Catching Magic 2: Verbunden im Licht - Anna-Sophie Caspar - E-Book

Catching Magic 2: Verbunden im Licht E-Book

Anna-Sophie Caspar

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Beschreibung

**Magie ist so verführerisch wie tückisch**  Endlich wird Blake offiziell zur Catcherin des Zirkels ernannt und ist nun dem attraktiven, unnahbaren Skylar unterstellt. Gemeinsam suchen sie nach magischen Gegenständen und kommen sich dabei verboten nahe. Doch Blake verliert sich immer mehr im Sog, den die Magie auf sie ausübt, und sogar ihre Schwester Lucy unterliegt zunehmend der Versuchung der Artefakte. Bald hängt es allein an Nell, die geheimen Machenschaften des Zirkels aufzudecken – wobei sie Hilfe von jemandem erhält, der eigentlich nicht auf ihrer Seite stehen sollte … Ein neues Fantasy-Highlight der Autorin Anna-Sophie Caspar   Drei Schwestern im Bann der Magie, ein Beschützer mit gefährlichen Geheimnissen und die Sehnsucht nach Verbundenheit vereint in einer zauberhaften Liebesgeschichte. //Dies ist der zweite Band der magisch-romantischen Buchserie »Catching Magic«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Catching Magic 1: Berührt von der Dunkelheit -- Catching Magic 2: Verbunden im Licht// Diese Buchreihe ist abgeschlossen.     

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Catching Magic 2: Verbunden im Licht

**Magie ist so verführerisch wie tückisch**Endlich wird Blake offiziell zur Catcherin des Zirkels ernannt und ist nun dem attraktiven, unnahbaren Skylar unterstellt. Gemeinsam suchen sie nach magischen Gegenständen und kommen sich dabei verboten nahe. Doch Blake verliert sich immer mehr im Sog, den die Magie auf sie ausübt, und sogar ihre Schwester Lucy unterliegt zunehmend der Versuchung der Artefakte. Bald hängt es allein an Nell, die geheimen Machenschaften des Zirkels aufzudecken – wobei sie Hilfe von jemandem erhält, der eigentlich nicht auf ihrer Seite stehen sollte …

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Vita

Danksagung

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© Nina Caspari

Anna-Sophie Caspar, geb. 1986, hat sich schon als Kind kleinere Geschichten ausgedacht. Wenn sie nicht gerade schreibt oder durch die Welt reist, analysiert sie die Sterne und die Wirkung des rückläufigen Merkurs in ihrem Geburtshoroskop. Man munkelt, dass ihre magische Fähigkeit darin besteht, Notizbücher vollzukritzeln.

10 Regeln für Catcherinnen

1. Wir spüren magische Gegenstände auf.

2. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.

3. Die magischen Gegenstände sind uns heilig und wir behandeln jeden Gegenstand wie ein Heiligtum.

4. Wir stellen den Schutz der magischen Gegenstände über unser eigenes Leben und sind bereit für dieses höhere Wohl zu sterben.

5. Unsere Prüfungen sind die magischen Gegenstände.

6. Jeder Gegenstand und die damit einhergehende Herausforderung wird auf unserer Haut verewigt.

7. Wir stehen unserem Protektor zur Seite und dienen ihm bei der Mission, magische Gegenstände aufzuspüren und sie in Sicherheit zu bringen.

8. Eine Liebesbeziehung zwischen einem Protektor und einer Catcherin ist strengstens verboten.

9. Die Regeln des Zirkels sind unser Gesetz.

10. Wer eine der Regeln bricht, wird bestraft.

- Auszug aus der Verfassung des Zirkels -

Kapitel 1

Blake

Mein nervös pochendes Herz riss mich aus dem Schlaf, noch bevor der Wecker klingelte. Kalter Angstschweiß klebte mir im Nacken. Nur dass Skylar neben mir lag, beruhigte mich. Er war bei mir geblieben, obwohl es verboten war. Für mich brach er die Regeln des Zirkels und brachte sich selbst in Gefahr, nur damit ich mit meinen Ängsten und meiner Sehnsucht nicht alleine war. Aber es half nur für den Moment, nur für die Zeit, die er in meiner Nähe verbrachte, denn ich wollte mehr, ich wollte sie finden, neue Gegenstände und ihre Magie spüren und ihre einzigartige Energie in mich aufsaugen. Mit jedem Tag wurde es schlimmer. Ich unterdrückte den Impuls, nach dem magischen Fläschchen in meinem Nachtschrank zu greifen, packte stattdessen mein Laken und ballte meine Hände zu Fäusten, als würde es den Schmerz lindern, den das Verlangen nach den magischen Gegenständen durch meine Glieder trieb.

Solange Skylar bei mir war, schaffte ich es mich zusammenzureißen. Doch sobald er mich wieder alleine ließ, hatte ich das Gefühl, als würde mir alles entgleiten, als würde ich die Kontrolle über mich verlieren.

Skylar drehte sich zu mir und stützte sich auf, wobei meine alte Matratze ein klägliches Quietschen von sich gab. Die Muskeln regten sich unter seiner tätowierten Haut, als er sich die Augen rieb. Dann blinzelte er kurz, musterte mich skeptisch und wie jedes Mal, wenn er mich so ansah, bildete sich eine kleine Falte zwischen seinen Brauen. »Alles in Ordnung?«

Für einen Sekundenbruchteil spielte ich mit dem Gedanken ihm die Wahrheit zu sagen, doch dann nickte ich. »Ja«, sagte ich.

Seine dunklen Augen verengten sich. »Es wird schlimmer, stimmt’s?«

Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern setzte sich auf und rieb sich durch die schwarzen Haare, während mein Blick über die Tätowierungen auf seinem Rücken glitt. Symbole, Schriftzüge, Zeichnungen … Obwohl sie nicht zusammengehörten, bildeten sie ein harmonisches Bild.

Er drehte seinen Kopf zu mir. »Ich …«, begann er.

»Du musst los«, sagte ich. »Ich weiß.«

Ein gequälter Ausdruck trat in sein Gesicht und auch ohne dass er etwas sagte, wusste ich, dass er mich nicht alleine lassen wollte.

»Du solltest dich beeilen«, motivierte ich ihn.

»Blake«, er atmete tief ein. »Du solltest keinen Kontakt zu magischen Gegenständen haben, bis wir einen Weg gefunden haben, wie du von der Sucht wieder loskommst.«

»Ich hab mich doch zusammengerissen«, erwiderte ich. Das hatte ich wirklich. Die letzten Tage hatte ich keinen magischen Gegenstand gesucht oder berührt bis auf …

»Das Fläschchen der Tränke«, sagte Skylar. »Gib es mir. Ich bringe es zurück in die Asservatenkammer.«

»Nein«, platzte es aus mir heraus und ich war selbst überrascht, wie schroff es klang. »Das geht nicht«, sagte ich dann etwas bedächtiger. »Es gehört mir.«

»Blake«, raunte er. »Jede Magie ist gefährlich für dich. Ich will dir helfen, ich will dich von dieser scheiß Sucht befreien, aber ohne deine Unterstützung schaffe ich es nicht.«

»Das Fläschchen gehört zu mir«, erwiderte ich. »Ich kann es dir nicht geben.«

»Der Zirkel wird es irgendwann von dir zurückverlangen«, redete er auf mich ein.

Sofort hämmerte mein Herz panisch gegen meine Rippen. »Warum sollte er das tun?«

»Weil wir die Gegenstände beschützen und weil wir verhindern, dass sie unter die Menschen kommen. Du weißt, je öfter ein Gegenstand genutzt wird, desto gefährlicher wird er.«

»Aber bis dahin werde ich das Fläschchen noch behalten«, entgegnete ich trotzig. Auch wenn ich wusste, dass Skylar recht hatte, konnte ich es ihm einfach nicht geben. Und das, obwohl ich schon einen so großen Schaden mit ihm angerichtet hatte. Ich liebte es zu sehr.

Er presste die Lippen zusammen, wandte seinen grimmigen Blick wieder von mir ab und ließ dann kapitulierend den Kopf in den Nacken sinken. Ich setzte mich ebenfalls auf und fuhr mit den Fingerspitzen die schwarzen Zeichnungen auf seinem Rücken entlang, bis er mich wieder ansah. Sanft strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht und küsste mich auf die Stirn. »Ich werde so schnell wie möglich zurückkommen«, flüsterte er und stand mit einem Ruck auf. Ich ließ mich wieder in die Kissen sinken und beobachtete ihn, wie er den für ihn maßgeschneiderten Anzug über seinen schönen Körper zog, bis nur noch ein Bruchteil seiner Tätowierungen an Hals und Handgelenken zu sehen waren.

»Mach keine Dummheiten«, verabschiedete er sich von mir.

»Ich mache keine«, empörte ich mich, schluckte aber den Rest des Satzes herunter. In Anbetracht dessen, was in den letzten Wochen alles geschehen war und meiner immer stärker werdenden Sucht nach den magischen Gegenständen, konnte ich Skylars Befürchtungen verstehen. »Ich reiß mich zusammen«, sagte ich stattdessen. Er musterte mich noch einmal misstrauisch, gab ein knappes »bis später« von sich und ging.

Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, raufte ich mir die Haare. Wieso wurde es nicht besser? Warum geschah genau das Gegenteil? Mit jedem Tag wurde es schlimmer.

Vielleicht war ich noch von zu viel Magie umgeben, die das Verlangen in mir anfeuerte, neue magische Gegenstände aufzusuchen. Skylar wusste nur von dem Fläschchen und das gefiel ihm schon nicht. Immer wieder betonte er, wie gefährlich es war, sich ungeschützt mit magischen Gegenständen zu umgeben. Aber dass sich die Kamera der Geheimnisse auch noch in meinem Besitz befand – zumindest das, was von ihr übrig war –, hatte ich ihm verschwiegen.

Ich war bereit, das zu Ende zu führen, was ich begonnen hatte. Jetzt. Ich musste es endlich hinter mich bringen. Mühsam stand ich auf, trank einen Schluck Wasser, zog mir meinen Winnie-Puuh-Einteiler über, der mir als Erstes in die Hände fiel, als ich meinen Schrank öffnete, ging zum Fenster und öffnete es. Die strahlende Märzsonne begrüßte mich und ich kniff die Augen zusammen, damit ich besser sehen konnte. Ich liebte diese frischen, klaren Londoner Morgen im Frühling, an denen keine einzige Wolke den Himmel bedeckte. Mit einem Ruck schob ich mich durchs Fenster, bis ich mit halbem Körper auf dem Nachbardach lag, über das ich problemlos hätte drüberlaufen können, wenn ich gewollt hätte. Dann griff ich nach dem Topf, der schon seit einer Woche dort stand. Langsam zog ich ihn in mein Zimmer. Erst nachdem ich tief eingeatmet hatte, als hoffte ich, die frische Luft würde mir den Mut geben, der mir gerade fehlte, wagte ich einen Blick in den Topf. Am Boden klebten die Überreste der Polaroidkamera, der sogenannten Kamera der Geheimnisse. Ein geschmolzener Haufen aus Plastik und Metall, der von der Kamera übriggeblieben war, nachdem ich sie mit Hilfe des magischen Fläschchens in Brand gesteckt hatte.

Eine Woche war nun vergangen, seitdem ich auf der Verbindungsparty an den Pranger gestellt worden war und so gut wie jeder von meiner Jugendsünde erfahren hatte. Und Schuld daran war diese nunmehr zerstörte magische Polaroidkamera, mit der ein Foto von mir gemacht worden war, das mein dunkelstes Geheimnis offenbart hatte. Ein merkwürdiges Initiationsritual des Zirkels, wie sich später herausgestellt hatte.

Obwohl ich die Kamera der Geheimnisse zerstört hatte, spürte ich ihre Magie immer noch. Ein sanftes Kribbeln ging von ihr aus, das jede Faser meines Körpers erfasste. Aber es war lange nicht mehr so stark wie zuvor. Nicht mehr so euphorisierend, belebend. Es war vielmehr nur noch ein Hauch von Magie. Ich musste das, was noch von ihr übrig war, verschwinden lassen. Einfach wegschmeißen? Das brachte ich nicht übers Herz. Trotz all des Schadens, den sie angerichtet hatte, wollte ich ihr eine letzte Ehre erweisen. Und ich hatte auch schon den passenden Ort dafür gefunden. Unseren Hinterhof. Er war zwar gerade mal fünfzehn Quadratmeter groß, aber immerhin gab es dort eine Wiese und einen alten knochigen Baum, und jetzt am frühen Morgen, wo der Tag erst langsam zum Leben erwachte, würde es bestimmt niemandem auffallen, wenn ich im Schatten des Baumes ein Loch buddelte. Ich wollte einfach, dass die Kamera eine angemessene Beerdigung bekam. Vielleicht waren es auch die Schuldgefühle, die mich antrieben, weil ich jetzt erst realisierte, was ich ihr angetan hatte. Verdammt! Es war doch nur ein dämlicher Gegenstand. Warum hatte ich bitte ihre Schreie und ihre Schmerzen gespürt? Und warum spürte ich selbst jetzt noch ihre Energie?

Es gab ein paar wichtige Dinge, die man über die Welt der magischen Gegenstände wissen musste:

Erstens: Die magischen Gegenstände existierten schon von Anbeginn der Zeit, auch wenn ich erst vor wenigen Wochen von ihnen erfahren hatte.

Zweitens: Wenn man mehr als einen Gegenstand berührte, geriet man in eine Abhängigkeit zu ihnen und wurde dann wie magnetisch von neuen magischen Gegenständen angezogen.

Was mich betraf, war ich sozusagen schon verloren, denn ich hatte bereits mehrere Gegenstände berührt und mein Gespür für ihre Magie war nun so gut, dass ich nur einen Raum betreten musste und sofort spürte, wenn sich dort ein magischer Gegenstand befand. Und zugleich quälte mich die unstillbare Sehnsucht nach der euphorisierenden Magie der Gegenstände, die ich nur noch schwer kontrollieren konnte.

Drittens: Die magischen Gegenstände wurden seit Jahrtausenden von einem geheimen Zirkel bewacht. Dieser wurde von einem kleinen Kreis eingeweihter Männer, die sich Protektoren schimpften, geleitet. Die Frauen, die sogenannten Catcherinnen, durften das Hauptgebäude, in dem sämtliche magische Gegenstände aufbewahrt wurden, zwar nicht betreten, dafür waren sie diejenigen, die die magischen Gegenstände erspürten und dem Zirkel dabei halfen, sie aus dem Verkehr zu ziehen.

Denn, viertens, die magischen Gegenstände waren nicht ungefährlich. Jeder Gegenstand hatte seine eigenen besonderen Kräfte. Und je öfter ein Mensch diesen Gegenstand benutzte, desto stärker wurde er in den Sog seiner Magie gezogen. Entweder wurde er größenwahnsinnig oder verrückt.

Und als wenn dies noch nicht genug wäre, entstanden, fünftens, permanent neue Gegenstände. Denn bei jeder neuen Erfindung der Menschheit tauchte durch eine Art Paralleluniversum ein magisches Pendant zu dem Gegenstand auf. Das bedeutete jetzt nicht, dass jedes Mal, wenn ein Toaster produziert wurde, zur gleichen Zeit ein magischer Toaster entstand. Nein, da würde man beim Einsammeln der Gegenstände ja überhaupt nicht mehr hinterherkommen. Es passierte wirklich nur bei neuen Erfindungen. So gab es tatsächlich eine magische Taschenuhr und eine magische Wanduhr, die unterschiedliche Kräfte hatten. Zumindest hatte Skylar mir das so erklärt.

Skylar war mein Protektor und ich war seine Catcherin, womit wir auch schon bei sechstens waren. Jedem Protektor wurden Catcherinnen untergeordnet, mit denen er gemeinsam magische Gegenstände einsammeln sollte. Oder besser gesagt: Ich, also seine Catcherin, sollte neue magische Gegenstände aufspüren, damit er sie dann in der Asservatenkammer des Zirkels in Sicherheit bringen konnte. Das war auch der Grund, warum ich ihm nichts von meinem kleinen Fehltritt erzählt hatte. Er sollte nicht erfahren, dass ich einen magischen Gegenstand zerstört hatte, dessen Schutz er sowie der gesamte Zirkel sich verschrieben hatte. Überhaupt war die Sache mit Skylar und mir kompliziert. Dass wir Gefühle füreinander entwickeln würden, war nicht geplant gewesen. Aber viel schlimmer war, dass die Regeln des Zirkels es strengstens verboten, und wenn ich über die grausamen Initiationsrituale nachdachte, dann wollte ich mir nicht ausmalen, wie ihre Strafen aussahen. Skylar und ich mussten vorsichtig sein. Verdammt vorsichtig. Doch das waren Sorgen, für die ich gerade keine Zeit hatte. Erst einmal musste ich mich um die Überreste der Kamera der Geheimnisse kümmern.

Samt Topf und geschmolzener Kamera ging ich in unsere Küche und suchte nach etwas, das mir dabei helfen konnte, die Kamera verschwinden zu lassen. Aber was Besseres als einen großen Kochlöffel fand ich nicht. Es musste reichen.

Mit Kochlöffel, Handtuch und Topf ging ich in den Hinterhof und begann mein Werk direkt neben der Wurzel des alten, knochigen Baumes, der vor der Mauer wuchs, die unseren Garten von den anderen trennte. Zum Glück hatten wir heute zehn Grad und die Erde war nicht gefroren, sodass ich buddeln konnte. Nicht besonders gut, aber es funktionierte.

Eigentlich war es Cosmos Schuld, dass ich die Kamera zerstört hatte. Cosmo Walker, der nervige Reporter von entlarvt!, hatte das Polaroidbild, das mein größtes Geheimnis offenbarte, an den Zirkel weitergereicht und die Arschlöcher hatten es veröffentlicht. Jeder wusste nun, dass ich in meiner Jugend mit meiner damaligen Clique ein Haus in Brand gesteckt hatte.

Und doch, so seltsam es auch klang, auf irgendeine pervers merkwürdige Weise, war es befreiend. Nicht, dass jeder wusste, was ich getan hatte. Keiner hasste mich mehr dafür als ich selbst. Nein, es war befreiend, dass ich es endlich los war, es nicht mehr mit mir herumtragen musste, das abscheuliche Geheimnis.

Und tief in mir wusste ich, dass nicht die Kamera für meine Situation verantwortlich war, sondern ich ganz allein. Ich hatte ihr Unrecht getan. Deshalb musste ich den wenigen Überresten, die noch von ihr übrig waren, einfach die letzte Ehre erweisen.

Nach etwa einer halben Stunde befand sich in der verdorrten Wiese unter dem Baum nahe der steinernen Mauer, die unseren Hinterhof von den Nachbargärten trennte, ein etwa fünfzig Zentimeter tiefes Loch. Das musste reichen. Ich wickelte die mit dem Kochtopf verschmolzene Polaroidkamera in ein altes Badehandtuch und drückte es mit Gewalt in die kleine Kuhle im Boden. Es passte. Mit kalten Fingern schob ich die ausgebuddelte Erde wieder darauf und klopfte alles platt.

»Ruhe in Frieden«, flüsterte ich und stand auf.

***

Wieder in der Wohnung schrubbte ich im Badezimmer meine Hände, als wollte ich ein Verbrechen vertuschen. Selbst nach dreimal Waschen und Einsatz der Nagelbürste haftete immer noch Dreck unter meinen Nägeln. Wie bekamen Gärtner ihre Hände bitte sauber? Ich fand mich mit dem wenig zufriedenstellenden Ergebnis ab, hielt für einen Moment inne und betrachtete mein Spiegelbild. Die letzten Wochen machten sich durch Ringe unter meinen grünen Augen bemerkbar. Mit den Fingerspitzen kämmte ich meine schwarzen Haare nach hinten und sprenkelte mir frisches Wasser ins Gesicht, wodurch sich meine helle Haut etwas rötete und sofort frischer aussah. Während ich mir die Zähne putzte, verzichtete ich darauf, meinem Spiegelbild weitere Beachtung zu schenken. Seit ich mit Skylar, dem Zirkel und den magischen Gegenständen in Kontakt gekommen war, hatte sich mein Leben auf den Kopf gestellt. Alles war durcheinandergeraten und ich musste es dringend neu sortieren. Wirklich wichtige Dinge waren in der letzten Zeit auf der Strecke geblieben, wie zum Beispiel mein Literaturstudium. Ich hatte so viel verpasst. In der vergangenen Woche war ich gerade mal zwei Tage zur Uni gegangen, an denen mir Alice, meine einzige Freundin in meinem Studiengang, vorwarf, dass ich sie im Stich lassen würde und ich meinen Hintern endlich wieder regelmäßig zur Uni bewegen sollte.

Ich hatte wirklich Sorge, dass ich dieses Semester durchfallen könnte. Es waren nur noch wenige Wochen bis zu den Prüfungen und mittlerweile fiel es sogar den Profs auf, dass ich fehlte. Was bedeutete, dass Alice mich nicht mehr heimlich in die Teilnehmerlisten in den Kursen eintragen konnte.

Ich spuckte die Zahnpasta aus, spülte alles noch mal mit Wasser nach, cremte mein Gesicht ein, schlurfte dann in die Küche, kochte mir einen Kaffee und Porridge und setzte mich damit an den unaufgeräumten kleinen Küchentisch. Meine Schale mit Porridge stellte ich auf dem Zeitungsartikel von gestern ab, der bei entlarvt! erschienen war und für großes Aufsehen gesorgt hatte.

In der Mitte prangte die Schlagzeile: Vandale endlich entlarvt! Darunter war ein Polaroidfoto abgebildet, auf dem Mica zu sehen war, wie er über die Fassade von General Metal, einem Rüstungskonzern, bei dem sein Vater eine leitende Position innehatte, mit grünem Airbrush Mörder! schrieb. Damals, vor ungefähr drei Jahren, war das ein riesiger Skandal gewesen und der Täter hatte einen Schaden von mehreren tausend Pfund angerichtet. Was für den Konzern mit Sicherheit Peanuts waren.

Es gab sogar eine radikale linke Bewegung, die vorgegeben hatte, den Vandalenakt, wie es später hieß, verübt zu haben. Sie rühmten sich mit der Tat und es folgten kleinere Versuche an Nachahmungen, was offenbar gar nicht so einfach war, weil die Gebäude sehr gut bewacht wurden. Mica hatte damals wohl nur so weit vordringen können, weil er die Zugangsschlüssel seines Vaters gestohlen hatte.

Es war eines der letzten Fotos, das mit der Kamera der Geheimnisse geschossen worden war.

Dank der magischen Polaroidkamera und Cosmo Walker, der den Artikel verfasst hatte, wusste es nun ganz London. Doch letztlich stand auch hinter dieser Bloßstellung der Zirkel. Es war Micas Prüfung gewesen, um als Protektoren-Anwärter akzeptiert zu werden. Ich hatte Mica seit der Verbindungsparty zwar nicht mehr gesehen, aber ich wusste, dass er sich aus dieser Situation herausfuchsen würde. Denn wenn nicht, dann würde er die Prüfung nicht bestehen und er war viel zu ambitioniert Protektor zu werden. Dennoch, der soziale Druck, dem er sich im Moment stellen musste, war mit Sicherheit nicht ohne. Besonders vonseiten seiner Familie.

Die Haustür wurde geöffnet. Ich hörte, wie die Schlüssel in die Schlüsselschale geworfen wurden – und da spürte ich es. Einen Sog in meiner Brust. Angenehm breitete er sich in meinem Körper zu einem euphorischen Kribbeln aus und ich wusste sofort, was mir dieses Ziehen sagen wollte. Mit der Person, die gerade unsere Wohnung betreten hatte – ich wohnte mit meinen beiden älteren Schwestern Lucy und Nell in einer WG –, war auch ein magischer Gegenstand hereingekommen. Unwillkürlich gingen meine Mundwinkel nach oben. Nell. Es fühlte sich an, als hätte ich sie eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, auch wenn es erst eine Woche her war. Und da ich wusste, dass sie das magische Messer besaß, konnte es sich nur um Nell handeln. Hastig trank ich den letzten Schluck Kaffee aus und ging zu ihr in den Flur, wo ich überrascht stehenblieb.

»Hi.« Lucy knöpfte ihren dunkelgrünen Fleecemantel auf und musterte mich kühl von oben bis unten. »Ich dachte, du hättest das Teil längst aussortiert.«

Ich zupfte an meinem Winnie-Puuh-Einteiler. »Warum sollte ich? Ist doch super bequem.«

»Ja, so sieht er auch aus. Als würdest du den ganzen Tag auf der Couch liegen.« Sie ging an mir vorbei in die Küche und öffnete den Kühlschrank. »Wann wart ihr bitte das letzte Mal einkaufen?«

Angewidert holte sie eine verschrumpelte Möhre hervor und wedelte damit in der Luft herum. »Wovon hast du dich die letzten Tage ernährt?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Von Luft und Liebe.«

»Sehr witzig.« Sie knallte die Kühlschranktür wieder zu, setzte sich auf einen der klapprigen Stühle an unserem Küchentisch und begann einen Zettel mit einer Einkaufsliste vollzukritzeln.

»Wie wollt ihr bitte überleben, wenn Gregory und ich irgendwann zusammenziehen?«

»Warum interessiert dich das?«, fragte ich. »Du wohnst doch sowieso schon bei ihm.«

Lucy gab lediglich ein Schnauben zur Antwort. Sie war in den letzten Tagen zwar einmal hier gewesen, um ein paar ihrer Sachen zu holen, aber seit dem Vorfall auf der Verbindungsparty wohnte sie im Verbindungshaus der Blue and Gold Loge bei Greg, ihrem Verlobten. Genervt öffnete ich den Kühlschrank und schloss ihn gleich wieder, weil wirklich nichts außer dieser gammeligen Möhre, einem Glas Senf und vier rohen Eiern darin zu finden war.

Den Sog spürte ich allerdings immer noch. Es fühlte sich an, als käme er von Lucy, aber das war unmöglich. Sie lehnte alles, was mit dem Zirkel und den magischen Gegenständen zu tun hatte, ab und sie hatte uns mehr als deutlich gemacht, dass sie nichts damit zu tun haben wollte. Warum sollte sie plötzlich ihre Meinung ändern und einen magischen Gegenstand bei sich tragen? Wo doch sie diejenige war, die in der ganzen Angelegenheit die größten Gefahren sah? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Vielleicht war Nell ja doch wieder hier.

»Wo ist Nell?«, fragte ich und lugte in den Flur hinüber zu ihrem Zimmer. Lucy zuckte nur mit den Schultern.

»Sie ist doch mit dir gekommen«, sagte ich, anders konnte ich mir den Sog einfach nicht erklären.

»Nein, ganz bestimmt nicht.« Mit strengem Blick sah Lucy von ihren Notizen auf, schob sich eine Strähne ihres mittellangen hellblonden Haares hinter die Ohren, erhob sich und prüfte dann, was sich noch in den anderen Schränken befand. Aber das hätte ich ihr auch sagen können. Genauso viel wie im Kühlschrank.

»Das muss sie aber«, blieb ich hartnäckig. »Ich spüre ihr Messer.«

»Du spürst ihr Messer?«

»Ja«, erklärte ich schnell. »Sie besitzt ein magisches Messer und ich kann seit einiger Zeit magische Gegenstände spüren.«

Lucy musterte mich argwöhnisch. Ich ignorierte ihren Blick, ging zu Nells Zimmer, klopfte erst und als ich keine Antwort bekam, stieß ich die Tür auf. Es war leer. Nichts hatte sich verändert. Es sah immer noch so aus wie in den letzten Tagen.

»Nell ist nicht hier«, sagte ich, als ich zurück in die Küche kam.

»Hab ich doch gesagt«, erwiderte Lucy, die wieder am Tisch saß und ihre Einkaufsliste fortführte.

»Sie ist jetzt schon seit einer Woche bei Nick.« Ich ließ mir ein Glas Wasser am Hahn einlaufen und lehnte mich dann rücklings an die Küchenzeile.

»Sie ist was?« Lucy fiel der Stift aus der Hand.

»Sie ist seit einer Woche bei Nick Paradise«, wiederholte ich noch einmal deutlicher.

»Nick Paradise?«, fragte Lucy, als hätte sie sich verhört. »Der Typ, vor dem Skylar Morrell uns gewarnt hat? Der Typ, der euch in dem Cottage mit einer Waffe bedroht hat? Hat er sie entführt?«

Gedankenverloren nippte ich an meinem Wasserglas. »Nein«, sagte ich und mir wurde erst jetzt klar, wie wenig Lucy eigentlich wusste. Da sie die magischen Gegenständen und den Zirkel von Anfang an abgelehnt hatte, hatten Nell und ich sie nicht mehr in alles einbezogen. Wenn ich genau darüber nachdachte, wusste Lucy so gut wie gar nichts. Außer eben, dass die magischen Gegenstände existierten, dass sie gefährlich waren und dass der Zirkel deshalb die Mission verfolgte, sie aus dem Verkehr zu ziehen. Lucy war auch erst zwei magischen Gegenständen begegnet und das aus sicherer Entfernung. Einer magischen Uhr, der sogenannten Uhr der Zeit, und der Kamera der Geheimnisse und beide hatten bei ihr für schmerzhafte Erfahrungen gesorgt, was ihre Abneigung wohl nur noch verstärkt hatte.

»Blake!« Sie durchbohrte mich mit ihren blauen Augen. »Wo zum Teufel ist Nell?»

»Hab ich doch schon gesagt«, erwiderte ich. »Bei Nick Paradise.«

»Und wo bitte wohnen die beiden?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Nach Nick wird gefahndet. Sie sind untergetaucht.«

»Ich glaub, mir wird schlecht«, Lucy hielt sich den Bauch und lehnte sich auf dem klapprigen Stuhl zurück.

Jetzt erst bemerkte ich, was ich getan hatte. Hastig setzte ich mich zu Lucy und griff nach ihrer Hand. »Du musst mir versprechen Greg nichts davon zu erzählen.« Lucy und Greg studierten beide Jura und ich hatte oft das Gefühl, dass es für Lucy nichts Wichtigeres gab, als für Recht und Ordnung zu sorgen. Was vielleicht auch ein Grund war, weshalb Nell und ich sie nicht in alles einweihten. Sie würde es nicht verstehen.

»Was?«, verwirrt sah sie mich an. »Wieso soll ich Gregory nichts davon erzählen?«

»Weil Mica auf keinen Fall davon erfahren darf«, antwortete ich.

Jetzt sah sie mich vollkommen verwirrt an. »Warum darf Mica auf keinen Fall davon erfahren?«

Verdammt, es war aber auch kompliziert. Obwohl Greg für den Zirkel schwärmte, war er nicht als Protektoren-Anwärter ausgewählt worden. Mica, sein bester Freund, hingegen schon. Was Greg nicht wusste. Zumindest, soweit ich auf dem Laufenden war. Und Lucys Reaktion zufolge vermutete ich, dass ich damit richtiglag.

»Weil Mica ein Protektoren-Anwärter ist«, erklärte ich ihr. »Er wird alles, was er von dir oder Greg erfährt, an den Zirkel weitergeben.«

»Was erzählst du denn da für einen Quatsch? Mica würde doch nie für sowas in Frage kommen. Er ist viel zu unreif. Außerdem wäre Gregory ja wohl der Erste, der davon erfahren würde. Er ist schließlich sein bester Freund.«

»Und du glaubst, dass Greg dir alles erzählt?«

»Natürlich.«

»Gut, wie auch immer. Erzähle ihm bloß nicht, dass Nell mit Nick Paradise untergetaucht ist. Das ist sowas wie Hochverrat, verstehst du? Im Zirkel herrschen andere Gesetze. Ich will nicht, dass Nell in Gefahr gerät, nur weil du deinen Mund nicht halten konntest und dir Greg wichtiger ist als dein eigenes Blut.«

Lucy gewann langsam ihre Fassung wieder und ihr entsetzter Blick wich einem zornigen. »Wichtiger als mein eigenes Blut?«, fragte sie, stand auf und sah auf mich herab. »Mein eigenes Blut? Mein Vater, der den Großteil meiner Jugend nie zu Hause war und mehrere Jahre davon im Knast verbracht hat, wofür ich in der Schule täglich aufgezogen wurde? Meine Mutter, die bis spätabends im Hotel gearbeitet hat, selbst an den Wochenenden, und wenn sie dann mal da war, zu erschöpft war, um für ihre drei Kinder zu kochen? Die Eltern, die sich nach Bali abgesetzt haben und die ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe? Meine kleine Schwester, die mit ihren dummen Freunden das Haus eines unschuldigen Mannes in Brand gesetzt hat? Und meine große Schwester, die jetzt mit einem der offenbar größten Verbrecher – warum sollte sonst nach ihm gefahndet werden? – einen auf Bonnie und Clyde macht?«, sie holte Luft. »Wichtiger als mein Blut?«, fragte sie noch einmal und sah mich so intensiv an, dass ich ihrem Blick auswich. »Glaub mir, Blake, unser Blut ist nichts wert. Und wenn ich es für richtig halte, Gregory davon zu erzählen, dann werde ich das tun.«

»Aber das darfst du nicht. Willst du Nell absichtlich in Gefahr bringen?«

»In unserer Welt muss jeder seine gerechte Strafe bekommen. Spätestens vor dem Jüngsten Gericht.«

»Was soll das denn bedeuten?«

»Wenn wir dem Tod ins Auge blicken, können wir unsere Sünden nicht verleugnen. Also wäre es besser für Nell, wenn sie jetzt schon ihre Strafe erhält.«

»Du spinnst doch!« Ich sprang auf. »Weißt du, was ich glaube, Lucy?«, fragte ich und wusste genau, dass ich sie mit meinen nächsten Worten verletzen würde. »Die Einzige, die ihren Sünden später vor dem Jüngsten Gericht entgegentreten muss, wirst du sein, weil du nicht nur deine Familie, sondern auch dich selbst verraten hast. Und jetzt sag mir endlich, welchen magischen Gegenstand du bei dir trägst!«

»Was redest du jetzt wieder für einen Quatsch?«, fragte Lucy, ebenso wütend wie ich. »Ich trage keinen magischen Gegenstand bei mir.«

»Du lügst.« Ich packte sie, geleitet von dem starken Sog des Gegenstandes, der mich rief und anzog wie ein Magnet, riss ihr die Handtasche aus der Hand und zog ein altes, in Leder eingebundenes Notizbuch heraus. Sobald ich es berührte, durchdrang ein elektrisierendes Kribbeln meinen gesamten Körper.

Sie griff nach dem Buch, aber ich wich damit zurück.

»Gib das sofort wieder her! Das ist kein magischer Gegenstand. Gregory hat es mir geschenkt!«

»Tatsächlich?«, hakte ich nach. »Hat er es dir persönlich geschenkt oder lag es urplötzlich und ganz überraschend in deinem Zimmer?«

»Es«, stammelte Lucy verunsichert, »lag in meinem Zimmer.«

»Nicht Greg hat es dir geschenkt, sondern Mica, weil es ein Teil seiner Aufnahmeprüfung ist. Er soll dafür sorgen, dass Nell, du und ich in den Sog der Gegenstände geraten.«

»So ein Quatsch«, erwiderte sie. »Hörst du dich eigentlich reden?« Sie verdrehte die Augen. »Dieses Notizbuch ist kein magischer Gegenstand, okay? Gib es mir zurück!«

»Hör auf, Lucy! Ich fühle seine Energie. Welche ist die magische Kraft dieses Notizbuchs?« Ich wedelte damit vor ihrem Gesicht herum und Panik blitzte in ihren Augen auf.

»Weißt du was«, sie drückte mir die Einkaufsliste gegen die Brust und entriss mir im nächsten Moment das Notizbuch. »Kauf den Kram selber.« Schneller, als ich schauen konnte, ließ sie das Notizbuch wieder in ihrer Handtasche verschwinden, quetschte sich an mir vorbei und ging aus der Küche. »Ich gehe.« Bevor ich sie aufhalten konnte, marschierte sie aus der Wohnung. »Ich bin bei Gregory, falls du es wissen möchtest. Der einzige normale Mensch in meinem Leben.«

Die Wohnungstür knallte ins Schloss. Ich folgte ihr, riss die Tür wieder auf und brüllte in den Hausflur. »Lucy!«

Sie reagierte nicht. Ihre schnellen Schritte hallten durchs Treppenhaus und ein Teil von mir wusste, dass ich selbst, wenn ich ihr hinterherrannte, nicht viel erreichen konnte.

Das Klingeln meines Handys lenkte mich ab. Cosmo Walker. Toll. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Die ganze Woche hatte er mich schon angerufen und ich wusste genau warum, deshalb hatte ich auch nicht abgehoben. Aber vielleicht hörte er endlich auf mich zu nerven, wenn ich seinen Anruf annahm.

»Was willst du?«, begrüßte ich ihn.

»Das weißt du ganz genau!«, grüßte er ebenso freundlich zurück. »Gib mir die Kamera der Geheimnisse zurück.«

»Ich hab sie auch nicht mehr.«

Mit einem Knall schloss ich die Wohnungstür wieder.

»Du …«, würgte er. »Du hast sie nicht mehr?«

»Nein«, erwiderte ich.

»Ich brauch sie aber!« Seine Stimme überschlug sich panisch. »Die Protektoren drehen mir den Hals um, wenn die merken, dass das Ding weg ist.«

»Ich habe sie wirklich nicht mehr, Cosmo«, sagte ich, ohne ihm zu verraten, dass ich sie zerstört hatte.

»Blake, verdammte Scheiße. Ich brauche die Kamera!«

»Hör zu, Cosmo, es tut mir leid, aber ich habe gerade echt andere Probleme. Ich muss mich um Lucy kümmern, sie besitzt einen magischen Gegenstand und will mir nicht glauben, dass er magisch ist. Sie ist im Moment nicht ganz bei Sinnen. Du verstehst«, wollte ich ihn abwürgen, aber er fragte aufrichtig entsetzt: »Lucy besitzt einen magischen Gegenstand?« Es hörte sich an, als würde er nach Luft schnappen. »Sie wird damit nicht umgehen können, das ist viel zu gefährlich für sie.«

»Wer hätte gedacht, dass wir zwei irgendwann mal gleicher Meinung sein würden?«, fragte ich ironisch.

»Ich kümmere mich darum«, sagte Cosmo.

»Du …«, wollte ich ungläubig fragen, aber er ließ mich nicht ausreden.

»Und wenn ich das erledigt habe, gibst du mir meine Kamera zurück, verstanden!«

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, hatte er bereits aufgelegt.

Na großartig. Sollte ich Lucy warnen? Besser nicht. Wenn sie jetzt auch noch erfuhr, dass ich ihr aus Versehen Cosmo Walker auf den Hals gehetzt hatte, würde sie mir den Kopf abreißen. Keine Ahnung, wie er Lucy finden wollte, aber er war Boulevard-Reporter, irgendwie schaffte er es immer, seine Zielpersonen schnellstmöglich ausfindig zu machen.

Vehementes Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Ich erwartete niemanden, dennoch ließ ich das Handy sinken und betätigte den Türöffner. Wer auch immer das war, viel beschissener konnte der Tag nicht mehr werden, oder? Während ich die Wohnungstür öffnete, polterten mehrere Leute die Treppe herauf, als käme eine Feuerwehrmannschaft zum Einsatz. Wir wohnten im vierten Stock und dafür waren sie wirklich schnell oben. Denn einen Moment später standen ein Protektor und zwei Catcherinnen vor mir. Er im für Protektoren obligatorischen maßgeschneiderten Anzug und mit auffälligen Tattoos und die zwei Frauen im gleichen schwarzen Ganzkörperanzug, ihre wasserstoffblonden Haare zu einem hohen Zopf gebunden, jegliche Strähnen mit Haarnadeln akkurat zurückgesteckt und ebenfalls mit Tattoos an den Armen. Was ich auch nur erkannte, weil sie ihre Jacken hochgekrempelt hatten. Und sie hatten bei Weitem nicht so viele Tattoos wie der Protektor. Zumindest soweit ich das beurteilen konnte.

Ich hatte die drei zwar noch nicht persönlich kennengelernt, aber ich erkannte sie von meinem nächtlichen Einbruch in Cosmos Wohnung wieder. Sie durften mich aber eigentlich nicht kennen, denn zu diesem Zeitpunkt war ich dank Skylars magischen Rings unsichtbar gewesen.

»Bist du Blake Summerfield?«, fragte dann auch der Protektor und musterte mich aus eisblauen Augen.

»Wer will das wissen?« Ich straffte meine Schultern und hoffte, dass sie mich trotz meines Winnie-Puuh-Einteilers ernst nahmen.

»Ich bin Fynn Jackson, ein Protektor des Zirkels, und das sind«, er deutete auf die größere der beiden Catcherinnen, »Emma und«, nun wandte er sich an die kleinere, »Kim.«

Ich musterte sie nacheinander und mein Körper verriet mir, dass sie von Magie umgeben waren. Auch wenn ich ihren magischen Gegenstand nicht sehen konnte, verriet er sich durch den kribbelnden Sog, der meinen Körper durchfuhr.

Bis jetzt hatte ich noch nicht viele Protektoren gesehen. Drei, um ganz genau zu sein. Skylar, einen Protektor aus der Zukunft und Fynn. Nick hatte seine Ausbildung abgebrochen, deshalb galt er nur als halber Protektor für mich, auch wenn er bereits viele Tattoos vom Zirkel gestochen bekommen hatte. Aber Fynn übertraf alle vier. Seine Tattoos bedeckten seinen gesamten Hals, wanderten von dort aus hoch bis zu seinen Schläfen und endeten erst im Ansatz seiner zurückgegelten schwarzen Haare. Auch seine Hände waren bis zu den Fingerspitzen tätowiert. Bei Skylar und den anderen endeten alle Tattoos am Hals und an den Handgelenken.

Fynn zog eine Zigarette aus einer Packung und bevor ich ihn ermahnen konnte in unserem Hausflur bitte nicht zu rauchen, steckte er sie sich hinters Ohr und schenkte mir ein diabolisches Grinsen, rieb sich dann mit Daumen und Zeigefinger über das kantige Kinn und musterte mich wie ein Raubtier seine Beute.

»An deinen Händen …«, ich stockte. Zwischen den ganzen Tattoos klebte eine dunkelrote Flüssigkeit, die mir auf seiner bemalten Haut erst jetzt auffiel. »Ist das Blut?«

Er betrachtete seine Hand und hob genervt eine Augenbraue. »Wie konnte ich das übersehen«, tadelte er sich selbst. Kim reichte ihm ein Taschentuch und während er es auseinanderfaltete, sagte er: »Keine Sorge, das ist nicht mein Blut.«

Wie beruhigend.

Anstatt das Blut abzuwischen, verschmierte er es nur, was er mit einem genervten Blick registrierte. »Darf ich kurz dein Bad benutzen?«

In Schockstarre beobachtete ich, wie er in unsere Wohnung ging, hörte, wie der Wasserhahn aufgedreht wurde und blieb genau so stehen, bis Fynn wieder zurückkam.

»Schon besser«, er rieb seine sauberen Hände und schenkte mir wieder seine komplette Aufmerksamkeit. »Wir sind hier, um dich abzuholen.«

Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Mich abholen?«, fragte ich und schluckte schwer. Mein Mund fühlte sich plötzlich trocken an. »Wo ist Skylar?« Warum waren sie ohne ihn gekommen? Hatten sie etwas gemerkt? Wussten sie von Skylar und mir? Würden wir nun vor ein geheimes Gericht des Zirkels gestellt werden? War das Skylars Blut, das Fynn sich gerade von den Händen gewaschen hatte?

»Er wird gerade abgeholt«, antwortete Fynn.

Ich schnappte nach Luft. »Wo ist er? Warum ist er nicht hier?« Sie ahnten etwas, weshalb holten sie uns sonst ab, ohne es vorher anzukündigen? Panisch sah ich an ihnen vorbei. Der einzige Fluchtweg war das Treppenhaus hinter den dreien. Sollte ich einfach losrennen? Auf Socken und im Winnie-Puuh-Einteiler? Meine Chancen standen nicht besonders gut. Oder ich konnte durch mein Zimmerfenster fliehen. Wir befanden uns zwar im vierten Stock. Aber das Dach des Nachbarhauses grenzte direkt an mein Fenster, sodass ich problemlos darüber bis zur Feuerleiter laufen konnte.

»Skylar und du, ihr habt heute etwas zu feiern«, riss Fynn mich aus meinen Fluchtgedanken. »Dort, wo wir dich hinbringen, wird auch Skylar auf dich warten.«

»Tatsächlich«, skeptisch musterte ihn. »Und was gibt es zu feiern?«

»Dass du nun offiziell eine Catcherin bist«, antwortete Emma und lächelte.

Es dauerte etwas, bis die Information zu mir durchdrang.

»Ich bin eine Catcherin?«

Alle drei nickten, als hätten sie es einstudiert.

Ich war nun offiziell eine Catcherin? Auch wenn Nick

Paradise so viel Negatives darüber erzählt hatte, spürte ich, wie Stolz in mir aufstieg.

»Du hast deine Prüfung bestanden, Blake«, sagte Fynn. »Das zelebrieren wir mit einem ganz besonderen Einweihungsritual.«

»Jetzt?« Ich blickte an mir herunter. Besonders feierlich war ich nicht angezogen.

Wieder nickten sie.

»Und wo?«

»Das ist eine Überraschung.«

»Ich hasse Überraschungen«, murmelte ich. »Und um

mich dort hinzubringen, müsst ihr zu dritt kommen?«

Keiner reagierte.

»Darf ich mir denn noch was anziehen?«, fragte ich. »Selbstverständlich.« Fynn schenkte mir ein gönnerhaftes Lächeln.

Als ich die Tür vor ihrer Nase schließen wollte, machte Kim einen Schritt vor und hielt mich davon ab. »Du hast bestimmt nichts dagegen, wenn wir solange bei euch in der Wohnung warten, oder?«

Misstrauisch musterte ich sie. »Nein«, sagte ich langsam. »Kein Problem.«

Ich ließ sie herein und verriegelte meine Zimmertür, bevor die Catcherinnen auch das noch verhinderten.

Sollte ich doch über das Dach verschwinden?

»Wie lange wird es dauern?«, rief ich durch die Zimmertür, während ich schnell in Jeans und Poncho schlüpfte. Das war zwar nicht sehr viel feierlicher als der Winnie-Puuh-Einteiler, aber dafür warm. Ich wusste ja nicht, wo sie mich hinbringen wollten und für den Fall, dass ich doch fliehen musste, wollte ich zumindest praktisch angezogen sein.

»Ein paar Stunden«, antwortete Fynn auf der anderen Seite der Tür. Hastig kämmte ich mir die Haare, band sie zu einem Zopf und öffnete die Tür.

Die Catcherinnen scannten mit kritischem Blick mein Zimmer.

»Pack bitte deinen magischen Gegenstand ein«, forderte Fynn mich auf.

»Mein …« Fläschchen?, wollte ich fragen, aber ich brachte es nicht über die Lippen. »Warum? Was wollt ihr damit?«

»Jeder magische Gegenstand gehört in die Obhut des Zirkels«, bekam ich von Kim zur Antwort.

»Ich verstehe das nicht. Ihr habt mir das Fläschchen

geschenkt.« Meine Stimme überschlug sich panisch.

»Geborgt«, korrigierte sie mich.

»Geborgt?« Das glaubte ich nicht. »Ich dachte, es gehört mir«, schaffte ich zu sagen, obwohl meine Kehle sich anfühlte, als hätte jemand einen Strick darum gelegt, den er langsam enger zog. Plötzlich fing ich an zu zittern, ich konnte gar nichts dagegen tun.

»Es gehört dem Zirkel«, sagte Fynn. »Es sollte sich so lange in deinen Händen befinden, bis du eine Catcherin bist«, erklärte er. »Deshalb musst du das Fläschchen der Tränke heute zurückgeben.«

Wie in Trance ging ich zurück in mein Zimmer. Unter dem Bett zog ich die alte Holzkiste hervor, in der ich das Fläschchen aufbewahrte und für einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, einfach ein anderes Fläschchen zu nehmen. Aber ich besaß keins, das dem magischen Fläschchen nur annähernd ähnelte. Ganz davon abgesehen würden Fynns Catcherinnen in Sekundenschnelle herausfinden, ob es magisch war oder nicht.

Als ich das verzierte Glas berührte, schloss ich für einen Moment die Augen, um den Rausch zu genießen, der durch die Zellen meines Körpers schoss. Ein sanftes, euphorisierendes Kribbeln, an das ich mich so sehr gewohnt hatte, dass ich mir nicht ausmalen wollte, ohne es leben zu müssen.

Mit zittrigen Fingern hüllte ich es in ein Tuch, löste mich dadurch von der betörenden Magie und steckte es vorsichtig in meine Handtasche.

»Bereit?« Fynn und die Catcherinnen warteten im Flur auf mich. Ich griff nach meiner Kunstlederjacke, hängte meine Handtasche mit dem magischen Fläschchen über die Schulter und nickte knapp.

Vor dem Haus parkte eine lange schwarze Limousine. Emma öffnete die Tür zur Rückbank und gebot mir einzusteigen.

Ich kam ihrer Aufforderung nach und sobald die anderen sich neben und vor mich gesetzt hatten, fuhren wir los.

Das Fenster zum Fahrer war verdunkelt, sodass ich nicht sehen konnte, wer am Steuer saß. Zwischen Kim und Emma fühlte ich mich eingeengt, aber ich ließ mir nichts anmerken. Jetzt, wo ich saß und etwas zur Ruhe kam, nahm ich ihn deutlich wahr, diesen Sog, der stärker war als die magische Kraft meines Fläschchens und der mir schon in der Wohnung aufgefallen war. Die Catcherinnen oder Fynn mussten einen oder sogar mehrere Gegenstände bei sich tragen. Aber der einzige magische Gegenstand, der meine Aufmerksamkeit bekam, war mein eigener. Von dem Fläschchen in meiner Handtasche ging – im Gegensatz zu dem Sog – ein sanftes angenehmes Kribbeln aus, als würde es still darum bitten herausgenommen und benutzt zu werden. Ich fühlte mich schrecklich. Es war, als würde ich ein geliebtes Haustier zum Tierheim fahren, um es abzugeben. Das war nicht fair. Sie hatten es mir geschenkt. Und jetzt wollten sie, dass ich es einfach wieder hergab. Jetzt, wo ich mich so sehr an das Fläschchen gewöhnt hatte. Warum hatte ich Nells Angebot nicht angenommen, es an einem geheimen Ort bei Nick Paradise zu verstecken? Dann wäre es jetzt in Sicherheit.

Kapitel 2

Nell

Mit drei Handbewegungen drehte ich meine langen rotgefärbten Haare zu einem strengen Dutt. In der letzten Zeit war ich oft in Situationen geraten, in denen ich schnell handeln musste. Da konnte ich es nicht gebrauchen, dass meine Haare mir die Sicht versperrten, weil sie mir gerade ungünstig ins Gesicht fielen.

Ich verließ das spärlich eingerichtete Gästezimmer, betrat die große Lagerhalle – Nicks Geheimversteck, in dem ich seit kurzer Zeit untergetaucht war – und hielt nach Nick Ausschau, aber er war nirgends zu sehen. Normalerweise saß er bereits vor dem Morgengrauen an seinem Computer und tüftelte an seinem Plan, in das Hauptgebäude des Zirkels einzubrechen und zwar ohne dabei erwischt, verletzt oder getötet zu werden.

Die Sache mit Nick war kompliziert. Als Mica mich vor einigen Tagen zu unserem Wagen brachte, der vor einem leerstehenden Cottage parkte, hatte Nick mich dort überrascht. Er hatte beobachtet, wie Mica einen magischen Gegenstand für mich versteckt hatte und mich rechtzeitig gewarnt, diesen nicht mit bloßen Händen zu berühren. Da ich Nicks Rat ernst nahm und die Handschuhe benutzte, die er mir gab, erzählte er mir mehr über den Zirkel und seine Machenschaften und machte mir ein Angebot. Er bot mir an bei ihm unterzukommen, mich vor den Protektoren zu verstecken, die mich von der Magie der Gegenstände abhängig machen wollten, und er versprach mir sogar mir soviel Geld zu geben, wie der Zirkel uns zahlte, wenn wir einen magischen Gegenstand ausfindig machten. Die einzige Gegenleistung, die Nick erwartete, war, dass ich mich daran hielt, keinen magischen Gegenstand mit den bloßen Händen zu berühren.

Seine Argumente hatten mich überzeugt. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb ich sein Angebot angenommen hatte und mit ihm untergetaucht war. Mein Leben, so wie es gerade lief, war ein einziges Chaos, es hatte mich genervt, gestresst und gelangweilt. Die Perspektive, Zeit mit jemandem zu verbringen, der sich mit magischen Gegenständen umgab, war die spannendste, die sich mir jemals geboten hatte. Und ich mochte Nick schon von unserer ersten Begegnung an, als Blake und ich zufällig in dem leerstehenden Cottage auf ihn getroffen waren – obwohl er damals mit einer Waffe auf uns gezielt hatte. Meine Intuition hatte mir gesagt, dass ich von ihm nichts zu befürchten hatte. Er hatte uns damals nur nicht erwartet und war von uns überrascht worden. Auf unerklärliche Weise fühlte ich mich zu ihm hingezogen, obwohl ich ihn erst seit so kurzer Zeit kannte. Aber Nick wusste nichts davon und ich würde einen Teufel tun es ihm zu verraten. So, wie es gerade zwischen uns war, war es gut. Ich wollte nicht, dass irgendwelche unpassenden Gefühle unsere Freundschaft, wenn man es so nennen konnte, zerstörten. Und zum Glück war ich ein Mensch, der seine Gefühle gut kontrollieren konnte.

Suchend blickte ich mich in der Lagerhalle nach Nick um.

Der Computer auf dem Planungstisch war ausgeschaltet, sämtliche Unterlagen, Notizzettel und Bücher lagen drum herum verteilt und sahen so aus, als wären sie seit gestern Abend nicht mehr bewegt worden. Vielleicht schlief er noch. Unsere Zimmer lagen genau nebeneinander. Aber anstatt ihn zu wecken, entschied ich mich ihn schlafen zu lassen, denn wenn er eines wirklich gut gebrauchen konnte, dann war es Schlaf. Ehrlich gesagt verstand ich nicht, wie ein Mensch mit so wenig Schlaf nur einen Tag fit überstehen konnte. Aber Nick schien damit gut klarzukommen. Nur heute offenbar nicht. Ich schmunzelte und ging zur spärlich eingerichteten Kochnische, füllte zwei Löffel Kaffeepulver in den Espressokocher, drehte den Gasherd auf, stellte den Espressokocher drauf und wartete dann mit Blick zur Lagerhalle auf meinen Morgenkaffee. Die Wände der Halle waren mit Backstein gepflastert, der Boden bestand aus geschliffenem Beton. Hinten in der Wohnzimmerecke, wenn man es so nennen wollte, befanden sich eine Couch und ein Fernseher. Und das Einzige, was noch für etwas Gemütlichkeit sorgte, war ein grauer flauschiger Teppich.

Ansonsten war die Halle minimalistisch eingerichtet. An den Eingängen hingen Überwachungskameras, es gab zwei Tische, den Hochtisch in der Kochecke, an dem wir aßen, und den riesigen Planungstisch, auf dem Computer und Laptops aufgestellt waren, sowie mehrere Regale, in denen Nick die magischen Gegenstände aufbewahrte, die er bereits eingesammelt hatte.

Es war Nicks eigene kleine Asservatenkammer.

Eine – zunächst – Ein-Mann-Initiative, die Nick aufgebaut hatte, unabhängig vom Zirkel, und der ich nun beigetreten war. Zwei gegen den Rest der Welt. Zumindest fühlte es sich so an. Aber das war egal. Ich spürte, dass ich das Richtige tat. Und ich spürte, dass ich an Nicks Seite sein wollte.

Das Dampfen des Espressokochers riss mich aus meinen Gedanken, ich drehte das Gas schnell aus, goss mir den duftenden Espresso in meine Lieblingstasse und trank dann mit Blick aus den dreckigen Fenstern einen heißen Schluck. Das Glas der riesigen Fenster war so schmutzig, dass man von außen nicht in die Halle schauen konnte. Ansonsten wäre es hier drinnen mit Sicherheit lichtdurchflutet gewesen. Aber niemand sollte wissen, was wir hier drinnen machten. Man musste dazusagen, dass hier sehr selten mal jemand vorbeikam. Allerhöchstens verirrte sich ein Spaziergänger hierher, dem dann nicht mal auffiel, dass in der leerstehenden Fabrikhalle jemand wohnte. Die Halle lag in einer ländlichen Gegend und im Umkreis von zwanzig Kilometern gab es fast nur Felder und Wälder. Bis nach London fuhren wir mit dem Auto ungefähr eine Stunde. Aber ich hatte ja noch mein magisches Messer. Damit war ich etwas schneller. Ein Schnitt in die Raum- und Zeit-Sphäre und ich war in Sekundenbruchteilen an einem anderen Ort. Das magische Messer … Nick hatte mich gestern Abend danach gefragt. Ich hatte es ihm bedenkenlos gegeben, aber vielleicht war das leichtsinnig gewesen. Was, wenn er gar nicht in seinem Zimmer war, sondern sich allein auf den Weg zum Zirkel begeben hatte? Misstrauisch blickte ich zu seiner Zimmertür. Nein, Nick war vorsichtig. Wenn er sich auf die Suche nach etwas begeben hatte, dann so, dass er sich nicht in große Gefahr begeben würde. Ich wollte mich gerade an den Hochtisch setzen, als aus Nicks Zimmer ein lautes Rumpeln ertönte.

»Nick?«, fragte ich vorsichtig. Als ich keine Antwort bekam, ging ich zu seinem Zimmer. »Ist alles in Ordnung?«, rief ich durch die verschlossene Tür hindurch. Als Antwort bekam ich einen schmerzhaften Laut, was mir reichte, um die Tür aufzustoßen.

Nick kniete gekrümmt auf dem Boden, mit der einen Hand stützte er sich ab, die andere presste er sich gegen die Seite an sein blutverschmiertes Hemd. Aus seiner aufgeplatzten Augenbraue sickerte Blut über die Schwellung in seinem Gesicht. Das magische Messer lag neben ihm und hinter ihm war ein schmaler weiß leuchtender Streifen zu sehen, eine Öffnung im Raum-Zeit-Kontinuum.

Vorsichtig half ich Nick aufs Bett, zog ihm den Handschuh, den er an einer Hand trug, aus, schlüpfte selbst hinein, packte das Messer, steckte es in den weißen Strahl und zog es konzentriert von unten nach oben, damit sich das Tor wieder schloss. Dann eilte ich zurück zu ihm, legte Handschuh und Messer neben dem Bett ab und begutachtete sein Gesicht und sein blutnasses T-Shirt.

»Was ist passiert?«

»Ein Protektor hat mich erwischt«, gab er schwer atmend zur Antwort und deutete dann auf seinen Schrank. »Der Medizinkasten.«

Eilig holte ich den Medizinkasten heraus und öffnete ihn neben Nick auf dem Bett. »Und jetzt?«

»Jetzt musst du mich nähen«, presste er unter Schmerzen hervor und nahm seine Hand von der verletzten Stelle. Augenblicklich verstärkte sich der Blutfluss und die dunkelrote Flüssigkeit quoll durch sein T-Shirt und tropfte auf sein Bett.

»Auf keinen Fall, Nick«, sagte ich. »Damit musst du ins Krankenhaus.«

Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Nein.« Er sah mich gequält, fast flehend an. »Bitte. Es ist nur ein Seitenstich.« Er zog das blutige Shirt hoch und gab die glatte Schnittwunde darunter frei. Sie war vielleicht fünf Zentimeter lang und zog sich über die rechte Seite seines Bauches. Nach meiner – nicht medizinisch geschulten – Einschätzung war der Schnitt vielleicht zwei, höchstens drei Zentimeter tief. Ich atmete schwer. Was, wenn die Verletzung schlimmer war, als sie aussah?

»Nell«, redete Nick auf mich ein. »Der Zirkel hat überall seine Leute. Wenn ich jetzt ins Krankenhaus gehe, kann ich gleich zum Hauptsitz fahren und mich abstechen oder erschießen lassen.«

Er hatte recht. Es war zu gefährlich. Das Letzte, was ich wollte, war, dass sie ihn schnappten.

»In Ordnung«, sagte ich zähneknirschend und zog mir ein paar Latexhandschuhe über. »Aber nur, wenn du mir versprichst, solche Aktionen nicht mehr allein und vor allem nicht mehr hinter meinem Rücken zu machen.«

»Okay«, sagte Nick mit schmerzverzerrtem Gesicht.

»Versprich es«, befahl ich und presste ein paar Mullbinden auf die offene Stelle in seinem Fleisch, um den Blutfluss etwas zu dämmen.

Er sah von seiner Wunde zu mir und lächelte dann schief. »Ich verspreche es«, stöhnte er und ich sah ihm an, dass er versuchte gegen die Schmerzen anzukämpfen.

»Okay.« Ich musste einen klaren Kopf bewahren, was bei dem ganzen Blut gar nicht einfach war. »Am besten ziehst du das T-Shirt aus.«

Er machte Anstalten es auszuziehen, aber bei seinen Wunden an Bauch und Augenbraue war mir das zu riskant. Mit der Schere aus dem Medizinkasten schnitt ich das T-Shirt auseinander. »Es war sowieso hinüber«, kommentierte ich und warf es auf den Boden. »Leg dich hin, dann kann ich dich besser nähen.«

Er legte sich rücklings auf das Bett und ich schob ein Kissen unter seine Seite, damit ich besser an die Wunde herankam.

»Kannst du die halten?« Ich drückte seine rechte Hand auf die Mullbinden, um zu verhindern, dass er noch mehr Blut verlor. »Zeig mir noch mal die Wunde.«

Er hob die Mullbinden hoch und sofort sickerte wieder Blut heraus.

»Du verlierst zu viel Blut«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich hab noch nie eine Wunde genäht.«

»Du kannst das«, sagte er nach Luft ringend. »Du hast doch bestimmt schon mal einen Riss in einem T-Shirt genäht?« Er atmete schwer.

»Das ist was anderes«, sagte ich.

»Nein.« Kaum merklich schüttelte er den Kopf. »Es funktioniert genauso.«

»Das T-Shirt hat keine Schmerzen, wenn ich mit der Nadel durch den Stoff steche«, erwiderte ich.

Er deutete auf den Medizinkasten. »Da drin ist ein Betäubungsmittel.«

Hastig durchsuchte ich den Koffer und fand Ampullen, Spritzen und Kanülen. Mir blieb keine Zeit um nachzudenken. Nick war zu stur und er hatte recht. Ins Krankenhaus zu gehen war zu gefährlich. Sollten die Protektoren ihn finden, würden sie ihn töten. Sie hatten es ja jetzt schon versucht. Ich zog die Spritze mit dem Betäubungsmittel auf und spritzte es Nick wenige Zentimeter neben die Wunde.

Während Nick wieder ein paar Mullbinden auf die Wunde presste, fädelte ich einen Faden in eine sterile Nadel, die ich ebenfalls in dem Koffer gefunden hatte und beugte mich dann über seinen Bauch.

»Spürst du noch was?« Ich pikste leicht in die Haut neben der Wunde.

Er wartete kurz und schüttelte dann den Kopf.

»Okay«, sagte ich und zog die Luft ein. »Dann fang ich jetzt an.«

Er nahm die Mullbinden von der Wunde, damit ich loslegen konnte.

Es ist ganz einfach, sagte ich mir in Gedanken. Ich nähe nur ein Hemd … Aber als ich die Nadel ins Fleisch stach und das Blut mir über die Latexhandschuhe floss, fühlte es sich nicht an wie ein Stück Stoff. Ich zwang mich weiter zu machen. Versuchte mir immer wieder vor Augen zu führen, dass ich es gleich geschafft hätte, und redete mir ein, dass es ganz normal wäre. Nur ein Hemd, sagte ich mir immer wieder in Gedanken. Nach sieben Stichen hatte ich es endlich hinter mich gebracht. Die Wunde war verschlossen und es blutete nicht mehr.

Mit hochprozentigem Alkohol wischte ich die Blutreste von seiner Haut, zog die Latexhandschuhe aus, wusch mir die Hände und verband seinen Bauch.

»Vielen Dank, Dr. Summerfield«, sagte er und lachte leise, während seine Brust unter meinen Händen erzitterte. »Sie haben mir das Leben gerettet.«

»Das ist nicht lustig«, sagte ich düster und wandte mich dem Medizinkasten zu.

»Ich weiß«, sagte er schnell und wurde wieder ernst.

»Und jetzt noch die Platzwunde über deiner Augenbraue.« Ich zog einen frischen Faden auf, schob ihm die braunen Haare aus dem Gesicht und er schloss die Augen, während ich mich auch hier ans Werk machte. Diesmal ging es deutlich schneller, ich setzte die Betäubungsspritze direkt neben die verletzte Braue, wartete einen kurzen Augenblick und etwas später hatte ich die Wunde mit drei Stichen genäht.

»Fertig.« Ich entfernte auch dort die Blutreste und betrachtete mein Werk. Dafür, dass es das erste Mal in meinem Leben war, dass ich Wunden genäht hatte, sah es ganz gut aus.

»Das war echt knapp.« Erschöpft setzte ich mich auf den Stuhl am Rande seines Bettes und musterte ihn und die Tattoos auf seinem Oberkörper.

Mit seinen schilfgrünen Augen fuhr er mein Gesicht entlang, wandte den Blick dann ab und sah zur Decke. Unwillkürlich erhöhte sich mein Herzschlag und ich sah ebenfalls weg.

»Wie lange warst du im Zirkel?«, fragte ich in die plötzliche Stille hinein.

»Drei Jahre, lange genug, um einige Prüfungen zu machen und zu kurz, um Protektor zu werden«, sagte er und lächelte müde.

»Und was ist mit deiner Narbe?« Ich deutete auf sein Gesicht. »Woher hast du sie?«

»Hat mir ein Protektor verpasst, als Strafe, dass ich in das Heiligtum des Zirkels eingebrochen bin. Die Asservatenkammer. Er hätte mich noch übler zugerichtet, wenn Skylar nicht dazwischengegangen wäre.«

»Dann ist Skylar gar nicht so ein übler Kerl«, schlussfolgerte ich.

»Nein, das ist er nicht. Er ist ein guter Kerl. Ihm ist nur noch nicht ganz bewusst, dass er auf der falschen Seite kämpft. Aber ich habe Hoffnung, dass er das noch herausfindet.«

Ich musterte sein Tattoo am Arm genauer.

»Ist das ein Harry-Potter-Tattoo?«, fragte ich amüsiert. Vor mir lag ein muskulöser Mann Anfang 30 mit einem Harry-Potter-Tattoo.

»Ein kleiner Scherz von Skylar und mir«, antwortete er. »Wegen der magischen Gegenstände und so. Wir haben uns einen Spaß daraus gemacht. Ich hab ihm das Gleiche gestochen.«

»Ihr wart gute Freunde, was?«

Er nickte. »Das waren wir.«

»Und welcher Protektor hat dich heute erwischt?«, fragte ich.

»Derselbe, der mir die Narbe verpasst hat.« Nicks Kiefer spannte sich an. »Fynn. Ein unberechenbarer sadistischer Wichser. Ich habe einen unterirdischen Gang in der Kanalisation entdeckt, der direkt zu einem geheimen Eingang der Asservatenkammer führt, und Fynn hat mich überrascht.«

»Nick«, das, was ich jetzt sagen wollte, lag mir schon eine ganze Weile auf der Zunge, aber irgendwie hatte sich nie der richtige Moment dafür ergeben. »Was ist das für ein Gegenstand, den du unbedingt brauchst? Ich meine, ist er es wirklich wert, dass du dein Leben dafür aufs Spiel setzt?«

Nick sah mich kurz an und senkte dann den Blick. »Er ist meine einzige Hoffnung, meine Mutter zu retten.«

Irritiert neigte ich den Kopf. »Es gibt einen magischen Gegenstand, der deine Mutter retten könnte?«

Er presste die Lippen aufeinander.

»Das verstehe ich nicht«, sprach ich meine Gedanken laut aus. »Warum hat der Zirkel ihn dann nicht längst eingesetzt?«

»Weil er nur eine einzige Person retten kann und sie bewahren ihn für wichtigere Mitglieder des Zirkels auf«, sagte er bitter.

»Und woher weißt du von dem Gegenstand?« Wenn er so wertvoll war, dann würden die höchsten Mitglieder des Zirkels doch bestimmt nicht viel darüber reden.

»Weil meine Mutter mir von ihm erzählt hat, bevor sie den Verstand verloren hat. Sie hat ihn gefunden.«

»Wow.« Ich ließ den Kopf gegen die Stuhllehne sinken und blickte an die Decke. Das war heftig. Es fiel mir immer leichter Nicks Wut auf den Zirkel zu verstehen. Sie hatten die Möglichkeit sie zu retten, aber sie taten es nicht. »Und?«, fragte ich. »Was für ein Gegenstand ist es?«

Nick wartete einen Moment, bevor er mir antwortete. »Der Magnet der Heilung.« Im nächsten Moment verzog er sein Gesicht vor Schmerzen. »Die Betäubung lässt nach«, sagte er, bevor ich fragen konnte. Er wollte aufstehen, aber ich drückte ihn zurück aufs Bett.

»Was hast du vor?«, fragte ich.