verbindungsbrüder drückte mir einen blaugoldenen Becher mit Bier in die Hand, schob mit zwei Fingern seine Mundwinkel hoch und deutete mir so an zu lächeln. »Damit du auch ein bisschen Spaß hast.«

Ich ging weiter und stellte den Becher auf dem nächsten Tisch ab.

Mein Name war nicht gerade ein Segen, besonders nicht während der Schulzeit. Von einem Mädchen mit einem Jungennamen erwarteten die Lehrer, dass es mehr Mist baute als die anderen Mädchen in der Klasse. Deshalb wurde ich die ganze Schulzeit über viel strenger behandelt als meine Freundinnen. Vielleicht hatte das ja dazu geführt, dass ich tatsächlich öfter in Schwierigkeiten geraten war … Aber meine Eltern hatten den Namen auf ihrer Rucksackreise durch Amerika kennengelernt und waren so begeistert davon, dass sie beschlossen ihr drittes Kind Blake zu nennen. Egal, ob es ein Junge oder Mädchen wurde. Zu meinem Glück wurden ausgefallene Vornamen immer moderner und ich war froh, dass sie mich nicht Venus genannt hatten, so hatte nämlich eine meiner Klassenkameradinnen geheißen. Trotzdem, hier auf der Party stach ich mit meinem Namen zwischen all den Carolines, Emilias und Cathreens natürlich besonders hervor.

Und wieder mal merkte ich, dass ich hier überhaupt nicht hinpasste – in die Welt meiner großen Schwester und ihrer Freunde.

Lucys Freund Gregory alias Greg und die anderen Veranstalter hoben sich von dem Rest durch ihre blau-goldene Schärpe ab, die ein vergoldetes Wappen zierte, um ihre Zugehörigkeit zur Blue and Gold Loge zu präsentieren. Eine elitäre Studentenverbindung von angehenden Juristen, Bankiers und Unternehmern.

Zwischen all den Jura-Studenten kam ich mir vor wie ein Fremdkörper. Lucy hatte mir die Party gut verkauft. Es war eine große Ehre überhaupt eingeladen zu werden und in ihrem Studiengang hoffte jeder eine der exklusiven Einladungen zu erhalten, aber nur wenige Auserwählte kamen in den Genuss. Eine kleine Elite von Jura-Studenten und ich, die mit ihren zerrissenen Jeans, einem einfachen schwarz-glänzenden Polyester-Top und weißen Sneakers zwischen all den Polohemdträgern und den Upperclass-Töchtern in ihren engen Designerkleidern mehr als herausstach. Mich wunderte es, dass Lucy als bekennende Umweltaktivistin, die allein aus Prinzip nur Secondhandkleidung kaufte, sich hier wohlfühlte. Allerdings Designer-Secondhand. Im Gegensatz zu mir fiel sie zwischen all den Leuten nicht auf, allerhöchstens positiv. Dass sie mit Greg, einem der Veranstalter, zusammen war, verschaffte ihr mit Sicherheit den größten Vorteil zu den exklusiven Partys eingeladen zu werden. Und ich, als ihre kleine Schwester, durfte netterweise mitkommen. Meine große Schwester Nell war so clever gewesen und hatte dankend abgelehnt, weil sie mit ihrem Bild noch nicht fertig geworden war. Nell hatte den ganzen Tag hinter ihrer Staffelei gestanden und an einem neuen Kunstwerk gemalt, immer noch ihren Traum herbeisehnend, irgendwann eine eigene Galerie zu eröffnen. Vielleicht hatte sie auch einfach keine Lust gehabt sich für die Party schick zu machen. Vom Malen klebte jedes Mal in ihrem Gesicht und ihren langen roten Haaren Acrylfarbe und es dauerte Ewigkeiten, bis sie sie ausgewaschen hatte. Jetzt gerade, in diesem Moment, beneidete ich Nell, dass sie zu Hause geblieben war. Viel lieber würde ich auf der Couch liegen und einen Film anschauen, als mich an grölenden Männern vorbeizuschieben, die mit ihren vollen Bechern im Takt der Musik herumhüpften und meine Klamotten mit Bier bespritzten. Bei jedem Schritt klebten meine Sneakers an dem mit Getränken überschütteten Boden fest.

»Hallo«, rief jemand durch ein Mikrofon und die Musik wurde leiser gedreht. »Darf ich kurz um eure Aufmerksamkeit bitten?« Der Redner lachte und die Feiernden rückten näher nach vorne, sodass ich nicht mehr an ihnen vorbeikam. Notgedrungen drehte ich mich zum DJ-Pult. Mica, der beste Freund von Greg, stand neben dem DJ auf einer Box, blickte auf uns herab und hielt eine riesige Flasche Champagner in der Hand. »Schön, dass ihr alle da seid!«, sagte er und erntete Beifall aus dem Publikum. »Um der Tradition der Blue and Gold Bruderschaft treu zu bleiben und mit euch gemeinsam all unsere errungenen und auch zukünftigen Erfolge zu feiern, habe ich heute ein ganz besonderes Schätzchen für euch mitgebracht.«

Wie eine Trophäe hielt er die Flasche Champagner in die Luft. »Ein Dom Pérignon: Plénitude P3 1988.«

»Der kostet tausendsiebenhundert Pfund«, kreischte eine Longchamp-Prinzessin neben mir auf.

Mica hörte es und zwinkerte ihr bestätigend zu. Dann griff er nach einem Säbel, der auf dem DJ-Pult platziert worden war, hielt die Flasche vor sich und setzte den Säbel am Hals der Flasche an, während der DJ im Hintergrund eine spannungsgeladene Musik ertönen ließ. Einige Frauen hielten sich die Hände vor den Mund, weiter vorne stand eine Gruppe Männer, die Mica anfeuerte, und ich starrte einfach nur entsetzt auf den Säbel und die Champagnerflasche. Mica fuhr mit dem Säbel über den Hals der Flasche, als würde er sie streicheln, und dann, zack, schneller, als ich gucken konnte, hatte er sie geköpft.

Ein Strahl Champagner schoss in die Menge. Alle schrien auf, warfen ihre Hände in die Luft und öffneten ihre Münder, während Mica den Inhalt der Flasche großzügig ins Publikum spritzte. Die Meute hinter mir drückte und drängelte, als gierten die Leute danach, nur einen Tropfen des edlen Getränks abzubekommen. Die Musik wurde wieder aufgedreht, die Menge hüpfte in die Luft und feierte noch euphorischer als zuvor. Gott sei Dank lockerte es sich dabei auf der Tanzfläche wieder auf und ich schaffte es endlich, mir einen Weg nach draußen zu bahnen. Während bei allen anderen die Partylaune durch Micas Aktion zum Höhepunkt gestiegen war, hatte meine den Nullpunkt erreicht. Mein Magen fühlte sich dumpf an und ich versuchte einfach zu verdrängen, was gerade geschehen war. Aber es gelang mir nicht. Mica hatte gerade eine Flasche Champagner verschüttet, die so viel gekostet hatte wie unsere Monatsmiete. Das Leben in London war nicht gerade günstig.

Unwillkürlich schlichen sich die Bilder eines Horrorfilms in meine Gedanken, in dem eine Bruderschaft in unterirdischen Arkaden Jungfrauen opferte, um den Erfolg und den Wohlstand ihrer Familien aufrechtzuerhalten. Wer wusste, was hier in geheimen Kellern vor sich ging?

Das war wahrscheinlich der Grund, weshalb ich Literaturwissenschaften und nicht Jura studierte. Die Fantasie ging manchmal mit mir durch. Ich vertrieb den lächerlichen Gedanken mit einem Kopfschütteln und wich zwei betrunkenen Frauen in engen kurzen Kleidern aus, die mir im Flur, durch den ich aus dem Haus flüchten wollte, entgegentaumelten.

»Ist das nicht die kleine Schwester von Lucy?«, fragte ein Typ, der lässig am Türrahmen lehnte. Sein Hemd spannte sich über seinem Bierbauch und war nicht mehr so weiß wie wahrscheinlich zu Beginn der Party. »Zwo, eins, Risiko, passt bloß auf, ihr bösen Buben«, sang er amüsiert und prostete mir mit seinem Plastikbecher zu. Idiot. Ich verdrehte die Augen und hoffte, dass die Mädels endlich den Weg freigaben. Wenn er sich schon über mich lustig machte, dann doch bitte richtig. Denn ich hatte in der Trash-Fernsehsendung MYSTERY X, in der meine Schwestern und ich aufgetreten waren, um uns ein bisschen Geld dazuzuverdienen, nicht Darkwing Duck zitiert, sondern Chip und Chap. Immerhin verstand ich jetzt, warum Lucy schon den ganzen Abend den Tränen nahe war. Seit unserem Fernsehauftritt wurde sie von ihren Kommilitonen aufgezogen. Ich hätte deswegen zwar nicht geheult, aber es tat mir wirklich leid. Denn genau genommen war es meine Schuld.

Ich hatte Lucy und Nell überredet, bei MYSTERY X mitzumachen. Einer Fernsehserie, in der mysteriöse Fälle aufgeklärt wurden. Wir sollten in Ghostbusters-Arbeitsanzügen einen Geist jagen und natürlich wurde alles, was wir gesagt hatten, bei der Ausstrahlung ins Lächerliche gezogen. Das steigerte schließlich die Einschaltquoten. Ich dachte, es wäre ein netter Spaß und vor allem schnell verdientes Geld. Wir machten öfter Nebenjobs wie Promotion-Aktionen oder kurze Fernsehauftritte im Trash-TV. Ich war nicht davon ausgegangen, dass sich Leute in unserem Freundes- und Bekanntenkreis diese Sendungen ansahen. Jede von uns hatte eintausend Pfund für den Auftritt bei MYSTERY X bekommen, zuzüglich Spesen. Mit dem Geld waren wir zwei Monate über die Runden gekommen. Aber hätte ich gewusst, was für einen Rattenschwanz es nach sich ziehen würde, hätte ich auf das Geld verzichtet und lieber einen Monat jeden Abend gekellnert.

Die Mädels machten endlich den Weg frei und ich schob mich an dem Blödmann vorbei, hinaus in den Vorgarten.

Kühler Wind bedeckte mein Gesicht mit Nieselregen und ich ärgerte mich, dass ich meine Jacke im Haus vergessen hatte.

Dumpf dröhnte der Bass hinter mir. In der Hecke des Vorgartens, die eine kleine Abgrenzung zum Bürgersteig bildete, hing ein Kerl mit dem Gesicht im Busch, Arme und Beine an den Seiten herunterhängend. Es sah aus, als würde er schlafen. Neben ihm auf dem Boden sickerte ein großer Fleck Erbrochenes in die Wiese. Lecker. Betrunken hätte ich wohl auch mehr Spaß gehabt. Aber ich hatte Lucy versprochen zu fahren.

Was faszinierte Lucy nur an diesen Menschen und diesem Leben?

Dass es so anders war als unseres? Die meisten Leute, die sich hier tummelten, kamen aus wohlsituierten Elternhäusern und hatten eine behütete Kindheit erlebt. Ihr Freund Gregory inbegriffen. Während er in den Schulferien nach St. Tropez oder auf die Malediven flog, hatten meine Schwestern und ich den größten Teil der Ferien auf dem Spielplatz vor unserem Haus verbracht. Zumindest, bis eine nach der anderen in die Pubertät gekommen war. In meiner Jugend hing ich im Park oder am alten Sportplatz mit meinen Freunden herum, die auch nicht in den Urlaub fahren konnten. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellte. Ein kurzes düsteres Kapitel in meinem Leben, das ich am liebsten gelöscht hätte. Meine damalige Clique und ich hatten etwas getan, wonach wir uns schwören mussten, es niemals zu verraten. Ein Geheimnis, das mich in meinen Träumen heimsuchte, mir den Schlaf raubte und von dem nicht mal Nell, Lucy, geschweige denn meine Eltern wussten. Jeder Mensch hatte seine Geheimnisse und meins sollte für immer eins bleiben.

Unsere Eltern hatten ihr Leben lang viel und hart gearbeitet und trotzdem immer am Existenzminimum gelebt, bis mein Vater sich einen schweren Fehltritt erlaubt hatte. Zwei Jahre musste er in den Knast. Ich bezweifelte, dass einer von Lucys Kommilitonen etwas davon wusste. Selbst zu Hause schwiegen wir über diese Zeit.

Diese Phase in unserem Leben hatte jede von uns geprägt und ich glaubte, dass sie der Grund für Lucy war, Jura zu studieren. Nachdem mein Vater wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, rauften meine Eltern sich zusammen und legten sich immer ein bisschen Geld zur Seite. Vor zwei Jahren hatten sie sich dann ihren Traum verwirklicht, wanderten nach Bali aus und eröffneten dort ein Yogastudio.

Ihnen ging es gut. Immer, wenn wir skypten, wirkten sie entspannt und ausgelassen. Ganz anders, als wir es von ihnen gewohnt waren. Bis jetzt hatten wir es noch nicht geschafft sie dort zu besuchen, aber sobald wir genug Geld für die Flugtickets angespart haben würden, würden wir das nachholen.

An meinen Sneakers klebte durchnässtes Konfetti und ich wischte es angewidert ab. Hoffentlich wollte Lucy bald gehen.

»Hey, Ghostbusters-Lady!«, tönte eine schrille Frauenstimme hinter mir. Gab es hier eigentlich jemanden, der MYSTERY X nicht gesehen hatte? »Guck mal, ob Zack nur schläft oder schon ins Reich der Toten übergegangen ist.« Sie deutete auf den Jungen, der in der Hecke lag. Am liebsten hätte ich ihr den Mittelfinger gezeigt, aber Lucy zuliebe riss ich mich zusammen. Ich ging zu dem Typen und tippte auf seinen Rücken. Er gab einen gequälten Laut von sich. Die Frau kicherte, zog ihren Kopf aus dem Fenster zurück und verschwand. Ich atmete tief ein, schloss einen Moment die Augen und streckte mein Gesicht in Richtung Himmel, sodass es vollkommen von Regentropfen bedeckt wurde. Kalt flossen die Tropfen über mein Kinn den Hals hinunter. Wann endete dieser Abend endlich?

»Hallo, Blake«, sagte eine raue Stimme. Ich öffnete meine Augen wieder. Ein Mann in einem maßgeschneiderten Anzug stand vor mir. Er wirkte erwachsener als die anderen Partygäste; auch wenn sein Gesicht trotz der markanten Züge recht jung aussah, schätzte ich ihn auf Ende zwanzig. Ich hatte ihn weder kommen hören noch war er mir auf der Party aufgefallen. Was mich wunderte. Er gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die man übersah. Seine Hände steckten lässig in den Hosentaschen. Mit leicht gesenktem Kopf blickte er mich aus dunklen Augen an, wie ein Raubtier, das in Angriffshaltung ging. Einzig das Tattoo, das von seinem Oberkörper aus an seinem Hals endete, passte nicht zu seiner eleganten Erscheinung. Er fuhr sich durch die kurzen dunklen Haare, um sich vom Regen nasse Strähnen aus dem Gesicht zu wischen, und offenbarte dabei ein weiteres Tattoo an seinem Handgelenk. Ein Sechseck, dessen Seiten von einer Schlange umkreist wurden und in dessen Innerem eine Sonne erstrahlte.

Obwohl ich merkte, dass ich ihn anstarrte, schaffte ich es nicht meinen Blick abzuwenden.

»Woher kennst du meinen Namen?«, gelang es mir endlich zu fragen.

»Ich habe dich im Fernsehen gesehen«, antwortete er.

Ich verdrehte die Augen. »Woher auch sonst?« Das war für mich das endgültige Zeichen. Ich würde nie wieder bei einer so blöden Fernsehsendung auftreten und wenn sie mir fünftausend Pfund dafür bieten sollten.

»Glauben du und deine Schwestern tatsächlich an das Übernatürliche?«

»Wir leben in einem freien Land«, entgegnete ich genervt. »Jeder darf glauben, was er will oder liege ich da falsch?« Auch wenn ich den Mist, den wir in der Sendung geredet hatten, nicht glaubte, sah ich nicht ein, weshalb ich mich hier vor irgendwem rechtfertigen oder verteidigen sollte. »Es ist mir egal, was du oder die anderen hier auf der Party von mir denken. Haltet mich meinetwegen für durchgeknallt, aber lasst Lucy da raus. Ich war diejenige, die sie überredet hat mitzumachen.«

»Warum sollte ich dich für durchgeknallt halten?«, fragte er, ohne eine Miene zu verziehen. Der Regen wurde stärker und ich blinzelte die Tropfen weg, die sich in meinen Wimpern verfingen. Ich wartete auf eine Regung seinerseits; darauf, dass er lachte oder einen nervigen Spruch abließ wie die anderen Partygäste. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen schob er seinen Kopf ein kleines Stückchen vor, als erwartete er tatsächlich eine Antwort.

»Da bist du ja!«, schniefte Lucy und packte mich am Arm. »Können wir fahren?« Ihre Augen waren rot unterlaufen und ihre Schminke verschmiert.

»Lucy!«, kam Greg ihr hinterhergelaufen. »Hör nicht auf die Idioten. Die sind betrunken und reden nur Mist.« Er nahm sie in den Arm. »Am Montag ist über die ganze Sache Gras gewachsen. Jeder hat seine eigenen Probleme, die werden keine Zeit mehr haben sich mit dir und eurem Fernsehauftritt zu beschäftigen.«

»Sie machen sich über mich lustig.« Lucys Versuch, sich zusammenzureißen, misslang und sie schluchzte. »Ich will nach Hause«, sagte sie noch einmal mit Nachdruck.

Aufmunternd drückte ich ihre Hand. »Dann fahren wir jetzt«, sagte ich und ließ ihre Hand wieder los.

»Ist das ein Senior des Zirkels?« Greg legte schützend die Hände über die Augen, um sich die Sicht durch den Regen zu erleichtern, und sah hinüber zur anderen Straßenseite. Ich folgte seinem Blick. Der Mann, mit dem ich gerade noch geredet hatte, stieg in einen glänzenden schwarzen Bentley und fuhr, ohne noch einmal in unsere Richtung zu schauen, davon.

»Ein Senior des was?«, fragte ich.

»Der maßgeschneiderte Anzug, die Tattoos …«, überlegte Greg laut. »Hast du nicht gerade mit ihm geredet? Konntest du eins von seinen Tattoos genauer erkennen?«

»Ein Symbol an seinem Handgelenk«, antwortete ich und zuckte mit den Schultern. »Ein Sechseck mit einer Schlange und einer Sonne.«

Greg klappte der Mund auf. »Das war ein Senior des Zirkels«, bestätigte er sich selbst. Mit weit aufgerissenen Augen, als hätte er gerade ein Alien gesehen, blickte er von Lucy zu mir. »Bis jetzt dachte ich, das wäre nur ein Mythos. In der Loge wird erzählt, dass es einen geheimen Zirkel gibt, der hin und wieder Anwärter aus den verschiedenen Logen rekrutiert.«

»Aber verschreibt ihr euch eurer Loge nicht aus einer bestimmten Überzeugung?«, fragte ich skeptisch. »Warum solltet ihr euch einem Zirkel anschließen, der nicht direkt eurer Loge dient?«

»Weil unsere Loge ihm dient, wenn er es verlangt. So wie sämtliche andere Logen auch«, sagte er.

»Das klingt unlogisch«, erwiderte ich. Ich hatte angenommen, dass die verschiedenen Logen und Bruderschaften in Konkurrenz zueinander standen. Aber ich hatte mich auch nie besonders mit dem Thema beschäftigt. Offenbar lag ich da falsch. Vielleicht war es wie bei Fußballmannschaften. Sie waren zwar Gegner und spielten gegeneinander, aber letztlich schlug ihr Herz doch für die gleiche Sache.

»Hier geht es um etwas Höheres, Blake«, sagte Greg. »Aber wie gesagt, bis gerade dachte ich auch, dass das ganze heimliche Gerede um einen Zirkel und den Männern in Anzügen und Tattoos nur eine Legende wäre, mit der die Nachkömmlinge in der Bruderschaft unterhalten werden sollen. Es wird erzählt, dass der Zirkel alle Länder und Regierungen miteinander vereint und dem höchsten Zweck dient, dem man sich verschreiben kann. Die Menschheit zu schützen.«

»Ah ja«, machte ich. Bis jetzt hatte ich Greg für recht bodenständig und rational gehalten, aber offenbar hatte ich mich getäuscht. Lucy schien das ganze Gerede um einen geheimen Zirkel wenig zu interessieren. Sie starrte apathisch ins Leere und ich war mir nicht mal sicher, ob sie uns überhaupt zuhörte. »Nehmen wir mal an, das, was du sagst, stimmt«, sagte ich. »Was passiert denn dann in diesem Zirkel?«

»Dort bekommt man Zugang zum geheimsten Wissen der Menschheit«, sagte Greg atemlos.

Ich runzelte die Stirn und wartete, dass Greg lachte und »Das war ein Scherz« sagte. Aber nichts dergleichen geschah.

»Und was soll das für ein geheimes Wissen sein?«, fragte ich und verschränkte die Arme.

»Keine Ahnung, es heißt ja nicht ohne Grund geheimes Wissen.« Beim letzten Wort zeichnete er mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft.

»Aha«, sagte ich. »Bedeutet das, du und deine Logen-Freunde würden einfach irgendeinem obskuren Zirkel beitreten, ohne zu wissen, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht?«

»So ist das nicht«, sagte er amüsiert und wischte sich die nassen blonden Haare aus dem Gesicht. »Es ist die größte Ehre, wenn du eine Einladung zum Anwärter für den Zirkel erhältst. Nur die wenigsten werden in diesen geheimen Kreis aufgenommen.«

»Gut, nur noch mal zum Verständnis: Ihr himmelt irgendeinen Zirkel an, ohne nur ansatzweise Ahnung davon zu haben, was dort überhaupt geschieht, und über meine Schwestern und mich macht ihr euch lustig, weil wir im Reality-TV Geister jagen?«

»Das ist doch was völlig anderes«, lachte er meinen Vergleich weg, hielt dann aber schnell inne, als er Lucys verletztem Blick begegnete.

»Machst du dich auch über mich lustig?«, heulte sie.

»Nein, Bärchen, das weißt du doch.« Er schlang seine Arme um sie, um sie zu trösten.

Mir reichte es.

»Könnt ihr das bitte morgen klären?«, fragte ich, packte Lucys Arm und zog sie zu mir. »Wir fahren jetzt nach Hause.«

»Ich kann mitkommen«, bot Greg mit besorgtem Blick auf Lucy an, aber ich schüttelte den Kopf.

»Ich denke, sie braucht jetzt erst mal ein bisschen Ruhe. Sprecht euch morgen aus.«

»Ist das in Ordnung für dich?«, vergewisserte er sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Lucy nickte hastig, nahm dann meine Hand und zog mich hinter sich her auf den Bürgersteig.

»Wir sprechen morgen«, sagte sie etwas gefasster als zuvor.

***

Unser Wagen parkte zwei Straßen weiter, damit niemand sah, dass wir einen klapprigen Ford Fiesta fuhren. Zwischen den Jaguars, BMWs, Bentleys und Ferraris von Lucys Freunden oder deren Eltern wäre er zu sehr aufgefallen und Lucy wollte sich nicht blamieren. Ich zog den Autoschlüssel aus meiner Handtasche und schlang die Arme um meinen Körper, um mich so etwas vor der Kälte zu schützen.

Ich musste Greg schreiben, dass er mir meine Jacke morgen mitbringen sollte. Hoffentlich wurde sie nicht vollgekotzt.

»Mein Leben ist ruiniert«, schluchzte Lucy, als wir die Londoner Innenstadt durchquerten und auf die Hauptstraße Richtung Shoreditch bogen. Geräuschvoll schniefte sie in ein Taschentuch, wobei ihr die schulterlangen hellblonden Haare ins Gesicht fielen.

»Hör doch nicht auf diese Idioten.«

»Das sagst du so leicht.« Sie zog ein weiteres Taschentuch aus der Packung. »Du willst dir ja kein vernünftiges Leben aufbauen.« Im selben Moment biss sie sich auf die Lippe. »Tut mir leid, so hab ich das nicht gemeint.«

Es war nicht das erste Mal, dass sie mir oder Nell einen Spruch drückte.

»Ich will auch ein gutes Leben, das wollen wir alle. Ich versteh nur nicht, was du an diesen Preppys findest. Du passt doch gar nicht in ihre Welt.«

Wie eine Sirene fing sie wieder an zu heulen.

Ich unterdrückte ein Augenrollen. »Greg ist in Ordnung«, sagte ich schnell, was sie ein wenig beruhigte. »Aber der Rest … sie sind doch das komplette Gegenteil von uns.«

»Aber das ist doch genau der Grund. Ich will ein anderes Leben, ein besseres.«

Mehr als ein Kopfschütteln konnte ich mir nicht abringen, aber aus Erfahrung wusste ich, dass es keinen Sinn machte, mit Lucy darüber zu diskutieren. Am Ende schrien wir uns nur an und redeten für den restlichen Tag nicht mehr miteinander. Und dazu war ich jetzt gerade nicht in Stimmung.

Ja, unsere Eltern hatten Fehler gemacht. Große Fehler, aber dennoch hatten sie uns immer geliebt und das war wichtiger als alles andere. Deshalb hasste ich es, wenn Lucy so redete.

Wir waren in einem Wohnhauskomplex in Dalston aufgewachsen. Kein besonders attraktiver Stadtteil von London. Oft war am Ende des Monats kein Geld übriggeblieben, sodass es zu Hause nur noch Nudeln mit Ketchup gegeben hatte. Wir waren eine fünfköpfige Familie und mein Vater arbeitete in einer Zeitarbeitsfirma, die den größten Teil seines Stundenlohns einsackte, während meine Mutter für den Mindestlohn in einem Hotel putzen ging.

Als ich dreizehn Jahre alt war, versuchten meine Eltern ein eigenes kleines Unternehmen aufzubauen, indem sie verschiedene Produkte wie Staubsauger und Putzmittel vertrieben. Allerdings machte mein Vater den Fehler, das Geschäft nicht anzumelden und ein Jahr später hatte er die Steuerfahndung am Hals. Er schaffte es, meine Mutter aus der ganzen Sache rauszuhalten, und ging für zwei Jahre in den Knast. Ich war der Meinung, sie hatten wohl eine Menge Geld hinterzogen, denn so einfach wurde man nicht für zwei Jahre eingesperrt.

Diese Zeit war für unsere Familie prägend. Nachdem mein Vater ins Gefängnis musste, lag meiner Mutter alles daran, uns gut zu erziehen. Wir sollten studieren, damit wir aus unserem Leben etwas Besseres machen konnten als unsere Eltern, wie meine Mutter immer sagte.

Als mein Vater nach zwei Jahren wieder aus dem Gefängnis kam, war er ein anderer Mensch. Er war wie geläutert. Und er teilte die Ansichten meiner Mutter. Nie wieder wollte er in den Knast gehen und jede von uns sollte ein gutes Leben führen.

Das war auch der Grund, warum ich meine Jugendsünde für mich behielt. Weder meine Eltern noch Lucy oder Nell sollten jemals von diesem furchtbaren Geheimnis erfahren.

***

In meinem Zimmer zwang ich mich aus den nassen, an mir klebenden Klamotten und zog einen Frottee-Bademantel über, um schnell unter die Dusche zu springen.

Bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr hatten Lucy, Nell und ich uns ein Zimmer teilen müssen, was täglich zu Streitereien geführt hatte. Dann zog Nell in eine Wohngemeinschaft und es waren nur noch Lucy und ich übrig. Als meine Eltern vor zwei Jahren nach Bali auswanderten, zogen Nell, Lucy und ich zusammen nach Shoreditch. Seitdem genoss ich jeden Tag aufs Neue den Luxus eines eigenen Zimmers. Zwar herrschte hier gerade ein kleines Chaos und ich musste mir einen Weg durch den mit Klamotten übersäten Boden bahnen, aber das interessierte niemanden außer mir. Denn es war mein Zimmer.

Aus meiner Handtasche holte ich noch schnell mein Smartphone, damit ich beim Duschen Musik hören konnte. Dabei fiel eine Visitenkarte heraus. Verwundert hob ich sie auf. Auf der einen Seite waren nur eine Telefonnummer und das Symbol, das ich am Handgelenk des Seniors des Zirkels gesehen hatte, wie Greg ihn genannt hatte. Ein Sechseck mit einer Schlange und einer Sonne. Auf der anderen Seite stand in Schreibschrift:

Ich habe einen Job für euch. Ruft mich an.

Die Visitenkarte konnte nur von diesem Typen sein. Aber wann hatte er sie mir zugesteckt? Ein besorgniserregendes, dumpfes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus, was sich mit einem Kribbeln bei dem Gedanken an seine Stimme vermischte. Ich versuchte Letzteres zu ignorieren. Ein Jobangebot von einem Senior des Zirkels …? Das konnte nur Ärger bedeuten.

Wenn die Nachricht wirklich von ihm war, dann mutete sie noch skurriler an, als sie es ohnehin schon war. Vor allem, nachdem Greg ihn so verherrlicht hatte. Was wollte so ein hoher Senior bitte von meinen Schwestern und mir? Und was für ein Job sollte das sein?

In Gedanken versuchte ich unser Gespräch zu rekonstruieren. Aber das Erste, was sich in meine Erinnerungen schlich, waren seine dunklen Augen und das Tattoo an seinem Hals, was meinen Herzschlag für einen Sekundenbruchteil beschleunigte. Und dass er mich nicht ausgelacht hatte. Er hatte mich gefragt, ob ich an übernatürliche Dinge glaubte und war dabei vollkommen ernst geblieben. Und wenn es stimmte, dass er diesem Zirkel, oder was auch immer das war, angehörte, glaubte er vielleicht wirklich an irgendwelche übernatürlichen Phänomene. Vielleicht opferten sie tatsächlich Menschen in dunklen Gemäuern, um irgendwelchen Göttern zu huldigen und jetzt wollte er meine Schwestern und mich anheuern neue Opfer für sie anzulocken. Oder uns vielleicht selbst zu ihren Opfern machen.

Ich wollte nichts mit ihm und diesem merkwürdigen Zirkel zu tun haben. Es reichte schon, dass Lucy mit einem Kerl zusammen war, der der Blue and Gold Loge angehörte. Sollte dieser Senior seine mysteriösen Geschäfte machen, aber ohne meine Schwestern und mich. Wir hatten schon genug Probleme. Ich zerknüllte die Visitenkarte und warf sie in den Papierkorb.

Kapitel 2

Blake

Es war ein verregneter Vormittag und wir lungerten zu dritt – Lucy etwas verkatert von der Party am Vorabend und ich nur müde – zusammen mit Nell im Wohnzimmer herum. Dicke Regentropfen prasselten gegen die Fenster und perlten langsam herunter. Ihr Schatten zeichnete ein Muster auf Nells Gesicht, die davor auf dem Boden hockte, was ihre kastanienbraunen Augen dunkler wirken ließ, als sie eigentlich waren. Mit den Fingerspitzen strich sie sich ihre langen rotgefärbten Haare hinter die Ohren und betrachtete die aufgerissenen Briefe und Ordner, die um sie herum lagen.

An ihren Händen, ihrer Schläfe und an einigen Strähnen ihrer Haare klebten getrocknete Farbreste. Die Leinwand auf der Staffelei stand in der Ecke unseres Wohnzimmers und das Bild, das sie gemalt hatte, war wirklich schön geworden. Es war ein Wirrwarr aus harmonischen Farben, aus denen schemenhaft zwei Silhouetten hervortraten, die sich voneinander abwandten.

»Keine Ahnung, wie wir die Rechnungen bezahlen sollen!«, holte Nell meine Aufmerksamkeit zu unserem eigentlichen Vorhaben zurück. Sie warf drei Briefe übereinander und kräuselte ihre spitze Nase wie immer, wenn sie nachdachte. »Das sind fast zwei Monatsmieten. Und wir sind mit der letzten Monatsmiete schon in den Dispo gegangen.«

»In zwei Wochen bekomme ich das Gehalt von meiner letzten Promotion-Aktion«, sagte ich.

»Und ich von meinem Aushilfsjob im Hotel«, fügte Lucy hinzu.

Resigniert schüttelte Nell den Kopf. »Das reicht gerade mal für die Hälfte.«

Unwillkürlich dachte ich an die Visitenkarte von diesem Senior, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Was auch immer er uns für einen Job anzubieten hatte, wir würden auch was anderes finden. Ich schnappte mir die Tageszeitung und mein Smartphone, legte mich bäuchlings auf den Teppich und überflog die Stellenanzeigen.

Das Klingeln an der Tür ließ mich kurz aufhorchen, aber Lucy sprang bereits auf. »Das ist Gregory.« Sie betastete ihre leicht angeschwollenen Augen. »Sehe ich sehr verheult aus?«

»Kaum«, flunkerte ich, weil ich genau wusste, wie nervös sie die Wahrheit machen würde. Nell schwieg. So wie Lucy aussah, musste sie die ganze Nacht durchgeweint haben. Wenn ich gewusst hätte, wie sehr ihr das Ganze zu schaffen machte, hätte ich fünfmal überlegt sie zu überreden, bei MYSTERY X mitzumachen. Nell und ich hatten im Gegensatz zu Lucy keinen besonderen Ruf zu verlieren.

Mit dem Kugelschreiber kreiste ich eine Stellenanzeige ein, in der sie Geschenke-Einpackerinnen in einem Einkaufszentrum suchten und googelte dann den Namen der Firma. Ich prüfte immer, wie sie zahlten, was andere in Foren schrieben, ob es ein guter Arbeitgeber oder ein Halsabschneider war. Wenn ich mehr positive als negative Beiträge fand, dann bewarb ich mich. Meistens bekam ich den Job, schließlich legten sie es auf Studenten und Schüler an, die sich für so einen geringen Lohn die Füße in den Bauch standen. Oft konnte man sich den Stundenlohn durch die Trinkgelder etwas aufbessern, wenn man dickes Make-up auftrug und immer freundlich lächelte.

Als Lucy wieder ins Zimmer kam und ich kurz aufblickte, um Greg zu begrüßen, klappte mir der Mund auf. Es war nicht Greg, den Lucy mit ins Wohnzimmer brachte, sondern ein Mann Ende zwanzig, in einem maßgeschneiderten Designeranzug, mit am Hals auslaufenden Tattoos, die seinem hübschen Gesicht eine geheimnisvolle und zugleich bedrohliche Ausstrahlung verliehen. Mit einer flüchtigen Handbewegung wischte er sich die regennassen Haare aus dem Gesicht. Seine dunklen Augen begutachteten erst Nell, dann richtete er sie auf mich. Unwillkürlich erhöhte sich mein Puls und ich hoffte, dass man mir meine plötzliche Anspannung nicht anmerkte.

»Ich hatte gehofft, dass du mich anrufst«, sagte er, ohne zu grüßen.

Im Augenwinkel merkte ich, wie Nell und Lucy vielsagende Blicke austauschten und setzte mich hastig auf. »Woher weißt du, wo ich wohne?«, fragte ich. Warum war meine Stimme so kratzig?

»Aus dem Telefonbuch«, sagte er und sein Mund deutete ein Lächeln an. Aus dem Telefonbuch? Warum glaubte ich ihm das nicht?

»Verfolgst du …«, begann ich und ignorierte die Hitze, die meinen Hals hochstieg. Seine Anwesenheit machte mich nervös und ich versuchte den Ärger darüber zu verdrängen.

»Wer bist du überhaupt?«, fragte Nell, bevor ich weitersprechen konnte.

Seine Augen blitzten in ihre Richtung und musterten sie kurz bevor er antwortete. »Ich bin Skylar Morrell.«

»Und was willst du von Blake?«, fragte Lucy. Sie verschränkte ihre Arme und lehnte sich in den Türrahmen.

»Was möchte ich von euch?«, korrigierte er sie mit seiner rauen Stimme.

»Von uns?« Jetzt wurde auch Nell hellhörig.

»Ich bin hier, weil ich euch im Fernsehen gesehen habe«, sagte Skylar und lächelte schief. »Stimmt es, dass ihr jeden Fall lösen könnt?«

Es war, als hätte jemand Lucy und Nell gleichzeitig geohrfeigt, so plötzlich wichen die erwartungsvollen Blicke aus ihren Gesichtern.

»Ja«, sagte Nell gedehnt, stand auf und setzte sich in den einzigen Sessel im Raum. »So wie Chip und Chap.«

»Wie oft soll ich mich denn noch entschuldigen?«, fragte ich genervt und funkelte Skylar böse an, der nur amüsiert grinste.

Ja, ich hatte Chip und Chap zitiert, aber zu meiner Verteidigung: Ich war so aufgeregt gewesen, dass es mir gar nicht aufgefallen war. Außerdem hatte ich nur gesagt: Wir lösen jeden Fall, das Böse hat nie Zeit, sich auszuruhen. Hinterher, bei der Ausstrahlung, hatten sie meine Worte dann mit dem Titelsong der Kinderserie unterlegt, die in Erdhörnchenstimmen Chip, Chip, Chip, Chip und Chap, den Bösen geht es schlecht, sie lösen jeden Fall … sangen.

Offenbar erwartete er keine Antwort, denn er redete sofort weiter. »Wir wurden gestern Abend leider unterbrochen. Ich habe dir meine Nummer zugesteckt, weil ich ein Jobangebot für euch habe.«

Nell musterte ihn interessiert. Sie straffte die Schultern und hob ihr Kinn, während Lucy misstrauisch ihre Stupsnase rümpfte.

»Darf ich?« Er deutete auf einen der Esstischstühle und zog ihn vor, während Nell zustimmend nickte und ihn Platz nehmen ließ.

»Ich weiß, wer du bist«, sagte Lucy.

»Tatsächlich?« Fragend runzelte er die Stirn und ich war mir nicht sicher, ob ein Funken Sarkasmus in seiner Stimme mitschwang.

»Du bist ein Senior aus der Loge meines Freundes«, antwortete sie.

Er lächelte träge, beugte sich vor und stützte seine Arme auf seinen Beinen ab. »Ich hasse das Wort Senior und der Zirkel, dem ich angehöre, ist unabhängig. Er ist viel älter als jede Loge dieser Welt.« Seine Stimme klang so hart wie seine Worte, als würde er seine ganze Abneigung gegen die elitäre Verbindung hineinlegen. »Wir haben Kontakt zu sämtlichen Logen und Bruderschaften und wir rekrutieren lediglich die besten Mitglieder. Aber mal unter uns, die Auswahl hält sich in Grenzen. Die meisten sind versoffene, faule Müttersöhnchen, die das ganze Studium über Partys, Opern oder andere kulturelle Veranstaltungen besuchen in der Hoffnung auf Vitamin B, um nach dem Studium sofort einen hohen Posten in einer lukrativen Branche zu bekommen. Solche Leute suchen wir nicht. Noch weniger können wir sie gebrauchen.«

Lucy schnappte nach Luft, als holte sie zu einem Gegenangriff aus, aber Skylar ließ ihr keine Möglichkeit etwas zu sagen.

»Aber deshalb bin ich nicht hier«, sagte er und setzte sich wieder auf. »Sondern weil ich einen Job für euch habe und ihr genau die richtigen Voraussetzungen dafür mitbringt.«

»Und die wären?«, fragte Nell.

»Ihr könnt arbeiten, ihr erfüllt eure Aufträge und vor allem schreckt ihr nicht vor übernatürlichen Phänomenen zurück.«

»Soll das ein schlechter Scherz sein?«, bellte Lucy. Hektische Flecken erschienen auf ihrem Dekolleté und an ihrem Hals. »Es reicht schon, dass ich mir diesen Quatsch den ganzen Tag in der Uni anhören muss. Wir glauben nicht an übernatürliche Phänomene, das war nur eine blöde Fernsehsendung!« Mit ausgestrecktem Arm deutete sie auf die Haustür. »Bitte verlass unsere Wohnung.«

»Das ist kein Scherz«, entgegnete er, ohne die Miene zu verziehen. »Ich meine es ernst.«

Er musterte sie eindringlich, sah dann zu Nell und mir. Ich funkelte ihn böse an. Durch seine blöden Kommentare zu dem ganzen übernatürlichen Quatsch machte er die Situation schlimmer, als sie schon war. Ich hatte gehofft, dass der Fernsehauftritt endlich in Vergessenheit geriet, dass Gras über die Sache wuchs, aber stattdessen tauchte Skylar hier auf und stach immerzu mit seinem Finger in die offene Wunde, als würde es seiner sadistischen Persönlichkeit Spaß machen. Ich schaffte es nicht, seinem Blick standzuhalten und starrte auf einen Papierschnipsel am Boden. Etwas an ihm machte mich nervös und ich verstand es nicht. Sein Charme konnte es jedenfalls nicht sein. Vielleicht war es ein Angstreflex, der mir signalisierte, dass ich bei ihm besonders vorsichtig sein musste. Eine verschlüsselte Botschaft meines Unterbewusstseins, das mich auf diese Weise warnen wollte.

»Vielleicht überzeugt euch das.« Langsam erhob er sich, zog aus der Innentasche seines Jacketts ein dickes Briefkuvert, hielt einen Augenblick inne und reichte es Nell. »Das ist die Anzahlung«, sagte er. »Die andere Hälfte bekommt ihr, wenn der Auftrag erledigt ist.«

Nell öffnete das Kuvert und zog einen Stapel Hundertpfundscheine heraus. Sie fächerte ihn durch und sah dann mit großen Augen in meine Richtung. Es fehlte nur noch, dass Dollar-Zeichen darin aufblinkten. »Das sind mindestens dreitausend Pfund«, sagte sie atemlos.

»Fünftausend Pfund, um genau zu sein«, sagte Skylar. »Wie gesagt, das ist nur die Anzahlung.«

»Fünftausend Pfund«, wiederholte Lucy skeptisch und trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. »Du willst uns fünftausend Pfund zahlen?«

»Falsch«, sagte er. »Ich will euch zehntausend Pfund zahlen.«

Misstrauisch formten sich Lucys Augen zu schmalen Schlitzen. »Was soll das denn für ein Job sein?«

»Es ist keine allzu große Herausforderung, versprochen«, sagte er, holte einen weiteren Umschlag hervor und gab ihn Nell. »Ihr sollt lediglich einen Gegenstand zurückholen.«

»Einen Gegenstand zurückholen?« Nell runzelte die Stirn.

»Was für einen Gegenstand?«, fragte ich. Die anderen sollten ihn bloß nicht vergraulen. Und wenn es sein Plastikgeschirr aus Kindertagen war, für zehntausend Pfund würde ich es zurückholen.

»Es ist eine Uhr.« Er steckte lässig die Hände in die Hosentaschen und schürzte einen Moment seine Lippen, als suchte er nach den richtigen Worten. »Eine sehr wertvolle und gefährliche Uhr, die nicht im Umlauf sein dürfte.«

»Warum?«, fragte Nell und schmunzelte. »Ist es eine Art James-Bond-Uhr, mit der man eine Bombe in die Luft jagen kann?«

»Mit ihr kann man durch die Zeit reisen«, antwortete er.

»Aha«, erwiderte Lucy nickend. »Selbstverständlich, da hätte ich auch von selbst draufkommen können. Siehst du, Blake, was du mit unserem Auftritt in MYSTERY X angerichtet hast? Jetzt kommen die Spinner auch schon zu uns nach Hause.«

Erstaunt runzelte er die Stirn.

»Warum sollen gerade wir es machen?«, lenkte ich von Lucy ab.

Er drehte sich zu mir und ein Grinsen huschte über sein hübsches Gesicht. »Weil ihr verrückt genug seid, um an Geister zu glauben und das in einer Fernsehsendung breitzutreten, weil ihr fleißig seid und weil ihr das Geld braucht«, antwortete er.

»Woher willst du das wissen?«, fragte Lucy und reckte ihr Kinn nach vorn.

»Der Zirkel beobachtet euch schon seit einer Weile. Unsere Jobs vertrauen wir nur Fr …«, er hielt kurz inne, »Leuten an, die wir für passend und würdig erachten.«

»Für würdig erachten?« Lucy ging großen Schrittes zu Nell und riss ihr den Brief aus der Hand, öffnete ihn und blätterte die Seiten durch. »Im Ernst?«, fragte sie und hielt das Bild einer nostalgischen goldenen Taschenuhr in Skylars Augenhöhe. »Du willst mir weismachen, dass das eine magische Taschenuhr ist?« Sie blätterte weiter. »Mit der man durch die Zeit reisen kann?«, kreischte sie auf und hielt einen weiteren Zettel in die Luft. »Das ist doch ein Test!« Sie warf die Papiere auf den Esstisch und tippte Skylar mit dem Zeigefinger gegen die Brust.

»Bist du einer von Micas Freunden?«, fragte sie. »Ist das ein blöder Scherz, damit ihr mich am Montag in der Uni vorführen könnt?«

»Das Geld sieht ziemlich echt aus«, warf Nell ein, die einen Geldschein ins Licht hielt, um das Wasserzeichen genauer zu betrachten.

»Geld scheint es in der Loge genug zu geben«, wandte ich ein. »Gestern auf der Party hat Mica einen tausendsiebenhundert Pfund teuren Champagner geköpft und damit die Gäste bespritzt.«

Nell klappte der Mund auf.

Skylar verdrehte die Augen. »Wie schon gesagt, ich gehöre nicht zur Loge. Keine Ahnung, wer Mica ist. Wenn ihr den Auftrag nicht annehmen wollt, dann muss ich jemand anderen finden. Aber ich verspreche euch, es ist leicht verdientes Geld und ihr werdet es bereuen, wenn ihr ablehnt. Außerdem sollte jeder von euch klar sein, dass die Informationen, die ich euch gegeben habe, strengster Geheimhaltung unterliegen.«

»Sonst … was?«, fragte Lucy herausfordernd.

Er sah sie nur an, aber sein Blick hatte etwas so Beängstigendes an sich, dass ich mir nicht vorstellen wollte, was mit Leuten geschah, die in der Öffentlichkeit über diese magische Uhr sprachen. Das war doch lächerlich. Wer würde uns schon glauben? Besonders nach unserem Fernsehauftritt.

»Ihr habt einen Tag Bedenkzeit«, sagte Skylar und wandte sich zum Gehen. »Lasst mich wissen, wie ihr euch entschieden habt. Du hast meine Nummer«, richtete er sich an mich, bevor er ohne Abschiedsgruß unsere Wohnung verließ – und für einen Moment erhöhte sich mein Herzschlag wieder. Verdammter, verräterischer Körper. Das musste so schnell wie möglich aufhören.

»Du hast seine Nummer?«, fragte Nell. Während sie mich neugierig musterte, erdolchte Lucy mich mit ihrem Blick.

»Wir machen da auf keinen Fall mit!«, spuckte Lucy die Worte aus. »Wir können ihm nicht trauen. Wenn ich mich darauf einlasse, dann brauche ich gar nicht mehr zur Uni zu gehen.« Sie drückte sich mit den Fingerspitzen gegen die Schläfen. »Meine Zukunft wäre ruiniert. Ich weiß, ihr versteht das nicht, aber die Kanzleien schauen sich jetzt schon an den Unis um. Keiner würde mir eine Referendariatsstelle anbieten. Gregory würde mich verlassen und …«

»Jetzt halt mal die Luft an«, unterbrach Nell sie. »Erstens haben wir noch nicht zugesagt und zweitens sollten wir uns alles noch mal in Ruhe überlegen.«

Sie legte den Stapel Geldscheine auf den Esstisch, setzte sich auf den Platz, auf dem Skylar zuvor gethront hatte, und betrachtete den Brief, in dem alles über diese magische Uhr und den Auftrag stand.

Kapitel 3

Skylar

Mein schlechtes Gewissen nagte an mir, während ich ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad trommelte und wartete, dass die Ampel endlich grün wurde.

Es war das erste Mal, dass ich die sogenannten Catcherinnen rekrutieren musste. Frauen, die Gegenstände, auf die wir sie ansetzten, aufsuchten und einsammelten. Frauen in prekären Lebenssituationen. Frauen, die, sollten sie in der Öffentlichkeit über die Magie der Gegenstände sprechen, für unglaubwürdig gehalten würden.

Die Summerfield-Schwestern brachten diese Voraussetzungen mit.

Nach ihrem Auftritt in dieser Fernsehshow, wo sie einen auf Scooby-Doo gemacht hatten, würde ihnen niemand glauben, sollten sie herumerzählen, es gäbe magische Gegenstände. Die Vollstrecker des Zirkels würden schneller bei ihnen auf der Matte stehen, als sie Das Böse hat nie Zeit, sich auszuruhen sagen konnten.

Wenn die drei schlau waren, hörten sie auf Lucy und nahmen meinen Auftrag nicht an. Aber ich wusste es besser. Sie würden nicht ablehnen. Ihre Neugierde und ihre Geldnot waren zu groß.

Ich hatte es als ungefährlicher verkauft, als es war. So lautete mein Auftrag. Seit Jahren wurde ich auf diese Aufgabe vorbereitet und jetzt war ich Protektor. Ihr Protektor, wenn sie den Deal annahmen und den Gegenständen verfielen. Und vor dieser Gefahr durfte ich sie nicht warnen. Im Gegenteil, ich musste die Schwestern der Gefahr aussetzen. Nur so konnten sie zu Catcherinnen werden.

Ich hatte im Zirkel einen Schwur der Verschwiegenheit abgelegt. Für ein höheres Ziel: Die Menschen vor den Gegenständen zu schützen und dadurch großes Unheil abzuwenden. Die Gegenstände konnten die finstersten Triebe und die Abgründe der Seele in einem Menschen freisetzen. Wenn ein Mensch der Macht verfiel, dann gab es kein Zurück mehr. Deshalb brauchten wir die Catcherinnen. Männer entwickelten genauso eine Abhängigkeit nach den Gegenständen, aber Frauen hatten ein viel feineres Gespür und eine bessere Intuition.

Dennoch, die Gegenstände waren nicht nur verführerisch, sondern auch lebensgefährlich, wenn man nicht wusste, wie man mit ihnen umzugehen hatte. Trieben sie die Menschen nicht in den Tod, dann landeten sie früher oder später in der Psychiatrie. Keine Ahnung, was von beidem schlimmer war.

Das schwarze Taxi hinter mir hupte, riss mich aus meinen Gedanken und ich gab Gas, bevor die Ampel wieder auf Rot sprang. Von einer Spur auf die andere wechselnd, drängte ich mich durch die überfüllten Straßen von London, bis ich endlich die Straße Richtung Highgate erreichte, die zum Hauptsitz des Zirkels führte. Dem Zirkel durften nur Männer beitreten. Meine gesamte Ahnenreihe väterlicherseits hatte ihm angehört. Er war von einem meiner Vorfahren mitgegründet worden. Ich wurde in den Zirkel hineingeboren und war seit meiner Geburt dazu bestimmt Protektor zu werden. Die meisten neuen Mitglieder kamen durch diverse Logen und Verbindungen zu uns. Nur ganz selten wurden die Türen auch für völlig fremde Neuzugänge geöffnet, wenn sie alle Prüfungen überstanden.

Catcherinnen wurden nie zum Hauptsitz des Zirkels mitgebracht. Frauen durften das Gebäude nicht mal betreten. Sie sollten lediglich für uns arbeiten. Ein völlig veraltetes Rollensystem, das nicht in Frage gestellt werden durfte.

Ein Sturm zog auf. Der Wind schleuderte dicke Regentropfen gegen die Frontscheibe des Wagens, wo sie mit einem dumpfen Klack aufprallten, während die Scheibenwischer es kaum schafften, den Regen von der Windschutzscheibe zu schieben.

Als ich endlich das Gelände erreichte, mein Gesicht der Überwachungskamera entgegenhielt, das Metalltor sich öffnete und ich den Schotterweg hinauf zum Hauptgebäude fuhr, ertönte der Lautsprecher im Armaturenbrett. Ein eingehender Anruf von meinem Vater und Chef, als ahnte er, dass ich über Dinge nachdachte, denen ich keine Aufmerksamkeit schenken sollte.

Ich drückte auf einen der Knöpfe am Lenkrad und nahm den Anruf damit entgegen.

»Wo bist du?«, brüllte er durch die Freisprechanlage. Ich drehte den Lautstärkeregler herunter.

»Am Hauptgebäude«, war meine knappe Antwort.

»Komm sofort in mein Büro.«

»Ich bin in zwei Minuten da«, sagte ich. Er gab ein launisches Brummen von sich und legte auf.

Ich fuhr über den asphaltierten Parkplatz und hielt direkt vor dem Haupteingang an. Über der verzierten Flügeltür prangte das Wappen des Zirkels. Eine Sonne in einem Sechseck, dessen Seiten von einer Schlange umkreist wurden.

Das Sechseck, das die magischen Gegenstände symbolisierte, die Sonne als Verkörperung des unermüdlichen Schutzes der Protektoren und die Schlange als Zeichen für das Geschick der Catcherinnen.

Beim Anblick des noch stärker gewordenen Regens schlug ich den Kragen hoch, rannte zum Eingang, stieß die Flügeltür auf und betrat den mit Marmorboden ausgelegten Eingangsbereich.

***

»Wurden Nr. 567, 568 und 569 beauftragt?«, fragte mein Vater, während er eine Unterschrift auf den Briefbogen vor sich auf dem Schreibtisch kritzelte. Mein Vater sah aus wie Jack Nicholson, nicht wie die junge Version, sondern wie Jack Nicholson in seinen Sechzigern.

»Sie haben bis morgen Bedenkzeit«, antwortete ich. Als er innehielt, fügte ich hinzu: »Sie werden den Auftrag ausführen, da bin ich mir sicher.«

Er blickte von seinem Brief auf und durchbohrte mich mit seinen eisigen Augen. Autoritär und respekteinflößend wie ich ihn seit meiner Kindheit kannte. Warmherzigkeit hatte noch nie zu seinen Eigenschaften gehört.

»Das hoffe ich.« Er legte den Stift zur Seite, schob den Stuhl nach hinten und stand auf.

Ja, das hoffte er. Es wäre eine Schande, wenn sein einziger Sohn kein guter Protektor werden würde.

»Welche Hinweise hast du ihnen gegeben?« Er ging zum Servierwagen, goss sich eine Tasse Kaffee ein und gab drei Stückchen Zucker hinein.

»Nur die nötigsten«, sagte ich. »Sie wissen, wo sie suchen müssen und dass die Uhr magische Fähigkeiten besitzt, glauben dies aber nicht.«