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Sein Schicksal ist der Thron. Doch welcher, wird sich erst noch entscheiden. Denn er vereint in sich das Erbe der dunklen Dämonen und der magischen Ignis ... Schon seit sie denken kann, lebt Arina in der sagenumwobenen Stadt Hamesta. Als Wächterin der Shaas, setzt sie alles daran, die mächtigen göttlichen Wesen zu beschützen. Auch wenn das bedeutet, die Mauern des geheimen Ortes hinter sich zu lassen und sich einer Welt zu stellen, die nicht nur Irrlichter, Elben und Drachen für sie bereithält, sondern auch Nathiel, den Prinzen der Dämonen ... Der Kampf um Mederia geht weiter – DAS Lesevergnügen des Jahres für alle Fans von Fantasy-Liebesromanen mit Suchtfaktor! //Dies ist der vierte Band der magisch-romantischen High-Fantasy-Buchreihe »Kampf um Mederia« von Sabine Schulter. Alle Bände der Buchserie bei Impress: -- A Kingdom Darkens (Kampf um Mederia 1) -- A Kingdom Resists (Kampf um Mederia 2) -- A Kingdom Shines (Kampf um Mederia 3) -- A Kingdom Fears (Kampf um Mederia 4) -- A Kingdom Stolen (Kampf um Mederia 5) -- A Kingdom Beyond (Kampf um Mederia 6)//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Sabine Schulter
A Kingdom Fears (Kampf um Mederia 4)
Sein Schicksal ist der Thron. Doch welcher, wird sich erst noch entscheiden. Denn er vereint in sich das Erbe der dunklen Dämonen und der magischen Ignis …
Schon seit sie denken kann, lebt Arina in der sagenumwobenen Stadt Hamesta. Als Wächterin der Shaas, setzt sie alles daran, die mächtigen göttlichen Wesen zu beschützen. Auch wenn das bedeutet, die Mauern des geheimen Ortes hinter sich zu lassen und sich einer Welt zu stellen, die nicht nur Irrlichter, Elben und Drachen für sie bereithält, sondern auch Nathiel, den Prinzen der Dämonen …
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Danksagung
© privat
Sabine Schulter wurde 1987 in Erfurt geboren, lebt nun aber mit ihrem Mann in Bamberg. Trotz ihres abgeschlossenen Oecotrophologie-Studiums fokussierte sie sich auf das Schreiben von Fantasy-Büchern. Sie liebt das Spiel mit den Emotionen und möchte ihre Leser tief in ihre Bücher ziehen, die oft von dem Zusammenspiel der Protagonisten untereinander geprägt sind. Viel Spannung gehört in ihre Geschichten genauso wie ein Happy End und unvorhergesehene Wendungen.
Für Nathiel – deine Geschichte musste einfach geschrieben werden
»Verflucht, verflucht, verflucht«, zischte Arina zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und rannte noch schneller über den gepflasterten Weg. »Das wird verdammt eng. Wieso müssen Nächte nur so kurz sein?«
Gehetzt blickte sie hinauf in den noch dämmrigen Himmel. Von ihrer Position aus erkannte sie einzig einen Bruchteil davon, weil gigantische Felsklippen über ihr aufragten, ihre Welt einschränkten und dafür sorgten, dass sie sich klein fühlte. Aber sie war diesen Anblick, dieses Gefühl in ihrem Inneren so gewohnt, dass sie all das kaum bemerkte. Wichtiger war, dass die vereinzelten Wolken in das erste Rosa des anbrechenden Tages getaucht wurden und ihre Zeit damit knapper war, als sie befürchtet hatte. Bitter knirschte sie mit den Zähnen, aber schneller konnte sie nicht, ohne außer Puste zu geraten.
Das hieß, dass es Zeit für eine Abkürzung war.
Ihr Blick zuckte über die Steinhäuser, die jede freie Stelle in der Schlucht einnahmen, die sie ihre Heimat nannte. Hauswand stand dicht an Hauswand und selbst die Straßen wirkten zu eng für all die Menschen, die hier lebten. Zudem bestand immer Gefahr, sich in dem schmalen Gewirr aus Gängen zu verlaufen. Aber Arina durchstreifte sie schon ihr gesamtes Leben und kannte jede einzelne Ecke, was ihrer Ausbildung zu verdanken war. Ohne sie würde sie nun wahrscheinlich zu spät kommen, weswegen sie dankbar für den harten Drill war, den sie oft genug verflucht hatte.
Ohne langsamer zu werden, bog sie in eine Gasse ein, schlängelte sich geschickt an Kisten eines Obsthändlers vorbei und erreichte nur eine Minute später eine steile Treppe. Diese verband die verschiedenen Terrassen, in denen ihre Heimatstadt angelegt war, doch Arina schenkte den ausgetretenen Stufen kaum einen Blick. Stattdessen sprang sie, ohne zu zögern, über den Handlauf. Dass sich dahinter ein fünf Meter tiefer Abgrund auftat, ehe die nächste Straße in Reichweite kam, kümmerte sie wenig. Eine Frau, die ebenfalls zu ungewohnt früher Stunde unterwegs war, schrie erschrocken auf, als Arina auf dem Pflaster aufkam, geschickt abrollte und weiterrannte.
»Entschuldigung«, rief Arina über die Schulter hinweg, ignorierte die wütende Entgegnung jedoch. Sie hatte es eilig und der Grund dafür rechtfertigte jedes unhöfliche Verhalten. Das sah die Frau wahrscheinlich im Moment anders, wenn sie aber wüsste, wohin Arina unterwegs war, hätte sie sie sofort zu noch größerer Eile angetrieben.
Mit Verdruss stöhnte Arina, als sie die Hauptstraße erreichte, die sie direkt zu ihrem Ziel bringen würde – und sah, wie viel Strecke noch zu überbrücken war. Zwar fühlte sie sich geehrt diese Aufgabe erhalten zu haben, aber sie war niemand, der für morgendliche Arbeit gemacht war. Dafür schlief sie viel zu gern aus. Doch sie musste die Katakomben betreten, noch bevor der erste Sonnenstrahl die Klippen über ihr erreichte. Ansonsten würde sie fürchterlichen Ärger bekommen.
Vor ihr wurde der Platz zwischen den beiden Steilhängen enger, die Klippen strebten aufeinander zu und an der Stelle, wo sie sich berührten und damit ihre Heimat begrenzten, führten Stufen hinauf zu einem kunstvollen Portal, das mehrere Meter maß. Seine steinernen Flügel waren geschlossen und mächtige Säulen flankierten es. Steinmetze hatten detailreiche Szenarien hineingemeißelt, die die Geschichte Mederias erzählten. Sie bildeten den Zugang zu ihren Tempeln, wo sie allen Göttern des Landes huldigten. Da sie sich aber weit im Norden Mederias befanden, lag ihr Fokus vor allem auf den hellen Göttern sowie der Göttermutter, die ihr Land erschaffen hatten und schützten.
Arina kannte jede einzelne Geschichte von ihnen und bereute es bis heute nicht, ihnen ihr Leben verschrieben zu haben. Erst vor einem Jahr hatte sie die Priesterweihe empfangen und sich Romalias angeschlossen, dem hellen Gott der Erde.
Voller Stolz lächelte sie, bemerkte dann jedoch erschrocken, dass sie, in ihre Gedanken vertieft, langsamer geworden war, und rannte sogleich wieder schneller über die Straße. Hier, nah bei den Tempelanlagen, traf sie auf mehr Menschen als in den schmalen Gassen – und sie allesamt starrten sie überrascht an, als sie an ihnen vorbeikam. Wüst fluchte Arina.
»Jaja, ich weiß. Ich bin spät dran«, murmelte sie. »Ihr müsst mich nicht so vorwurfsvoll anschauen.«
Beinahe jeder innerhalb von Hamestas Grenzen kannte Arina und die Aufgabe, die ihr zugeteilt worden war. Nicht dass ihre Stadt wenige Einwohner hätte oder jeder der Priester stadtbekannt wäre. Es lag an der Aufgabe an sich genauso wie an Arinas außergewöhnlichem Haar. Unwirsch wischte sie sich eine der rotblonden Strähnen aus dem Gesicht. Für gewöhnlich liebte sie diese Farbe, die es normalerweise in diesen Breitengraden nicht gab. Schließlich hatte sie dazu geführt, dass Arina die wichtigste Arbeit unter den Priestern bekommen hatte. Aber sie fiel leider viel zu schnell auf und wenn die Großpriesterin von ihrer Verspätung hörte … Arina schluckte und gab noch einmal mehr Kraft in ihre Beine.
Als sie die Stufen vor der Tempelanlage erreichte, sprang sie, immer drei auf einmal nehmend, hinauf und steuerte eine kleine, unscheinbare Tür links neben dem großen Portal an. Dort stand ein Krieger, ansehnlich in seiner Rüstung, mit einem Speer in der Hand und hob eine Augenbraue, als er sie sah.
»Morgen, Zhef«, begrüßte sie ihn und sprintete an ihm vorbei. »Wehe, du verpetzt mich.«
»Das kostet dich aber was«, rief er ihr hinterher.
Sie winkte als einzige Antwort und ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Zhef war nur wenige Jahre älter als sie und zusammen hatten sie ihre jeweilige Ausbildung bei den Tempelanlagen begonnen. Wahrscheinlich würde er auch den Mund für sie halten, wenn sie ihm keine Wiedergutmachung bieten würde. Aber so war sie nicht. Eine Gefälligkeit würde sie nicht unerwidert lassen. Mit Zhef im Rücken atmete sie auf und verlangsamte ihren Schritt so weit, dass sie einen längeren Blick in die gigantische Halle werfen konnte, die sich vor ihr auftat.
Tief hatte sich ihr Volk hier in den Fels gegraben und einen Ort geschaffen, der sicherlich alle Bewohner Hamestas auf einmal aufnehmen könnte. Stattdessen standen jedoch genau zweiundzwanzig Statuen in einem perfekten Kreis verteilt auf dem mit Marmor ausgelegten Boden. Jede einzelne von ihnen war größer als ein dreigeschossiges Haus und zeigte einen von ihren elf hellen und elf dunklen Göttern. Die hellen bestanden aus Kalkstein, wogegen die dunklen aus Obsidian gefertigt waren – beides Materialien, die in Hamestas als sehr kostbar galten. Und in ihrer Mitte, noch größer als die anderen und aus weißem Marmor mit schwarzen Einfassungen hergestellt, ragte die Muttergöttin auf. Immer wenn Arina sie betrachtete, spürte sie eine Art Ruhe in sich aufkommen und auch jetzt zupfte ein Lächeln an ihren Lippen. In diesen Momenten wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass sie den richtigen Weg in ihrem Leben eingeschlagen hatte.
»Arina!«
Erschrocken fuhr sie zusammen und merkte erst jetzt, dass sie innegehalten hatte. Schnell wirbelte sie herum und wollte sich wieder auf den Weg machen, aber eine Frau trat an einer der Säulen vorbei, die die Höhlendecke stützten. Viele Falten hatten ihr Gesicht vereinnahmt, der lange Dienst im Namen der Götter hatte sie ausgemergelt. Aber das Leben zeigte sich stark in ihren hellen, beinahe goldenen Augen. Wütend stemmte sie die Hände in die Taille und betrachtete Arina mit derart viel Missbilligung, dass diese schuldbewusst die Schultern hob und den Kopf einzog. »Großpriesterin Kaloris, guten Morgen.«
»Von wegen«, unterbrach die ältere Frau sie streng. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Durchaus, ja, deswegen bin ich ja so außer Puste.« Schnell sprach sie weiter, als sie das Gewitter erkannte, das sich in den klugen Augen ihrer Mentorin anbahnte. »So gern ich Euch auch zuhören würde, wie Ihr mich maßregelt, die Shaas warten. Können wir das auf später verschieben?«
»Nein«, erwiderte Kaloris augenblicklich und Arina verstand, wie wütend die Frau wirklich war.
Ihre Mentorin wandte sich ab und winkte sie hinter sich her – zu ihrer Erleichterung Richtung Katakomben. Das hieß, dass Arina ihre Privilegien noch nicht verspielt hatte, allerdings während des ganzen restlichen Weges Kaloris’ Vorhaltungen ertragen musste. Als sie seufzte und der älteren Frau folgte, fiel ihr Blick auf Zhef, der seinen Posten verlassen hatte und an dem Durchgang zur Halle lehnte. Durch den langsam heller werdenden Morgen draußen konnte sie es nur schwer erkennen, aber er grinste sie definitiv schadenfroh an.
Wirklich? Du gönnst mir die Rüge?, dachte sie und ließ diesen Gedanken überdeutlich in ihrem Gesicht niederschlagen. Aber Zhef, der Idiot, grinste nur noch breiter und Arina schwor sich ihn das büßen zu lassen. Vorerst folgte sie jedoch der Großpriesterin zu einem Portal auf der linken Seite des Tempels. Es war eines von dreien, die für alle bis auf sie beide verschlossen waren, um Hamestas wichtigstes Gut zu schützen.
Klimpernd holte Kaloris einen Schlüsselbund hervor, was Arina gar nicht gefiel. Es war eigentlich ihre Aufgabe aufzuschließen. Aber sie blieb still und lauschte den rügenden Worten der anderen Frau. »Das ist schon das dritte Mal seit Antritt deiner Pflichten, dass du so knapp hier erscheinst, Arina. Erinnerst du dich noch an den Tag, als ich dir diese wichtige Aufgabe anbot? Ich habe dich gefragt, ob du bereit bist so früh aufzustehen. Schließlich kenne ich deine Liebe zum Ausschlafen. Was hast du mir geantwortet?«
Arina seufzte. »Dass ich für die Shaas gern früh aufstehe.«
»Und was habe ich darauf gesagt?«
»Dass Ihr mir die Aufgabe entzieht, wenn ich sie nicht zu Eurer vollständigen Zufriedenheit erfülle. Aber Großpriesterin …«
Sie unterbrach sich, als Kaloris die Hand hob, das Portal aufschloss und hindurchtrat. »Jetzt erklär mir nicht, dass du ja noch rechtzeitig hier angekommen bist.«
Arina folgte ihr, zog ihren eigenen Schlüssel und verschloss das Portal hinter sich, ehe sie zu der Großpriesterin aufholte. »Aber die Shaas werden nicht merken, dass ich knapp dran war. Bis ich bei ihnen bin, hat sich auch mein Atem beruhigt. Es ist alles so, wie Ihr es Euch gewünscht habt.«
»So?«, fragte Kaloris und betrachtete sie abschätzig aus den Augenwinkeln. Sie war eine Ehrfurcht gebietende Frau mit einer solchen Grazie, dass Arina sogleich aufrechter lief und darauf achtete, einen weiblicheren Gang anzunehmen. »Sag, Arina, hat man dich quer durch die Stadt rennen sehen?«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Das ist möglich.«
Kaloris seufzte. »Du bist eine Priesterin, Arina, und dazu noch die Hüterin der Shaas. Du hast damit eine Vorbildfunktion und solltest dementsprechend handeln. Wie ein Botenjunge durch die Straßen zu hetzen geziemt sich nicht. Ich habe zwar ein gewisses Maß an Verständnis gegenüber deiner Jugend, aber wenn du deinen Posten behalten willst, musst du zuverlässiger werden. Hast du verstanden, Arina?«
Wenn sie noch ein einziges Mal ihren Namen dermaßen vorwurfsvoll sagte, würde Arina laut losschreien, das schwor sie sich. Bisher hatte sie ihre Aufgabe immer rechtzeitig erledigt und sie persönlich fand es nicht weltbewegend, dreimal innerhalb eines Jahres knapp dran gewesen zu sein. Aber Kaloris war da anderer Meinung und Arina würde sich niemals gegen ihr Wort stellen. Daher neigte sie demütig den Kopf. »Ja, das habe ich verstanden. Entschuldigt, Großpriesterin.«
Sie hielt diese Pose bei, während sie weitergingen. So sah Arina zwar nicht, wohin sie ging, aber das musste sie auch nicht. Sie kannte den Weg blind.
Da legten sich Kaloris’ zarte Finger auf ihren Kopf. Ruckartig richtete Arina sich auf und starrte ihre Mentorin über diese vertraute Berührung überrascht an. Die ältere Frau lächelte sogar. »Es freut mich, dass du so verständig geworden bist, Arina. Früher hättest du dich durchsetzen wollen, mir vorgeworfen an veralteten Sitten festzuhalten und mich mit Nachdruck dazu angehalten, dir deinen eigenen Weg zu lassen. Aber so funktioniert eine Priesterschaft nicht. Natürlich dürfen auch wir uns verändern, aber bestimmte Abläufe müssen zwingend beibehalten werden. Wie die Aufgabe bei den Shaas. Scheinbar hast du das verstanden.« Ihre Lippen zuckten amüsiert. »Sag nicht, dass unser kleiner Wirbelwind erwachsen wird.«
Schief grinste Arina. »Das bin ich schon seit Jahren, Großpriesterin. Ihr seht mich nur gern als das kleine Mädchen, als das ich zu Euch gekommen bin. Aber ich bin dreiundzwanzig und schon hier, seit ich vierzehn war. Sogar einen Funken Göttlichkeit habe ich mir schon verdient, was selten in so einem Alter passiert. Ihr dürft ruhig ein wenig stolz auf Eure Ziehtochter sein.«
Erheitert lachte Kaloris. »Das überlege ich mir noch, je nachdem, wie du dich in nächster Zeit bei den Shaas machst.«
Ein berechnender Blick traf Arina, während sie durch einen schmucklosen Gang liefen. Dieser war mit den gleichen Marmorplatten wie in dem großen Saal ausgelegt, seine Wände mit Zedernholz getäfelt. Nur gelegentlich erhellte eine magische Lampe den Weg und tauchte alles in ein dämmriges Licht. Niemand von außerhalb würde vermuten, dass hier der wichtigste Schatz Hamestas verborgen lag.
»Sag, wenn du schon hierher hetzen musstest, hast du das wenigstens für ein Training genutzt?«
Arina verkniff sich ein stolzes Lächeln. »O ja, das habe ich tatsächlich. Es war nicht nur ein gutes Ausdauertraining, ich bin auch die Nordtreppe hinabgesprungen und ohne Fehl und Tadel unten aufgekommen.«
Anerkennend nickte Kaloris. »Man kann sagen, was man will, aber du bist mit Abstand unsere beste Geländekämpferin. Vielleicht solltest du doch jeden Morgen so knapp kommen, damit du nicht nachlässt.«
Arina lachte heiter. »Da braucht Ihr Euch keinerlei Sorgen zu machen. Nach seiner Morgenschicht hält mich Zhef gut auf Trab. Heute ist wieder Sparring auf den Klippen geplant.«
Zufrieden schwieg Kaloris und ging weiter. Gemeinsam passierten sie auch die zweite Tür, die sie von den Shaas trennte, und Arina fragte sich langsam, ob ihre Mentorin heute dabei sein wollte, wenn sie die Shaas versorgte. Das war bisher noch nie passiert. Wollte Kaloris überprüfen, ob sie wirklich geeignet war diese Aufgabe weiterhin zu erledigen? Schwer schluckte Arina.
Eine Treppe tauchte vor ihnen auf, die in einem sanften Bogen hinabführte. An ihrem Ende würde ein letztes Portal auf sie warten – und dahinter die Shaas. Wie immer, wenn Arina in den heiligsten Bereich ihrer Heimat kam, spürte sie Ehrfurcht und Dankbarkeit, dass sie täglich hierher zurückkehren durfte.
Kaloris blieb vor der ersten Stufe stehen und wandte sich Arina zu, weshalb auch sie innehielt. Nervös trat sie von einem Bein auf das andere, weil die Zeit zerrann und sie so schnell wie möglich zu den Shaas wollte. Aber ihre Mentorin wusste schon, wie lang sie sie aufhalten konnte. Ernst betrachtete sie Arina. »Dir ist klar, dass du nicht in der Stadt leben musst.«
Innerlich seufzte Arina. Dieses Thema also wieder. »Ja, und ich schätze es, dass Ihr mir einen Raum innerhalb der Tempel anbietet, aber ich wohne gern zwischen den anderen Bewohnern Hamestas.« Sie blickte auf die Wand Richtung Süden, hinter der sich die Stadt ausbreitete. »Ich lebe für den Dienst an den Göttern, aber ich will nicht den ganzen Tag in diesem Felsdom verbringen. Ich möchte das erleben, was uns die Götter geschenkt haben, unter ihren Schützlingen leben … die Welt sehen.«
Ein trauriger Ausdruck tauchte in Kaloris’ alten Augen auf. »Deine Sehnsucht bedeutet nichts Gutes, Arina. Wenn das so weitergeht, wirst du bald mehr wollen. Mehr von der Welt, mehr von den Wundern Mederias. Aber das geht nicht.«
»Ich weiß«, flüsterte Arina. Sie sagte sich jeden Tag, dass es den Leuten dieser Stadt verboten war, ihre Heimat zu verlassen. Es diente dem Schutz der Shaas und selbst Händler durften die Grenzen Hamestas nicht überschreiten. Jeder, der das tat, musste bleiben. Ausnahmslos. Und das galt auch für Arina, obwohl sie sich schon lange wünschte mehr von der Welt zu sehen. Aber sie wusste, dass die Shaas es wert waren, für sie ein Leben innerhalb der Stadt zu verbringen. Und Hamesta war ja auch keine kleine Stadt. Daher lächelte sie ihre Mentorin beruhigend an. »Ihr müsst Euch keine Sorgen machen. Ich bin hier glücklich.«
Zufrieden nickte Kaloris. »Der junge Zhef hat da bestimmt seine Finger im Spiel, oder?«
Arina lachte unverbindlich. Sie würde ihrer Ziehmutter gegenüber sicher nicht zugeben, dass Zhef und sie einzig Freunde waren. Das zwar schon ziemlich lang und sie beide wussten, dass alle dachten, sie würden irgendwann ein Paar werden, aber für sie war das ausgeschlossen. Sie fühlten sich wie Geschwister und das würde sich auch nicht ändern. Aber Arina wollte Kaloris auch nicht enttäuschen. Daher zeigte sie die Treppe hinab. »Darf ich mich nun verabschieden?«
Die Großpriesterin nickte wohlwollend. »Mach deine Arbeit gut und berichte mir nachher, wie es ihnen geht.«
Tief verneigte sich Arina vor der anderen Frau und eilte dann die Stufen hinab. Mit jeder, die sie nahm, schlug ihr Herz vor Freude schneller. Zu den Shaas zu gehen war das Beste jedes Tages und wenn sie keine Langschläferin wäre, würde sie wahrscheinlich schon weit vor Sonnenaufgang hierherkommen. Aber ach, das Aufstehen fiel ihr schwer …
Ihre Füße flogen nur so über die Stufen und die letzten fünf nahm sie mit einem Satz. Vor ihr öffnete sich nun ein kreisrunder Raum, der in dreiundzwanzig Boxen unterteilt war, wie man sie auch in Ställen für Pferde finden konnte. Im Moment waren sie leer, aber gleich würde Arina die Shaas hereinführen, um sie zu versorgen. Gegenüber der Treppe befand sich ein steinernes Tor, das sich einzig mit Göttlichkeit öffnen ließ. Dahinter breitete sich die Koppel der Shaas aus und damals, als Arina das erste Mal hierhergekommen war, hätte sie sich nie träumen lassen, so ein Wunder in den Tiefen der Erde zu entdecken. Denn die Shaas lebten in einer Höhle, die mit den schönsten Weiden der Oberwelt mithalten konnte. Weiches saftiges Gras wiegte sich in einem Wind, den die Shaas auf magische Weise erzeugten. Ein Schimmer erfüllte den ganzen Bereich, der von keiner bestimmten Quelle stammte, sondern einfach da war, und Wasser floss rauschend einen Hang herab, um sich in einem gigantischen See zu sammeln und als Fluss durch die Steppenlandschaft zu wandern. Zwar war sie noch niemals dort gewesen, aber so stellte sich Arina die Takara-Steppe vor, die einen Großteil von Nord-Mederia einnahm.
Dass es hier so einen besonderen Ort gab, war nur den Göttern und den Shaas zu verdanken. Die göttlichen Tiere ähnelten Gazellen mit verschlungenen goldenen Hörnern, an denen sich natürliche Göttlichkeit sammelte. Diese konnten die Shaas auf eine Weise, die Arina nicht ganz verstand, verändern und damit nutzbar machen. Es war Arinas Aufgabe, die Shaas zu versorgen, sie gesund zu halten und all ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Und sie liebte diese Arbeit!
Bevor sie das Tor jedoch öffnete, betrat sie die Boxen, prüfte, ob sie sauber waren und sich auch nirgends eine Stelle fand, an der sich die Tiere verletzen konnten. Dann verteilte sie frisches Stroh auf dem Boden und Heu in den Futterstellen. Während der gesamten Zeit lauschte sie auf ihr Inneres, um den perfekten Zeitpunkt abzupassen. Die Shaas würden ihr mitteilen, wenn die Sonne die Klippen berührte und sie herauswollten.
Doch heute dauerte das überraschend lang.
Arina runzelte die Stirn, als sie mit den Vorbereitungen fertig wurde und noch immer kein Ruf sie erreichte. Dabei war sie doch so knapp dran gewesen und hatte sich extra beeilt … Aber vielleicht hatte sie sich verschätzt? Sie zuckte mit den Schultern und setzte sich auf einen der Heuballen, um abzuwarten. Doch die Minuten verrannen und nichts geschah. Arina wurde nervös und blickte immer wieder zu dem verschlossenen Tor. Stimmte vielleicht irgendetwas nicht? Sie zwang sich sitzen zu bleiben, denn schon oft hatte ihre Ungeduld sie zu schnell handeln lassen. Als weitere Minuten verstrichen, war sie sich jedoch sicher, dass etwas passiert sein musste. Waren die Shaas vielleicht krank?
Schwer schluckte Arina und sprang von dem Heuballen. Kurz überlegte sie die Großpriesterin zu holen, aber wenn sie sich täuschte, würde es ziemlichen Ärger geben. Also trat sie an das Portal und berührte es mit den Fingerspitzen. Sofort flammten Hunderte Runen auf, die viele Wächtergenerationen vor ihr gezeichnet hatten. Jeden Tag speiste Arina sie mit ihrem eigenen Funken Göttlichkeit und auch nur mit ihm konnte sie den Stein, der den Zugang zu den Weiden versperrte, beiseiteschaffen. Die Macht in ihrem Inneren nahm deutlich ab, als Arina die Öffnungsrune aktivierte. Der Stein setzte sich wie gewohnt in Bewegung, brach in zwei Teile und gab einen Durchgang preis.
Arina erwartete das helle Licht der Steppe, doch stattdessen empfing sie eine Dunkelheit, die düsterer war als alle Schwärze, der sie je begegnet war. Selbst die lichtlosen Kammern in den steinernen Tempeln waren nicht so finster. Und das vor ihr war nicht einmal unbeweglich. Es pulsierte wie ein unnatürliches Herz, rotes Licht zuckte in seinem Inneren und ihr schlug eine bösartige Aura entgegen, die sie wie ein Schlag ins Gesicht traf.
Arina schrie gequält auf und konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie auf die Knie fiel. Ein Grauen griff nach ihrer Seele, das sie zum Erzittern brachte, und ohne dass sie es verhindern konnte, brach ihre Göttlichkeit aus ihr hervor, um sie wie ein Schild zu schützen.
Voller Entsetzen verstand Arina, was da vor ihr wallte und sich in diesem Moment anschickte durch das Tor in den Tempel zu gelangen. Aber das durfte nicht sein! Sie musste es verhindern und streckte die Hände aus. Ihre Göttlichkeit berührte damit die Schwärze, die qualvoll zurückzuckte. Ein Schrei ertönte, der Arinas Kopf beinahe zum Platzen brachte. Sie hörte ihn nicht mit den Ohren, sondern mit ihrem Geist, was sie voller Leid aufkreischen ließ. Solche Schmerzen hatte sie noch nie erlebt und alles in ihr wollte sie dazu zwingen zurückzuweichen.
Aber sie durfte nicht.
Sie musste das Tor schließen.
Wenn dieses Etwas in die Tempel gelangte, würde es nicht mehr aufzuhalten sein, ganz Hamesta überfluten – und jeden darin töten. All ihren Willen gegen diese Dunkelheit stemmend, kämpfte Arina darum, das Wesen zurückzudrängen. Sie benötigte nur eine freie Sekunde, um die Runen zu berühren und damit die Möglichkeit zu bekommen, ihre Heimat zu retten. Aber ihr Funke war klein. Erst vor einem Jahr hatte sie ihn bekommen. Wie sollte sie gegen so eine Bösartigkeit gewinnen?
»Hilfe! Kaloris!«, schrie sie verzweifelt, obwohl sie wusste, dass niemand sie hören konnte. Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie nicht nur wenige Zentimeter über den Boden rutschte, sondern auch ein Dorn der Dunkelheit näher kam. Er versuchte sich durch ihren Schutz zu bohren und würde unweigerlich ihr Herz treffen. Arina schrie erneut, als sie spürte, wie der Dorn ihre Göttlichkeit überwand und durch ihre Kleidung bis zu ihrer Haut gelangte. Der Schmerz, als er sich in Zeitlupe in ihre Brust bohrte, war unerträglich.
Aber Arina wollte nicht aufgeben. Ihr Dickkopf ließ das gar nicht zu. Also biss sie die Zähne zusammen, schickte ein Gebet an ihren Gott Romalias sowie die Göttermutter und löste eine Hand von der Dunkelheit, um nach den Runen zu greifen. Millimeter für Millimeter arbeitete sie sich voran, genauso wie der finstere Dorn immer tiefer in sie drang. Der Schmerz war überwältigend und dieses scheußliche Etwas verpestete ihren Geist, aber sie gab nicht auf. Ihre Göttlichkeit flackerte bereits und Arinas Sicht verschwamm.
In der Sekunde, als sich der Dorn durch ihre Rippe fraß und ihre Göttlichkeit zusammenzubrechen drohte, berührten ihre Finger das Runengebilde. Es flammte auf, ließ das Dunkel kreischen – und sich zurückziehen.
Arina keuchte, als sich auch der Dorn aus ihr löste, und erkannte, wie sich der Stein schloss. Geschafft, dachte sie, bevor sie auf den Boden sackte und ihr Bewusstsein zerfaserte.
Weit im Südosten Nord-Mederias, gerade an der Grenze zum Süden, schlich Nathiel durch ein dichtes Gebüsch, die Ohren gespitzt und bereit jederzeit anzugreifen. Seine heutige Mission war riskant und konnte ihn überaus leicht das Leben kosten, weswegen er sich keinen Fehler erlauben durfte. Wenn seine Eltern herausfanden, dass er es war, der sich dieses Problems annahm, würden sie unter Garantie wütend werden. Schließlich war er Kronprinz der Dämonen und sollte seine Unversehrtheit nicht dabei riskieren, Belluas zu jagen.
Aber das einzelne Tier, das sich in ihr Hoheitsgebiet gewagt hatte, war zu einer wahren Gefahr für die Ignis geworden. Das menschenähnliche Volk, das zusammen mit den Dämonen innerhalb der Marmorfeste lebte, war nicht kriegerisch. Es hatte den scharfen Krallen und mächtigen Zähnen nichts entgegenzusetzen und konnte im Gegensatz zu Nathiels Volk nicht einfach fortfliegen. Daher hatte es schon sieben von ihnen das Leben gekostet und das konnte Nathiel nicht hinnehmen. Natürlich wusste er, dass seine Eltern eher früher als später einen Trupp Krieger schicken würden, um sich des Tiers zu entledigen, aber … er hatte das Gefühl, es selbst tun zu müssen.
Er zuckte zusammen, als hinter ihm ein Ast knackte und gleichzeitig ein Stöhnen erklang. »Nat, das ist die dümmste Idee, die du seit Langem hattest. Wir sollten umkehren und diese Aufgabe anderen überlassen.«
Als Nathiel einen Blick über die Schulter warf, entdeckte er Prue, die mit den Händen in den Hüften dastand und ihn missbilligend betrachtete. Im Gegensatz zu ihm machte sie sich keine Mühe, leise zu sein oder sich zu verbergen. »Du weißt noch, dass dein Vater dich heute bei der Besprechung dabeihaben wollte?«
»Keine Sorge«, meinte Nathiel und wandte sich wieder nach vorn. »Das habe ich nicht vergessen, aber bis zum Mittag ist noch Zeit und in den letzten Tagen haben wir die Fährte doch schon bis hierher verfolgt. Jetzt aufzugeben geht mir gegen die Ehre.«
Prue schnaubte und schloss zu ihm auf, wobei so einige Äste knackten und Nathiel mit den Augen rollen wollte. Er hielt sich jedoch zurück, weil es sich für einen Prinzen nicht gehörte – selbst wenn er es sich Prue gegenüber durchaus erlauben konnte.
Seine Cousine betrachtete ihn mürrisch und er erkannte an der Spannung ihrer Schwingen, wie ungehalten sie war. Für einen Moment betrachtete er die nachtschwarzen Membrane und presste die Lippen zusammen. Jeder Dämon besaß genau solche, nur er nicht. Er brauchte nicht über die Schulter zu schauen, um seine Flügel zu betrachten. Dass sie golden und damit außergewöhnlich waren, wusste er nur zu gut. Aber daran gerade bei Prues Anblick zu denken und sich schlecht zu fühlen, war unsinnig, denn auch seine Cousine war anders. Sie beide waren keine reinblütigen Dämonen, was normalerweise kein Problem darstellte. Die Gene der Dämonen, die sich durch schwarze Schwingen, genauso dunkles Haar und scharfe Krallen auszeichneten, waren stark und dominierten daher in Mischehen. Trotzdem hatte er goldene Schwingen und Prue blondes Haar. Das galt als dermaßen ungewöhnlich, dass jeder im Tal sie kannte, unabhängig davon, dass Nathiel der Kronprinz war. Es kam auf Nathiels Laune an, ob er diese Besonderheit gut oder schlecht fand. Heute war einer der schlechten Tage, was vielleicht an dem Traum lag, der ihn in letzter Zeit immer wieder heimsuchte …
»Hörst du mir überhaupt zu?«, rüttelte ihn Prue auf.
Nun seufzte Nathiel, packte seine Cousine am Arm und zog sie hinab in den Schutz eines Busches, damit sie nicht weithin sichtbar war. Leise zischte er: »Du bist laut genug, um noch im Tal gehört zu werden. Hast du vergessen, dass wir einen Bellua jagen? Wenn der uns bemerkt, zerfleischt er uns.«
Nathiel scherzte keinesfalls, denn Belluas waren furchtbare Gegner, doch Prue schnaubte nur. »Als würde eine einzelne dieser Bestien gegen uns beide ankommen.«
Ein Grinsen blitzte bei Nathiel auf, denn ganz unrecht hatte Prue nicht. Sie beide waren herausragende Krieger, obwohl Prue gar nicht dieser Kaste angehörte. Nur ihm zuliebe hatte sie nach der Grundausbildung, die alle Dämonen absolvieren mussten, weitertrainiert und war zu seiner Schwertschwester geworden. Das hielt sie ihm auch zu gern vor. Dabei war es ihre eigene Idee gewesen. Aber Nathiel wusste, dass sie es getan hatte, weil er sich in jedes Abenteuer stürzte, das er finden konnte, und sie verhindern wollte, dass ihm etwas geschah. Schließlich schätzten sie einander sehr, waren gemeinsam aufgewachsen.
Nathiel genoss die Bindung zu seiner Cousine sehr und es tat ihm leid, dass er sie immer wieder in Situationen wie die heutige hineinzog. An sich sollte er im Schloss sein, seine Eltern bei ihren Pflichten begleiten und sich darauf vorbereiten, den Platz seines Vaters als Oberhaupt der Dämonen einzunehmen. Aber … irgendwas hielt ihn ab sich vollkommen auf dieses Ziel zu konzentrieren. Er liebte sein Volk und wollte nur das Beste für es. Zudem stand es für ihn außer Frage, die Königswürde anzunehmen. Er freute sich sogar darauf. Doch ständig hatte er das Gefühl, dass noch etwas fehlte. Dass er etwas tun musste. Doch wusste er nicht was.
Kurz dachte er an seine Mutter, der er von diesen merkwürdigen Gedanken erzählt hatte und die daraufhin sanft gelächelt hatte. »Wenn das so ist, dann geh dem nach, mein Sohn«, hatte sie gesagt. »Es ist mehr als nur unser Wille, durch den wir auf unsere Wege gelangen.«
Kurz schloss Nathiel die Augen und dankte ihr stumm für ihr Verständnis, das sein Vater teilte. Dass er sich hier, mitten im Wald, mit Belluas herumschlug, würde ihnen aber nicht gefallen.
Plötzlich ertönte in einiger Entfernung ein Bersten und Knacken, das viel zu mächtig war, um von einem Bellua zu stammen. Sowohl Nathiel als auch Prue wussten sofort, was das hieß, und gleichzeitig stöhnten sie auf.
»Ach verdammt«, beschwerte sich Prue.
Nathiel lachte jedoch in sich hinein und grinste Prue an. »Scheinbar war Triss schneller als wir. Das kommt davon, dass ein gewisser Jemand sich die ganze Zeit nur beschwert hat. Komm, schauen wir, ob sie erfolgreich war.«
Damit gab er seine Deckung auf und eilte flink über den unebenen Waldboden. Die dicht beieinanderstehenden Stämme verhinderten, dass er weit schauen konnte, und das Gebüsch tat sein Übriges, doch Nathiel würde unweigerlich auf Triss treffen, wenn er in die Richtung lief, aus der der Lärm gekommen war.
Überrascht hob er die Brauen, als Prue zu ihm aufholte und ihn beinahe unmerklich weiter nach rechts lotste. Kurz presste er die Lippen aufeinander und korrigierte seinen Weg. So gut er mit dem Schwert an seiner Seite auch umgehen konnte, so schlecht war sein Orientierungssinn.
Ganze fünf Minuten brauchten sie, um den Ort zu finden, an dem Triss auf sie wartete. Eine Lichtung öffnete sich vor ihnen, die vor Kurzem definitiv noch nicht da gewesen war. Das sagten Nathiel die umgestürzten Bäume und das flach gedrückte Geäst. Wenn Triss nur ein wenig kleiner gewesen wäre, hätte er sie in dem dichten Blattwerk gar nicht bemerkt. So musste er jedoch lachen, weil sie für einen Moment wie ein Vogel in seinem Nest wirkte. Denn Triss war ein Drache. Ihr riesiger Leib mit den orangen Schuppen fiel in der Umgebung deutlich auf und noch hielt sie die großen Schwingen ausgebreitet, während ihr Schwanz aufgeregt über den Boden strich.
»Wie unfair, Triss«, rief er ihr zu, sodass der Blick aus ihren silbernen Augen zu ihnen wanderte. »Da bist du schon die Auffälligste von uns und trotzdem erfolgreicher im Jagen. Hast du den Bellua erwischt?«
Er reckte sich, erkannte durch all die umgestürzten Bäume aber nicht, ob sich unter Triss’ gewaltigen Tatzen etwas befand. Da glühte ihre Gestalt in einem orangen Licht auf, verlor die Substanz und schmolz auf ein Minimum ihrer Größe zusammen. Als sich der Schimmer legte, stand eine zarte junge Frau inmitten des Chaos. Ihre Haut war noch immer mit orangen Schuppen bedeckt, aber sonst erinnerte höchstens noch ihr silberner Blick daran, dass sie ein Drache war. Sie pustete sich eine schwarze Locke aus dem Gesicht, bevor sie antwortete. »Glaube mir, Nat, ich würde wohl kaum einen Teil der Natur verletzen, wenn ich nicht sicher wäre, dass ich …«
Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie sich bei dem Schritt, den sie in Nathiels Richtung machte, in einem der Zweige verfing und prompt zu Boden ging. Sie verschwand regelrecht in dem Geäst und Prue sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. Nathiel sprintete sofort los, sprang über Stöcke, Büsche und Stämme, um im nächsten Moment schlitternd bei Triss anzukommen. »Hast du dir etwas getan?«
Triss hatte es irgendwie geschafft, sich derart zu verfangen, dass sie kaum einen Finger rühren konnte.
»Nein«, gab sie kleinlaut zurück und ihre Wangen flammten rot auf. »Aber, ähm, könntest du mir bitte helfen?«
Nathiel lachte heiter auf, reichte Triss eine Hand und zog sie zwischen den Blättern hervor. Das allerdings so schwungvoll, dass sie schon wieder das Gleichgewicht verlor und gegen ihn prallte, wobei sie sich die Nase an seiner Brust stieß.
»Au«, meinte sie und rieb die schmerzende Stelle.
Nathiel grinste. »Manchmal kann ich kaum glauben, dass du zu den mächtigsten Wesen Mederias gehörst.«
»Wir haben sie verweichlicht«, bemerkte Prue, trat an ihre Seite und zupfte Triss einige Blätter aus den schwarzen Locken. »Du hättest nicht so viel Zeit mit uns verbringen und lieber bei deinem Klan bleiben sollen.«
Triss, die Nathiel nur knapp bis zur Schulter ging, presste die Lippen aufeinander. Sie verkniff sich offenbar eine Erwiderung, aber Nathiel wusste, dass sie sich bei Prue und ihm weit wohler fühlte als bei den anderen Drachen. Es war nicht so, dass sie sich dort nicht gern aufhielt, sondern es lag daran, dass die Drachen so viel älter als sie waren. Diese Wesen alterten ganz anders als ihr Volk und obwohl Triss bereits über dreißig Jahre zählte, befand sie sich in einem Lebensabschnitt, der dem von Nathiel und Prue ähnelte. Man konnte durchaus sagen, dass sie drei zusammen aufgewachsen waren. Triss, die mit vollständigem Namen Trinisia hieß, war zudem sehr zurückhaltend und beinahe schüchtern. Unter den Drachen fühlte sie sich meist eingeschüchtert, aber Nathiel wünschte ihr von Herzen, dass sich das in den nächsten Jahren ändern würde. Er genoss Triss’ Freundschaft, aber sie war ein Drache. Sie gehörte zu ihrem Klan.
Um den stillen Moment zu unterbrechen, sah Nathiel zu dem Bündel, das Triss eben noch mit ihrer Pfote zu Boden gedrückt hatte. Belluas waren mächtige Wesen. So groß wie Bären, aber viel wendiger und schneller. Ihr zotteliges Fell ließ sie noch einmal mächtiger wirken und die spitzen Zähne, die Nathiel bei dem Exemplar vor sich durch die offene Schnauze sehen konnte, waren fingerlang. Wenn man nicht gerade ein Drache war, konnten diese Bestien viel zu schnell den Tod bedeuten.
»Was hat er hier nur gemacht?«, fragte er und ging neben dem Tier, dessen Brustkorb von Triss’ schwerer Tatze eingedrückt war, auf ein Knie. Sacht strich er durch das dunkle Fell, das sich überraschend weich anfühlte. »Normalerweise bleiben diese Tiere in den Sümpfen des Südens.«
»Es kann mit der Seuche zu tun haben, die letztes Jahr einen Großteil der Wildtiere befallen hat«, gab Triss zu bedenken und stützte sich auf seinen Schultern ab, um den Bellua über ihn hinweg zu betrachten. »Vielleicht hatte er Hunger.«
»Und dann kommt er hierher?«, fragte Prue zweifelnd. »Das fruchtbare Land im Osten wäre viel näher gewesen und um hierher zu gelangen, musste er durch das Gebirge.«
»Wer weiß, welche Gründe er hatte«, unterbrach Nathiel mit ruhiger Stimme die Spekulationen. »Jetzt ist er tot und keine Gefahr mehr für die Ignis. Wir sollten uns merken, wo er liegt, und den Jägern Bescheid geben. Sie werden sein Fleisch und das Fell verwenden wollen.«
»Ich werde das übernehmen«, bot sich Prue an, ließ es sich aber nicht nehmen hinzuzufügen: »Wenn du das machst, führst du sie nur an die falsche Stelle.«
Missmutig blickte er zu ihr auf. »So schlecht ist meine Orientierung nun auch wieder nicht.«
»So?«, fragte Prue lauernd und Nathiel wusste, dass nur ein Familienmitglied wie sie sich trauen würde ihn so frech herauszufordern. »Dann sag mir doch, wohin wir uns wenden müssen, um zum Schloss zu kommen.«
Nathiel schluckte und sah sich um. Sie befanden sich in den dichten Wäldern, die die Hänge seiner Heimat bedeckten. Daher fiel der Boden zu einer Seite stark ab. Wo das Tal lag, war also ersichtlich, doch ob sie sich weit im Norden oder im Süden befanden, wusste er nicht. Auf gut Glück deutete er in eine Richtung. Prues Lippen zuckten amüsiert. Sie ergriff seine Hand und richtete sie um ein ganzes Stück nach links aus.
»Schon gut, schon gut!«, rief Nathiel und gab auf. »Mach du das. Ich muss eh zu dieser Besprechung.«
Zufrieden nickte Prue, wandte sich dann aber an Triss. »Würdest du ihn bitte begleiten?«
»Prue«, unterbrach Nathiel sie mit einem Seufzen. »Ich werde den Weg zurück schon finden.«
Ein bezeichnender Blick traf ihn, während sich Prue bereits abwandte. »Wäre ja auch fatal, wenn der Kronprinz der Dämonen innerhalb seiner Heimat verloren ginge.«
Triss prustete los und Nathiel griff sich an die Stirn, während Prue breit grinste. Die beiden kannten die Geschichte, wie er sich im Alter von neun Jahren nicht etwa im Tal verlaufen hatte, sondern innerhalb des Schlosses, und zogen ihn immer wieder damit auf. Aber auch wenn er diesen Makel an sich hasste, lächelte er ebenfalls, während er seiner Cousine nachsah, die zwischen den Bäumen verschwand. Denn er wusste es zu schätzen, dass er zwei Freundinnen hatte, die ihn nicht mit Samthandschuhen anfassten, nur weil er ihr Kronprinz war. Für sie war er einzig Nathiel und dafür war er sehr dankbar.
Triss berührte ihn sacht am Arm, sodass er sich ihr zuwandte. Im Licht des schönen Tages funkelten ihre Schuppen beinahe golden. »Wenn du keine Begleitung möchtest, kann ich auch zu meinem Klan zurückkehren.«
Am liebsten hätte er das angenommen. Nicht weil er Triss’ Anwesenheit als lästig empfunden hätte, sondern weil Triss zu ihrem Volk gehörte. Aber er wusste, dass er sie verletzen würde, wenn er sie wegschickte. Außerdem war es ihre Entscheidung, mit wem sie ihre Zeit verbrachte. Wer, wenn nicht Nathiel, der ständig andere Wege ging, als er sollte, könnte mehr Verständnis dafür aufbringen? Daher neigte er mit einem Lächeln den Kopf. »Es wäre mir eine Freude, wenn du mich begleiten würdest.«
Triss lachte hinter vorgehaltener Hand und ihre zarte Gestalt täuschte mal wieder darüber hinweg, wie mächtig sie doch war. »Da ist gerade dein Prinzenwesen durchgekommen.«
»Sehr gut«, meinte er zufrieden. »Es wäre schrecklich, wenn die ganze Erziehung für die Katz gewesen wäre.«
Er winkte sie hinter sich her und gemeinsam machten sie sich an den Abstieg. Dabei schwiegen sie und Nathiel genoss die ruhige Gegenwart des Drachenweibchens. Prue redete manchmal zu viel, auch wenn er ihr das niemals vorwerfen würde. Sie hatte das einfach von ihrer Mutter Marie geerbt.
Aus dem Augenwinkel betrachtete er die junge Frau neben sich. Triss war eine kleine Schönheit mit ebenmäßigen Gesichtszügen und glänzenden Locken, die ihr weit über die Schultern fielen. Aber Nathiel wusste, dass so nicht viele über Triss dachten. Im ersten Moment sahen sie immer nur ihre orangefarbenen Schuppen, die ihr bis zum Kinn reichten und teilweise wie eine Art Schmuck über die Wangen bis zur Schläfe strebten. Die Leute erstarrten regelrecht, wenn sie ihr begegneten. Denn Drachen waren selten. Bis auf Triss’ Klan, der nur elf Mitglieder zählte, gab es keine dieser Wesen mehr in Mederia und Nathiel war bewusst, dass es unvorstellbares Glück bedeutete, dass sie überhaupt noch lebten.
Ohne die Aufopferung seiner Eltern im Krieg vor zwanzig Jahren wären die hellen Götter inzwischen vielleicht ausgelöscht worden – und damit auch die Nahrungsquelle versiegt, durch die Triss und ihre Familie überlebten. Denn Drachen waren nicht wie andere Wesen Mederias, die Pflanzen oder Tiere aßen. Drachen lebten von Göttlichkeit. Und nicht nur das. Sie bestanden zu großen Teilen aus ihr. Nathiel vergaß das viel zu oft, da er Triss’ Anwesenheit gewohnt war. Aber nun spürte er wieder einmal Dankbarkeit in sich, eines dieser mystischen Wesen Freundin nennen zu dürfen.
Triss’ Blick aus den ungewöhnlichen silbernen Augen wanderte zu ihm und zuckte sofort wieder weg, als sie seine Aufmerksamkeit bemerkte. »Warum schaust du so?«
»Einfach so«, erwiderte er mit einem versonnenen Lächeln. »Willst du mit zu der Besprechung kommen?«
»Warum sollte ich?«, fragte Triss verwundert.
Nathiel zuckte mit den Schultern. »Es wäre nicht das erste Mal und mit dir zusammen wird sie sicherlich nicht so langweilig.«
»Ob deine Eltern begeistert sind, wenn du mich ständig mitnimmst?«
Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Du weißt, dass sie dich schätzen und gern bei sich haben.«
Nun breitete sich ein zärtlicher Ausdruck auf Triss’ Gesicht aus, der sie noch hübscher machte. »Ja, das geht mir ähnlich.«
Nathiel schüttelte den Kopf, während sie über Wurzeln stiegen, sich durch Büsche drückten und langsam dem bewohnten Teil des Tals näher kamen. »Wenn wir über dieses Thema sprechen, wird mir immer bewusst, dass du die beiden schon kanntest, als noch Krieg herrschte.«
Nun zeigte Triss ein sehr seltenes Grinsen. »Ich muss immer daran denken, dass ich dich schon einen Tag nach deiner Geburt kennenlernen und im Arm halten durfte.«
»Triss, hör auf damit«, rief er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist echt peinlich.«
Triss lachte, wurde dann aber überraschenderweise ernst. Sie zögerte sichtlich, weswegen Nathiel abwartete. Sie zu drängen, war nie eine gute Entscheidung. Schließlich fragte sie leise: »Das erinnert mich an die Träume. Sie häufen sich in letzter Zeit, oder?«
Nathiel versteifte sich augenblicklich. Triss sprach damit einen wunden Punkt an, den er gern aus seinem Kopf verbannen wollte. Als Sohn einer der mächtigsten Ignis des Landes hatte er eine Gabe erhalten, die in der Ahnenreihe seiner Mutter häufiger vorkam: Er war ein Traumweber. Das bedeutete, dass er im Schlaf Dinge sah, die in Zukunft passieren konnten, geschehen waren oder gerade stattfanden. Die Bilder waren oft verschwommen und nicht immer mussten sie Realität werden. Zudem hatten diese Träume Nathiel nur selten heimgesucht. Bis vor einem Jahr. Inzwischen kamen die Visionen fast jede Nacht zu ihm, vor allem eine häufte sich immer mehr. Und das war noch nicht alles …
Vehement schüttelte er den Kopf und lächelte Triss beruhigend an. »Mach dir darum keine Gedanken.«
Triss’ Blick sprach Bände, aber sie war einfühlsam genug dieses Thema nicht breitzutreten. Schweigend gingen sie weiter, allerdings war Nathiels Ruhe nun dahin. Wenn sich sein Traum bewahrheitete, standen ihnen schwierige Zeiten bevor. Um sich abzulenken, wandte er sich an Triss. »Hast du Lust, den Rest der Strecke fliegend zurückzulegen?«
Triss schüttelte den Kopf, sodass ihre schwarzen Locken über ihre Schultern strichen. »Ich kann mich hier nicht verwandeln, ohne schon wieder eine Lichtung zu schaffen.«
»Kein Problem, ich bringe dich raus aus dem Wald.«
Damit griff Nathiel nach Triss, hob die überraschte Frau auf seine Arme und sprang mit einem kraftvollen Satz und einem Schlag seiner Schwingen in die Luft. Schnell hielt sich Triss an ihm fest und verbarg das Gesicht an seiner Schulter, als sie durch die Baumkronen brachen und der Wind in seinen Ohren rauschte.
»Nat«, beschwerte sie sich, während der Wald unter ihnen zurückblieb, und schlug ihm sogar gegen die Schulter. »Das geht so nicht. Du kannst als Kronprinz eine Frau nicht ohne vorheriges Einverständnis hochheben. Wo sind deine Manieren?«
»Ach, Triss, lass mich doch wenigstens in deiner Gegenwart mal kein Prinz sein«, erwiderte Nathiel und schloss die Augen. Für den Moment vertraute er den Flug seinen Schwingen, seinem Können und seiner Intuition an.
Gekonnt fing er die Winde, die gerade hier in den Bergen schwer einzuschätzen waren und schnell wechseln konnten, drehte sich mit Triss in ihnen und glitt sanft dahin. Der würzige Geruch seiner Heimat drang ihm in die Nase, der von den zahlreichen Kräutern herrührte, sowie von den Tannen, den Laubbäumen und den Tausenden Geschöpfen, die im Tal lebten. Er sog ihn voller Genuss ein, wobei er auch Triss’ leise Brombeernote wahrnahm. Die Kühle, die von den schneebedeckten Gipfeln herabwehte, strich über seine bloßen Arme und in diesen Moment gab er gern zu sein Leben zu lieben. So sehr er es manchmal verfluchte, Prinz zu sein, viel Verantwortung auf den Schultern zu tragen und irgendwann über zwei Völker herrschen zu müssen, freute er sich auch darauf. Sein Herz schlug für die Marmorfeste und ihre Bewohner.
Einmal hatte ihn Prue gefragt, welchen Weg er eingeschlagen hätte, wenn er nicht von Geburt an für den Thron vorgesehen gewesen wäre. Lang hatte er über diese Frage gegrübelt, eine Idee nach der anderen verworfen und war am Ende überraschter als seine Cousine gewesen, als er erkannt hatte, dass er gar nichts anderes tun wollte. Sein Leben gehörte seinem Volk, dem wunderschönen Tal, in dem es wohnte, und den Ignis, die sich vor etwas mehr als zwanzig Jahren dazu entschieden hatten, ebenfalls hier zu leben. Er schnaubte leise, als ihm bewusst wurde, wie gut ihn seine Eltern auf die kommende Aufgabe vorbereitet hatten. Aber er war ihnen dankbar dafür.
Die einzige Leidenschaft, die Nathiel sonst noch hatte, war das Singen und Musizieren. Etwas, das er ebenfalls von seiner Mutter geerbt hatte. Mit ihr auf der Bühne zu stehen und das Publikum zu begeistern, war ein … unvorstellbares Gefühl. Auch das wollte er am liebsten täglich machen. Aber der Beruf des Barden war nicht seiner. Dafür hätte er viel mehr Zeit mit all den Legenden, Geschichten und Überlieferungen Mederias verbringen müssen. Er gab aber zu, dass die Fähigkeiten, die seine Mutter während ihrer Lehre als Bardin gewonnen hatte, in politischen Angelegenheiten sehr praktisch waren. Daher hatte er sich einiges von ihr abgeschaut und …
»Nat?« Triss riss ihn aus seinen Gedanken. Noch immer hielt er sie in seinen Armen, spürte ihre Hände an seinem Nacken und ihren Körper unter den Fingern. Ihr Blick zuckte von ihm hinab auf das Tal, als er die Lider öffnete. »Wir sind hoch genug. Du kannst mich fallen lassen.«
»Was?«, fragte er gespielt entsetzt. »Ich soll eine Frau in dieser Höhe aus meinen Armen entlassen? Ich glaube nicht, dass das zum guten Ton gehört.« Er lachte, als Triss mit den Augen rollte. Dann wurde er aber wieder ernst und richtete die Schwingen so aus, dass sie auf das Schloss zuschwebten. »Wir sind schneller, wenn du mit mir direkt zum Konferenzraum fliegst, wo du mit deiner Größe ja nicht landen kannst. Ich möchte meine Eltern nicht warten lassen.«
Triss bewegte sich unruhig, festigte ihren Griff jedoch und nickte. Sie kannte ihn eben gut genug, um zu wissen, dass Nathiel zwar gern kleinere Abenteuer außerhalb seines Aufgabenbereiches suchte, aber nie seine Pflichten vernachlässigen würde. Und dafür war er erneut dankbar.
Am Stand der Sonne erkannte er, dass sie sich beeilen mussten, und gab damit mehr Kraft in seine Flügelschläge, um eine ansehnliche Geschwindigkeit zu erreichen. Wenn sie Glück hatten, dauerte die Besprechung nicht allzu lang. Aber in den meisten Fällen verstrickten sich die Anwesenden in den immergleichen Diskussionen und kamen erst zu einer Entscheidung, wenn selbst sein Vater die Geduld verlor. Nathiel tröstete sich damit, dass er danach zum Kampftraining gehen konnte.
Isella sog scharf die Luft ein, als sie Arinas Wunde betrachtete. »Das sieht böse aus«, bemerkte sie, obwohl das Arina äußerst bewusst war. Schließlich hatte sie sofort die Verbände fortgerissen, als sie aufgewacht war, und das Fiasko entdeckt. Mit hellblauen Augen sah ihre Freundin bang zu ihr auf. »Ari, da ist viel Dunkelheit in dich eingedrungen.«
»Das weiß ich, Isi. Aber was erwartest du bei so einem Monster? Ich kann froh sein überhaupt noch zu leben.«
Isella schluckte schwer und nickte knapp. Zu gern hätte Arina sie nun getröstet und gesagt, dass alles nicht so schlimm wäre. Was ihre Gesundheit anging, stimmte das sogar. Ein letztes Mal blickte sie hinab auf den Einstich, der kaum größer war als der einer Nadel. Sie hatte Glück im Unglück gehabt, denn der Dorn hatte ihre Brüste verfehlt. Die Haut um die Einstichstelle war überaus empfindlich und hatte sich tiefrot verfärbt. Kleine schwarze Adern liefen von dort aus über einen recht großen Teil ihrer Brust bis hin zu ihrem Hals, aber ein goldener Schimmer zeugte davon, dass ihre Göttlichkeit bereits gegen dieses Übel ankämpfte. Sie würde sich davon erholen. Auch die Großpriesterin hatte ihr das bestätigt. Schlimmer war das Etwas, das ihr das angetan hatte, und … »Die Shaas hatten nicht so viel Glück.«
Sichtlich kämpfte Isella mit den Tränen. Sie hatte als Heilerin nicht sonderlich viel mit den Tieren zu tun, war allerdings ebenfalls Priesterin und wie jeder in Hamesta nur hier, um diese Geschöpfe zu schützen.
»Könnten sie … nicht doch überlebt haben?«, fragte Isella mit tränenerstickter Stimme.
Auch Arinas Herz zog sich bei dem Gedanken zusammen, dass die Tiere wahrscheinlich tot waren. Aber die Erschöpfung, die von dem Kampf zurückgeblieben war, der gerade einmal eine Stunde zurücklag, dämpfte alles auf angenehme Weise. Arina presste die Lippen aufeinander. Vielleicht war das ein Segen. Der Gedanke, dass der Grund, weswegen sie Priesterin geworden war, nun fort sein sollte, hatte im Moment kaum Raum in ihrem Kopf.
»Ich weiß es nicht«, gab sie leise Antwort, um ihre Freundin zu trösten. Aber das war nicht der Hauptgrund. Vor allem wollte sie ihren Geist davor schützen zu zerbrechen. »Ihre Körper habe ich schließlich nicht gesehen. Es kann durchaus sein, dass sie einen Zufluchtsort aufgesucht haben und ihre gesammelte Göttlichkeit sie vor diesem Monster bewahrt. Aber …«, Arinas Stimme brach beinahe, »… wenn sie noch leben, weiß ich nicht, wie lange noch. Isi, das da unten ist lebende Dunkelheit. Auf Dauer kann niemand diesem aus Blut entstandenen Monster widerstehen.«
»Dann müssen wir sie retten!«, rief Isella voller Inbrunst.
Traurig betrachtete Arina ihre Freundin. »Und wie sollen wir das machen? All meine Göttlichkeit hat nicht einmal gereicht, um mich selbst zu schützen. Wie sollen wir dann lebende Dunkelheit vernichten? Wir kennen sie nur aus Büchern und sind viel zu wenige, um sie zurückzudrängen.«
Isella vergrub die Hände in ihrem Rock. Im Gegensatz zu Arina, die eigentlich immer die praktischeren Hosen wählte, um sich freier bewegen und im Notfall Gegner abwehren zu können, liebte ihre Freundin die Kleider, die die meisten Frauen in Hamesta bevorzugten. »Aber wir müssen doch etwas tun können.«
Bedrückte senkte Arina den Kopf. »Ich wüsste nur nicht, was.« Bitter kaute sie auf ihrer Unterlippe und dachte derart angestrengt nach, dass ihr der Kopf schwirrte, der von ihrem Sturz zu Boden noch ordentlich lädiert war. Dann kam ihr ein Gedanke und sie griff überwältigt davon fest nach dem Arm ihrer Freundin. Mit aufgerissenen Augen starrte sie Isella an. »Der Rat bespricht sich zu der Angelegenheit gerade, oder?«
Isella nickte langsam und bemühte sich Arinas verkrampfte Finger von ihrem Arm zu lösen. »Ja, deswegen bin ich ja hier. Großpriesterin Kaloris will, dass du zu ihnen stößt, wenn du körperlich dazu in der Lage bist. Aber Ari, du solltest … Hey!«
Bevor die andere Frau ausgesprochen hatte, war Arina bereits aufgesprungen und hetzte aus dem Krankenzimmer. Zuerst wurde ihr schwindelig und sie prallte gegen den Türrahmen, aber dann fing sie sich und eilte den Flur entlang.
»Ari, knöpf wenigstens dein Hemd zu.«
Isellas Worte machten ihr bewusst, dass ihr Ausschnitt tatsächlich viel zu viel von ihrer Brust preisgab. Schnell griff sie nach den Knöpfen, während sie durch die steinernen Gänge der Tempel rannte. Stiefel trug sie zwar nicht, weil man ihr die im Krankenzimmer ausgezogen hatte, aber der Weg war nicht weit.
Schon nach kurzer Zeit lief Arina durch die gigantische Halle. Ihr Blick schwenkte für eine Sekunde zur Göttermutter, der sie stumm dankte noch am Leben zu sein, ehe sie auch schon auf den Ausgang zustrebte. Doch der Angriff der lebenden Dunkelheit hatte sie weit mehr geschwächt, als sie befürchtet hatte, und bereits jetzt keuchte sie. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Geschwindigkeit zu drosseln, wobei der Schmerz trotzdem in ihre Brust zurückkehrte und ein Stich der Wunde sie taumeln ließ. Mit einem Schmerzenslaut wankte sie und ihr Blick verschwamm.
Sie drohte erneut zu Boden zu gehen, doch bevor das passieren konnte, griffen starke Hände nach ihr, weshalb sie nur auf die Knie sank.
»Arina, was ist denn in dich gefahren?«, hörte sie eine vertraute Stimme schimpfen. »Habe ich dich nicht erst vor einer Stunde zu Isella gebracht?«
»Hallo, Zhef«, brachte Arina schwer atmend hervor und sah verkniffen zu ihrem Freund.
Der presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Nichts hallo. Wieso bist du schon wieder auf den Beinen? Offensichtlich geht es dir sehr schlecht.«
Etwas grob zog er sie wieder auf die Füße, bot ihr an seiner Brust aber Halt und einen Ort zum Ausruhen. Erschöpft schloss sie die Augen. »Eben ging es mir noch gut. Scheinbar habe ich die Auswirkungen der Verletzung unterschätzt.«
Zhef brummte verstimmt und drückte sacht ihren Kopf beiseite, um sich die dunklen Adern an ihrem Hals zu besehen. »Als wir dich fanden, sahen diese schwarzen Fäden tatsächlich schlimmer aus. Sie gingen beinahe bis zu deinem Kinn. Du kannst froh sein einen Funken in dir zu tragen. Ansonsten wärst du dort unten gestorben.«