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Eine Seelenbindung zwischen einem Dämon und einer Ignis gab es noch nie. Doch das außergewöhnliche Band zwischen Lana und dem Prinzen der Dämonen wird das Schicksal der ganzen Welt verändern … Seit dem Angriff auf ihre Heimatstadt ist für Lana nichts mehr wie zuvor. Ihre einzigartige Gabe macht sie zur Hoffnungsträgerin im Krieg der Menschen, Elben und Dämonen –, aber auch zum Angriffsziel. Verfolgt von dunklen Kräften muss sie ihr mächtiges Erbe antreten. Doch es fordert von Lana große Opfer … Textauszug: Für ihn bedeutete der Himmel pure Freiheit und im Gegensatz zu Lana verspürte er keinerlei Angst vor dem Fallen. Wenn sie ihn beobachtete, so wie jetzt, vergaß auch sie beinahe den Boden unter sich. Sie konnte loslassen, in dem Wissen, dass jemand an ihrer Seite war, der auf sie achtgab. Ihm würde sie jederzeit ihr Leben anvertrauen. Eine Welt voller Elben, Irrlichter, Drachen und Dämonen - DAS Lesevergnügen des Jahres für alle Fans von Fantasy-Liebesromanen mit Suchtfaktor! //Dies ist der zweite Band der magisch-romantischen High-Fantasy-Buchreihe »Kampf um Mederia« von Sabine Schulter. Alle Bände der Buchserie bei Impress: -- A Kingdom Darkens (Kampf um Mederia 1) -- A Kingdom Resists (Kampf um Mederia 2) -- A Kingdom Shines (Kampf um Mederia 3) -- A Kingdom Fears (Kampf um Mederia 4) -- A Kingdom Stolen (Kampf um Mederia 5) -- A Kingdom Beyond (Kampf um Mederia 6)//
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Sabine Schulter
A Kingdom Resists (Kampf um Mederia 2)
Eine Seelenbindung zwischen einem Dämon und einer Ignis gab es noch nie. Doch das außergewöhnliche Band zwischen Lana und dem Prinzen der Dämonen wird das Schicksal der ganzen Welt verändern …
Seit dem Angriff auf ihre Heimatstadt ist für Lana nichts mehr wie zuvor. Ihre einzigartige Gabe macht sie zur Hoffnungsträgerin im Krieg der Menschen, Elben und Dämonen –, aber auch zum Angriffsziel. Verfolgt von dunklen Kräften muss sie ihr mächtiges Erbe antreten. Doch es fordert von Lana große Opfer …
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Vita
Glossar
Danksagung
© privat
Sabine Schulter wurde 1987 in Erfurt geboren, lebt nun aber mit ihrem Mann in Bamberg. Trotz ihres abgeschlossenen Oecotrophologie-Studiums fokussierte sie sich auf das Schreiben von Fantasy-Büchern. Sie liebt das Spiel mit den Emotionen und möchte ihre Leser tief in ihre Bücher ziehen, die oft von dem Zusammenspiel der Protagonisten untereinander geprägt sind. Viel Spannung gehört in ihre Geschichten genauso wie ein Happy End und unvorhergesehene Wendungen.
Für Lana und Gray – ihr seid meine ewigen Begleiter
An Yanis rannte so schnell durch die Felsgänge, dass ihre Schritte laut von dem nackten Stein widerhallten und sie bereits jetzt außer Atem war. Aber sie eilte immer weiter, getrieben von Erleichterung und dem Wunsch nach Erklärung. Nur durch Zufall befand sie sich hier in Fuenos Sitz und dankte ihrem Gott Bobous, dass sie bisher noch nicht an die Front bei Tetra zurückkehren musste. Als sie die nächste Kurve nahm, streifte sie sogar die Kante der Wand, weil sie um keinen Preis langsamer werden wollte. Ihr Ziel lag so nah, dass sie schon die von ihr angestrebte Tür zu ganz bestimmten Zimmern erkennen konnte. Ohne zu klopfen, stürmte sie hinein, nur um sofort wieder stehen zu bleiben.
»Bei allen Göttern, was ist denn mit dir passiert?«, stieß sie entsetzt hervor und blickte zu ihrer Schwester, in deren persönlichen Räumen sie sich befand.
Cyanea saß an einem schweren Holztisch, der das dominanteste Möbelstück neben einem Bett und zwei Kommoden in dem niedrigen Steinraum war, und betrachtete ein Weinglas, das vor ihr stand. Seit sie vor vier Wochen aufgebrochen war, um das Ignis-Mädchen zu finden, hatte Yanis nichts mehr von ihrer Schwester gehört, die eigentlich ihr Volk, die Banshee, anführte. Offensichtlich war sie gerade erst angekommen und hatte noch keine Zeit gefunden, sich umzuziehen, denn ihre Kleidung starrte vor Dreck, genauso wie sie selbst. Ihr blattgrünes Haar stand unordentlich ab und das hübsche, symmetrische Gesicht war ungeschminkt. Solche äußerlichen Vernachlässigungen kannte Yanis nicht von ihrer Schwester.
»Schließ die Tür und setz dich zu mir«, sagte Cyanea tonlos und ohne aufzusehen.
Vorsichtig befolgte Yanis die Anweisungen ihrer Schwester, blieb aber auf der Hut. Etwas musste gehörig schiefgegangen sein und noch hatte sie keine Ahnung, um was es sich dabei handelte. Langsam ließ sie sich auf einen freien Stuhl am Tisch sinken. »Was ist passiert?«
Innerhalb eines Wimpernschlages griff Cyanea nach dem Glas und schüttete Yanis den schweren Rotwein mitten ins Gesicht. Erschrocken sprang diese auf.
»Was soll denn das?«, rief sie empört und blickte auf die roten Flecken, die sich ihr Kleid entlangfraßen.
»Das sollte ich wohl eher dich fragen«, zischte Cyanea. »Ich weiß, dass du dieser kleinen Ignis und ihrem Dämonenfreund geholfen hast aus Ignis Fatuus zu entkommen.«
Yanis erlahmte in ihren Bewegungen und mehrere Sekunden starrten sich die Schwestern schweigend an. Das Ereignis lag bereits so lange zurück, dass Yanis gar nicht mehr daran gedacht hatte.
»Woher weißt du das?«, fragte sie schließlich.
»Sie haben es mir selbst erzählt.« Wutentbrannt deutete Cyanea auf den Stuhl und wortlos nahm Yanis erneut Platz. Angespannt erzählte Cyanea ihr von der Verfolgung der jungen Ignis und ihrer Freunde, wie sie sie auf den östlichen Hochebenen gestellt hatte, und von dem plötzlichen Auftauchen der Ostländer. Während sie von ihrer Gefangennahme sprach, verrauchte die Wut allmählich. In wenigen Sätzen erwähnte sie, wie sie von den Ostländern gebunden in den Bergen zurückgelassen worden war und durch ein schwarzes Portal heimkehrte. Als ihre Schwester endete, wartete Yanis ruhig, denn sie spürte, dass noch mehr kam.
»Wieso haben sie das getan?«, fragte Cyanea schließlich.
»Was meinst du?«
»Wieso haben sie mich nicht getötet? Ich werde ihnen immer wieder Ärger machen, mit meinem Tod hätten sie sich vieles erspart. Trotzdem verschonten sie mich. Nur wegen dem Gefallen, den du der Ignis getan hast?«
»Vielleicht belohnen die Götter meine Tat von damals, indem sie dich heil zu mir zurückschickten.« Yanis wechselte ihre Theorie, als Cyanea sie geringschätzig ansah. »Oder aber die Kleine hat einfach ein gutes Herz. Nicht jeder ist skrupellos und geht verschwenderisch mit dem Leben anderer um.«
Cyanea nickte nachdenklich, wohlweislich ignorierend, dass sie damit gemeint war. Dann seufzte sie schwer und stand auf. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Ich nehme erst mal ein Bad und denke darüber nach.« Sie lief an Yanis vorbei, während sie weitersprach. »Und auch darüber, dass mich meine eigene Schwester hintergangen hat.«
Yanis stützte schwer den Kopf in ihre Hände, während Cyanea im Nebenraum verschwand. Sie hatte gehofft, dass niemand von ihrer Tat erfahren würde, doch wer konnte schon wissen, dass Cyanea der Ignis so nah kam, dass sie sich unterhielten? Die nächste Zeit würde zeigen, welche Konsequenzen das mit sich brachte. Nach einer Minute erhob sie sich und verließ das Zimmer, um Fueno anstelle von Cyanea darüber zu informieren, dass sie ein ganzes Rudel Belluas verloren hatten. Vielleicht würde das ihre Schwester milde stimmen.
»Vorsicht, eine Böe von links«, rief Gray und Lana gelang es gerade noch, ihre Schwingen in die richtige Position zu bringen, ehe der Wind sie traf und beinahe aus der Bahn wirbelte.
Sie schlingerte, konnte sich aber zu ihrer Erleichterung am Himmel halten. Wenn man das überhaupt so nennen konnte bei zehn Metern über dem Boden. Höher traute sie sich nicht hinauf, auch wenn Gray seit mehr als zwei Wochen jeden Tag mit ihr das Fliegen übte. Eigentlich bekam sie es inzwischen recht gut hin, aber heute war es stürmisch und ihre Angst vor einem Absturz kehrte mit Macht zurück. Sie besaß dieses natürliche Wissen über die Luftströmungen nun mal nicht, das Gray scheinbar im Blut lag. Bei dem Dämonen an ihrer Seite sah das Fliegen so leicht aus. Er spürte die Veränderungen in der Luft intuitiv und ließ sich selbst von heftigen Böen nicht aus der Balance bringen.
Lana blickte zu ihm. Gray hatte sogar die Augen geschlossen, um den Flug voll und ganz genießen zu können. Wie sehr sie ihn doch beneidete. Aber sein offensichtlicher Genuss brachte sie auch zum Lächeln, denn der dunkelhaarige Mann an ihrer Seite gehörte einem Volk an, dem Freude und ein ruhiges Wesen eigentlich fremd waren. Die Dämonen galten als impulsives und kämpferisches Volk, aber Gray, ihr Kronprinz und baldiger König, scherte sich nicht um diese Klischees. Lana war selten einem ausgeglicheneren und besonneneren Mann wie ihm begegnet und diese Eigenschaften hatte sie aufgrund der aufregenden Ereignisse der letzten Zeit sehr zu schätzen gelernt. Ihr Blick wanderte weiter zu seinen schwarzen, ledrigen Schwingen, die er so selbstverständlich nutzte wie sie ihre Beine. Sie mochte es, wie die warme Frühsommersonne durch die Membranen schimmerte, als bestünden sie aus schwarzer Seide. Ihre eigenen Schwingen glänzten hingegen golden und warfen das Licht eher zurück als dass sie es aufnahmen wie Grays.
Dass sie überhaupt hier neben ihm fliegen konnte, war ungewöhnlich, denn von Natur aus besaß sie gar keine Flügel. Nur ihre gestaltwandlerischen Fähigkeiten ermöglichten ihr das, da sie eigentlich dem Volk der Ignis angehörte. Mit Gray würde sie jedoch niemals mithalten können, obwohl der Dämonenprinz zu ihrer Überraschung zufrieden mit ihr zu sein schien.
Seit sie vor zwei Wochen mit dem Volk der östlichen Berge nach Tetra aufgebrochen waren, übten sie in jeder freien Sekunde. Inzwischen brauchte Gray ihr nichts mehr zu erklären, warnte sie nur, wenn ein für sie unvorhergesehener Wind aufkam, und genoss ansonsten den Flug. Für ihn bedeutete der Himmel pure Freiheit und im Gegensatz zu Lana verspürte er keinerlei Angst vor dem Fallen. Wenn sie ihn beobachtete, so wie jetzt, vergaß auch sie beinahe den Boden unter sich. Sie konnte loslassen, in dem Wissen, dass jemand an ihrer Seite war, der auf sie Acht gab. Das mochte sie so an der Freundschaft zu Gray. Nicht nur seine innere Gelassenheit, die ihre Gedanken beruhigte, sondern auch das große Vertrauen, das sich während ihrer Reise entwickelt hatte. Ihm würde sie jederzeit ihr Leben anvertrauen und es tat gut zu wissen, dass es ihm genauso ging – wie die vergangenen Abenteuer bewiesen. Doch ihre Angst konnte sie trotzdem nicht überwinden.
»Alles in Ordnung?«, fragte Gray und erst jetzt bemerkte sie, dass er die Augen geöffnet hatte und zu ihr sah.
»Ja«, sagte sie schnell. »Aber ich bekomme langsam Hunger.«
»Ich auch. Lass uns umkehren. Mit Sicherheit haben die anderen das Lager bereits aufgebaut.«
Er schwenkte zur Seite und wendete in einem weiten Bogen. Lana folgte ihm erschöpft. Sie war müde, da sie von Sonnenaufgang bis -untergang ihre Zeit auf dem Rücken eines Pferdes verbracht hatte, um so bald wie möglich in der größten Menschenstadt Mederias anzukommen: Tetra. Dort hatte sich der Widerstand gegen die Invasion aus dem Süden gesammelt, um nicht nur den Norden zu schützen, sondern im besten Fall auch einen Gegenangriff zu organisieren. Seit Wochen erfuhren sie nur wenig darüber, wie es um die Stadt stand, in der nicht nur Grays restliches Volk, sondern auch Lanas untergekommen war. Sie hatte ein wenig Angst vor dem, was sie dort erwarten könnte, aber auch in dem Fall schaffte es Gray sicher, sie zu beruhigen.
In weniger als drei Tagen würden sie Tetra erreichen und bereits jetzt machte es sich bemerkbar, dass im Land Krieg herrschte. Zwar beschränkten sich die Kämpfe auf den südlichen Bereich von Mederia, aber trotzdem sah man es auch den Bewohnern des Nordens an. Seit einigen Tagen durchritten sie die Takara-Steppe, die sich quer von Ost nach West durch Mederia zog, und die Menschen, die vorzugsweise hier lebten, wirkten brummig, misstrauisch und verbittert. Der Krieg hatte Anfang des Frühlings begonnen und viele kriegsfähige Männer waren aufgebrochen, um Tetra zu unterstützen. Dadurch blieben aber zu wenige übrig, die sich um Felder und Viehzucht kümmerten, weshalb die Nahrung spätestens im Winter knapp werden würde.
Krieg richtete jedes Land irgendwann zugrunde und Mederia war davon nicht ausgeschlossen.
Als Lana und Gray sich dem Hügel näherten, hinter dem die anderen das Nachtlager aufgeschlagen hatten, entdeckte Lana eine Gestalt, die auf sie zu warten schien. An dem langen schwarzen Haar, das vom Wind aufgewirbelt wurde, erkannte sie Kimire. Die Elbin galt als Sonderling unter ihrem Volk, da Elben eigentlich weißes Haar besaßen. Für Lana machte das aber keinen Unterschied, denn Kimire war eine angenehme Begleitung.
Die Elbin verengte nicht einmal die Augen, als Lana und Gray direkt vor ihr landeten, sondern lächelte nur leicht. »Inzwischen funktionieren die Landungen richtig gut, Lana. Du entwickelst offenbar ein Talent für das Fliegen.«
»Das würdest du nicht sagen, wenn du wüsstest, wie schwer mir das Obenbleiben noch fällt. Nie im Leben werde ich so fliegen können wie Gray.«
»Vielleicht, aber du bist schließlich nicht von Natur aus ein Dämon«, erinnerte Gray sie. »Und trotz dieser Tatsache bist du bereits sehr gut. Einzig deine Angst hält dich davon ab, wirklichen Spaß am Fliegen zu entwickeln.«
Lana verzog den Mund, weil er recht hatte. Ihre Furcht vor dem Fallen paralysierte sie.
»Wir haben Nachricht aus Tetra erhalten«, teilte ihnen Kimire mit, als sie sich Richtung Lager wandten.
»Kam ein Vogel durch diesen Sturm?«, fragte Gray überrascht.
»Es war ein magisches Tier.«
»Was schreiben sie?«, wollte nun Lana wissen und band sich die Haare neu. Der starke Wind zerzauste alles, was nicht vor ihm in Sicherheit gebracht wurde.
»Dass sich die Verteidiger Tetras auf die Unterstützung aus dem Osten freuen. Ebenso darauf, dass du zurückkehrst«, sagte sie an Gray gewandt, ehe sie Lana ansah. »Und auf die Gestaltwandlerin, die uns begleitet. Die Elben sind vor einer Woche dort eingetroffen und bestätigten dein Schreiben, das du vor einiger Zeit ins Schloss geschickt hast. Die Leute in Tetra wollten es wohl nicht so ganz glauben, auch wenn es der Prinz der Dämonen war, der Lana ankündigte.«
»Wahrscheinlich haben sie Angst vor dem, was ihr Erscheinen mit sich bringt«, vermutete Gray, ohne beleidigt zu sein, dass man ihm als Kronprinzen nicht uneingeschränkt geglaubt hatte.
Lana schnalzte mit der Zunge. »Als ob ich allein ausschlaggebend bin. Schatten tauchen auf, der Süden erhebt sich, die roten Scherben werden den Besitzern gestohlen … Das sind genügend Dinge, um zu wissen, dass sich der Krieg von vor dreihundert Jahren wiederholen wird. Mein Auftauchen sagt da wenig aus.«
»Die Angst lässt uns manchmal die offensichtlichsten Dinge übersehen. Bisher konnten sie die vielen Parallelen noch bestreiten, die es zu dem vergangenen Krieg gab. Der Süden war schon immer unruhig und auch Schatten tauchten ab und an auf. Aber nun berichten die Elben von Kathasis, einer Gestaltwandlerin, verschwindenden Armeen und dem Diebstahl der roten Scherben. Genug, um in jedem von uns Furcht zu säen. Mit dem Brief, den ich ihnen sandte, verhärtete ich diese Beweise nur«, erklärte Gray.
»Sie schicken uns übrigens eine Eskorte von deinem Volk«, warf Kimire ein.
Gray seufzte resigniert. »Ich habe doch geschrieben, dass wir mit den Ostländern reiten und das nicht notwendig ist.«
»Deine Schwester ist da wohl anderer Meinung. Sie hat einen persönlichen Brief mitgeschickt. Ich habe ihn nicht gelesen«, versicherte Kimire und zog ein gefaltetes Stück Papier aus einer ihrer Taschen. Seit sie Richtung Süden reisten und es von Tag zu Tag wärmer wurde, trug Kimire wieder ihre eng anliegende weiße Lederkluft, die sie als Spionin der Elben auswies. Auch Lana und Gray hatten die Mäntel und zusätzliche Kleidung abgelegt und bedienten sich nur noch der verstärkten Kampfkleidung der Dämonen.
Lana dankte den Göttern, dass sie nun Gebiete erreichten, in denen der Frühsommer anbrach. Im Himmelsgebirge hatte eine Kälte geherrscht, die sie beinahe in die Knie gezwungen hätte, und auch auf den Hochebenen der Ostländer waren die Temperaturen nicht gerade besser. Sie war Wärme und das angenehme Klima der Strände im Südwesten gewohnt und Tetra lag auf einer Höhe mit ihrer Heimat, wodurch es wärmer wurde, jetzt, da der Sommer hereinbrach.
Gray entfaltete den Brief und las, während sie den Hügel überquerten. Die Takara-Ebene war sehr flach, nur durch sanfte Anhöhen und vereinzelte kleine Wälder unterbrochen. Ansonsten streckte sich endlos weit sanftes, inzwischen saftig grünes Gras um sie herum aus. Im Frühling, als Lana und Gray die Steppe weiter im Westen überquert hatten, war das lange Gras noch braun vom Winter gewesen. Am Fuße des Hügels befand sich das behelfsmäßige Lager, das sie jeden Abend auf- und am Morgen wieder abbauten. Fast fünfhundert Männer des Bergvolkes begleiteten ihre kleine Gruppe, während die Frauen mit Vorräten und schweren Wagen folgen würden. Die Zeit drängte, denn Tetras Belagerung hielt bereits seit Wochen an und Gray wollte so schnell wie möglich zu seinem Volk zurück. Lana konnte das mehr als nur nachvollziehen.
Zum Glück entpuppte sich das Bergvolk als sehr angenehmer Reisegefährte. Es hatte keine großen Ansprüche, schlief, ohne zu murren, auf dem Boden und war zufrieden, solange genug Met vorrätig war. Und das war es. Auf jedem zweiten Pferd wurde ein kleines Fässchen von dem goldenen Gebräu mitgeführt und dementsprechend stabil waren auch die Tiere gebaut. Ihre Größe überstieg alle Pferde, die Lana je zuvor gesehen hatte. Zudem war ihre Statur massiv und die Mähne zottelig. Allerdings merkte sie schnell, dass es sich um eine ruhige Rasse handelte, denn sie legte eine Geduld an den Tag, die der von Gray ähnelte. Mit ihnen konnte man zwar nicht so schnell reiten wie mit normalen Tieren, aber sie besaßen eine Ausdauer, die sie den ganzen Tag lang laufen ließ. Ihre Truppe kam gut voran und Lana merkte, dass Grays Anspannung immer weiter abnahm, je mehr sie sich Tetra näherten. Ihr war es zuerst gar nicht aufgefallen, wie sehr die Entfernung zu seinem Volk den Dämonen belastete, aber nun bemerkte sie, wie sich der ernste Zug um seinen Mund entspannte und das Stirnrunzeln verschwand. Meistens jedenfalls. Im Moment tauchte es nämlich wieder auf.
»Keine guten Nachrichten?«, fragte sie vorsichtig.
Gray seufzte und faltete den Brief wieder zusammen. »Nicht ganz. Aber Sharie hat mich im Prinzip schriftlich angeschrien. Es wird keine Freude werden, ihr zu erklären, warum ich so lange weggeblieben bin.«
»Wird sie es nicht verstehen?«, fragte Lana, obwohl ihr selbst nicht immer klar war, wieso der Dämon ihr den Vorzug gab.
»Doch, durchaus. Aber ich muss erst einmal ihr Gezeter überstehen, bevor ich überhaupt die Chance dazu bekomme, alles zu erklären.«
Kimire lachte leise. »Sie scheint das typische Temperament der Dämonen zu besitzen.«
»Meiner Meinung nach sogar zu viel davon. Aber sie wird sich wieder beruhigen«, fügte er hinzu, als er Lanas besorgtes Stirnrunzeln sah. Er berührte sie am Arm und sie erwiderte sein sanftes Lächeln, ehe sie zwischen die ersten Zelte und Gruppen an Bergleuten traten, die sich um kleine Feuer versammelten, um ihr Abendessen zuzubereiten.
Die Ostländer waren ausnahmslos große, bärige Männer, die gerne Bart trugen, tätowiert waren und mit Äxten kämpften. Lana faszinierte es immer wieder, dass sie trotz ihrer bulligen Statur unfassbar still sein konnten. Ihre Fähigkeiten als Jäger suchten ihresgleichen und ihre offene, herzliche Art machte sie zu erstklassigen Händlern. Lana reiste gern mit ihnen.
»Weiß deine Schwester schon von unserer Seelenbindung?«, fragte sie leise.
Die Seelenbindung eines Dämonen war einzigartig in der Welt. Mit ihr konnte er seine Seele mit der eines anderen Lebewesens verbinden. Sie trennte sich erst wieder, wenn einer von beiden starb, und galt bei dem kämpferischen Volk in etwa so viel wie eine Hochzeit. Dass sie und Gray solch eine Bindung teilten, hatte jedoch nichts mit Liebe zu tun, wie es normalerweise der Fall war.
Gray atmete tief ein, bevor er die Luft aus aufgeblasenen Wangen ausstieß.
»Das war wohl ein Nein«, kommentierte dies Kimire.
»Ich sage ihr das lieber von Angesicht zu Angesicht. Akzeptieren muss sie es sowieso, ob sie will oder nicht.«
»Sag mir aber vorher Bescheid, damit ich mich verstecken kann. Wer weiß, ob sie ihren Missmut an mir auslässt«, murmelte Lana und verzog unbehaglich den Mund. Sie kannte Sharie nur aus Grays Erzählungen, aber seine Schwester schien sehr aufbrausend zu sein, wenn etwas nicht so verlief, wie sie es gern wollte.
Gray betrachtete sie amüsiert. »So schlimm ist Sharie nicht. Sie mag im ersten Moment wütend sein, aber sie ist gerecht und wird es einsehen.«
»Ich verlasse mich da ganz auf dein Urteil. Bei der Göttin, ich bin mal auf die Reaktion meiner Eltern gespannt. Vielleicht sollte ich es ihnen sagen, bevor ich ihnen meine Wandlungsfähigkeiten demonstriere. Dann vergessen sie es womöglich vor lauter Aufregung.«
Darauf lachten Gray und Kimire, verstummten aber, als eine große, rothaarige Frau von einem der Feuer aufstand, an das sie traten.
»Ihr kommt spät«, teilte ihnen Mihana mit.
Die Kriegerin trug trotz der steigenden Wärme ihre komplette Rüstung, zusätzlich zu ihrer Axt und dem Schild auf dem Rücken. Ihre große Statur und der muskulöse Körperbau ließen vermuten, dass Mihana dem Bergvolk angehörte, aber dem war nicht so. Sie war eine Wächterin und begleitete sie seit ihren Abenteuern bei den Elben, obwohl sich Lana ab und an wünschte, sie würde es nicht tun. Denn Mihana konnte mit ihrer herrischen und oftmals rauen Art sehr anstrengend sein.
»Der Wind war heute gut, um Lana die Luftströmungen näherzubringen«, erklärte Gray, ohne auf Mihanas stille Vorwürfe einzugehen.
Die Kriegerin drehte das Gesicht in den heftigen Wind und schnaubte. »Hoffentlich entwickelt es sich nicht zu einem ausgewachsenen Sturm. Ich habe keine Lust, nass zu werden.«
»Wer hat das schon?«, fragte Krems laute Stimme und in der nächsten Sekunde schlug der bärige Mann Mihana hart auf die Schulter. Die zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern verzog nur den Mund über die vertrauliche Geste. Krem wies mit der Hand auf das Lagerfeuer, woraufhin die Gruppe sich setzte, da er scheinbar etwas besprechen wollte. Krem führte die Ostländer auf dieser Reise an und hatte inzwischen so etwas wie eine Freundschaft zu Lana und ihren Begleitern aufgebaut. Was nicht schwer war, denn der Mann steckte einen mit seiner guten Laune an, wodurch man seine Anwesenheit schnell genoss. Nun ja, vielleicht alle bis auf Mihana. »Ihr habt gehört, dass Nachricht aus Tetra kam?«
Sie nickten. Lana lächelte einen von Krems Männern dankbar an, als er ihnen Schüsseln mit warmem Essen brachte. So zu reisen entpuppte sich als viel angenehmer, als sie erwartet hätte.
»Ich habe bei unserem letzten Schreiben auch um eine Einschätzung der Lage gebeten und wollte euch die Antwort nicht vorenthalten«, sprach Krem weiter und zog eine ganze Reihe an Blättern unter seinem Brustschutz hervor. »Wie wir vermutet haben, hält sich Tetra gut, vorzugsweise durch die Kampfkraft der Dämonen und der Fähigkeiten der Magiebegabten. Aber der Feind zieht immer weitere Truppen aus dem Süden hinzu und wir können nichts dagegen unternehmen. Inzwischen wurden auch die ersten dunklen Priester gesichtet, die Tetra immer häufiger mit Schatten bedrängen. Noch sind es zu wenige, um unseren Leuten wirklich Probleme zu machen, aber sie schüren Angst.«
»Die Magier müssen rund um die Uhr die gesamte Länge der Stadtmauer bewachen, damit keiner der fliegenden Schatten sie durchbricht«, vermutete Gray und Krem nickte.
»Zwar kommen jeden Tag neue Leute in Tetra an, die bei der Verteidigung helfen wollen, aber es sind nur wenige Magier dabei.«
»Verständlich, die meisten von ihnen leben bereits in Tetra, da sich dort die Akademie befindet«, warf Lana ein.
Krem neigte erneut den Kopf. »Und andere Völker verfügen nicht über solch eine Art von Magie, mit der sie ihnen behilflich sein könnten. Die Ignis sind bereits seit über einem Monat in der Stadt und bringen sich ebenfalls mit ein, doch sind es bei Weitem nicht so viele, wie Tetra gebrauchen könnte.« Er warf Lana einen mitfühlenden Blick zu, als diese die Lippen zusammenpresste, dann wandte er sich Kimire zu. »Die Elben sind seit einer Woche in der Stadt.«
Die Elbin nickte, obwohl ihr das bereits bekannt war.
»Deswegen ist eure Hilfe bei der Verteidigung Er-yens bekannt, weswegen in Tetra bereits sehnsüchtig auf euch gewartet. Vor allem auf dich, Lana.«
Obwohl bei dem Gedanken daran, wie viel Hoffnung auf sie gelegt wurde, ein flaues Gefühl in ihrem Magen aufkam, nahm Lana diese Information mit möglichst unbewegtem Gesicht auf. Sie wusste seit dem Tag, als sie sich dafür entschied, ihre Fähigkeiten in dem Krieg zur Verfügung zu stellen, dass viel von ihr verlangt werden würde. Selbst ohne Mihanas tägliche Hinweise dahingehend. Aber sie würde diese Hoffnungen nicht enttäuschen – oder es zumindest versuchen.
Krem durchsuchte die Zettel und reichte Lana schließlich einen kleinen, ungeöffneten Umschlag. »Von deiner Mutter.«
Erfreut nahm sie ihm den Brief aus der Hand, wobei ihr Kimires Stirnrunzeln auffiel. Scheinbar hatte die Elbin zwar Grays Brief abfangen können, aber nicht den von Lanas Mutter. Neugierig öffnete sie das Papier und las die saubere Handschrift darauf:
Sei vorsichtig und komm gesund bei uns an. Wir freuen uns auf dich.
Lanas Mutter Silvia war noch nie ein Freund vieler Worte gewesen, aber Lana wusste, wie viel hinter diesen wenigen Worten steckte. Gerührt hob sie den Zettel an die Lippen und küsste das Papier voller Liebe zu ihrer Familie. Als sie es wieder senkte, bemerkte sie, dass Gray sie mit einem Lächeln bedachte, welches sie gern erwiderte.
»Gibt es sonst noch Neuigkeiten?«, fragte Mihana.
Krem nickte. »Tetra platzt durch die ganzen Flüchtlinge und die vermehrten Verteidiger noch mehr aus den Nähten, als es die Stadt eh schon immer tut. Deswegen werden wir die Ausläufer dieser ganzen Geschichte wohl schon morgen zu Gesicht bekommen. Die Menschen, die nicht an den Kämpfen teilnehmen können oder in einer anderen Art helfen, wurden vor der Stadt untergebracht. Dort sollen sie sich um Nachschub an Nahrung kümmern. Flüchtlinge werden ebenfalls eingebunden, um die Massen an Leuten zu versorgen. Die Königinnen Tetras und die inzwischen anwesenden Herrscher der anderen Völker scheinen alles gut im Griff zu haben.«
Vor allem Gray beruhigte das ungemein, denn das bedeutete, dass es nicht allzu schwer ins Gewicht fiel, dass er gut drei Monate mit anderen Dingen beschäftigt war als der Verteidigung Tetras. Er blickte zu Lana, die nun begann nebenher zu essen. Wegen ihr hatte er sich entschieden sein Volk seiner Schwester zu überlassen und mit ihr auf Reisen zu gehen. Die junge Ignis war ihm zu einer guten Freundin geworden und nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten, hätte er sie auch begleitet, wenn sie nicht sein Schicksal und seine Seelengefährtin gewesen wäre.
»Hey, Kleine, stehst du demnächst zur Verfügung?«, rief ein Ostländer von einem anderen Feuer herüber und hob eine Gitarre hoch – das bevorzugte Instrument des Bergvolkes.
»Gib mir noch ein paar Minuten«, antwortete Lana genauso laut, bevor sie sich wieder ihrem Essen widmete.
Gray lächelte über die Freude der kernigen Männer. Lanas Stimme hatte auch sie fest in ihren Bann gezogen und selbst wenn sie noch nicht ihre Abschlussprüfung abgelegt hatte, war Lana bereits jetzt eine begabte Bardin, deren Können ihresgleichen suchte – zumindest empfand er es so. Höchstens ihr Lehrer Talien übertraf sie noch.
Schnell leerte Lana ihre Schüssel. »Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?«
»Nicht bevor wir in Tetra ankommen«, meinte Krem.
Die Vorfreude strahlte aus Lanas grünen Augen, als sie sich erhob. Obwohl sie die Männer seit über zwei Wochen fast jeden Abend unterhielt, hatte sie noch immer nicht genug davon. Sie liebte ihren Beruf und Gray beneidete sie dafür, etwas in ihrem Leben gefunden zu haben, dass ihr solchen Spaß bereitete. Er erhob sich ebenfalls.
»Begleitest du mich?«, fragte Lana und sah zu ihm auf.
»Natürlich, das möchte ich mir schließlich nicht entgehen lassen«, erklärte er.
Doch Mihana intervenierte. »Solltet ihr nicht lieber trainieren? Wir werden bald an den Schauplatz eines Krieges gelangen und Eleana ist bei Weitem noch nicht sicher genug im Umgang mit dem Schwert.«
Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. Dieses Thema schnitt die Kriegerin nur zu gern an, obgleich Lana wahrlich viel für ihre Fähigkeiten tat. Unterwegs übte sie in ihren bereits erlernten Gestalten, in der Mittagspause trainierte sie mit Gray den Schwertkampf und abends flog sie mit ihm. Die Kriegerin konnte sich also nicht beschweren. Und doch tat sie es jeden Abend. Gray wusste, dass Lana das stark belastete, aber in solchen Situationen brachte sie ab und an eine fast so große Geduld auf wie er.
Auch dieses Mal seufzte sie nur leise und wandte sich an Mihana. »Die Sonne ist schon untergegangen und in wenigen Minuten wird es zu dunkel zum Trainieren sein. Lass es für heute gut sein. Wenn es dich beruhigt, kann ich ja morgen etwas mehr üben.«
Mihana wirkte nicht begeistert, ließ Lana aber ziehen, als sie sich abwandte und auf die wartenden Männer zuging, die inzwischen bei der Lagergestaltung einen großen Bereich frei ließen, damit sie alle zuhören konnten, wenn die Bardin in ihren Reihen zu einem Auftritt einlud.
Auf dem Weg blies sie sacht in ihre rechte Hand, auf deren Handteller verschlungene Linien einen Kreis zeichneten. Durch ihren Atem konnte ihr Irrlicht Sinsa erscheinen, was er nun auch in Form einer kleinen Lichtkugel tat. Immer wieder faszinierte Gray das kleine Geschöpf, das in seiner Urform eine Flamme darstellte, sich aber auch in jede beliebige Gestalt formen konnte – zumindest wenn sie nicht allzu groß war.
Singst du wieder etwas für uns?, fragte Sinsa aufgeregt, umschwirrte Lanas Kopf und landete dann auf Grays Schulter, auf der er sich in eine kleine schimmernde Katze verwandelte. Normalerweise hätte er Sinsa nicht hören und auch nicht berühren können, aber durch die Seelenbindung mit Lana entstand irgendwie so etwas Ähnliches auch zu Sinsa, was das Irrlicht ungemein freute.
»Nein«, antwortete Lana und wies die Gitarre ab, die ihr gerade einer der Männer geben wollte. »Heute brauche ich kein Instrument.«
Sie ging zu einigen aufgetürmten Metfässern, die die Männer extra für sie hingestellt hatten, und setzte sich darauf. Gray blieb am Rand des Platzes stehen, um ihr von dort aus zuzuhören. Der Wind blies noch immer kräftig und wirbelte Lanas blondes Haar auf, wodurch sich eine Strähne aus ihrem Zopf löste. Sie strich sie wieder glatt und begann dann mit ihrer mitreißenden Stimme zu reden. »Heute erzähle ich euch, wie vor vielen hundert Jahren die Takara-Steppe erschaffen wurde.«
Erfreut merkte Gray auf, denn er mochte diese Geschichte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ließ noch einmal den Blick über Lanas Publikum schweifen, ehe er selbst ihren Worten verfiel.
Gegen Mittag des nächsten Tages erreichte ihre Truppe die Ausläufer des Flüchtlingslagers – wenn man es denn so nennen konnte. Erstaunt stellte sich Lana in ihrem Sattel auf, um besser über die neu angelegten Felder, die provisorischen Hütten und die nur selten anzutreffenden Zelte hinwegzublicken. Sie hatte angenommen, dass die Flüchtlinge in viel ärmeren Unterkünften leben würden, aber die Königinnen von Tetra hatten regelrecht neue Dörfer für sie errichtet und niemand musste auf dem nackten Boden schlafen.
Nach dem Sturm gestern zeigte sich das Wetter heute in seiner sommerlichsten Pracht und auf den Feldern wuchs frischer Weizen, der langsam begann seine Ähren auszubilden. Das Einzige, das darauf hindeutete, dass hier Flüchtlinge Nahrung anbauten, waren die simplen, aber neuwertigen Hütten und die Tatsache, dass man den Menschen ihre unterschiedliche Herkunft ansah.
Sie trugen die verschiedensten Kleider, in allen erdenklichen Farben und mit verschiedensten Mustern bestickt. Die Stoffe hatten zwar schon bessere Tage gesehen, aber die Leute wirkten nicht verarmt oder heruntergekommen. Allerdings trugen alle Frauen ohne Ausnahme Röcke und musterten die drei Frauen in der Begleitung der Ostländer missbilligend. Da weder Kimire noch Mihana sich anschickten sich unauffälliger zu kleiden, schloss sich Lana ihnen an. Es herrschte Krieg, da konnten die Menschen doch solch eine Kleinigkeit wie Hosen akzeptieren.
In den Augen der Flüchtlinge konnte Lana die vergangene Angst und die Unruhe ausmachen, die sie bei dem Anblick der vielen Krieger empfanden. Sie mussten froh sein, dass sie dem Krieg entkommen waren, und wollten wohl auch nicht durch die eigenen Kämpfer an das vergangene Grauen erinnert werden. Lana verstand das nur zu gut.
Während sie der breiten Straße Richtung Tetra folgten, stiegen die Temperaturen immer weiter an und langsam fühlte sich Lana richtig wohl. Doch eine unangenehme Schwüle kam auf und bereitete den Reisenden Schwierigkeiten. In Tetra würde sich das nur noch intensivieren. Lana fragte sich, wie gut Gray und Kimire diese steigende Hitze ertrugen, da beide kältere Gefilde gewohnt waren. Aber wenn es ihre beiden Freunde stören sollte, ließen sie sich zumindest nichts davon anmerken. Entspannt ritten sie neben ihr her und besahen ebenfalls die Flüchtlinge.
»Es ist eine gute Idee, den Menschen eine Aufgabe zu geben«, sagte Kimire in diesem Moment.
Gray nicke bestätigend. »So erhalten sie nicht nur eine Möglichkeit, ihr eigenes Essen anzubauen, sondern sich auch zu beschäftigen.«
»Mit dem positiven Nebeneffekt, dass genug Nahrung für die Soldaten in Tetra zur Verfügung steht«, sagte Lana.
Mihana schnaubte leise. »Trotzdem werden die Lebensmittel knapp, wenn der Winter hereinbricht.«
»Nicht unbedingt«, widersprach Kimire. »Der gesamte Norden steht hinter Tetra und wird zu vermeiden versuchen, dass eine Hungersnot ausbricht. Dadurch dass Cyaneas Truppen bei den Elben gescheitert sind, konnten sie nicht so viele Felder, Dörfer und Nahrungsmittel vernichten, dass die Versorgung des Landes und damit auch Tetras abbricht.«
»Wir bekommen fliegenden Besuch«, rief Krem von weiter vorn und unterbrach ihr Gespräch damit. Sie alle hoben den Blick und konnten am südlichen Horizont einige dunkle Punkte am Himmel ausmachen, in denen sie schnell ein Trupp Dämonen erkannten. Gray seufzte.
»Also hat sich Sharie nicht an deinen Befehl gehalten«, stellte Kimire fest.
»Nein, ganz offensichtlich nicht. Ich werde ihnen entgegenfliegen, Krem«, rief Gray dem großen Mann zu.
Der Ostländer hob die Hand, bedeutete damit, dass er verstanden hatte, und wies seine Männer an eine Pause einzulegen.
»Darf ich dich begleiten?«, fragte Lana, als Gray bereits aus dem Sattel stieg und die Zügel Mihana in die Hand gab.
»Natürlich.«
Erfreut stieg Lana ebenfalls ab und reichte Kimire ihre Zügel. Dann trat sie zusammen mit Gray auf ein kleines Stück freie Fläche, damit sie genug Platz für den Start hatten.
»Schaffst du es allein hinauf?«, fragte Gray.
Es gelang ihr nicht immer, aus dem Stand in die Luft zu springen, aber heute hielt sich noch ein wenig des gestrigen Windes, weswegen es kein Problem für Lana sein sollte. Sie nickte und während Gray bereits mit einem kräftigen Sprung und einem Schlag seiner Schwingen abhob, suchte Lana in sich den Punkt, an dem ihre Magie ruhte. Nach Wochen der Übung erschienen ihre goldenen Schwingen innerhalb eines Wimpernschlages und begleitet von dem Raunen der Ostländer sprang auch sie in die Lüfte. Dieses Manöver machte ihr noch immer Angst, weswegen der Wind sie leicht aus dem Gleichgewicht brachte. Aber sie fing sich und holte zu Gray auf.
»Was wollen sie hier?«, rief Lana, als sie den anderen Dämonen näher kamen.
»Wahrscheinlich sollen sie mich überreden sofort mit ihnen nach Tetra zu kommen. Und wenn ich das verweigere, folgen sie uns die nächsten beiden Tage«, antwortete Gray genauso laut.
»Wirst du sie denn begleiten?«
»Nein, diesen einen Tag kann meine Schwester auch noch warten. Ich bin nun schon so lange mit euch gereist. Die letzte Strecke werden wir ebenfalls gemeinsam bestreiten.«
Lana freute das, denn sie ängstigte sich vor dem Moment, wenn sie Tetra erreichten. Natürlich wollte sie ihre Familie und Freunde wiedersehen, aber Gray musste dann seine Aufgaben als Kronprinz übernehmen, was bedeutete, dass sie sich viel weniger, im schlimmsten Fall sogar gar nicht mehr trafen – was Lana nicht behagte. Seit gut drei Monaten reisten sie beide zusammen und sahen sich jeden Tag. Sie hatte sich an seine Gegenwart gewöhnt und genoss sie sehr.
Die Menschen unter ihnen riefen überrascht durcheinander, als sie neben Grays schwarzen Schwingen auch Lanas erkannten. Sie wusste selbst, dass sie wie ein Albino wirkte, denn die Flügel der Dämonen waren immer tiefschwarz. Aber an die Aufmerksamkeit, die ihr als Gestaltwandlerin entgegengebracht wurde, hatte sie sich bereits gewöhnt.
Als sie von den Dämonen nur noch wenige Hundert Meter entfernt waren, hob Gray die Finger an die Lippen und stieß einen langen Pfiff aus. Eine Antwort ertönte von der gut zwei Dutzend Mann starken Gruppe vor ihnen und fast gleichzeitig mit Gray strebten sie auf den Boden zu. Schnell folgte Lana und setzte neben ihrem Freund auf, kurz bevor die fremden Dämonen bei ihnen eintrafen.
Wie ein dunkler Regen landeten sie um sie herum, falteten ihre Schwingen zusammen und legten sich zur Ehrerbietung die rechte Faust aufs Herz. Sie allesamt besaßen dunkles Haar, braune Augen und durchtrainierte Körper. Ihnen sah man genau wie Gray an, dass sie für den Krieg ausgebildet wurden. Zudem trugen sie alle die gleiche Kleidung wie sie und Gray: die Männer ärmellose, eng anliegende Hemden, die mit Magneten im Rücken verschlossen wurden, und die Frauen verstärkte Mieder. Die Hosen bestanden wahrscheinlich aus dem gleichen, mit Eisengliedern verstärkten Stoff und zusätzlich trugen diese Dämonen noch gepanzerte Arm- und Beinschienen sowie einen ledernen Schutz um die Schultern, der dafür sorgte, dass die Übergänge der Schulterblätter in die Schwingen geschützt waren. Eine junge Frau trat vor und neigte den Kopf.
»Mein Prinz«, sagte sie mit einer ungewöhnlich weichen, aber ausdruckslosen Stimme.
»Tifea, es ist schön, dich wiederzusehen«, sagte Gray und legte sich ebenfalls die rechte Faust aufs Herz, ehe er sich Lana zuwandte. »Das ist Tifea, eine der besten Strateginnen unter den Dämonen.«
Tifea sah an ihrem langen Haar vorbei zu Lana und musterte sie intensiv. Diese hatte die Geste der Dämonen nicht erwidert, denn auch wenn sie sich ihrer Schwingen bediente, war sie kein Teil dieses Volkes und maßte sich daher nicht an ungefragt ihren Bräuchen nachzugehen. Da Lana die Blicke der Dämonen durchaus auffielen, konnte sie sich eine nervöse Bewegung ihrer Schwingen allerdings nicht verkneifen.
Auch Gray bemerkte Tifeas Blick. Behutsam legte er Lana eine Hand auf die Schulter. »Das hier ist Eleana, sie ist die Tochter des Anführers der Ignis und hat mich auf meiner Reise begleitet.«
Tifea hob den Kopf und begrüßte auch sie mit der Faust auf dem Herzen. Nun fühlte sich Lana eingeladen die Geste zu erwidern. »Wir haben schon einiges von dir gehört, seit die Elben angekommen sind. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ihnen nicht geglaubt habe, aber nun … Diese goldenen Schwingen hast du nicht seit deiner Geburt?«
Es irritierte Lana ein wenig, dass die Dämonin solch eine ausdruckslose Stimme besaß, die jedoch nicht unfreundlich wirkte.
»Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß und zerstreute ihre Magie, woraufhin die Schwingen in einem goldenen Funkenregen verschwanden. Aufgeregtes Getuschel brandete unter den Dämonen auf. Sogar Tifeas Augen weiteten sich ein wenig.
»Also ist es tatsächlich wahr. Kannst du auch andere Gestalten annehmen?«
»Ja, das kann sie. Aber Lanas Fähigkeiten haben euch nicht hierhergeführt«, unterbrach Gray sie milde. »Also? Wieso seid ihr hier? Ich habe Sharie geschrieben, dass wir kein Geleit brauchen.«
»Wir sind hier, weil sie uns trotz Eurer Nachricht geschickt hat«, erklärte Tifea. »Sie möchte, dass wir Euch begleiten, sofern wir Euch nicht davon überzeugen können, sofort nach Tetra zu kommen.«
»Ich brauche keine Beschützer. Ich befinde mich in der Gesellschaft von fünfhundert Ostländern, das sollte genug sein. Ihr könnt also wieder gehen.«
Kurz presste Tifea ihre Lippen aufeinander. Zum ersten Mal sah Lana ihr deutlich Unbehagen an. »Mit dieser Reaktion hat Prinzessin Sharie bereits gerechnet und ich soll Euch von ihr ausrichten, dass es sich nicht für einen Kronprinzen geziemt, ohne eine persönliche Wache aus Dämonen zu reisen.«
Ihr fielen die Worte sichtlich schwer, schließlich hatte sie ihren Prinzen gerade zurechtgewiesen, auch wenn es im Namen seiner Schwester geschah. So wie Lana Gray kannte, lastete er das der Kriegerin aber nicht auf. Und tatsächlich seufzte er nur und sagte: »Dann soll es wohl so sein. Morgen Abend werden wir in Tetra ankommen. Solange könnt ihr uns begleiten.«
Damit wandte er sich um und ging langsam auf die Ostländer zu, die sich mitten auf der Straße ihren Rastplatz einrichteten und lauthals ihr Mittagessen zubereiteten. Lana neigte gegenüber Tifea noch einmal den Kopf, ehe sie Gray folgte. Wortlos und noch immer die Faust an die Brust gedrückt wichen die Dämonen vor Gray zurück, um ihn durchzulassen. In einigen Schritten Entfernung folgten sie dann ihrem Prinzen.
»Sie wären auch zurückgeflogen, wenn du es ihnen befohlen hättest, oder?«, fragte Lana leise, als sie Gray einholte. Sie blickte zu den Dämonen zurück und erst durch ihr Verhalten gegenüber Gray wurde ihr bewusst, dass sie tatsächlich mit einem Prinzen reiste. Der Umgang mit ihm kam ihr so natürlich vor, dass sie ihn selten als eine solch hohe Person angesehen hatte.
»Selbstverständlich, aber es muss nicht sein, dass Sharie ihre Wut an ihnen auslässt, und ich habe die Geduld meiner Schwester schon zur Genüge ausgeschöpft. Meine Leute werden uns nicht stören.«
»Tut mir leid, dass deine Schwester wütend auf dich ist, nur weil du dich entschieden hast mir zu helfen.«
Gray sah Lana an und lächelte dabei kaum merklich. »Das muss dir nicht leidtun. Es war meine Entscheidung. Das habe ich dir schon einmal erklärt. Vielleicht war es auch gut für Sharie, sich ein paar Monate lang um ein ganzes Volk kümmern zu müssen.« Lana fühlte sich trotzdem nicht beruhigt, was Gray ihr wohl ansah, denn er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Hör auf deine Gedanken kreisen zu lassen.«
»Das werde ich«, versprach sie und legte ihre Finger kurz auf seine.
Sie spürte förmlich den Blick der anderen Dämonen in ihrem Rücken. Gray pflegte eine innige Freundschaft zu ihr und zudem eine Seelenbindung, die völlig von den Traditionen der Dämonen abwich. Sie wusste nicht, wie Grays Volk auf ihre Vertrautheit reagierte, weswegen sie sich ab jetzt lieber etwas zurückhielt. Sie wollte Gray keine Schwierigkeiten einbringen.
Gemeinsam schlossen sie sich wieder den Ostländern an, die die Dämonen ganz auf ihre Art laut und wohlgesonnen in ihren Kreis aufnahmen.
»Werden sie uns begleiten?«, fragte Kimire leise, als Gray und Lana zu ihren beiden Gefährtinnen traten.
»Ja, so bleibt ihnen Sharies Groll erspart.«
»Ihr wisst, dass Eure Schwester recht hat?«, warf Mihana mit verschränkten Armen ein. »Ihr seid in einer Position …«
Gray unterbrach sie mit einer Geste. »Dem bin ich mir bewusst, Mihana. Du brauchst es mir nicht noch einmal zu erklären.«
Mihanas Augen verengten sich kurz vor Verärgerung, aber dann zuckte sie mit den Schultern. »Wie Ihr meint.«
Ihre Freunde unterhielten sich während des Essens angeregt miteinander, aber Lana hörte nicht zu. Für einige Sekunden hielt sie inne, schloss die Augen und genoss ihre Umgebung. Die Frühsommersonne schien warm und angenehm auf sie herab und sie dankte ihr für das angenehme Gefühl auf der Haut, auch wenn die Luftfeuchtigkeit das Atmen schwer machte. In der Wärme fühlte sie sich so viel wohler als in der Kälte des Himmelsgebirges. Tief sog sie den Geruch nach Essen und den vielen Menschen in sich ein, der zudem das frische Gras und das Getreide der Felder mit sich trug. Auch der Duft der Pferde drang ihr in die Nase und sie vernahm ihr leises Schnauben sowie das Gemurmel und Lachen der Männer in ihren Ohren. Obwohl sie sich auf dem Weg befanden, einem Krieg beizutreten, fühlte sich der Moment friedlich an, einfach traumhaft schön.
»Lana? Wieso lächelst du?«, fragte Kimire neugierig.
»Wegen nichts. Ich genieße nur den Augenblick«, gab sie zu.
»Du solltest lieber den Fokus deiner Gedanken auf den Krieg richten«, murrte Mihana unzufrieden.
»Wieso? Ist es nicht besser, wenn wir uns ab und an klar darüber werden, wofür wir kämpfen? Sind wir nicht auf dem Weg nach Tetra, um das alles hier zu beschützen? Das herrliche Gefühl der Sonnenstrahlen auf der Haut, die Rufe der Bussarde weit oben im Himmel oder der Geruch der sonnengeküssten Erde vermischt mit dem von frischem Gras?« Sie seufzte zufrieden.
»Also auf den Geruch von Dreck verzichte ich gern«, erwiderte Mihana. »Ich rette lieber Leben.«
Lana verzog den Mund, weil die Kriegerin sie missverstand und sie es sehr wahrscheinlich mit Absicht tat. Kimire glaubte jedoch zu wissen, was sie meinte. »Du hast recht. Wir sollten innehalten und den Frieden um uns genießen, solange wir noch können.«
Auch das war nicht unbedingt das, was Lana gemeint hatte, aber sie ließ es kommentarlos stehen. Gray, der sie besser kannte, lächelte nur amüsiert, wandte sich aber an Krem, als der Mann an ihnen vorbeilief. »Wie lange willst du noch rasten?«
Krem sah mit einem Stirnrunzeln auf zur Sonne. »Gib den Pferden noch eine halbe Stunde. Dann kann es weitergehen.«
Gray nickte und wandte sich Lana zu. »Du wolltest doch noch mit dem Schwert trainieren. Jetzt wäre ein passender Zeitpunkt.«
Unwillig schwenkte Lanas Blick zu den Dämonen, die sich nicht allzu weit von ihrem Prinzen entfernen würden. Die Ostländer vermittelten Lana immer das Gefühl gutmütiger Anerkennung ihrer nicht hundertprozentig ausgefeilten Fähigkeiten, weswegen es sie nicht störte, wenn sie zusahen. Für eine Ignis kämpfte sie sogar sehr gut, aber im Gegensatz zu den Dämonen mangelte es ihr an sehr viel Erfahrung. Dies den vierundzwanzig Kriegern zu offenbaren behagte ihr nicht, aber nur deswegen mit dem Training auszusetzen war Unsinn. Also nickte sie, gab ihre inzwischen leere Schüssel an einen der Ostländer ab und ließ sich von Gray auf die Beine ziehen.
***
Der Abend lockte mit seinen lauen Temperaturen und die Schwüle ließ nun, da die Sonne untergegangen war, ein wenig nach. Daher gesellten sich die Menschen der umliegenden Häuser oder provisorischen Lager zu den Ostländern, um ihrer mitreisenden Bardin ebenfalls dabei zuzuhören, wie sie dort bereits seit fast einer Stunde Lieder zum Besten gab.
Gray stand wie so oft am Rand des kleinen Platzes, den die Bergleute stets frei ließen, damit sie Lana allesamt lauschen konnten. Doch durch die Nähe zu Tetra reichte diese Fläche nicht mehr aus, um die ganzen Menschen aufzunehmen, die ein wenig Zerstreuung suchten, weswegen sie sich dicht an dicht drängten. Trotz der vielen Personen und dem Klang von Lanas Stimme bemerkte er ein Knirschen des Kieses hinter sich. Als er sich umwandte, erblickte er Tifea, die sich die Faust auf die Brust legte und zu ihm trat. Einen Moment lauschte die Dämonin Lanas Gesang.
Gray kannte Tifea beinahe sein gesamtes Leben. Genauso wie Marie hatte er sie während seiner eigenen Kampfausbildung kennen- und ihr Können zu schätzen gelernt. Doch obwohl sie viele Jahre miteinander zu tun gehabt hatten, entwickelte sich niemals so eine Freundschaft zwischen ihnen, wie er sie zu Marie pflegte. Er wäre für Tifea immer nur ihr Herrscher und Gray akzeptierte das. Trotzdem freute es ihn, dass sie ihre Wunden, die sie von dem Kampf in der Marmorfeste zurückbehielt, gut überstanden hatte.
»Sie ist eine interessante Person«, teilte ihm die Dämonin schließlich mit, während ihr Blick auf Lana ruhte. Gray schwieg, denn Tifea hatte damit nur ihren Standpunkt klargemacht und erwartete keine Erwiderung. Wieder beobachtete sie Lana, bevor sie nach einigen Sekunden weitersprach. »Ich habe gesehen, wie sie mit Euch trainiert hat. Sie ist gut, wenn auch noch ein wenig ungeschliffen. Die Zeit, in der Ihr unterwegs wart, scheint mir trotz Eurer Fähigkeiten zu kurz, um ihr von Grund auf alles beizubringen. Wo hat sie also zu kämpfen gelernt? Dieses Handwerk gehört, soweit ich weiß, nicht zu dem Können einer Bardin oder Ignis.«
»Sie hat mir erzählt, dass sie bereits als kleines Kind davon fasziniert war und ihren Bruder quasi dazu zwang, sie darin zu unterrichten. Aber es ist Marie zu verdanken, dass sie so gut darin ist.«
»Marie?«
»Ja, ihr Mann ist Lanas Bruder.«
Tifea nickte verstehend. Kurz zögerte Gray, ob er noch mehr erzählen sollte. Aber spätestens Sharie musste er alles erklären und es war ihm lieber, wenn sich unter seinem Volk bereits jetzt die Wahrheit verbreitete statt Bruchstücke, die durch eine geschlossene Tür drangen.
»Es gibt da noch etwas«, begann er. »Lana … Sie ist meine Seelengefährtin.«
Tifea besaß ein äußerst besonnenes Wesen und er rechnete es ihr sehr hoch an, dass sie als einzige Regung die Stirn runzelte. Ihr Blick glitt zu seinem Arm, an dem sich noch immer alle für ihr Volk typischen Bänder befanden. Fragend sah sie ihn an. »Was ist passiert?«
Gray verzog den Mund zu einem Lächeln. Tifea kombinierte wie immer besonders schnell. »Die Elben haben erzählt, warum wir nicht mit ihnen gegangen sind?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.
»Weil ihr einen Drachen befreien wolltet, wozu ich Euch im Übrigen auch noch befragen möchte.«
»Nun, um die Geschichte kurz zu halten: Wir haben den Drachen gefunden. Ein Weibchen, das durch dunkle Göttlichkeit gebunden war. Lana hat mit ihrer Magie versucht sie zu befreien, doch sie musste uns bereits zuvor sehr viel mit ihrer Kraft helfen, weswegen es nicht ganz gereicht hat, um die Ketten zu sprengen. Das Weibchen wollte das nicht akzeptieren und hat Lana die Lebenskraft entrissen. Wenn ich die Seelenbindung nicht hergegeben hätte, wäre sie dort gestorben.«
»Und das konntet Ihr nicht zulassen«, stellte Tifea fest. »Das kann ich verstehen.«
Dieses Eingeständnis überraschte Gray. »Das kannst du?«
»Durchaus. Sie ist eine Gestaltwandlerin. Ihre Macht darf man nicht einfach opfern. Und seht nur, wie geschickt sie die Leute beeinflusst.«
Gray wandte sich Lana zu, die gerade ein äußerst schnelles Lied anstimmte. Und obwohl sie in einer Sprache sang, die er nicht verstand, weckte es in ihm Tatendrang. Die Menschen begleiteten ihr Spiel, indem sie den Takt mit den Händen nachklatschten oder auf leere Kisten und Fässer schlugen. Er wusste um Lanas Vermögen, mit ihrer Stimme andere zu berühren, aber bisher hatte er es nie bei solch einer großen Gruppe sehen können.
»Sie vereint diese Menschen durch ihren Gesang, ermutigt sie, ihrem Schicksal zu trotzen, diesem Krieg mit Stärke zu begegnen. Spürt Ihr nicht auch, wie die Entschlossenheit in Euch wächst? Sie ist eine kluge Frau«, sprach Tifea. »Jemanden wie sie braucht Tetra, um dem Süden die Stirn zu bieten.«
Gray folgte weiter Lanas Spiel. Er bemerkte durchaus, was Tifea meinte, aber sang Lana dieses Lied wirklich aus diesem Grund? Und wenn nicht, zeigte sich dann eine natürliche Gabe, große Mengen zu einen und sie zu beeinflussen? Er würde sie später danach fragen müssen, denn eigentlich hatte er so ein manipulatives Wesen bisher nicht bei ihr bemerkt.
»Zwar kenne ich sie nicht«, redete Tifea weiter, »aber Ihr hättet eine weitaus schlechtere Wahl für Eure Seelengefährtin treffen können.« Die nächste Frage kam ganz rational. »Da Ihr Eurer Band noch besitzt, vermute ich, dass es sich nicht um Liebe handelt?«
»Nein«, bestätigte Gray ihr und beobachtete Lana indes weiter.
»Das wird vielen nicht gefallen, aber Eure Opferbereitschaft stimmt sie wieder gütig. Ich werde es den anderen mit Euren Worten berichten.«
»Danke, Tifea.«
»Mein Prinz.« Sie legte ihre Faust auf die linke Brust und verbeugte sich leicht, bevor sie zurücktrat und zwischen den Zelten verschwand.
Bis in den späten Abend hinein spielte und sang Lana für die Menge. Gray beobachtete sie die ganze Zeit und tatsächlich schürte sie Hoffnung, Kampfgeist und Gemeinschaft zwischen den Menschen. Als Lana sich schließlich verabschiedete, fanden sich einige ihrer Zuhörer zusammen und redeten angeregt in der allgemeinen Sprache miteinander. Egal ob Flüchtling, Bauer oder Krieger, sie lachten miteinander, erzählten sich von Erlebnissen und freundeten sich an. Es war faszinierend.
Lana überreichte ihr Instrument dem Bauern, der es ihr geborgt hatte, und fand danach Grays Blick. Von ihrer Musik noch völlig in den Bann gezogen kam sie mit einem strahlenden Lächeln zu ihm. Sinsa begleitete sie, wie immer, wenn die Nacht hereingebrochen war.
»Du hast heute lange gespielt«, empfing Gray sie.
»Ja, ich hatte große Lust dazu und es ist eine gefühlte Ewigkeit her, dass ich vor solch großem Publikum aufgetreten bin. Das musste ich ausnutzen.« Sie hakte sich bei ihm unter und gemeinsam gingen sie tiefer in das Lager, wo ihre Schlafplätze auf sie warteten.
Macht es dir etwas aus, wenn ich mir die Gegend ansehe?, fragte Sinsa und hopste in seiner Wolfsgestalt umher.
»Nein, überhaupt nicht«, erwiderte Lana und das Irrlicht schrumpfte in die Form eines kleinen Vogels zusammen. Glücklich flatterte er einmal um sie herum und verschwand dann in der Nacht. Gray sah ihm kurz nach und wandte sich dann Lana zu.
»Beantworte mir eine Frage«, bat er. Neugierig blickte Lana zu ihm auf und strich sich eine Strähne blonden Haars hinter das Ohr. Noch immer leuchteten ihre Augen vor Freude, was durch die vielen Feuer um sie herum nur noch verstärkt wurde. »Heute Abend hatte ich das Gefühl, dass du Lieder wähltest, die die Stimmung der Menge aufheizt und dabei die Gemeinschaft zwischen ihnen stärkt. Kann es sein, dass das Absicht war?«
Auf Lanas Lippen bildete sich ein Lächeln, das er so noch nie bei ihr beobachtet hatte und das seinen Herzschlag unerwartet in die Höhe trieb. Denn es versprach Geheimnisse und vielleicht würde Lana sie mit ihm teilen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es dir auffällt«, sagte sie knapp und schritt weiter an seiner Seite durch das Lager.
»Ist es zuerst auch nicht«, gab er zu, »aber Tifea hat es bemerkt.«
»Ah, dann ist sie eine sehr aufmerksame Frau. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, es steckte Absicht hinter der Wahl meiner Lieder. Es gibt etwas, was wir Barden gern von uns weisen, aber doch jeder zu wissen scheint, der eine politische Position innehat. Wir Barden sind nicht nur dafür da, um die Leute zu unterhalten. Stell dir jemanden vor, der die Vergangenheit und Geheimnisse all deiner Feinde und Freunde kennt, der jeden Händler oder Gesandten versteht, der sich an deinen Hof wagt und zudem bewandert ist in Politik, Manipulation und Täuschung.«
»Derjenige könnte zu einer großen Gefahr werden«, stellte Gray mit einem Stirnrunzeln fest.
»Oder zu einer wahren Schatzkammer«, warf Lana ein. »Talien hat es mir einmal so erklärt: Barden sind ein purer Quell an Informationen und da wir neutral bleiben, sind wir sowohl bei jedem Herrscher als auch beim Volk gern gesehen. Aber in manchen Fällen müssen auch wir eingreifen. Wir hören zu, wenn jeder denkt, dass wir nur musizieren, und lenken mit wohlbedachten Worten die Gedanken dorthin, wo sie am besten nutzen. Unsere Musik kann besänftigen, aufwühlen oder, wie in diesem Fall, zusammenführen. Wer uns auf seiner Seite hat, kann jeglichen Konflikt für sich entscheiden, ohne dass dies je auf den Barden zurückzuführen ist.«
Gray blickte beeindruckt zu seiner Freundin. »Dass ihr Barden ein Quell an Informationen seid und durchaus viele wichtige Gespräche mitanhört, wusste ich ja. Aber dass ihr auch beeinflussend eingreift, ist mir neu.«
»Wir machen es auch nicht oft, da unser Beruf nicht in Verruf kommen soll und wir uns damit alle Tore verschließen würden, aber ja, das können wir.«
»Dann muss ich mir also keine Sorgen um die Zukunft machen? Schließlich habe ich eine sehr gute Bardin auf meiner Seite.«
Lana lachte darauf und drückte seinen Arm. »Wer sagt, dass ich auf deiner Seite bin?«
Gray blieb stehen, sodass sie sich ihm zuwenden musste. »Bist du das etwa nicht?«
Lana schwieg und betrachtete ihn mit einem nachdenklichen Blick, dann lächelte sie und lehnte sich an ihn. »Doch natürlich, ich bin lieber auf deiner Seite als auf irgendeiner anderen.«
»Das hoffe ich doch. Schließlich möchte ich nicht umsonst deine Seele an meine gebunden haben«, sagte er mit einer Spur Humor in der Stimme.
Lana verstand den Witz in seinen Worten und lachte hell auf. »Aber leider muss ich dich enttäuschen, wenn es um meine Fähigkeiten geht. Ich bin zwar in Politik bewandert und kann so etwas Einfaches wie eine Menschenmenge leicht beeinflussen, aber mehr auch nicht. Dafür fehlen mir viele Jahre der Wanderschaft und das Vertrauen der Herrscher. Talien dagegen ist ein wahrer Meister darin!«
Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort.
»Ich weiß, Talien ist überall in Mederia bekannt und beliebt. Aber ich habe bei ihm niemals irgendetwas Beeinflussendes bemerkt«, sagte Gray nach ein paar Sekunden des Nachdenkens.
»Weil er gut ist. Irgendwann möchte ich mit meinen Fähigkeiten wenigstens annähernd an ihn herankommen. Dabei kann ich mich wirklich nicht beklagen, so viel, wie er mir bereits beigebracht hat.«
»Er ist ein großartiger Barde. Es freut mich für dich, dass er dein Lehrer sein wollte.«
»Mich auch, aber ich sorge mich um ihn«, gab Lana mit einem Seufzen zu.
»Wieso das?«
»Weil er im Süden ist.«
Überrascht stockte Grays Schritt. »Woher weißt du das?«
»Weil er es mir sagte, bevor er Ignis Fatuus verließ. Das war vor eineinhalb Jahren und damals ahnte er bereits etwas. Er meinte, dass es in nächster Zeit spannend im Süden werden würde und er das beobachten will. Und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört …«
»Sorge dich nicht, Lana. Vielleicht erwartet er dich bereits, wenn wir morgen in Tetra ankommen.«
Dankbar sah sie ihn an. »Ja, das wäre wunderbar.«
Sie traten zwischen zwei Zelten hindurch auf eine kleine frei gelassene Fläche, auf der vor einiger Zeit noch ein munteres Lagerfeuer gebrannt haben musste. Aber nun glühte das verwendete Holz nur noch und Kimire sowie drei seiner Dämonen saßen davor.
Die drei standen auf, als sie ihren Prinzen sahen, und Gray bemerkte überrascht, dass Lana einen Schritt zur Seite machte – weg von ihm. Er verstand, dass dies eine Reaktion auf die Anwesenheit seiner Leute war, und wollte ihr schon sagen, dass sie keinen Abstand schaffen musste. Aber er schwieg, da auch er nicht wusste, wie sein Volk die Vertrautheit zwischen ihnen auffassen würde.
Obwohl die Dämonen im Gegensatz zu den Menschen sehr tolerant waren, konnte er nicht mit Sicherheit sagen, dass dies auch für die Seelenpartnerin ihres Kronprinzen galt. Vor allem da sie beide keine Liebe verband. Von daher schien ein wenig Abstand keine schlechte Wahl zu sein. Auch wenn Gray spürte, dass ihm dieser Gedanke missfiel.
»Mein Prinz«, begann einer der Dämonen und legte sich die Faust an die Brust, während Lana an ihnen vorbeihuschte und in dem Zelt verschwand, das sie mit Mihana und Kimire teilte.
»Schon gut, ihr braucht keine Wache halten. Die Ostländer sichern die Gegend vollkommen ab. Ihr habt einen langen Flug hinter euch. Geht schlafen«, befahl Gray in mildem Ton.
Er wusste, dass seine Krieger die Situation nur ungern anderen überließen, aber der Mann neigte ohne sichtliches Zögern den Kopf und zog sich mit den anderen beiden Dämonen zurück.
»Werden sie deinen Befehl befolgen?«, fragte Kimire und schaute zu ihm auf. Durch die weiße Kleidung fiel die Elbin besonders stark auf, was eigentlich nicht mit dem Sinn ihrer Position als Spionin übereinstimmte. In der schneebedeckten Ebene ihrer Heimat verschwamm sie beinahe mit der Umgebung. In Tetra würde sie sich aber andere Kleidung anschaffen müssen.
»Natürlich, wieso sollten sie nicht?«, fragte er.
»Weil sie heute schon einmal gegen einen Befehl von dir widersprochen haben.«
Gray wusste nicht, woher sie das Wissen hatte, aber das gehörte wahrscheinlich zu einer guten Spionin dazu. »Aber nur weil Sharie ihnen dahingehend Befehle gegeben hat. Wenn ich mich dem widersetzt hätte, wären sie nach Tetra zurückgeflogen. Bei uns Dämonen gibt es so etwas wie Ungehorsam gegenüber dem König nicht, selbst wenn ich das erst noch werden muss. Sie werden tun, was ich ihnen sage.«
Kimire nahm dies mit einem Nicken hin und sah wieder in das verlöschende Feuer.
»Willst du nicht auch schlafen gehen?«
»Doch, gleich. Ich möchte noch etwas nachdenken«, erklärte Kimire.
»Und worüber?«
»Über alles Mögliche: was uns in Tetra erwartet, welche Aufgaben ich dort übernehmen muss, ob ich euch drei dann immer noch sehen kann … So etwas eben.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht solltest du dich mit Lana unterhalten. Ich glaube, sie macht sich die gleichen Gedanken«, empfahl er ihr.
Kimire zeigte ein kleines Lächeln. »Das kann gut sein.«
Gray nickte und klopfte ihr leicht gegen den Arm. »Mach nicht mehr zu lang. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Gray.«
Damit trat er zu dem zweiten Zelt und verschwand darin, um sich ein paar Stunden Schlaf zu gönnen.
»Ich bin ein wenig aufgeregt«, gab Lana zu, als sich die Sonne dem westlichen Horizont näherte.
»Wieso?«, fragte Kimire neugierig, die neben ihr ritt.
»Ich kenne zwar jede Menge Bilder von Tetra, bin aber selbst noch nie dort gewesen. Ich bin einfach gespannt, ob die Stadt so ist, wie ich sie mir vorstelle.«
»Sie ist groß, voll, dreckig und laut«, rief Mihana nach hinten, die zusammen mit Gray vor ihnen ritt.
»Und das weißt du so genau nach dreihundert Jahren in einem Wächterstein?«, fragte Lana spöttisch.
»So etwas ändert sich nicht, Eleana. Große Städte sind immer so.«
»Womit ich ihr leider recht geben muss. Allerdings hat sich die Sauberkeit in den letzten hundert Jahren um Etliches gebessert«, erwiderte Kimire mit einem Lachen.
»Du hast diese Stadt schon einmal besucht?«, fragte Lana.
»Ja, ich habe König Teshas Vater mehrmals hierher begleitet. Ich denke, dass dir Tetra gefallen wird.«
»Wieso?«
»Weil die Stadt einzigartig ist. Sie scheint der Mittelpunkt Mederias zu sein und gerade für eine Bardin sind die ganzen Kulturen, die dort zusammenlaufen, bestimmt interessant.«
Eine erwartungsvolle Spannung erwachte in Lana bei diesen Worten. Die Felder blieben im Laufe des Tages hinter ihnen zurück und je näher der Abend rückte, umso vermehrt tauchten die Flüchtlingslager auf. So nah an der Stadt blieb kein Platz, um den Menschen allen Häuser zu bieten, weshalb es nur Zelte gab, die sich als nützlicher und praktischer erwiesen.
Nun sah Lana auch die typischen Anzeichen eines Krieges.
Die Menschen waren verängstigt und ihre Kleidung wirkte schmutzig und zerrissen. Diejenigen, die an die Straße traten, um dem Zug der Ostländer zuzuschauen, taten dies stumm und mit leerem Blick. Sie schienen alles verloren zu haben und die Verzweiflung griff mit harter Hand nach ihnen. Kein Lachen war zu hören, nur das leise Weinen eines Kindes, und der Geruch von Verwesung und Krankheit nahm Lana beinahe den Atem. Als die Sonne den Horizont berührte, drang auch von ihrer Truppe kein Ton mehr an Lanas Ohr. Stumm und bedrückt ritten sie weiter.
»Wieso sehen diese Leute so zerschunden aus?«, fragte Lana irgendwann mit leisem Missmut in der Stimme.