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Alabama 2020. Der Arbeitsvertrag des deutschen Expats Sascha läuft aus. Nur zu gerne würde er in den USA bleiben und am besten eine seiner unzähligen hiesigen Flammen heiraten. Das Problem: Er ist einst mit seiner Frau Mandy in die Staaten gekommen. Die Lösung: Er will sie unter allen Umständen loswerden - am besten für immer. Mittels eines reichen Redneck-Ranchers engagiert er einen Killer, der sich um das Ableben seiner Frau kümmern soll. Um diesen bezahlen zu können, muss Sascha etwas erledigen, etwas von nationaler Tragweite. Der Killer, ein zugezogener, namenloser Kerl, der noch nicht lange in den Diensten des Ranchers tätig ist, beginnt nach dem Okay sein Handeln. Doch ihn umtreibt noch mehr, viel mehr: Rache. Das potenzielle Mordopfer weiß noch nichts von seinem Pech und leidet unter der Trennung ihres Mannes in einem fremden Land, der aktuellen Weltlage und ihren persönlichen Problemen. Als Mandys neuer Freund Opfer einer Entführung wird und ihr die Schuld gibt, verlässt sie der Lebenswille und sie landet in ihrer ganz eigenen Sackgasse. A LA BAMA erzählt in drei Perspektiven die spannende und brutale Entwicklung eines geplanten Mordes: Aus der Sicht des Auftraggebers, des Kerls und des Opfers. Schauplatz ist eine kleine Stadt im Norden Alabamas in Zeiten des Coronavirus' und dem Aufschwung der christlichen Konservativen im Bible Belt kurz vor der US-Präsidentenwahl 2020. Der Autor hat selbst einige Jahre in Alabama verbracht.
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Seitenzahl: 579
Veröffentlichungsjahr: 2023
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oliver marco
A LA BAMA
Drei Perspektiven
ROMAN
«Sweet home Alabama
Where the skies are so blue
Sweet home Alabama (oh yeah)
Lord I'm comin' home to you
Here I come, Alabama»
©1974 Lynyrd Skynyrd
Songwriter: Ronnie Van Zant / Gary Robert Rossington / Edward C. King
Songtext von Sweet Home Alabama © Universal Music Corp., Emi Full Keel Music, Emi Longitude Music, Songs Of Universal Inc
+++ «Heute Abend wurden @FLOTUS und ich positiv auf COVID-19 getestet. Wir begeben uns nun in Quarantäne, um uns so schnell wie möglich zu erholen. Wir schaffen das ZUSAMMEN!» - Donald Trump, 02. Oktober 2020, 12:54:06 AM EST +++
«Letzte Nacht hat er das geschrieben. Um ein Uhr nachts! Da war er noch wach. Wach wie immer! Um ein Uhr! Nachts! A.M.! Immer da! Immer wach! Unser Präsident ist ein aufgewecktes Kerlchen. Jetzt hat er das Virus. Und du wirst sehen, er wird es in den Arsch treten. In den fetten, scheiß chinesischen Arsch!»
Der Redneck hatte sich einfach dazugesetzt. An den Tresen, an die Bar in einer Kneipe, die einer Kette gehörte, in einer großflächigen Kleinstadt im nördlichen Mittelteil Alabamas.
«Er gehört zur Risikogruppe», antwortete der Blonde schnöde mit hörbarem Akzent.
«Er ist einer von uns! Ihm wird nichts passieren. In New York geboren, im Herzen aber ein Südstaatler.»
«Wie konnte sich seine Frau anstecken? Sind die so dicke miteinander?»
«Das gefällt mir. Vergiss die ausländische Porzellanpuppe. Du wirst sehen, dieses Arrangement wird ihm im Wahlkampf helfen.»
«Helfen?», fragte der Blonde gelangweilt und nippte an seinem Glas.
«Vielleicht hast du recht. Sie wird ihm nicht helfen. Sie kann ja nicht einmal ordentlich dekorieren. Obwohl …» Der Redneck begann plötzlich zu schimpfen, zu lästern, zu geifern. Immer wieder ballte er seine Faust und reckte sie in die Richtung der hölzernen Südstaatendecke dieser ureigenen Rustikal-Bar. Seine Stimme war tief und rau. Er sprach langsam und bedeutungsschwanger. «Alles Betrug. Die Presse. Fake News. Lügen! Außer Fox News. Oder Breitbart. Oder diese andere Station da … mit den drei Buchstaben. Und sag jetzt nicht CNN! Stell dir das mal vor! Stimmzettel von Toten oder Fortgereisten werden gezählt! Doppelt! Als Briefwahl und dann noch einmal heimlich reingesteckt in die Urne. Also die Wahlurne, nicht die Totenurne. Außer bei uns in Alabama. Nicht hier. Nicht bei uns. Nicht in diesem Landstrich. Unserem Landstrich. Oder in Mississippi. Es ist alles ein verfickter Plan der Demokraten. Der früheren Sklaven. Der Juden! Der Reichen! Soros. Gates! Windows ist doch offensichtlich, oder? Es ist doch offen wie ein … wie ein Fenster! Ein gigantischer Plan. Es ist keine Verschwörung, denn alles liegt offen wie ein Buch vor dir. Du musst es nur lesen können. Die Dems stecken dermaßen unter einer Decke, dass sie locker zehn Millionen Stimmen faken können, ohne dass nur einer die Klappe aufmacht. Sie sind so weit, dass wir ohne Waffengewalt aus diesem morastigen Demokratenstrudel nicht mehr herauskommen. Kennst du die Demokraten? Die Dems? Die Dämonen? Weißt du wie die sind? Ich erzähl dir, wie die sind. Sie stehlen nicht nur Wahlen, sie stehlen auch Kinder. Unsere Kinder! Immer wieder verschwinden Kinder. Weiße Kinder! Das ist die beste Menschensorte! Weiß ist immer das Beste! Schlau! Schmackhaft. Am besten Säuglinge, frisch geboren, wo meist Weiber oder Niggerärzte den Eltern sagen, sie hätten die Geburt nicht überlebt. Sieh dir die Statistiken von Totgeburten allein in Alabama an. Oder Abtreibungen. Weißt du, wieso sie Abtreibungen erlauben? Weißt du es? Weil sie dann den Fötus in ihre blutigen Finger kriegen. Sie nehmen ihn. Sie nehmen ihn raus und dann aus. Um ihre Sucht zu stillen. Schlimmer als Opioide. Und auch die werden von den Demokraten geschickt. Fentanyl! Zwei Milligramm, das passt auf die Spitze ihrer bleistiftgroßen Schwänze, sind tödlich. Zwei Milligramm! Und weißt du, wo das Zeug herkommt? Aus Mexiko. Dort wird das Zeug vermischt, die Rohstoffe kommen aus China. Aus China! Wie das scheiß Virus! Versteht du den Dreck? Verstehst du ihn?», war der Redneck seinem Gesprächspartner nun ganz nah. Der Blonde wich etwas zurück. Wieso laberte der Kerl so viel und ununterbrochen?
«Eine Sucht nach Kinderföten?»
Verstand er richtig? Der Blonde hatte es nicht so mit der Sprache und dem Akzent in diesem Landstrich. Woanders in den Staaten war er bislang nicht gewesen.
«Sie nehmen aus dem Fötus das Hirn heraus. Wieso glaubst du, sieht der dreckige Obamaafrikaner so verdammt frisch aus in seinem Alter? Immer heller wird er! Wie einst Michael Jackson, dieser Kinderhirntrinker! Ich glaub ihm, dass er sie nicht gefickt hat. Getrunken hat er aus ihnen. Sie mit den Füßen nach oben an die Decke gehangen, aufgeschlitzt und sich dann daruntergelegt wie ein Eimer, der Regentropfen aus einer undichten Decke auffängt. Deshalb die Frische.»
Die glitzernden Augen des Weißhaarigen warteten auf eine Reaktion im Gesicht des blonden Deutschen. Doch der packte nur den Kragen seiner frisch abgestellten Bierflasche. Er drückte ihn zu, fest zu. So, als ob er mit seinen fetten Griffeln gerade den Hals der werdenden Mutter drückte, die gerade ihr Kind abgetrieben hatte. Oder quetschte er gerade selbst das kleine Hirn des abgetriebenen Fötus heraus?
Der Blonde zuckte unmerklich mit seinen Schultern, ehe er einen weiteren Schluck nahm. Dann sah er seinen unfreiwilligen Gesprächspartner an.
«Vielleicht kommt die Frische auch von seiner Geburtsurkunde. Sie ist gefälscht. Das sagt man doch? Bei Obama?»
Der Redneck haute dem Deutschen auf den Rücken. Der verschluckte sich fast.
«Prächtige Antwort! Du gefällst mir! Du kennst dich aus!»
«Was machen sie damit … mit dem Hirn, meine ich?», fragte der Deutsche nach dem nächsten frischen Schluck. Amerikanisches Bier war Aufwaschwasser. Oder Hirnwasser?
Der Redneck studierte ihn. Dieses Wissen. Diese Distanz. Diese Kälte. Diese Arroganz. Hatte sein Gesprächspartner keine Seele? War er einst Soldat? Typischer Deutscher? SS? Gestapo? Wehrmacht? Blitzkriegeingreiftruppe? Wie lange war dieser Zweite oder Dritte Weltkrieg der Deutschen eigentlich her? Zehn Jahre? Vielleicht dreißig? Trug er in Deutschland einen dieser bodenlangen und steifen Ledermäntel? In schwarz mit der roten Binde und dem weißen Kreis am Arm? Blonde Haare und blaue Augen … wie passend. Vielleicht war er eine deutsche Zucht aus diesen Lagern, von denen man immer wieder hörte.
Der Deutsche sprach gutes und verständliches Englisch. Er sprach natürlich nicht den Südstaatenslang wie er hier üblich war. Dieser belächelte Slang, der Buchstaben verschluckte und so ganze Wörter miteinander verschmelzen ließ. Das Kauderwelsch, das zwischen Lallen und Kaugummikauen mit offenem Mund schwankte, und auch Grammatikfehler als lässig durchgehen ließ.
«Früher haben sie alles gegessen. Das Hirn. Das Herz. Leber. Jetzt züchten sie es aus Stammzellen, weil der Markt nicht so viele Kinder hergibt, wie sie brauchen. Sie züchten die Zellen zu Organen. Dann tauschen sie ihre eigenen gebrauchten Gedärme aus und pflanzen sich die frische Ware ein. Sie denken, sie leben dann länger. Sie werden klüger. Vitaler! Zellen aus der Nabelschnur werden eingefroren. Das bisschen Blut wird abgelassen und getrunken. Man kann alles daraus machen. Säfte, Bonbons, Fitnessriegel … Das, was sie nicht brauchen, wird als pflanzenbasiertes Fleisch in den Whole-Foods-Shitstores verkauft. Veganer Shit. Scheiß Demokraten. Aber nicht in Alabama. Alabama ist rechtschaffen. Selbst der Whole Foods in Huntsville.»
«Sie züchten es? Das glaubst du doch selbst nicht?!»
Der Deutsche kippte nach. Wie mochte das Blut eines abgetriebenen Kindes schmecken? Nach Eisen?
Der Amerikaner rutschte näher zu ihm hin. Der Boden seiner von ihm mitgezogenen Bierflasche rumpelte über die klebrige Theke der Bar, so wie sein Barhocker über das klebrige Parkett rumpelte.
Das Willy’s war gut besucht für diese Zeit und Zeiten. Um sie herum leuchtete die Neonreklame für amerikanisches Bier und uramerikanische Straßen wie die Route 66 oder die Interstate 10. «Roll Tide» stand an den Wänden, «Bama», dazu das berühmte in dunkelrot geschwungene «A», sowie einige Footballtrikots der College-Mannschaft aus Tuscaloosa. Loser waren sie nicht, im Gegenteil, zu dominierend sind ihre Vorstellungen zurzeit, vor allem gegen das andere College-Team aus Alabama: Auburn.
Von den Wänden herunter flimmerten über unzählige Flachbildschirme die grellen Sportevents sämtlicher amerikanischer Volkssportarten. Die, die sich nicht unterhielten, wurden von den bunten Bildern der Footballspieler und Basketballer magisch angezogen. Auch der Deutsche schaute immer wieder dorthin. Hypnotisiert. Verwegen. Schauen und saufen. Saufen und schauen. Dazwischen jubeln und saufen. Dazwischen hadern und schauen. Und Wings fressen. Tonnen an Wings. Cross und dunkel, fettig und chlorgeschmacksbehaftet.
Der Redneck begutachtete den Deutschen weiter von der Seite. Kantiges Gesicht, verengte Augen, helle Augenbrauen. Mundwinkel nach unten, unscheinbare Nase. Rasiert. Gründliche Rasur. Grübchen am Kinn. Einige Narben auf den Wangen. Sicher vom Krieg. Die deutschblauen Augen strahlten keine Freude aus. Sie suchten Ärger oder ein Ventil für seine innere Wut und Abscheu. Das gefiel Hank. Seine blonden Haare waren keiner Frisur zugeordnet und im Ansatz dunkel gefärbt. Der Kerl mochte um die dreißig Jahre alt sein. Er trug einen schwarzen Hoodie mit einem Firmenemblem darauf. Seine Jeans war abgetragen wie seine Sicherheitsschuhe. Am Unterarm bemerkte er farbkraftarme Tattoos, wo er nicht erkennen konnte, was sie bedeuteten.
«Arbeitest du da?», fragte der Amerikaner und deutete auf das Firmenlogo auf dem Kapuzenpullover.
«Ich trage es nicht aus Spaß», zischte der Deutsche.
«Gute Firma. Das habe ich zumindest gehört. Autoteile?»
«Eine scheiß Firma. Die stellen Stoßfänger für Mercedes her. Die werden hier hergestellt und zusammengebaut. Mit Lampen, Sensoren, Kabeln, Licht und allem. Viele dumme Menschen dort, deswegen bin ich da. Ich bin dort für die Ausbildung der jungen Leute zuständig, damit die nicht in ihre Stühle im Büro furzen. Außerdem für die Qualitätssicherung vor der Auslieferung. In den Bereich kommt nicht jeder. Ich bin wichtig und doch ist es ...»
Er verlor sich im Satz und starrte auf den Flachbild, der vor ihm über den unzähligen Whisky- und Likörflaschen angebracht war. Mary, die Bedienung hinter der Theke, brachte zwei randvoll, nahezu schaumlos gefüllte Plastikpitcher zum Tisch hinter ihnen. Bauchige Männer grölten, pummelige Frauen lachten, einige bestellten Chicken Wings und Pommes hinten am Selbstbedienungsfenster, das einen Blick in die provisorische und viel zu kleine Küche erlaubte, in der Chaos herrschte und Liebe des Mindestlohns von nicht einmal elf Dollar die Stunde regierte. Über dem Fenster mit seinen holzvertäfelten Rahmen hingen zwei Kreidetafeln, vollgelabert mit fleischerfüllten Fast-Food-Gerichten und Preisen ohne Steuer und Trinkgeld.
«Wie ist das Leben nach dem Krieg in Europa? Er ist doch zuende, oder?»
«Der Krieg? Welcher Krieg?»
«Der Zweite Weltkrieg! Der gegen die scheiß Juden!»
«Scheiße Mann, der ist lange vorbei! Seit über siebzig Jahren. Und er war nicht gegen die Juden. Das war so nebenher. Hitler-Hobby oder so, keine Ahnung.»
«Ein Krieg ist nie vorbei. Du siehst aus wie ein echter Deutscher. Blond. Blaue Augen. Hartes Gesicht.»
Der Blonde nahm sein Glas in die Hand und tippte mit dem rechten Zeigefinger auf die Brust des Rednecks.
«Soll ich dir was sagen? Und ich habe dicke Eier! Die Weiber stehen auf meinen Schwanz und meinen Arsch.»
Der Deutsche, der plötzlich locker wurde, griff sich in den Schritt und leckte mit der Zunge über seine Lippen. Er schielte in Richtung des Tisches mit den Schlampenweibern. Doch die beachteten ihn nicht. Sie labten sich an ihren antibiotikageschwängerten Wings, die in dem gleichen Chlorwasser durstgestillt, ersoffen und gereinigt worden waren, wie das gebleichte Getränk, das vor ihnen als kostenloses, beigestelltes Tafelwasser samt Eiswürfel in Billigplastik gehüllt, darauf wartete, in den Rachen zum nochmaligen Desinfizieren geschüttet zu werden. Die nicht einmal zwei Monate alten Knochen, die aus den fettumrandeten Mäulern wieder herausgepult wurden, landeten auf dem Holztisch, leicht unterlegt von einer billigen Papierserviette ohne Aufdruck, die schlecht abgenagten Knochen aufgetürmt als Opferpyramide zum Gedenken der geschredderten flauschigen Jungenküken, von denen die Gierverzehrer aber nichts wussten.
«Wieso USA?»
«Was?», fragte der Blonde.
«Wieso USA? Wieso arbeitest du in den Staaten? Wir waren schließlich der Feind.»
Auf einem der unzähligen Flachbildschirm lief Fox News. Sie berichteten ausnahmsweise nicht über den Präsidenten, der ein neues Ziel im politischen Sumpf gefunden hatte. Oder über Corona. Für sie gab es Corona nicht. Sie berichteten über einen fetten Diamantenraub in New Orleans, der schon ein paar Tage her war, aber noch immer Fragen aufwarf.
«Ich war schon immer der Beste. Mein Chef damals in einem Werk in Deutschland meinte, geh rüber in die Staaten, die brauchen ...»
«… Hilfe?»
Der Deutsche hielt kurz inne. Er war schon öfters in die Brennnesseln der Sprache und Kultur der eigenwilligen Südstaatler getreten. Er blickte rüber auf die Knochenpyramide. Er bekam Hunger.
«Unterstützung. Selbst Ivanka Trump sagt: «Das deutsche Ausbildungssystem ist das beste der Welt. Holen wir es uns!» Nun bin ich da. Jeder lernt von jedem.»
Er sagte es ohne Witz und Lächeln.
«Das gefällt mir! Bist du allein hier?»
«Nein.»
«Nein?»
«Nein.»
«Mit Frau und Kindern?»
«Wieso sollte ich Kinder haben? Wegen meines Schwanzes?»
«Nein, nein. Ich meine nur … du bist … dreißig Jahre alt. Mit dreißig Jahren hat hier jeder Kinder. Eine Frau, die inzwischen fett ist, die sich um die Kinder und den Haushalt kümmert, mindestens zwei Kinder, ein Haus mit Garten und Pool, ein Dodge Ram vor der gigantischen Doppelgarage, Schulden und der gehörnte Ehemann steht kurz vor der ersten Scheidung!»
«War es bei dir so?»
«Ich bin fast fünfzig, Mann. Ja, ich habe so gelebt. Scheidung in gewisser Weise. Die Schulden sind weg.»
«Schön für dich.»
Erst jetzt betrachtete der Deutsche seinen Gesprächspartner genauer. Schlohweiße Haare, die normalerweise unter einer MAGA-Baseballmütze steckten, die auf dem Tresen lag, weißer Vollbart und wache Augen, tiefenimprägnierte Augenringe, die nicht dazu passten, ebenso wenig die Alkoholnase. Eingefallene Wangen. Kantenkinn. Er war nicht fett, aber auch nicht dürr. Kräftig. Wohlgenährt. Wach. Er trug eine abgetragene Cowboyweste, eine dunkelrot-schwarz kariertes Flanellhemd über dem T-Shirt und blaue Jeans. An seinem Hals baumelte ein kleines Fläschchen, in dem sich eine blaue Flüssigkeit befand. Seine braunen Lederschuhe waren geputzt und blitzten. Sein Gürtel mit der blankpolierten Gürtelschnalle samt Weißkopfadler war nicht zu übersehen. Er trug keine Waffe. Waffen waren im Willy’s nicht erlaubt. Aber er trug eine gewisse Aura mit sich. Die Aura eines Machers.
«Ich heiße Hank. Hank Myers, Rancher, gleich draußen vor der Stadt.»
Hank streckte dem Deutschen die Hand entgegen. Der zögerte.
«Ist Händeschütteln nicht verboten?»
«Wegen der Pandemie? Der Staat kann einem weißen amerikanischen Bürger nichts verbieten. Dort hinten ist Desinfektionsmittel. Wie heißt du?»
«Sascha.»
Er ergriff die Hand. Ein beidseitiger fester Druck. Sie nickten und ließen wieder los.
«Wie ist der Name? Schascha?»
«Sascha.»
«Schascha?»
«Sascha.»
«Sasa. Verdammt. Das ist schwer.»
«Sa...scha.»
«Ich nenn dich Blondie.»
«Blondie? Wie den Köter des Führers?»
Blondie. Führer. Deutsche Worte im englischen Sprachensumpf.
«Du kennst dich aus, Blondie. Der Krieg kann noch nicht lange her sein!»
«Ja, ich bin Deutscher. Und mein Name ist Sascha. Sa…scha.»
«In Ordnung, Blondie. Ganz ruhig. Ich spaße nur. Du bist mit deiner Frau hier?»
«Fuck, ja! Aber nicht mehr lange.»
«Musst du zurück?»
«So ist es. Aber ich will nicht. Sieh dich doch um! Freiheit! Die Freiheit in diesen Zeiten!»
Er leerte die Flasche und orderte sofort eine neue mit einem Nicken.
Ein Kerl am Tisch hinter ihnen verteilte lautstark den biergefüllten Krug in die Plastikgläser. Andere applaudierten einem gelungenen Touchdown, obwohl es sich um eine Aufzeichnung handelte. In einer der drei Nischen saß ein Kerl mittleren Alters. Bartlos, teilnahmslos, gedankenlos, gesellschaftslos las er die hiesige Tageszeitung. Auf seinem Tisch stand nur ein Plastikglas gefüllt mit Eiswürfeln. Etwas Coke schwamm darin. Der Typ sah gepflegt aus, er wirkte fast fehl am Platz. Ebenso die ausgelassene Stimmung um ihn herum. Es war ein ungewohntes Bild aus früheren gewohnten Tagen. Der Werbeblock begann. Die nächsten Minuten waren gesichert mit Gesprächen, Fressen, Schmatzen, Toilettengänge.
«Amerika ist ein großartiges Land. Alabama ist großartig! Einer der letzten Staaten, die noch die rechte Faust des weißen Mannes hochhalten. Du wirst sehen, aus dieser Pandemie gehen wir als Sieger hervor. Der Präsident macht das geschickt. Er hat verstanden, dass das Virus nur die Alten und Nicht-Weißen vernichtend angreift. Die Alten bringen gerne das Opfer, um Fehltritte der Menschheit auszulöschen. Und die, die sich die Krankheit nicht leisten können, verrecken. Das perfekte Aussortieren! Die Statistiken zeigen das. Mehr Schwarze als Weiße rafft es dahin. Gute Sache. Sehr gute Sache. Und nun hat Trump Corona! Das wird der endgültige Beweis sein. Er wird noch stärker zurückkommen, wie es nur Weiße können. Wieso kannst du nicht bleiben?»
«Die Firma hat kein Geld mehr. Alle müssen zurück. Ich will in dieses Dreckslochland aber nicht zurück!»
«Donald Trump gefällt das!», klopfte Hank ihm auf die Schulter.
«Weißt du, Hank, ich hatte da eine Idee. Mir rennen die amerikanischen Bitches die Bude ein. Sie stehen auf Männer, die Muskeln haben, gut aussehen, intelligent sind … und eben aus Deutschland. Jeder hat irgendwie eine Verbindung nach Deutschland. Der Vater war dort stationiert. Der Opa dort im Krieg. Sie reißen mir die Kleidung vom Leib. Ich bin unwiderstehlich. German Stahl!»
«Was ist passiert? Mit der Idee?»
«Ich habe meine Frau rausgeschmissen. Ich will hier die Scheidung, die Zeit wird knapp. Eine Green Card bekomme ich so schnell nicht, aber wenn man eine Amerikanerin heiratet, am besten noch eine gemachte, dann kann ich hierbleiben. Bisher lief es nicht. Ich zog vor Gericht, dem Gericht hier in der Stadt. Und was soll ich sagen? Diese Flachwichser haben den Antrag abgelehnt! Sie haben die verfickte Scheidung abgelehnt. Sie haben die Scheidung nicht zugelassen!»
«Scheiß Demokraten. Und ihre scheiß Gesetze», brummte Hank und nahm einen Schluck aus der Pulle. «Schwule Analwichser dürfen hier heiraten, aber ein weißer Mann darf sich nicht von einer Schlampe scheiden lassen? Was ist nur aus der Bibel geworden?»
«Genau das ist sie! Eine Schlampe! Wer verdient denn das meiste Geld? Ich! Ich will den Anteil der Miete für die Zeit, wo sie bei mir gewohnt hat! Für die Möbel, die sie wollte! Und was soll ich sagen? Sie wollte zahlen, doch irgendwer hat ihr gesagt …»
«Die alten Demokraten im Supreme Court sterben weg. Vielleicht wird die Zeit nicht reichen, aber die ersten Schritte hat Trump bereits auf den Weg gebracht.»
«Mein Anwalt gab und gibt nicht auf. Ich gebe nicht auf. Eine zweite Klage haben wir schon hinter uns. Erneut wiesen sie den Antrag ab. Grund: Ein deutsches Paar, das nur zeitweise hier lebt, kann sich nicht von einem amerikanischen Gericht den Segen für eine Scheidung holen!»
«Lass den Segen aus dem Spiel. Wie könnt ihr euch dann scheiden lassen? Konsulat? Botschaft? Erst nach eurer Rückkehr?»
«Ich habe in Atlanta nachgefragt. Es gibt ein Gericht, ein einziges Gericht für internationale Scheidungen … und das ist in Deutschland, in Berlin, wo du persönlich selbst hinmusst, damit sie dich dort trennen. Wie blöde ist das? Kannst du dir das vorstellen? Extra nach Berlin? Wie dumm kann das sein? Deutsche Idiotie! Weltfremd! Scheiß Bananenrepublik Deutschland! Danke, Merkel! Blöde Fotze.»
«Wer? Nun … Berlin … immerhin die Reichshauptstadt!»
«Mit einem Reichstag. Aber das interessiert mich doch nicht!», war Sascha sichtlich aufgewühlt. «Ich will diese Bitch loshaben! Ich will eine amerikanische Frau heiraten und hier bleiben! Ich will einen Pickup fahren, ich will eine Bretterbude als mein Eigenheim, Klimaanlage, Kabel-TV, den American Way Of Life. Ich will ein Master-Bad und eine Gäste-WC, wo ich spontan entscheiden kann, wo ich scheißen kann … und schießen, ich will schießen, eine Waffe haben, gleich neben dem Bett, ich will Chicken fressen in der Sportsbar, ich will auf Country-Music-Festivals gehen und die Bitches in ihren knappen Shorts sehen, wo die Ärsche rausquellen, zusehen, wie sie tanzen und Bier saufen. Ich liebe die Ladenketten hier und Fast-Food-Restaurants! Läden, die immer offen haben! Nur euer Bier ist scheiße. Und euer Brot.»
«Was sagt deine Verlobte dazu?»
«Welche Verlobte?»
«Na die, die du heiraten willst, wenn du geschieden bist.»
«Ich hab keine Verlobte. Aber das ist doch kein Problem für mich. Sieh mich an. Mein Aussehen, mein Charme, meine Oberarme, mein Akzent, mein R, willst du mein R hören, Kohle, die Karre da draußen … gut, die Karre … das kommt noch. Ich kann jede haben und ich werde mir eine Sahneschnitte heraussuchen, mit der ich jeden Tag mich einmal durch Amerika vögle.»
«Wann musst du raus?»
«Ende des Jahres.»
«Mann, du willst in knapp drei Monaten eine Frau finden, die dich heiratet, obwohl du noch nicht einmal geschieden bist? Fuck, Man!»
«Ich schaff das schon. Hier da oben drin ist ein Plan, ein wunderbarer Plan, ein Plan, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat. Bald finde ich ihn auch und ...»
«Bring deine Frau um.»
«W…was?» Sascha hatte zuweilen Verständnisprobleme. «Nochmal bitte.» Das war nicht mein Plan …
«Bring deine Frau um. Wir besorgen dir eine neue. Die heiratest du, kaufst dir ein Haus und einen schicken amerikanischen Pickup. Und suchst dir einen Job. Einen großartigen Job! Hier in Alabama, vor allem in unserer Stadt, gibt es für Weiße nur großartige Jobs. Es wären noch bessere, wenn wir noch Sklaven halten dürften. Aber diese Jobs betreffen dich nicht.» Hank nickte in die Richtung der Konföderiertenflagge, die hinten gespannt an der Holzwand hing. «Hier drin war noch nie ein Nigger. In dieser Stadt wohnt kein Nigger. Darauf sind wir stolz.»
«Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber ich … bin kein Mörder, ich habe die Mittel nicht und die möglichen Nachteile … wieso … was geht dich das an?»
«Fahr sie nach Huntsville ins Space And Rocket Center und binde sich an einer Rakete fest!», lachte Hank. «Ich weiß, ich weiß, dort starten keine Raketen, sondern nur Karrieren, vor allem deutsche Karrieren früherer Nazi-Kumpels von dir. Komm mit.»
«Nazi-...Kumpel? Das sind keine …»
Hank hinterließ ein paar Dollars auf dem Tresen. Sie verließen das Willy’s und steuerten über die stille Straße auf den Parkplatz zu. Vor einem Silverado, der schwarz wie die Nacht drum herum war, blieben sie stehen. In der Ferne war der Zug zu hören, der sein Signal vorausschickte und bald unmittelbar und ohrenbetäubend lärmend vorbei jagen würde. Hank öffnete die Abdeckung seiner Pickup-Ladefläche und begann darin zu wühlen. Sascha zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte viel. Zu viel. Jede Zigarette schlug sich auf sein Asthma und seine Lungenprobleme nieder.
Die Umgebung war still. Ab neun Uhr abends wurden die wenigen Gehsteige hochgeklappt und beschauliche Ruhe kehrte ein. Das war immer so, selbst auf Partys, Charity-Veranstaltungen, Festen oder Restaurantbesuchen. Nur Deutsche kamen erst zu spät, dann blieben sie bis in die Puppen.
«Ah, hier ist sie.» Er hatte einen alten Revolver hervorgeholt, einen wie aus dem Wilden Westen vor mehr als hundertfünfzig Jahren. Mit Trommel, Abzug, Holzgriff. Er lag in einem Tuch. «Dieser Colt ist nirgendwo registriert. Uralt. Er könnte bestimmt unglaubliche Geschichten erzählen. Keine Nummer, keine Namen, nichts. Nimm.»
«Was soll ich damit?»
«Na, was wohl? Erschießen sollst du sie. Lock sie irgendwo hin und knall sie über den Haufen. Aber du musst nah rangehen, der Lauf ist krumm. Das war früher so. Vielleicht steckst du sie ihr beim Sex einfach unten rein und drückst ab. Doppeldecker, wenn du verstehst, was ich meine.»
Hank lachte dreckig, seine Zunge fiel aus dem Mund, ehe er sie wieder einfing und sie einmal feucht über seine Unterlippe streichen ließ.
Sascha nahm die Waffe in die Hand. Sie fühlte sich gut an. Sie fühlte sich mächtig an. Sie fühlte sich richtig gut an. Immer wieder umfasste er den rauen Griff, er umspielte den Abzug, als ob er diesen zweiten Schwanz zum Sinn seines Daseins bringen wollte.
Er hatte schon öfter am Schießstand geballert, doch dieses Stück Geschichte in seiner Hand …
«Ich weiß nicht, ob ich das kann.»
«Peacemaker! Gib deiner Seele den Frieden, den sie verdient hat. Gib dir die Freiheit, wie sie nur hier möglich ist. Du lebst nur einmal, Mann. Du gehst nur einmal deinen Weg, den ein Mann gehen muss! Geladen mit vier Patronen. Jede einzelne Patrone in diesem Wunder ist ein kleines Spermium von dem weißen Mann am Abzug. Die Kugeln sind nummeriert. Eine Gravur mit einer römischen Zahl auf jeder Patrone. Nummer I und II fehlen bereits, aber die restlichen Nummern sind für dich. Es gibt nur noch diese Kugeln. Keine anderen, es sind die letzten. Nutze sie sorgsam, mein Junge.»
«Aber … sie werden sofort mich verdächtigen!»
«Lass es wie ein Überfall aussehen. Ich gebe dir ein Alibi. Ich kenn den Sheriff hier, er ist einer von uns. Halte diese Waffe in Ehren, aber nutze sie. Damit werden nur Frauen, Nigger und Demokraten ermordet. Im besten Fall ist das ein und dieselbe Person. Das ist eine Regel und die bleibt so. Verstanden? Hier ist meine Nummer.»
+++ «Ich denke, alles wird gut! Ich danke euch allen. LIEBE!!!» - Donald Trump, 02. Oktober 2020, 11:31:34 PM EST +++
Die Nacht war für Herbst sehr lau. Sascha war in seinen sieben Jahre alten Toyota Camry gestiegen. Vergilbtes Silber und rostiger Unterboden wie bei einer Oma, deren letzter Sex Jahrhunderte her war, die Sitze durchgesessen, durchgevögelt und von Flecken übersät, die Innereien nahe am Eigenleben. Die Klimaanlage stank, als ob sie selbst zehn Schachteln Marlboro am Tag inhalieren würde. Das Lenkrad war abgegriffen wie die Witze der Comedians, die in Scharen im Kabelfernsehen auftauchten und die Sascha stets abschaltete. Vielleicht verstand er ihr Stand-Up-Programm nicht. Vielleicht verstand er den Humor nicht. Humor war was für Menschen, die ihre Unsicherheit überspielen wollten. Die Automatik ruckte wie Sascha, wenn er kurz vor dem Orgasmus stand und noch einmal alles einbringen wollte, bevor er schmerzverzerrt lächelnd seinen Auslass in die gerade genutzte Ritze prickeln ließ. Er gab Gas, wie es nur ein Deutscher tun konnte, und er fragte sich, was er nun anstellen sollte. Er wusste seit kurzem, wo sie wohnte. Sie hauste in einer dieser lächerlichen eingeschossigen Wohnungen mit papierdünnen Wänden, die umfielen, wenn man nur dagegen pissen würde, eine Wohnung, die mehr leer als möbliert war, weil sie kein Geld besaß und von der Bank auch keins bekommen hatte. Es war sein Konto. Sein guter Name. Sein schwer verdientes Geld. Seine junge Credit History. Seine Unterschrift unter den Schecks.
Der Anfang für einen Expat in den Staaten war schwer. Sobald er sich Geld leihen wollte, startete das Dilemma. Um Schulden machen zu können, benötigte der bucklige Antragsteller eben jene Credit History, eine Geschichte, ob er Schulden machen und das Geld auch zurückzahlen konnte. Die bekam er in die Wiege gelegt, weil die frischen Eltern schon von Anfang an dafür sorgten, dass die Kreditkarte des neu im Kapitalismus angekommenen Säuglings benutzt und der ausgelegte Betrag brav getilgt wurde. Als Flüchtling oder Expat war ein Kredit Utopie, weil du keine Geschichte vorweisen konntest. Und wenn du keine eigene Geschichte des nutzlos verprassten Geldes hattest, liehen dir die falsch lächelnden Banker auch kein Geld. Henne und Ei. Außer eine Bank erklärte sich aufgrund deines Arbeitgebers bereit, dir doch ein paar Scheinchen zuzustecken, damit du dir das Auto oder die Möbel leisten konntest. Deutsche verdienten gut, sehr gut sogar. Und Deutsche waren diszipliniert beim Zurückzahlen. Deutsche wurden nicht gefeuert. Deutsche zahlten unglaublich schnell zurück. Deutsche waren gute Menschen, weil sie vermögend waren. Reiche Menschen waren stets gute Menschen. Deutsche waren gute Menschen. Zumindest heutzutage.
Als Sascha seine Noch-Frau rausgeschmissen hatte, hatte sie übergangsweise in einer Unterkunft der Firma gewohnt. Irgendwann, er wusste nicht ab wann genau, hatte sie eben dieses Apartment in jenem eher weniger betuchten Viertel gefunden. Es war ein Viertel mit vielen Bäumen, die die ungepflegten Gärten samt heruntergekommener Häuser unter ihren dichten Baumkronenfittiche nahmen. Komplettiert wurde die Szenerie von Müll im Garten oder von solchem, der noch am Rand der schlaglochgeschlagenen Straße lag. Ein Wohnviertel unter Saschas Würde. Zu ihr passte es.
Sie hatten die Nähe zur Nordsee aufgegeben und sich auf den Weg in den Süden der USA gemacht. Kennengelernt hatten sie sich in dem Werk, in dem sie damals beide gearbeitet hatten. Sie im Wareneingang. Er als Operator an einer Extrusionsstrecke, Schichtarbeit. Er war sich damals seiner Schönheit, seines Charmes und seiner Wirkung auf Frauen noch nicht bewusst. Sie wollte was von ihm, er fand sie nicht besonders. Mollig. Klein. Aber sie rauchte. Also rauchten sie zusammen, wenn er Tagschicht hatte. Sie lernten sich kennen. Er mochte sie. Sie war nicht die hübscheste, aber er mochte sie. Er ließ sich auf sie ein, Lendenablassgier. Außerdem fickten hässliche Frauen besser, war er der festen Meinung. Sie glichen ihren äußerlichen Nachteil durch mannessehnsüchtige Vorteilserfüllungen wieder aus. Die reale Welt feuchter und perverser Träume war geboren. Bei ihr war es sogar noch so, dass sie ein Haus geerbt hatte. Nur zu gerne hätte er sich als Miteigentümer eintragen lassen, doch ihr verdammter Bruder stellte sich dagegen, bis heute. Zumindest lief die Miete auf sein Konto. Während ihrer Abwesenheit hatten sie über das Amt Flüchtlinge einquartieren lassen. Ein lukratives Geschäft. Miete und Abnutzung zahlten das Amt. Bis jetzt kam die Kohle noch immer auf seinem deutschen Konto an. Wie lange wohl noch?
Es hatte lange gedauert, bis er ihre neue Bleibe gefunden hatte. In ihre Wohnung hatte er vor Tagen einmal gespitzt und er war erstaunt über das, was er dort gesehen hatte. Eine Waschmaschine, ein Trockner, ein Sofa, ein Flachbildfernseher mit mindestens 32 Zoll, vielleicht sogar mit Netflixzugang. Internet und Streaming waren günstiger als das normale amerikanische Kabel- oder Satellitenfernsehen. In der einfachen und sichtlich heruntergekochten Küche ohne Dunstabzug standen Gebrauchsgüter wie Töpfe und Geschirr im Spülbecken. Das Bett hatte er ihr beim Rausschmiss überlassen. Es war einst ein Geschenk ihrer Eltern gewesen. Er wollte es nicht. Er wollte in diesem Bett nicht ficken, wo andere wie sein Bruder schon darin geschlafen und ihre Bettwanzen hinterlassen hatten. Den hässlichen Dodge Dart, ein Subventionsprodukt aus dem Hause Chrysler, produziert in Illinois, hatte sie bei einem windigen Händler im Norden aufgetrieben. Dart und Camry. Abgefuckter ging es kaum. Eigentlich schwärmte Sascha für Audi, doch Audi-Autos und -Händler waren rar in Alabama. Selbst Mercedes-Fahrzeuge, für die die Firma, in der er arbeitete, die Teile nach Tuscaloosa lieferte, waren kaum zu sehen. Amerikanisch mussten die Autos hier sein. Billig. Bullig. Bebend. Pickups! Trucks. Versehen mit Aufklebern wie «Trump», «Trump & Pence», «MAGA», dem weißen «A» für das Alabama College Football Team, selbiges in Orange für das feindliche Team aus Auburn, «Daddy’s Darling», «Scheiß auf die Umwelt», «Stirb, Greta!» oder «Beef». Und wenn es doch etwas anderes als Dodge, Ford oder Chevrolet sein musste, dann einen Japaner von Nissan oder Honda.
Geärgert hatte er sich damals, als er all die lebensnotwendigen Gegenstände in ihrem Haushalt entdeckt hatte und er sich fragte, wie sie sich das leisten konnte. Er drangsalierte sie im Büro mit Forderungen, um herauszufinden, wie viel Geld sie noch hatte und weil er es ihr nicht gönnte und sie es einfach nicht zu haben hatte! Selbst ihr vergammeltes Apartment war noch zu gut für sie. Diese Schlampe! Sie fickte bestimmt für Geld.
«Dreiundzwanzig Monate hast du in meinem Haus gewohnt. Das macht 460$ pro Monat, das macht dann 10.560$. Umzugskosten in die USA 3.000$. Fitnessstudio 898$. Von Benzin für deine Shoppingtouren gar nicht zu reden. Das rechne ich noch aus. Ebenso den Urlaub.»
Er konnte so mit ihr im Büro reden, weil sie niemand verstand. Alabamer sprachen nur ihre Sprache, obwohl es gängig war, dass es Deutschsprechende Mitarbeiter gab, um mit der Mutterfirma in Deutschland kommunizieren zu können.
«Wie soll ich das bezahlen?», fragte sie in ihrer Naivität.
«Nicht mein Problem. Und wage es nicht, ins Haus zu kommen, wenn ich nicht da bin. Und gib mir den Schlüssel für mein Haus!»
Er lächelte über die vergangenen Tage. Er hatte den Warehouse District, das backsteinerne Herz der Stadt mit seinen historischen Gebäuden verlassen. Er passierte die Bahnschienen und gleich danach die Kreuzung, an der sich zwei Highways, 31 und 278, kreuzten und Wells Fargo eine große Filiale unterhielt. Er fuhr am Domino’s vorbei und dachte über eine mit Speck und Hühnchen belegte Pizza nach, die in den Staaten Pizzabäcker reich, Pizzavertilger nicht lange satt und nicht recyclebare Pappschachtelberge höher machte. Eine amerikanische Pizza war eine noch größere Verarsche als ein als Burger bezeichneter Burger bei McDonald’s, Wendy’s oder Burger King. Er bog zwei Mal ab, erst rechts, dann links. Die Straßenlaternen wurden dunkler, weil die Gegend dunkler wurde. Nicht wegen der Einwohner, lächelte Sascha, in Luccman waren fünfundneunzig Prozent weiß, sondern weil es Weiße gab, die es nur bis zum Tellerwäscher, aber nicht einmal zum Coffeemaker bei Starbucks geschafft hatten. Langsam fuhr er weiter. Die Gegend war noch so wie bei seinem letzten Besuch. Die Vorgärten waren nicht gepflegt, Rasenmäher eine seltene Spezies, der Rasen selbst mehr gelb als grün. Vertrocknete Gärten wurden geschickt von Gerümpel, Müll, aufgegebenen Autos mit löchrigen Öl- und Benzintanks und weißen Plastikstühlen übertüncht. Zerzauste Hunde kratzen sich an der immer gleichen Stelle, bis diese rot waren oder sich entzündeten. Katzen rupften sich ihre ungepflegten Fellhaare aus, Waschbären waren dagegen kaum zu sehen. Die Fassaden der Häuser waren abgeblättert, die Dächer undicht, provisorisch angebrachte und verrostete Klimaanlagen röhrten, nur die blauen Schilder, die in die Vorgärten gesteckt worden waren, waren blitzblank oder neu: «Trump» stand auch hier oder auch «Fuck Covid-19», «Resistent gegen Dems und Viren» oder «Das Virus existiert nicht».
Selbst Impfgegner würden zur Spritze greifen, um sich gegen Tetanus, Diphtherie oder Farbige zu impfen. Doch der Bible Belt im Süden der USA war der Ort, an dem es nur zwei Geschlechter gab, die das jeweils andere liebten, züchtig und einfallslos mit ihrem Blümchensex und schweigsam gegenüber ihren intimen Wünschen. Jeder Redneck war stolz, lebte er doch unter seinem eigenen, ziegellosen Dach mit Sperrholzwänden darunter, das die Bank fest zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, bereit, es beim Schwächeln der Kreditbedienung zu zerquetschen oder zu warten, bis der Haustraum zersplittern würde, sei es durch die Arbeitslosigkeit, Hausaltersschwäche oder durch einen Tornadodurchzug ohne Versicherungsschutz wie anno 2011. Sowieso 2011. Vor knapp zehn Jahren wurde der Alkoholausschank und -verkauf in dem ehemaligen Dry County erlaubt, außer sonntags. So war es heute noch immer. Wein gab es an diesem Tag nur in der Kirche, in Gottes Vinothek, was vielleicht den regen Besuch erklärte, und illegal zuhause, zwischen den Mahlzeiten oder zusammen mit anderen alkoholischen Getränken oder Übermaßopioiden.
Kurz nach der Eröffnung des ersten Liquor-Stores zog jener Tornado, einer von 360 aufgeführten Tornados des 2011 Super Outbreaks über dem Südwesten der USA, eine Schneise durch die Stadt, die sich am Ende 41 Meilen durchs County zog. Er tötete damals sechs Menschen und löste die Frage aus, ob wegen des Endes des Dry County Gottes mächtiger Zeigefinger einen Wirbelsturm angerührt und ihn auf die Erde gesetzt hatte, der als beispielloser Rache- und Zerstörungsakt in die Annalen der kirchenreichen und gläubigen Stadt gehen sollte. Die Toten mussten Ungläubige sein, oder zumindest dem Alkohol zugetan. Zusätzlich zu den Toten in Coronas heutigen Zeiten. Zusätzlich zu den Schwulen, die immer mehr aus ihren Löchern krochen und Leid und Elend über die bibelfesten Bürger brachten. Zusätzlich zu den Farbigen, die zwar hier nicht wohnten, aber hier Arbeit fanden. Wie diese elendigen kleinen Mexikaner, die flink auf jene Dächer kraxelten, die durch Gottes Tornado zerstört wurden und diese reparierten. Der Tornado war Satan-Zeug, geschickt aus Mexiko wie Drogen und Mexikaner. Jene Mexikaner, die die mächtigen Müllautos fuhren, diese mampfenden Müllautos, die alles schluckten, was am Straßenrand abgestellt wurde, ohne Recycling, ohne Rücksicht, ob es sich um Altöl oder ein Sofa handelte, eingeworfen in den Schlund einer Bestie, die kein Weißer fuhr. Sie sorgten zusammen mit Verurteilten in orangenen Overalls oder T-Shirts mit ihren Besen und Kehrschaufeln für Ordnung und Sauberkeit. Verfluchte Wichser, dabei waren sie doch der Dreck! So oder so, es gab viele Theorien, wieso dieser Landstrich so viel Leid erfahren musste. Eine einheitliche Aussage aber gab es nicht, nicht einmal aus der Bibel. Darauf einen Schwur.
Sascha interessierte das nicht. Er fuhr weiter, vorbei an zaunlosen Vorgärten, unter großen Bäumen und tiefhängenden Stromkabeln hindurch, ehe er unvermittelt rechts abbog und auf eine Barrackenkolonie zusteuerte, die fast komplett im Dunkeln lag. Die Lichter seines Camry erloschen und er stieg auf dem riesigen Parkplatz aus. Unter seinen Westernstiefeln knirschten kleine Steinchen. Zielsicher und mit dem neuen starken Revolver in der Hand schritt er auf die Apartmenttür seiner Noch-Ehefrau zu. Es brannte kein Licht.
«Wo treibt sich die verfickte Fotze herum?», fragte er sich selbst im besten Deutsch. Bei ihm hatte es das nie gegeben. Entweder sie gingen gemeinsam fort oder er allein. Sie hatte zu Hause zu bleiben. Er legte den Colt mit viel Respekt auf den sandigen Boden. Er traute dieser alten Waffe nicht. Sascha stank nach Schweiß, der sich unter seinen Achselhöhlen gebildet hatte. Er nahm sein Smartphone und leuchtete durch ein Fenster. Es war das Wohnzimmer, das er schemenhaft erkennen konnte. Ein Ecksofa. Ein Tischchen, vollgestellt mit leeren Flaschen und Gläsern, auf der anderen Seite eine kleine Anrichte mit dem Fernseher. «Dieser Hure geht es zu gut. Ich hätte mehr Miete verlangen sollen. Und für den Umzug aus Deutschland hierher. Und für den Sex mit mir! Dieses zu oft gestopfte Leierbündchen.»
Er kratzte sich am Sack, als hafte der Sex mit ihr noch an seinem Unterteil. Das Auto, an dem er ihr großzügig Kratzer und Dellen hinterlassen hatte, stand nicht am Platz vor der Tür. Sie war tatsächlich ausgegangen. Er zündete sich eine Zigarette an.
Miesgelaunter als sowieso schon kehrte er zu seinem Auto zurück. Wenig später stieg er wieder aus und holte den Revolver, den er am Boden liegend vergessen hatte. Erneut saß er in seinem Camry. Er brauchte einen Plan. Sie einfach über den Haufen knallen? Einfach … wie einfach war so was? Über 40.000 Tote durch Waffengewalt in den USA pro Jahr. So schwer konnte das doch nicht sein?
Er ließ den Wagen wieder an und fuhr Richtung der Karaoke-Bar, die sie früher häufig gemeinsam besucht hatten. Sie liebte Karaoke und sie war nicht untalentiert. Die Amis liebten ihre «99 Luftballons» in der deutschen Version.
Streichholz und Benzinkanister!
Vielleicht war das eine Möglichkeit der Vernichtung und Entsorgung zugleich?
Er hatte das dunkle Viertel verlassen, er passierte die Wäscherei, drei Anwaltsbüros, darunter das eine, das er genommen hatte.
Dieser Versager. Gescheitert vor Gericht. Er wollte diesen Kerl gar nicht. Sein Favorit war ein anderer Anwalt gewesen.
Fünf Gestalten saßen bei ihr noch mit im Büro und als selbst die Amis merkten, dass Unruhe in der Luft und in der Sprache zwischen den Beiden lag, erzählten einige, ohne gefragt worden zu sein, dass es einen hervorragenden Scheidungsanwalt hier in der Stadt gäbe, der über die Countygrenzen hinaus gefragt war. Sofort war seine Frau von ihrem Stuhl aufgesprungen, dann waren sie beide losgerannt. Während er ihren damals noch gemeinsamen Wagen zuerst erreicht hatte, lief sie zu einer Kollegin und Freundin und schnappten sich ihren Wagen. Sascha war über die Straßen und Kreuzungen gejagt, doch er hatte all die Ampeln nicht berücksichtigt. Die Kollegin schon. Deshalb waren sie zuerst an der Kanzlei und in der Scheidungsbeauftragungsstelle. Er musste sich jemand Anderen suchen.
Dieser Versager. Ein stocksteifer Kerl in einem lächerlich zu engen Anzug und einem viel zu großen Aktenkoffer und Brille. Wieder und wieder waren sie gescheitert. Dieses verlorene Rennen durch die Stadt galt als ein Grund dafür, dass er noch nicht weiter war in seinem Plan.
«Töte sie doch!»
Hanks Worte, in etwa.
«Scheiß Ampeln! Scheiß Anwälte! Scheiß Gesetze! Scheiß Versager. Aber ich habe jetzt genug Kugeln. Genug! Genug Kugeln für deinen Kopf, für deine hässlich hängenden Titten, für deinen herausgewölbten Bauchnabel, deine hässliche Fresse, die nicht einmal geschaut saugen kann … »
Er zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht hätte er sich schon früher selbst eine Waffe besorgen sollen. Wieso war er nicht selbst auf diese wunderbare Idee gekommen? Er hatte einen amerikanischen Führerschein und eine Karte mit der berühmten Sozialnummer darauf, die ihm Arbeit erlaubte. Mehr brauchte es nicht bei Walmart, um an ein Schießeisen zu kommen.
Autos fuhren an ihm vorbei, einige mit Licht, andere ohne, was nicht ungewöhnlich war und erhöhte Aufmerksamkeit erforderte und dadurch zu weniger Unfällen in der Nacht führte. An die defensive Fahrweise hatte sich Sascha erst gewöhnen müssen. Vielleicht lag es daran, dass jeder Fahrer eine Waffe in seinem Handschuhfach deponiert hatte, so wie er nun seine auf dem Beifahrersitz abgelegt hatte.
Sie erinnerte ihn an seinen ersten Besuch bei Aldi, als er aus dem Leihwagen der Firma gestiegen war.
«Die Waffe bleibt im Auto», hatte die Mutter ihren etwa zehnjährigen Sohn ermahnt, der nur nickte und irgendwas in das Auto zurücklegte.
Ein Polizeiwagen kam ihm entgegen. An der nächsten Ampel verstaute er den Revolver vorsichtig im Handschuhfach. Die drei Ampeln auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung sprangen von Rot auf Grün und er bog nach links ab. Er hatte die Karaoke-Bar erreicht, die wie üblich am Samstagabend gut besucht war. Doch ihr Auto war nicht zu sehen. Hineingehen wollte er nicht. Zu viele bekannte Fressen. Zu viele Menschen, denen er heute nicht begegnen wollte. Er stieg wieder in seinen Camry ein und überlegte. Dabei drosch er mehrmals auf die Oberkante seines Lenkrads ein. Denken war schwierig.
«Sie hat einen anderen! Diese Bitch hat einen anderen! Sie betrügt mich! Es ist nur mein gutes Recht, sie zu erschießen. Noch bin ich ihr Mann!»
Schießen! Treffen! Paintball! Hanceville!
Er jagte runter vom Parkplatz, der Camry klapperte. Er schlug hart die Richtung nach Hanceville über den Highway 31 ein. Reifen quietschten. In Hanceville hatten sie ein paar Mal Paintball gespielt, auf dem Mount Doom Paintball Field, dem ältesten Paintball- und Softair-Field in Alabama. Er hatte es gehasst mit ihr in einem Team zu spielen, hatte sie doch keine Ahnung von Taktik und Strategie, bei weitem nicht so wie er die Ahnung von Taktik, Strategie und Zielgenauigkeit hatte, wie es von einem wüsten Fuchs aus Deutschland erwartet wurde. «Rommel» hatten sie ihn genannt. Er war stolz. Alle hatte er sie immer abgeknallt, alle! Und stets hatte er unfair verloren. Wegen ihr! Unfair! So traurig.
Unvermittelt blieb er auf der Landstraße zwischen zwei Wäldern stehen. Im Dusterlicht der spärlichen Mondnacht sah er eine Kuh auf einem Feld grasen. Er zündete sich eine Zigarette an. Er kramte den Revolver hervor und stieg aus. Er zog ein paar Mal tief am Glimmstängel und schnippte ihn auf die Straße. Er ging ein paar Schritte von der Straße weg hinein in die Wiese. Er vergewisserte sich, dass der Zaun vor ihm sicher war und sich kein Auto näherte. Dann umfasste er den Griff seiner Pistole und studierte sie. Wie eine Paintball-Waffe. Er war treffsicher. Wieso nicht auch hier? Er zog den Hahn zurück und begann auf die Kuh zu zielen, die etwa zwanzig Yards von ihm weg stand und ihn ignorierte. Sie fraß. Sie fraß im fahlen Schein der Nacht. Sie fraß breitmaulig saftiges Südstaatengras, das beste Gras, was die USA und damit die Südstaaten zu bieten hatten. Grünstes Gras, wobei nicht die immer noch verbotene Droge gemeint war. Es war intensivgrün, selbst unter Mondschein, womit nicht das begehrte lokale alkoholische Getränk gemeint war, sondern die Scheibe oben am Himmelszelt. Sascha zielte noch immer.
«Der Lauf ist etwas krumm!», kam ihm in den Sinn.
Seine Zunge spitzte vorwitzig zwischen seinen spröden Lippen hervor. Er schloss eine Auge. Er zielte. Er drückte ab. Er wusste um den Rückschlag, hatte er doch schon öfters auf einer Anlage geschossen. Unweit von hier sollte die größte Schießanlage der USA entstehen, doch es ging nicht voran. Es war mehr eine Scheißanlage. Der Schuss verließ mit einem Knall den Lauf und jagte hinaus in die freie Welt des 2. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten, sofern dieser überhaupt Kühe betraf. Doch die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt, denn die Kuh stand noch da und kaute ungerührt auf ihren Halmen herum. Verfehlt. Er fluchte. Drei Kugeln übrig. Verfehlt. Aus einer Entfernung von etwa zwanzig Yards. Die Kuh bestrafte Sascha weiter mit Ignoranz und Fresslust. Vielleicht wurde sie öfters beschossen, so dass sie auf den Schuss und den Knallhall nicht reagierte. Ein Auto näherte sich. Er drückte seine Zigarette mit seinem Stiefeln aus. Sascha stieg verärgert zurück in den Camry. Der Lauf der Waffe musste, wie von dem Typ gesagt, krumm sein wie so mancher männlicher Ständer.
Zehn Meilen später rollte er durch Hanceville, links an Good Hope vorbei, rechts an White City, das Field selbst lag nahe Garden City ein paar Meilen weiter. Er passierte Hanceville, eine noch verficktere Stadt als Luccman. Sagenhafte fünf Prozent Schwarze oder Afroamerikaner. Von hier stammte James C. Fields, der 2008 als erster Farbiger überraschend aus diesem ansonsten strikt weißen County in das Repräsentantenhaus Alabamas gewählt wurde. Die Wahl musste gefälscht oder die Hölle zu Eis gefroren sein. Fucking Dems. Die Weißen waren froh, dass seine Zeit nur bis 2010 anhielt, ehe der Kerl wieder in seine United Methodist Church verschwand. Sieben Kinder! Sieben Kinder hatte er gezeugt. Karnickelbande! Eigentlich stammte der Kerl aus Colony, Alabama, einem Ort auf der anderen Seite der I-65, die Interstate, die den Norden Alabamas durchschnitt. Colony, der Name war Programm für Andersfarbige, auch heute noch. Karnickelcolony.
Er zündete sich eine Zigarette an. Rechts folgte das Wallace State Community College von Hanceville, benannt nach dem früheren viermalig gewählten Gouverneur von Alabama, George C. Wallace. Ebenso oft ließ sich der Demokrat als Kandidat für das Amt des US-Präsidenten aufstellen. Er wurde in Alabama geboren, er starb in Alabama, verändert aber hatte er sich woanders.
«Ich werde mich nie wieder überniggern lassen», hatte Wallace einst nach einer verlorenen Wahl gepoltert. So wurde er 1962 zum ersten Mal zum Gouverneur von Alabama gewählt. Er überlebte ein Attentat und war danach an den Rollstuhl gefesselt und gab sich plötzlich als Christ geläutert bezüglich seines Rassenhasses. Er entschuldigte sich, was bei vielen Weißen nicht gut ankam. Ein weißer Mann im Rollstuhl war schwach, vor allem, wenn dieser nicht einmal von einem Schwarzen geschoben wurde.
Er war am Paintball-Field angekommen. Es hatte geschlossen. Natürlich hatte es abends geschlossen! Wie hatte er das nur vergessen können?
Wo war sie? Wo war sie nur?
Was gab es noch in diesem Kaff, außer Kirchen wie die «Shrine Of The Most Blessed Sacrament», die «Mountain Grove Congregational Church», die «Faith Restoration Church», die «First Baptist Church», die «Church Of Christ», die «Full Gospel Church Of God», die «Hopewell Baptist Church», um nur einige zu nennen, die sich auf viertausend Scheinheilige aufteilten, wie es in jeder Stadt Alabamas der Fall war. Doch es gab auch die wahren Kirchen. Kirchen des Konsums und des Kapitalismus. Fettärschige Car-Dealer, die ihre spritbesoffenen PS-Schleudern auf gigantischen Flächen und zu irren Preisen verhökerten. Muffigherzliche Tankstellen, die die benzingetränkten Opioide zum Stillen der Spritsucht öffentlich und billig bereit stellten, ohne dass der Laden selbst betreten werden wusste und doch war er stets voll, um die andere Sucht, das Rauchen, zu stillen. Und dann waren da noch die «Hunger Churches» und «Fast-Food-Cathedrales» wie Wendy’s, Arby’s, Burger King oder der einstige Grandseigneur McDonald’s, das berühmte «M», diese goldgeilsten Titten Amerikas, die nach oben erigierten und an denen man so gerne mit seinen Lippen hing. Wenn Mama endlich frei hatte, zumindest wurde es so seit den Fünfzigern erzählt, sprach das Familienoberhaupt: «Give Mom a Night off». Frei von Hausarbeit. Eher frei vom unsäglichen Ehesex. Ab zu McDonald’s. Wie großzügig.
Alle paar Meilen fanden sich diese zwei weithin sichtbaren leuchtgelben und, christlich gesehen, zusammenhängenden Kirchtürme, die schon Kleinkindern den Speichel im Mund zusammenlaufen ließen, darunter stolz angebracht der Schriftzug «Billions and Billions served», welcher sich auf das (h)eilige Abendmahl schlechthin bezog und jeden Tag zu einem Gründonnerstag des Leibes Rindi machte. Das Logo knipste Sascha ein Lächeln ins Gesicht. Er enterte den Parkplatz. Er riss die Augen auf. Seine Faust donnerte gegen sein dürres Lenkrad. Er hatte ihr Auto entdeckt. Doch es kam noch schlimmer: Es tat sich was in dem Wagen. Quer über drei verblichene Parkbuchten, deren Ende angereichert mit Büschen und Bäumen, mit Tüten und leeren Bechern samt Strohhalmen, blieb er stehen. Er stellte den Motor ab. Das Scheinwerferlicht erlosch. Das Radio war schon länger verstummt. Er kniff die Augen zusammen. Die Laternen leuchteten karg. Sie saß darin. Sie saß darin! Nicht alleine. Nein, die Hure war nicht alleine. Plötzlich stieg ein Mann auf der Beifahrerseite aus. Er winkte in das Auto hinein. Die Tür fiel zu. Dann fuhr sie davon, hintenrum, vorsichtig, durch den verlassenen Drive-Thru.
Eine Sicherung, die normalerweise ein ganzes Kraftwerk im Zaum halten würde, brannte in Saschas Kopf durch. Er stieg aus. Er stapfte auf den Typ zu, der Richtung Laden lief. Der sah auf, er sah ihn an.
«Wie geht’s?», fragte er, wie es jeder Amerikaner tat, ohne eine Antwort zu erwarten, keine Lebensgeschichte, keine Schicksalsbeichte, nicht einmal ein «Gut, und selbst?» und doch wurde gefragt, gefragt, gefragt.
Sascha zuckte kurz, als er erkannte, dass der Kerl einer dieser Fünf-Prozent-Schwarzen dieser scheißkack Kirchenstadt hier war. Daraufhin schlug er umso intensiver zu. Ohne Vorwarnung. Ohne Worte. Ohne ein «Gut, und selbst?». Ohne Scham. Er schlug ihn vor McDonald’s, hinter dessen blank polierten Scheiben und unter dem grellen Heiligenscheinlicht die vollbackenkauenden hörigen Chickenburger-Christen saßen und fraßen, die auf ihren kalorienbeseelten Gral gierten, der zwischen ihren pommessalz-behafteten und fetttriefenden Fingern auf den nächsten Biss hin zum abgestumpften Geschmacksorgasmus warteten, während sie ihre spitze Schnute zum Plastikstrohhalm führten, um sich die auf den Gefrierpunkt gebügelte schwarze Zuckerbrühe einzutrichtern, ohne sie in die Hand nehmen zu müssen. Nach dem Ende des Mahls fielen als Zugabe zum extraordinären Müllhaufen der hastig geöffneten Verpackungen und leeren Becher die Servietten als Gipfelkreuz hernieder und ein methanneidisches Rülpsen, manchmal unterdrückt, manchmal nicht, folgte.
Der Kerl lag vor Sascha auf dem Parkplatzboden. Er blutete. Sascha zündete sich eine Zigarette an. Er trat sie auf dem Asphalt aus. Er stieg wieder in seinen Camry ein. Seine Fingerkuppen schmerzten. Als er mit seinem Wagen zurück auf den Highway 31 kehrte, bog ein anderer Wagen zum Parkplatz ein. Vielleicht ein Ersthelfer. Vielleicht aber auch ein Rassist. Er gab Gas, er musste Land gewinnen.
Wütend über sich selbst fuhr Sascha zurück. Inzwischen hatte er Hunger und Durst. Es war eine Ironie, dass die Begegnung gerade am McDonald’s passiert war. Und er hatte noch Ziele zu erreichen. Vielleicht holte er sie noch ein. Er überlegte fieberhaft, wie, wo und wann er seine Frau erschießen konnte. Oder von der Straße abdrängen. Das war es! Der perfekte Mord! Er drückte erneut das Pedal. Speed!
Er malte sein baldiges Leben mit einer amerikanischen Frau auf die Leinwand seiner Gedankenwelt. Ein wunderschönes, operativ formvollendetes Körperwunder, das mit seiner künstlich hohen Stimme nach seinen Wünschen fragen würde. Eine Frau, die mit ihrem Erdbeermund ihm jeden Wunsch von seiner üppigen Palme blasen würde, die zwischen ihren künstlichen Titten seinen Schwanz reiben würde, bis ihr das Silikon durchbrannte und ihm das Zeug aus seiner Kanone schießen würde, wie die Kugel, die seine … Die betörenden Gedanken verflogen mit einem fluchenden Knurren.
Er fragte sich, ob eine Überwachungskamera bei McDonald’s seinen Angriff aufgenommen hatte, und mit ihm seinen Camry, silber, einen der meistverkauften Wagen in Nordamerika. Wie auffällig konnte der sein? Das Kennzeichen. Das Kennzeichen war in Alabama lediglich hinten angebracht, vorne war keines notwendig, aber hinten, hinten, verdammt, war es sichtbar, als er den Parkplatz verlassen hatte?
Noch mit seiner Frau war er einst bei einem Trivia-Abend aufgefallen. Jeden Dienstag hatten sie sich im «Lobster» getroffen, einem heruntergekommen und damit atmosphärischen Fisch- und Meeresfrüchterestaurant inmitten von M&C Truck&Trailer Repair, EAA Truck&Trailer Repair, Auto Glass Repair, McGriff Tire, Tires For Less, John’s Truck Stop, Hardee’s und EconoLodge, abseits der Hauptstraße zwischen New Hope und Luccman und abseits jeglicher Weltmeere der USA. Sie hatten sich oft mit ein paar Arbeitskollegen getroffen, um sich dem Kampf um die Wissenskrone mit anderen Tischen zu stellen. Ihr Kopf war Jeffrey, ein dickbäuchiger und ungepflegter Kerl mit zurückgekämmten Haaren, Pickeln und Fünf-Tage-Bart, ein einfacher Büroangestellter aus der Buchhaltung. Doch er wusste überraschend viel. Googlen war nicht erlaubt während der Fragerunde, die sich um Themen wie Politik, Sport oder Geografie drehten.
«Wer weiß denn schon, wann Martin Luther ermordet wurde? Das ist ewig her!», hatte Sascha gefragt und sich das nächste Bier bestellt. «Wen zur Hölle interessiert das?», fragte er nach.
Betretenes Schweigen am Tisch. Inneres Lächeln bei Jeffrey damals. Ihr Tisch hatte nicht gewonnen an jenem Abend.
Plötzlich passierte es. Sascha hatte die Kurve nicht mehr gekriegt. Geradeaus war er gerast, hinein in den Wald, über Moos und Wurzeln, weiter, immer weiter, tief hinein, bis er in einem Busch und unter einem Nadelbaum zum abrupten Stillstand kam. Er selbst blieb unverletzt, doch seine Reisschüssel war zu noch mehr Schrott geworden, als sie es vorher ohnehin schon war. Zitternd stieg er aus. Entsetzt schaute er auf seinen verbeulten Wagen. Er schüttelte den Schock ab und begann zu fluchen. Um ihn herum lag Dunkelheit, niemand schien seinen Ausflug bemerkt zu haben.
Er überlegte. In Denkerhaltung stand er da, die rechte Hand massierte sein Grübchenkinn, er gaffte auf die offene Wagentür, sein Blick wechselte zum letzten Scheinwerferlicht, das kläglich einen Baumstamm erleuchtete, das letzte Licht in diesem dunklen Wald. Es erlosch. Noch immer stand er so da, philosophierend wirkte er gar, voller Posen in einer einzigen Pose, die rechte Hand weiterhin sein leidlich rasiertes Kinn kratzend, die linke über seinen Bauchansatz liegend und unter dem Ellenbogen des anderen Arms eingeklemmt, so knotenhaft wie seine Gedanken um die Beseitigung seiner Frau in diesem Unfallfahrzeug, das tief im Wald darbte, tief im Wald. Tief im Wald. Ein Airbag war nicht zu sehen. Wieso sollte er also seine Frau nicht bewusstlos schlagen, sie dann in das Auto setzen und ihren selten benutzten Kopf so oft brachial gegen das Lenkrad schlagen, bis sie ihr erbärmliches Leben aufgegeben hatte?
Er bedeckte das Auto dürftig mit Ästen, Zweigen und Blättern und riss das Nummernschild ab. Er verließ den Wald nach einer gefühlten Ewigkeit mit den Feelings, lost zu sein. Dann ging er ein paar Meilen am Highway entlang. Kein Auto passierte ihn. Und sollte es passieren, würde diese Person anhalten, denn am Wegesrand laufen war nicht nur gefährlich, es war kopfschüttelnd, denn schließlich gab es Autos mit Reifen, den schnelleren Füßen weit überlegen, die aber häufiger platt waren wegen mangelnder Fürsorge. Irgendwann besorgte sich Sascha einen Uber. Taxis und sonstige öffentliche Verkehrsmittel gab es hier in der Gegend nicht.
Erneut stand er vor ihrer Erdgeschoss-Klitsche. Er zündete sich eine Zigarette an. Als er sie rausgeschmissen hatte, hatte sie in einem Apartment im gemieteten Wohnkomplex der Firma gehaust. Lange hatte er nicht gewusst, wo sie abgeblieben war, dabei war es so naheliegend, hatten sie anfangs doch selbst darin gewohnt. Irgendwann war sie umgezogen, erneut wusste er nicht, wo sie war. Dann kam der erste Gerichtstermin und ab da kannte er ihre neue Adresse. Eine kleine Wohnung in einem heruntergekommenen Viertel. Das war zu erwarten. Bei weitem verdiente sie nicht das, was er verdiente und sie verdiente einen Platz unter der Erde und nicht hier in diesem wunderbaren Land.
Er, der großartige Ausbilder dieser Nachwuchsrednecks und Qualitätssicherer am Ende der Produktionskette, sie eine Tippse oben im Büro des Werks ohne eigenen Expatvertrag, wie stand er da schon da? Sie war nur sein naives Anhängsel, dank Ehevertrag. Wieso nur hatte er sie geheiratet? Ihr Haus, ihr Geld … scheiß drauf! Den ganzen Tag war sie nur am Fressen und Latschen, zusammen mit den anderen dummen Deppen im Büro. Zumindest glich sie sich zunehmend der amerikanischen Lebensweise an. Ihr Englisch wurde besser, ihr Körper breiter. Was sollte er mit einer Frau, mit der er sich mangels Intelligenz und Interesse an Ultimate Fighting, Wrestling und Autos nicht unterhalten konnte und nun auch noch aus dem Leim ging? Jeden Tag sah er sie ein bisschen mehr und dabei wollte er sie doch eigentlich gar nicht mehr sehen. Selbst das Blasen hatte sie irgendwann eingestellt, dann den Sex selbst. Er schiss auf den Sex mit ihr. Zu wenig. Zu normal. Zu dunkel im Zimmer. Zu anstrengend die Gedanken an eine Sexbombe, zu ungleich das Aussehen seiner Partnerin in seinem Kopf zu dem gefühlten Schwabbelprall in seinen Händen. Zudem wollte er hierbleiben. Sie nicht. Das dachte er zumindest. Die Firma bot nichts an. Also Scheidung. Heirat. Hierbleiben. Job. USA! USA!
«Bring sie doch um!»
Der Wagen stand nun vor ihrer Haustür. Die Wohnung lag im Dunkeln. Er könnte nun einbrechen und sie erschießen, aus der Entfernung wäre es sogar mit dieser krummen Waffe zu schaffen. Kopfkissen zur Schussberuhigung noch drauf und «Feuer»! Friede auf Erden, in Ewigkeit, Peacemaker!
Er fasste sich entsetzt an den Kopf. Die verfickte Waffe lag noch im Camry!
«Fuck, fuck, fuck!», schimpfte er wie ein waschechter ungewaschener Südstaatler. Er schnaufte erst hektisch, dann atmete er tief durch. Er suchte nach Schuldigen, es war doch nicht er, der … und doch … «Hätte ich nicht an sie gedacht, wäre der scheiß Unfall nicht passiert! Blöde Kuh! Scheiß verfickte blöde Kuh! Wegen dir habe mein Auto versenktun und auch noch die Knarre im Auto vergessen, um dich …», grollte er wie ein Rumpelstilzchen aus besten deutschen Tagen. Und er grollte weiter. Und grollte. Er zündete sich eine Zigarette an. Mit einem Mal hielt er inne. Vielleicht wäre es sowieso nicht sinnig, sie umzubringen, wäre er doch der erste Verdächtige, egal ob er gedeckt wurde oder nicht. Der Sheriff war nicht alles. Polizei, State Trooper, FBI, CIA, NSA, Homeland Security … was es nicht alles gab. Und Gerichte. Von Demokraten gesteuerte Gerichte.
Während der dritten Verhandlung war er ausgerastet. Er hatte den Richter, einen Weißen um die Vierzig, beschimpft, wenigstens auf Deutsch. Der Richter hatte erneut die Angelegenheit nach Deutschland verwiesen. Deutschland war ja schließlich ein friedlicher und anerkannter Rechtsstaat. Doch dort erwarteten ihn Schulden, humorlose Feinde wie hassende Schwiegereltern und ein tötungsbereiter Schwager. Dazu Stille und Alleinsein. Ein Konto mit Flüchtlingsgeld. Aber zu wenig. Zu wenig für einen wie Pascha Sascha. Er wollte zudem nicht zurück in seinen alten Job, in dieses Werk, zu diesen Kollegen, die alle dumm, ignorant und herablassend ihm gegenüber waren. Nie wieder Deutschland. Wo doch der Krieg erst zu ende ging.
Dämliche Amis!
Er konnte sie hier und jetzt nicht umbringen, das stand fest. Ihm fehlten die Mittel und er hatte kein Alibi. Er musste eine andere Lösung finden. Er zog innig an seiner Zigarette.
Wie wäre es mit einem Killer?
Um kurz nach zwölf Uhr nachts betrat er einen von zwei Walmarts in der Stadt. Der neue Uber-Fahrer hatte ihn auf dem riesigen Parkplatz des erst-erbauten Walmarts aussteigen lassen. Er sollte hier warten. Die weißen «Walmart»-Zeichen leuchteten schon von Weitem über das Areal, der gelbe Stern rechts neben der Schrift wirkte wie das wimperumrandete Überwachungsauge Sam Waltons, der beobachtete, ob jeder Kunde genug Geld in seinem überteuerten Gemischtwarenladen ließ. Vielleicht sollte er auch nur den Stern von Bethlehem darstellen, um pilgernde Kundenkönige in die klimakuschelige Kaschemme des kleinen und knuddeligen krippeliegenden Kaufrauschs zu locken.
Sascha zündete sich eine Zigarette an. Er lief eine gefühlte halbe Meile bis zum Eingang und fluchte über den Fahrer weit, weit hinten. Die Kippe landete auf dem Boden. Er setzte eine Stoffmaske auf. Beim Eintreten in die kühlen Räumlichkeiten wurde er freundlich vom üblichen dienstleistenden Grüßer begrüßt.
«Wie geht es Ihnen, Sir?»
«Mir geht es gut, danke», antwortete Sascha überfreundlich, aber nicht, weil es amerikanisch war, sondern weil er wollte, dass der Kerl sich an seine maskenbedeckte Fresse erinnerte, sollte seine Frau diese Nacht ableben.
«Danke, dass Sie Maske tragen», schallte es ihm hinterher.