Schattenflittern. A Love Beyond - Anna-Sophie Caspar - E-Book

Schattenflittern. A Love Beyond E-Book

Anna-Sophie Caspar

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Beschreibung

**Füreinander bestimmt, gegen jede Vernunft** Wieder eine neue Highschool, wieder neue Menschen, und diesmal auch noch mitten in der Wüste: Als Vi mit ihrem Vater für seine Forschungsarbeit ins sonnig trockene Arizona zieht, ist sie alles andere als glücklich. Doch schnell lebt sie sich ein und lässt sich von ihrem neuen Mitschüler Liam mit den strahlend blauen Augen nur zu gern ablenken. Als die beiden sich zufällig berühren, passieren plötzlich seltsame Dinge: Vi hat Visionen, und als sie verletzt ist, heilt Liam ihre Wunden. Wer – oder was – steckt wirklich hinter dem zurückhaltenden Highschool-Schüler? Schon bald findet Vi sich in einer Jahrhunderte andauernden Fehde wieder und erfährt, dass nicht einmal sie selbst die ist, die sie glaubte zu sein … Elektrisierend, spannend, gefühlvoll – diese Young Adult Romantasy wirst du nicht mehr aus der Hand legen können! Leser*innenstimmen für Anna-Sophie Caspar: »Absolut lohnenswert, schöner Schreibstil, hat mich richtig mitgerissen!« »Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen!« »Die Autorin hatte mich bereits mit den ersten paar Seiten in ihren Bann gezogen. Anna-Sophie Caspar hat die Begabung, bildlich zu schreiben.« //»Schattenflittern. A Love Beyond« ist ein in sich geschlossener Einzelband.//

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Anna-Sophie Caspar

Schattenflittern. A Love Beyond

**Füreinander bestimmt, gegen jede Vernunft**

Wieder eine neue Highschool, wieder neue Menschen, und diesmal auch noch mitten in der Wüste: Als Vi mit ihrem Vater für seine Forschungsarbeit ins sonnig trockene Arizona zieht, ist sie alles andere als glücklich. Doch schnell lebt sie sich ein und lässt sich von ihrem neuen Mitschüler Liam mit den strahlend blauen Augen nur zu gern ablenken. Als die beiden sich zufällig berühren, passieren plötzlich seltsame Dinge: Vi hat Visionen, und als sie verletzt ist, heilt Liam ihre Wunden. Wer – oder was – steckt wirklich hinter dem zurückhaltenden Highschool-Schüler? Schon bald findet Vi sich in einer Jahrhunderte andauernden Fehde wieder und erfährt, dass nicht einmal sie selbst die ist, die sie glaubte zu sein …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

© Nina Caspari

Anna-Sophie Caspar, geb. 1986, hat sich schon als Kind kleinere Geschichten ausgedacht. Wenn sie nicht gerade schreibt oder durch die Welt reist, analysiert sie die Sterne und die Wirkung des rückläufigen Merkurs in ihrem Geburtshoroskop. Man munkelt, dass ihre magische Fähigkeit darin besteht, Notizbücher vollzukritzeln.

Der himmlischste Ort von allen in diesem Universum ist der, an dem sich Tausende Jahre währender Hass in zeitlose Liebe verwandelt.

Kapitel 1: Vi

Avondale, 13. September

Stephen Hawking sagte einmal: »Wenn uns Außerirdische jemals besuchen, wird es wohl so verlaufen wie die Landung von Christopher Columbus in Amerika, was für die Eingeborenen nicht sehr gut ausging.« Laut Hawking können wir also davon ausgehen, dass Aliens keine guten Absichten haben werden, sollten sie eines Tages auf unserem Planeten landen. Und er ist immerhin einer der anerkanntesten Wissenschaftler der heutigen Zeit.

Also warum will Dad diese Aliens, wenn es sie denn wirklich geben sollte, unbedingt finden? Ach ja, stimmt, er ist davon überzeugt, dass sie gekommen sind, um die Menschheit und die Erde zu retten. Denn im Gegensatz zu mir, die sich lieber auf Hawking beruft, glaubt er den Gerüchten rund um Albert Einstein. Laut seiner damaligen Assistentin soll Einstein angeblich zum Absturzort in Roswell gerufen worden sein und bereits Kontakt zu einem Alien gehabt haben. Anders als Hawking meinte er allerdings, das außerirdische Wesen hätte friedliche Absichten gehabt. Ich bin gespannt, wer von beiden am Ende recht behalten wird.

Ganz davon abgesehen bezweifle ich stark, dass wir in unserem Leben noch eine Alieninvasion mitbekommen werden.

Nein, ehrlich. Ich weiß nicht mal, welche Pläne Dad und sein Forschungsteam verfolgen. Ist schließlich alles streng geheim. Blöd nur, dass ich darunter leiden muss! Das ständige Umziehen macht mich fertig. Gestern sind wir in Avondale angekommen. Das Haus ist in Ordnung und Dad hofft hier mit seiner Forschung endlich Fortschritte machen zu können. Ich hoffe es auch. Ich habe keine Lust mehr auf dieses Nomadenleben und ich will endlich mal länger als ein halbes Jahr an einem Ort bleiben. Punkt.

Genervt drücke ich den Stift fester aufs Papier als nötig, sodass ich ein kleines Loch in die Seite meines Reisetagebuchs steche. Es musste schon einige meiner Launen ertragen: rausgerissene Seiten, verschütteten Kaffee oder einen gebrochenen Buchrücken, weil ich es gegen die Wand geworfen habe. Dabei ist es erst zur Hälfte vollgeschrieben. Ich male aus dem O von Avondale einen Alienkopf, wie man ihn an jeder Ecke hier in der Gegend und in den umliegenden Städten finden kann. Diese Wüstenorte rund um die Area 51 scheinen eine Hochburg für Alientourismus zu sein. Wenn diese ganze Sache mein Leben nicht so beeinträchtigen würde, fände ich es vermutlich sogar amüsant, aber ehrlich gesagt ist es alles andere als lustig.

Ich lasse den Blick durch mein neues Zimmer schweifen. Es ist bereits komplett eingerichtet. Eine Bedingung, die ich Dad gemacht habe: Ich werde nur noch mit umziehen, wenn ich weder ein- noch auspacken, geschweige denn Kisten schleppen muss. Dieser Umzug war immerhin erst der zweite in diesem Jahr. Zu unseren Hochzeiten haben wir viermal im Jahr die Stadt gewechselt. Das war mein persönlicher Horrortrip. Danach hat er mir versprochen, es würde besser werden.

Mit einem Seufzen klappe ich das Tagebuch zu, verstecke es unter dem Bett und schiebe mir eine pinke Strähne hinters Ohr, die sich beim Hinunterbeugen aus meinem Zopf gelöst hat. Dabei verhakt sich eines meiner Armbänder in meinen Haaren und ich pfriemle es genervt wieder heraus. Als ich es geschafft habe, starre ich das Armband für einen Moment an. Es ist kein gewöhnliches wie die anderen, die sich im Laufe der Jahre durch die vielen Reisen an meinem Handgelenk angesammelt haben. Ein Muschelarmband aus Kanada, ein Perlenarmband aus Europa, ein Regenbogenarmband aus San Francisco, ein goldenes Armband aus New York und dieses eine, so besondere Armband, an dem so viele Erinnerungen hängen … das Armband, das Mom mir mit den Worten: Trage es immer bei dir, lege es niemals ab, es wird dich beschützen geschenkt hat – nur wenige Tage, bevor sie verschwunden ist.

Vor genau neun Jahren haben meine Eltern einen violett leuchtenden Feuerball auf die Erde zurasen sehen, der damals ein kleines Erdbeben ausgelöst hat. Einen Tag später ist meine Mom verschwunden. Einfach so, als hätte der Erdboden sie verschluckt. Damals war ich acht Jahre alt. Für Dad war dies der endgültige Beweis, dass Außerirdische gelandet waren. Er ist seitdem überzeugt, nein, besessen davon, dass wer auch immer dort damals »auf der Erde angekommen« ist verantwortlich für das Verschwinden von Mom ist. Auch wenn er nicht glaubt, dass sie entführt wurde. Er verfolgt die Theorie, dass sie auf einer Art geheimer Mission ist, um entweder den Aliens oder den Menschen zu helfen. In diesem Punkt ist er sich nicht so ganz sicher. Darüber, dass sie vielleicht ermordet wurde oder uns einfach verlassen haben könnte, will er nicht mal nachdenken. Um es kurz zu fassen: Mein Leben ist eine totale Katastrophe, seitdem sie fort ist.

Seit diesem Tag ist Dad nicht mehr nur ein gewöhnlicher Archäologe, sondern auch ein Prä-Astronautiker, was bedeutet, dass er sich seit Moms Verschwinden ganz offiziell mit der Suche nach Ufos und Außerirdischen beschäftigt. Hat er schon welche gefunden? Nein. Ich hoffe, dass irgendwann der Tag kommen wird, an dem er ihr Verschwinden einfach akzeptiert. Für mich ist es auch schlimm, nicht zu wissen, was damals geschehen ist und warum wir nie wieder etwas von ihr gehört haben. Meine Kindheit war von vielen schlaflosen Nächten geprägt, in denen ich mir die schlimmsten Szenarien ausgemalt habe, was ihr alles passiert sein könnte. Aber das hat mich genauso wenig weitergebracht wie Dads fast schon krankhafte Suche nach ihr und den Spuren von Außerirdischen, mit denen sie angeblich verschwunden ist. Er muss loslassen und ich auch, damit wir endlich wieder ein normales Leben führen können.

Mit den Fingerspitzen fahre ich die anthrazitfarbenen Metallperlen an meinem Armband nach, in die kleine gelbe Kristalle eingearbeitet sind. Irgendwo muss ich anfangen und es ist genau dieses Armband, dass die Hoffnung noch aufrechterhält, dass Mom vielleicht doch irgendwann wiederkommt. Mit Daumen und Zeigefinger fasse ich den Verschluss und öffne ihn. Ich halte den Atem an, als sich das Armband löst. Seit neun Jahren trage ich es nun schon, habe es kein einziges Mal abgelegt und es ist fast so, als würde ich eine Fessel sprengen. Eine Fessel, die mir so viel Hoffnung und Sicherheit gegeben hat und mich gleichzeitig davon abgehalten hat, loszulassen und weiterzuleben. Es ist nicht so, dass ich Mom vergessen will. Ich will einfach nur akzeptieren, dass sie nicht wiederkommt, und ich hoffe, Dad tut das auch irgendwann.

Ich gehe zur Kommode, auf der mein Schmuckkästchen steht, finde eine leere Ohrringdose und lasse das Armband langsam hineingleiten, verschließe alles wieder und betrachte die Armbandansammlung an meinem Handgelenk. Es fällt nicht mal auf, dass Moms fehlt. Mit einem kleinen Seufzer verabschiede ich mich von den vergangenen neun Jahren und gehe in die Küche.

Emilia, Dads Assistentin, räumt gerade frische Lebensmittel in die Schränke ein. Sie trägt ihre langen dunkelbraunen Haare zu einem Zopf nach hinten geflochten, hat die Ärmel ihrer Blümchenmusterbluse hochgekrempelt und tupft sich nebenbei mit einem feuchten Tuch über Nacken und Dekolleté. Ich vermute, um sich bei der Hitze hier etwas zu erfrischen. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, womit wir sie verdient haben. Sie zieht immer mit uns um, assistiert Dad bei seinen Nachforschungen, kümmert sich um mich und schmeißt nebenbei auch noch unseren Haushalt. Sie hat ein paar Monate, nachdem Mom verschwunden ist, angefangen für Dad zu arbeiten und mittlerweile ist sie für mich wie eine Ersatzmutter geworden. Sie verbringt mehr Zeit mit mir als er.

»Hier«, sie reicht mir eine Schale mit dicken roten Erdbeeren, »die sind köstlich.«

»Danke, Emilia«, sage ich lächelnd, gehe mit der Schale nach draußen in die Nachmittagshitze und entziehe mich dadurch dem Umzugschaos, das im Haus herrscht.

Tontöpfe mit ausgetrockneten Pflanzen säumen die Veranda. Die heiße Sonne von Avondale hat den Holzboden ausgeblichen und inmitten der Veranda steht eine alte Hollywoodschaukel, die aussieht, als würde sie bald auseinanderbrechen. Vorsichtig setze ich mich hinein und schaukle ganz leicht nach hinten, während die heiße Spätsommerluft meine nackten Beine umweht. Da die Scharniere aber ein leidvolles Quietschen von sich geben, lasse ich es bleiben, bevor das Ding wirklich noch zusammenbricht. Stattdessen betrachte ich die Häuser auf der anderen Straßenseite. In den Vorgärten blühen neben den Futterstationen für Kolibris Wüstenblumen und menschengroße Kakteen, die in der Wüste besser aufgehoben wären als in einer Vorstadtsiedlung.

Als ich gedankenverloren in eine Erdbeere beiße und der süße Saft sich erfrischend in meinem Mund ausbreitet, verlässt gegenüber ein blondes Mädchen in meinem Alter ein Haus, dicht gefolgt von einer älteren Frau, die ihr ziemlich ähnlich sieht. Gemeinsam steigen sie in einen schwarzen SUV und fahren davon.

Auch wenn ich mich kaum an meine Mom erinnern kann, überkommt mich hin und wieder ein Funken Wehmut, wenn ich andere Mädchen mit ihren Müttern sehe. Aber das Kapitel habe ich jetzt abgeschlossen. Ein für alle Mal.

Mit den Füßen stoße ich mich vom Boden ab und das quälende Knirschen der Scharniere erinnert mich daran, dass ich es nicht mehr tun wollte. Die arme Schaukel sollte sich wirklich mal jemand vorknöpfen und sie entweder reparieren oder zu Brennholz verarbeiten. Mit einem Ruck erhebe ich mich, umkreise sie und betrachte die verrosteten Schrauben und das ausgeblichene Holz genauer. Es dürfte nicht allzu viel Arbeit sein, die Schaukel wieder herzurichten. Vielleicht reicht ja schon etwas Öl. Ansonsten müssten Schrauben und Scharniere lediglich ausgetauscht und das Holz abgeschliffen und lackiert werden, dann könnte sie fast wie neu aussehen.

»Hier, Schätzchen.« Emilia tritt durch das Fliegengitter zu mir auf die Veranda und stellt ein Tablett, bestückt mit Gläsern und einem Krug Zitronen-Minz-Limonade, auf einem Holzkasten ab.

»Du solltest bei der Hitze etwas trinken.« Sie gießt ein Glas ein, reicht es mir, legt dann den Kopf schief und betrachtet gemeinsam mit mir die Hollywoodschaukel. »Führst du was im Schilde?«

Ich schmunzle und nippe an der Limonade. Emilia kennt mich gut. »Ich überlege die Schaukel etwas aufzuhübschen«, sage ich. »Wenn ich sie restauriere, könnte sie bald wieder wie neu aussehen.«

»Na ja«, meint sie gedehnt, »einen Versuch ist es wert. Schlimmer kann es auf jeden Fall nicht mehr werden.«

Ich nicke und trinke noch einen Schluck. »Finde ich auch.«

»Hey, ihr beiden!«, sagt Dad, der gerade den Offroader Jeep am Straßenrand geparkt hat und jetzt an uns vorbei ins Haus eilt. Wie immer, wenn er arbeitet, trägt er eine kakifarbene Outdoor-Hose und ein beigefarbenes Hemd. Da seine Kleidung heute nicht staubig wirkt, hat er den Tag bis jetzt wohl im Labor verbracht und nicht in der Wüste. Emilia seufzt und folgt ihm, während ich mich mit dem Glas Limonade zurück auf die Schaukel setze.

Etwa fünf Minuten später kommt Dad wieder raus und sieht mich mit diesem schuldbewussten Blick an. »Na, Vi?«, fragt er vorsichtig.

Vi ist der Spitzname für Venus. Er weiß, dass ich es hasse, mit meinem ganzen Namen angesprochen zu werden, und das respektiert er.

»Hast du dich schon gut eingelebt?« Es klingt wie eine Floskel und ich weiß genau, dass er auf dem Sprung ist und nur mit mir spricht, weil er ein schlechtes Gewissen hat.

»Wie soll ich mich innerhalb eines Tages eingewöhnen?«, frage ich.

Er beißt sich auf die Lippe, offenbar überfordert darauf zu antworten. »Ich fahre kurz in die Stadt, soll ich dir was mitbringen?«, weicht er stattdessen einer unangenehmen Diskussion zum Thema »unnötige Umzüge« aus, die ich schon öfter losgetreten habe.

Ich schürze die Lippen, neige den Kopf und sehe zum Offroader am Straßenrand. »Gibt es da einen Baumarkt?«

Er nickt. »Genau da wollte ich hin.«

Ohne groß zu überlegen, stelle ich das Glas auf dem Tablett ab und stehe auf. »Ich komme mit.«

»In den Baumarkt?«, fragt er stirnrunzelnd.

»Ja.« Ich streiche über das Holz der Hollywoodschaukel. »Ich wollte das Ding hier ein bisschen verschönern.«

Beeindruckt weiten sich seine Augen. »Toll«, sagt er dann, »du hast ein Projekt, das finde ich gut.«

»Und ein paar neue Topfpflanzen können wir auch gleich mitbringen«, sage ich und schenke den vertrockneten Blumen einen mitleidigen Blick. »Am besten Kakteen, deren Überlebenschancen sind hier vermutlich am größten.«

Der heiße Wüstenwind weht mir die Haare um die Ohren, als ich im Jeep sitze und wir in die Stadt fahren. Ich stelle meine Füße auf dem staubigen Armaturenbrett ab, dabei verrutscht mein Fußbändchen, das ich seit meinem Ägyptenaufenthalt trage und das längst von der Sonne ausgeblichen ist. Das einzig Gute an Dads Job: Ich sehe viel von der Welt. Dieses Jahr waren wir vier Monate in Ägypten, weil er irgendeine geheime Forschung in streng bewachten Kammern der Pyramiden vorgenommen hat. Und es war offenbar gar nicht so einfach für ihn, dort hineinzukommen. Nachdem Elon Musk vor einiger Zeit getwittert hatte, die Pyramiden seien von Aliens erbaut worden, wurde der Zutritt für sämtliche Wissenschaftler erst einmal gesperrt. Aber Dad hat es mithilfe seiner reichen Prä-Astronautiker-Freunde und seiner eigenen Überredungskünste schließlich doch geschafft. Allerdings hat das unseren Aufenthalt dort auf insgesamt vier Monate ausgedehnt, worüber ich nicht wirklich traurig war. Ich habe die Zeit in der Sonne am Strand verbracht und es mir mit Eis und alkoholfreien Cocktails gut gehen lassen, während mein Fernlehrer mich über den Laptop unterrichtet hat. Das waren wohl die entspanntesten Schulmonate meines Lebens. Keine neuen Mitschüler oder Lehrer, an die ich mich gewöhnen, und keine neuen, unausgesprochenen Regeln, die ich lernen musste, um ins System zu passen. Nur ein Lehrer für alle Fächer und das nur drei Stunden am Tag. Ich war ziemlich traurig, als wir abgereist sind, so wie jedes Mal, wenn ich mich gerade an einen Ort gewöhnt hatte. Als wir wieder zurück nach Amerika geflogen sind, habe ich mir wie immer aus Protest die Haare gefärbt. Gedankenverloren nehme ich eine Strähne und wickle sie mir um den Zeigefinger.

Vor drei Jahren, als ich vierzehn wurde, habe ich mir angewöhnt mir jedes Mal, wenn wir wieder umziehen, die Haare zu färben. Sehr zu Dads Leidwesen. Vielleicht mache ich es ja genau deswegen. Um zu rebellieren. Aber so oft, wie wir schon die Städte gewechselt haben, bin ich irgendwann mit meiner Farbauswahl an die Grenzen gestoßen, denn aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund will ich keine Farbe doppelt benutzen. In Ägypten hatte ich die Haare hellblau gefärbt. Deshalb sind sie diesmal rosa-pink geworden.

Ich betrachte die Strähne um meinem Finger für einen Moment, lasse sie dann los und beobachte, wie sich die Locke auf meinem weißen Shirt langsam wieder glättet.

Als wir den Baumarkt betreten, bläst mir die kühle Luft der Klimaanlage ins Gesicht. Dad verschwindet in Richtung der hinteren Regale, während ich noch im Eingang stehen bleibe und die ausgestellte Pflanzenauswahl begutachte. Es gibt kleine und größere Kakteen und ein paar Wüstenpflanzen, die wie geschaffen sind für unsere Veranda. Ich packe einige in den Einkaufswagen und mache mich dann auf die Suche nach Öl, Schrauben, Scharnieren, Schleifpapier und weißem Lack für das Holz.

***

Etwa zwanzig Minuten später stehen wir an der Kasse und genau jetzt klingelt Dads Handy.

»Mist«, brummt er, »das ist Johnson von der Ufologie. Da muss ich rangehen.«

Eilig drückt er mir sein Portemonnaie in die Hand und läuft nach draußen, gerade als der Verkäufer abzukassieren beginnt.

Auf seinem Namensschild steht: Es bedient Sie Liam. Er ist etwa in meinem Alter und sieht gut aus. Groß, sportlich, blond, hat ein ebenmäßig schönes Gesicht, fast schon engelsgleich, und passt irgendwie nicht hierher. Als wäre er zur Dekoration hinter die Kasse gestellt worden.

»Ufologie?«, fragt er und zieht Dads Waren über den Scanner.

Ich spüre, wie Hitze in mir aufsteigt, wünsche mir insgeheim, dass Dad aufhört in der Öffentlichkeit über seine Arbeit zu sprechen, und versuche die Situation mit einem kleinen Scherz zu übergehen. »Väter«, sage ich und hebe die Schultern.

Liam lächelt unmerklich und sieht mich kurz aus seinen auffällig blauen Augen an, was mein Herz schneller schlagen lässt. O Mann, hoffentlich ist er gleich fertig, ich muss hier raus.

»Ja«, sagt er seufzend, »mein Vater sammelt Whiskey-Flaschen.«

»Immerhin hat er sein Hobby nicht zum Beruf gemacht.«

»Deiner etwa?« Er dreht die Lackdose, bis er das Etikett für den Scanner findet, und zieht sie über den Laser.

»Er ist Wissenschaftler«, sage ich und beiße mir auf die Lippe. Wenn ich noch mehr erzähle und hier irgendwer von meiner neuen Schule zuhört, habe ich meinen Ruf weg, bevor ich überhaupt einen Fuß in den Klassenraum gesetzt habe. Diese Erfahrung durfte ich bereits machen und ich habe keine Lust, dass sich dieses Erlebnis wiederholt.

Liam nickt und scheint zu merken, dass ich nicht mehr darüber reden möchte. »Sieht so aus, als würdest du etwas restaurieren wollen«, wechselt er beim Blick auf meinen Einkauf das Thema.

»Ja«, sage ich und lächle. »Mein neues Projekt. Eine alte Hollywoodschaukel …«

»McSullivan, hör endlich auf zu flirten, ich will heute auch noch bedient werden«, unterbricht uns der Typ hinter mir in der Schlange.

Meine Wangen erwärmen sich und ich sehe kurz zu ihm. Er lehnt mit verschränkten Armen am Kassenband, tippt dabei ungeduldig mit den Fingern auf seine Lederjacke und grinst süffisant. Seine dunklen, leicht lockigen Haare fallen ihm ins Gesicht und sehen dabei perfekt gestylt aus. Mit den zerrissenen schwarzen Jeans und den Nietenarmbändern würde ich ihn sofort einer Garagen-Rockband zuordnen. Mit der Zeit habe ich mir antrainiert Menschen verschiedenen Gruppen zuzuweisen. Das erleichtert es mir, mich schnell auf neue Leute einzustellen. Eine Fähigkeit, die mir bei den vielen Schulwechseln schon öfter geholfen hat.

Ich reiche Liam ein paar Geldscheine und packe schnell meine Waren in den Einkaufswagen, als hätte uns der Typ bei etwas ertappt.

Liam scheint es nicht so viel auszumachen, denn er reagiert nur mit einem trägen Lächeln auf den Kommentar. »Viel Erfolg mit der Hollywoodschaukel«, sagt er, als er mir mein Rückgeld entgegenhält.

»Danke«, murmle ich und strecke meine Hand aus, um das Geld anzunehmen. Als er es hineinlegt, berühren seine Finger flüchtig meine Haut und was als Nächstes passiert, reißt mich buchstäblich von den Füßen. Der Baumarkt um mich herum scheint zu verschwinden und es ist, als würde ich in den Weltraum gezogen, in ein Meer aus Sternen, in eine fremde, wunderschöne Galaxie.

Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf dem Boden und der Typ in der Lederjacke kniet über mir. »Sie öffnet die Augen.« Erleichterung tritt in sein Gesicht, dann fährt er Liam an. »Was machst du denn, McSullivan? Steh da nicht so rum! Ruf einen Krankenwagen.«

»Nein«, höre ich mich sagen und mache Anstalten aufzustehen. »Mir geht es gut.«

»Sicher?«, fragt er besorgt und hilft mir auf die Beine. Sie sind noch etwas wackelig, aber ich halte mich am Einkaufswagen fest.

»Danke«, sage ich, werfe noch einen letzten Blick auf Liam, der mich schockiert ansieht, als wüsste er genauso wenig wie ich, was hier gerade passiert ist, und schiebe den Wagen schnell hinaus auf den Parkplatz.

Dad beendet gerade sein Gespräch, als ich neben dem Jeep stehen bleibe.

»Tut mir leid«, entschuldigt er sich, »das war wichtig. Heute Nacht ist in der Wüste beim Sabino Canyon ein Meteorit eingeschlagen. Sie schicken uns jetzt Proben davon ins Labor, damit wir die Metalle untersuchen können.«

»Cool«, sage ich und versuche begeistert zu klingen.

Dad lächelt und beginnt den Einkauf in den Kofferraum zu räumen. »Schau mal, Vi«, sagt er, als er fertig ist, und zeigt auf das Café auf der anderen Straßenseite mit dem Slogan Galaxy Donut. »Was hältst du davon, wenn ich ein paar Donuts für später hole?«

»Okay.« Ich zwinge mich zu lächeln, meine Knie sind immer noch weich von dem merkwürdigen Erlebnis an der Baumarktkasse und ich will mich lieber setzen, bevor ich mich gleich erneut am Boden wiederfinde und mich dann meinem Vater erklären muss. »Ich warte hier, in Ordnung?«, frage ich und steige in den Wagen.

»Ja, natürlich«, sagt er, schaut gedankenverloren auf sein Telefon und geht hinüber zum Café.

Die Sonne brennt auf meiner Haut. Auf dem Parkplatz ist nirgends Schatten und der Jeep hat natürlich kein Dach. Eigentlich müsste er eine Plane besitzen, aber Dad nimmt sie meistens ab, selbst wenn er in der Wüste forscht, weil es ihm den ständigen Transport seines Equipments erleichtert. Im Handschuhfach finde ich noch einen verstaubten Fischerhut, den ich mir als Sonnenschutz über den Kopf ziehe, und hoffe, dass Dad nicht allzu lange braucht. Ich will jetzt einfach nur nach Hause. Irgendwas ist gerade in dem Laden mächtig schiefgelaufen und ich weiß nicht, ob es an Liam lag oder an mir. Aber so verwirrt, wie er mich angesehen hat, glaube ich, dass er genauso wenig versteht, was passiert ist, wie ich. Und da ich aus einer Familie stamme, die sich seit Jahren mit unerklärlichen Ereignissen beschäftigt, befürchte ich, dass es meine Schuld war. Bestimmt hatte ich diese merkwürdige Vision, weil ich mir mein Leben lang das Gerede über all die Kometen, Asteroiden, Ufos, Aliens und Galaxien anhören musste und es langsam auf mich abfärbt. Wenn ich nicht aufpasse, drehe ich noch durch.

»Chic.« Der Junge in Lederjacke, der mir gerade zur Hilfe geeilt ist, steht plötzlich neben mir und begutachtet grinsend meinen Fischerhut. »Geht’s dir wieder gut?«, fragt er dann etwas ernster.

Ich nicke. »Ja«, sage ich. »Danke für deine Hilfe gerade. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.« Ich verschränke die Arme vor der Brust, als müsste ich mich vor seiner Meinung schützen. »Ich glaube, ich habe einfach das Bewusstsein verloren. Ich habe heute noch nicht so viel getrunken.«

Er neigt prüfend den Kopf. »Ja«, sagt er dann langsam, »es kann schon mal vorkommen, dass man hier dehydriert. Die Wüstenluft ist nicht zu unterschätzen.«

Ich lächle zaghaft und hoffe, dass er nicht noch mehr Fragen stellt. »Du hast unseren heiligen Liam jedenfalls ganz schön erschreckt.«

»Heiligen Liam?«, frage ich.

Er nickt in Richtung Baumarkt. »Na, du weißt schon, seine Familie ist krass gläubig und so.«

Ich stutze und folge seinem Blick, wo aber weder Liam noch jemand anderes zu sehen ist, lediglich ein rotes Banner mit der Aufschrift Eingang über der automatischen Schiebetür.

»Ich bin übrigens Hayden«, stellt er sich vor und reicht mir seine Hand.

»Vi«, sage ich und schüttle seine Hand kurz, wobei mir die vielen Ringe auffallen. Überhaupt trägt er eine Menge Accessoires. Armbänder, mehrere Ketten und sogar ein Lippenpiercing, an dem er gerade mit der Zunge herumspielt.

»Ich hab dich hier noch nie gesehen, Vi.«

»Wir sind gerade erst hergezogen.«

Interessiert neigt er den Kopf. »Gehst du auch auf die Midwest High?«

Ich überlege kurz. Bei den ganzen Schulnamen habe ich allmählich den Überblick verloren, vor allem weil ich meist sowieso nur ein paar Monate dort verbringe. Da lohnt es sich kaum für mich, mir den Namen meiner aktuellen Highschool zu merken. »Ja«, antworte ich dann, »ich glaube, so heißt sie.«

»Dann werden wir uns demnächst bestimmt öfter über den Weg laufen«, sagt er grinsend und ich weiß nicht, ob ich das als Drohung verstehen soll. Sein Blick schweift kurz in Richtung des Cafés. »Man sieht sich«, sagt er dann, klopft an den Türrahmen und geht in die entgegengesetzte Richtung davon.

Einen Moment später wirft Dad eine große bunte Donut-Tüte auf die Rückbank. »Die machen Werbung mit runden Ufos«, sagt er und steigt kopfschüttelnd in den Wagen. »Dabei wurde längst belegt – bei sämtlichen Ufo-Sichtungen –, dass sie nicht rund, sondern dreieckig sind … oder vielleicht noch kapselförmig. Aber doch nicht rund, das sind alles Fake-Bilder, in denen jemand eine Untertasse in die Luft geworfen hat.« Er schnaubt. »Wie soll sich bitte ein rundes Flugobjekt durch die Luft oder den gesamten Kosmos bewegen?«

»Dad«, sage ich genervt. »Sie verkaufen Donuts. Und die sind nun mal nicht dreieckig, sondern rund.«

Er denkt kurz über meine Worte nach. »Stimmt«, sagt er. »Tut mir leid, Vi, das ist mein Wissenschaftler-Hirn.«

»Ja«, sage ich und seufze. »Ich weiß.«

***

Als wir nach Hause kommen, telefoniert Dad fast eine Stunde mit Anton Erickson, dem Prä-Astronautiker. Der Mann hat knapp fünfzig Bücher über unerklärliche Phänomene und übernatürliche Wesen und ihr Wirken auf der Erde veröffentlicht. Seit einigen Jahren ist er ein wichtiger Sponsor für Dads Forschungen.

Während die späte Nachmittagssonne ihr goldenes Licht auf die Veranda wirft, schiebe ich Teller auf die zum Tisch umfunktionierte Holzkiste und lege ein paar Donuts in die Schale in der Mitte. Emilia sucht gleichzeitig nach einem stabilen Platz für die Karaffe mit Eiskaffee, bis sie sie letztlich seufzend auf den Boden stellt.

Nachdenklich setze ich mich in die Hollywoodschaukel. Irgendwo in der Nachbarschaft bellt ein Hund und in einem der Nachbargärten scheinen sich zwei Kinder um einen Ball zu streiten, fangen dann aber schnell wieder an zu lachen. Mir gefällt die Atmosphäre in diesem Vorort, doch sobald ich diesen Gedanken zulasse, durchfährt meinen Magen ein stechender Schmerz, als wolle mich mein Körper warnen mich bloß nicht an Avondale zu gewöhnen. Je wohler ich mich hier fühle, desto schmerzhafter wird der Abschied.

Lewis, mein Gecko, huscht über die Veranda, am Holz der Schaukel hinauf, krabbelt dann über meinen nackten Arm bis zur Schulter und stupst sanft an meinen Hals, als würde er spüren, dass mit mir was nicht stimmt. »Na, du«, begrüße ich ihn und mich überkommt unwillkürlich ein wohliges Gefühl.

Lewis ist nicht einfach ein Gecko, er ist auch mein bester Freund und an meiner Seite, seitdem Mom weg ist. Ich glaube, er ist schon älter, als Geckos laut Google werden können. Immer wenn ich ihn sehe, bete ich, dass er unsterblich ist, weil es mir das Herz brechen würde, sollte er mich irgendwann verlassen. Er krabbelt auf meine Shorts und nimmt die Farbe des blauen Jeansstoffes an. Was Geckos eigentlich nicht können. Lewis ist ein etwas außergewöhnliches Tier – sehr besonders –, das meint auch Dad. Er kann nicht nur andere Farben annehmen, sondern auch Muster, und Dad wollte ihn deshalb sogar mal einem Wissenschaftler zeigen, weil er glaubt eine neue Spezies entdeckt zu haben. Aber ich habe so einen Aufstand gemacht und Emilia ist mir zur Hilfe geeilt, dass Dad diese Idee widerwillig fallen lassen hat. Die Vorstellung, dass Lewis in irgendeinem Labor untersucht werden sollte und jemand vielleicht Tests mit ihm machen könnte, ist für mich so grauenvoll, dass ich es mit dem Einsatz meines Lebens verhindern würde. Genau das habe ich meinem Dad damals gesagt. Natürlich in der Sprache einer Neunjährigen. Er hat es respektiert. Trotzdem traue ich ihm nicht so ganz. Sein Forschergeist ist einfach zu groß. Deshalb bleibt Lewis, wenn ich in der Schule oder nicht zu Hause bin, immer bei Emilia.

Mein kleiner Freund ist cleverer, als es den Anschein macht. Ich glaube, er weiß genau, wie er Dad aus dem Weg gehen kann. Ich habe ihn nie in ein Terrarium gesetzt und wenn wir wegen unserer vielen Reisen fliegen müssen, krabbelt er immer, ohne entdeckt zu werden, an der Personenkontrolle vorbei und macht es sich danach in meinem Rucksack gemütlich. Er hat immer frei mit uns gelebt und das hat bis heute gut funktioniert. Er macht eben, was er machen möchte. Jetzt gerade visiert er eine Fliege an, seine Zunge prescht hervor und im nächsten Moment zieht er die Fliege in sein Maul und beginnt genüsslich zu kauen. Es wirkt sogar ein wenig so, als würde er grinsen.

»Das sieht gut aus«, sagt Dad, als er zu uns tritt, und reibt sich voller Vorfreude über den Bauch.

»Was war das für ein Asteroid, der eingeschlagen ist?«, will Emilia wissen und reicht mir die Schale mit den bunten Donuts. Sie sind sogar mit kleinen Zuckergussplättchen beschriftet.

»Es war ein Meteorit«, sagt Dad. »Angeblich hat er violett am Himmel geleuchtet.«

»So wie der vor dem Tag, als Mom verschwunden ist?«, frage ich und nehme mir einen Kometenhagel-Donut.

Dad beißt nachdenklich in seinen, der mit blauem Zuckerguss überzogen ist, kaut und nickt. »Ja, es sieht ganz so aus. Ich fahre morgen zu der Einschlagstelle, sie wurde von der Polizei abgeriegelt.«

»Abgeriegelt?«, fragt Emilia und es kommt mir so vor, als wäre sie unruhiger als sonst.

»Unfallgefahr«, erklärt er knapp. »Sie wollen nicht, dass sich jemand verletzt.«

»Mh«, mache ich und knibble ein kleines Schokostückchen von der Glasur. Das Erlebnis mit Liam tritt wieder in meine Erinnerung und ich versuche es schnell zu verdrängen.

»Schaut mal, hier«, lenkt Emilia mich ab, steht auf und hält ein Glockenspiel in die Luft. »Das habe ich aus dem Reservat am Stadtrand, die verkaufen tolle Sachen.« Sie hält es in die Mitte von zwei Holzsäulen, die die Veranda zum Vorgarten abgrenzen. »Was meinst du, Vi? Hier würde es doch schön aussehen, oder?«

»Ja«, sage ich und schlucke den Kloß hinunter, der sich bei dem Anblick in meinem Hals bildet, weil sich in mir schon wieder das ungute Gefühl ausbreitet, mich hier nicht zu sehr einzugewöhnen. »Es sieht wirklich schön aus«, zwinge ich mich zu sagen, um Emilia nicht zu verletzen.

Kapitel 2: Liam

Mit mörderischem Blick marschiert mein Vater auf mich zu und bleibt viel zu dicht vor mir stehen. Auf die meisten Menschen wirkt er höflich und charmant, aber sie kennen sein wahres Gesicht auch nicht.

»Was ist vorhin an der Kasse passiert?«, fragt er bedrohlich leise und ich weiß, dass er die Frage am liebsten schreien würde und es nur nicht macht, weil es Kunden mitbekommen könnten. Als ich nicht antworte, kneift mein Vater seine dunklen Augen zusammen. »Stimmt es, dass du ein Mädchen durch den halben Laden geschubst hast?«

»Nein«, sage ich erschrocken. Das ist es, was die Leute erzählen?

»Was ist dann passiert?« Seine Stimme ist rasiermesserscharf.

Ich schweige. Am liebsten würde ich eine Ausrede erfinden, aber das kann ich nicht. Ich kann nicht lügen. Nicht weil ich dann ein schlechtes Gewissen hätte oder so. Es geht einfach nicht. Wenn ich jetzt sagen würde, was wirklich passiert ist, würde er mir nicht glauben und im schlimmsten Fall denken, dass ich mich über ihn lustig mache. In der Öffentlichkeit gelingt es ihm meistens, sich zu beherrschen, aber jetzt gerade ist er kurz davor zu explodieren. Eine falsche Antwort wäre der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen würde, und ich fürchte, dass er dann auch sein letztes bisschen Beherrschung verlieren würde.

»Was hat sie gemacht?«, fragt er. »Wollte sie was stehlen?«

»Nein«, sage ich und schüttle den Kopf. »Sie hat nichts getan. Ich weiß nicht, was passiert ist. Es ging alles so schnell.« Das ist die Wahrheit, also kann ich sie aussprechen. Schweigen oder die Wahrheit sagen, das sind die zwei Optionen, die ich habe. Dass sie durch die Luft geflogen ist, weil sich unsere Hände für einen Sekundenbruchteil berührt haben, erwähne ich nicht.

Mein Vater ist mit der Antwort nicht zufrieden. »Ich habe von Anfang an gesagt, du bist für den Kundenkontakt nicht geeignet. Von jetzt an arbeitest du hier oben bei mir im Büro. Wenn du den Laden irgendwann übernehmen willst, musst du vor allem ein guter Manager werden, und das lernst du nicht, wenn du an der Kasse stehst«, sagt er und beruhigt sich allmählich. Vermutlich weil er jetzt endlich bekommen hat, was er wollte. Genau das, was ich nicht will. Den ganzen Tag mit ihm in einem Büro sitzen. Es reicht schon, dass ich ihm zu Hause kaum aus dem Weg gehen kann. Genau deshalb wollte ich als Verkäufer arbeiten, als meine Eltern mich gedrängt haben im Familienunternehmen anzufangen. Aber anstatt zu widersprechen, presse ich nur die Zähne zusammen. »Kann ich jetzt gehen?«, frage ich.

Er blickt auf die Uhr und brummt dann ein »Ja«. Als ich meine Verkäuferweste ausziehe, sagt er: »Die kannst du gleich ganz abgeben, morgen fängst du direkt hier oben an.«

Ich entferne das Namensschild von dem rotblau gestreiften Stoff, werfe die Weste in den Wäschekorb und verlasse ohne ein weiteres Wort das Büro.

***

Es dämmert bereits, als ich ins Auto steige. Auf den Straßen ist kaum noch Verkehr. Anstatt nach Hause fahre ich zu meinen Cousinen Tessa und Naomi, die nur zwei Blocks weiter wohnen. Sie sind so was wie Schwestern für mich. Das Haus von Tante Carol und Onkel Mick ist das größte der ganzen Siedlung und sie haben extra eine Hecke um den Garten samt Pool gebaut, damit ihnen die neidischen Blicke der Nachbarn erspart bleiben.

Naomi meint, dass ihre Eltern ein schlechtes Gewissen wegen ihres Reichtums haben und deshalb immer so große Summen an die Kirche spenden. Aber ich vermute eher, dass sie dadurch versuchen all ihre Sünden reinzuwaschen. Sie führen nicht gerade ein asketisches Leben.

Noch bevor ich klingle, öffnet Naomi die Tür. »Ich habe gesehen, dass du kommen wirst«, sagt sie.

»Ich habe nichts anderes erwartet«, erwidere ich amüsiert. Sie nutzt ihre hellsichtigen Fähigkeiten für jede Kleinigkeit.

Schmunzelnd klemmt sie sich einen Bleistift hinters Ohr, womit sie ihre honigblonden Haare aus dem Gesicht streicht, und lässt mich hinein. »Dads Party nächstes Wochenende raubt mir den letzten Nerv«, beklagt sie sich und wirft einen flüchtigen Blick auf ihren Notizblock, während wir durch den Hausflur gehen. Wie jedes Mal bürdet sie sich viel zu viel auf, aber ich weiß genau, dass sie es liebt, ihrer Mutter bei der Organisation zu helfen. »Bis jetzt haben wir die Einladungen verschickt, das Catering bestellt, eine Band organisiert und ein paar Tänzer, die die Gäste animieren und unterhalten sollen, eingestellt.« Sie zieht den Bleistift hinter ihrem Ohr hervor und hakt ein paar Dinge auf der To-do-Liste ab. »Und die Gartendeko übernimmt die beste Floristin von Scottsdale«, sagt sie und strahlt mich mit glänzenden Augen an. »Amber Wyoming! Kannst du dir das vorstellen?«

»Wow, das ist echt toll«, sage ich, obwohl ich keine Ahnung habe, wer das ist, und folge ihr ins Zimmer, wo Tessa mit einem Controller auf der Couch sitzt und auf einem großen Flachbildschirm Zombies abschießt.

»Was ist los?«, fragt sie, ohne aufzusehen, greift sich ein paar Skittles aus der Glasschale auf dem Tisch, schiebt sie sich in den Mund und spielt weiter.

Sie erspürt mein Befinden – das ist ihre spezielle Kraft. Jeder von uns hat seine einzigartige Fähigkeit. Während Naomi ein paar Minuten, manchmal auch Stunden und ganz selten auch mal einen Tag in die Zukunft schauen kann, erfasst Tessa die Stimmung von Menschen sofort und kann diese auch beeinflussen. Und sie kann in die Gedanken eines anderen eindringen, allerdings nur, wenn sie die Person berührt. Ich kann Wunden heilen – es ist aber eine Ewigkeit her, dass ich diese Fähigkeit eingesetzt habe – und die Form von Gegenständen verändern. Und Naomi kann Gegenstände heilen, zumindest nennt sie es so. Man könnte aber auch sagen, sie kann Dinge wie durch Zauberhand reparieren. Und dann haben wir noch unsere allgemeinen Kräfte, die jeder von uns ziemlich gut beherrscht, wie geschärfte Sinne, Telekinese und Telepathie. Letzteres ist ziemlich praktisch, wenn wir uns unterhalten und absprechen wollen und es niemand mitbekommen soll oder wir gerade im Unterricht sitzen. Und dann ist da natürlich auch noch unsere Unfähigkeit zu lügen. Es muss ja schließlich einen Haken an der ganzen Sache geben. Warum sollte es auch einfach sein, als Nyxh unter den Menschen zu leben? Immerhin sehen wir aus wie Menschen und sind nicht klein und grün mit überdimensionalen Köpfen, wie sich wohl die gängige Vorstellung über das Aussehen von Aliens gestaltet. Wir bezeichnen uns, dank Stranger, auch nicht als Außerirdische, sondern als Himmelswesen.

»Bestimmt ist es seine Vorfreude auf Dads Geburtstag nächste Woche. Wir wissen ja, wie sehr Liam diese großen Familienfeiern liebt«, bemerkt Naomi gedankenverloren und kritzelt noch etwas auf ihre Liste.

Ich lache schwach. Ja, darauf habe ich mindestens genauso viel Lust, wie im Büro meines Vaters zu arbeiten. Wobei Vater nicht unbedingt der richtige Begriff für den Mann ist, der mich großgezogen hat. Auch wenn unsere menschlichen Mütter uns auf ganz normalem Wege geboren haben und wir unseren menschlichen Eltern ähnlichsehen, sind wir doch nicht wirklich ihre Kinder. Wir sind schlicht Nyxh. Damit wir auf dem Planeten Erde überleben konnten, wurde unsere außerirdische DNA mit menschlicher DNA verbunden und unseren Müttern ohne ihr Wissen durch eine künstliche Befruchtung eingesetzt. Also von der künstlichen Befruchtung wussten sie schon, sie haben dafür ja schließlich die Kinderwunschklinik aufgesucht, nur von untergeschobener Nyxh-DNA wissen sie nichts. Zumindest hat uns Stranger das so erklärt.

»Es gab heute einen Vorfall im Baumarkt«, sage ich, sehe mich um und setze mich auf den freien Sessel. »Als ich einem Mädchen an der Kasse ihr Rückgeld geben wollte, haben sich unsere Hände berührt und sie ist zurückgeflogen, als hätte ich ihr einen heftigen Elektroschock verpasst.«

Naomi sieht mit offenem Mund von ihrem Notizblock auf und Tessa stoppt abrupt ihr Spiel. »Hat es jemand mitbekommen?«, fragt sie alarmiert.

»Ja«, sage ich, knete meine Hände und schaue aus dem Fenster. »Hayden Allistor.«

»Wie konnte das passieren?«, fährt sie mich an.

»Ich weiß es nicht«, verteidige ich mich schwach. »Ich verstehe es ja selbst nicht. So etwas hab ich noch nie erlebt.« Besorgt betrachte ich meine Hände. »Ich hab das Mädchen nur mit den Fingerspitzen berührt und sie ist nach hinten geflogen. Es ging so schnell, dass ich es nicht verhindern konnte.« Ich falte die Hände, presse sie fest zusammen und löse sie wieder. »Und es war … ich weiß nicht, ob sie das auch gesehen hat … aber es war, als würde ich durch eine Galaxie gezogen werden«, sage ich. »Vielleicht verändern sich ja meine Kräfte. Was, wenn ich die Kontrolle verliere?« Frustriert fahre ich mir durchs Haar, lehne mich zurück und blicke an die Decke, weil ich die entsetzten Gesichter meiner Cousinen nicht ertrage. »Ich habe dieses Mädchen kaum berührt. Ich verstehe es einfach nicht.«

»Und das Schlimmste daran ist«, zischt Tessa und ich sehe wieder zu ihr, »du hattest Zeugen.« Sie greift ihre langen roten Haare und bindet sie zu einem Zopf nach oben.

»Wir müssen vorsichtiger sein.« Naomi legt ihre Brille ab, die sie nur zum Schein besitzt. Die Gläser sind aus Fensterglas. Sie trägt sie, weil sie glaubt, dass sie so unscheinbarer wirkt – à la Clark Kent. Das ist unser Lebensmotto: nicht auffallen. Dass ich heute dagegen verstoßen habe, war alles andere als mein Plan.

»Sie ist neu in der Stadt«, bemerke ich. »Vielleicht lag es ja an ihr und nicht an mir.« Tessa sieht mich an, als hätte ich gerade aus einem Lucky-Luke-Comic zitiert. »Ich habe schon oft einen Menschen berührt«, verteidige ich mich. »So was ist mir noch nie passiert.«

»Das stimmt«, eilt Naomi mir zur Hilfe. »Allein zur Begrüßung schüttelt er doch ständig irgendwelchen Leuten die Hände.«

»Ihr Vater ist Wissenschaftler«, versuche ich mich zu erklären. »Und er hat heute am Telefon über Ufologie gesprochen.«

»Ufologie?«, fragt Tessa und verdreht die Augen. »Kann es eigentlich noch bescheuerter werden?« Sie lehnt sich zurück und startet wieder ihr Spiel. »Noch so ein Runde-Scheiben-Idiot. Diese Stadt scheint solche Spinner magnetisch anzuziehen.«

»Seid froh, dass es solche Leute gibt«, wirft Naomi ein. »Sie schützen uns davor, dass die Masse an Aliens glaubt. Wir brauchen sie, um zu überleben.«

»Wo du recht hast …« Tessa knallt einen Zombie ab und gewinnt das Spiel. »Liam, halte dich von diesem Mädchen fern«, sagt sie, ohne mich anzusehen, als würde sie spüren, wie das Erlebnis meine Neugierde entfacht hat.

Sie beißt sich auf die Unterlippe und ich weiß genau, dass ihr ablehnendes Verhalten nur einen Grund hat. Sie hat Angst.

»Ich will nicht, dass einem von uns etwas zustößt. Und wenn die falschen Menschen etwas von uns erfahren, dann können wir von großem Glück reden, wenn sie uns … nur töten. Denkt an das, was Stranger uns gezeigt und erzählt hat.«

Ihr Mund formt sich zu einem schmalen Strich und alle im Raum wissen, was sie meint. Stranger, wie wir ihn nennen, weil er uns nie seinen wahren Namen gesagt hat, hat uns erklärt, dass wir gejagt werden. Hier auf der Erde.

»Sie werden Experimente an uns durchführen, wenn sie herausfinden, was wir sind«, erinnert Tessa uns unnötigerweise. »Und ich will nicht, dass irgendwelche kranken Wissenschaftler mein Gehirn aufschneiden oder sonst was mit uns anstellen.« Sie schnippt mit dem Finger und der Fernseher schaltet von dem X-Box-Programm auf einen Fernsehsender. Sie schnippt mehrmals, bis sie einen Sender mit einer Serie gefunden hat, die ihr gefällt.

»Dann solltest du das aber auch lassen«, mahnt Naomi.

»Ach, komm.« Sie verdreht die Augen. »Ich benutze meine Fähigkeiten nur, wenn wir unter uns sind.«

»Ich benutze meine so gut wie gar nicht«, sage ich.

»Vielleicht solltest du mal damit anfangen«, schlägt Tessa vor. »Dann hättest du sie möglicherweise besser unter Kontrolle.«

Ich betrachte meine Hände und sehe aus dem Fenster.

Es ist nicht so, dass man uns völlig ahnungslos hier abgesetzt hat. Von Anfang an, als wäre das Wissen in uns abgespeichert worden wie auf einer Festplatte, wussten wir, dass wir anders sind und es niemandem verraten durften. Nur wir drei haben uns einander anvertraut. Es gab eine Phase, da haben wir Visionen bekommen, in denen wir noch eine vierte Person gesehen haben, und dann hat Stranger uns aufgesucht. Als er uns das erste Mal traf, waren wir fünf Jahre alt. Stranger ist älter als wir und wenn er uns öfter als dreimal in unserem Leben besucht hätte, würde ich ihn als so was wie einen Mentor bezeichnen.