A Fate of Leafs & Nuts - T. Stern - E-Book

A Fate of Leafs & Nuts E-Book

T. Stern

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Beschreibung

Eichhörnchen-Wandler Kimi kommt unfreiwillig in den Genuss der zerstörerischen Macht, die Worten innewohnen kann. Monate ist es her, dass ein einziger Post seines Ex' im Internet den Hass unzähliger, meist völlig fremder Menschen auf ihn lenkte. Internet-Mobbing! Was für die einen nur ein lustiger Zeitvertreib ist, hat für Kimis Leben verheerende Folgen. Er sucht Schutz in der Abgeschiedenheit bei seinen Großeltern, denn das Internet vergisst nichts und holt Kimi immer wieder ein. Der neue Ferienhausgast Ragnar hingegen sucht eine Auszeit von seinem bisherigen Leben, welches überwiegend nur aus Arbeit besteht. Als er dann auf Kimi trifft, wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert und eine alte, lange verborgen gehaltene Wunde reißt auf. Ob er will oder nicht, Kimi übt eine magische Anziehung auf ihn aus, und schneller als ihm bewusst ist, steckt Ragnar in einer Situation, die ihm eine zweite Chance bietet. Ist es Ragnar möglich sich selbst zu verzeihen? Kann er Kimi so helfen? Und warum mischt sich das Schicksal auf einmal ein?

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T. Stern

A Fate of Leafs & Nuts

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

 

 

 

 

 

T. Stern

Handlung

Eichhörnchen-Wandler Kimi kommt unfreiwillig in den Genuss der zerstörerischen Macht, die Worten innewohnen kann. Monate ist es her, dass ein einziger Post seines Ex‘ im Internet den Hass unzähliger, meist völlig fremder Menschen auf ihn lenkte.

Internet-Mobbing! Was für die einen nur ein lustiger Zeitvertreib ist, hat für Kimis Leben verheerende Folgen. Er sucht Schutz in der Abgeschiedenheit bei seinen Großeltern, denn das Internet vergisst nichts und holt Kimi immer wieder ein.

Der neue Ferienhausgast Ragnar hingegen sucht eine Auszeit von seinem bisherigen Leben, welches überwiegend nur aus Arbeit besteht. Als er dann auf Kimi trifft, wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert und eine alte, lange verborgen gehaltene Wunde reißt auf.

Ob er will oder nicht, Kimi übt eine magische Anziehung auf ihn aus und schneller als ihm bewusst ist, steckt Ragnar in einer Situation, die ihm eine zweite Chance bietet.

Ist es Ragnar möglich sich selbst zu verzeihen? Kann er Kimi so helfen?

Und warum mischt sich das Schicksal auf einmal ein?

Vorwort

>> Niemand sollte verurteilen, was er nicht beurteilen kann.

Aber es ist eben einfacher, als sich einzugestehen,

dass die Welt mehr zu bieten hat,

als der eigene Horizont erblicken lässt. <<

 

(T. Stern - A Fate of Leafs & Nuts, Kapitel 14. Ragnar)

Danksagung

Mein aufrichtiges Dankeschön gilt:

 

Nadja, Sandra, Diana & Tirsi

#Teamwork

 

Danke für eure Zeit und euer Feedback, während der Entstehungsphase von Fate 8.

Ebenfalls gilt euch mein Dank für die Geduld und die Denkanstöße während des Schreibens.

 

Ebenfalls Danke an Diana für das Werbevideo und nicht zu vergessen den Klappentextkätzchen für die Hilfe beim Klappentext.

 

Nicht zu vergessen: BookRix.

 

Zum Schluss natürlich noch dir, der du dieses Buch erworben hast und mich und meine zukünftige Arbeit damit unterstützt.

 

Danke für alles. <3

 

Prolog

 

Nach Luft ringend folge ich dem Weg, der mich zurück zu dem Haus führt, in dem ich seit einigen Wochen lebe. Natürlich nicht alleine, sondern bei meinen Großeltern.

Mir tun die Beine weh. Wie immer. Das Ziehen und Zwicken in meinen Muskeln ist unangenehm, macht wirklich jedes Mal die letzten vierhundert Meter zum Höllenmarsch. Ich muss wirklich taktischer vorgehen und nicht immer gleich zu Beginn schon rennen, als wäre ich auf der Flucht. Zur Aufklärung: Ich war Joggen. Und ja, jedes Mal, wenn ich davon zurückkehre, frage ich mich, wer diese beschissene Idee hatte, dass ich Joggen gehen soll. Bis mir einfällt, dass ich das selbst war, weil ich mich ja fit und in Form halten möchte. Hier habe ich nicht sonderlich viel Auswahl, was sportliche Aktivität betrifft. Das nächste Fitnessstudio ist in der Stadt. Die ist übrigens fast eine Stunde Autofahrt entfernt. Das wäre den Aufwand nicht wert.

Die Hütte meiner Großeltern liegt nämlich ziemlich ab vom Schuss, wie man so schön sagt. Irgendwo im nirgendwo. Die Städter würden sagen, sie ist am Arsch der Welt. Faszinierend ist, dass dieser tausendmal schöner ist, als das Zentrum des getriebenen Lebens.

Weniger Denken, mehr Joggen, Kimi!

Endlich erreiche ich die Einfahrt, die in den Wald führt, an dessen Rand genau zwei Häuser stehen. In einem davon leben meine Großeltern. Das andere ist ein Ferienhaus, welches vor allem im Frühling und Sommer stets wechselnde Bewohner beherbergt. Was mich zu der Feststellung bringt, dass es bereits seit einer Woche leer steht. Ungewohnt. Ich meine, wir haben Sommer. Das ist doch die Hauptsaison. Komisch. Leicht den Kopf schüttelnd werde ich langsamer, atme tief durch und beschließe die letzten Meter zu gehen. Kaum betrete ich den unebenen Weg, der zu den Grundstücken führt, sticht mir etwas ins Auge, was mich verwundert beide Brauen hochziehen lässt.

Da parkt ein silberner Geländewagen vor dem Haus.

Nein. Ich wundere mich nicht über das Auto, denn in dieser Gegend ist man gut beraten, wenn man einen geländefähigen Fahruntersatz sein eigen nennt. Die oftmals deutlich unebenen Straßen und teilweise sehr ländliche Fahrstrecken durch viel Wald, erfordern ein Auto, das damit klarkommt. Mit einem Smart würde man wahrscheinlich irgendwo in der Walachei stecken bleiben. Oder aber gar nicht erst vom Fleck kommen. Zumindest dann nicht mehr, wenn es kälter und alles gefroren oder gar zugeschneit ist.

Merkt man eigentlich, dass ich eine leichte Konzentrationsschwäche habe? Nur dezent, oder?

Auf jeden Fall wundere ich mich nicht über das Auto, schließlich fährt mein Opa auch eins. Vom selben Hersteller, um das erwähnt zu haben. Lang lebe Volvo! Nennt man das jetzt Schleichwerbung? Wenn mir jemand zuhören würde, dann ja. Aber mir hört keiner zu. Ich denke nämlich. Und meine Gedanken bleiben anderen verborgen. Zum Glück.

Was mich so fragend dreinschauen lässt, ist, dass meine Großeltern beide auf der Veranda stehen und dem Auto zuwinken. Also, nicht übertrieben mit dem Arm wedeln, sondern einfach ein freundlicher Gruß. Scheint, als würden sie die am Steuer sitzende Person kennen. Fragt sich nur woher?

Der silberne Wagen setzt sich in Bewegung und nach wenigen Herzschlägen steuert er direkt auf mich zu. Anstandshalber weiche ich zur Seite, bleibe selbstverständlich stehen und warte, bis das Auto mich passiert hat. Langsam fährt es an mir vorbei, erhasche ich einen Blick auf den Insassen. Richtig. Ein Mann.

Nur flüchtig trifft mich sein Blick, nickt er dankend und kaum hat er ausreichend Abstand, beschleunigt er das Tempo. Ein Blick auf das Nummernschild zeigt immerhin, dass er ein Einheimischer sein muss. Gesehen hab ich den Typ allerdings noch nie. An so ein Schnuckelchen würde ich mich erinnern. Oh ja, das würde ich!

Entschlossen setze ich mich wieder in Bewegung, halte gezielt auf die Veranda zu. Meine Oma ist schon wieder ins Haus verschwunden. Bestimmt kocht sie Marmelade ein. Zumindest hat sie gestern erwähnt, dass sie das machen wollte. Opa hingegen hat sich gerade in seinen alten Schaukelstuhl gesetzt und genießt seine guten Morgen Zigarette. Hach ja. Jeder hat ein Laster. Das des alten Herrn ist es, hin und wieder ein Zigarettchen zu qualmen. Meist morgens, mittags, nachmittags, abends und in Ausnahmefällen auch mal, wenn er genervt oder gestresst ist. Nicht zu vergleichen mit dem Konsum, den er noch vor vier Jahren hatte. Da waren es schon 1 ½ Schachteln am Tag. Bis der Warnschuss seines Körpers kam. Ein Herzinfarkt. Keine schöne Erinnerung, das muss ich wohl kaum erwähnen. Aber Opa hat daraus gelernt. Natürlich wird es nun jene geben, die meckern, dass er besser gar nicht mehr rauchen sollte. Sagt das bitte ihm. Er ist jetzt achtundsechzig und gerade in der „Ich bin ein alter Mann, ich kann machen, was ich will“-Phase.

Diese Alterspubertät ist nicht ohne, das kann ich euch sagen.

Ich folge gerade dem Weg zum Haus, als ich Omas Stimme auch schon rufen höre: „Wuschelchen? Möchtest du noch einen Kaffee?“

„Liebend gern, mein Schnäuzelchen“, entgegnet Opa und lehnt sich entspannt zurück, grinst wie ein frisch verliebter junger Hüpfer.

Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich meine Großeltern so reden höre. Sie sind seit sechsundvierzig Jahren zusammen, dreiundvierzig davon verheiratet, haben drei Kinder, sieben Enkelkinder – ich bin eines davon – und mittlerweile sogar schon einen Urenkel. In all den Jahren ist ihre Liebe niemals abgeschwächt. Irgendwie ein wunderschöner Gedanke, dass andere dieses Glück ihr eigen nennen können. Nicht alle. Aber halt manche. Umso schöner, dass meine Großeltern zu den Glücklichen zählen.

„Na? Hast du den Wald wieder unsicher gemacht?“, witzelt mein Opa, der übrigens Hjalmar heißt. Mit einem Ächzen schleppe ich mich die vier Stufen zur Veranda hoch und lächle ihn an: „Heute war es die Runde zum See.“

„Hast du zufällig nach dem Boot gesehen?“, fragt er, wie jedes Mal, wenn ich erwähne, dass ich am See war.

„Es steht noch, Opa. Ich habe die Knoten nachgezogen, die Kette und die Abdeckplane extra noch mal geprüft. Es ist alles in Ordnung“, berichte ich ihm versichernd und er nickt mir zufrieden zu.

Ich weiß, wie viel ihm das kleine Boot bedeutet. Mein Opa angelt für sein Leben gern und erst vor zwei Jahren hat er sich für das ehemalige Ruderboot einen kleinen Außenmotor gekauft, damit er auch im fortschreitenden Alter seinem Hobby nachgehen kann. Oma nimmt es gelassen. So hat sie Zeit, sich um Marmelade zu kümmern oder Obst einzukochen. Zum Herbst hin wird die Vorratskammer gefüllt, schließlich weiß man nie, wie der Winter wird. Nun mag der ein oder andere lachen, von wegen, man könne einfach einkaufen gehen, die Supermärkte hätten immer gefüllte Regale. Ja, das stimmt. Allerdings, wie vorhin schon erwähnt, ist die nächste Stadt mit einem großen Supermarkt eine Stunde Autofahrt entfernt. Alleine zum nächsten Tante-Emma-Laden braucht man mit dem Auto über fünfzehn Minuten. Und das meine Lieben, sind die Fahrzeiten für den Sommer. Im Herbst, wenn es anfängt zu regnen und die Bäume ihr Laub verlieren, die Straßen und Wege rutschig werden, fährt man vorsichtiger und vor allem langsamer. Was sagt das aus? Richtig. Man braucht länger. Vom Winter will ich erst gar nicht anfangen. Wir haben zwar viele geteerte und asphaltierte Hauptstraßen, aber die meisten Seitenstraßen sind schlichtweg eher verbreiterte Wege, die mit Kies und Schotter versehen wurden. Für manchen Urlauber ungewohnt und eine wahre Herausforderung. Die Einheimischen hier kennen es nicht anders und wissen damit umzugehen. Wir lassen uns nicht stressen, das ist fürwahr das beste Mittel, um sicher am Ziel anzukommen. Jeder der hier lebt, kennt die Straßen und Witterungsverhältnisse des Landes.

Eine leichte Brise weht und lässt die Blätter der großen Trauerweide neben dem Haus eine liebliche Melodie wispern. Seufzend drehe ich mich um, lege beide Hände auf den weißen Zaun, stütze mich ab und beuge mich vor. Mein Gesicht strecke ich dem Himmel entgegen, ziehe tief den angenehmen Geruch des Waldes ein, spüre den Wind in meinen Haaren spielen und die Sonnenstrahlen meine Haut küssen.

„Kimi, Schätzchen, du bist ja schon wieder zurück“, vernehme ich die liebevolle Stimme meiner Oma, drehe mich in ihre Richtung und sehe sie im Türrahmen stehen. Natürlich trägt sie ihre geliebte Kochschürze, was sagt, dass sie wieder in der Küche tobt. Ich darf mich also auf eine Leckerei freuen. Das ist schön. Wenngleich das bedeutet, dass ich spätestens morgen oder übermorgen täglich zwanzig Minuten mehr Joggen muss. Aber das ist es mir wert! Immer wieder! Oma macht nicht nur gute Marmelade, sondern vor allem die weltbesten Nusskekse der Welt! Uh, da könnte ich für töten. Tatsache!

„Willst du auch einen Kaffee?“, will sie wissen und reicht die Tasse dampfenden Gebräus an Opa, der sie breit grinsend annimmt und ihr ein Luftküsschen zuwirft. Hach. Ich liebe es, die beiden zu beobachten. Diese Wärme in meinem Brustkorb ist so angenehm und schön. Insgeheim hoffe ich, dass ich auch irgendwann das Glück haben werde, einen Partner zu finden, mit dem ich genauso vertraut alt werden kann.

Bisher waren meine Beziehungen immer ein Griff ins Klo. Aber Schultertief, das sag ich euch. Als wollte mich der Porzellan-Thron gänzlich verschlingen.

„Danke, Oma. Aber ich geh gleich erst schnell duschen“, lehne ich vorerst ab, werde aber gewiss später auf ihr Angebot zurückkommen.

„Dann mal los“, lächelt sie und macht eine Handgeste, die mich auffordert, ins Haus zu gehen. Schon setze ich mich in Bewegung, doch stoppe ich bereits nach zwei Schritten. Da war doch was, was ich fragen wollte. Mensch noch eins. Mein Hirn ist auch so ein Sieb. Anstatt vieler kleiner Löcher hat das meine allerdings nur ein einziges Großes.

„Sagt mal, wer war das vorhin eigentlich?“, will ich wissen und schaue Oma und Opa an.

Im ersten Moment etwas verständnislos, dann kapierend, nickt Opa plötzlich: „Ach, du meinst den Mann, der da war? Er wird für sechs Wochen das Ferienhaus beziehen und wollte sich vorstellen, damit wir Bescheid wissen. Außerdem hat er sich nach der nächsten Einkaufsmöglichkeit erkundigt.“

„Ein netter Mann. Er hat sogar gefragt, ob er uns etwas mitbringen soll“, mischt sich Oma ein und lächelt.

„Ein solider Kerl“, bekräftigt Opa.

Aha. Sie schwärmen von ihm. Ich glaube, sie mögen ihn. Mich jedoch beschäftigt die Frage, wieso er gleich ganze sechs Wochen bleibt. Langer Urlaub, oder? Vor allem jetzt im Sommer kostet es doch ein Vermögen, sich das Haus für über einen Monat zu buchen. Ich mein ja nur.

Die Schultern zuckend nehme ich es so hin, denn Antworten auf diese Fragen werde ich wohl so schnell nicht erhalten. Zumindest bezweifle ich stark, dass er sich bei mir ebenso vorstellen wird. Es reicht ja, wenn jemand aus dem Haus es weiß. In dem Fall meine Großeltern. Diese haben mich, wie man sieht, ja aufgeklärt und somit weiß auch ich Bescheid und wundere mich nicht weiter darüber, wenn der silberne Geländewagen ab jetzt öfter hier vorbei fährt.

Na, egal. Ich muss jetzt duschen gehen. Irgendwie fühle ich mich ein bisschen klebrig.

So betrete ich das Haus, streife meine Schuhe im Empfangsbereich ab, tapse dann auf Socken durch den offenen Koch- und Wohnbereich. Auf halber Strecke stoppe ich, erblicke mein Smartphone auf einer Kommode liegen. Seit fast einer Woche hatte ich es jetzt nicht mehr in den Händen. Das ist ein seltsamer Prozess, den ich durchlebe, seit ich hier bin. Schwer schlucke ich, überlege einen Augenblick, gebe dann aber nach und greife danach. Es ist derzeit mehr Fluch als Segen. Lange dauert es nicht und ich bereue meine Entscheidung schon wieder. Es hat also noch immer nicht aufgehört. Dabei liegt es Monate zurück. Eine lange Zeit, in der ein Mensch ein Teufelsrad in Bewegung setzte, welches mich noch immer gnadenlos niederreißt, wenn ich damit in Kontakt komme. Nur online zu gehen ruft dieses mulmige Gefühl in mir wach, dass ich nicht davor weglaufen kann, egal wohin ich fliehe, wie weit weg es ist, wie abgeschottet ich bin. Es holt mich immer wieder ein, haftet an mir wie ein Schatten, der nicht zu mir gehört. Ein Mensch hat dafür gesorgt, dass viele Menschen mir das Leben zur Hölle machen. Seit Monaten! Und obwohl ich die letzten Wochen untergetaucht bin, mich verkrieche und mit Abwesenheit glänze, reißt es nicht ab. Es hört nicht auf. Manchmal frage ich mich, ob es das je wieder tun wird. Kann ich überhaupt noch ein halbwegs normales Leben führen? Ich mag gar nicht weiter daran denken, denn immer wenn ich damit erst einmal anfange, endet es stets in schmerzvollen, unruhigen Tagen für mich. Geknickt seufze ich, schalte mein Mobiltelefon wieder aus und lege es zurück. Beim nächsten Mal mache ich es gar nicht erst an. Es hinterlässt doch eh immer nur diesen bitteren, faden Geschmack in meinem Mund, der sich wie Säure durch meine Innereien frisst und mich von innen heraus zerstören will.

Im Badezimmer angekommen entledige ich mich meiner Sportkleidung, kann den scheuen Blick auf den Spiegel in der Ecke nicht verhindern. Energisch beiße ich mir auf die Unterlippe, betrachte mich und wünsche mir einmal mehr, dass ich meinen eigenen Anblick nicht ertragen müsste. Es ist nicht so, dass ich nicht mag, was ich sehe. Vielmehr haftet da dieser Schatten, der meinen Blick verzerrt, indem er mir vor Augen führt, was fremde Leute über mich gesagt und wie sie mein Aussehen bewertet haben. Welche unschönen Kosenamen sie mir verliehen. Was sie mir alles unterstellten. Viele dieser Aussagen raubten mir jeglichen Wert in den Augen anderer und ehe man sich versehen konnte, brach eine Lawine los, die nicht mehr zu stoppen war. Es hagelte so viele schreckliche Behauptungen über mich, dass ich keine Möglichkeit hatte, dieser immensen Welle an Hass auszuweichen. Das erste Mal erwischte es mich frontal, in einem Moment, in dem man einfach nicht damit rechnen konnte. Ich wusste nicht, was hinter meinem Rücken geschah. Eigentlich habe ich nur eine Beziehung beendet, die für mich nichts Erfüllendes mehr an sich hatte. Weder fühlte ich mich geliebt noch begehrt, noch verstanden oder wichtig genug, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Zumindest nicht als fühlendes Wesen. Als vorzeigbares Objekt war ich durchaus tauglich. Ebenso zum Ficken. Aber mehr anscheinend nicht. Nun, mittlerweile wurde mir auch mehr als einmal deutlich klar gemacht, was für ein abartiges Geschöpf ich doch bin. Es fing an mit einem Bild von mir und den Worten, Zitat: „Dreckige, hässliche, Eier lutschende Wandler-Schwuchtel! Noch nie so eine verfickte Hure getroffen, die auf Elefantenschwänze steht! Scheiß Wandler-Schlampe!“

Bei den liebreizenden Kommentaren darunter war wirklich alles dabei. Von ernstgemeinten Anfragen nach meiner Adresse und Telefonnummer, um mir zu zeigen, wo mein Platz ist, über Angebote mich mit der Faust ins Koma zu vögeln, bis hin zu Beleidigungen bezüglich meines Wandler-Lebens. Das Schlimmste aber waren die manipulierten Bilder.

Es ging los, als ich mit meiner besten Freundin Sina in der Stadt unterwegs war. Wir wollten ein Eis essen und haben geredet, als plötzlich einige Mädels albern kicherten, andere dafür angewidert zu uns schauten und der Höhepunkt war, als ein Kerl an unseren Tisch kam, mir seine Faust zeigte und meinte, ich wäre eine ekelhafte Missgeburt und er würde mir zu gerne das Licht ausknipsen. Ich war gar nicht fähig, zu reagieren. Geschockt. Das war ich. Es war meine Freundin, die sofort aus der Haut fuhr und fragte, was für Kraut er rauchen würde und woher er sich das Recht nimmt, so zu reden. Er zeigte uns den Post und … mein Bild, samt dem Bild eines Eichhörnchens, welches über den Schwanz eines Elefanten gestülpt war. Natürlich nur Fotoshop, aber die Aussage hat gesessen.

Schwer schlucke ich, schüttle den Kopf und kneife die Augen zusammen: „Komm schon, Kimi. Denk an etwas anderes!“

Schon ertappe ich mich dabei, wie ich eine Hand nach dem Spiegel ausstrecke und mein eigenes darin gezeigtes Bild mit den Fingerspitzen an der Wange berühre.

Das bin nicht mehr ich. Ich fühle mich nur noch wie ein Haufen Scherben. So gerne wäre ich wieder der lebensfrohe, lustige, aufgedrehte Wirbelwind, der allen auf die Nerven geht. Ein leicht durchgedrehtes Eichhörnchen, welches gerne Spaß hat und das Leben genießt. Aber noch kann ich nur auf diese schönen Tage zurückblicken und mir wünschen, vielleicht wieder so unbeschwert und frohen Gemüts durch die Welt schreiten zu können. Momentan bin ich dazu noch nicht fähig. Der Schock über all den Hass, den ein einziger Post losgetreten hat, sitzt noch zu tief.

Schwer schluckend verwerfe ich alle Gedanken, steige in die Duschzelle und drehe das Wasser auf. Welch Wohltat. Immer wieder. Wenn das warme Wasser auf den Körper prasselt, fühlt es sich an, als würden all die Sorgen, die Last, die Ängste und der Schmerz einfach weggespült.

Seufzend fahre ich mir mit beiden Händen übers Gesicht, streiche über meinen Kopf und wische meine Haare nach hinten weg.

Da taucht er wieder auf, dieser ominöse Mann aus dem Auto vorhin. Er sah gut aus. Auf den ersten Blick zumindest. Mit Sicherheit wäre er jemand, den ich ansprechen würde. Rein aus Interesse an ihm. Oder mehr. Ey, dran denken darf ich. Abstellen kann ich nicht, was ich bin und fühle. Nur ausleben sollte ich vorerst unterlassen. Wer weiß wie lange dieses ganze Theater noch anhalten wird. Und wie ich das jemandem erklären soll, hat sich mir bisher auch noch nicht enthüllt.

Es fiel mir schon extrem schwer, es Oma und Opa zu beichten. Ich meine, sie wissen, dass ich schwul bin und es stört sie nicht im Geringsten. Aber wie erklärst du deinen Großeltern, dass dein Ex nicht gut mit der Trennung klarkam und er deshalb gefühlt die ganze Welt gegen dich aufgehetzt hat. Mit Dingen, die dein Sexualleben betreffen könnten. Eventuell. Vielleicht. Ich meine …

Es war erniedrigend genug es öffentlich zu lesen, aber noch schlimmer war, die richtigen Worte zu finden, um den Großeltern zu erklären, was es bedeutet. Und das ein Kern Wahrheit darin verborgen liegt, was die Sache so unsagbar schwer macht. Sie hätten mich wegjagen können, als ich vor ein paar Wochen einfach vor ihrer Tür stand und hier Zuflucht suchte. Ich hielt es nicht mehr aus. Es erdrückte mich. Die Menschen erstickten mich. Sie trampelten auf mir herum, zeigten mir ausgestrecktem Finger auf mich, lachten, nannten mich einen Perversen. Worte wie ekelhaft, widerlich, krank und abartig waren noch eine nette Wahl.

Dass ich hier bin, sagt dann wohl auch alles darüber aus, wie meine Großeltern reagiert haben. Ganz abgesehen davon, dass ich geheult habe und meine Oma es war, die mich, wie mein ganzes Leben lang schon, einfach selbstverständlich in ihre Arme zog und mir Trost spendete. Für sie bin ich ihr Enkel und auch wenn sie nicht alles verstehen oder gutheißen können, so bleibt ihre Liebe trotzdem durchgehend beständig.

Mir tut die Auszeit wirklich gut. Langsam aber sicher schafft sogar mein Eichhörnchen es wieder mich zum Lachen zu bringen. Meine animalische Seite hat manchmal wirklich ein seltsames Gemüt. Und doch ist es gerade in dieser extrem schweren Zeit mein bester Freund. Ich selbst bin mein bester Freund. Das mag jetzt verbittert klingen, aber es ist anders. Wäre meine animalische Seite nicht so aufgekratzt, aufbrausend und hibbelig, wäre ich als Mensch mittlerweile komplett versackt und hätte gewiss schon Entscheidungen getroffen, die ich bereuen würde.

Ich vollziehe den Rest dann zugegeben etwas schneller. Irgendwie ist mir gerade danach erheitert zu werden. Und wer, wenn nicht meine heißgeliebte Oma schafft es mit Leichtigkeit, mich mit ihrer Liebe wieder fliegen zu lassen? Eben. Niemand. Außerdem gelüstet es mich nach Kaffee. Frühstücken könnte ich auch so langsam etwas. Zumindest eine Kleinigkeit.

Schon wickle ich mich in ein Badetuch, greife ein Handtuch und rubble meine Haare trocken.

Hastig sammle ich die Schmutzwäsche vom Boden, stopfe sie artig in die Waschmaschine, sonst gibt es keine Umarmung, sondern den Hintern voll, und eile dann in mein Zimmer.

Das liegt etwas verborgen im oberen Teil des Hauses. Man erreicht diesen nur über eine Leiter. Als Kind habe ich es geliebt, wenn ich mein Reich erobern durfte. Ich habe stundenlang gespielt und mich so lange beschäftigt, bis ich irgendwann auf dem Boden liegend unter dem großen Dachfenster eingeschlafen bin. Viel Platz ist hier nicht, aber ich fühle mich noch immer wohl. Es ist die sichere Burg, die ich als Kind hier oben errichtete, welche nach wie vor ihre Wirkung ausübt, obwohl ich mittlerweile ein erwachsener Mann von dreiundzwanzig Jahren bin. Mehr oder weniger erwachsen. Ich bin gerne Kind. Eigentlich. Hastig ziehe ich mir etwas an und steige die Treppe wieder runter, begebe mich auf den Weg in die Küche, als mir ein vertrauter Geruch in die Nase steigt. Einer, für den ich töten würde!

Oma steht am Herd, hat gerade das Blech in den Händen und stellt es auf dem Ofen ab.

„Sind das Nusskekse?“, schaffe ich zu fragen, wundere mich, dass ich noch nicht sabbere.

Sie sieht mich an, lächelt, greift einen der warmen Kekse und hält ihn mir entgegen. Wie damals, als ich klein war.

Meine Oma ist die Beste!

Ich krieg immer noch einen mit viel Liebe selbstgebackenen, warmen Keks!

 

1. Kimi

 

Selig sitze ich am Esstisch, vor mir ein frisch gebrühter, dampfender Kaffee, daneben auf einem kleinen Teller zwei weitere Nusskekse. Oma und Opa thronen wie immer nebeneinander und mir gegenüber. Das ist auch schon seit meiner Kindheit so.

„Na los, iss“, werde ich aufgefordert und das muss man mir kein zweites Mal sagen. Nicht bei Nüssen. Ich bin ein Eichhörnchen-Wandler und liebe Nüsse. In animalischer und humaner Form könnte ich sie Säckeweise futtern.

Herzhaft beiße ich in einen der Kekse und kaue genüsslich vor mich hin, ist es immer wieder eine Geschmacksexplosion, wenn ich Omas Nusskekse mampfe. Brühwarm fällt mir ein, dass mich interessieren würde, wie unser vorläufiger Nachbar eigentlich heißt. Wenn er sich vorgestellt hat, dann sicherlich mit einem Namen. Oder?

„Sagt mal, als der Kerl sich vorstellte, hat er zufällig auch seinen Namen genannt oder soll man ihn den Langzeiturlauber nennen?“, frage ich frei heraus und beiße sofort das nächste Stück vom Gebäck ab.

„Oh, einen schönen Namen hat er. Passt zu ihm“, schwärmt meine Oma und Opa nickt einfach.

Das ist natürlich die optimale Antwort auf meine Frage. Nicht.

Die Nüsse kauend ziehe ich beide Augenbrauen hoch und halte meine Großeltern mit neugierigem Blick fixiert.

Wie soll ich ihn denn nennen? DerMann mit dem schönen Namen? Oder lieber Mann, zu dem sein Name passt – den ich nicht kenne, weil man ihn mir nicht verraten wollte. Oder lieber Mann, dessen Name anscheinend auch nicht genannt werden darf? Erinnert mich an diesen Typen ohne Nase aus diesen Fantasy-Büchern. Nein! Sagt nicht seinen Namen! Das ist verboten! Weiß doch jeder. Also ehrlich mal. Pfff.

Ja, denkt mal nicht, dass die drauf kommen würden, mir den Namen zu verraten. Vergammelte Nuss noch eins!

„Wie heißt er denn?“, hake ich also explizit nach, kaum dass ich geschluckt habe.

„Ragnar“, sagt Oma und schon im nächsten Moment bleibt mir glatt der nachgeschobene Happen mit Nuss im Hals stecken. Wild hüstelnd und räuspernd versuche ich zu verhindern halb zu krepieren.

Ragnar? Ernsthaft? Wie der Typ aus dieser bekannten Wikinger-Serie, um die so ein mega Hype gemacht wurde? Von der ich, wohlgemerkt, noch keine einzige Folge gesehen habe, aber dennoch den Hauptcharakter kenne. Social-Media ist böse. Wahlweise beste Freundinnen, die Serien-Junkies sind und alles schauen, was nur irgendwie ihrem Geschmack entsprechen könnte. Und wenn es das nicht tut, dann wird es trotzdem geschaut. Einfach so, weil wegen muss. Ich schweige, denn Betroffene fühlen sich hier zurecht angesprochen. Ja, vielleicht meine ich genau dich, du Serien-KillerIn.

Der Ragnar, von dem hier die Rede ist, hat allerdings kurzes schwarzes Haar und definitiv dunkle Augen. Das konnte ich erkennen, als er an mir vorbeifuhr und ich ihn anstarrte, als hätte ich noch nie einen anderen Mann gesehen. Na ja, in den letzten Wochen sah ich wirklich keinen. Außer mich selbst und meinen Opa. Habe ich schon erwähnt, dass das Haus meiner Großeltern am Arsch der Welt liegt? Es ist wirklich so.

Ich stopfe mir energisch den Rest vom Keks in den Mund. Dem eher fragenden Blicken meiner beiden Gegenüber halte ich stand und versuche, nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich habe das Gefühl, sie erwarten irgendwas von mir. Nun, vielleicht eine Reaktion, wie es der gute Abstand gebietet. Der sagt allerdings auch, dass man mit vollem Mund nicht spricht. Tja, wie man es macht, ist es verkehrt.

Ich lächle einfach und nicke. Kann ja nicht falsch sein.

Mein Frühstück sah jetzt nicht so ausgewogen aus, wie ich das eigentlich geplant hatte. Aber es gibt ja bald Mittagessen, von daher wird mein Bäuchlein mit den Keksen sicher auskommen. Wobei, ich kenne mich und meine kleinen Fressanfälle. Vielleicht sollte ich mir jetzt einfach noch einen Apfel genehmigen. Das würde immerhin verhindern, dass ich mich zu Mittag überfresse und danach wieder stundenlang nur herumliegen kann, weil jede Bewegung in einen unergründlichen Akt ausartet.

Da ich gerade ohnehin meine Tasse in die Küche bringe, bietet es sich an mir einen zu mopsen. Da steht schließlich die gut gefüllte Obstschale und wartet darauf, dass ich sie plündere.

„Kann ich dir helfen?“, fragt meine Oma, kaum dass sie mich sieht. Ich betrete schließlich ihr Hoheitsgebiet. Artig räume ich die Tasse in die Geschirrspülmaschine, greife nach einem schönen grünen Apfel und sehe sie dann grinsend an. Sie schnippelt gerade Aprikosen.

„Wollte mir nur noch einen Apfel nehmen“, sage ich und zeige das erbeutete Obst. Sie lächelt und nickt zufrieden, ehe sie sich wieder ihrer Arbeit widmet.

Neugierig trete ich näher und inspiziere, was noch vor ihr steht und liegt: „Wird das etwa Aprikose-Zimt?“

Sofort hält sie in der Schneidbewegung inne, richtet sich ihr Augenmerk zu mir und sie lacht amüsiert: „Wieso wundert mich nicht, dass mein kleines Naschhörnchen das sofort erkennt?“

„Weil du schuld daran bist, dass ich süchtig danach bin. Und deswegen immer wieder drei Kilo zunehme“, murmle ich und ahne, dass genau das wieder passieren wird. Oma macht die beste Marmelade, daran besteht für mich ebenfalls kein Zweifel. Es ist wohl für jeden so, dass bei Omas immer alles besser schmeckt. Oder bei Mamas. Das kann ich leider nicht beurteilen, denn ich habe kaum den Hauch einer Erinnerung daran, dass meine Mutter je die Zeit hatte, etwas zu kochen. Wenn doch, weiß ich nicht mehr, ob oder wie es geschmeckt hat.

„Die schaden dir auch nicht“, tadelt sie mich mal wieder und ich seufze. Ja. Oma ist immer so. Früher war ich ein pummeliges Kind. Ein richtiger Wonneproppen. Im Jugendalter aber änderte sich das schlagartig. Wachstumsschub und Stress in der Schule sorgten dafür, dass ich rapide Gewicht verlor. Seither verbuche ich einen eher schmalen, drahtigen Körper. Sehnig, wie Oma immer sagt. Nichts dran, wie sie gerne hinzufügt. Aber ich bin zufrieden. Sport habe ich schon immer gerne gemacht, wenngleich ich beim Ausüben manchmal jammere und meckere. Gut, das manchmal ist eher ein immer. Aber wir wollen hier ja nicht schon jetzt kleinlich werden, oder?

„Ich werde dich an deine Worte erinnern, wenn ich das Glas mit dem Löffel leer esse“, lasse ich sie wissen, zwinkere ihr keck zu und sie lacht amüsiert.

„Bei dir Schleckerschnäuzchen würde mich das auch nicht wundern.“

Breit grinsend beuge ich mich zu ihr, hauche ihr einen Kuss auf die Wange: „Ich bin ein bisschen draußen. Sonne tanken.“

Sie nickt und ich verlasse ihr Areal, schreite auf die offenstehende Haustür zu, beiße herzhaft in meinen Apfel.

Auf der Veranda ist niemand. Prüfend halte ich nach Opa Ausschau, entdecke ihn im Garten. Er kümmert sich gerade um das Kräuterhochbeet.

Irgendwann, so hoffe ich, werde ich auch jemanden gefunden haben, mit dem ich genau auf diese Weise alt werden kann. In einem Haus am Arsch der Welt, friedlich lebend und die Natur genießend.

Der Wind spielt mit den Baumkronen unzähliger Nadel- und Laubbäume.

Über die Hälfte des Landes ist mit Wald abgedeckt. Auf den ersten Blick erscheint das viel. Allerdings sind davon nur drei Prozent natürlicher Altwald. Der Rest ist künstlich angelegt, um den hohen Bedarf für die Forstwirtschaft zu gewährleisten. Dennoch ist das, im Vergleich zu anderen Ländern, schon enorm viel. Natur wird hier anders bewertet, anders wahrgenommen. Wenngleich der Fortschritt auch vor diesem wunderschönen Land nicht Halt machte, so ist das hier lebende Völkchen dennoch fähig die Natur mit faszinierten Augen wahrzunehmen.

Das Haus meiner Großeltern steht in einem Mischwald, nicht mal zwei Kilometer vom See Åsnen entfernt, umgeben von dem jüngsten Nationalpark des Landes. Auf dem See geht mein Opa immer angeln.

Nun fragt sich sicherlich jeder: Wo zur Hölle hockt der da?

In Lönashult, Kronobergs Län, Småland, Süd-Schweden.

Inmitten des wenig besiedelten Waldes, das perfekte Gefilde für einen Wandler wie mich. Eichhörnchen lieben es durch die Bäume zu springen, das endlose Areal ihrer Umgebung zu erkunden, wild durch die Natur zu rennen und sich auszutoben.

Tief atme ich die frische Luft ein, beiße erneut in meinen Apfel, kaue genüsslich und verschlucke mich dann beinahe. Der Grund? Der taucht gerade in seinem silbernen Geländewagen auf und fährt am Haus vorbei. In Schrittgeschwindigkeit, wie es sich gehört. Leider ist die Distanz zu groß und ich erkenne noch weniger vom Fahrer, als beim ersten Mal. In mir entfacht der Antrieb ihn sehen zu wollen, weswegen ich dem Drang nachgebe, mich in Bewegung setze und die Veranda verlasse. Eilig sprinte ich entlang der festgefahrenen Einfahrt vor dem Haus, versuche mich hinter einigen Bäumen und Büschen zu verstecken. Habe ich schon erwähnt, dass ich ein Eichhörnchen und kein Adler bin? Ich habe zwar gute Augen aber, so gut scheinen sie dann doch nicht zu sein. Alles was ich auf die Entfernung erkennen kann, sind die groben Konturen seines Körpers. Er ist groß und hat breite Schultern. Kurze schwarze Haare. Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe und beobachte, wie er um den Wagen tritt, den Kofferraum öffnet und einige Einkaufstüten hervorholt. Diese trägt er dann zum Haus.

Sollte ich anmerken, dass manche Eichhörnchen über ein ungesundes Maß an Neugier verfügen? Ist es nötig, zu betonen, dass ich ein solches bin? Ich will mehr sehen!

„Was tust du da?“

Erschrocken fahre ich zusammen und drehe mich hastig um, starre meinem Opa ins Gesicht, begegne seinem skeptischen Blick.

„Beim buschigen Schwanz eines Eichhörnchens! Opa! Erschreck mich nicht so!“, murre ich empört.

„Warum gehst du nicht einfach hin und stellst dich ihm vor, anstatt hier im Busch zu hocken?“

Eine durchaus plausible Frage, muss ich zugeben.

Leider hat mein Selbstbewusstsein, seit einem gewissen Vorfall und dem daraus resultierenden Shitstorm gegen mich, einen gehörigen Knacks. Heißt: Ich trau mich nicht!

Wahrscheinlich spricht mein Blick gerade Bände. Opa seufzt, schüttelt leicht mit dem Kopf, hebt eine Hand und wuschelt mir, wie in meinen jungen Jahren auch immer, durch die kurzen roten Haare.

„Wenn ich könnte, würde ich dir helfen, Junge“, flüstert er mit geknickter Stimme und mir schmerzt das Herz. Meine Großeltern machen sich Sorgen um mich, das weiß ich. Natürlich möchte ich ihnen diese nicht bereiten. Es gelingt mir leider nur nicht immer, meine emotionalen Einbrüche zu kontrollieren. Sie kommen auch meist viel zu plötzlich. Überraschend, wie gerade.

„Das tust du doch, Opa“, bringe ich mit schwacher Stimme hervor und zwinge mir selbst ein Lächeln auf die Lippen.

„Kimi! Kannst du mir kurz zur Hand gehen?“, ist es Omas Stimme, die mich aus dieser eher bedrückenden Situation rettet. Mein Blick zu Opa sagt alles und er lächelt, macht eine Kopfgeste: „Geh schon. Man sollte eine Dame niemals warten lassen. Schon gar nicht deine Großmutter, sonst versalzt sie einem zur Strafe den Kaffee.“

Also setze ich mich eilig in Bewegung, denn versalzener Kaffee steht nicht zwingend auf meiner Wunschliste.

Kaum habe ich die Veranda erreicht, grinst Ömchen mich breit an, hält mir eine kleine Tasche entgegen.

Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue hoch, setzt sie zum Glück sofort zur Erklärung an: „Würdest du das bitte zu Ragnar bringen? Ich denke, er wird sich über eine kleine Leckerei sehr freuen. Außerdem war er so nett zu uns, dass ich mich revanchieren möchte.“

Habe ich gerade gesagt, dass Oma mich aus einer bedrückenden Situation gerettet hat? Ich nehme das zurück! Sie schubst mich gerade in einen unfassbar peinlichen Umstand!

Wie soll ich das denn hinkriegen? Bei meinem Talent vergesse ich, wie ich mich verständlich artikulieren kann oder ich stolpere über meine eigenen Füße und mach mich dezent zum Affen. Nichts gegen Affen, die sind echt toll. Aber ich bin ein Eichhörnchen. Eigentlich auch recht gerne.

„Äh“, stammle ich und kratze mich verlegen am Kopf.

Ihr liebevolles Lächeln und diese strahlenden Augen zu sehen, manipuliert mich natürlich. Seit einigen Wochen lebe ich hier und nie haben sie sich beschwert, dass ich mich bei ihnen eingenistet habe. Stets betone ich mehrfach, dass sie mir ruhig sagen können, wenn sie meine Hilfe benötigen. Jetzt bittet mich Oma endlich darum und ich gerate in eine Zwickmühle. Ablehnen kommt nicht in Frage.

„Okay“, sage ich einfach und nehme den kleinen Stoffbeutel an mich. Innerlich rattere ich schon alle Möglichkeiten durch, wie ich mich dem Unbekannten vorstellen könnte.

„Du bist ein Schatz. Danke schön“, trällert sie und dreht sich um, verschwindet einfach wieder im Haus.

Und ich stehe da wie bestellt und nicht abgeholt. Mit dem Stoffbeutelchen in der Hand, mir den Kopf zerbrechend, wie ich vorgehen soll, ohne mich unweigerlich zum Deppen zu machen.

Gut. Es nutzt ja nichts. Machen muss ich es so oder so.

Vielleicht muss ich mich ja nicht vorstellen. Was, wenn er meine Visage ohnehin kennt, weil er die Sache aus dem Internet mitbekommen hat?

Diese Art der Gedanken macht es nicht gerade leichter. Schwerfällig drehe ich mich um, setze mich schleichend in Bewegung und halte auf das Haus zu, welches am Ende der Einfahrt liegt. Es ist deutlich kleiner als das meiner Großeltern, hat aber denselben liebevollen Flair. Hauptbaustoff ist Holz. Weniger verwunderlich, wenn man die hohe Forstwirtschaft betrachtet. Die Außenplanken in typisch dunklem Rot, mit weißen Fensterrahmen und einem Dach mit dunklen Schindeln. Eine Veranda aus naturbelassenen Holzdielen, die sich hier um das ganze Haus zieht. Es ist auf einem erhöhten hölzernen Fundament gebaut. Das erspart das Glätten des Geländes. Eine gerne genutzte Methode für Hütten und Häuser in ländlicher Gegend.

Hinter dem Wohnhaus steht eine weitere Hütte, die über den Holzsteg zu erreichen ist. Darin befinden sich die Sauna und ein Vorraum. Alles umgeben von Bäumen und Büschen. Wald halt.

Unter meinen Schuhen knarzen einige Steinchen vom gefestigten Weg, der mich bis zum Haus führt. Je näher ich komme, umso nervöser werde ich. Der silberne Geländewagen steht noch immer mit geöffnetem Kofferraumdeckel da und ein flüchtiger Blick offenbart, dass noch eine Tüte darin steht.

Okay. Schön, dass ich jedem erklärt habe, wie das Haus aussieht, mir aber keine Gedanken darüber gemacht habe, wie ich ihm gleich mein Auftauchen erkläre.

Meine Finger verkrampfen sich immer mehr und ich bin froh, dass die Träger des Stoffbeutels so flexibel sind.

Das Herz schlägt mir schon im Hals und eine leichte Übelkeit macht sich breit. Hätte ich eine Hand frei, würde ich mir den Bauch reiben. Aber in der einen halte ich den Stoffbeutel und in der anderen nach wie vor meinen Apfel. Den ich komplett vergessen habe.

Aber alles verliert an Bedeutung, als ich Schritte höre und sich kurz darauf der großgewachsene Körper eines Mannes in mein Sichtfeld schiebt.

Ragnar.

Ein Bild von einem Mann. Zum Sabbern.

Er verlässt gerade das Haus, überwindet die Veranda mit drei großen Schritten und schon knirschen die Steinchen unter seinen Schuhen, als er auf sein Auto zugeht. Dann entdeckt er mich und bleibt für einen Augenblick regungslos stehen. Ich steh übrigens schon, seit ich seine Schritte gehört habe. Aber das nur so am Rande erwähnt. Erwartet jetzt bitte nicht, dass ich einen halbwegs sinnvollen Gedanken zustande bringe. Da steht dieser unfassbar geile Kerl vor mir und sieht mich an, als würde er auf etwas warten. Was er auch tut. Zu Recht, wohlgemerkt. Er wartet darauf, dass ich den Grund nenne, weshalb ich hier stehe und ihn anstarre wie ein Schaf. Ich mag Schafe. Die sind schön flauschig. Tut gerade voll viel zur Sache, ich weiß. Ich bin nervös! Lasst mich!

Okay. Jetzt nicht vollends zum Deppen machen. Schon mal ein gutes Vorhaben.

„Hej“, grüße ich ihn einfach und grinse. Wahrscheinlich sehe ich gerade aus wie ein Breitmaulfrosch auf Drogen.

„Hej“, entgegnet er und ich glaube, mein Gehör kriegt gerade spontan einen Orgasmus. Die Stimme geht unter die Haut. Verpasst mir heiße und kalte Schauer im Wechsel. Damit entfesselt ein wahres Wechselbad der Gefühle bei mir.

„Ich bin Enkel, der Kimi der beiden älteren Perso...“

Moment. Da stimmt was nicht.

„Andersrum. Ich bin Kimi, der Enkel der beiden älteren Personen vom Haus vorne.“

Peinlich. Ich wusste, dass sowas passieren würde!

„Ragnar“, sagt er nur und tritt an den Kofferraum, holt die noch verbliebene Einkaufstüte heraus und schließt dann den Deckel.

„Meine Oma schickt mich“, erkläre ich einfach weiter. „Ich soll dir das hier bringen.“

Zur Untermauerung zeige ich den Stoffbeutel und er zieht beide Augenbrauen hoch, wechselt sein Blick zwischen dem Beutelchen und mir, ehe er sich in Bewegung setzt und Richtung Haustür geht. Ich mache in der Zeit drei Schritte auf ihn zu, nicht wissend, was ich sonst machen soll.

Er stellt die Tasche ab, dreht sich um und kommt zu mir zurück. Seine dunkelbraunen Augen gehen mir unter die Haut. Der Kerl hat ein hübsches Gesicht. Markante Konturen, denen eine gewisse Strenge innewohnt. Mir wird ganz heiß im Bauch.

Als er nichts sagt, strecke ich den Arm aus und halte ihm den Beutel entgegen: „Vermutlich Kekse und Marmelade.“

Seine Hand greift zu, nimmt das Geschenk an und er berührt dabei mit seinen Fingern die meinen.

Eine Sekunde genügt und ich habe eine Armee wilder Ameisen im Bauchraum. Mir wird ganz flau und anders zumute. Nein. Nicht wegen der Berührung. Sein Geruch steigt in meine Nase und betört mir die Sinne, vernebelt mir das Denken. Wobei ich anzweifele, dass ich denkend an die Sache herangehen konnte. Aber wenn doch, dann ist jetzt definitiv der letzte Funke davon erloschen.

Goodbye Gehirn, war schön mit dir. Verdampft in drei, zwei, eins …

„Kimi, richtig?“, raunt er weiter und ich kann mir nur knapp ein Keuchen verkneifen. Bei allen Nüssen dieser Welt, was muss das so unfassbar geil klingen, wenn er meinen Namen sagt?

Ich nicke einfach, nicht fähig ein Wort zu sagen, starre ihm entgegen und spüre wie meine Muskeln langsam zu Zittern anfangen. So intensiv habe ich noch nie auf jemanden reagiert. Glaube ich.

„Danke“, sagt er mit rauer Stimme, sieht mir tief in die Augen und ich schlucke schwer. Wahlweise trocken. Ich habe das Gefühl, die Hälfte der Wüste Gobi gefressen zu haben.

Auf seine Lippen legt sich ein Grinsen, welches mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es kann sein, dass ich es falsch interpretiere, aber es wirkt ein wenig neckisch.

„Bis dann, Kimi“, raunt er wieder und ich nicke erneut, lächle überfordert und mache das einzig sinnvolle für diesen Moment. Umdrehen und wegrennen. Rennen kann ich nämlich. Gerade vor allen Dingen echt schnell.

Wieder am Haus meiner Großeltern angekommen, sprinte ich auf die Veranda und bleibe stehen, ringe nach Luft, werfe einen vorsichtigen Blick über meine Schulter. Ragnar ist weg. Wahrscheinlich amüsiert er sich gerade köstlich über mein eher unreifes Verhalten.

Ich weiß selbst nicht so recht, wie ich das einsortieren soll. Seine Wirkung auf mich ist enorm. Sei es nun sein Geruch oder sein Aussehen, das Auftreten oder gar diese basslastige Stimme, die mir schier einen Ständer beschert hätte.

„Alles gut, Schätzchen?“ Das liebliche Stimmchen meiner Oma ist nicht zu vergleichen mit der dieses Kerls.

„Dieser Kerl ist creepy!“, murre ich und schaue Oma grummelig an.

„Ach? Findest du? Ich finde ihn nett und sehr sympathisch“, höre ich sie sagen und zucke mit einem Auge. Ich habe ja nicht bestritten, dass er das gewiss sein kann. Aber mir gegenüber war er eben anders. Aus welchen Gründen auch immer.

„Der frisst Eichhörnchen wie mich zum Frühstück“, grummle ich. Oma lacht amüsiert, schüttelt den Kopf und wuschelt mir mit einer Hand durch die Haare.

„Mein kleines Angsthörnchen“, sagt sie und ich kann gar nicht anders, als trotzig in meinen schmählich vernachlässigten Apfel zu beißen.

„If haffe feime amft!“, lasse ich sie wissen, zieht sie nur eine Augenbraue hoch und ich den Kopf dafür ein. Mit vollem Mund spricht man nicht, ich weiß. Schuldbewusst kaue ich kleinlaut und bin erleichtert, als sie mit einem Lächeln den Rückweg ins Haus antritt.

Ich stehe da, richte einen vernichtenden Blick auf den silbernen Geländewagen und grummle gedanklich vor mich hin. Mit meiner These, dass der Typ creepy ist, stehe ich ja alleine da. Oma würde ihn wohl am liebsten adoptieren. Und Opa hätte sicher nichts dagegen.

 

2. Ragnar

 

Der Einkauf ist endlich verstaut und der Duft von frisch aufgebrühtem, starkem Kaffee liegt in der Luft. Darauf habe ich mich ehrlich gesagt sehr gefreut. Eine schöne Tasse heißer Kaffee und einfach sitzen können. Nach dem ganzen Stress der letzten Tage fürwahr ein ersehnter Augenblick der Ruhe. Mit dem aufgefüllten Becher steuere ich das Sofa an, stelle das Heißgetränk auf den Tisch und lasse mich mit einem erleichterten Stöhnen in die Polster fallen.

Endlich Zeit, um wirklich hier anzukommen.

Der Gedanke, dass ich ganze sechs Wochen hier verbringen werde, fühlt sich jetzt besser an, als direkt bei meiner Ankunft. Da dachte ich ja noch: Um Himmelswillen, wo zur Hölle bin ich hier gelandet?

Kaum hatte ich das kleine Haus betreten, war es doch Liebe auf den ersten Blick. Hier wird es mir sicher gelingen den Stress der letzten Monate endlich hinter mir zu lassen und die Jahre der endlosen Arbeit einfach abstreifen zu können. Wie sagt man immer so schön? Die Seele auch mal baumeln lassen, sich auf das besinnen, was wirklich wichtig ist. Wieder eins mit sich werden, wenn man sich in etwas anderem verloren glaubt. Ach, es gibt unzählige Floskeln dafür.

Als ich vor fünfzehn Jahren meinen Berufsweg einschlug, rechnete ich nicht damit, so erfolgreich zu werden. Erfolg kommt nicht vom Nichtstun. Zu Beginn redete ich mir ein, dass ich sicherlich in ein paar Jahren die verlorene Freizeit nachholen könnte. Pustekuchen. Es war ein utopischer Gedanke, den ich nie umsetzen konnte. Nach dem Aufstieg an der Karriereleiter kam das Aufrechterhalten der gewonnenen Position. So verflogen die Jahre.

In den letzten Monaten merkte ich aber immer mehr, dass ich unzufrieden bin. Ja, ich hatte Erfolg und um meine finanzielle Absicherung muss ich mir definitiv keine Gedanken machen. Aber was nutzt mir das, wenn ich keine Zeit habe, die Früchte der harten Arbeit zu genießen? Selbst in meinem Urlaub war ich für die Firma stets erreichbar und oft half ich aus, wenn mal wieder Not am Mann war oder jemand auf den letzten Drücker ein Projekt vermasselt hatte. Das schwere Los einer hohen Position. Ich kann mich Chef einer ganzen Etage nennen, doch das bringt auch verdammt viel Verantwortung mit sich. Für jedweden Fehler muss ich den Kopf hinhalten. Grundlegend denke ich schon, dass ich ein fairer Boss war. Meine Truppe konnte immer mit mir reden. Dafür erwartete ich eigentlich nur, dass sie ihre Arbeit verantwortungsbewusst, zügig und vor allem schnell erledigten. Unter Zeitdruck stehen wir alle. Jeder Mensch muss funktionieren. Wie eine Maschine. Ständig laufen. Selbstlos, zielorientiert, für den guten Namen der Firma. Man merkt, was mich letztlich zermürbt hat, oder?

Ich bin selbst immer mehr zu einem dieser Vorgesetzten mutiert, die das Auge für die Menschlichkeit verloren haben. So sehr ich mich auch stets bemühte, nicht zu verdrängen, dass ich es mit fühlenden Individuen zu tun hatte, mir selbst saß der Druck von oben stets im Nacken. Ich war dem nicht mehr gewachsen und ließ den daraus resultierenden Frust immer mehr an jenen aus, die nichts dafür konnten.

Fünfzehn Jahre haben mich verschlungen, ausgelaugt und aufgefressen.

Zu meiner Unzufriedenheit gesellten sich permanente Müdigkeit und starke Konzentrationsprobleme. Meine Gedankenwelt wurde von Tag zu Tag trüber und ich entwickelte vor allem in den letzten Wochen eine beinahe hochempfindliche Zündschnur, die mich bei fast jeder Kleinigkeit explodieren ließ, wie eine Atombombe.

Um alles zu toppen, krochen Gedanken an die Zukunft hervor, die ich bis dahin stets erfolgreich unterdrücken konnte. Wenn nie viel Zeit für das Privatleben war, blieb genau das natürlich auch auf der Strecke. Demnach traf mich die Eingebung wie ein Faustschlag in den Magen, dass ich mit fünfunddreißig noch immer single bin.

Mein Liebesleben bestand irgendwie nur aus One-Night-Stands. Dabei ging es schlichtweg darum, dem Drang der Natur nachzukommen, nie aber darum, vielleicht jemanden zu finden, mit dem ich Alt werden möchte.

Obwohl mir das grundlegend immer bewusst war, traf mich diese Erkenntnis härter, als ich es mir eingestehen wollte. Das erste Mal seit langer Zeit kam die Frage auf, ob ich wirklich einsam und alleine alt werden möchte. Eigentlich nicht.

Bis vor sieben Jahren erinnerte mich meine Mutter gelegentlich daran, dass ich nicht jünger würde. Sie ermahnte mich immer wieder, dass ich mir eine Frau suchen solle, mit der ich eine Familie gründen möchte.

Als mein Vater vor acht Jahren verstarb, ertränkte ich die Trauer über seinen Verlust in Arbeit. Sehr zu meinem Leid, denn ich wurde auch meiner Mama nicht mehr gerecht. Als sie ihm dann ein Jahr später folgte, spürte ich das erste Mal, was wahre Einsamkeit ist. Anstatt mich mit der Trauerbewältigung zu befassen, stürzte ich mich wieder in die Arbeit. Wundert nicht wirklich, oder?

Kurz nach dem Tod meiner Mutter kam dann der kleine Plot Twist in meinem Leben. Aus einer Laune heraus landete ich mit einem Mann im Bett. Wenn einen das Schicksal fickt, dann macht es das übrigens richtig.

Jeder darauf folgende Versuch, Spaß mit einer Frau zu haben, endete in einem Fiasko. Da regte sich gar nichts mehr.

Ab da war ich also nicht nur einsam, sondern auch noch schwul. Das war schon eher ein Fisting, welches mich das Leben da erfahren ließ.

Was tat ich also? Richtig. Arbeiten. All meine Probleme nach hinten schieben und mich voll und ganz auf das konzentrieren, was ich kontrollieren konnte.

Mein Leben und meine Sexualität zählten nicht dazu. So viel stand zu dem Zeitpunkt fest.