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Ihr steht ein großes Schicksal bevor. Doch nur mit dem Prinzen der Dämonen an ihrer Seite vermag sie die göttlichen Wesen und damit die ganze Welt zu retten … Als Wächterin der Shaas sind Arina mächtige göttliche Wesen nur allzu vertraut. Doch die Bedrohung, die beinahe ihre imposante Heimatstadt Hamesta fallen ließ, ist weitaus gefährlicher und droht ganz Mederia in Dunkelheit zu tauchen. Entschlossen, alles für die Rettung der Welt zu tun, ist sie sogar bereit, sich mit dem Prinzen der Dämonen zum Ursprung der Finsternis zu begeben … Der Kampf um Mederia geht weiter – DAS Lesevergnügen des Jahres für alle Fans von Fantasy-Liebesromanen mit Suchtfaktor! //Dies ist der fünfte Band der magisch-romantischen High-Fantasy-Buchreihe »Kampf um Mederia« von Sabine Schulter. Alle Bände der Buchserie bei Impress: -- A Kingdom Darkens (Kampf um Mederia 1) -- A Kingdom Resists (Kampf um Mederia 2) -- A Kingdom Shines (Kampf um Mederia 3) -- A Kingdom Fears (Kampf um Mederia 4) -- A Kingdom Stolen (Kampf um Mederia 5) -- A Kingdom Beyond (Kampf um Mederia 6)//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Sabine Schulter
A Kingdom Stolen (Kampf um Mederia 5)
Ihr steht ein großes Schicksal bevor. Doch nur mit dem Prinzen der Dämonen an ihrer Seite vermag sie die göttlichen Wesen und damit die ganze Welt zu retten …
Als Wächterin der Shaas sind Arina mächtige göttliche Wesen nur allzu vertraut. Doch die Bedrohung, die beinahe ihre imposante Heimatstadt Hamesta fallen ließ, ist weitaus gefährlicher und droht ganz Mederia in Dunkelheit zu tauchen. Entschlossen, alles für die Rettung der Welt zu tun, ist sie sogar bereit, sich mit dem Prinzen der Dämonen zum Ursprung der Finsternis zu begeben …
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© privat
Sabine Schulter wurde 1987 in Erfurt geboren, lebt nun aber mit ihrem Mann in Bamberg. Trotz ihres abgeschlossenen Oecotrophologie-Studiums fokussierte sie sich auf das Schreiben von Fantasy-Büchern. Sie liebt das Spiel mit den Emotionen und möchte ihre Leser tief in ihre Bücher ziehen, die oft von dem Zusammenspiel der Protagonisten untereinander geprägt sind. Viel Spannung gehört in ihre Geschichten genauso wie ein Happy End und unvorhergesehene Wendungen.
Für Triss – Du bist der Drache in meinem Herzen
Mit verschränkten Armen und finster verzogener Stirn sah Nathiel dabei zu, wie die Flammen aufloderten, die die toten Körper der Shaas einhüllten und den Blick auf die schönen Tiere verhinderten. Fauchend fraß das Feuer seine Beute viel schneller, als es möglich sein sollte, und erzeugte dabei solch eine Hitze, dass Nathiel sie auf der freien Haut spürte, obwohl er ausreichend Abstand gesucht hatte. Doch dieses Inferno war auch nicht natürlich entstanden.
Der Magier Iljan trat an seine Seite und strich sich durch die blonden Locken. Er wirkte erschöpft, aber Nathiel konnte es ihm nicht verdenken. Erst vor kurzem hatte er helfen müssen die lebende Dunkelheit, die die Stadt Hamesta bedrohte, unschädlich zu machen – und gleich darauf war er in die Geschehnisse um die göttlichen Shaas hineingezogen worden. Zwar war es Nathiel als Halbdämon bis auf sein Traumweben nicht möglich, Magie anzuwenden, allerdings kannte er sich mit dieser Macht genug aus, um zu wissen, wie ermüdend ihr Wirken war. Trotzdem setzte sich Iljan nicht auf das weiche Gras zu ihren Füßen, sondern blieb neben ihm stehen, um das Feuer zu beobachten.
Der Mann hatte ganze Arbeit geleistet und Nathiel war zufrieden, dass sie Arina ein wenig Arbeit und damit auch unnötigen Schmerz abnehmen konnten. Denn sie hatten zweiundzwanzig der dreiundzwanzig Shaas verloren und allein der Anblick der leblosen Tiere hatte sie tief erschüttert. Also hatte Nathiel die Körper zusammengetragen und Iljan sie in Brand gesteckt. Letzteres musste sein, da sie von der lebenden Dunkelheit getötet worden waren und durchaus von ihr infiziert worden sein konnten. Und dass die Shaas pervertiert und verändert wiederbelebt wurden, brauchte niemand von ihnen.
Nathiel dachte an Arina, die nicht nur die Wächterin der Tiere war, sondern auch sein Schicksal. Sie hatte bitter das Gesicht verzogen, als Nathiel und Iljan ihr angeboten hatten, sich um die Leichen zu kümmern. Wahrscheinlich hatte sie sich von den Shaas verabschieden wollen. Aber das Jungtier und seine Mutter, die Nathiel gerade noch hatte retten können, brauchten ihre Aufmerksamkeit, weswegen sie einzig genickt hatte.
»Es war gut, dass wir das Feuer hier entzündet haben«, bemerkte Iljan und warf ihm einen kurzen Blick aus seinen grünen Augen zu.
Nathiel hob die Brauen und betrachtete ihre Umgebung. »Ich bin nicht sicher, ob Arina das ebenfalls so sieht. Wir haben dadurch einen weiteren Flecken dieses beeindruckenden Ortes besudelt.«
Tatsächlich befanden sie sich in einer gigantischen Höhle, in der irritierenderweise weiches grünes Gras und Bäume wuchsen. Wind fuhr Nathiel über die goldenen Schwingen und leises Vogelgezwitscher drang an sein Ohr. Sogar ein Fluss zog quer durch die weidenähnliche Landschaft und ein Licht herrschte, das an Sonnenschein erinnerte. Issis’ Anwesenheit machte allerdings deutlich, dass es etwas anderes sein musste. Das Irrlicht saß zu Nathiels Füßen und betrachtete das Feuer in der Gestalt einer weißen Katze, ohne dabei in dem Licht zu vergehen. Also musste es magisch erstellt worden sein. Und das von den Shaas … Wesen, die zwischen ihren Hörnern Göttlichkeit woben und für ihre Priester nutzbar machten. Sie waren essenziell für das Mederia, wie sie es kannten. Und nun waren beinahe alle von ihnen tot …
»So würde ich das nicht sagen«, erwiderte Iljan auf seine Worte und riss ihn dadurch aus seiner Betrachtung. »Mir wäre es falsch vorgekommen, die Shaas auf der schwarzen Erde, die die lebende Dunkelheit zurückgelassen hat, zu bestatten. Hier ehrt es sie weit mehr.«
Dagegen konnte Nathiel nichts sagen und betrachtete die Baumkronen, unter deren letzten Ausläufern sie standen. Das kleine Wäldchen war der am weitesten entfernte Ort von dem Kampfschauplatz gewesen, den sie in der Höhle hatten ausfindig machen können.
Iljan drückte sich mit einem Stöhnen die Handballen gegen die Augen. »Die von der Dunkelheit berührte Erde muss noch gereinigt werden.«
Nathiel schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, obwohl sie sich noch nicht lang kannten. »Gönn dir vorher eine Pause. So schnell breitet sich die Verderbtheit nicht aus, dass wir nicht kurz durchatmen könnten.«
»Seid Ihr Euch sicher?«, fragte Iljan und Nathiel fiel zu genau auf, dass er nicht auf sein stummes Angebot, ihn zu duzen, eingegangen war. »Ich habe keine Ahnung, ob der Hauch von Verderbnis nicht Schaden an dem Jungtier hinterlassen könnte.«
Das konnte auch Nathiel nicht sagen, aber … »Arina weiß sicherlich mehr darüber.« Obwohl es seine Worte implizierten, machte er sich nicht auf den Weg zu den Gängen, in denen er das Jungtier und seine Mutter mit Arina und dem Cashir Mellik zurückgelassen hatte.
Unruhig trat Iljan von einem Bein auf das andere. »Sollten wir dann nicht gehen und sie fragen?«
Tief atmete Nathiel durch, während er unschlüssig den Blick von dem Feuer nahm und sich in der Höhle umschaute. »Eigentlich schon, aber mich macht die Tatsache unruhig, dass wir noch immer nicht wissen, woher die lebende Dunkelheit kam, genauso der Schatten. Sie werden wohl kaum einfach so hier entstanden sein.«
»Und da auch niemand hier herein kann, um sie zu beschwören, müssen sie einen anderen Weg gefunden haben«, schlussfolgerte Iljan.
Langsam nickte Nathiel. »Ich würde gern auf die Suche gehen. Vielleicht finden wir die Stelle ja oder zumindest die Großpriesterin. Arina meinte, dass sie hier irgendwo sein könnte.« Er wandte sich dem Magier zu. »Wenn du möchtest, geh ruhig zurück und sprich mit Arina über den verderbten Boden.«
Zu seiner Überraschung schüttelte Iljan den Kopf. »Ich begleite Euch. Ihr habt recht, dass wir vermeiden müssen, dass noch einmal etwas hier herein gelangt. Und ohne Schutz will ich Euch nicht gehen lassen.«
Nathiel hob die Augenbrauen und meinte kühl: »Ich bin durchaus in der Lage, auf mich aufzupassen.«
»Davon gehe ich aus, doch schließt das auch Magie und finstere Göttlichkeit mit ein?«
»Also wie du dich gegen Göttlichkeit behauptest, will ich sehen.«
Unnachgiebig blickten sie sich an, fochten ein Duell aus und … lachten beide gleichzeitig los. Es war schwierig zu beschreiben, aber Nathiel mochte den jungen Magier.
Feist grinste er ihn an. »Na gut, darf ich mich dann darauf verlassen, dass du mir den Rücken freihältst?«
»Selbstverständlich. Wo wollt Ihr anfangen?«
»Erst einmal an dem Punkt, dass du mich bitte duzt. Wir sitzen in einer außergewöhnlichen Situation und sollten diese distanzierende Höflichkeit sein lassen, meinst du nicht auch?«
Iljan gefiel das offensichtlich nicht, dennoch nickte er langsam. »Wie du möchtest, aber ich gebe zu, dass ich bisher nie jemanden aus einem Königshaus so freundschaftlich angesprochen habe.«
Nathiel schnaubte amüsiert. »Anscheinend bringt dir deine Reise mehr Neuheiten, als du gedacht hast, hm?«
Iljan wiegte mit einem schwachen Grinsen den Kopf hin und her. »So könnte man es ausdrücken. Also, wohin?«
Nachdenklich strich sich Nathiel über das Kinn, während das Feuer langsam an Kraft verlor und die Flammen deshalb weit weniger hoch aufloderten. Sobald es verlosch, würde nichts mehr von den toten Shaas zu sehen sein. »Ich würde bei der Höhle, wo sich Arina und Mellik aufhalten, beginnen und dann die Wände entlang gehen. So können wir ausschließen, dass wir etwas übersehen. Zumindest denke ich, dass die Dunkelheit irgendwo dort eingedrungen ist. Wenn wir nichts finden, können wir noch immer die Grasfläche und den Wald durchsuchen. Issis, darf ich dich bitten, die Decke zu kontrollieren? Wenn das zu viel für dich ist, helfe ich dir später, sobald wir mit den Wänden durch sind.«
Das Irrlicht sah zu ihm auf und sein kleines Mäulchen verzog sich, als ob es maunzen würde, aber natürlich vernahmen sie keinen Ton. Nur sein Träger würde es hören können. Da es sich allerdings in einen kleinen Vogel verwandelte und in die Lüfte schwang, vermutete Nathiel, dass es zugestimmt hatte.
Iljan schüttelte den Kopf. »Ein Dämonenprinz, ein ungebundenes Irrlicht, ein Drachenweibchen, eine Wächterin der Shaas und ein Cashir … Nie hätte ich erwartet, einmal solch eine Truppe kennenzulernen.«
Nathiel lachte. »Dabei müsstest du als Magier doch viel gewohnt sein.«
»Oh, du solltest nicht so schnell urteilen. In Tetra läuft alles in so routinierten Wegen, dass es langweilig werden kann. Ja, die Magie scheint vieles spannend zu machen, doch wenn man sie schon sein Leben lang kennt, bringt auch sie nicht viele Überraschungen.«
»Bist du deswegen zu dieser Reise aufgebrochen?«, fragte Nathiel, während sie sich in Bewegung setzten. Die Flammen waren beinahe verloschen und so benötigten sie keiner Aufsicht mehr.
Iljan neigte bestätigend den Kopf. »Auch, ja. Mit vier Jahren brachten mich meine Eltern an die Akademie, damit ich meine Gabe der Magie erlernen konnte. Seitdem habe ich nie etwas anderes gesehen als die eng beieinanderstehenden Häuser Tetras oder das kleine Dorf, in dem meine Eltern leben. Gerade jetzt, da meine Ausbildung abgeschlossen ist und ein weiterer schwüler Sommer in Tetra vor der Tür steht, dachte ich, dass es Zeit wäre, mehr von Mederia zu sehen.«
»Eine weise Entscheidung. Unser Land hat so viele schöne Ecken, die man unbedingt einmal besucht haben muss. Daher nutze auch ich jede Chance, um auf Reisen zu sein, bevor ich den Platz meines Vaters einnehme und keine Zeit mehr dafür bleibt.«
Die Liebe zu ihrem Land und der Wunsch, jeden Ort darin zu erkunden, verband Iljan und Nathiel auf gewisse Art.
Iljan warf ihm einen Blick zu. »Also bist du deswegen hier? Nicht nur weil ihr um Hilfe gebeten wurdet, sondern weil du Hamesta sehen wolltest?«
»Auch, ja«, erwiderte Nathiel und nutzte dabei Iljans Worte. Sie stimmten, verbargen allerdings viel. Er würde nie preisgeben, dass Arina sein Schicksal war und er durch das Traumweben beinahe jede Nacht von ihr und einem bisher unbekannten Grauen träumte. Es genügte, wenn seine Cousine Prue und das Drachenweibchen Triss davon wussten. Jedoch wollte er Iljan nicht einfach abspeisen, denn er glaubte in dem Magier einen starken Verbündeten finden zu können. »Eigentlich ging Hamestas Hilferuf an meine Mutter, doch sie muss sich um andere Dinge kümmern.«
Als ob er wüsste, wovon er sprach, verfinsterte sich Iljans Mimik. »Du meinst die veränderten Magieströme?«
Nathiel hätte sich an den Kopf fassen können. Natürlich wusste Iljan davon. »Ja, aber nicht nur die Magie ist in Aufruhe. Die Drachen spüren ein Abfließen der Göttlichkeit.«
Wie angewurzelt blieb Iljan stehen. »Was? Unsere Göttlichkeit verschwindet?«
Nathiel lief weiter, sodass der Magier zu ihm aufholen musste. »So kann man es nicht sagen, unser Glaube produziert schließlich immer neue Göttlichkeit, doch die vorhandene fließt irgendwohin ab. Das untersuchen meine Eltern gerade.«
»Und hier taucht lebende Dunkelheit auf … Das muss doch in Verbindung stehen, oder?«
»Wir vermuten es, denn das war noch nicht alles. Auf unserem Weg hierher sind uns von Finsternis veränderte Tiere begegnet. Gar nicht weit von Tetra entfernt. Irgendwas geht derzeit in Mederia vor sich und wir wissen leider noch nicht was.«
»Wir müssen das unbedingt aufdecken!«, rief Iljan voller Leidenschaft. Der Mann gefiel Nathiel immer mehr. In ihm wohnte nicht nur Liebe für sein Land, sondern auch ein starker Wille.
Nathiel lächelte. »Deswegen suchen wir nach dem Ort, von dem die lebende Dunkelheit herkam, statt heimzukehren. Wir lassen nicht zu, dass unserer Heimat geschadet wird. Vor allem nicht durch so etwas wie Dunkelheit.«
Iljan betrachtete ihn nachdenklich, was er aus dem Augenwinkel bemerkte. Er sparte sich weitere Worte und wandte seine Aufmerksamkeit nach vorn, wo die verbrannte Erde begann, die die lebende Dunkelheit hinterlassen hatte.
Arina trat gerade aus dem Zugang zu dem Tunnelsystem, in dem sie die Shaa Phi mit ihrem noch unbenannten Jungtier gefunden hatten, und ließ kurz den Blick über die Umgebung schweifen, ob auch keine neue Gefahr auf sie lauerte. Zu ihrem Glück entdeckte sie nur Nathiel und Iljan, die zurückkehrten. Eigentlich sollte sie sich freuen die beiden zu sehen, aber die letzte Zeit hatte in ihr das reinste Gefühlschaos verursacht. Sie hatte so viele emotionale Höhen und Tiefen durchwandert, dass sie sich ausgelaugt und überfordert fühlte. Erst der Kampf gegen die lebende Dunkelheit, dann die Leichen der Shaas, Phis Rettung und die andauernde Sorge um ihre Mentorin Kaloris. Was würde als Nächstes kommen?
»Ist bei den beiden Shaas so weit alles in Ordnung?«, fragte jemand.
Arina sah zur Seite, wo sie nun Mellik bemerkte. Der Windmagier saß auf einem großen Felsen, hatte die Beine verschränkt und stützte sich gelangweilt auf eine Hand, während er mit seiner Magie einige Steine aufwirbelte, die gleich darauf klackernd zu Boden fielen.
»Ja, ich habe sie versorgt und Schutzrunen angebracht, damit nichts an sie herankann, solange wir uns um die restlichen Angelegenheiten kümmern. Danke, dass Ihr hier draußen ein Auge offengehalten habt.«
Mellik betrachtete sie an seinem dunklen Haar vorbei. Obwohl er erst dreizehn war, war er doch Teil des hohen Rates, der Anführer ihrer Heimat Hamesta. Er besaß neben seiner enormen Magie auch einen scharfen Geist, weswegen er oftmals älter wirkte, als er eigentlich war. Ihn zu unterschätzen war nie gut. Nun entknotete er seine Beine und sprang von dem Felsen. »Sehr gut. Hast du auch die Gänge kontrolliert? Nicht dass diese Bestie von dort kam.«
Arina nickte und wartete, bis Nathiel und Iljan heran waren, damit sie ihre Worte ebenfalls hörten. »Ich bin jeden Tunnel akribisch abgegangen, aber von dort kam die lebende Dunkelheit definitiv nicht. Auch zu Großpriesterin Kaloris habe ich keinen Anhaltspunkt gefunden.«
»Uns ist ebenfalls niemand aufgefallen«, erklärte Nathiel und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dabei war das Feuer weithin sichtbar.«
Mit finster verzogenen Augenbrauen sah er sich in der Höhle der Shaas um und kurz zuckten Arinas Lippen amüsiert. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er gar nicht wusste, wie sehr man ihm seinen Rang als Kronprinz der Dämonen ansah, wenn er so dastand. Aufrecht, stark und präsent. Die goldenen Schwingen, die durch das Licht der Shaas wie Seide schimmerten, unterstrichen das nur. Ganz im Gegensatz zu seiner Kleidung, die aus einem ärmellosen Hemd, das freie Sicht auf seine muskulösen Arme bot, einer Hose und wadenhohen Stiefeln bestand. Die Kampfkleidung seines Volkes. Soweit Arina wusste, war der Stoff mit einem feinen Metallgeflecht durchzogen, das mehr schützte, als es jeder Brustpanzer könnte. Zudem verriet der Griff eines riesigen Schwertes, der über Nathiels rechte Schulter lugte, dass der Prinz kein verwöhntes Oberhaupt war.
Iljan, der neben ihm stand und ihm in Größe in nichts nachstand, wirkte viel schmaler, beinahe schlaksig. Seine Magierkutte verbarg es gut, aber er hatte wahrscheinlich noch nie eine Waffe in der Hand gehalten. Musste er als Magier auch nicht, doch dass die beiden wie absolute Gegensätze wirkten – auch durch Nathiels dunkles und Iljans blondes Haar –, belustigte sie. Allerdings ließ das, was Nathiel gesagt hatte, das Lächeln auf ihren Lippen sofort wieder versiegen. »Ich werde sie so vermissen … zweiundzwanzig der bemerkenswertesten Tiere der Welt … Wie konnte das nur passieren?«
Die Männer schwiegen und kurz war nur das Rascheln des Windes in dem verbrannten Gras zu hören.
»Bedeutet das, dass die Shaas aussterben werden?«, fragte Iljan nach einigen Sekunden bitter. »Mit zwei Tieren wird die Herde schwerlich überleben können, oder?«
»Doch«, erklärte sie und erkannte die Überraschung der anderen. Nur Mellik, der die Eigenarten der Shaas kannte, wirkte zufrieden, und auch Arina spürte Erleichterung in sich. »Die Shaas sind nicht wie andere Tiere. Sie brauchen keinen Partner, um sich zu reproduzieren. Nur Göttlichkeit ist dafür notwendig. Phi wird in einigen Tagen wieder trächtig sein und sobald ihr Junges alt genug ist, wird es ebenfalls den Fortbestand sichern. Die Shaas sind nicht an Geschlechter oder Zeiten gebunden. Sollte es notwendig sein, kann die Herde selbst aus einem Tier neu entstehen.«
Nathiel wirkte zufrieden. »Dann war es gut, dass ich noch rechtzeitig kam, um Phi zu retten.«
Er hatte ja keine Ahnung, wie dankbar Arina ihm dafür war. Am liebsten wollte sie ihm das zeigen, aber Mellik grätschte dazwischen, indem er sagte: »Dazu wollte ich Euch noch etwas fragen: Woher wusstet Ihr, dass Phi in Gefahr schwebte? Wir befanden uns viel zu weit weg, um den Schatten auch nur zu bemerken.«
Nathiel lächelte unverbindlich und zeigte dadurch, wie gut er für eine hohe Position innerhalb der Völker und unter Politikern geeignet war. Und das obwohl der Umgang mit ihm außerhalb seiner Prinzenpflichten sehr einfach und entspannt war. »Ich habe Euch doch gesagt, dass ich meine Möglichkeiten habe.« Als wäre das Thema damit geklärt, wandte er sich an Arina. »Ich habe Issis losgeschickt, um die Decke nach einem Ort abzusuchen, wo die lebende Dunkelheit eingedrungen sein könnte. Iljan und ich werden gleich bei den Wänden weitermachen. Schließt ihr beiden euch uns an?«
Bevor jemand antworten konnte, ertönte ein Pfiff aus der Richtung, in der der Eingang zu der Höhle der Shaas lag. Arina runzelte die Stirn, denn sie hatte ihn eigentlich mit einer Rune verschlossen, sodass niemand hereinkonnte.
Nathiel lächelte und gab ihr eine plausible Antwort. »Das sind Triss und Prue.«
Mellik runzelte die Stirn. »Das Drachenweibchen? Ich hätte gedacht, dass sie noch ein paar Stunden außer Gefecht sein würde, so viel Kraft, wie sie im Kampf gegen die lebende Dunkelheit aufbieten musste.«
Auch Arina hatte das erwartet, weswegen sie nicht mehr mit Trinisias Hilfe bei der Sache hier gerechnet hatte. Anscheinend war das ein Irrglaube gewesen, wenn Trinisia bereits eine ihrer Runen auflösen konnte. Sie war jedoch erleichtert das Weibchen nun hier zu haben. Zwar kratzte es an ihren Nerven, dass schon wieder zwei Außenstehende in die Höhle der Shaas kamen, aber ein Drache war sogar noch göttlicher berührt als diese Tiere. Dadurch konnte sie vor allem bei der Reinigung der Erde unterstützen.
Nathiel schüttelte den Kopf und ließ ebenfalls einen durchdringenden Pfiff hören, ehe er antwortete. »In Hamesta ist der Glaube an unsere Götter sehr stark, weswegen viel Göttlichkeit freigesetzt wird, die Triss nutzen kann. Es wundert mich also wenig, dass sie so schnell regeneriert. Kommt, gehen wir ihnen entgegen. Die beiden können uns bei der Suche helfen.«
Schon wandten sich die drei Männer ab, Arina zögerte allerdings und sah zurück zu dem Eingang der Felsgänge. Doch sie hatte Phi und ihr Junges gut geschützt. Sie konnte sich durchaus ein wenig von ihnen entfernen, ohne Angst haben zu müssen, dass ihnen etwas geschah. So hoffte sie zumindest.
Versonnen strich Lana durch das weiche Brustgefieder des magischen Vogels, der auf ihrem erhobenen Unterarm hockte. Neugierig betrachtete dieser Gray, der den Brief las, den der gefiederte Bote eben erst gebracht hatte. Das Tier war so groß wie eine Taube und bestand vollständig aus silbernem Licht. Magier konnten sie beschwören, um Nachrichten viel schneller an ihren Bestimmungsort zu bringen, als es normalen Botenvögeln möglich war. Umso verblüffender fand es Lana, wie echt sich das Wesen unter ihren Fingern anfühlte. Dass die scharfen Krallen, mit denen es sich an ihrer bloßen Haut festhielt, sie nicht verletzten, sagte jedoch deutlich aus, wie weit entfernt von einer echten Taube das Wesen war.
»Von wem ist der Brief?«, fragte Famir, der herankam, um Lana eine Tasse mit einer dampfenden Flüssigkeit zu reichen. Grays jüngerer Bruder und damit Lanas Schwager zwinkerte ihr fröhlich wie immer zu, als sie noch einmal über den Kopf des Vogels strich, ehe sie das Getränk entgegennahm.
Seit nunmehr fünf Tagen befanden sie sich auf der Reise Richtung Norden, um die Hauptstadt der Elben, Er-yen, zu erreichen, und sie war dankbar, dass Famir sie dabei begleitete. Mit dem Dämon wurde es nie langweilig und schon bevor sie Gray geheiratet hatte, hatte sich zwischen ihnen eine wundervolle Freundschaft entwickelt, die im Laufe der Jahre zu etwas noch Festerem geworden war. Für sie war Famir wie ein Bruderersatz, nachdem ihr eigener im vergangenen Krieg gefallen war.
Als sie den Blick über die Anwesenden gleiten ließ, lächelte sie, denn viele von ihnen waren ein Teil ihrer Familie geworden, obwohl keine Blutsbande sie vereinten. Neben Gray und Famir begleiteten sie auch das Drachenweibchen Jose, deren grüne Schuppen im Licht der Sonne funkelten. Dazu gesellten sich ihr Lehrmeister und der berühmteste Barde Mederias Talien, sowie Gareth, der einzige Magierpriester des Landes. Zu diesem Zweck hatte Gray nur Dämonen für ihren Schutz ausgewählt, die ihnen weit näherstanden als so manch andere. Darunter auch Tifea, die die Leitung über die königliche Wache innehatte und bereits fast ihr gesamtes Leben an Grays Seite stand. Lana schätzte den kühlen, durchdachten Verstand der Frau, obwohl sie manchmal merkwürdig erscheinen konnte. Denn selbst nach über zwanzig Jahren, die sie sich kannten, hatte sie Tifea noch nie lachen sehen.
»Hm«, machte ihr Mann, weswegen sie den Blick wieder Gray zuwandte, der den Brief mit einem Seufzen sinken ließ. »Er ist von Sharie. Nachdem uns Nathiel von den veränderten Bären erzählt hat, schickte sie einige Leute los, um sich in der Takara-Steppe umzusehen und in den Dörfern nachzufragen, ob etwas Auffälliges geschehen ist. Anscheinend sind die Bären nicht die einzigen veränderten Tiere, die durch Nord-Mederia streifen.«
Sorge brandete durch Lanas Bauch. »Es wurden noch mehr gesichtet?«
Gray nickte. »Drei weitere Vorfälle wurden in Tetras näherer Umgebung gemeldet und sieben gab es wohl verteilt in der Takara-Steppe. Jedes Tier konnte getötet werden und die Priester verhinderten ein Ausbreiten der Seuche, die sie mit sich tragen. Aber ich verstehe das nicht. Woher kommen diese Tiere?«
»Eine weitere lebende Dunkelheit wurde nicht entdeckt?«, fragte Gareth nach, der zusammen mit den anderen im Kreis auf dem gerade erst sprießenden Frühlingsgras der Takara-Steppe saß.
»Nein, davon wurde nichts berichtet.«
»Dann wird es auch keine in Nord-Mederia geben«, schlussfolgerte Lana. »Wenn so ein Monstrum gesichtet worden wäre, hätten wir als Erste davon erfahren, wie uns die Sache in Hamesta bewiesen hat.« Sie runzelte die Stirn. »Könnte das vielleicht heißen, dass die Tiere von Hamesta in Nord-Mederia eingefallen sind? Im Süden sind ja noch keine Fälle aufgetreten, oder?«
»Nein«, erwiderte Gray nachdenklich und rieb sich über den dunklen Bart, während er den Brief noch einmal überflog. »Dort ist so weit alles ruhig.«
»Abgesehen von den veränderten Magieströmen, die im Süden weit stärker zu spüren sind«, warf Gareth ein. Der ältere Mann strich sich das kurzgeschorene blassblonde Haar. »Ich denke nicht, dass die Tiere von der lebenden Dunkelheit in Hamesta herrühren. Arina meinte, dass sie in den Tempeln eingeschlossen wäre. Und selbst wenn sie sich in der Zwischenzeit befreit hätte, wäre die Zeitspanne viel zu kurz, dass es veränderte Bären über die ganze Steppe bis nach Tetra schaffen könnten. Sie kommen definitiv woanders her.«
»Aber von wo?« Unwillig verzog Lana den Mund, da ihr die ganze Sache so viele Rätsel aufgab. Nichts schien zusammenzupassen und viele Dinge entzogen sich ihrem Verständnis. »Wenn sich Nathiel wenigstens erneut melden würde.«
Gray sah mit einem Lächeln zu ihr. »Machst du dir etwa schon wieder Sorgen um ihn?«
»Wie könnte ich nicht?«, brauste sie auf und hätte am liebsten die Arme in die Luft geworfen, wenn sie nicht noch immer den Vogel und die Tasse gehalten hätte. »Schließlich geht er mit Prue gegen eines der mächtigsten dunklen Wesen an, die wir kennen.«
»Sei froh, dass es kein Kathasis ist«, warf Jose ein und sprach damit von jenen Geschöpfen, die ähnlich göttlich wie die Drachen waren. Nur dass die Kathasis von dunkler und nicht heller Göttlichkeit lebten. Lana dachte nur ungern an die Kämpfe, die sie gegen diese Abscheulichkeiten geführt hatte. Jose lächelte beruhigend. »Trinisia ist stark genug, um gegen die Dunkelheit anzukommen. Mach dir keine Sorgen. Sie werden sich sicherlich in ein paar Tagen melden. Vielleicht ist sogar schon ein Vogel zu uns unterwegs.«
Lana nickte, denn das Weibchen hatte recht. Sie wandte sich wieder an Gray. »Willst du etwas wegen dieser Tiere unternehmen?«
Ihr Mann schüttelte den Kopf und faltete den Brief zusammen, den er an Tifea weitergab. »Sharie kümmert sich darum. Wir haben andere Aufgaben.«
Sein Blick schweifte über die Steppe, die sich langsam in das felsigere Gebiet der Hochebene wandelte. Er-yen lag nur noch drei Tage entfernt und es brannte in Lana, zuvor nach Westen zu fliegen. Bis Hamesta wäre es nur ein Umweg von fünf Tagen. Eine Strecke, die sie verlockte nachzusehen, ob bei ihrem Sohn alles in Ordnung war. Doch sie vertraute ihm und Gray hatte zudem recht. Sie mussten sich um andere Dinge kümmern.
Dass sich die Magieströme veränderten, konnten sie nicht beeinflussen, aber sie mussten unbedingt herausfinden, wieso die Göttlichkeit abfloss und ihr Leben, wie sie es bisher kannten, gefährdet wurde. Die Drachen meinten, dass sie nach Norden strömte, wohin sie auch der einzige Hinweis führte, den sie hatten finden können. Ob sie mit ihren Vermutungen richtig lagen, dass die Vorfahren der Elben vielleicht etwas damit zu tun hatten, würde ihnen nur Tesha, der König der Elben, verraten können. Sie hatten sich bereits angekündigt, allerdings bisher keine Antwort erhalten. Was nichts hieß, denn Tesha war ein wenig schreibfaul. Lana konnte sich vorstellen, dass er auf einen Brief verzichtete, da sie sowieso in einigen Tagen ankommen würden. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten, und sie schob daher alle Gedanken von sich.
Statt sich weiter Sorgen zu machen, warf sie den magischen Vogel in die Luft, wodurch er sich einen neuen Ort suchte, um auf Grays Antwort zu warten, die er bereits schrieb, und hakte sich bei ihrem Mann unter. Der störte sich nicht daran, sondern verfasste weiter den Brief an Sharie, während sie ihre Wange an seine Schulter lehnte. Dabei nahm sie voller Freude den süßen Geruch der vielen Blumen auf, die um diese Jahreszeit in der Takara-Steppe blühten. Das Gras war frisch und saftig grün, die Luft rein und das Summen von Bienen drang wie ein beruhigendes Hintergrundgeräusch an ihr Ohr. Heute war es stürmisch und der Wind trieb bauschige Wolken über den Himmel, während immer wieder die Sonne hervorblitzte. Es war so früh im Jahr beinahe zu kalt für Lana, obwohl sie die kühlen Temperaturen in der Marmorfeste gewöhnt war, doch sie genoss es, unterwegs zu sein. Sie liebte zwar ihr Leben in der Marmorfeste, aber sie war eine ausgebildete Bardin und das Reisen tief in ihrem Wesen verwurzelt. Daher atmete sie tief ein und seufzte zufrieden. Gray küsste ihre Schläfe und gab den fertigen Brief an Tifea weiter, damit sie den Vogel zurück zu Sharie schicken konnte. Dadurch hatte er die Hände frei, um sie sogleich in eine Umarmung zu ziehen.
»Ist da etwa jemand glücklich?«, raunte er ihr ins Ohr.
Sie grinste und gab ihre Tasse ebenfalls an die Dämonin weiter, um die Arme um ihn legen zu können. Dabei fing sie Grays unvergleichlichen Geruch nach Wind und Leder ein. »Bin ich das nicht schon seit vielen Jahren?«
Sie spürte, wie er den Mund verzog. »In den letzten Tagen sah es eher so aus, als ob du in Sorgen ertrinken würdest.«
Belustigt drückte sie sich so weit von ihm fort, dass sie ihm in die warmen braunen Augen schauen konnte. »So schlimm war es nun auch nicht. Ja, derzeit ist viel los, aber im Grunde meines Herzens bin ich sehr glücklich.« Sie boxte sacht gegen seine Schulter. »Und daran bist du schuld.«
»Schuld?«, fragte er amüsiert. »Das klingt beinahe, als ob Glücklichsein etwas Schlechtes wäre.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und lehnte sich an Gray, sodass er ihre nächsten Worte auf seinen Lippen spüren musste. »Nur wenn du zulässt, dass es aufhört.«
Gray antwortete nicht, zeigte nur ein anbetungswürdiges Lächeln und festigte seinen Griff um ihre Taille, um sie noch näher an sich zu ziehen. Die andere Hand vergrub sich in ihrem Haar und ein freudiges Kribbeln brandete durch ihren Bauch, während er sie näherlockte. Liebend gern schloss Lana die Augen, fieberte dem Moment entgegen, in dem sich ihre Lippen finden würden. Als sie sich in einem innigen, leidenschaftlichen Kuss verwoben, gab sie ein freudiges Geräusch von sich. Dass sie Gray auch nach zwanzig Jahren Ehe noch immer so sehr liebte, hätte sie nie gedacht. Aber es war so und sie überzeugt, dass ihr Leben niemals schlecht sein würde, solange er an ihrer Seite war. Genüsslich strich sie mit ihren Fingern von seinem Hals aus in sein schwarzes Haar, während er den Kuss intensivierte, sie dazu verlockte, den Mund für ihn zu öffnen, damit sich ihre Zungen finden konnten. Alles um sie herum wurde unwichtig … bis Famir ein unzufriedenes Brummen von sich gab. »Könnt ihr bitte aufhören? Ihr seid schließlich nicht allein.«
»Was denn, Famir? Vermisst du Cassy bereits?«, fragte Talien belustigt, während Lana und Gray grinsen mussten und damit ihren Kuss unterbrachen.
Famir murrte etwas Unverständliches, was Taliens Worte an sich bestätigte. Niemand hätte gedacht, dass gerade der leichtlebige Famir einmal einer Frau so hörig werden würde. Aber er liebte Cassy innig und wenn er sie allein lassen musste, störte ihn das gehörig, wie Lana wusste. Und doch begleitete er sie, was sie ihm hoch anrechnete. Zu dem Thema konnte sie nichts sagen, denn Kimire kehrte von ihrem Erkundungsgang zurück und tauchte so plötzlich neben ihnen auf, dass Lana erschrocken zusammenzuckte. Die Elbin mit dem untypisch schwarzen Haar schaffte es selbst in einer Gegend wie dieser, wo kein Schatten oder ein Baum sie verbergen konnte, völlig unauffällig zu bleiben.
Ernst verschandelte ihre hübschen Züge, sodass Gray den Griff um Lana festigte. »Was ist los? Hast du etwas entdeckt?«
»Ja, ihr müsst sofort mitkommen.«
Schon wandte sich die Elbin ab und rannte Richtung Westen davon, während Lana und Gray noch einen überraschten Blick tauschten. Dann nickten sie jedoch und eilten Kimire nach, während Tifea Befehle rief und Betriebsamkeit in ihre Reisegruppe kam. Kaum hatten sie genügend Abstand zu den anderen, ließ Lana ihre goldenen Schwingen erscheinen und Gray gewährte ihr den Vortritt, als sie absprang und sich in den Himmel erhob. Erst danach öffnete er ebenfalls die Schwingen und folgte seiner Frau. Er hatte eine böse Vorahnung, was Kimire entdeckt hatte.
***
»Spürst du etwas?«, fragte Arina neugierig, während sie zusammen mit Nathiel und dem Drachenweibchen Trinisia am Rand der Höhle entlanglief. Nur der Wind rauschte leise in dem hüfthohen Gras und in einiger Entfernung vernahm sie das beruhigende Zwitschern der Vögel, die in dem kleinen Wäldchen lebten.
»Hm«, machte Trinisia unbestimmt und strich sacht mit ihren krallenbewehrten Fingern über den Stein.
Obwohl sie bereits einige Zeit mit ihr gereist war, fand es Arina noch immer bemerkenswert und ehrfurchtgebietend, mit einem Drachen unterwegs zu sein. Dabei war Trinisia in ihrer menschlichen Gestalt eher unauffällig. Arina war selbst keine sehr große Frau, aber das Weibchen reichte ihr gerade einmal bis zur Nasenspitze und war dabei so zart, dass ein heftiger Windstoß sie sicherlich beiseite wehen konnte. Die schwarzen Locken zusammen mit dem Talar und der weiten Hose verbargen gut ihre orangefarbenen Schuppen, die jeden Zentimeter ihrer Haut bis hinauf zum Gesicht bedeckten. Einige reichten sogar über ihre Wangen hinweg zu ihrer Schläfe, was wie eine exotische Zierde anmutete. Bei einem flüchtigen Blick konnte Trinisia daher als ganz normale, vielleicht etwas schüchterne Frau abgehandelt werden. Doch in ihr schlummerte ein göttliches, überaus starkes Wesen. Näher war Arina den Göttern trotz ihres Diensts bei den Shaas bisher nicht gekommen, weswegen sie jede Sekunde in Trinisias Gegenwart ehrte. Genau wie Nathiel merkte man im Umgang mit ihr aber wenig, was für eine hohe Position sie in der Welt einnahm. Ganz im Gegenteil, sie wirkte eher wie das zurückhaltende Mädchen von nebenan.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, gab sie nun zu und verzog schuldbewusst den Mund.
»Wie meinst du das?«, fragte Nathiel und runzelte die Stirn. »Du müsstest doch die magische Signatur der lebenden Dunkelheit sehen, oder?«
»So leicht ist das leider nicht. Diese Höhle besteht quasi aus purer Magie und Göttlichkeit. Sie wurde von den Shaas erschaffen und auch nur durch ihre Macht bleibt es hell. Hier vermischt sich so viel Energie, dass ich beinahe erblinde.«
Wie um ihre Worte zu unterstreichen, kniff sie die Augen zusammen, ehe sie sich in der Höhle umsah. Nur sie drei und das Irrlicht Issis befanden sich hier, da sie sich von den anderen getrennt hatten, um die Höhle schneller absuchen zu können. An sich hatte Arina gehofft, so in kürzester Zeit den Ort ausfindig zu machen, an dem die lebende Dunkelheit eingedrungen war, ihn zu verschließen und danach alle Leute rauszuwerfen, die hier nichts zu suchen hatten. Sie wollte, dass sich die beiden Shaas erholen konnten und die Ordnung, für die sie verantwortlich war, wiederhergestellt wurde. Doch es zog sich mehr in die Länge, als ihr lieb war.
Plötzlich zuckte Trinisia zusammen und wirbelte herum. Sogleich folgten Arina und Nathiel dieser Bewegung und griffen automatisch nach ihren Waffen, allerdings befand sich vor ihnen nichts Auffälliges. Nur die Graslandschaft, die die Shaas ihre Heimat nannten, und am jenseitigen Ende der Höhle der Wasserfall.
»Triss«, sagte Nathiel angespannt. »Was hast du?«
»Eine Spur«, murmelte das Weibchen und lief wie in Trance los.
Schnell schlossen sie sich ihr an und Issis trottete in seiner Katzengestalt hinterher. Nathiel, dem Trinisia gerade einmal bis zur Schulter reichte, musterte sie besorgt, sagte aber nichts, weswegen auch Arina schwieg. Zu gern hätte sie nachgefragt, was genau Trinisia bemerkt hatte, denn die Art, wie sie die Welt wahrnahm, war ganz anders als bei ihr. Auf ihrer gemeinsamen Reise hatte sie schon ein wenig darüber erfahren und wusste, dass sie Magieströme und auch Göttlichkeit sehen konnte. Sie war dahingehend wie ein Spürhund, nur dass sie ihre Fährte nicht mit der Nase, sondern mit den Augen fand.
Die junge Frau führte sie bis zu den Ufern des Sees, dessen Wasser nicht sonderlich tief, dafür weitreichend war. Er nahm beinahe ein Drittel der Höhle ein und wurde aus einem Wasserfall gespeist. An seinen Ufern wuchs Schilf und einige Fische schwammen träge in dem klaren Nass.
»Wartet hier«, wies Trinisia sie an, weswegen Nathiel und Arina zurückblieben. Issis kümmerte sich nicht um die Worte des Weibchens und wandelte sich in einen kleinen Vogel, damit er ihr folgen konnte, ohne nass zu werden, als Trinisia ins Wasser watete.
»Was …?«, begann Arina, doch da nahm das Weibchen auch schon ihre Drachengestalt an. Japsend trat sie einen Schritt zurück, als das Wasser verdrängt wurde und beinahe bis zu ihnen schwappte. Nathiel rührte sich hingegen nicht und runzelte nur die Stirn.
»Wir hätten ihr doch helfen können«, murrte Arina und stellte sich wieder neben den Dämonen.
Der grinste schwach und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich denke eher, dass Triss Spaß an der Detektivarbeit gefunden hat. Lass ihn ihr.«
»Spaß ist ein merkwürdiges Wort, wenn es um die Sicherheit der Shaas geht«, beschwerte sie sich.
»Entspann dich, Arina«, empfahl ihr Nathiel. »Inzwischen haben wir doch alles im Griff.«
Am liebsten hätte sie ihn angefahren und darauf aufmerksam gemacht, dass noch viel zu viel der ganzen Angelegenheit im Dunkeln lag. Aber an sich hatte er recht. Sie hatten zwei Shaas retten können, die Dunkelheit war vernichtet und es schwebte keine akute Gefahr über ihnen. Ihre Nerven waren zwar weiterhin angespannt, trotzdem sollte sie nicht zu zickig gegenüber jenen sein, die alles dafür gaben, ihr zu helfen. Also atmete sie tief durch und schaute Trinisia zu, die den Kopf untertauchte und den Seeboden absuchte.
Nathiel betrachtete derweil die Wächterin neben sich aus den Augenwinkeln. In dieser merkwürdigen Höhle mit ihrem magischen Licht und dem saftigen Grün wirkte ihr rotblondes Haar weit weniger auffällig als unter freiem Himmel. Es war eher so, als würde sie hierhergehören, am perfekten Platz sein. Einerseits freute ihn das für sie, andererseits schmerzte es auch. Denn Arina war sein Schicksal. Jene Person, die das Leben eines Dämons grundlegend veränderte. Er hatte sie so häufig in seinen Träumen gesehen, dass sie ihm so vertraut wie seine Familie war, obwohl sie sich erst seit wenigen Tagen kannten. Es zog ihn zu der hübschen Frau hin und am liebsten hätte er die Finger ausgestreckt, um ihr langes Haar durch seine Finger gleiten zu lassen. Er war fasziniert von ihr und wollte unbedingt mehr über sie erfahren. Am liebsten alles.
Zu seinem Unmut war ihre gemeinsame Zeit begrenzt. Er würde zwangsläufig zurück zur Marmorfeste müssen, um dort seinen Platz als Kronprinz einzunehmen. Dass Arina hierblieb, stand außer Frage. Sie liebte die Shaas und ihre Bestimmung lag bei ihnen. Sie gehörte hierher, so wie er zu den Dämonen, und er gönnte ihr das. Aber in seinem Inneren wünschte er sich, dass es doch einen Weg gab, der sie nicht trennen würde. Sie war schließlich sein Schicksal. Ihr Platz in seinem Leben war quasi vorherbestimmt. Würde vielleicht die gemeinsame Reise etwas an der Entfernung zwischen ihnen ändern können? Er hoffte es.
Als Triss den Kopf durch den Wasserfall steckte, spritzte das kühle Nass in alle Richtungen davon, sodass sogar sie von einem feinen Sprühregen getroffen wurden, obwohl sie weit entfernt standen.
Arina brummte unwillig. »Sie wühlt den ganzen Seegrund auf.«
»Du bist schon etwas pingelig«, bemerkte Nathiel mit hochgezogenen Augenbrauen, was ihm einen empörten Blick einbrachte.
»Wir sind hier in einer heiligen Höhle. Es wäre wirklich schön, wenn du mehr Ehrerbietung zeigen würdest.«
»Das tue ich, keine Sorge«, erwiderte er und versuchte seine Belustigung zu vertuschen. »Aber Triss ist selbst ein göttliches Wesen. Sie wird nichts tun, was der Heimat der Shaas schadet.«
Arina verzog den Mund, schwieg ein paar Sekunden und ließ schließlich die Schultern sinken. »Du hast recht. Entschuldige, die vergangene Zeit hat mich zu sehr anspannen lassen. Außerdem mache ich mir Sorgen um Kaloris …«
»Eure Großpriesterin hat vielleicht bereits den Ort gefunden, wo die lebende Dunkelheit eingedrungen ist. Bestimmt finden wir sie dort.«
»Danke für deinen Optimismus«, murmelte Arina und sah mit ihren blauen Augen zu ihm auf. »Das ist ein ziemlich angenehmer Wesenszug von dir.«
Er grinste. »Vielen Dank.«
Nachdenklich musterte Arina ihn. »Ich möchte dir damit nicht zu nahe treten, nur dachte ich bisher, dass Dämonen ganz anders wären. Viel leidenschaftlicher, rauer und unbeherrschter.«
»Das trifft auch auf die meisten meines Volkes zu«, erwiderte er und strich sich mit einem Seufzen durch das Haar. »Bei mir sind diese Eigenschaften jedoch nicht ganz so ausgeprägt. Auch mich überkommt unsere typische Leidenschaft immer wieder, aber ich kann sie gut kontrollieren. Vielleicht liegt es an meinem Vater, der eine Ruhe besitzt, an die ich wohl nie herankommen werde, obwohl ich es mir wünsche, oder auch an dem Ignis-Teil in mir. Als typischen Dämon kann man mich jedenfalls nicht betiteln.«
»Das ist in Ordnung«, sagte Arina zu seiner Verblüffung. »Soweit ich gehört habe, herrscht dein Vater gerade wegen seiner Andersartigkeit ausgesprochen gut. Mache deine außergewöhnliche Art ebenfalls zu deiner Stärke und du kannst bestimmt viel für dein Volk erreichen. Wir müssen nicht immer dem Bild entsprechen, das andere von uns haben.«
»Hast du daher deinen hohen Rat so rüde davon abgehalten, diese Höhle ebenfalls zu betreten?«
Arina warf das lange Haar über die Schulter zurück. »Vielleicht. Ich bin nur meinen Aufgaben nachgekommen und wenn sie sich darüber beschweren wollen, sollen sie eben.«
Nathiel schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf. »Auf der einen Seite zeigst du so viel Respekt vor höheren Personen, hast auf der anderen Seite aber keinerlei Skrupel, ihnen auch über den Mund zu fahren. Wenn du mich als außergewöhnlich betitelst, musst du dich ebenfalls einschließen.«
Sie zwinkerte ihm zu. »Man könnte also sagen, dass wir uns gefunden haben, hm?«
Nathiel freute sich sehr über diese Worte, doch bevor er etwas erwidern konnte, grollte Triss. Schnell sah er zu seiner Freundin, die seinen Blick suchte. Aufgeregt schlug ihr Schwanz durch das Wasser und sie stieß die Luft schnaubend aus.
»Du hast etwas gefunden?«, rief er ihr zu.
Das Weibchen nickte, weswegen er sogleich loslief und den See umrundete, bis er der Stelle nahe kam, an der Triss wartete. Sie stand mitten im Wasser, direkt am Wasserfall, drehte sich aber so, dass er trockenen Fußes über ihren Schwanz auf ihren Rücken wechseln konnte. Ohne zu zögern, erklomm er ihren riesigen Körper, wogegen Arina kurz innehielt. Er wusste, dass sie es als entehrend empfand, einen Drachen mit Füßen zu treten, doch darum ging es hier nicht. Triss eröffnete ihnen nur einen schnellen Weg und spürte ihre Schritte durch die orangefarbenen Schuppen nicht einmal. Aber er schätzte Arinas umsichtigen Umgang mit Triss.
Er kannte das Weibchen bereits sein gesamtes Leben und hatte sich manchmal vielleicht sogar zu sehr an sie gewöhnt. Doch ein Drache war ein mystisches Wesen, das die meisten Bewohner Mederias niemals im Leben zu Gesicht bekamen. Er sollte sich das häufiger vor Augen führen. Daher strich er fest über Triss’ Hals, als er bei ihrem Kopf ankam. Sogleich wanderte ihr Blick, der auch in der Drachengestalt silbern war, zu ihm.
»Was willst du uns zeigen?«, fragte er neugierig und versuchte vor sich etwas zu erkennen.
Doch Triss wartete noch, bis Arina aufgeschlossen hatte, und veränderte dann ihre Position, sodass sie mit einer ihrer Schwingen das herabrauschende Wasser beiseitedrängen konnte. Dahinter kam eine Öffnung im Fels zum Vorschein, was Arina scharf die Luft einziehen ließ. »Das kann nicht sein. Hier sollte es keinen Gang geben.«
»Bist du sicher?«, fragte Nathiel mit einem Stirnrunzeln.
Zuerst hätte ihn Arina erneut liebend gern angeraunzt, aber sie tat es nicht, da der Dämon die Frage nicht gestellt hätte, wenn er nicht etwas entdeckt hätte, was ihn zu dieser Aussage verleitet hätte.
»Wieso fragst du?«, wollte sie daher wissen, trat näher an ihn heran, um seinen Blickwinkel einzunehmen, und hielt sich dabei an ihm fest. Triss’ Schuppen waren durch das Wasser und den feinen Sprühregen glitschig geworden und sie wollte sich um nichts auf der Welt den Hals brechen. »Was hast du bemerkt?«
Nathiel beugte sich näher, sodass sein schwarzes Haar an ihrer Schläfe kitzelte. »Die Öffnung sieht nicht wie frisch geschlagen aus. Ganz im Gegenteil. Sie wurde gut aus dem Stein gearbeitet und der Weg dahinter führt sogar leicht bergauf, damit kein Wasser hineinlaufen kann. Außerdem bleibt auf der rechten Seite ein schmaler Weg frei, der bereits häufig genutzt wurde. Er ist ausgetreten und Moose konnten sich darauf ansiedeln. Er muss schon sehr lang existieren.«
Bitter biss sich Arina auf die Unterlippe. »Dann wusste ich bisher nur nichts davon. Ich muss das unbedingt näher untersuchen.«
Sie schickte sich an, von Trinisias Rücken zu klettern. Zuvor schnaubte das Weibchen und hob eine Tatze, sodass ihnen ein Weg zu der Öffnung ermöglich wurde. Dieses Mal zögerte Arina nicht, sondern lächelte Trinisia dankbar an, ehe sie auf den massiven Stein wechselte.
Nathiel folgte ihr, berührte dann eine von Trinisias Krallen und in der nächsten Sekunde wandelte sich das Drachenweibchen in orangefarbenem Licht. Die Kralle wurde zu einer Hand, die Nathiel ergriff und dadurch Trinisia zu ihnen hereinziehen konnte. Augenblicklich suchte sich das Wasser wieder seinen altbekannten Weg, wodurch das meiste Licht aus der Höhle abgehalten wurde. Doch Issis saß in seiner Katzengestalt nahe des Durchgangs und verstärkte seinen ihm eigenen Schimmer, wodurch sie alles einsehen konnten. Vor ihnen öffnete sich ein Tunnel, der schnurgerade in eine unbekannte Tiefe führte.
»Wie bist du nur auf diesen Ort aufmerksam geworden?« fragte Arina flüsternd, weil sie das Gefühl hatte, mit lauter Stimme unbekannte Dinge aufzuschrecken.
Trinisia starrte in die Dunkelheit vor ihnen. »Die magischen Rückstände der lebenden Finsternis sind hier sehr stark, während der Einfluss der Shaas nachlässt. Ich kann die Spur deutlich erkennen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie von hier gekommen ist.« Sie sah auf zu Nathiel. »Willst du schauen, wohin der Tunnel führt?«
»Ja, aber nicht ohne die anderen. Wartet hier, ich werde sie holen.« Damit verließ er ihre Seite und trat über den schmalen Weg hinter dem Wasserfall hervor und aus ihrem Blickfeld.
Einen Moment schwiegen Arina und Trinisia, während Issis aufstand und langsam in den Tunnel trottete. Neugierig folgte Arina ihm.
»Wir sollten auf die anderen warten«, rief ihr Trinisia verzagt hinterher.
»Ich geh nicht weit«, versprach Arina und strich nachdenklich über die Tunnelwände. Sie waren gut gearbeitet, gerade und glatt. Auch auf dem Boden fand sie keinerlei Unrat, aber auch keine Fußabdrücke, was daran lag, dass sich kein Staub oder lose Erde darauf befanden.
Nach wenigen Metern fiel der Weg ab und wand sich in einer ausladenden Rampe nach unten. An deren Anfang verharrte Arina staunend, denn neben der Rampe tat sich ein Schacht auf. Dieser führte so tief hinab, dass Issis’ Licht nicht ausreichte, um ihn vollständig zu erhellen. Das Irrlicht verwandelte sich in einen Vogel und schwirrte davon.
»Unfassbar« murmelte Arina, als Issis bald so klein war, dass er kaum mehr zu erkennen war. »Wo bitte führt das hin?«
»Ich denke, dass es eine Vorrichtung ist, durch die die Göttlichkeit zu den Shaas gelangen kann«, ertönte Trinisias Stimme hinter ihr. Das Weibchen trat vorsichtig neben sie und presste sich die Hände gegen die Brust, als ob sie so verhindern könnte in den Abgrund zu fallen. »Irgendwoher muss die Göttlichkeit, die sie weben, ja kommen.«
»Kannst du sie sehen?«, fragte Arina ehrfürchtig. »Die Göttlichkeit?«
»Nicht so gut wie die Magie. Ihre Partikel sind viel feiner und auch nicht so zahlreich, weswegen ich mich sehr konzentrieren muss, um sie zu erkennen«, erklärte das Weibchen, runzelte jedoch die Stirn. »Allerdings nehme ich im Moment eher das Gegenteil wahr.«
»Wie meinst du das?«
»Moment.« Trinisia schloss die Augen, sank in die Hocke und legte eine Hand auf den Stein. Arina hielt glatt den Atem an, um ja keinen Ton zu verursachen, der das Weibchen stören könnte. Nach einer Minute erhob sie sich mit einem nachdenklichen Geräusch.
»Und?«, fragte Arina sogleich.
»Ich vermute, dass es innerhalb der Heimat der Shaas noch so einen Tunnel gibt.«
»Wie das?«
Trinisia wandte den silbernen Blick ihr zu. »Der Zug ist ganz sacht, an dieser Stelle dringt jedoch keine Göttlichkeit ein. Sie fließt eher ab.«
Arina riss die Augen auf. »Sie verschwindet?«
Trinisia lächelte beruhigend. »Das ist nichts Schlimmes, gerade wenn man bedenkt, dass die Shaas freie Göttlichkeit weben. Irgendwie muss sie ja in die Höhle herein, aber auch hinaus können.«
»Ach so«, murmelte Arina und blickte sich um. »Darüber habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht. Eher hatte ich vermutet, dass die Göttlichkeit auch Stein durchdringen kann. Also ist dies der Ort, an dem die gewobene Göttlichkeit abfließt, damit sie in Mederia genutzt werden kann?«
»Zumindest ist das eine gute Erklärung, oder?«
Langsam nickte Arina und betrachtete die Rampe, den Abgrund und die glatten Wände, die nun wieder besser sichtbar wurden, da Issis zu ihnen zurückkehrte.
Zu Arinas Verwunderung seufzte Trinisia betrübt und setzte sich an den Rand des Abgrunds, sodass sie die Beine baumeln lassen konnte. »Es tut mir leid, dass ich nicht von größerer Hilfe bin. Unsere Anführerin Miminerona könnte dir sicherlich mehr dazu erklären, wie das Weben von Göttlichkeit funktioniert und wo dieser Tunnel hinführt. Ich hingegen weiß nicht einmal, wer ihn erstellt hat. Die Shaas waren es nicht, denn ihr Einfluss lässt hier nach.«
Arina hatte Trinisia bereits während ihrer Reise ein wenig kennenlernen dürfen, war aber immer wieder davon verblüfft, wie wenig Selbstwertgefühl die zarte Frau doch hatte. Dabei war sie ein Drache. Ein Drache! Langsam ließ sie sich neben Trinisia nieder und betrachtete das Weibchen, das traurig auf seine Finger schaute. Dadurch fiel ihm das schwarze Haar etwas ins Gesicht, weshalb die Schuppen, die über seine Wange strebten, beinahe nicht zu erkennen waren. Für Arina wirkte Trinisia in diesem Moment unvorstellbar jung, kaum so alt wie Nathiel.
Auch Arina war erst Anfang zwanzig, weshalb sie sich gut erinnerte, wie unsicher sie vor ihrer Wahl zur Wächterin gewesen war. Als sie noch zwischen Jugend und Erwachsenenalter gewankt war – und es auch jetzt noch immer ab und zu tat. Vielleicht gab es solche Zeiten auch bei Drachen.
»Ich verstehe dich«, begann sie aus einem ihr unbekannten Grund. Sie hatte kein Recht, dem Weibchen von seiner Unsicherheit abzuraten, schließlich war es ein viel klügeres Wesen als sie. Doch wenn Trinisia in den Zweifeln feststeckte, die auch sie vor einigen Jahren durchwandert hatte, wollte sie ihr gern helfen. Fragend schielte Trinisia zu ihr. »Es muss schwer sein, so viel Zeit mit Nathiel und Prue zu verbringen, die beide schon wissen, wo in der Welt sie stehen. Wenn man weiß, wohin man gehört, was von einem erwartet wird und was man anderen zu bieten hat, beruhigt das ungemein. Das kenne ich selbst, seit ich meinen Platz bei den Shaas eingenommen habe. Deine Rolle ist noch unklar. Aber das heißt nicht, dass du zu wenig helfen kannst oder dass du Ballast wärst. Ohne dich hätten wir schließlich weder die lebende Dunkelheit besiegt noch diesen Gang gefunden. Du magst den Grund noch suchen, wieso du morgens aufstehst. Ich empfinde das jedoch als nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil, es ist eine Chance. Um dich auszuprobieren, um dich zu trainieren, um Neues zu erleben. Unseren Platz finden wir irgendwann schon, aber bis es so weit ist, sollten wir uns nicht daran aufreiben, dass wir noch nicht angekommen sind. Du kannst ruhig aufhören dich für jeden deiner Schritte zu entschuldigen. Keiner davon ist falsch oder ungenügend. Du hast viel zu bieten und du wärst nicht auf diese Reise geschickt worden, wenn andere dein Potenzial nicht erkannt hätten. Statt zu hadern, solltest du mit Mut vorausschauen. Du magst noch nicht so viel Erfahrung haben wie dein Klan, doch du bist frei dich in jede Richtung zu wenden. Du musst niemandem Rechenschaft ablegen und kannst dich an unzähligen Dingen ausprobieren. Du musst dich nur trauen und die vielen Möglichkeit in einem positiven Licht sehen. Du wirst irgendwann zu der werden, die du gern sein möchtest, aber nicht wenn du dich ständig duckst, entschuldigst oder zögerst. Pack das Leben am Schopf, tu Dinge, die dir unmöglich erscheinen und wachse daran, bis du deinen Platz findest. Das ist eine großartige Zeit mit unendlich viel Potenzial. Und im Gegensatz zu mir steht dir die gesamte Welt offen.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen und ohne ein Wort zu sagen, betrachtete Trinisia sie – und Arina wurde ganz anders. War sie zu vorlaut gewesen? Oder gar anmaßend? Trinisia war schließlich ein göttliches Wesen … Doch da lachte das Weibchen leise ins sich hinein und lächelte traurig. »Jetzt habe ich es also schon geschafft, dass jemand, den ich erst vor ein paar Tagen kennengelernt habe, so eine feurige Rede hält. Erscheine ich anderen gegenüber wirklich so unsicher?«
Verlegen kratzte sich Arina an der Wange. »Tut mir leid, wenn ich dir damit zu nahe getreten bin, aber ja, du zweifelst wirklich häufig an deinem Können. Trinisia, du bist ein Drache! Eines der schönsten, großartigsten Wesen der Welt. Du bist ein Abbild unserer Göttlichkeit. Egal, was du angehst, es kann nur gut werden.«
Nun lachte Trinisia glockenhell auf. »Du überschätzt mich. Ich bin ein Geschöpf wie jedes andere auch. Allerdings … sagen auch Nathiel, Prue und mein Klan mir immer wieder, dass ich mehr Selbstbewusstsein haben sollte. Wieso mir das so schwerfällt, obwohl Nathiel mir täglich vorführt, wie leicht es ist, der Welt offen und mutig zu begegnen, weiß ich nicht. Mir kommt das, was ich zu bieten habe, nicht sonderlich erwähnenswert vor.«
»Das muss es auch gar nicht«, meinte Arina und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es ist nur wichtig, dass du nichts bereust. Dein Wissen wird wachsen, genauso wie deine Macht und dein Können. Aber dazu musst du Dinge tun, Neuheiten offen entgegenschauen und dich an Aufgaben versuchen. Ob du scheiterst, ist egal. Wir dürfen Fehler machen. Entschuldige dich nur nie dafür, dass du es wenigstens versucht hast. Und dass du hier bist, statt die Aufgabe an jemand anderes aus deinem Klan abzugeben, zeugt von einem mutigen Herzen. Du musst bloß noch lernen, diesen Mut zuzulassen und zu akzeptieren, dass du nicht alles kannst oder weißt. Dann kannst du auch den Kopf oben halten und selbstbewusster werden. Für mich ist es auf jeden Fall eine Ehre, dieses Abenteuer an deiner Seite erleben zu dürfen.«
Trinisia lächelte. »Danke, Arina, das waren wirklich nette Worte. Und du hast sehr wahrscheinlich recht. Noch weiß ich nicht, ob ich mich wirklich ändern kann, aber ich möchte es versuchen.« Sie blickte über den Abgrund hinweg an die jenseitige Wand. »Irgendwann möchte ich zu jemanden werden, der es verdient hat, neben Nathiel zu stehen. Der seinen Mut teilt, ihn unterstützen kann und ihm in nichts nachsteht. Dafür muss ich nur lernen, über meinen Schatten zu springen.«
Arina runzelte die Stirn. Trinisias Worte … Sie klangen beinahe, als ob sie … Alarmiert blickten sie beide über die Schulter, als Schritte hinter ihnen ertönten. Doch es waren nur die anderen, die in Issis’ Licht traten und sich überrascht umsahen.
Mellik pfiff beeindruckt. »Mit so einem riesigen Loch hätte ich hier niemals gerechnet. Wächterin, wusstest du davon?«
»Nein«, gab Arina widerwillig zu. »Von so einem Tunnel habe ich noch nie gehört. Trinisia denkt, dass durch ihn die gewobene Göttlichkeit abfließen kann. Daher ist es sogar sinnig, dass es einen weiteren gibt, durch den sie hereinfließt.«