Deadly Contract - T. Stern - E-Book

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T. Stern

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Joel Turner hat sein stupides Leben, als kleines Zahnrad im strengen Mechanismus der Gesellschaft, satt und beschließt, dass es Zeit für einen Neubeginn ist. Es verschlägt ihn in einen Bezirk, dessen Ruf nicht der beste ist. Ausgerechnet dort befindet sich die Bar «Hideout», die sein Großvater ihm vererbte. Ehe er sich versieht, bestimmt der anhaltende Konflikt zweier Bikergangs sein Leben. Um all den Herausforderungen die Krone aufzusetzen, ist da auch noch Dante King ... dieses miese, skrupellose, brutale, aber auch verdammt heiße Arschloch. Joel muss Entscheidungen treffen, die von ihm verlangen, seine eigenen Abgründe zu erforschen, und schon bald erkennen, dass das Hideout nicht das Einzige ist, was ihm anvertraut wurde. Wie weit geht Joel, um endlich ein Leben führen zu können, welches er selbst bestimmen und genießen kann?       Achtung! Homosexueller Inhalt. Dieses Buch enthält explizite Sexszenen zwischen zwei Männern. Umgangssprache kommt zum Einsatz. Vulgäre Begriffe fallen. Gesellschaftskritische Anmerkungen liegen im Auge des Betrachters.

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T. Stern

Deadly Contract

Human Abysses 1

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

Zitat

 

 

 

 

Nachdenken ist die wirksamste Therapie gegen Vorurteile.

 

(Ernst Ferstl)

Inhalt

Joel Turner hat sein stupides Leben, als kleines Zahnrad im strengen Mechanismus der Gesellschaft, satt und beschließt, dass es Zeit für einen Neubeginn ist.

Es verschlägt ihn in einen Bezirk, dessen Ruf nicht der Beste ist. Ausgerechnet dort befindet sich die Bar «Hideout», die sein Großvater ihm vererbte. Ehe er sich versieht, bestimmt der anhaltende Konflikt zweier Bikergangs sein Leben.

Um all den Herausforderungen die Krone aufzusetzen, ist da auch noch Dante King ... dieses miese, skrupellose, brutale, aber auch verdammt heiße Arschloch.

Joel muss Entscheidungen treffen, die von ihm verlangen, seine eigenen Abgründe zu erforschen, und schon bald erkennen, dass das Hideout nicht das Einzige ist, was ihm anvertraut wurde.

Wie weit geht Joel, um endlich ein Leben führen zu können, welches er selbst bestimmen und genießen kann?

Vorwort

 

Herzlich willkommen, der du dich für dieses Buch entschieden hast. Was dich erwartet? Hm, vielleicht eine kleine Herausforderung? Schwer zu sagen. Das liegt wohl ganz simpel im Auge des Betrachters.

Human Abysses – das ist der Titel der Reihe, für die ich zwei oder drei Bücher geplant habe. Diese sind natürlich in sich abgeschlossene Geschichten, die nichts miteinander zu tun haben werden. Der einzige gemeinsame Leitfaden wird das oberflächlich genannte Thema der menschlichen Abgründe sein.

Hier hältst du «Deadly Contract» in den Händen. Die Geschichte um Joel und Dante. Für manche mag sich all das fernab jeglicher Realität bewegen, was auch vollkommen in Ordnung ist, denn es ist ein Buch. Eine fiktive Erzählung. Kein Sachbuch, in welchem mit dem Wissen über Fakten geglänzt wird. Keine Biografie, die das Leben einer Person erzählt. Es basiert nicht auf der Realität. Wer sie also sucht – wird sie nicht finden. Wer die Fantasie jedoch mit offenen Augen betrachtet, der wird genug Realität in den Zeilen finden und mit Joel und Dante vielleicht ein kleines Abenteuer erleben können.

Lange Rede kurzer Sinn: Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und hoffe Joel und Dante finden nicht nur ihre Kritiker, sondern auch ihre Mitreisenden.

 

Viel Vergnügen wünscht,

T. Stern

Danksagung

 

An meine Familie, die mir in den letzten Wochen so gut es ging, den Rücken freigehalten hat.

 

An Grace und Luca, für schnurrende Nervenberuhigung.

 

An Loki of Riva, der bei der Überarbeitung auch mal drei Stunden ohne Pipi-Runde ausgehalten hat.

 

An meine wilden, starken Walküren aus Asgard – Thörchen, Schnuckelchen, Zwergchen, Googlelienchen – die mein Jammern stets ertragen haben.

 

An mein Beta-Kätzchen Nadja, die sich immer wieder unermüdlich meinen Texten stellt und alles ihr Mögliche unternimmt, mich davor zu bewahren, am Ende doch wieder Fehler reinzuhauen. Ich bin aber einfach zu gut darin, gut Korrigiertes wieder zu versemmeln. Sorry, Liebes.

 

Nicht zu vergessen, my Brother from another Mother, my Sister from another Mister – für ALLES!

 

Dir, der du mich mit dem Kauf des Buches und vielleicht einer Bewertung/Rezension unterstützt.

 

Nicht zu vergessen natürlich: Ein riesen Danke auch an BookRix!

1 - Der Erbe

 

Obwohl eine ganze Schlange verfügbarer Taxis vor dem Bahnhof auf zahlungswillige Kundschaft wartet, benötigt er volle zwanzig Minuten, bis er jemanden findet, der bereit ist, ihn an sein Wunschziel zu chauffieren. Erleichtert stellt er seinen vollgepackten Seesack in den Kofferraum, tritt an die hintere Tür auf der Beifahrerseite und steigt ein. Schnell legt er sich den Sicherheitsgurt an, ehe der Fahrer es sich doch noch anders überlegt. Wundern würde ihn das ehrlich gesagt nicht.

Umso mehr entspannt er, als sich der Wagen in Bewegung setzt. Insgeheim rechnete er bereits damit, die Strecke zu Fuß bewältigen zu müssen. Zum Glück bleibt ihm das erspart.

Er wusste, dass es nicht leicht werden würde. Alles hier. Seit zwei Monaten hämmern seine Eltern auf ihn ein und haben wahrlich immer wieder auf die Gefahren gepocht, die ihrer Meinung nach hier auf ihn lauern. Grundlegend ließen sie kein gutes Haar an seinem Vorhaben, hierher zu ziehen und damit den letzten Willen seines Großvaters zu erfüllen. Wobei sie vorher auch nie sonderlich gut über seinen Opa gesprochen hatten. Lange Rede, kurzer Sinn: Seine Eltern, allen voran seine Mutter, wollten nicht akzeptieren, dass ihr Sohn ein genauso verkommener Taugenichts werden würde, wie sein Opa es in ihren Augen war.

Vor vier Monaten erhielt er die Nachricht, dass Jasper Turner den Kampf gegen den Krebs verloren hätte und im Alter von dreiundsiebzig Jahren gestorben sei. Wohlgemerkt war das zu dem Zeitpunkt schon zwei Monate her. Er erfuhr vom Tod seines Großvaters, aufgrund einer Vorladung zur Testamentseröffnung. Nicht, weil seine Eltern es für nötig hielten, ihn darüber zu informieren.

Ja, das letzte Mal, dass er seinen Opa sah, war sehr lange her. Aber die Frage war nie, warum er ihn nicht sehen durfte. Seine Mutter verbot ihrem eigenen Vater den Kontakt zu seinem Enkelkind, da sie ihn für einen Nichtsnutz hielt. Nur, weil ihr sein Lebensstil nicht gefiel und sie sein Umfeld verachtete. Doch ohne den gut verdienenden Ehemann an ihrer Seite könnte sie das ihre so auch nicht führen. Diesbezüglich sah Joel schon immer die Fakten.

Sehr oft fragte er nach seinem Großvater, nicht nur als Kind, sondern auch als Jugendlicher und junger Erwachsener. Doch seine Mutter verweigerte jegliche Auskunft ihm gegenüber. Stattdessen kam sie immer wieder mit denselben alten Floskeln an. Joel hatte fürwahr genug Zeit, sich mit der ganzen Situation von damals auseinanderzusetzen.

Im Verlauf der Jahre wuchs die Wut darüber, dass seine Mutter ständig derart abfällig über ihren eigenen Vater sprach, immer wieder betonte, dass er sie im Stich gelassen hätte. Dabei ist es kein Geheimnis, dass sie es war, die, nach dem Tod ihrer Mutter, ihren Vater aufs Abstellgleis schob. Hinzukommt, dass sie Joel buchstäblich am Arsch klebte und am liebsten seinen ganzen Lebensweg verplant hätte. Was für andere wie die Fürsorge einer liebenden Mutter wirkte, bedeutete für ihn stetige Kontrolle und Vorschriften, wie er sein Leben zu gestalten hatte. Als Kind stand er unter Leistungsdruck, der schulische Weg war vorgegeben, das Studium wollte sie ebenso bestimmen. Sie hatte schon immer die Veranlagung mit einer manipulativen Engelszunge auf Joel einzuwirken. Stellte er sich quer, versuchte sie ihm ein schlechtes Gewissen einzureden, pochte auf alles, worauf sie wegen ihm verzichten musste. Wenn sie auch damit keinen Erfolg erzielte, dann kam der cholerische Tobsuchtsanfall. Dieser enthielt Vorwürfe, ausufernde dunkle Zukunftsvisionen und ständig den direkten Vergleich mit dem Taugenichts von Großvater. Joels Vater stimmte seiner Frau stets nur zu, ergriff selten Partei für seinen Sohn, floh lieber in seine Arbeit und mied das Familienleben, so gut er konnte. Hin und wieder fragte sich Joel, ob sein Dad überhaupt registrierte, dass er Frau und Sohn hat. Rhetorische Frage. Er kannte die Antwort.

Doch mit der Zeit änderte sich vieles. Allem voran Joel selbst.

Mittlerweile hat er dreißig Jahre Lebenserfahrung gesammelt, sein Studium gemeistert, nebenbei gearbeitet und bekam danach nahtlos eine Festanstellung bei einer renommierten Firma, wo er so manchen Erfolg verbuchen konnte. Dennoch war er nie glücklich. Seit er vom Tod seines Opas erfahren hatte, hinterfragte Joel, ob das wirklich das Leben war, welches er sich wünschte oder ob seine Mutter ihn mit ihren Manipulationen doch auf den von ihr bevorzugten Weg manövriert hatte.

Bereits seit einem Jahr schaute Joel morgens in den Spiegel und erkannte hinter der Maske des auf beruflicher Ebene strahlenden Mannes stetig wachsende Unzufriedenheit. Erfolgreich zu sein war schön, doch war es nicht das, was er eigentlich wollte. Er hatte alles und dennoch nichts. War reich und trotzdem arm. Traurig.

Desillusioniert stellte er sich seither jeden Tag dem Kampf gegen sich selbst. Der Gedanke, dass nun nicht mehr seine Mutter über ihn bestimmte, sondern die Arbeit ihn kontrollierte, behagte ihm keinesfalls. Stück für Stück zerfraß ihn die Überlegung, dass er wohl nicht mehr als ein unbedeutendes kleines Zahnrad im Mühlwerk der Gesellschaft ist.

Vielleicht war die Hoffnung auf eine erfolgreiche Flucht vor der eigenen Verbitterung und das Entkommen vor dem allgemeinen Zwang sich der Norm bis ans Lebensende anpassen zu müssen, ebenso Antrieb, wie der Wunsch den letzten Willen seines Großvaters zu erfahren, der ihn zur Testamentseröffnung gehen ließ.

Rückblickend war dies die beste Entscheidung seines Lebens. Denn er, Joel Turner, ist der Erbe des Vermächtnisses von Jasper Turner. Kurzum: Joel erbte die Bar, die sein Opa aufgebaut hatte und zwanzig Jahre lang führte.

Noch heute hat Joel jedes Wort im Kopf, dass aus dem Testament vorgelesen wurde.

Meiner Tochter, die mich vor zwanzig Jahren aus ihrem Leben strich, vermache ich nicht mehr als den Pflichtteil, der ihr zusteht. Alles, was sich sonst in meinem Besitz befindet, vererbe ich an meinen einzigen Enkelsohn, Joel Turner, auf dass er mir vergibt, dass seine Mutter mir den Kontakt zu ihm verboten hatte und ich mich nicht dagegen auflehnen konnte.

Natürlich nahm er das Erbe an. Sehr zur Entrüstung seiner Mutter, die ihren Tobsuchtsanfall über diese Entscheidung nur mit Mühe und Not unterdrücken konnte.

Nachdem sie dann ganze zwei Wochen nicht mit ihm gesprochen hatte, versuchte sie ihm diese fixe Idee auszureden, wollte ihm einen Verkauf schönreden. Aber ebenso gut hätte sie mit einer Wand sprechen können, die hätte ihr wenigstens zugehört. Joel hingegen fing an, den Gedanken zu lieben, aus diesem öden Ideal der Gesellschaft auszubrechen und den Lebensweg seines Großvaters zu beschreiten, um ihm die Ehre zuteilwerden zu lassen, die ihm zusteht.

Schlimm genug, dass Joel sich zeit seines Lebens durch den blanken Egoismus seiner überfürsorglichen, oberflächlichen, egoistischen Mutter hatte blenden lassen.

Durch nichts sind die zwanzig Jahre wiedergutzumachen, in denen er keinen Kontakt zu seinem Großvater hatte. Natürlich machte Joel sich auch unzählige Vorwürfe, dass er die Initiative hätte ergreifen können, aber letztlich war es nun zu spät und die Vergangenheit konnte man nicht ändern.

Für Joel stand fest, dass er die Bar nicht verkaufen, sondern sie selbst übernehmen würde. Da er während seines Studiums sehr oft im gastronomischen Bereich tätig war, wusste er, dass ihm das sicherlich Spaß macht. Kontakt mit Menschen, mit ihnen lachen und reden können, ohne den Zeitdruck eines strengen Chefs im Nacken, für den die Einnahmen mehr zählten als das Zwischenmenschliche. Ja, doch, er hatte sein Leben satt. Als seine Mutter bemerkte, dass er es ernst meinte, versuchte sie natürlich weiterhin alles, um Joel davon abzuhalten, sein abgesichertes Leben einfach wegzuwerfen, nur, um genauso ein Versager wie sein Großvater zu werden. Doch diesmal ließ er sich nicht weichklopfen, ganz gleich, mit welchen fadenscheinigen Argumenten sie ankam.

Nach all den Jahren, in denen er den Intrigen seiner manipulativen Mutter immer wieder auf den Leim gegangen war, wollte Joel diesmal nicht kleinbeigeben. Wie die Meinung seines Vaters dazu ist, kann er nicht sagen. Er ist eben mehr mit seiner Arbeit verheiratet, als mit seiner Familie und dass er einen Sohn hat, scheint ihm auch immer wieder dezent zu entfallen. Bei jeder geführten Diskussion war er ohnehin der Meinung seiner Frau. Obwohl er das eigentliche Thema nicht mal kannte. So ist es übrigens noch immer. Man kann getrost behaupten, dass sein Vater ein Pantoffelheld der Sonderklasse ist, dem das zu allem Ja-und-Amen-sagen ins Gehirn gebrannt wurde.

Letztlich aber konnte seine Mutter noch so ausrasten und ihn verteufeln, Joel hielt an seinem Vorhaben fest. Er kündigte seinen Arbeitsplatz und seine Wohnung. Der Umzug in sein neues Domizil ist genaustens geplant. So kommt Joel heute an, während seine Sachen in drei Tagen von einem Umzugsunternehmen geliefert werden. Dass er sich auf einen Arsch voll Arbeit einstellen muss, das wusste er ja von Anfang an.

Die Bar und auch die darüber liegende Wohnung, stehen seit Monaten leer. Grundlegend kann Joel nur hoffen, dass das Gebäude nicht Opfer von irgendwelchen Vandalen wurde. Gerne hätte er vorab eine Begutachtung vorgenommen, doch ihm fehlte dafür schlicht die Zeit. Wahlweise eher das Verständnis seines Ex-Chefs und seiner Familie. Letztere heißt seine Entscheidung nach wie vor nicht gut und hat ihm ungeschönt vorgetragen, dass ihn wahrscheinlich eine Müllhalde erwarten wird. Da muss Joel sich schlichtweg überraschen lassen. Immerhin hat er die Distanz zu seinem alten Leben auf seiner Seite. So bleibt ihm erspart, dass irgendwer spontan auf Besuch vorbeikommen könnte. Vorträge darüber, wie albern und unvernünftig sie seine Entscheidung finden, hatte Joel wahrlich schon genug gehört. Sollten sich all die Vermutung bestätigen und die Bar in einem miserablen Zustand sein, kämen wohl noch besserwisserische Belehrungen sowie Spott und Hohn dazu. Darauf hat Joel nun wirklich keine Lust.

Ihm stellt sich die Frage, ob jemand auf die Bar aufgepasst hat? Höchstwahrscheinlich nicht. Wobei, sicher hatte sein Opa Freunde, die einen fürsorglichen Blick auf alles hatten. Aber wussten die, dass sein Enkel alles erben würde? Konnten sie ahnen, dass er annehmen und kommen würde?

Es ist schon ein bisschen riskant. Joel weiß nicht, in welchem Zustand sich die Bar und die Wohnung befinden. Sicher kann er sich auch gewaltig auf die Nase packen, weil nichts so ist, wie er es sich erhofft. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

«Was du mache in dunkle Gegend wie diese?», hört er den Fahrer plötzlich fragen, klärt er seine Sinne und neigt den Kopf zur Seite.

«Ich besuche meinen Großvater», antwortet er einfach, ohne weiter auf die wahren Gründe einzugehen. Joel ist freundlich, aber er vertraut nicht jedem. Auch er musste die bittere Pille des Lebens mehrmals schlucken, bis er begriff, dass es manchmal besser ist, Distanz zu wahren. Man kann einem Menschen nicht ansehen, was für ein krankes, zerstörerisches Wesen sich hinter der lieblichen Maske verbirgt. Bestes Beispiel dafür, so findet Joel, ist seine Mutter.

«Ist gefährlich da. Polizei meidet. Nicht Hilfe, wenn Probleme. Bikergangs haben Kontrolle.»

Als wäre ihm das jetzt neu. Natürlich hat er sich über die Gegend schlaugemacht. Nicht mal er ist so dumm, einfach so auf blauen Dunst an einen ihm fremden Ort zu ziehen.

Joel erwidert nur ein «Hm» auf diese Worte, seufzt und richtet seinen Blick aus dem Fenster. Die vorbeiziehenden Fassaden der Häuser verändern sich. Aus gepflegtem Prunk wird allmählich mittelständischer Standard und dann folgt der abrupte Wechsel zu heruntergekommen und zerfallen.

«Wir da. Müssen vorsichtig sein», murmelt der Fahrer mehr zu sich selbst, als für Joels Ohren bestimmt.

Wahrscheinlich bereitet dem armen Kerl die Fahrt hierher mehr Bauchschmerzen, als Joel sich vorstellen kann. Für seine Dienste und Mühen wird der Taxifahrer auf jeden Fall gebührend entlohnt. Da wird nicht am falschen Ende gegeizt.

Vom strahlenden Leben der Großstadt ist hier nichts mehr zu sehen. Die Fassaden wirken düster und vermitteln eher eine traurige Hoffnungslosigkeit. Mit von den Wänden fallendem Putz, eingeschlagenen Fenstern, zerstörten Fahrrädern, deren Überreste an Laternenpfosten gekettet sind, trumpft diese Umgebung nicht gerade mit Lebensfreude.

Ein Blick gen Himmel zeigt dasselbe strahlende Blau, wie am Bahnhof vorhin. Dennoch fehlt hier jegliches Licht, dringt der wärmende Sonnenschein nicht mal annähernd bis zum Boden vor. Ganz komisch. Etwas Bedrückendes, Beklemmendes, fast schon Brutales liegt hier in der Luft. Nicht mal Joel kann sich dieser Gewissheit entziehen oder es leugnen.

Minuten fährt das Taxi durch die Straßen, wird dann langsamer und kommt endlich zum Stehen.

«Hier Straße», erfährt Joel den Grund für den Stopp. Er zückt sein Portemonnaie, richtet einen Blick auf das Taxameter, zieht einen Geldschein hervor und reicht diesen mit den Worten «Stimmt so» nach vorne.

Der Fahrer bedankt sich und betrachtet ungläubig die Banknote in seiner Hand. Joel lächelt, löst den Sicherheitsgurt, öffnet die Tür und steigt aus. Eilig verstaut er seinen Geldbeutel wieder in der Jackentasche, eilt an den Kofferraum, um sein Gepäck herauszuholen. Kaum hat er den Seesack geschultert, tritt er zurück auf den Gehweg, hebt flüchtig zum Abschied die Hand und setzt sich zeitgleich mit dem Taxi in Bewegung.

Nur noch wenige Meter trennen ihn von seinem neuen Zuhause. Den Fußweg bis zum Eingang nutzt er, um sich die Umgebung genauer anzusehen. Aber viel Spannendes gibt es hier nicht zu entdecken. Graue, triste Hausfassaden, immerhin mit intakten Scheiben in den Fenstern, ragen links und rechts der Straße empor. Menschenleere Straßen. Keine Seele ist zu sehen. Jeder seiner Schritte hallt durch die Stille, die wie ein trüber Schleier über allem liegt.

Und dann taucht es in seinem Sichtfeld auf. Das Haus, in welchem sein Großvater zwanzig Jahre lebte und arbeitete.

Es wirkt wirklich wie ein Lichtblick in all der monotonen Trostlosigkeit. Joel bemerkt, dass er beschleunigt. Das Bedürfnis, das Gebäude zu erkunden, die Sicherheit zu haben, dass alles okay ist mit der Bar, treiben ihn an. Das Gewicht des vollen Seesacks auf seinen Schultern erscheint auf einmal nebensächlich.

Als er ankommt, weiß er gar nicht, wohin er zuerst schauen soll. Hastig überfliegen seine Augen das sich ihm bietende Bild. Alles scheint intakt, nichts zerstört oder durch Vandalismus beschädigt zu sein.

Rechts befindet sich der kleine Parkplatz, sowie die Treppe, die nach oben in die Wohnung führt. Ein bisschen Müll liegt herum, aber der ist sicher schnell weggefegt. Der Eingangsbereich wirkt halbwegs sauber. Man kann nicht viel erkennen, denn die Vorhänge der beiden großen Fenster links und rechts neben der Tür sind zugezogen. An der Pforte hängt noch immer das Schild, welches den Tod von Jasper Turner verkündet. Auf den wenigen Stufen davor sind Überreste von Blumen und Kerzen zu erkennen. Es gab hier also Menschen, die um seinen Opa getrauert haben.

Sein Herz wird nun doch von einer immensen Schwere heimgesucht. Der Wunsch, das Innere der Bar zu erforschen, wächst an. Vorsichtig zieht er den kleinen weißen Umschlag aus seiner linken Jackentasche, öffnet diesen und entnimmt den Schlüsselbund mit sechs Schlüsseln. Er weiß, dass vier für die Bar und zwei für die Wohnung sind. Nun muss er nur noch herausfinden, welchen er hier benötigt.

Vorsichtig tritt er die Stufen hoch, betrachtet das Schlüsselloch und versucht auf gut Glück, welcher Schlüssel passen könnte. Der dritte ist es dann, der das Hauptschloss entsperrt. Mit rasendem Herz betätigt Joel den Griff, drückt diesen herab und öffnet die Tür in sein neues Leben.

Das ist übrigens sehr dunkel. Was sich von selbst erklärt, wenn die Vorhänge der Fenster verschlossen sind und somit jegliche Lichtquelle ausschließen. Langsam tritt er ein, liegt ein seltsamer Geruch in der Luft, der ihn erstmal die Nase rümpfen lässt. Mit ausgestreckten Armen vor sich hertastend, bahnt er sich, dank des Lichteinfalls durch die geöffnete Tür, den Weg zum linken der beiden großen Fenster, findet dabei einen Tisch, an dem er sich die Hüfte stößt und etwas mit Polstern, was ihn beinahe zu Fall bringt, ehe er endlich einen Vorhang öffnet und sich dann umdreht. Der Schmerz verfliegt, als der Zauber des Augenblicks ihn erfasst. Aufgewirbelte Staubpartikel schweben durch die Luft, machen den Anblick unvergesslich. Da steht die Theke, an der Jasper Turner zwanzig Jahre arbeitete. Das Herz der Bar, die sein Opa ihm vererbte.

 

2 - Das «Hideout»

 

Alle Sinne starr auf den Tresen gerichtet, schreitet Joel darauf zu, ist dies ein magischer Moment für ihn. Vor seinem inneren Auge sieht er seinen Großvater, der lächelt und ihm zunickt. Stolz und Dankbarkeit liegen in seinem Blick, ehe der Zauber verfliegt und Joel sich mit der Realität konfrontiert sieht. Er ist alleine hier, sieht man von Unmengen an Staub ab, der sich überall niedergelassen hat. So schweift sein Augenmerk durch den großen Raum, entdeckt er einen Lichtschalter, tritt darauf zu, betätigt diesen, doch bleibt es finster.

«Mist. Da war ja was mit dem Sicherungskasten», murmelt er und beschließt, jetzt nichts zu überstürzen, sondern Schritt für Schritt vorzugehen. Ohne Strom kann er hier eh nicht viel machen, außerdem drückt das Gewicht seines Gepäcks gehörig auf seine Schultern.

«Okay. Erst hoch in die Wohnung. Hoffentlich haben die hier den Strom nicht ganz abgestellt. Das würde mir ja gerade noch fehlen», nuschelt er vor sich hin, dreht sich um und verlässt die Bar, schließt wieder ab, biegt nach links und steuert auf den kleinen Parkplatz neben dem Gebäude zu. Sofort erkennt er die Treppe, folgt sein Blick deren Verlauf nach oben. Mit einem leichten Stöhnen erklimmt er die Stufen, kommt vor der Tür zum Stehen und sucht nach den richtigen Schlüsseln. Das laute Geräusch eines Motors lenkt seine Aufmerksamkeit kurz zur Straße, stoppt da ein Motorrad. Der Fahrer mustert ihn argwöhnisch, spuckt dann demonstrativ auf den Gehweg, sein Gesicht strahlt deutlich Abneigung aus.

Joel verdreht nur innerlich die Augen, entriegelt die Tür, öffnet sie und macht einen Schritt vorwärts, während das Motorrad weiter fährt. Hastig schaut er zurück, erkennt gerade noch «Rene», was ihm sofort zeigt, dass es sich dabei um ein Mitglied einer der beiden hier ansässigen Motorradgangs handelt. Die Anfangsbuchstaben machen deutlich, dass es wohl jemand von den Renegades war. Seine Ankunft ist also nicht länger geheim und sicher wird er ab jetzt unter Beobachtung stehen. Aber solange er sich nichts zu Schulden kommen lässt, werden sie ihn schon in Ruhe lassen. Hofft er. Darüber kann er sich den Kopf zerbrechen, wenn es angebracht ist. Im Moment hat er andere Sorgen. Die Liste dessen, was er noch alles erledigen muss, ehe er überhaupt an eine Eröffnung denken kann, ist ellenlang. Ganz davon abgesehen, dass er noch nicht abschätzen kann, wie viele Renovierungsarbeiten noch auf ihn zukommen. Um sich einen Überblick zu verschaffen, war es unten zu düster. Die Wohnung wird er jetzt in Augenschein nehmen. Er hofft einfach mal das Beste. Was anderes bleibt ihm ja nicht übrig.

Kaum eingetreten, stellt er seinen Seesack auf den Boden, sieht sich um und kickt die Tür hinter sich ins Schloss. Stickige Luft und Staub. Ansonsten scheint hier alles in bester Ordnung. Zumindest auf den ersten Blick kann er keine Mängel erkennen. Wenn Joel daran denkt, wie oft und wie vehement seine Mutter darauf beharrte, dass sein Großvater sein Leben nicht auf die Reihe bekommen würde. Der hier gezeigte Eindruck vermittelt etwas vollkommen anderes. Sicher, über die Einrichtung kann man streiten, aber das ist reine Geschmackssache. Alles, was hier steht erfüllt seinen Zweck. Den Ordnern ist es im Grunde auch egal, ob sie in einem billigen Regal stehen oder in einem, welches das halbe Monatsgehalt verschlungen hat. Was nutzt einem so ein Luxus-Regal, wenn am Ende kein Geld mehr da ist, um die Rechnungen aus den Ordnern zu bezahlen? Eben. Nichts. Luxusmöbel füllen am Ende auch nicht den hungrigen Bauch. Wobei, wenn Joel sich die Küche so betrachtet, dann ist er froh, dass er sich keine Neue gekauft hat. Man kann von der Einrichtung sagen, was man will, aber die Küche – die ist Porno!

Insgesamt vier Räume hat die Wohnung. Durch die Haustür kommt man direkt in den großen Wohnbereich, an den nahtlos der Essbereich sowie die Küche anschließen. Drei Türen zur rechten Seite führen ins Badezimmer, das Schlafzimmer und ein Büro. Im Kopf plant er schon, wo er die Möbel durch seine ersetzen wird. Nichts gegen den Geschmack seines Opas, aber das Sofa ist durch und wenn es ums Bett geht, ist Joel dann doch ein bisschen eigen. Wer weiß, was sein Großvater da alles drin getrieben hat. Vor allem: mit wem!

Seine erste Amtshandlung ist es, die Fenster zu öffnen, um ordentlich zu lüften. Dann prüft er den Strom, findet den Sicherungskasten im Büro, dreht den Saft an und schon hört er, wie der Kühlschrank anspringt. Zufrieden nickt er. Wenigstens die Wohnung hat Strom. Ein guter Anfang. Um die Energieversorgung der Bar wird er sich dann wohl morgen kümmern. Der flüchtige Blick auf die Uhr offenbart, dass er nicht mehr so viel Zeit hat, um noch ein paar Anrufe zu tätigen. Zwar hat er das meiste bereits vor seiner Abreise geregelt, aber da er die Zustände des Gebäudes nicht kannte, konnte er manche Angaben nicht vollständig tätigen. Und ehe er es verschiebt, vergisst und dann Ärger bekommt, will er die Informationen lieber gleich weiterreichen. Was gemacht ist, ist vollbracht. Ein guter Antrieb, vor allem, wenn er sich vor Augen führt, wie viel es noch zu tun gibt. Die Wohnung muss vorbereitet werden, ehe seine Sachen kommen. Dazu muss definitiv einmal grundgereinigt werden. Sobald er damit durch ist, wird er sich der Bar widmen. Alle Geräte überprüfen, saubermachen, die erste große Bestellung tätigen. Nein, Joel lässt sich nicht entmutigen. Er ist voller Tatendrang und Antrieb. Niemand hat gesagt, dass ein Neuanfang leicht wäre, geschweige denn, dass dieses Erbe bedeuten würde, er könnte sich in ein gemachtes Nest setzen und müsste nichts dafür tun. Also zückt er sein Smartphone und geht systematisch seine Telefonliste durch. Fast zwei Stunden dauert es, bis er damit fertig ist. Doch für eine Pause ist keine Zeit. Die Wohnung muss auf Vordermann gebracht werden.

«Auf geht’s!», ermutigt er sich selbst, fällt sein Blick zur Musikanlage, die auf einem Sideboard steht. Ohne zu zögern, tritt er darauf zu, betätigt einige Knöpfe und schon ertönen die ersten Töne eines Songs. Sofort dreht er etwas lauter und lauscht den Klängen, ist ziemlich überrascht, als sich ihm Rockmusik offenbart. Er wusste gar nicht, dass sein Opa sowas hörte. Gut, woher auch? Wann hätten sie darüber sprechen sollen? Auf jeden Fall gefällt ihm die Musik, fängt er einfach an, für Ordnung zu sorgen, sortiert ein paar Sachen und wischt Staub.

Es ist später Abend, als er sich sein mitgebrachtes Essen, eine Dose Ravioli, warm macht und diese vernichtet, ehe er erschöpft von der ganzen Arbeit auf das Sofa sinkt und es nicht lange dauert, bis der Schlaf der Erschöpfung ihn in die Schwärze reißt.

 

Der nächste Tag beginnt für Joel noch vor dem ersten Vogelgezwitscher. Insofern die Vögel hier überhaupt zwitschern. Die Nacht auf dem Sofa steckt ihm gehörig in den Knochen, vor allem im Nacken. Nach einer kurzen Stippvisite im Badezimmer kümmert er sich erst einmal um sein Frühstück. Kaffee und Müsli müssen reichen. Der Tagesplan ist schnell erstellt und eng gestrickt. Heute will er die Möbel, die er durch seine ersetzen möchte, rausstellen. Außerdem muss er das Inventar der Küche noch aussortieren. Sein Opa war ein reinlicher Mann, daran gibt es keine Zweifel, aber mit wild zusammen gewürfeltem Geschirr und Besteck, Töpfen, zu denen es keinen Deckel gibt, und Deckel, denen die Töpfe fehlen, kann Joel wenig anfangen. Manche Tassen sind bereits so in Mitleidenschaft gezogen, dass das bloße Einfüllen eines Heißgetränkes sie zerbersten lassen würde. Ein paar Stücke wird er aufheben, als Erinnerung an seinen Großvater. Doch weilen diese ja nicht in einem Getränkebehälter oder einer Gabel, sondern in Joels Herz.

Gegen Mittag ist es geschafft. Die aussortierte Küchenware hat er in Kartons verpackt und samt dem ausrangierten Interieur runtergebracht. Büro, Schlafzimmer und Essbereich sind leer. Einige Regale aus der Wohnecke mussten weichen. Nur das Sofa steht noch, denn bis seine Sachen da sind, braucht er ja etwas, worauf er schlafen kann. Wenngleich es ihm Nackenschmerzen bereiten wird, ist das alte Polstermöbel doch bequemer als der blanke Boden. Der Fortschritt in der Wohnung ist beachtlich. Joel hatte mehr Zeit eingeplant. Ein kleines Kaffeepäuschen ist also verdient. Während er sich das schwarze Gebräu schmecken lässt, prüft er via Handy, wo die nächste Einkaufsmöglichkeit ist. Da er nicht tatenlos herumsitzen möchte, bis seine Sachen eintreffen, will er schon mit der Bar anfangen. Dazu benötigt er Putzmittel. Die paar, die sein Opa noch hier hatte, hat er für die Wohnung aufgebraucht. Am Inhalt der Tasse nippend, hat er den nächstgelegenen Laden ausfindig gemacht. Zu Fuß ungefähr fünfzehn Minuten entfernt. Soweit kein Problem, doch mit zusätzlichem Gewicht in Einkaufstüten, dürfte der Rückweg nicht ohne sein. Kurz überlegt er, führt aber wohl kein Weg daran vorbei, dass er einkaufen gehen muss. Zumindest wenn er weitermachen möchte.

Eine halbe Stunde später verlässt Joel die Wohnung, macht sich auf den Weg zum Einkaufen. Kurzerhand hat er beschlossen, seinen Seesack mitzunehmen, der sich wunderbar anbietet, um darin die benötigten Dinge zu verstauen. Wenigstens verteilt sich das Gewicht dann auf seinen Schultern und hängt nicht, die Arme langziehend, ausschließlich an seinen Händen. Sein Gepäck hat er vorläufig auf die Kommode geschichtet. Zumindest bis seine Sachen geliefert werden und er einen Kleiderschrank hat, werden sie da am wenigsten stören. Er folgt dem Weg nach rechts, prüft noch mal, die wievielte Kreuzung es war, an der er abbiegen muss. Die Straßen sind wieder seltsam leer. Keine Menschenseele ist unterwegs. Joel fragt sich, ob hier überhaupt jemand lebt. Vielleicht hätte er gestern Abend einfach einen Blick aus dem Fenster werfen sollen, dann wären ihm sicherlich brennende Lichter in den Häusern aufgefallen. Er war allerdings so in sein Schaffen vertieft, dass er diese simple Sache nicht im Kopf hatte. Kein Wunder also, dass die Frage jetzt aufkommt, wo er erneut mit gähnend leeren Straßen konfrontiert ist. An der Kreuzung biegt er ab, folgt dem Weg ungefähr vierhundert Meter und ist ganz erstaunt, als er endlich Menschen sieht. Auf den ersten Blick sind das ganz normale Leute. Ein Pärchen, das seinen getätigten Einkauf gerade nach Hause trägt. Sie beachten ihn gar nicht weiter, er sie auch nicht. Wäre er auf derselben Straßenseite wie die zwei, hätte er sie ja gegrüßt, aber einmal über die Straße zu brüllen, erscheint ihm ziemlich aufdringlich. Außerdem würde er sich reichlich dumm dabei vorkommen. Joel will lieber unauffällig bleiben. Sobald er das Hideout eröffnet hat, gibt es genug Möglichkeiten für die Menschen, ihn zu treffen und kennenzulernen. Insofern diese die Bar überhaupt besuchen wollen.

Auf dem Parkplatz stehen zwei Autos und vier Motorräder. Fahrbare Untersätze scheinen hier nicht gerade zur Basisausstattung zu gehören. Joel überlegt, ob es nicht vielleicht sogar sinnvoller wäre, seine privaten Einkäufe ebenso wie den Barbedarf liefern zu lassen. Oder er legt sich ein Fahrrad zu. Ein PKW wäre zu prollig, damit würde er wahrscheinlich nur negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Keine gute Idee, wenn man hier Fuß fassen will. Er schnappt sich einen der Einkaufswagen und betritt den Supermarkt, der aufgebaut ist wie in jeder anderen Wohngegend auch. Es ist sauber, die Regale mit frischen Waren aufgefüllt, was er schon vorne bei der Obst- und Gemüsetheke festgestellt hat. Systematisch geht er Gang für Gang ab, wird sein Wagen immer voller. Schon bald stellt er sich die Frage, wie das ganze Zeug in seinen Seesack passen soll, noch wichtiger aber, wer die gefühlten hundert Kilo nach Hause schleppt. Aber es nutzt ja nichts, schließlich braucht er alles. Seufzend steuert er die Kasse an, fällt sein Blick auf das Alkoholregal zu seiner linken Seite. Ihn grinst das Bier an. Ab und an ein Bierchen ist fürwahr nicht zu verachten. Was hält ihn davon ab? Eben, nichts! Gerade will er den letzten Sechserpack einer Biermischung greifen, als eine Hand in sein Sichtfeld schießt, die es wohl ebenfalls auf den Träger abgesehen hat. Ein Blick neben sich zeigt einen Mann in einer schwarzen Lederjacke, dessen eisernes Augenmerk nun nicht mehr auf das Objekt der Begierde, sondern auf Joel gerichtet ist. Kurz nur mustert er den ihm Unbekannten, ehe er seine Hand zurückzieht und ihm beschwichtigend lächelnd den Sechser überlässt. Vielleicht ist es besser, wenn er ihn nicht kauft. Weniger zu schleppen. Wobei, die sechs Flaschen den Speck sicher auch nicht fetter machen, als er schon ist.

«Danke», sagt der Fremde, greift das Bier und tritt dann vor den Hartstoff. Joel nutzt die Zeit und geht zur Kasse. Die Prozedur, das Kassenband zu füllen, dauert eine gute Weile, ist er ehrlich gesagt froh, dass er beim Wiedereinladen in den Wagen die Hälfte seines Einkaufs schon in den Seesack räumen kann. So erkennt er, dass er ohne eine weitere Transporttüte den Laden gar nicht erst verlassen braucht. Die nette Dame an der Kasse trällert fröhlich den dreistelligen Betrag, den er löhnen muss, ächzt Joel, lächelt sie dann an und zückt das bewerte Stück Plastik, um zu bezahlen.

«Sind Sie neu hier?», fragt sie ihn sofort, überreicht ihm den Kassenzettel. Joel nickt, zwinkert ihr dann keck zu: «Sagen wir so, ich werde wohl häufiger zum Einkaufen vorbeikommen.»

Mit seinem vollen Wagen verlässt er den Laden und widmet sich draußen dem Verstauen des Einkaufs. Der Seesack ist zum Bersten gefüllt und auch die Tüte bietet keinen Millimeter Platz mehr. Der Rückweg entwickelt sich zu einem Höllenmarsch. Mit Auto wäre es wirklich einfacher gewesen. Aber wozu der unnötige Luxus? Es geht auch zu Fuß. Außerdem, so beschließt Joel, als er mit dem Extragewicht auf dem Rücken und in der Hand, die Treppe zur Wohnung erklimmt, kann er das definitiv als Sport verbuchen.

Minuten später ist der ganze Einkauf verstaut und er belohnt sich mit einer Tasse Kaffee und einem Schokoriegel. Alles, was er für die Bar braucht, hat er in die Tüte gepackt und wird mit dieser bewaffnet gleich runtergehen, um sich zumindest schon mal einen ersten Überblick zu verschaffen. Bestimmt gibt es da auch eine Anlage, um für musikalische Untermalung zu sorgen. Mit Musik geht alles leichter. Und er hat herausgefunden, dass er den Musikgeschmack seines Opas richtig gut findet.

Zehn Minuten später verlässt Joel die Wohnung, geht mit der vollen Tasche in der Hand und einer noch erbeuteten Karotte im Mund, an den Eingang der Bar. Kaum hat er die Schlösser entriegelt, tritt er ein und steht vor demselben Problem wie bereits am Vortag. Kein Licht.

«Intelligent, Mister Turner!», tadelt er sich selbst, zückt sein Handy, schaltet die Taschenlampe ein und folgt dem Licht vor sich bis hinter die Theke. Die dort befindliche Tür, so hat er durch den Grundriss aus dem Büro entnommen, führt in die Küche, von wo aus man nach links zum Lagerbereich gelangt. Dort soll sich der Sicherungskasten für die Bar befinden. Ein komplexes und altes System, welches sich scheinbar über die Jahre bewährt hat, denn der unscheinbare Kasten ist wirklich da, wo er im Plan eingezeichnet ist. Mit der Handytaschenlampe leuchtet Joel die kleinen Zettelchen an, auf denen steht, welche Sicherung für was ist.

«Kühllager, Trockenlager, Küche, Theke, Barraum, Toiletten, Außenbeleuchtung», liest er und betätigt alle, bis auf die Letzte. Draußen benötigt er noch kein Licht.

Ein bisschen erleichtert ist er schon, dass ihm der ganze Kasten nicht doch um die Ohren geflogen ist. Zufrieden tritt er wieder in die Bar und sucht nach den Lichtschaltern.

«Und Gott sprach: es werde Licht», sagt er neckisch und betätigt diese. Erleuchtung! Zwei Fingerwische auf dem Display seines Smartphones, schon erlöscht die leuchtende Notlösung, kann Joel irgendwie gar nicht wirklich fassen, dass dies die Bar ist, die er bald eröffnen möchte. Das Erbe seines Großvaters in voller Pracht.

Seine Augen verschlingen jedes noch so kleine Detail, tritt er vor die Theke, mittig in den Raum, begutachtet alles, dreht sich einmal um sich selbst.

«Yeah!», entweicht ihm, grinst er, hat er mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass er sich beim ersten Anblick des Ladens gleich so wohl fühlen würde.

Es ist eine richtige Bar. Nicht so ein luxuriöser Nobelschuppen, wo man nur überteuerte Cocktails schlürfen kann, sondern eben ein Laden, wo man zu seinem Bier einen Kurzen runterkippt, während im Hintergrund Rockmusik läuft.

Er sieht den Billardtisch, die Dartscheibe, gemütliche Sitzecken, einige Tische und natürlich das Herzstück, die Theke der Bar mit ihren Hockern.

Andächtig streichen seine Finger über die raue Maserung des Holzes, aus dem der Tresen gefertigt ist.

«Ich werde dich und dein Erbe in Ehren halten, Opa», sagt Joel, atmet tief durch, öffnet den Reißverschluss seiner Zipperjacke, streift diese ab und wirft sie auf einen der Hocker.

«Aber erstmal alles logistische», murmelt er sich selbst zu, stößt die Luft aus und renkt sich die Nackenwirbel ein.

«Naja, fast. Erstmal Musik.» Mit diesen Worten tritt Joel hinter die Bar und sorgt für die nötige Beschallung, dreht die Lautstärke etwas höher und macht sich dann an die Arbeit.

Zu rockigen Tönen einer ihm unbekannten Band räumt er die erworbenen Sachen aus der Tüte, krallt sich Block und Stift und verschwindet dann im hinteren Bereich. Küche und Lager werden auf Funktionalität und Zustand geprüft.

Hinten ist so weit alles okay. Die Lager müssen nur gefegt werden, die Tiefkühltruhen ausgewischt und die Küche ordentlich geputzt. Vielleicht sollte sich noch mal jemand den Wasserhahn anschauen, der wackelt verdächtig. Vorne geht es weiter. Einige Glühbirnen sind durch, der Abfluss der Theke ist verstopft, dem Tresen könnte ein neuer Anstrich nicht schaden. Ein Spiegel in der Frauentoilette ist kaputt. Zwei Hocker knarzen recht laut und sehen nicht mehr wirklich sicher aus. Zusammengefasst sind es nur Kleinigkeiten. Alles machbar.