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Um über das Volk der Dämonen zu herrschen, braucht es vor allem eins: königliches Blut. Daran vermag auch Liebe nichts zu ändern. Und Lana ist nur ein einfacher Mensch, ganz anders als der Dämonenprinz Gray … Nach den grausamen Ereignissen in Tetra ist die Bardin Lana entschlossener denn je, den Krieg der Völker endgültig zu beenden. Dazu muss sie sich ihrem schlimmsten Feind stellen. Ein Gegner, der übermächtig scheint und die ganze Welt in Dunkelheit zu tauchen droht. Doch Lana ist bereit, alles für die Rettung Mederias aufs Spiel zu setzen, sogar ihr eigenes Leben und ihre Liebe … Textauszug: »Und?«, fragte er leise und ohne ihren Blick freizugeben. »Bereust du diesen Kuss?« Lana sollte ihn anlügen, ihm sagen, dass sie nichts für ihn empfand. Diese Liebe konnte keinen Bestand haben! Bei dem Gedanken schossen ihr Tränen in die Augen. »Nein, er fühlte sich sogar viel zu gut an.« Eine Welt voller Elben, Irrlichter, Drachen und Dämonen - DAS Lesevergnügen des Jahres für alle Fans von Fantasy-Liebesromanen mit Suchtfaktor! //Dies ist der dritte Band der magisch-romantischen High-Fantasy-Buchreihe »Kampf um Mederia« von Sabine Schulter. Alle Bände der Buchserie bei Impress: -- A Kingdom Darkens (Kampf um Mederia 1) -- A Kingdom Resists (Kampf um Mederia 2) -- A Kingdom Shines (Kampf um Mederia 3) -- A Kingdom Fears (Kampf um Mederia 4) -- A Kingdom Stolen (Kampf um Mederia 5) -- A Kingdom Beyond (Kampf um Mederia 6)//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Sabine Schulter
A Kingdom Shines (Kampf um Mederia 3)
Um über das Volk der Dämonen zu herrschen, braucht es vor allem eins: königliches Blut. Daran vermag auch Liebe nichts zu ändern. Und Lana ist nur ein einfacher Mensch, ganz anders als der Dämonenprinz Gray …
Nach den grausamen Ereignissen in Tetra ist die Bardin Lana entschlossener denn je, den Krieg der Völker endgültig zu beenden. Dazu muss sie sich ihrem schlimmsten Feind stellen. Ein Gegner, der übermächtig scheint und die ganze Welt in Dunkelheit zu tauchen droht. Doch Lana ist bereit, alles für die Rettung Mederias aufs Spiel zu setzen, sogar ihr eigenes Leben und ihre Liebe …
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© privat
Sabine Schulter wurde 1987 in Erfurt geboren, lebt nun aber mit ihrem Mann in Bamberg. Trotz ihres abgeschlossenen Oecotrophologie-Studiums fokussierte sie sich auf das Schreiben von Fantasy-Büchern. Sie liebt das Spiel mit den Emotionen und möchte ihre Leser tief in ihre Bücher ziehen, die oft von dem Zusammenspiel der Protagonisten untereinander geprägt sind. Viel Spannung gehört in ihre Geschichten genauso wie ein Happy End und unvorhergesehene Wendungen.
Für Tobias – ohne dich hätte ich nie den Mut zum Schreiben gefunden.
Cyanea lief ohne Eile durch die Flure der versiegelten Hallen, in denen es sich Fueno gemütlich gemacht hatte, obwohl er ihrer Meinung nach nichts in den heiligen Felsgängen zu suchen hatte. Aber sie wurde ja nie von jemandem gefragt. Wenn dem so wäre, könnte sich derjenige jede Menge unnützer Aufregung sparen. Denn Cyanea wusste mehr, als Fueno je vermuten würde. Sie schnaubte zufrieden und gönnte sich ein kleines Lächeln, da Fueno sie nicht ohne Grund von der Front hierher ans andere Ende Mederias gerufen hatte. Es war etwas passiert, womit niemand gerechnet hatte. Nun ja, zumindest niemand außer Yanis und ihr selbst.
Sie hatten regelrecht darauf gewartet, nachdem es gelungen war, die letzte rote Scherbe aus dem Schloss Tetras zu stehlen. Da Fueno nichts von der Fälschung wusste, hatte er sie mit in die versiegelten Hallen genommen, wo sie natürlich nicht funktioniert hatte und Sakterkis noch immer in seiner Zwischenwelt versauerte.
Hach, wie sehr sie es liebte, wenn ein Plan aufging.
Und sie spürte Genugtuung, weil die kleine von den Göttern berührte Ignis auf sie gehört und das Original gegen die Fälschung ausgetauscht hatte. Während sie durch die breiten Steingänge schritt, verflog ihre gute Laune jedoch um eine Wenigkeit. Ob die Zeit, die sie sich mit der falschen Scherbe erkauft hatten, reichen würde?
Am liebsten hätte sie nach Nordwesten geschaut, dorthin, wo Tetra lag, das letzte Bollwerk Nord-Mederias und damit auch diejenigen, in die auch sie ihre Hoffnung setzte, dass für ihr Volk alles gut ausgehen würde. Aber sie brauchte sich nicht umzuschauen, schließlich befand sie sich viele Meter unterhalb der Erde.
Leise seufzte sie, strich sich das grüne Haar, das so typisch für eine Banshee war, über die Schulter zurück und strebte auf eine ausladende Wendeltreppe am Ende des Ganges zu. Sanfte magische Lichter erhellten die Steinwände, die in ihrem Schein zu pulsieren schienen. Jedes Mal, wenn Cyanea hier war, hatte sie das Gefühl, ein lebendes Tier und keinen Irrgarten aus Gängen und Hallen zu betreten. Es schlummerte so viel Magie, so viel Göttlichkeit darin, dass sie jedes Mal Ehrfurcht verspürte, obwohl sie normalerweise nicht im Geringsten daran dachte, sich solchen Regungen hinzugeben. Das war nicht ihre Art.
Aber in diesen Gewölben …
Es blieb einfach nicht aus, sich zu fragen, was passierte, wenn all die angestaute Macht losbrechen würde. Hoffentlich gelang es Fueno niemals, alle Geheimnisse der versiegelten Hallen zu lüften. Er würde sie nur nutzen, um die Welt zu zerstören. Wieso bloß war sie so blauäugig gewesen sich ihm anzuschließen? Nun ja, jetzt war es zu spät und sie konnte einzig Schadensbegrenzung betreiben. Für sich, für Mederia, aber vor allem für ihr Volk, das sich eigentlich nur nach einer neuen Heimat sehnte.
Sie schüttelte die Gedanken ab und lief nun eiliger die Treppe hinunter. Selbst wenn sie nicht mehr hinter den Machenschaften von Fueno stand, durfte sie ihn nicht warten lassen. Wenn er bemerkte, dass sie intrigierte, würde er sie und jede einzelne ihrer Schwestern bis zum Tod foltern. Also ignorierte sie die zauberhaften Reliefs, die sich die gesamte Treppe hinabzogen, bis die Treppe endete und sie in dem Durchgang einige Meter entfernt einen Mann lehnen sah. Innerlich stöhnte Cyanea entnervt, aber sie hatte ja gewusst, dass sie hier auf ihn treffen würde.
»Durak, ist das, was du siehst, so beeindruckend, dass du gar nicht auf deinen Rücken achtest?«, fragte sie mit einer Stimme, die nur eine Spur der Verachtung in sich trug, die sie wirklich für den Heerführer empfand.
Der große, gut gebaute Mann, der vielen Frauen die Wollust in den Bauch trieb, wandte sich langsam zu ihr um und präsentierte ihr mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen ein Lächeln, das so von Selbstüberschätzung und Arroganz geprägt war, dass sich Cyanea wunderte, wie sie ihn jemals hatte schön finden können. Aber vielleicht bildete sie sich die sichtbaren Wesenszüge von ihm auch nur ein, schließlich kannte sie seinen miesen Charakter gut genug. »Hallo, hübsche Banshee. Ich muss ja zugeben, dass dein Anblick eine wahre Freude ist, aber leider dämpft sie meine schlechte Laune nur geringfügig.«
Cyanea stemmte die Hände in die Hüften und hob grazil das Kinn. »Muss ich mich beleidigt fühlen?«
Ein Funkeln trat in Duraks eisblaue Augen, das sie sofort erstarren ließ. Sie durfte nicht zu viel mit ihm spielen, sonst dachte er am Ende noch, dass er auch sie mit seinen Grausamkeiten tyrannisieren konnte. Aber das würde sie niemals zulassen.
Bevor sie Duraks Interesse an ihr zu stark anfachen konnte, wandte er sich zu ihrer Überraschung wieder dem zu, was hinter dem Durchgang lag. »Nein, das musst du nicht, aber mach dir am besten selbst ein Bild von dem Desaster.«
Neugierig trat Cyanea neben ihn und blickte in den gigantischen Felsdom, der sich vor ihr öffnete. Das letzte Mal, als sie hier war, hatte sie das Innere so in Ehrfurcht versetzt, dass sie die Höhle nicht betreten wollte. Denn in ihr zeigte sich das Herz der versiegelten Hallen.
Obwohl sie sich tief unter der Erde befanden, war die Weite vor ihr taghell erleuchtet, was nur durch all die Magie in den Wänden möglich war. Eine Wiese mit Gras, das sich in einem für sie nicht spürbaren Wind bewegte, breitete sich auf dem Boden aus und Bäume standen in einer überraschend unnatürlichen Symmetrie verteilt darauf und Cyanea wusste, dass sie ein Pentagramm bildeten. In ihrer Mitte befand sich ein See, der, so wie die Bäume und die Wiese auch, von einer hauchzarten Eisschicht bedeckt wurde, die niemals schmolz. Es sah zauberhaft, einfach göttlich aus und jedes Mal, wenn Cyanea diese Wunder betrachtete, faszinierte es sie, dass das alles nur erschaffen wurde, um einen einzelnen Mann gefangen zu halten. Sakterkis, der Halbgott-König, der vor dreihundert Jahren in einer Zwischenwelt eingesperrt worden war und dessen einziger Zugang sich in dem mannshohen Spiegel befand, der auf dem See stand.
Doch heute zog etwas anderes Cyaneas Blick auf sich und als sie es erkannte, hätte sie beinahe schadenfroh aufgelacht. Keine zwanzig Schritt vor ihr war eine Fläche von gut fünfzig Quadratmetern rabenschwarz verkohlt und sogar einer der Bäume, die wie Wächter um den See verteilt waren, hatte es gefällt.
Sie selbst war es gewesen, die die Verteidiger Tetras dazu angestiftet hatte, eine falsche Scherbe herzustellen, um ihnen Zeit zu verschaffen, aber sie hätte nicht gedacht, dass sie sie zusätzlich mit Zaubern versehen würden, die Fueno nicht bemerkte. Und wie es aussah, hätte er sie beinahe bis zu dem Spiegel getragen, als die Magie in ihr explodierte. Cyanea glaubte nicht, dass er dadurch zerstört worden wäre, aber das Eis auf dem See hätte das nicht ausgehalten und der Zugang zu Sakterkis’ Verließ wäre in seinen Tiefen versunken. Eine nette Idee, die ihr sehr gefiel.
Aber sie durfte sich nichts von dem Spaß anmerken lassen, den sie bei dem Anblick der verkohlten Erde empfand. Stattdessen hob sie eine Augenbraue. »Lass mich raten. Die Scherbe, die deine Männer neulich aus der Schatzkammer Tetras gestohlen haben, hat das hier verursacht?«
Sie betonte das so genau, damit Durak wusste, dass sie sich jeglicher Verantwortung entzog. Zufrieden stellte sie fest, dass der Kriegsherr fest die Zähne aufeinanderbiss. »Ja«, presste er hervor. »Sie explodierte, als die Schutzzauber die versteckte Magie darin bemerkten.«
Aufmerksam forschte Cyanea in Duraks Gesicht, ob das eine für sie gute Nachricht bedeuten konnte, aber da Fueno sie persönlich hierherzitiert hatte, konnte es ihm nicht allzu schlecht gehen. Er war den versteckten Zaubern entkommen. Doch das verstand sie nicht und schüttelte deswegen den Kopf. »Niemand könnte einen solchen Ausbruch an Magie überleben, das erkenne ich sogar aus dieser Entfernung. Wieso also Fueno?«
»Einer der Kathasis war bei ihm und hat ihn geschützt. Stell dir einmal vor, wie schnell der Krieg an dieser Stelle hätte vorbei sein können?«
»Als Magiekundige ist mir das sogar besser als dir möglich«, erwiderte sie und besah die Zerstörung genauer. »Wieso habt ihr mir die Scherbe nicht gezeigt, als ihr sie in die Hand bekommen habt? Ich hätte die Zauber darin aufspüren können.«
Durak unterbrach sie mit einem geringschätzigen Geräusch. »Du meinst, du bist besser als die dunklen Magier, die sie sich angeschaut haben?«
»Ja«, sagte Cyanea überzeugt und blickte Durak an, als wäre er ein unwissender Wurm. »Die Priester, Kathasis und auch die dunklen Magier arbeiten viel mit Göttlichkeit und haben selten mit Widersachern zu tun. Wir Banshee hingegen mussten unser gesamtes Leben gegen die Zauber der Nymphen ankämpfen. Wir wissen, wie man versteckte Magie bemerkt. Fueno hätte daran denken sollen.«
»Hm«, machte Durak und betrachtete wieder die Halle. »Vielleicht hat er dich deswegen hergeholt. Du sollst die Überreste der frei gewordenen Magie beseitigen und schauen, dass sich nicht noch ein versteckter Zauber in den Bruchstücken der falschen Scherbe befindet.«
»Wieso ich? Hat er dafür keine Leute mehr zur Verfügung?«, murrte Cyanea.
»Doch bestimmt, aber vielleicht vertraut er dir mehr als ihnen.«
Das sollte er lieber nicht, dachte Cyanea, aber sie hütete sich davor, das laut auszusprechen. Durak schwieg, weswegen sie wieder zu ihm sah und den angespannten Zug um seinen Mund erkannte. »Du musst gleich zu ihm und deine Strafe erwarten, hm?«
Durak nickte bloß und zum ersten Mal bemitleidete sie den hübschen Mann, denn niemand hatte eine Strafe der Art verdient, die Fueno einem angedeihen ließ. Und da er ohne den Kathasis bei der Explosion der Scherbe hätte sterben können … Sie wollte sich nicht ausmalen, was er dem Kriegsherrn antun würde.
Aus einer Laune heraus legte sie Durak eine Hand auf den muskulösen Arm. Es war eine Geste, die sie niemals miteinander getauscht hätten, wenn noch jemand anwesend gewesen wäre. Das wussten sie beide und sie kannten auch ihre Bedeutung. Deswegen zögerte Durak nicht nach ihr zu greifen, sie an sich zu ziehen und ihr einen festen Kuss auf die Lippen zu geben. Und obwohl Cyanea ihn unter normalen Umständen dafür mit ihrer Magie getötet hätte, ließ sie es zu, verharrte und wartete, bis sich Durak von selbst von ihr entfernte. Denn es war mit großer Sicherheit das letzte Mal, dass sie sich begegneten. Fueno duldete solche Fehler, wie Durak ihn begangen hatte, nicht.
Als sich Duraks warme Lippen von ihren lösten, lehnte er eine Sekunde seine Stirn an ihre, ehe sein Gesicht hart wurde, er ihr einmal zunickte und dann die Felshöhle über die Treppe verließ, die Cyanea eben herabgekommen war.
Sie sah ihm für einen Moment nach und wandte sich dann wieder der riesigen verbrannten Stelle zu. Sie suchte in sich das Mitleid und die Trauer, die sie bei dem Gedanken empfinden sollte, Durak nie mehr wiederzutreffen. Aber da war nichts. Sie wusste schließlich, dass die Welt ohne Durak eine bessere sein würde.
Also befasste sie sich mit ihrer eigentlichen Aufgabe, zögerte jedoch kurz, ehe sie einen Schritt in die gigantische Höhle machte. Bisher hatte sie das immer vermieden und nun wusste sie auch wieso. Die magische Resonanz, die von eigentlich allem hier ausgestrahlt wurde, ließ sie innerlich dermaßen erzittern, dass sie fast in die Knie gegangen wäre.
Die Banshee waren ein Volk, das einer dunklen Göttin huldigte, aber Cyanea hatte nie aufgehört die Schönheit der hellen Götter zu bewundern. Hier, in den versiegelten Hallen, gab es so viel davon, dass es beinahe zu grell für ihr dunkles Wesen war. Und trotzdem erfüllte sie sofort eine große Zufriedenheit, die sie an ihre alte Heimat erinnerte. Sie musste schlucken und gab sich einen Ruck, als ihr glatt Tränen in die Augen schossen. Selbst wenn sie sich von den Wundern in dieser Halle sofort akzeptiert fühlte, musste sie ihre Aufgaben erledigen. Sie durfte nicht auffallen, wenn sie ihre Schwestern schützen wollte.
Also trat sie tiefer in die Höhle bis zum Rand der verkohlten Fläche. Dort ging sie in die Knie, um vorsichtig den Magieradius zu berühren und damit feststellen zu können, welchen Nachhall die Zauber verursacht hatten.
Doch etwas Faszinierendes hielt sie davon ab.
Eigentlich war das gefrorene Gras kreisrund um die Detonation zerstört und verbrannt worden, aber nun, als sie die Ränder sah, an denen die verkohlte Fläche in das saftige Grün überging, erkannte sie, dass auf der rabenschwarzen Erde bereits neue Triebe sprossen. Überrascht strich sie mit den Fingerspitzen darüber und entdeckte nun immer neue Stellen, an denen es grün aufblitzte. Von dieser Tatsache neugierig gemacht erhob sie sich und schritt zu dem gestürzten Baum, der beinahe in der Mitte des verwüsteten Bereiches lag. Dabei machte sie einen großen Bogen um die Bruchstücke der Scherbe, die noch immer auf dem Boden lagen und die vielleicht wirklich noch Zerstörungspotenzial enthielten. Doch als sie bei dem Baumstumpf ankam und in sein ausgehöhltes Inneres sah, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Dort, zwischen den Überresten seines Vorfahren, spross ein kleiner Trieb, der sich bemühte so schnell wie möglich ein gigantischer Baum und damit ein Wächter Sakterkis’ zu werden. Der Anblick motivierte Cyanea dazu, ihre Arbeit gut zu machen. Sie würde all die frei gewordene Magie beseitigen, aber sie würde sie nicht zerstören, sondern in diesen kleinen Trieb leiten, um ihn umso mehr zu kräftigen. Das war eins der wenigen Dinge, die sie tun konnte, um Mederia vor der absoluten Zerstörung zu retten.
Die Sonne ging gerade erst über den Gipfeln der Berge weit im Osten auf und Lanas Blick wanderte unwillkürlich in diese Richtung in der auch die Marmorfeste lag – die Heimat der Dämonen und einer der schönsten Orte, die sie je besucht hatte. Kurz kam Sehnsucht nach dem Frieden dort in ihr auf, aber sie wusste, dass es noch eine lange Zeit dauern würde, bis sie zu der Festung zurückkehren konnte. Ihre Aufgaben würden sie bald schon fortlocken und die Frage, ob sie es überhaupt schaffen würde zurückzukommen, verdrängte sie. Sie wusste, dass sie im Moment in einer schlechten Stimmung war und sich über so etwas nicht den Kopf zerbrechen durfte.
Tief sog sie die frische Luft des Morgens ein, die einen leichten Geschmack vom Salz des nahen Meeres mit sich trug. Sie löste den Blick von den fernen Bergen und stützte sich auf die Brüstung des Balkons, der weit über Tetra angebracht war. Die größte Stadt der Menschen lag noch im Zwielicht unter ihr und immer wieder faszinierte es Lana, wie auf die beengte Fläche so eine Masse an Häusern passte. Die mindestens drei Stockwerke bemessenden Bauten drängten sich dicht an dicht, da Tetra durch seine einzigartige Lage auf einer von insgesamt drei Klippen, die wie Treppenstufen angelegt waren, nicht expandieren konnte. Also mussten die Menschen mit dem Platz auskommen, der ihnen zur Verfügung stand. Nur dass sich wegen des herrschenden Krieges nun auch noch Tausende Mitglieder anderer Völker hier tummelten. Es war eine phänomenale Stadt, die einem mit seiner Vielfalt den Atem nehmen konnte.
Doch heute fand Lana keinen Willen in sich, diese Schönheit zu genießen. Zumindest noch nicht. Nervös suchte sie im heller werdenden Licht des anbrechenden Tages nach etwas ganz Bestimmtem, fand es zu ihrer Beunruhigung jedoch nicht. Dafür ertönten Schritte hinter ihr. Sie musste sich nicht umwenden, um zu wissen, wer da zu ihr trat. Das Gefühl in ihrem Inneren verriet es ihr bereits.
»Du wartest noch immer auf Sinsa?«, fragte Gray mit tiefer Stimme, die stets von einer Ruhe begleitet wurde, die vollkommen untypisch für einen Vertreter seines Volkes war. Bei ihrem Klang entspannte sich Lana wie selbstverständlich und schaffte es daher, den Dämonenprinzen anzulächeln, als er neben sie trat.
Er war gerade erst aufgestanden, weshalb sein schwarzes Haar offen lag und er nicht mehr trug als eine weiche Hose. Dadurch hatte Lana freien Blick auf seinen gut gebauten Körper und sie fragte sich, ob es überhaupt ein Mitglied des kriegerischen Volkes gab, das nicht durchtrainiert war. Aber die Frage blitzte nur kurz in ihr auf, denn die Tatsache, dass sie wusste, wie wundervoll warm und weich Grays Haut war, lenkte sie ab. Genau wie der sanfte Blick aus seinen braunen Augen, der immer voller Verständnis und Zuneigung ihr gegenüber zu sein schien.
Gray war der Kronprinz der Dämonen und begleitete sie bereits, seit der Krieg zwischen Süd- und Nord-Mederia begonnen hatte. Er war ihr auf der Reise zu einem wichtigen Freund geworden und durch einen fatalen Fehler teilten sie sich inzwischen sogar eine Seelenbindung. Aber obwohl sie nie damit gerechnet hatte, war zumindest bei ihr in den letzten Wochen noch so viel mehr entstanden. Sie hatte verstanden, wie wichtig Gray ihr war, wie wohl sie sich in seiner Nähe fühlte und wie viel bunter ihre Gefühle ihm gegenüber geworden waren. Ihr Herz schlug bei dem Gedanken schneller, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Aber sie verdrängte ihn, denn Gray würde bald König werden und eine einfache Ignis hatte dann keinen Platz mehr in seinem Leben.
Trotzdem trat sie einen Schritt näher an ihn heran, bevor sie auf seine Frage antwortete. »Sonst kommt er nie so spät zurück. Wenn er sich nicht beeilt, muss er sich einen geschützten Ort für den Tag suchen.«
»Das befürchte ich auch«, stimmte Gray ihr zu und sah in den blauen, wolkenlosen Himmel. »Aber er ist ja nicht dumm und wird es zu verhindern wissen, von der Sonne verbrannt zu werden. Meinst du, dass er etwas entdeckt hat?«
»Ich hoffe es«, flüsterte Lana und umgriff das steinerne Geländer fest mit beiden Händen.
»Lana«, sagte Gray leise und mit tief empfundenem Mitgefühl. Sie spürte, wie er die letzte Distanz zu ihr schloss, weswegen sie sich ihm zuwandte und sich anstandslos in seine Arme ziehen ließ. Zu gern legte sie ihre Hände an seinen Rücken und lehnte ihre Wange an seine Schulter. Sie behielt recht, Grays Haut war wundervoll warm und sein angenehmer Geruch nach Leder und Wind hüllte sie sofort wie eine Decke ein.
So behütet schaffte sie es, das auszusprechen, was sie tief in ihrem Herzen vergraben hatte. Denn Gray gegenüber konnte sie immer ehrlich sein, was sie an ihrer Freundschaft ganz besonders schätzte. »Sie fehlt mir so«, sagte sie leise.
»Das kann ich mir gut vorstellen«, erwiderte Gray daraufhin und wusste sofort, was sie meinte. »Marietta mag dich verraten haben, wodurch du Furchtbares erleiden musstest.« Lana spürte, wie er seine Finger über ihren Hals streichen ließ, an dem noch immer eine der vielen Wunden zu spüren war, die Durak ihr zugefügt hatte. »Aber sie ist deine Schwester und wurde von Magie beeinflusst. Sie hat es nicht verdient, dass sie aufgegeben und dem Feind überlassen wird.«
»Das sehe ich auch so und meine Mutter hat versprochen die Suche weiterzuführen, wenn wir demnächst aufbrechen«, verriet sie ihm.
»Hm«, machte Gray simpel, stützte das Kinn auf ihren Kopf und strich langsam durch die Strähnen ihres blonden Haares.
Lana genoss seine Nähe, aber auch die Zuneigung, die er ihr entgegenbrachte. Obwohl jeder sie hier auf dem Balkon sehen konnte, war ihnen beiden das inzwischen egal. Zu Anfang, als sie nach Tetra gekommen waren, hatten sie es vermieden, ihre tiefe Freundschaft offen zu zeigen. Gray war schließlich Kronprinz und Lana durch ihre Fähigkeit der Gestaltwandlung zur Götterbotin aufgestiegen. Die große Vertrautheit, ohne dass Liebe zwischen ihnen bestand, brachte vor allem die Dämonen auf, die in der Hinsicht sehr traditionell waren, aber inzwischen schien es jeder akzeptiert zu haben. Sogar Grays Schwester Sharie. Und es half ihnen beiden die schweren Aufgaben, die auf ihren Schultern lasteten, besser zu bewältigen. Also konnten sie sich diese ruhigen Momente durchaus gönnen.
Zufrieden schmiegte sich Lana in die Wärme ihres Freundes und atmete tief durch, während sie weiterhin seine Finger in ihrem Haar spürte. Für einen kleinen Moment ließ sie sogar die Vorstellung zu, dass Gray ihre Gefühle erwidern würde, selbst wenn sie das bei ihm bisher nicht wahrgenommen hatte. Doch da versteifte er sich und kurz befürchtete sie, dass er ihre Sehnsucht durch die Seelenbindung gespürt hatte. Aber das konnte nicht sein, denn dazu wäre die Bindung nur fähig, wenn sie ihr Blut miteinander verbanden. Deswegen hob Lana den Kopf. »Was ist?«
»Sieh«, meinte er und deutete mit einer Bewegung Richtung Tetra.
Schnell blickte Lana in die angegebene Richtung und entdeckte augenblicklich das kleine, zarte Licht, das dicht über den Dächern dahinschoß – direkt auf das Schloss und damit auf sie zu.
»Sinsa«, rief Lana voller Angst und beugte sich weit über die Brüstung des Balkons. Die Sonne hatte sie gerade erreicht und würde das Irrlicht auf der Stelle auslöschen, wenn es auch nur mit ihren Strahlen in Berührung kam. Eine Sekunde waren Lanas Gedanken gelähmt, dann wollte sie auf ihre Magie und damit auf eine ihrer fünf Gestalten zugreifen: die der Dämonen.
Doch Gray war schneller.
Schon sprang er von dem Balkon, fiel der Tiefe entgegen und entfaltete seine schwarzen Schwingen erst, als er die Dächer Tetras fast erreicht hatte. Lana hielt die Luft an, konnte aber nicht erkennen, was Gray und Sinsa taten, als sie sich trafen. Kurz darauf kam ihr Dämonenfreund jedoch bereits mit wenigen Schlägen seiner ledernen Flügel wieder zu ihr herauf und hielt die Hände dabei schützend um Sinsa.
Dass er das Irrlicht überhaupt berühren konnte, lag ebenfalls an der Seelenbindung zu Lana, was sie nun wahrlich zu schätzen wusste. Sie atmete auf, als Gray neben ihr landete und schnell durch die Balkontür in den dunklen Raum dahinter trat. Lana folgte ihm und schimpfte auch sogleich los, als sich Sinsa aus Grays Griff befreite. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Ich habe mir furchtbare Sorgen gemacht und wenn Gray nicht schnell genug gewesen wäre, hätte dich die Sonne erreicht.«
Nein, hätte sie nicht, unterbrach sie das kleine goldene Flämmchen, ließ sich zu Boden gleiten und verwandelte sich dort in seine Lieblingsgestalt: einen großen, wuscheligen Wolf. Hechelnd sah er zu Lana auf. Du weißt doch, dass ich dir keine Sorgen machen will. Ich wäre im Erdgeschoss in die Gänge des Schlosses eingetaucht und durch die inneren Flure hergekommen. Da schafft es schließlich kein Sonnenstrahl hinein.
»Dir ist bewusst, dass wir von deinen Plänen nichts wussten?«, tadelte ihn nun auch Gray, während Lana erleichtert in die Hocke ging.
Aufgeregt sprang Sinsa auf und hopste gut gelaunt durch das große Zimmer, das eigentlich der Mittelpunkt von Grays Räumen hier im Schloss von Tetra war, nun aber auch Lana, ihrer Mutter Silvia, Mihana und Kimire als Unterkunft diente. Ach was, so halte ich euch wenigstens auf Trab. Euch darf schließlich nicht langweilig werden.
»Ja, danke«, murrte Lana sarkastisch. »Als ob gerade wir beide zu wenig zu tun hätten.«
Sie schrie überrascht, als Sinsa sie einfach mit vollem Schwung umwarf, um ihr im nächsten Moment mit der Schnauze ins Ohr zu schnaufen. Gray lächelte, als Lana kreischend auflachte und sich gegen ihr Irrlicht zu wehren versuchte. Eben hatte sie noch so ernst und traurig gewirkt, aber es war nicht ihr Wesen, lange Trübsal zu blasen, und Sinsa lockte ihre gute Laune nur noch schneller hervor. Beinahe wie ein Wind, der eine Wolke vor der Sonne beiseiteschob.
Gray fand, dass die beiden ein fantastisches Gespann abgaben, und es freute ihn, dass er nicht der Einzige war, der sich bemühte Lanas strahlendes Wesen zu erhalten. Doch als sie verzweifelt versuchte das Irrlicht von sich herunterzuschieben, fielen ihm die noch sehr roten und empfindlichen Narben auf, die sich um Lanas Handgelenke wanden. Sie trug zudem nur eine kurze Hose und ein ärmelloses Oberteil, wodurch er all die anderen Wunden sehen konnte, die ihren Körper verunstalteten.
Die blauen Flecken, die sie von Duraks Folter zurückbehalten hatte, waren inzwischen verblasst, aber die Narben würden Lana wohl den Rest ihres Lebens begleiten. Noch immer, wenn Gray daran dachte, flackerte das typische Rot in seinem Blick auf, das den Kampfrausch der Dämonen ankündigte. Aber Lana schien das, was ihr im Lager der Feinde passiert war, vergessen zu wollen, weswegen er seinen Hass auf ihre Feinde tief in sich vergrub. Er würde nichts besser machen, wenn er seinen Rachegelüsten nachgab.
Also lehnte er sich lieber gegen einen der Sessel, die in einem Halbkreis um einen niedrigen Tisch in der Mitte des Zimmers standen, während Lana vor Lachen fast keine Luft mehr bekam. Wie gern er sie doch so glücklich sah … Aber ein Geräusch an der Tür, die in die Gänge von Tetras Schloss führte, ließ nicht nur ihn sich umwenden, sondern auch Sinsa innehalten. Erschöpft blieb Lana einfach auf dem Teppich liegen, während Gray Kimire eintreten sah.
Die Elbin trug wie immer ihre schwarze Spionenkleidung, durch die sie perfekt mit den Schatten verschwamm, doch heute Morgen verbarg keine Maske ihr Gesicht. Dadurch erkannten sie nicht nur ihre blauen Augen, sondern auch ihre zarten Züge. Sie wirkte müde und strich sich das schwarze Haar zurück, das so anders war als das der restlichen Elben. Denn eigentlich sollte es weiß sein. Aber Kimire war genau wie Lana etwas ganz Besonderes unter ihrem Volk. Überrascht blieb sie stehen, als sie Lana am Boden liegen sah. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja«, brachte Lana keuchend hervor und hob schwach die Hand. »Gib mir einfach ein paar Sekunden.«
Amüsiert zuckten Kimires Lippen, aber sie nickte auf diese Bitte nur und wandte sich an Gray. »Ihr habt nicht vergessen, dass Talien euch in einer halben Stunde sehen will? Die genauen Details über die Reise müssen heute unbedingt geklärt werden.«
»Nein, wir haben es nicht vergessen, keine Sorge«, erwiderte er, bemerkte aber sogleich den zweifelnden Blick von Kimire, als sie die wenige Kleidung betrachtete, die Lana und er trugen. Sie wirkten wirklich nicht, als ob sie bereit für einen neuen, langen Tag wären.
»Wir haben noch auf Sinsa gewartet«, erklärte er deswegen.
Kimire nickte verstehend und bestätigte ihm damit, dass sie von der Aufgabe des Irrlichts wusste. »Hat er etwas gefunden?«
»Das ist eine gute Frage«, gab Gray zu und sah zu Sinsa. »Wir hatten noch keine Zeit, ihn danach zu fragen.«
Dass das Irrlicht betrübt die Ohren hängen ließ, sagte eigentlich schon alles, aber seine nächsten Worte bestätigten die Vermutung. Ich konnte leider weder Marietta noch ihr Irrlicht finden, obwohl ich mich heute tiefer als je zuvor in das feindliche Lager gewagt habe. Mir bleiben eigentlich nur noch die Opferstellen …
»Nein, ich möchte nicht, dass du dorthin gehst«, unterbrach ihn Lana und setzte sich wieder auf. Zärtlich strich sie Sinsa durch das Fell. »Du hast alles gegeben, um sie zu finden, aber du musst nichts tun, dass dich zu nah an die Kathasis führt. Dort wird Marietta mit Sicherheit nicht sein.«
Das war nur eine Vermutung, die sie nicht bestätigen konnten, denn nachdem Marietta Lana verraten hatte, war ihr Wert für Fueno eigentlich dahin, aber weder Kimire noch Gray widersprachen Lana. Es schadete nicht, wenn sie sich ihrer Hoffnung hingab.
Ein letztes Mal strich sie noch über Sinsas Fell, ehe sie aufstand. »Ich gehe kurz ins Bad und mache mich dann fertig. Wir wollen die anderen ja nicht warten lassen.«
»Tu das«, sagte Gray milde und schwieg, bis sie hinter einer der vielen Türen verschwand, die von dem Aufenthaltsraum abgingen.
»Ich wünsche ihr wirklich, dass ihre Schwester noch lebt«, verriet ihm Kimire.
»Ja, ich auch. Allerdings weiß ich nicht, ob ich es Marietta wünsche. Wir sehen nur zu deutlich an Lana, was wenige Stunden in Feindeshand mit einem von uns anrichten können. Und Marietta ist erst vierzehn.«
»Da hast du recht, aber wir können leider nichts für sie tun, wenn wir nicht wissen, wo sie ist.« Müde strich sich Kimire über die Augen und Gray bemerkte den sehnsüchtigen Blick, den sie der Tür zuwarf, hinter der ihr Zimmer lag.
»Geh schlafen«, empfahl er der Elbin und drückte sich von dem Sessel weg. »Du hast eine anstrengende Nachtschicht hinter dir und wir können dir eine Zusammenfassung davon geben, was den Morgen über entschieden wird.«
»Das ist nett von dir, danke, Gray«, sagte Kimire und ihre Lippen hoben sich zu einem zarten Lächeln. »Aber ich werde die Besprechung noch aushalten.«
»Nichts da, wir müssen jede Erholungspause nutzen, die uns gegeben wird. Das weißt du.«
Einen kurzen Moment musterte Kimire ihn, nickte dann aber und schlüpfte mit einer leisen Verabschiedung in ihr Zimmer. Gray wandte sich zufrieden ab, um sich etwas anderes anzuziehen. Sinsa folgte ihm freudig hüpfend in sein Schlafzimmer. Darf ich euch denn zu der Besprechung begleiten? Ich bin noch gar nicht müde und will zuhören.
Belustigt zuckten Grays Lippen, doch er sah streng auf das Irrlicht hinab. »Aber nur wenn du Lana nicht wieder Sorgen bereitest und der Sonne fernbleibst.«
Sofort stellte sich Sinsa stramm und mit durchgestrecktem Rücken auf, was bei einem Wolf äußerst skurril wirkte. Ich werde ganz brav sein, sodass ihr gar nicht bemerkt, dass ich da bin.
»Wie könnte ich dir deinen Wunsch dann abschlagen?«, fragte Gray amüsiert und schlüpfte aus der Hose, um sich für den Tag fertig zu machen.
Obwohl Lana und Gray mit ihren Schwingen schneller zu dem Treffen mit Talien gekommen wären, benutzten sie heute den konventionellen Weg zu Fuß. Das lag nicht nur daran, dass Sinsa sie begleitete und er den Schutz der Schlossgänge benötigte, sondern auch daran, dass Gray auf diese Weise wichtige Boten empfangen konnte.
Immer wieder wurden sie auf ihrem Weg eingeholt, damit Nachrichten überbracht, Entscheidungen eingeholt oder wichtige Anfragen beantwortet werden konnten. Lana störte das nicht, da sie es inzwischen gewohnt war, ständig auf Trab gehalten zu werden, und die Leute ja zu Gray wollten und nicht zu ihr. Deswegen lauschte sie den Gesprächen zwar, konzentrierte sich aber meist auf die opulenten Gänge des Schlosses.
Obwohl es in den Stein der obersten Klippe geschlagen worden war, hatte sie selten das Gefühl, sich unter der Erde zu befinden – was sie im Prinzip ja tat. Doch die öffentlichen Bereiche des Herrscherhauses der Menschen lagen allesamt an der Außenseite, wodurch viele Fenster Licht hereinließen. Die Gänge waren zudem gigantisch groß und mit hellen Fliesen verkleidet, weswegen sie sich nie eingeengt fühlte. Unzählige Lampen, weiche Teppiche und allerhand künstlerische Gegenstände täuschten zusätzlich darüber hinweg, dass sich hinter den Wänden und Decken undurchdringlicher Stein befand.
Lana war von der Idee der Menschen, ihr Schloss so aufzubauen, fasziniert, aber noch mehr schätzte sie den Blick, den sie von hier oben hatte. Tetra im Sonnenschein des Sommers funkeln zu sehen war schon berauschend, aber weit im Süden die Sümpfe, Wälder und Berge Süd-Mederias zu erkennen verbannte gerade im morgendlichen Dunst all die Schrecken, die sie in den letzten Wochen und Monaten erlebt hatten, aus ihrem Kopf.
Ein kleiner Stich durchzog Lanas Herz, als sie den Göttern dankte, dass sie durch die riesige Stadtmauer nicht auf das Lager ihrer Feinde blicken konnte, das am Fuße der Klippen lag. Dort sah es so aus, als ob eine brodelnde Dunkelheit alles verschluckt hätte, und die vielen Reihen an Zelten, die den Kriegern als Unterkunft dienten, konnten an der Hoffnung auf Frieden nagen.
Aber Lana wollte nicht daran denken und wich stattdessen einem Sonnenstrahl aus, der durch eines der Fenster schien. Sinsa trippelte aufgeregt in der Gestalt einer Maus auf ihrer Schulter umher und aufgrund seiner weit aufgerissenen Augen hätte man meinen können, dass er zum ersten Mal durch das Schloss ging. Sacht strich Lana mit einem Finger über sein weiches Fell und spürte Dankbarkeit, ihn an ihrer Seite zu wissen. Genauso wie Gray, der in diesem Moment wieder zu ihr aufschloss.
»Wenn wir Glück haben, war das der letzte Bote, bevor wir Zuflucht im Besprechungsraum finden«, sagte er mit einer Spur Humor in der Stimme. Es verblüffte Lana, dass er so entspannt wirkte, obwohl er seine Gedanken ständig bei den Aufgaben haben musste, die nie weniger zu werden schienen. Aber auch sie fühlte sich gut, selbst wenn ihr Tag schon jetzt vor Terminen platzte.
»Bist du dir sicher?«, fragte sie und deutete voraus. »Wir müssen noch den ganzen langen Gang hinter uns bringen. Da kann viel passieren.«
Dass Gray ihr amüsiert zuzwinkerte, löste einen kleinen glücklichen Vogel in ihrem Magen aus, der aufgeregt flatterte und ihr ein Kribbeln verursachte, das sie über alle Maßen genoss. Bevor er aber etwas sagen konnte, wurde erneut nach ihm gerufen, was sie beide aufseufzen ließ. Es waren doch nur noch zwanzig Meter bis zum Besprechungsraum. Als sie sich jedoch herumdrehten, schallte ihnen bereits ein lautes Lachen entgegen und sie erkannten Famir, der wenige Meter hinter ihnen stand.
»Wisst ihr, dass ihr gerade synchron geseufzt habt? Ich muss mich öfter von hinten an euch heranschleichen, denn eure Reaktionen sind einfach großartig«, rief Grays jüngerer Bruder und schloss sich ihnen mit einem breiten Grinsen an.
Famirs Verwandtschaft zu Gray war deutlich zu erkennen, aber ihm fehlte noch eine gewisse Reife, was wohl daran lag, dass er nie damit rechnen musste, einmal über ein Volk zu herrschen. Das hatte ihn nicht nur zu einem sehr fröhlichen Mann gemacht – was unter Dämonen genauso selten war wie Grays Ruhe –, sondern auch zu einem ausgezeichneten Kämpfer. Denn im Gegensatz zu Gray konnte er seinen Weg im Leben frei wählen und hatte sich für den der Krieger entschieden.
Deswegen widmete er sich auch mit Freude Lanas Kampffertigkeiten. Er liebte es, sie herauszufordern und sie dazu zu zwingen, ihre verschiedenen Gestalten möglichst perfekt anzuwenden. Dadurch hatten er und Lana in den letzten Wochen viele Stunden miteinander verbracht, wodurch eine enge Freundschaft entstanden war.
»Vielleicht sollte ich dich mal einen Tag lang alle Dinge erledigen lassen, die mich aufhalten. Dann seufzt du sicher ebenfalls«, gab Gray zurück und entlockte Famir damit ein abweisendes Geräusch, das beinahe angeekelt klang.
»Nein, lass das ruhig, Bruderherz, ich würde unser Volk am Ende nur kaputt machen.«
»Eigentlich sollte das nicht möglich sein, aber dir traue ich das durchaus zu«, stichelte Lana ihn.
Famir grinste sie feist an, wodurch sie seine spitzen Eckzähne erkennen konnte, und pikste sie mit einer seiner Klauen in die Wange. »Werde nur nicht frech, Wildkätzchen, sonst muss ich dir nachher im Training eine Lektion erteilen.«
»Das wird wohl nichts, denn Gareth hat mich gebeten noch einmal für eine Übungsstunde in die Magierakademie zu kommen. Er will ein letztes Mal sehen, wie ich mit der Windmagie der Cashir klarkomme, bevor er keine Gelegenheit mehr dazu hat«, blockte Lana ihn ab und wich nun seinem Finger aus, da er ihr an der Wange schmerzte.
Famir wollte schon empört aufbegehren, aber Gray hielt ihn davon ab, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legte und ihn Richtung Besprechungszimmer schob. »Reg dich bitte nicht auf. Du wirst Lana auf unserer Reise nicht mehr mit ihm teilen müssen, also kannst du heute sicher auf die Übungseinheit mit ihr verzichten.«
»Hmpf«, machte Famir, schritt aber voran, während er die Hände am Hinterkopf verschränkte. »Du kannst mir nicht sagen, dass wir dann Zeit zum Trainieren haben. Wir werden uns schließlich durch den Süden kämpfen müssen.«
Gray antwortete ihm, aber Lana hörte ihnen nicht mehr zu, denn Famirs Worte hatten sie direkt zu dem katapultiert, was vor ihnen lag, seitdem die Attrappe von Königin Zernias Scherbe gestohlen worden war. Sie mussten in den Süden, um die versiegelten Hallen zu finden und dort Sakterkis zu besiegen. Es war der einzige Weg, um Mederia auf Dauer von ihm zu befreien. Und es lag allein in Lanas Hand, das zu bewerkstelligen.
Unbewusst ergriff sie die Kette, die um ihren Hals lag und deren Anhänger zwischen ihren Brüsten ruhte, damit niemand sah, dass sie die wahre rote Scherbe trug. Das letzte Stück, das Sakterkis in seiner Zwischenwelt gefangen hielt. Wieder spürte sie die Last dieser Aufgabe, die Angst zu versagen oder gar bei dem Versuch zu sterben, ihr Land und die darin lebenden Völker zu schützen. Von ihr wurde so viel erwartet …
Da legten sich warme Finger auf ihre Schulter und sie sah auf in Grays braune Augen. »Mach dir keine Sorgen, Lana, du musst da nicht allein durch.«
»Genau«, meinte Famir leichthin. »Schließlich passen wir auf dich auf.«
»Danke«, sagte Lana ehrlich und berührte kurz Grays Hand, bevor sie gemeinsam die letzten Meter bis zu der Doppeltür gingen, die am Ende des Ganges von mehreren Palastwachen flankiert wurde.
Sinsa hopste derweil auf Lanas Schulter auf und ab. Ich werde auch auf dich aufpassen! An mir wird nie auch nur eine Fliege vorbeikommen.
»Gegen dich kommt natürlich niemand an«, erwiderte Gray amüsiert.
Famir sah nur kurz zu Sinsa, da er ihn nicht verstehen konnte, aber inzwischen hatten sich die meisten in ihrer Umgebung daran gewöhnt, dass sie auf etwas antworteten, das nur sie beide hören konnten.
Als sie das Portal erreichten, öffnete ihnen eine der Wachen und sie betraten einen großen, sonnendurchfluteten Raum, den sie normalerweise benutzten, um Besprechungen mit Herrschern und wichtigen Persönlichkeiten zu führen, die in Tetra anwesend waren. Deswegen nahm auch das meiste des Platzes ein riesiger, kreisrunder Tisch ein, der heute jedoch bis auf drei Leute verwaist war.
»Lana!«, rief eine davon und fiel ihr auch schon um den Hals, sodass ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde.
»Guten Morgen, Marie«, krächzte sie, woraufhin ihre Schwägerin von ihr abließ und sie breit angrinste.
Marie war ebenfalls eine Dämonin und besaß daher die typischen schwarzen Haare, die braunen Augen und natürlich die ledrigen Schwingen, die auch Gray und Famir ihr Eigen nennen konnten. Und sie zeigte auch das impulsive Wesen der Dämonen, obwohl es sich meist in freudigen Ausbrüchen wiedergab. So wie jetzt. »Ihr seid spät. Sag nicht, dass du verschlafen hast.«
»Nein, Gray und ich haben auf Sinsa gewartet.« Sie deutete auf das Irrlicht, das sich in einen kleinen Vogel verwandelte und sich zu dem Kronleuchter aufschwang, um der Sonne auszuweichen.
Sofort wurde Maries Miene ernst, da auch sie eine der wenigen war, die von Sinsas Suche wussten. »Hat er Marietta gefunden?«, fragte sie leise.
Lana schüttelte nur den Kopf, weswegen Marie ihr sacht die Wange tätschelte. Lana war froh, dass sie so viele Freunde hatte, die mit ihr fühlten, aber sie wollte gerade nicht an ihre Schwester denken und sah sich deswegen neugierig um. »Wo hast du Prue gelassen?«
Maries kleine Tochter und Lanas Nichte befand sich eigentlich immer bei ihr, doch gerade hielt sie sie nicht im Arm.
»Hier«, mischte sich eine mehr als missmutige Stimme ein und Lanas Blick wanderte zu Mihana, die das Dämonenbaby mit ausgestreckten Armen von sich hielt und dabei wirkte, als ob sie eine Schnecke berührte. Wahrscheinlich hatte Marie sie ihr einfach in die Hand gedrückt, als sie Lana begrüßen wollte. Beinahe hätte Lana aufgelacht, aber das hätte Mihana nicht gut aufgenommen.
Die Wächterin, die sie in Er-yen aus ihrem dreihundert Jahre andauernden Schlaf geweckt hatten, ging mit ihr immer hart ins Gericht, weswegen sich Lana bemühte ihren Missmut nicht auf sich zu lenken. Stattdessen ging sie zu ihr und nahm ihr Prue ab.
Noch immer war das Haar des Mädchens blond, was ihr nur zu genau zeigte, dass sie die Tochter ihres Bruders David war. Doch inzwischen hatten sich die rabenschwarzen Schwingen von ihrem Rücken gelöst, mit denen sie nun glucksend schlug.
»Mittlerweile schläft sie gar nicht mehr so viel«, bemerkte Lana, weswegen Marie an ihre Seite trat.
»Nein, sie wird stetig aktiver und ich befürchte, dass ich immer mehr mit ihr zu tun haben werde.«
»Das Los der Mütter, Marie«, ertönte eine weitere, dieses Mal männliche Stimme.
Lana drehte sich zu dem letzten Anwesenden in dem riesigen Raum um: Talien. Der oftmals ernste Mensch mit den hübschen blauen Augen war nicht nur einer der berühmtesten Barden ganz Mederias, sondern auch Lanas Lehrer. Erst vor einer Woche hatte er zusammen mit der Leiterin der Gilde, Dabora, Lana die Bardenprüfung abgenommen, weshalb sie nun endlich ein anerkanntes Mitglied war.
Lana hatte Talien viel zu verdanken und es freute sie, dass er sie in den Süden begleiten würde. Selbst wenn ihr Verhältnis seit seiner Liebeserklärung ein anderes war, gehörte er noch immer zu den wichtigsten Personen in ihrem Leben. Und er nahm es ihr scheinbar auch nicht übel, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte, denn er lächelte freundlich, als sie ihn begrüßte. Trotzdem funkelten seine Augen nicht ganz so freudig wie früher.
»Guten Morgen, Talien, wie es aussieht, hast du dir in den letzten Tagen viel Arbeit gemacht«, bemerkte sie, während sie den Blick über all die Unterlagen wandern ließ, die auf der Tischplatte verteilt lagen.
»Ob du es glaubst oder nicht, aber es hat mich nur zwei Nachtschichten gekostet, alle notwendigen Informationen für unsere Reise zusammenzusuchen.«
»Ja, aber nur weil er Hilfe von den anderen Barden und mir hatte«, warf Famir ein und setzte sich auf einen der Stühle. »Ich schwöre, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie so viele Bücher in der Hand gehalten habe.«
»Das glaube ich dir sofort«, bemerkte Gray und ließ sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder, was ihm Mihana und Marie gleichtaten. Nur Lana blieb neben Talien stehen und wiegte Prue sacht im Arm.
»Bücher sind nicht unbedingt deine Leidenschaft, hm?«, neckte sie den jüngeren Dämonenprinzen.
»Unter Garantie nicht!«, versicherte er ihr, was Talien zu einem Kopfschütteln veranlasste.
Lana verkniff sich ein Grinsen, denn ihr Lehrer hatte es noch nie verstehen können, dass manche Leute einfach keinen Gefallen an Geschichten und Büchern fanden. »Lasst uns zu dem eigentlichen Grund kommen, aus dem wir uns heute treffen. Aber sagt: Wo ist Kimire?«
»Wir haben sie ins Bett geschickt, weil sie gerade von einer Nachtschicht an der Mauer zurückgekehrt ist«, klärte Lana ihn auf und hob dabei Prue hoch über ihren Kopf, was das kleine Mädchen zum Glucksen brachte.
Für einen Moment war alles ruhig, weil jeder das freudige Wesen des Kindes betrachtete, ganz wie es Babys immer schafften, die Aufmerksamkeit aller zu bannen.
Auch Talien lächelte, widmete sich dann aber den Unterlagen auf dem Tisch. »Gut, dann werdet ihr sie später sicher über alles informieren. Ich habe vorhin mit den Königinnen gesprochen und sie haben festgelegt, dass wir bereits in zwei Tagen aufbrechen.«
Überrascht sahen sich alle an, denn mit so einer plötzlichen Abreise hatte keiner von ihnen gerechnet.
»Wieso überstürzen wir es jetzt so?«, fragte Gray und strich sich nachdenklich über das Kinn, während auch er die Unterlagen betrachtete. »Bisher hieß es doch immer, dass wir uns so gut wie möglich vorbereiten sollten.«
»Das liegt wohl daran, dass Meroma ungeduldig wird«, versuchte Talien eine Erklärung zu finden. »Die Drachen sind im Moment sehr stark, weil die helle Göttlichkeit gut gegen die der dunklen Götter ankommt, und Angriffe bleiben derzeit aus, weshalb sie die Gunst der Stunde nutzen wollen. Zudem sind wir mit unseren Recherchen fertig.«
»Ihr habt den Standort der versiegelten Hallen gefunden?«, fragte Lana überrascht und auch aufgeregt.
Talien betrachtete sie kurz mit seinen blauen Augen und schüttelte dann den Kopf. »Nein, nicht direkt. Dabora vermutet, dass der genaue Ort aus gutem Grund nirgends genannt wird. Aber wir konnten ihn anhand von Beschreibungen recht gut eingrenzen, weswegen ich ebenfalls denke, dass die Zeit zum Aufbruch gekommen ist.«
Er griff nach einer Pergamentrolle, die er entfaltete und auf den Unterlagen ausbreitete. Eine Karte lag nun vor ihnen, die ganz Süd-Mederia samt der ersten Kilometer der angrenzenden Länder und somit auch Tetra zeigte. Lana hatte sie in den letzten Tagen so häufig gesehen, dass sie inzwischen jedes Detail auswendig kannte.
Im Westen und damit in Blickweite, wenn sie aus dem Fenster sehen würde, lag das Meer, das sich in einer langen Kurve um das Festland zog und damit auch den Süden begrenzte. Das meiste des Landes nahmen Sümpfe oder dichte, feuchte Wälder ein, in denen die kuriosesten Tiere lebten. Lana kannte viele Horrorgeschichten darüber, was unaufmerksamen Wanderern dort alles geschehen konnte, und auch deswegen war sie froh, dass Talien sie begleitete. Er war so häufig im Süden gewesen, dass er jede Ecke dort kannte – und dazu all ihre Gefahren.
Im Norden grenzten dichte Wälder an die Bergkette, die auch die Marmorfeste beherbergte. Dort lebten die Nymphen und Lana fand es schade, dass sie sehr wahrscheinlich nicht dort vorbeikommen würden. Zu gern hätte sie erfahren, was Cyanea und ihre Banshee dazu veranlasst hatte, von dort fortzugehen und sich Fueno anzuschließen. Aber sie dachte nur kurz an die grünhaarige Frau, die ihr so viel Unheil gebracht, ihr aber genauso oft geholfen hatte, denn Talien zeigte auf die Gebirgskette ganz im Osten.
»Wir haben lang diskutiert und sind schließlich übereingekommen, dass es am wahrscheinlichsten ist, den Zugang zu den Hallen hier zu finden.«
»Aber dort liegt Charseas«, bemerkte Lana nachdenklich.
»Die Stadt, in der damals alles begonnen hat?«, fragte Mihana ebenfalls verwundert, jedoch noch zusätzlich mit einem tiefen Stirnrunzeln. Sie hatte schon vor dreihundert Jahren den Krieg erlebt, der sich nun wiederholte, weswegen sie mehr Hintergrundwissen besaß als Lana und Talien, die von Berufswegen extrem viel über die Geschichte Mederias wussten.
»Sakterkis hatte dort sein Schloss, oder?«, fragte nun Gray.
Lana nickte und fuhr einen Bereich des südlichen Mederias nach, der beinahe das halbe Land einschloss. »Damals herrschte er über das ganze Gebiet hier und in Charseas experimentierte er auch zum ersten Mal mit der Blutmagie in Verbindung mit dunkler Göttlichkeit. Ich kann verstehen, dass ihr die versiegelten Hallen in der Nähe der Stadt vermutet, da es den Verteidigern von vor dreihundert Jahren mit Sicherheit schwergefallen ist, Sakterkis von dort fortzulocken. Aber mitten in der Stadt?« Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Dann hätte mit Sicherheit schon viel früher jemand den Zugang gefunden.«
»Nicht unbedingt«, unterbrach Talien sie und starrte auf die Karte, ohne sie wirklich zu sehen. »Ich traue Vera und den Helden der vergangenen Zeit durchaus zu, sich etwas sehr Raffiniertes ausgedacht zu haben, woran wir derzeit vielleicht nicht denken. Aber es ist auch nicht gesagt, dass die Hallen in der Stadt sind. Das umliegende Gelände kann genauso gut möglich sein. Es steht auf jeden Fall fest, dass die Gebirgskette dort öfter in den alten Schriften genannt wird.«
»Das heißt, wir müssen auf gut Glück suchen?«, fragte Famir und kippelte mit seinem Stuhl vor und zurück.
»Uns wird leider nichts anderes übrig bleiben«, gab Talien zu, obwohl es ihm offensichtlich nicht passte, etwas nicht ganz genau zu wissen. Lana vermutete, dass ihm dieser Umstand gegen seine Bardenehre ging. Seine nächsten Worte ließen sie aber beinahe freudlos auflachen. »Wir hoffen, dass Lanas Magie uns helfen kann, sobald wir in der Gegend sind.«
»Ich bin kein wandelnder Wegweiser«, machte ihm Lana noch einmal klar, obwohl er das kaum vergessen haben konnte.
Taliens Lippen zuckten belustigt, als er wieder zu ihr sah. »Nein, das bist du nicht, aber auch beim Drachenhort hat dir deine Gabe geholfen Joserina’nelim zu finden. Vielleicht klappt das erneut, schließlich konntest du deine fünfte Gestalt noch nicht erwecken. Sie könnte der Schlüssel zu allem sein.«
»Sich jedoch nur aufgrund von Vermutungen in den Süden zu begeben finde ich sehr gewagt«, schaltete sich Mihana ein.
»Aber bleibt uns denn etwas anderes übrig?«, konterte Talien. »Wir können noch Wochen hier verbringen, um weiteren Hinweisen nachzujagen, und dabei unsere Chance, unbemerkt in den Süden vorzudringen, verpassen. Unser Feind wird eher früher als später herausfinden, dass die gestohlene Scherbe eine Attrappe war, und erneut angreifen. Schon jetzt versuchen sie ihre Schattenarmee zu alter Stärke zu bringen und sollten sie herausfinden, dass Lana dann nicht mehr da ist, um die Tore zu bewachen, werden sie den Verteidigern hart zusetzen und vielleicht nach Lanas Verbleib suchen. Feinde im Rücken finde ich nicht gerade angenehm und jeder Tag, den wir hier verschwenden, bringt nicht nur unsere Mission, sondern auch uns in Gefahr.«
Gray betrachtete den schlanken Barden, der dafür, dass er ein so weltbekannter Mann war, überraschend unscheinbar wirkte, und nickte dann, wodurch er Lana unterbrach, die gerade den Mund geöffnet hatte. »Ich bin der gleichen Meinung wie Talien. Es mag riskant sein, ohne den genauen Standort der versiegelten Hallen in den Süden aufzubrechen, aber jeden Tag, den wir hier mit der Suche nach Informationen verbringen, hätten wir bereits näher an Sakterkis dran sein können. Möglicherweise müssen wir noch etwas sondieren, wenn wir bei Charseas ankommen, aber bisher hat sich immer eine Lösung finden können. Ich bin ebenfalls dafür, in zwei Tagen aufzubrechen.«
Famir und Mihana nickten bestätigend, vielleicht weil sie es inzwischen verabscheuten, untätig zu warten, aber Lana wirkte unsicher. Deswegen hielt er den Blick aus ihren grünen Augen und wartete, bis sie die Überzeugung in seinen sah, mit der er ihr zu verstehen gab, dass er absolut hinter seinen Worten stand. Schließlich seufzte sie und nickte. »Na gut, dann schließe ich mich eurer Meinung an.«
»Sehr schön«, rief nun Marie, sprang von ihrem Stuhl und nahm Lana ihre Tochter ab. »Dann heißt es nun, Sachen packen und alles für den Aufbruch vorbereiten. Ich habe auch schon eure Kleidung fertig, die für den Süden passender ist als die jetzige.«
Gray bemerkte den Blick, den Lana an sich hinabgleiten ließ und der eindeutig wehleidig war. Er wusste, wie sehr sie das im Nacken zu verschließende Mieder und die weite Hose, die sie gerade trug, zu schätzen gelernt hatte. Diese Kleidung war perfekt dafür, sich den Veränderungen ihrer Gestalt anzupassen, aber selbst er wusste, dass sie sich so im Süden nicht zeigen durfte. Und auch ihm gefiel der Gedanke nicht, dort etwas überziehen zu müssen, das seine Schwingen verdeckte. Das Land war sehr heiß und feucht und er wollte mit Sicherheit kein langes Kleidungsstück überwerfen. Aber es musste sein. Das wusste auch Famir, der es sich nicht nehmen ließ, laut zu seufzen.
Marie, ganz in ihrer fröhlichen Art, lachte auf. »Ihr habt doch noch gar nicht gesehen, was ich für euch vorbereitet habe. Schlechte Laune ist also unangebracht.«
»Dann werden wir uns wohl überraschen lassen müssen, hm?«, fragte Gray mit einem Lächeln, das Marie mit einem Zwinkern erwiderte.
»Ihr solltet vielleicht gleich gehen und die Sachen anprobieren. Zwei Tage sind nicht viel, um die letzten Vorbereitungen zu treffen«, bemerkte Talien und begann die Karte aufzurollen.
»Bei mir wird das nicht klappen«, meinte Lana. »Ich muss gleich zu Gareth an die Mauer, um die Runen aufzufüllen. Meine Mutter will mich auch noch sehen und dann …«
»Ja, wir haben verstanden, dass du viel zu tun hast, Wildkätzchen«, unterbrach Famir sie schlecht gelaunt, was ihn aber nur einen amüsierten Gesichtsausdruck von Marie einbrachte.
»Seid Ihr etwa beleidigt, weil sie heute keine Zeit für Euer Training einplanen konnte? Wenn Ihr unbedingt Eure Energie loswerden wollt, kann ich gern etwas Zeit für Euch hernehmen. Mir fehlt das Kampftraining so sehr«, rief sie sehnsüchtig.
»Und was ist mit deinem Anhängsel?«, fragte Famir etwas besänftigt.
»Prinz Gray kann doch auf Prue aufpassen.«
Leise lachte Gray und hob abwehrend die Hände. »Es tut mir leid, aber ich muss für Sharie alles vorbereiten, damit sie mich während meiner Abwesenheit vertreten kann. Ich habe keine Zeit für ein Kleinkind.«
»Na schön, dann suche ich ihr Kindermädchen«, murrte Marie, als auch Mihana und Talien verneinten. »Aber vorher kümmern wir uns um Eure Kleidung. Lana, du kommst einfach vorbei, wenn du Zeit findest.«
»Ist gut«, sagte sie, war aber offensichtlich schon mit den Gedanken woanders.
Belustigt sah Gray dabei zu, wie sie, ohne mit der Wimper zu zucken, über einen der Stühle auf den Tisch stieg und Sinsa ihre rechte Hand entgegenhielt, damit er nicht von der Sonne berührt wurde, die bereits das gesamte Zimmer erobert hatte.
»Los, du musst doch inzwischen müde sein«, ermutigte sie das Irrlicht, das sich zierte.
Aber ich will noch nicht, beschwerte es sich.
»Ich verspreche auch, dich nachher rauszulassen, wenn ich bei Gareth in der Akademie bin.«
Das schien Sinsa milde zu stimmen, denn er löste die Gestalt des Vogels und hopste als kleine Flamme auf Lanas Hand. Gray sah noch immer jedes Mal fasziniert dabei zu, wie Sinsa in dem Mal auf Lanas Hand verschwand und damit bewusst machte, dass er eine noch ungewöhnlichere Bindung zu ihr besaß als Gray.
»Lana, du weißt, dass du da auf einem ziemlich wertvollen Buch stehst?«, fragte Talien finster und bewies damit, dass der ruhige Mann durchaus auch anders konnte. Lana erstarrte entsetzt und blickte auf die Tischplatte unter ihren Füßen – und auf die Seiten eines Buches.
»Bei der Göttermutter!«, rief sie laut und riss den Fuß so schnell weg, dass sie fast aus dem Gleichgewicht kam. Auf einem Bein blieb sie stehen und sah sich nach einem Ort um, auf dem sie es abstellen und einen festen Stand finden konnte, damit es ihr möglich war, vom Tisch zu springen. Als sie bei dem Meer an Dokumenten aber keinen fand, musste Famir laut lachen, während Mihana ein Stöhnen hören ließ. Bevor Talien jedoch auf die Idee kam, ihr Platz zu schaffen, stand Gray auf, umfasste Lanas Knie und hob sie kommentarlos von dem Tisch herunter.
»Vielen Dank«, murmelte Lana, als er sie abstellte und sie einen Schritt zurücktrat.
»Gern geschehen«, erwiderte er und strich sacht mit den Fingern über die leichte Röte ihrer Wangen, die im Licht der Morgensonne nur zu deutlich zu erkennen war. Schon leuchteten Lanas Augen voller Freude auf und die Scham verschwand vollkommen aus ihnen. Kurz lächelten sie sich an, aber ein Räuspern von Talien zwang sie zu dem Barden zu schauen.
»Du solltest jetzt los, wenn du rechtzeitig bei Gareth sein willst«, erklärte er und Gray erkannte den Unmut darüber, dass Lana und Gray ein so gutes Verhältnis zueinander hatten. Aber ihm war die Meinung des Barden dahingehend absolut egal. Talien würde nichts an ihrer Freundschaft ändern können.
Lana nahm seine Worte jedoch zum Anlass, über die Schulter nach dem Stand der Sonne zu sehen und dann zu seufzen. »Du hast recht. Ich werde mich beeilen müssen, wenn ich noch all die Sachen erledigen will, die anstehen.«
Sie winkte allen Anwesenden noch einmal zu, wandte sich dann ab und ließ ihre goldenen Dämonenschwingen auf dem Weg zum Balkon erscheinen. Gray musste glatt blinzeln, als sie die Sonnenstrahlen auffingen und regelrecht erstrahlten. Dass sie so andersfarbig waren und eher wie pures Gold wirkten, faszinierte ihn so sehr, dass er trotz der Helligkeit den Blick nicht abwenden konnte, bis Lana von dem Balkon sprang. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, beschäftigte er sich mit dem Gespräch, das die anderen begonnen hatten. Dass er Lana bereits jetzt vermisste, versuchte er zu verdrängen.
Die nächsten beiden Tage vergingen so schnell, dass sich Gray kaum um all die Dinge kümmern konnte, die er vor dem Aufbruch regeln musste. Obwohl er froh darüber war, Lana in den Süden begleiten zu können, störte es ihn, sein Volk zurückzulassen. Er hatte schon so viele Wochen fern von ihm verbracht, dass er ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken verspürte, es erneut zu tun. Deswegen zögerte er kurz das Dokument vor sich zu unterschreiben.
»Was ist los?«, fragte seine Schwester Sharie, die seine mangelnde Aufmerksamkeit bemerkte.
»Nichts weiter«, erwiderte er, unterschrieb schnell auf dem Blatt vor sich und gab es an den Boten weiter, der darauf wartete.
Während dieser nun eilig das Arbeitszimmer verließ, sah Gray zu seiner älteren Schwester auf. Auch sie trug die typischen Merkmale der Dämonen: schwarzes Haar, braune Augen, ledrige Schwingen, spitze Eckzähne und Krallen an den Händen. Doch die schweren Zeiten der letzten Monate hatten sie noch ernster gemacht, als Sharie früher sowieso schon gewesen war, was ihre aristokratischen Züge nur noch mehr unterstrich und jedem deutlich zeigte, dass sie eine Königstochter war. Wobei Gray es lieber gesehen hätte, wenn Sharie häufiger lächelte. So ernst und beinahe verbittert gefiel sie ihm nicht.
»Ich habe nur gemerkt, dass es mir schwerfällt, mein Volk erneut zurückzulassen«, gab er zu, weil er wusste, dass sich Sharie darüber freuen würde.
Doch zu seiner Überraschung hob sie nur abschätzig eine Augenbraue. »Das glaube ich dir, Bruder, aber du kannst mir nicht erzählen, dass du dich nicht darauf freust, mit deiner Geliebten auf Reisen zu gehen.«
»Nenn sie bitte nicht so«, rügte Gray sie, obwohl er sich über ihre Wortwahl amüsierte. »Lana und ich sind nur Freunde.«
»Hmpf«, machte Sharie und betrachtete ihn beinahe tadelnd. »Das liegt aber nur daran, dass du so zurückhaltend bist.«
»Das mag sein.«
»Sollte sich das zwischen euch nicht geklärt haben, wenn ihr zurückkommt, werde ich es ihr sagen. Und zwar absolut schonungslos. Ob du willst oder nicht.«
Nun konnte sich Gray ein Grinsen nicht verkneifen, denn Sharie war eine der wenigen, die wussten, dass Grays Gefühle für Lana inzwischen viel tiefer gingen. Und sie war zu Anfang wenig davon begeistert gewesen – wenn man es überhaupt so milde ausdrücken konnte. Eigentlich hatte sie Lana gehasst, doch Grays Seelengefährtin, die zudem auch sein Schicksal war, hatte sich den Respekt der Dämonenprinzessin erarbeitet.
»Halte dich bitte aus dieser Sache heraus«, sagte er nun streng. »Ob ich mit Lana darüber rede oder nicht, entscheide ich.«
Statt ihm zu antworten, versteifte sich Sharie plötzlich, was Gray dazu veranlasste, zur Tür zu schauen. Dort stand völlig unerwartet ein Elb. Normalerweise hüteten sich die Vertreter dieses zarten Volkes, in den Trakt der Dämonen zu kommen. Doch es handelte sich in diesem Fall nicht um irgendeinen Elben, sondern um Tesha, den jungen, schlaksigen König, dem Gray in der Stadt Er-yen zum ersten Mal begegnet war. Damals hatte er noch den Titel eines Prinzen innegehabt, doch durch die Geschehnisse im Reich der Elben musste er viel zu früh die Führung über das ruhige Volk übernehmen – und stand dadurch hier in Tetra mit an der Spitze der Führerschaft. Dass Gray ihn unangekündigt und auch noch ohne Begleitung antraf, kam äußerst selten vor.
»Tesha«, begrüßte er den jungen König freudig, aber auch überrascht. Da sich gerade nur noch Sharie im Zimmer aufhielt, kümmerte sich Gray nicht um Höflichkeiten. »Was führt dich denn hierher?«
Tesha grinste, was er sich selten erlaubte, wenn er im Schloss unterwegs war, und strich sich im nächsten Moment durch das weiße Haar. »Eigentlich war ich bei Marie, weil wir etwas wegen eurer Reise absprechen mussten. Ich suche allerdings auch Lana. Marie meinte, dass niemand besser als du wüsste, wo sie derzeit ist, weswegen ich hergekommen bin. Ich habe eine Überraschung für sie.«
Sharie schnaubte missbilligend, weil sie es nicht guthieß, dass ihr Bruder als Ortungsgerät für Lana missbraucht wurde, aber Gray störte sich nicht daran. Stattdessen wandte er den Kopf zu einem der Fenster, um den Stand der Sonne und damit die Uhrzeit ausmachen zu können. Schließlich kannte er in etwa Lanas Tagesplan. Gleichzeitig lauschte er in sich hinein, erspürte die zarte Bindung zu ihr, die seit ihrem Abenteuer im Himmelsgebirge immer stärker wurde und Gray sanft von innen wärmte. Sie führte ihn stets zu seiner Seelenpartnerin und damit im Moment Richtung Tetra. »Sie ist in der Stadt. Wahrscheinlich an der Mauer oder am Marktplatz.«
Tesha seufzte. »Die Frau ist schwerer anzutreffen als ein Huhn auf der Takara-Steppe.«
Gray schmunzelte über diesen Vergleich und stemmte sich im nächsten Moment von seinem Stuhl hoch. Er stützte beide Hände vor sich auf den Schreibtisch, während er an Tesha gewandt sagte: »Wenn du mir verrätst, was du dir für eine Überraschung ausgedacht hast, werde ich sie suchen gehen.«
»Gray«, unterbrach ihn Sharie missmutig, aber er schüttelte den Kopf.
»Gönn mir eine kurze Mittagspause. Mir raucht schon der Kopf und etwas Bewegung wird mir guttun.«