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Das Jahr 2086. Das Jahr 0. Eine neue Zeitrechnung beginnt. Zwanzig Jahre Unsterblichkeit. Zwanzig Jahre neues Lebensgefühl mit der Erkenntnis, dass es wirklich wahr ist! Zwanzig Jahre brutale und rücksichtslose Umwälzungen in vielen Gesellschaft der Welt. Endliche werden in eigenen Zonen zurückgedrängt. Sie sind Menschen 2. Klasse, höchstens. Die reAger, die Ewiglebenden, dagegen dominieren den Staat, die Gesetze, die Gesellschaft, den Spaß, die abartigen Möglichkeiten und Weiterentwicklungen einer kinderfreien Welt ohne Tabus. Was stört es, dass der Visionär und Treiber des ewigen Lebens in Richtung Abgrund schlittert? Was stört es, dass die Zwillinge Maxx und Smoath und ihr Online-Buddy Freak mit ihren eigenen Problemen kämpfen? Was stört es, dass der Untergrundkämpfer .3 und seine Zelle unermüdlich versuchen, gegen die neue Gesellschaftsordnung anzukämpfen? Was stört es, dass der Supervisor des UnitedWorldNets, dem früheren Internet, sich nicht der neuen Ordnung stellen will? Den neu aufstrebenden Mächtigen mag dies gleich sein - bis sie erkennen, dass diese vier Geschichten nur der Ursprung sind für das Erscheinen eines Mannes, dessen Leben ein Wunder ist. Teil 4 des fünfteiligen Science-Fiction-Thrillers.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
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oliver marco
un:sterblich 4
:: im himmel der city of satan ::
DER SCIENCE FICTION ROMAN
4
] DAS LEBEN IM JAHR 2086 [
{bahá’u’lláh, ährenlese 70:1 Die Lebensordnung der Menschheit ist aufgewühlt durch das Wirken dieses einzigartigen, dieses wundersamen Systems, desgleichen kein sterbliches Auge je gesehen hat.}
Verhaltensanweisung und Schutzpunkte für Ewiglebende -genannt reAger- gegenüber Endlichen. Diese Rules and Procedures gelten weltweit, dies unten aufgeführte Auflage gilt für die USA. Sie werden herausgegeben von LifeGenom Inc. in Zusammenarbeit mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.
Du
lebst ewig! Ein Endlicher tut das nicht.
Der Kontakt zu Endlichen ist nicht verboten, darf aber aktiv nicht beeinflusst werden.
Was Gut oder was Böse ist, was Wahrheit oder was Lüge ist, entscheidet nicht dein Verstand, sondern dein »primitives Gehirn«, das »Limbische System«. Hier sind unsere Emotionen, Triebe, Urängste usw. gespeichert. Und diese entstehen meist durch Einflüsse aus mehreren Quellen – eine eventuell eigene unterlegene Quelle wird daher häufig vom eigenen Hirn ausgegrenzt. Vermische nicht Tatsachen mit Meinungen oder hanebüchen Meldungen, benutze denen Verstand – vor allem bei Beiträgen von Endlichen.
Verantwortlich ist immer der, der handelt. Niemand übernimmt die Verantwortung, selbst wenn er das sagt. Lasse Endliche dich nie für deren Zwecke nutzen.
Auch nicht, wenn sie dir Angst einjagen. Angst führt zu dummen Aktionen wie Gewalt, Taten unter Druck, eigenwilligen Meinungen, Verhaltensstörungen, Aufhetzung und der Bereitschaft mit allen Mitteln wieder für Sicherheit zu sorgen. Dauernder Realitätscheck! Übertreibungen gehören zum Standardrepertoire jedes Menschen.
Wenn dir als reAger vorgeworfen wird, Fehler und Schuld an der Misere der Endlichen zu haben, dann gibt es zu! Damit verhinderst du die Rechtfertigung durch dein Gehirn für Taten, wofür du sowieso nichts kannst. Denn schließlich bist du nicht das Böse!
reAger werden aufgrund der Lebenserwartung theoretisch jeden anderen reAger dieser Welt kennenlernen können. Nutze dieses Netzwerk. Endliche dagegen sind anonym, ohne Namen, ohne Persönlichkeit, ohne Einfluss. Sieh
dich
an! Du stellst was dar! Name, Einzigartigkeit, reAger, dein Charakter, dein Profil lässt dich individuell werden – und damit eine Stufe höher stehen als jeden Endlichen.
Endliche agieren in Gruppen. Gruppenzwang ruft hässliche Meinungen hervor, die sich auch auf reAger übertragen können. Aber bleib dir selbst treu, bleib dein eigenes Ich!
Respekt bedeutet Ansehen und Anerkennung. Alles muss sich verdient und erarbeitet werden. Und mal ehrlich! Würdest du aufgrund dessen einen Endlichen respektieren? Eben!
Achte auf deine Handlungen in überraschenden oder gefährlichen Situationen. Hinterfrage Anweisungen anderer, auch wenn sich alle darauf stürzen. Du bist individuell! Du würdest doch nicht bei außergewöhnlichen Situationen unendlichen Endlichen stumpf in den Tod folgen?
Du meinst, es gibt mehr Endliche als reAger? Und wir hätten keine Chance gegen diese Endlichenmasse? Aber ist es nicht so, dass gerade der Aufruf eines Einzelnen zum Erfolgsschrei eines ganzen Menschenschlags werden kann? Einzelne haben die Welt schon an den Abgrund geführt. Wieso sollte ein Einzelner sie nicht ins Glück führen?
Wir bitten die reAger, diese Anweisungen zu befolgen und sie Endlichen nicht zugänglich zu machen. Solltest du unsicher oder instabil sein, Kontaktangst haben oder im OCEAN Verfahren schlecht beurteilt werden, dann ziehe eine Genanpassung bei LifeGenom Inc. 3C/Atlanta, Georgia in Betracht.
LifeGenom | Live Your Live, live forever! Seit 2066.
© 2086 | 3C (früher Atlanta), Georgia, USA
In Zusammenarbeit mit der US-Regierung und den Vereinten Nationen. Änderungen vorbehalten.
Wir haben Gott arbeitslos gemacht.
] DIE MAUER [
{joh 11,25: jesus spricht: »ich bin die auferstehung und das leben. wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.«}
New York City, 02. Januar 2086, zwanzig Jahre nach der OP des ersten reAgers
Alleingelassen und unbeachtet fristeten stumme Spielplätze im täglichen Trubel der Erwachsenenwelt ihr erbärmliches, ausgestoßenes Dasein. Traurig und brachliegend warteten sie auf ihren endgültigen Abbau. Sie reihten sich ein in geschlossene Schulen, Kinderkrippen, Kindergärten und Spielzeugläden. Herumtollende Kinder waren ausgestorben in den Stadtpanoramen der Vereinigten Staaten von Amerika. Und nicht nur hier. Die Moloche dieser Welt bestanden fast nur noch aus Erwachsenen, viele davon unsterblich. Die wenigen Menschen, die noch auf die Welt kamen, lebten irgendwo versteckt auf dem Land oder in Randbezirken der Metropolen. Kinder, die nur mit Erwachsenen aufwuchsen, waren verhaltensgestört und ein späteres Risiko für die Gesellschaft, da half auch keine Genanpassung mehr. Viele Kids wurden entführt und nie wiedergesehen, wie vor einigen Monaten fünf Mädchen einer achtköpfigen Schulklasse. Nachwuchs war für die Endlichenfraktion rar und wertvoll geworden auf der nördlichen Erdhalbkugel.
Als vor Jahren die Meldung durch das Netz jagte, amerikanische Bürger könnten aus unerfindlichen Gründen keine Kinder mehr zeugen und bekommen, brach Panik in der Bevölkerung aus, aber in beiden Teilen. Die reAger befürchteten Revolten der Endlichen, die Endlichen beschimpften die reAger, sie vernichten zu wollen. Aber beide brachten sie ebenso eine Vergeltung durch die Natur oder gar durch Gott ins Spiel.
Kinderlosigkeit. Das war die schlimmste Strafe, die passieren konnte.
Keine Aufklärung über das Wieso. Das war die nächste schlimmste Strafe, die passieren konnte.
Vermeintliche Täter und Hintermänner waren nie gefasst worden, Verdächtige und Verschwörungstheorien beschäftigten die Bürokratie, aber nicht Polizei, CityArmy und Gerichte. An den obersten Stellen der Gewaltenteilung saßen sowieso nur noch gleichgültige reAger, die alles fest im Griff hatten, so wie die Luft zum Atmen oder das Wasser zum Trinken.
Angereichertes Trinkwasser - streng limitiert für jeden Bürger der USA - war laut Gerüchten die Ursache für das Ende der Fortpflanzung. Enthaltene Viren oder Bakterien zerstörten Spermien oder Eizellen - auf Dauer, ohne Chance auf Heilung. Die Gentechnologie war machtlos, zumindest meinte deren Lobby das gebetsmühlenartig. Zudem verhinderten Gesetze und die UNO-Verordnung generell einen Eingriff. Tiere blieben davon verschont, zum Glück, sagen die einen, Pech sagen die anderen, wir hätten sie geklont und wiederauferstehen lassen, die Dinosaurier, Mammuts, Pandas oder Eisbären.
Die Endlichen formierten sich weiter, sie beschuldigten Oberboss Stervals und Konsorten, LifeGenom und andere Pharmafirmen, sie verschickten ohne Erfolg Wasserproben und Mensch-Analysen in die Welt. Sie paktierten sogar mit Diktaturen und anderen Verbrecherstaaten, doch sie mussten erkennen, auch hier keine wahren Antworten erhalten zu haben. Übereifrige töteten potenzielle Verdächtige und wanderten in den Knast. Auch heute noch, zwanzig Jahre später, dauerte der Kampf unvermindert an. Die Chance, dass es weiterhin Endliche geben könnte, lag paradoxerweise in der verhassten Gentechnologie. Denn wenn schon die Organe angeblich nicht repariert werden konnten, vielleicht wäre Klonen dann die Rettung.
Die Hoffnung der reAger auf eine friedliche ewige Welt war zermalmt worden von Anschlägen, Störungen und immer wieder ausgegrabenen Konflikten der Endlichen, die aus verschiedenen Meinungen und Positionen agierten, die nicht diese Art der Zwei-Klassen-Gesellschaft hinnehmen wollten. Doch sie waren sich selbst nicht einig. Während die einen Endlichen das ewige Leben grundsätzlich ablehnten, protestierten andere, die Kinder hatten, genau dies endlich tun zu dürfen, wiederum andere wollten alle reAger von der Erde entfernen, wie auch immer. Und dann gab es noch die Gruppe, die sich die Unsterblichkeit finanziell nicht leisten konnten. Die Kosten für eine Operation waren stark gestiegen. Verschwörungstheorien und ihre Geschichten mutierten von unbegreiflichen zu wahnwitzigen Thesen und doch hatten sie ihre hass- und gewaltbereiten Jünger. Sie alle erkannten nicht, was sie eigentlich einte: Die Freundschaft, die Liebe gar zu diesem Planeten. Und zu Menschen.
Doch die Grundverordnung der UNO war festgemauert, global, unwiderruflich. Breite Teile Afrikas, Südamerikas und einiger Schurkenstaaten waren noch immer ausgenommen, aber selbst das Geheimnis des ewigen Lebens hatte sich bis auf wenige Ausnahmen offiziell noch nicht aus den Gemäuern von LifeGenom schleichen, geschweige denn, illegal verbreiten können. Zumindest fehlte der zeitlange Beweis.
Devin Stervals, vormaliger Präsident der Vereinigten Staaten, nun ChiefManager USA, hatte das Land reformiert und es dennoch nicht geschafft, Frieden zu verbreiten. Parteien zerfielen ins Nichts, der Kongress war gegen ein Bürgerforum ausgetauscht worden, in dem ausgeloste reAger siebzehn Jahre und gewählte Endliche vier Jahre daran teilnehmen und mitbestimmen konnten. Das Weiße Haus war zu einer Firmenzentrale mutiert, die Strukturen des Staates waren weitgehend konzernähnlich, aktienbasiert und in gewisser Weise privatisiert. Ein ChiefManager konnte ewig regieren.
Soldaten und Wachpersonal bestanden aus reAger-Söldnern aller Herren Länder, sie galten als überaus loyal, solange Geld und Inhalt der GenBox stimmten. Heimatliche Freiwillige komplettierten die Armee mit Menschen, die den Kick zum ewigen Leben suchten. Oder einfach nur einen Job. Unterstützt wurden sie von einer Überwachungsstruktur, die sich in den Bereichen der Erkennung, Bild, Ton und Geruch der Perfektion näherte.
Um eine Ausgrenzung aus der Hauptgesellschaft zu verhindern, war es unumgänglich, reAger zu sein. Wer konnte, nutzte dies, er galt als Privilegierter. Es war jene neue Art der Zwei-Klassen-Gesellschaft, die sich innerhalb aber noch tiefgründiger unterschied. Für Endliche war es schwierig zu verstehen, warum ihr ehemaliger Freund und reAger sein Alter hielt, während sie selbst mehr und mehr Falten in ihrem Gesicht beobachteten und der Vergänglichkeit unterworfen waren und ihnen so mancher Kulturbeitrag vorenthalten wurde. Sie es, weil der Künstler separierte oder der Veranstalter. Oder die Besucher selbst. Die Masse der reAger freute sich trotz der Querelen über die Überlistung des Alters und des natürlichen Todes. reAger waren spürbar glücklicher als Normalsterbliche, aber glauben vermochten die meisten das erst, wenn sie älter wurden als der bisher älteste Mensch und noch immer begeistert in den Spiegel sahen und sich fit fühlten.
Gravierend geändert aber hatten sich die Straßenbilder vieler Städte, wie hier in New York City. Sichtbare und unsichtbare Gräben durchzogen die Metropolen des Landes, Mauern aus Beton oder Stahl und Laserbarrieren wurden errichtet, strenge Sicherheitskontrollen eingeführt, endliche Bewohner von ihren reAger-Nachbarn zwangsentfernt und umgesiedelt. reAger aus Endlichen-Gebieten dagegen zogen in die aufstrebenden nobleren Zentren der Städte. Die kontrollierende Hand lag eindeutig dank Devin Stervals bei den reAgern. Diese neue Form der Diskrimierung hatte nicht nur die USA, sondern auch Teile Europas erfasst. Obwohl nicht ausdrücklich verboten, war eine Segregation das Ziel des ChiefManagers USA, die Entmischung von reAgern und Endlichen. Auf eine eindeutige äußerliche Identifikation wurde aber verzichtet um nicht unnötig weiter Gewalt und Hass zu schüren, sofern dies nicht sowieso durch körpergetragene Staffage durch den Bürger selbst vorgeführt wurde. Die Überwachung der Separation erfolgte über Satelliten. Die Sprühmethode, die endliche Gesetzlose vor zwanzig Jahren noch am Hals des potenziellen Opfers anwendeten, war durch bessere Einspritzmethoden und Unsichtbarkeit des Hals-Chips nutzlos geworden.
Einem Endlichen war es zwar erlaubt, Manhattan (aber nicht die CityOfSatan) zu betreten, aber ihm wurde verboten, Wohneigentum zu erwerben oder dort zur Miete zu wohnen. Visuell wurden Mauern um die Endlichen-Gebiete Bronx oder Queens ausgebaut, zum Entsetzen vieler, die sich an die Teilung Deutschlands oder Koreas oder auch an die Abschottung nach Mexiko erinnert fühlten. Die Welt schaute zu, denn sie hatte auf der Nordhalbkugel überall die gleichen Probleme. Und der Süden war noch immer arm und stumm. Nach Jahren des Sturms in den Zwanzigern und leidlicher Ruhe danach war nun wieder aufkommendes Unwetter angesagt.
Die Kirchen, die Religionen, sie waren nicht in der Lage zu helfen, sie standen sich mit eigenen Problemen im Weg. Nach mehrmonatiger Führungskrise, hervorgerufen durch den buchstäblichen Blitztod Leos XIV. an Weihnachten 2067, hatten sich zwei weitere Päpste, Benedikt XVII. und aktuell Gregor XVII. auf den Stuhl Petris gewagt.
Gregor hatte seinen Namen aufgrund Gregors XVI. aus den Jahren 1783 bis 1831 gewählt, der eine große Rolle in der Neufindung des kirchlichen Selbstverständnisses gespielt hat, die Zurückdrängung des weltlichen Einflusses war Aufgabenmittelpunkt beider.
Die angebliche Geburt Jesu im Jahre 2066 schwebte über den beiden Amtsinhabern. Die Gläubigen der Welt erwarteten voller Sehnsucht und Hoffnung bald das Handeln des wiedergekehrten Sohn Gottes und manche damit auf den Rücktritt der verknöcherten Oberen. Jeder Gläubige, mehr Endliche als reAger, spürte die Unsicherheit des Vatikans, der, statt ein Machtwort zu sprechen oder Gegebenheiten zu prüfen, sich von einer Verlegenheit in die nächste rettete. Dennoch, die Gläubigen fühlten, der Messias war nah, sehr nah, und je näher er kam, desto mehr schien die Welt aus den Fugen zu geraten. Es war nur eine Frage der Zeit wie und wo er auftauchte. Es würde im Kleinen geschehen, das wusste sie. Eine Aktion, eine Geste, fast Nichts.
Doch wo er sich befand wusste niemand. In einer Welt, die über Spionagesatelliten, Cams und Milliarden von Menschenaugen, DNA-Analysen, Body-Chips und Stimmenaufnahmen verfügte, galt es für viele als Kunst unerkannt zu bleiben und als erneuter erstaunlicher Beweis, dass dieser neue Jesus etwas Besonderes vorbereitete. Andere taten den damaligen Aufruhr um die Geburt des Kindes als überbewertet und schwachsinnig ab. Es war keine Kunst nicht wiederaufzutauchen.
Glaubensmarketing.
Der technische Fortschritt war durch die Auseinandersetzung merklich ins Stocken geraten, eine mittlere Wirtschaftskrise samt Inflation folgte. Die Industrie war sich im Unklaren, was die Wünsche der Endlichen und die Wünsche der Ewiglebenden waren, allgegenwärtige Konflikte in einer aufgewühlten Welt hemmten jeglichen Fortschritt. Allein der Trend zu Geräten, die in die Haut des Menschen eingepflanzt wurden, hielt unvermindert an. Sie mutierten zu den wahren Überwachern der Spezies, hatten sie doch direkten Zugang zu Organismus und Hirn. Sie prüften Herzfrequenz und Puls, Fettgehalt und Kalorienzufuhr, erstellten Diätpläne und bestellten das richtige Essen, ohne auf Antifettpillen zurückgreifen zu müssen, sie erkannten Krankheiten im Frühstadium und überwachten zugeführte Dopingeinheiten für Seele und Körper. Viele Geräte passten sie der Haut so gut an, dass sie kaum mehr erkennbar waren, zudem nahmen sie ähnlich einer BlackBox stetig die letzten vierundzwanzig Stunden auf, das Tun, das Handeln, das Sehen via EyeLensDisplay. Eindeutiges Beweismaterial bei Vergehen oder Unfällen, aber auch zum Schutz und zur Sicherheit.
Unsicherheit und Wut bereiteten die zunehmend schleichend eingeführten Gesetze, die sich mehr und mehr an Diktaten früherer Apartheidspraktiken orientierten. Waren die raren Stellenausschreibungen bereits nach Endlichen und reAgern unterschieden worden, waren strikte Trennungen an öffentlichen und berühmten Orten die Regel. Der wiedergekehrte Sex untereinander war ebenso verboten wie Liebe oder gar Heirat. Die teurere medizinische Versorgung der Endlichen wurde mehr und mehr gekürzt, die Lebenserwartung eines Endlichen beiderlei Geschlechts sank erstmals seit Jahrhunderten um drei Jahre. Getrennte Abteile in öffentlichen Verkehrsmitteln waren noch selten. Getrennte Wege und die beiden künstlich entstandenen Gruppen nicht. Die Gesellschaft war eine andere.
Ich wusste nicht, ob ich das wahrhaben wollte. Ich war nicht in New York. Ich zappte zwischen den Webcams des zerfressenen Big Apples auf meinem anonymen PA hin und her. Nirgendwo ein Kind. Auf keiner Cam. Weltweit.
Vor zwanzig Jahren war ich so etwas wie Vater geworden. Zumindest Miterzieher. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein göttliches Gefühl, einem Menschen beim Wachsen zuzusehen, wie er sich entwickelte, die Umwelt realisierte und … mir etwas von dem Gefühl nahm, unbedingt ein eigenes Kind haben zu müssen. Vater zu sein. Werte zu vermitteln. Vorzuleben. Wissen weiterzugeben. Doch es strengte mich auch an, es forderte meine Reaktionen, es trieb mich zur Weißglut! Das Kind beglückte und verwirrte mich, es bezauberte und provozierte mich.
Wollte ich, Maxx Future Pitesimpson, nun doch ewig leben?
+++ jahreswechsel friedlich verlaufen +++
+++ handlaserfeuerwerke immer beliebter +++
+++ bewährt seit 15 jahren: einschnitte für endliche bei der jobwahl +++
+++ reAger dürfen seit dem bei bewerbungen bevorzugt werden +++
+++ daher klage abgewiesen +++
+++ arbeitgeber dürfen nur endliche oder nur reAger einstellen +++
+++ wasserbericht: genug wasser in amerika vorhanden +++
+++ wasserexport nach afrika weiter ausgesetzt +++
Irgendwo in Alaska
Das körpervolle Licht der Sonne hatte er das letzte Mal vor fast zwanzig Jahren gesehen. Seine zur unfreiwilligen Heimat gewordene Zelle, die lediglich drei auf vier Meter maß, hatte nur eine Fensteröffnung nach oben. Dort sah er tagsüber den blauen Himmel Alaskas und nachts die funkelnden Lichter unerreichbarer Sterne. Aber nie die Sonne. Die bleichen Betonwände waren kalt und unüberwindbar, die Pritsche hart und rückenschädigend und die Toilette ein vergittertes Loch im Boden, an dem ab und an die wenige Scheiße hängenblieb. Die Stahltür wurde nur zweimal in der Woche geöffnet, damit er auf einem erbärmlichen Innenhof alleine spazieren gehen konnte. Die kleine Klappe in der Mitte der Tür war Essensdurchreiche für drei spärliche und geschmackslose Essenstabletten am Tag, die vergessen ließen, zu was die Sinne auf der Zunge fähig waren. Wie seine Nase. Gerüche gab es nicht, außer wenn er einen kleinen Tablettenrest als braunes Etwas aus sich herausgequetscht hatte und er daran roch und schmeckte um zwei seiner Sinne zu checken. Seine Augen waren eingeengt und emotionslos. Künstliches Licht existierte nicht, nachts war es stockdunkel. Tagsüber beglotzte er graue Wände, weiße Kleidung, den blauen Himmel. An viele Farben und Nuancen erinnerte er sich nicht mehr. Blau war ihm geblieben. So viel hatten seine Augen und Nase vergessen wie auch seine Ohren. Der metallische Klang der Klappe war das einzige Geräusch, das er neben dem Blutrauschen und Rascheln noch hörte, sofern er nicht anklagend an der Wand hing. Niemand sprach mit ihm. Nur er sprach, mit sich selbst, mit der Tür, mit dem Guckloch in der Decke, mit dem eigenblutbemalten Konterfei an der Wand. Sein eingebildeter Mithäftling. Anfangs in Rot. Nun in schwarz. Er hatte keinen Namen. Die meiste Zeit … Rauschen … der hohe Pfeifton … Tinnitus … Stille konnte grausam sein. Also schrie er, sprach, er versuchte seiner kleinen Welt Töne zu entlocken, er sang alte Lieder, er pfiff, er schlug auf sein Kissen als wolle er trommeln, er fuhr sachte mit der Handfläche über die Wand als wolle er liebliche Geräusche herausstreicheln. Und manchmal sprach er leise, stilvoll, ehrfürchtig, so wie es von einem Chinesen erwartet wurde. Er dichtete. Er fabulierte. Er redete über die Welt da draußen, die er nicht mehr kannte und vielleicht auch gar nicht mehr existierte. Der Staat, oder wer auch immer dahinterstecke, wollte seine Sinne zusammenstauchen, seine Instinkte eliminieren, ihn gefügig machen, vom Mensch zum Ding.
Aber er haderte nicht mehr mit seinem Schicksal, unschuldig in diesen Gemäuern zu vegetieren, er wollte nur raus, irgendwann raus und dann den Mann und die Frau suchen, die sein verpfuschtes Dasein zu verantworten hatten. Mit Gott hatte er gebrochen. Wie sollte er jemandem vertrauen, der zuerst zuließ, dass seine Frau qualvoll umgebracht und später er, Lee, verurteilt und weggesperrt wurde? Und das in einer Welt der Überwachung, der Digitalisierung, der DNA-Prüfung. Die Welt war falsch, korrupt, regellos, zumindest als er damals verurteilt worden war.
Regungslos lag er auf seiner dünnen Decke am Boden und stierte nach oben auf den stahlblauen Himmel. Ein paar weiße Wolken zogen vorüber. Bewegung, das war schön. Die Wolken hatten Formen. Ein Hund. Das Gesicht einer Maus. Ein schief gewachsener Kaktus. Ein Kreuz. Er fluchte.
Er besaß kein persönliches Eigentum, keine Familie, keine Kontakte, nichts. Zwanzig Jahre, fast siebentausendfünfhundert Tage, mehr als hundertfünfundsiebzigtausend Stunden, knapp zehneinhalb Millionen Minuten Zeitabsitzen für Taten, die er nicht begangen hatte. Der Mönch, er! Er, Lee ohne Nachnamen, sollte der Mönch sein! Ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre! Zwanzig Jahre Haft, zwanzig Jahre! Was wäre gewesen in der Zeit da draußen? Familie? Tod? Millionär? Bettler?
Er war nun über vierzig Jahre alt. Er hatte irgendwann seine Dreißiger hier drinnen verbracht. Er wusste nicht, wann sein Geburtstag war. Feiern wollte er aber nicht, Freunde kamen sowieso nicht. Vielleicht waren es auch nicht zwanzig Jahre? Es war eine Schätzung, Striche an der Wand. Würden nicht regelmäßig die Tabletten im Türschacht liegen, er hätte schon lange vermutet, dass sich die Menschheit endlich selbst ausgelöscht hatte. Seit ungefähr sechzehn Jahren hatte er keinen Menschen mehr gesehen. Nicht einmal beim Ausgang im Innenhof. In diesem Knast waren nur ein paar Hundert Gefangene und die wurden so geschleust, dass sie einander nicht begegneten. Das dachte er zumindest. Vielleicht war er der einzige und der Essens- und Wäschewechselablauf automatisiert. Aber das konnte nicht sein. Denn durchschnittlich einmal im Monat versuchte er sich umzubringen, voller Drang durchbrach er die Barriere der Medikamente, die sie ihm wie auch immer verabreichten, die ihn nicht wahnsinnig werden ließen. Mehrmals im Jahr brach er sich Körperteile. Oder trat in den Hungerstreik. Oder rastete aus. In solchen Fällen wurde er eingeschläfert und verarztet. Von wem wusste er nicht, wie lange auch nicht. Aber es lenkte ihn ab. Die Striche für diese Zeit fehlten an der Wand. Aber dies brachte ihn hier kurz raus, in eine andere Zelle, in ein richtiges Bett. Anfangs fühlte er sich beobachtet, suchte jede Ritze im Beton ab, irgendwann war es ihm scheißegal. Er würde hier sterben … irgendwann.
Und Weiterträumen … selbst nach zwanzig Jahren träumte er noch immer. Vergangenheitsgesperrte Ausgeburten seines Gehirns über sein Leben, als er selbst noch zwanzig und frei war. Zufall? Genmanipuliert, wie vielleicht alles in ihm? Warum war er dennoch nie richtig durchgedreht? In all den Jahren? Ach ja, die Tabletten.
Noch immer fixierte er den Himmel. Wie jeden Tag. Wie jede Stunde. Wie fast jede Minute. Wolken. Unendlich viele Wolken.
Zeit. Lief sie? Stand sie? Gab es wirklich Tag und Nacht? Doch die Wolken zogen.
Unerwartet drang ein seltenes Geräusch in sein Ohr. Hastig rappelte er sich auf und beäugte ungläubig die Tür. Noch ehe er die Situation zeitlich richtig einschätzen konnte, klackte das Schloss auf. Ein weißer Kerl in der Größe eines Schrankes stand im Türrahmen. Es war der erste Mensch seit … seit …
»Mitkommen zur Resozialisierung.«
+++ grußworte aus dem vatikan +++
+++ papst versucht eine neue rolle in einer gottlosen welt zu finden +++
+++ neujahrsansprache devin stervals +++
+++ städte und länder werden noch sicherer +++
+++ immer mehr menschen haben haustiere +++ kinderersatz? +++
Washington D.C.
Kirk Parker, erster farbiger US-Krisenmanagementminister und heutiger US-Controller nahm sich einen chemisch angereicherten Kaffee, der schwarz wie seine Augen war, und setzte sich auf das alte Sofa im Oval Office. Lächelnd betrat Devin Stervals das Büro und nahm in seinem Chefsessel Platz. Lässig schlug er die Beine übereinander und lehnte sich zurück. In den letzten zwanzig Jahren hatten sich nichts verändert, weder das Büro, noch ihr Aussehen, sogar ihre Frisuren waren die gleichen geblieben. Vermeintlicher Zeitstillstand.
»Sieh nur, Kirk. Das mit den Kindern hat sich bald erledigt. Der Weg für eine geordnete Gesellschaft ist bald frei. Das Leben kann beginnen. Wie du es damals gesagt hast. Geduld. Es braucht Geduld.«
»Und die Alten sterben auch langsam aus.«
»Oder sie verschwinden. Ich habe hier den neuesten Bericht.«
Stervals hob seinen linken Arm und drehte ihn etwas. In sein Handgelenk war ein goldener PA in der Größe einer früheren Streichholzschachtel eingebaut worden. Seinen Energiebedarf deckte das Gerät ähnlich einem Wasserkraftwerk durch den Blutlauf, sowie durch Körperwärme und Sonnenenergie. Der Vorteil gegenüber den alten, aber noch immer gegenwärtigen aufklebbaren durchsichtigen Folien-PAs waren eindeutig: Diebstahlsicherheit, Exklusivität, Körperverbundenheit, nochmalige Leistungssteigerung. Die animierte Statistik erschien nach einigen knappen Gesten auf ihren LensDisplays, das sich als Kontaktlinsen in ihren Augen befand und wie eine Leinwand in einem Meter Entfernung wirkte. Er bewegte zweimal den Zeigefinger, so als wolle er jemanden zu sich holen und schloss die Hand dann zu einer Faust, um die Eingabe zu beenden.
»So, der Ist-Zustand vor zehn Jahren. reAger sind natürlich ausgenommen, da gibt es keine Alten mehr. Bei den Endlichen sind fünfunddreißig Prozent über siebzig Jahre, eine irre Zahl. Die Rente und staatliche Hilfen wurden damals abgeschafft, das können und wollen wir uns auch heute nicht leisten. Die sollen alles schön selbst bezahlen. Viele Alte lebten daraufhin bei ihrem Nachwuchs, begannen sich zu Tode zu schuften, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hoffe mal, das geht denen richtig auf den Sack. Kaum noch Seniorenleben die im Netz sind. Die, die noch eine Rente ergattert haben, wohnen all-inclusive von derselben in Seniorenresidenzen und verkümmern dort mit pflegerischer Überwachung. Die reichen Friedhofsverweigerer haben noch Einfluss, sei es durch das Web, Prominenz, Ämter, Berufsfähigkeit. Ihre Kaufkraft sinkt, weil die meisten kein Geld für den Konsum haben. Die, die nichts haben, werden kriminell und verursachen in unserer Gesellschaft Kosten oder sie jobben und nehmen Robotern Arbeit weg. Fazit: Alte Menschen sind für die Gesellschaft nutzlos. Ihr Wissen und ihre Erfahrung erschöpfen sich zunehmend in einer Welt der Technik, der Dokumentation und des Fortschritts. Und heute? Die Massenabschaltungen vergangener Jahre, an denen Komapatienten und sonstiges nicht mehr allein denkendes Getier ins Jenseits befördert wurde, sind kaum mehr der Rede wert, seit es Sterbebüros gibt. Schade, dass sie nicht mehr genutzt werden, manche hängen schon sehr an ihrem Leben. Oder ihren Kindern. Und die mutieren zu Gesindel. Im Netz und in der Welt. Sie formieren sich, klauen Medikamente, sie brechen in Schönheitscenter ein und bedrohen Angestellte, sie entführen junge Menschen und lassen sich von ihnen vergewaltigen. Und wenn man sie erwischt, und man erwischt selbstverständlich fast alle, dann werden sie wieder freigelassen, weil wir keine Kapazitäten haben oder sie haftunfähig sind. Dieser pseudoähnliche Lebensabend wird zur Elendskriminalität und Schattenwirtschaft. Alleine wegen Billigpillen, Billigwohnungen, Billigärzten, die so alt sind wir ihre Kunden, verlieren wir einiges an Kohle. Wir werden das ändern. Entweder die Alten werden in irgendwelchen Familien aufgenommen und die sind für ihre Taten verantwortlich oder sie werden des Landes verwiesen.«
»Du kannst amerikanische Staatsbürger doch nicht ausweisen?«
»Das sollen Amerikaner sein? Die ihr eigenes Land betrügen und bestehlen? Staatsbürger sind per se out. Die Altersheimketten sollen ihre Gebäude in Afrika oder Lateinamerika eröffnen. Ist für sie billiger, ist für uns billiger, ist für die Alten billiger. Denen kann es doch scheißegal sein, wo sie dahinvegetieren. Afrika ist doch für einen Besuch keine Entfernung mehr! Ich würde zu gerne wieder etwas in die Ventilatoren kippen, aber leider gibt es keine Chemikalie die alt von jung und Endliche von reAger unterscheidet! Noch nicht! Aber alles nur eine Sache der Gene!«
»Beruhige dich. Du kannst von Glück reden, dass das nie herausgekommen ist über all die Jahre. Nicht nur die Bürger betrügen!«
»Ich hatte gute Helfer!« Stervals grinste Parker breit an. »Wenn die Alten alle weg sind, dann haben wir mehr reAger als Endliche. Dann können wir wieder zu einer Weltmacht aufsteigen. Die Chinesen werden wir zwar vorerst nicht mehr einholen, aber Europa und Indien. Ich will, dass die USA wieder etwas zu sagen haben in der Welt, und das funktioniert nur mit einer schlanken und einfachen Menschenstruktur. Die Achtzig-Zwanzig-Theorie muss endlich Realität werden.«
» Achtzig-Zwanzig-Theorie?«
»Zwanzig Prozent der Bevölkerung besitzen achtzig Prozent des Kapitals. Zwanzig Prozent einer unzufriedenen Gesellschaft verursachen achtzig Prozent der Demonstrationen, Anschläge und andere kriegerische Handlungen. Achtzig Prozent folgen meinungslos dem Charisma eines Führers, nur zwanzig Prozent machen sich Gedanken.«
»Letzteres kommt dir sicher entgegen.«
»Letzteres schon. Der Rest aber nicht. Weder die Kapitalverteilung, noch die Aufständischen.«
»Das wirst du bis zu ihrem Aussterben nicht verhindern können. Und selbst reine reAger werden nie ein und derselben Meinung sein.«
»Unter bestimmten Umständen und ohne äußere und störende Einflüsse kann Wasser bis minus fünfundzwanzig Grad Celsius abgekühlt werden und bleibt flüssig! Aber wenn du dem Wasser nur zuwinkst, wird es blitzschnell gefrieren, weil du etwas änderst. Und dieses Winken in unserer fragilen Zeit, das will ich verhindern! Ich will keine Änderungen von außen, ich will keinen spontanen Phasenübergang, Spontanität schließt gründliche Überlegungen aus, Spontanität ist das, was Endliche mit uns treiben, sie versuchen Änderungen herbeizuführen, Änderungen, die Einfluss auf uns reAger haben. Es muss Schluss mit Änderungen und Einflüssen sein. Schluss!«
Parker nippte an seinem Kaffee.
»Nun … es fliegt schon genug Chemie durch die Luft. Das Verlangen nach Kindern sinkt stetig, vielleicht könnten wir auch die Aggressivität ... nur leider können wir nur eine kleine unauffällige Dosis, die sofort … oder wir manipulieren Funksignale oder … «
»Nein, nein, über die Jahre wird alles zum Erliegen kommen. Meine Rage war etwas … wir haben die Zukunft, die nicht. Wir können es uns nicht leisten, der Vergangenheit hinterher zu trauern. Aber so war mit einem Schlag Schluss mit der Kindermasse. Die Fortpflanzung zu stoppen war richtig!«
»Warum bekommen manche dennoch Kinder?«
Er leerte die Tasse.
»Die Luft lässt sich hierhin wehen … dorthin, wir waren leider nicht perfekt. Das mit dem Wasser wie damals, um die Lust zu unterdrücken, funktioniert hier nicht. Es geht nicht um Lust. Bei manchen hat zudem nichts angesprochen. Junkies, Alkoholiker, Menschen ohne irgendwas Besonderen. Aber so ist es nun einmal. Kinder, Kinder … «
Er dachte an Maria, seiner inzwischen großen Tochter, an MaryLu, seiner älteren Tochter und Mutter seines Kindes. Er war tatsächlich genauso schmutzig wie die anderen. Aber er war oben. Ganz oben. Er lächelte.
+++ besucher cityofsatan: 61% der nutzer leben schon fest darin +++
+++ irgendwann absolute freiheit? +++
+++ cityofsatan: chef weiss dementiert operiermöglichkeit für endliche +++
+++ gerücht hält sich seit jahren +++
New York City, Bronx
»Scheiße, es hat sich so wenig geändert seit 2066, zu wenig.«
Rock0n trottete seiner Bandenführerin .3 hinterher, die mit strammen Schritten die Richtung und Geschwindigkeit vorgab.
»Quatsch nicht! Wir sind zwanzig Jahre älter geworden. Wir sind keine Kinder mehr.«
Scream blies eine Strähne aus seinem Gesicht, die normalerweise buschig seine Narben auf der Stirn verdeckte.
»Und sonst? Noch immer wollen wir reAger ausrotten, noch immer sind wir auf der Suche nach den wahren Gründen, warum wir das tun. Wir vergeuden unser Leben damit! Noch immer hausen wir in diesem verfickten Drecksstadtteil voller Verlierer, die noch asozialer sind als wir selbst. Zwanzig Jahre! Genau zwanzig Jahre! Lass uns das doch feiern! Schießen wir die Kugeln in die Luft, die nur unser Leben verändern. Zum Schlechten!«
»Das halbe Leben haben wir schon mit Anschlägen, Folter und Morden verbracht. Na und? Es macht Spaß! Gib es zu!«
»Haltet endlich euer Maul«, befahl .3, die den Kragen ihrer verschlissenen schwarzen Lederjacke hochstellte.
Ihr Gesicht war bewegungslos, seit sie bei einem Anschlag schwer verletzt worden war. Mit Nieten war ihr Gesicht gestrafft worden. Unter unmenschlichen Schmerzen hatte sie sich bei einem Quacksalber in Queens operieren, mit Sekundenkleber behandeln und dann ihr Gesicht schweißen lassen. Nässe und Hitze ließen den Hautfetzen und die Nerven unter einer ständigen Tortur leiden. Aber der Nietenlook wurde in kürzester Zeit zur neuesten Bodymode jenseits und diesseits der Mauern, wenn auch häufig nur angedeutet. .3 wären Kämpfer lieber gewesen, als dass sie als sexy und toughe Modeikone einer verlausten Gesellschaft missbraucht wurde. Aber alles war vergänglich. Ja, alles! Der Ursprung ihrer Vergangenheit war die lebende Vergänglichkeit, die wachsende, die sinnvolle. Für sie kämpfte sie, ohne dass es die anderen wussten.
Sie stiegen hinunter in die letzte U-Bahn-Station vor Manhattan und verschwanden in der stinkenden Männertoilette. Dort öffneten sie den stillgelegten Lüftungsschacht und bahnten sich ihren Weg durch ein Rohr, Ratten und Dreck. Lange Minuten später kamen sie an einer Station in Harlem heraus. Die in einigen Ecken unüberwachte Männertoilette war verlassen, als sie dort aus dem Schacht stiegen. Ihre Klamotten und Haare waren imprägniert, keinen Geruch anzunehmen. Sie wuschen sich kurz die Hände, beäugten sich in den zersplitterten Spiegeln und verließen das stickende Loch Richtung Oberfläche.
»Überall verbreiten sie Düfte, nur auf dem Scheißhaus nicht. Und gerade da … «
»Klappe, Rock0n. Sieh dir nur diese Leute an. Was ist nur aus Harlem geworden? Keine herumtreibenden Nigger mehr wie vor hundert Jahren, keine Unterschicht mehr wie vor zwanzig Jahren, nur noch reiche Schnösel und Schnöselinnen der Oberklasse. Es kotzt mich an.«
Sie vergruben ihre Hände tief in den Taschen ihrer Jacken, die unauffällig genug waren in einer Welt der Ewiglebenden.
»Die Sauberkeit hier ist unerträglich.«
»Erst schimpfst du und jetzt? Wohngegenden Endlicher sind Wohngegenden dritter Klasse.«
»Und außerdem zu gefährlich. Wer würde in der Bronx schon betteln wollen?«
»Die ländlichen Gegenden müssen sehr idyllisch sein. Vielleicht sollten wir New York verlassen, uns einen Partner suchen und Kinder haben. Das wollen wir doch alle, oder?«
.3 hielt an, drehte sich zu seinen beiden Kompagnons um und presste die Lippen zusammen: »Leute! Mit diesem Geschwafel liegt ihr mir schon seit Jahren in den Ohren. Macht es! Macht es einfach! Geht, verlasst die Gegend, eure Eltern und Freunde und zieht zu den ehemaligen Niagarafällen oder sonst wo hin. Schmirgelt eure Fresse und Glatze ab, entfernt die Foilings, die sich überall unter eurer Haut befinden und dann seht ihr gut und brav genug aus, um auf dem langweiligen Land nicht mehr als Städter aufzufallen.«
»Der Tag wird kommen, er wird kommen, meine liebe .3!«
Sie hatte immer gehofft, niemand aus ihrer Gang würde sich in sie verlieben. Wie lange würde das noch gut gehen?
»Lasst uns arbeiten. Und haltet die Klappe, Big Stervals is watching us.«
Ein paar Straßen weiter. Das ehemalige schrillste Werbezentrum der bekannten Welt, der Times Square, war seit drei Jahren fest in der Hand von Carl Weiss’ CityOfSatan. Umgeben von meterhohen Laserbarrieren und unzähligen Sicherheitsvorkehrungen bot die Stadt ein überschäumendes Meer an Spaß, Lebenslust, Dauerparty und menschlicher Entartung. Fun-Laser, laute Musik, Fahnen, Lichtspiele, Hologramme, gute Laune und schrille Typen tauchten den früheren überlaufenen Ort des verzückten Shoppings, der verstaubten Bühnen und des überladenen Verkehrs in einen Pool des ewigen Lebensglücks unzähliger reAger. Alles, was Konsum, Kunst, kranke und kreative Köpfe bieten konnten, fand sich hier im Herzen Manhattans, nein, im Herzen und Nabel des tolldreisten Universums wieder. CityOfSatan war explodierende Kultur und Religion, Glaube und Leichtigkeit, Sinn und Unsinn, Zuversicht und Begeisterung in Einem. Die Welt sah auf sie, sie sah auf die Welt, rüber übers Meer nach London und Paris. Über die Rocky Mountains nach Los Angeles und noch weiter bis nach Tokio bildeten beide ein virtuelles Geil-Gefühl.
Dieser kleine Teil New Yorks war die Hauptstadt der Mode, die Hauptstadt der Schönen und Reichen, der Verrückten und Neugierigen, und natürlich des Sex’ und der reAger. Aber sie bot noch mehr. Hier gab es den neuen Broadway mit Schauspiele und Tanz, Post-Metal und Fresh, Kunst jeglicher Art, unendliche Partys in Clubs, Diskos, Casinos, Bordells und Cafés, heiße Mädels, coole Jungs, tiefe seelische Abgründe und unendliche Paranoia, unvorstellbarer Fetisch und Bondage und sogar wieder Drogen, Seele und Geist. Das Leben feierte sich und den Menschen. Die CityOfSatan hatte ihren Wandel vollzogen, von virtuellen Geschäftigkeiten und Geschäften hin zu wahren menschlichen Begegnungen und Gegenden, fast so wie es einst vor hunderten von Jahren war, als Dekadenz und Orgien der reichen Renaissance herrschten. Die Bodenständigkeit der Zivilisation bot aber auch normale Einrichtungen wie Alltagsläden, Schwimmbäder, Fitness-Center, Schönheitszentren, Wellness, Drogen- und Happyshops, Virtuelles oder kleinere Sportanlagen. Weiss träumte von einem eigenen Stadion, einer Arena der Superlative. Irgendwann würde er sein Gebiet bis zu den Stadien und Superdomes der Stadt ausgeweitet haben und Platz für eine Umsetzung finden.
Einige verließen diesen Ort nicht mehr, bis das Geld sie verließ, andere konnten es sich leisten, für ein langes Immer hier zu bleiben und sich einfach gehen zu lassen.
Die Schattenseiten wie Müll und Dreck wurden einfach beiseite geschoben und traditionell in unendlichen ländlichen Gebieten entsorgt, der stehenden Hitze in der Stadt wurde mit weiteren kühlenden Wasserfällen, die von Grünen Wolkenkratzern hinunter rauschten, erfolgreich der Kampf angesagt. Abwasser und andere Ausscheidungen der Zivilisation wurden gar aufbereitet und wiederverwertet. In Wolkenkratzern wurden Getreide und andere pflanzliche Lebensmittel angebaut, in Exekutionscentern Teile von Tiere geklont, gezüchtet und pseudogeschlachtet. Das Fleisch wurde wie früher üblich zum Verzehr genutzt oder für die Freunde des ungewöhnlichen Fetischs zum rohen Sex.
Carl Weiss beobachtete zufrieden die bunte und laute Dauerfete. Er stand still am Fenster seiner kleinen Wohnung, die er schon als Bischof besessen hatte. Aus drei sanierten Häuserblocks war eine gigantische Welt der Erwachsenen, eine Welt voller Trubel, Heiterkeit, Abgründe des Unvorstellbaren geworden. Jeder war für sich selbst verantwortlich, es gab keine Eltern, die darauf achten mussten, was ihre Sprösslinge sehen oder nicht sehen durften oder ob sie mit zu luftigem Outfit irgendjemanden provozierten und deshalb bestraft werden konnten.
Freiheit!
Aber noch immer musste er seine Gäste am Eingang kontrollieren lassen, denn noch immer gab es Kinder und Endliche da draußen! Es war frustrierend. Die gesamte Welt sollte so sein wie diese. Aber er hatte auch einsehen müssen, dass es eine Art Polizei und Eingreiftruppe brauchte. Und zwar weil manche Menschen böse waren, krank im Hirn, Neider, Kannibalen, Radikale in jede Richtung. Irgendwann würde Dr. Antonio das abstellen können, dieses Ungesetzliche, dieses Geschmacklose, auch wenn es auf Kosten seiner Einrichtung und dem freien Menschenwillen ging.
Dr. Antonio … sein persönlicher Held. Dank Dr. Antonio wäre er an sich in der Lage, Menschen zu reAgern zu operieren, die es zum Beispiel legal niemals geschafft hätten. Alles stand bereit, jederzeit hätte er damit beginnen können, doch die UNO-Verordnung und deren scharfe weltweite Überwachung schwebten wie ein Damoklesschwert über der Idee. Andere hatten es bereits probiert, hatten diesen Service illegal angeboten, einige wurden offiziell festgenommen, andere verschwanden spurlos, viele waren ehemalige Ärzte von LifeGenom. Die CIA galt inzwischen als Haus-Security des mächtigen Konzerns um USChief Devin Stervals und der UNO. Er konnte nur warten, bis doch irgendwann der Zeitpunkt kommen würde und er alle zu reAgern machen konnte, egal ob Vater oder Mutter, nur Kinder waren außen vor, nur Erwachsene durften operiert werden, ein eisernes und zudem logisches Gesetz. Aber der Tag würde kommen, irgendwann!
Wöchentlich starben zwei bis drei Menschen an perversen Spielchen, weitere waren sich des ewigen Lebens überdrüssig und gingen in die SuicideBar um sich Tipps für den richtigen Tod zu holen oder sich gleich an Ort und Stelle eliminieren zu lassen. Die Leichen wurden wie früher in Klappen entsorgt und verbrannt. Doch davon war Weiss meilenweit entfernt. Er war froh, dass er aus seinen Gedanken gerissen wurde.
»Hallo Carl, mein Schatz!«
»Oh, hallo, Sam! Du siehst wunderbar aus.«
»Stell dir vor! Dr. Antonio und sein Team stehen kurz vor einem wichtigen Durchbruch!«
»Was kann noch wichtiger sein als das ewige Leben?«
Er küsste Samantha zärtlich auf den Mund. Seit sie mit Weiss zusammen war, trat sie kaum noch als Mann in Erscheinung und doch nannte Carl sie so: Sam.
»Die Jungs haben es geschafft, dass sie unbenutzten Zellen in unserem Körper sagen können, was aus ihnen werden soll.«
»Das … wäre das Ende der GenBox! Und eine Erleichterung, sollten wir irgendwann … Menschen operieren!« Die GenBox blieb weiterhin ein Problem. Menschen mit Verletzungen mussten sich noch immer an die Center von LifeGenom wenden. »Sie sind wirklich wahre … Alchimisten, die Jungs im Labor!«
»Und für mich als CrossSexuelle ist das die Offenbarung! Hoffe, das stört dich nicht!«
Sie schmiegte sich innig an ihm.
»Nun … ein Problem hätte ich damit schon, muss ich sagen.«
»Lass dich zur Frau löchern und wir können miteinander wie wir wollen!«
»Das muss ich mir erst noch überlegen. Aber das wäre wirklich fantastisch. Damit wären Dr. Antonio und seine Leute schneller als LifeGenom und andere Firmen. Ist das zu fassen?«
»Die Abwerbungen müssen ja mal Erfolg haben, Carl. Komm, lass uns ficken gehen, Küche, OP-Saal, Kerker, Gruft, Folterkammer, Schlachthaus, die Alte Gerberei … was du willst.«
»Es ist zwar Zeit für meinen Rundgang, aber warum nicht?«
»Du mit deinen Rundgängen. Überall Kameras, aber Rundgänge!«
»Die Kameras werden irgendwann abgeschaltet, wenn die Zeit reif ist. Zudem muss ich Präsenz zeigen!«
»Aber nicht so oft wie du.«
»Gehen wir!«
Sie verließen Arm in Arm die Wohnung, ließen sich auf dem Times Square von den Massen und der Musik treiben, Kunden grüßten sie und bedankten sich bei ihnen, nach all der Zeit, nach nun mehr zwanzig Jahren Ewigkeit. Sie flanierten an Shops und Clubs vorbei und betraten schließlich das unverschämt luxuriöse Bordell aus rotem Samt, weißem Marmor, goldenen Lüstern und rosigem Geruch.
Es war nur eine kleine zuckende Bewegung der nackten Empfangsdame hinter dem Tresen, die Weiss irritiert hatte. War sie überrascht, dass er sich hier den fleischlichen Gelüsten hingeben wollte, oder hatte sie etwas zu verbergen? Er ließ seine verblüffte Samantha los und ging zielstrebig hinter die Theke. Unzählige kleine WallScreens lagen auf dem Tisch, jede mit eindeutigen Posen und Bewegungen. Zwei stachen Weiss sofort ins Auge. Er stieß die junge Frau beiseite, er eilte die Treppen hoch und Gänge entlang. Ohne Zögern trat er ins Zimmer 69 ein.
»Oh, äh … hallo Carl!«
Hastig legte Dr. Antonio seine Partnerin wie eine Puppe zur Seite und zog sich geschwind eine Decke über seinen nackten Körper. Weiss trat zu ihm ans Bett. Das Mädchen mit den kaum vorhandenen Brüsten versteckte sich hinter einem weißen Laken. Zögernd hob Weiss den Zeigefinger und deutete auf sie.
»Wie alt ist … das Mädchen?«
»Nun … siebzehn.«
»Siebzehn? Siebzehn Jahre? Das glaubst du doch selbst nicht. Sie sieht aus wie elf oder zwölf! Endliche oder Kinder sind hier nicht erlaubt. Und sie ist definitiv keine einundzwanzig Jahre alt und damit kein reAger! Wo hast du es überhaupt her? Es gibt kaum noch Kinder in diesem Land! Ich habe schon fünf Jahre keines mehr gesehen. Also, wie alt? Und woher?«
»Das … nun, damals war sie auch erst … zwölf ... «
Dr. Antonio hob schüchtern die Hand und bewegte die Finger so, als wolle er die Einundzwanzig in eine Zwölf tauschen.
»Zwölf Jahre? Scheiße, sie ist zwölf Jahre alt?«
»Sie war … nun ist sie … na ja … «
Das Mädchen mit den braunen Augen und Haaren versteckte sich noch weiter unter der Decke. Weiss’ Augen funkelten wie die eines provozierten Löwen.
»Du ... pädophiles Schwein!«
»Mein Gott, sie waren auf der Straße, wir haben sie mitgenommen und operiert.«
»Sie? Das heißt, es gibt mehrere? Und wer ist wir?«
Samantha erschien an der Zimmertür, sie war dem Lärm gefolgt. Perplex blieb sie im Türrahmen stehen. Seit unzähligen Jahren hatte sie kein Kind mehr gesehen. Und noch nie in so einer abartigen Szene. Ihr wurde schlecht.
»Es gibt fünf Mädchen, Carl. Sie wohnen schon seit Jahren hier. Du hast nie was gemerkt! Sie sind der Renner! Warum glaubst du, dass dieses Bordell hier am meisten Gewinn abwirft? Weil du mit einem Mädchen ficken kannst, das nie älter wird! Immer zart, immer rosa.«
»Du … bist pervers und krank.«
»Ich? Sieh dich doch mal um! Das ist dein Reich! Du hast es erschaffen! Hier gibt es Typen, die schlagen sich den eigenen Schwanz ab und stopfen ihn danach hinten in sich rein oder blasen sich selbst einen, bevor sie ihn nachwachsen lassen! Da draußen sind Boxringe, wo sich wildfremde Menschen die Fresse polieren, sich die Eier abreißen und danach verspeisen. Was ist pervers?«
»Die wissen worauf sie sich einlassen! Aber das hier sind Kinder! Kinder, verdammt!«
Weiss drehte sich weg, er steuerte auf das Fenster zu und fixierte einen imaginären Punkt auf der belebten Straße. Seine Gedanken wirbelten, der Kopf schmerzte. Kinderpornographie, Kinderschändung, Kindesentführung … in seinem Showpark. Er war geschockt, der Schweiß rannte über seinen Körper, seine Kleidung versuchte ihn aufzusaugen und über die Luft wieder freizugeben.
»Was sagst du dazu, Sam?«
»Sollten dies die einzigen reAger-Kinder der Welt sein, werden sie an dem Tag, wo es keine normalen Kinder mehr gibt, die Attraktion auf dem Mittelalterjahrmarkt oder Zoo sein.«
»Das ist alles was dir dazu einfällt? Ein Zoo? Besichtigungsobjekte? Die Kinder wurden seit fünf Jahren dutzende Mal vergewaltigt!« Er raste auf Dr. Antonio zu, der sich inzwischen aus dem Bett gewunden hatte und die Hose hochzog. Das tätowierte Wappen des Vatikans auf seinem alten Oberkörper wirkte wie blanker Hohn. »Wieviel habt ihr bekommen, als sie entjungfert worden sind?«
»Für sie hier nichts, das war ich selbst.«
Er sagte es mit einer Überzeugung, mit einer Arroganz, mit einer Selbstverständlichkeit, die Weiss von Dr. Antonio so noch nie erlebt hatte. Was war aus dem Mann der Kirche geworden, einem Mann, der stets bescheiden und keusch gelebt hatte? War das die Ursache für sein Verhalten? Die tägliche Lust und Abartigkeit hier? Langeweile? Nachholbedarf? Sowohl an Kindern, als auch an Sex?
Dr. Antonio spürte Weiss’ aggressive Gedanken, er wurde wieder kleinlaut: »Das gesamte Gen-Team ist beteiligt. Wir haben uns verleiten lassen, als wir damals unterwegs waren … das neue Labor zusammenzustellen. Die Jungs haben wir laufen lassen, die wollten nicht. Wir haben pro Mädchen und Entjungferung zwei Millionen NewDollar genommen.«
»Zwei … heilige Scheiße.«
Weiss taumelte innerlich, fasste sich an den Kopf und ließ sich fassungslos in den kurz vor der schwarzen Wand stehenden Sessel fallen.
»Die haben wir ordnungsgemäß verbucht. Wir haben nichts in die eigene Tasche gewirtschaftet.« Nun kam der Doc auf Weiss zu. Er beugte sich zu ihm nach unten, während er sein konservatives Hemd zuknöpfte. »Du bist der Chef. Sollte es jemals so etwas wie eine Steuerfahndung bei uns geben … dann steckst du mitten drin. Also lass uns das Vergnügen mit den ForeverTwelves. Und wie Sam schon sagte, sie haben ein sorgenfreies Leben vor sich. Und das Zeug in ihrem Kopf ist bei weitem nicht mehr kindlich. Sie sind nicht mehr kindlich. Sie sind wie wir.«
Er streifte sich lässig seine Jacke über, schlüpfte salopp in die Slipper und verließ an Samantha vorbei den Raum.
Das Mädchen ließ langsam die Decke herunter.
»Lust auf einen flotten Dreier?«
+++ endgültige abschaffung von kindersitzen +++
+++ in flugzeugen, freizeitparks, restaurants +++
+++ kinderspiel-industrie faktisch nicht mehr vorhanden +++
+++ ewiger krieg ums wasser in afrika eskaliert weiter +++
+++ uno-truppen ohne chance gegen wasser-mafia +++
Supermax-Gefängnis in Alaska
»Schneller gehen!«
Unbewusst hatte er seine Geschwindigkeit reduziert. Lees Blick schweifte durch ein Panoramafenster entlang des endlosen Flurs. Grün! Gelbe Tupfer! Es war fasziniert von den neu entdeckten Farben. Die saftigen Wiesen Alaskas, die strahlend in der herrlichen Sonne lagen und deren Halme sich im Wind wiegten, die undurchsichtige Luft mit dem klaren Blick auf die Berge, deren Wipfel sogar kleine Schneehauben hatten, der wunderbare Geist der friedlichen Natur. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, es war die Zeit, die Seele aufzutanken, sein Herz in ihm ging auf und zelebrierte die schönsten Schläge seit langem. Als er schließlich noch einen Wasserfall entdeckte, das frische und tanzende Wasser, das sich freudig nach unten stürzte, war der Lebensmut in ihm endgültig zurückgekehrt. Die Quelle des Lebens …
Der Weg führte den bulligen Wärter und Lee zurück in die sterilen Gänge des schweigsamen Knastes. Sie durchliefen mehrere Schleusen, bis sie vor einer Stahltür anhielten. Die Tür öffnete sich automatisch und Lee schritt hinein, die einfachen Metallhandschellen wurden ihm entfernt. Als erstes entdeckte er ein Fenster, ein Fenster, so groß wie eine Wand, sicher unzerstörbar, aber ein Fenster, ein sauberes Fenster, ein durchsichtiges Fenster, ein Fenster mit Licht und Landschaft! Das Paradies! Wie die Zelle. An den seitlichen Wänden befanden sich übereinander jeweils zwei Pritschen, an der Seite der Zellentür ein Waschbecken, eine zeitgesteuerte Dusche und eine primitive aber richtige Toilette, alles aus unzerstörbarem Stahlbeton. Die Zelle war bereits belegt, zwei Gefangene lagen in den oberen Kojen. Einer drehte den Kopf und beäugte argwöhnisch den Neuen, der andere stierte die Decke an. Die Tür fiel krachend ins Schloss.
»Kommst du aus der Isolationshaft?«
Alle Insassen waren haarlos. Sie taten irgendetwas ins Essen und wer wusste, was sonst noch. Der linke schweigende Kerl wirkte zierlich, ohne Wimpern und Augenbrauen kindlich weiblich, während der andere, der Lee mit tiefer Stimme angesprochen hatte, mit seinem großen Kopf bullig und bedrohlich aussah. Bulle setzte sich auf, seine Füße hingen in der Höhe von Lees Kopf.
»Ja. Etwas um die zwanzig Jahre«, antwortete Lee. Die erste Antwort, die er gab nach … nach … er wusste es nicht.
»Donnerwetter. Da kann ich mit meinen zehn nicht mithalten. Massenmörder?«
»Ich bin unschuldig hier drin.«
»Ha, ha, ha! Das sagen sie alle. Außer ich. Hab meine Mama umgebracht. Und meinen Papi. Sie gingen mir auf den Sack. Puff, puff, weg waren sie! Es war meine Professionalität, was mich hierhergebracht hat, die Richter nannten es Kaltblütigkeit.«
»Was soll das hier? Was meinte der Kerl mit Resozialisierung?«
»Ach, sieh dir die Natur da draußen an. Die Fenster sind immer sauber. Die wollen, dass du wieder Freude hast, und wieder mit Menschen sprichst. Ist richtig schön geworden hier. Früher war das angeblich anders. Hier müssen Unmengen an Schnee gelegen haben und das so intensiv, dass du innerhalb weniger Stunden schneeblind warst.«
»Wie lange soll das gehen?«
»Keine Ahnung! Mache das auch das erste Mal mit. Such dir ein Bett. Vielleicht kommt noch jemand, ich weiß nicht. Der Kerl da drüben redet überhaupt nicht. Er glotzt nur. War wahrscheinlich zu lange in der Isolation. Sieh ihn dir an. Typisches Opfer von Weißer Folter. Er kommt hier nicht mehr heraus. Da helfen nicht mal Kopfpillen, der ist hinüber. Die verklappen ihn hier drin. Keine Ahnung, warum er überhaupt hier bei uns ist.«
»Und wir?«
»Wir werden nicht verklappt. Wenn wir uns gut benehmen. Sieh ihn dir an. Kaum Wahrnehmung. Vielleicht Depressivität. Der ist eigentlich schon tot. Ich habe mir meinen Außenreiz über das Loch in der Decke, über den Himmel geholt. Sonst gehst du drauf. Seine Haut … fast schon zerfressen, sehr dünn. Hab ihn angesprochen, er reagiert nicht. Aber er hat vorhin mal gelächelt, einfach so. Wer hier lächelt, ist wahnsinnig geworden. Bist du ein echtes Schlitzauge aus dem Kommunistenstaat?«
»Ich stamme aus China. Ich wurde als der Mörder von reAgern verurteilt. Ich soll der Mönch sein, ich!«
»Der Mönch? Selige Kacke, ich war damals schwer beeindruckt, als ich von den Typen hörte, der die reichen Schnösel da um die Ecke bringt. Allein dieses Mordspektakel auf dem EmpireStateBuilding. Wow! Einfach nur wow! Wollte auch reAger werden, hatte kein Geld, bekam keinen Kredit … vielleicht, wenn ich raus bin, meine Strafe erlassen ist und noch lange genug lebe. Ob ich dann in diesem alten Körper ewig leben will, keine Ahnung, aber es hilft einem zu überleben, ein Ziel zu haben. Vielleicht gibt es das auch gar nicht mehr! Vielleicht war alles ein Irrtum und die sogenannten reAger sind alle schon verreckt. Wer weiß, wie die Welt aussieht, wenn wir hier wieder raus sind.«
»Raus … ein Traum!«
»Zweiundzwanzig Jahre sind das Maximum!«
»Wir sollen zwei Jahre hier zusammen in diesem Raum bleiben?«
»Ich nicht, ich komme bald raus. Aber du!«
+++ gesetzesblog von stervals im netz +++
+++ er will die alten endlichen aus dem land haben +++
+++ alte menschen entsetzt +++
+++ »gesellschaftlich unbrauchbar« +++
+++ einige reAger verteidigen gesetzentwurf +++
+++ zukunft! +++
Hazienda nahe Rio de Janeiro
»Nein, Maria, ich kann da leider auch nichts tun!«
Dr. Hasler hatte die Schädeldecke vorsichtig angehoben und beiseite gelegt. Er verteilte zielstrebig unzählige Plättchen im Gehirn des alten bewusstlosen Mannes, der ruhig und intensiv atmete.
Erneut trat sie auf ihn zu: »Aber du musst mir helfen! Es kann doch nicht so schwer sein!«
»Es ist auch nicht schwer« Er blickte tief in ihre auflammenden Augen. »Es ist schlicht unmöglich. Überlege mal, das ist dein Ausweis, ein Leben lang!«
»Ich kann doch nicht ewig hier bleiben!« Maria Stervals drehte sich in dem fensterlosen Labor im Kreis und seufzte. Ihre langen naturblonden Haare waren noch ungekämmt. Sie lagen wirr übereinander, was ihrer Ausstrahlung aber keinen Abbruch tat. »Und das nur, weil ich nicht offiziell geboren bin.«
»Sicherlich gibt es auf der Welt Länder, wo du mit dem Geld deines Vaters gut und anonym leben kannst, wie Töchter oder Geliebte von Diktatoren. Denk dran: Wenn bekannt wird, dass du existierst, dann sind deine Mutter und dein Vater tote Leute. reAgern ist es nicht gestattet, Kinder zu haben, was normalerweise auch gar nicht möglich ist. Und wenn, dann werden sie hingerichtet. Barbarisch, aber konsequent, egal ob Absicht oder nicht, egal ob wissentlich oder nicht, egal ob wissenschaftlich oder nicht, egal ob dein Vater Immunität genießt oder nicht, die Todesstrafe ist richtig. Zumindest in dem Fall, denn es gibt nichts schlimmeres, als ein Kind auf die Welt zu bringen und damit auch zwei Generationen auf der Welt zu haben. Ein Unding! Das kuriose ist, dass dein Vater selbst diese … Reform des Lebens auf die Welt gebracht hat. Du solltest deinen Eltern also dankbar sein, normalerweise wärst du nichtexistent.«
»Mein Vater … reichster Mann der Welt … er führt eine der größten Nationen dieser Erde, aber er verleugnet seine ach so geliebte Tochter und das erfolgreich seit zwanzig Jahren. Ich will raus hier, raus aus diesem Goldenen Käfig. Und ich weiß auch schon wie. Wie sieht es aus, Doc? Deine Gehirnforschung ist doch auch sehr inoffiziell, oder?«
»Nun, die internationalen Rechte sind sehr eingeschränkt in Bezug auf …Gehirnmanipulationen. Dein Vater weiß nicht, dass ich hier einen, sagen wir, Freiwilligen habe. Zudem ein Paradeexemplar.«
»Hier verheimlicht scheinbar jeder was. Wenn ich es schaffe, hier rauszukommen, brauche ich Unterstützung. Und du brauchst Unterstützung, um deine Ergebnisse der Forschungswelt vorzustellen. Unsere Zeit ist bald gekommen!«
+++ geräte zum implantieren im körper noch immer der neueste schrei +++
+++ experten warnen vor cyborg, einem mensch aus fleisch und stahl +++
+++ aus dem vlog stervals +++
+++ »alte menschen verwehren sich neuen technologien +++
+++ sie warten nur auf den tod« +++
New York City, Manhattan
»Doc, spritz ihnen was. Östrogene, Hormone, irgendwas, um sie in die Pubertät zu schieben! Zudem brauchen sie psychiatrische Betreuung. Das bist du mir schuldig!«
Carl Weiss und Dr. Antonio saßen im halbdunklen Chefbüro am Ende des Straßenzuges. Das diffuse Licht half ihnen, mit der gespannten Situation fertig zu werden, denn sie taten sich schwer, sich in die Augen zu blicken. Vorwürfe und Entschuldigungen hatten nur verbal eine Chance.
»Östrogene müssten entzogen werden. Zuviel bedeutet Wachstumsstopp. Im Prinzip ist es auch ein Experiment. Wie verhält sich die Genmanipulation, die Unsterblichkeit und so weiter in Bezug auf Wachstumsfuge, Pubertät und sonstigen Wachstumskennzeichen?«
»Doc, bist du wirklich der, für den ich dich halte? Du trägst das Zeichen des Vatikans noch immer auf deiner Haut. Ich weiß, ich habe dich gezwungen hier Sachen zu tun, aber was du nun aus freien Stücken … ein Menschentester, ein Kinderschänder, ein würdeloser Ficker vor dem Herrn … ich … sollte es dir das Wappen vom lebendigen Leib ziehen!«
»Es war die Fülle an Möglichkeiten, die mir hier mit einem wunderbaren Team geboten wurden. Es hat … mich einfach überrollt. Ich wollte endlich wissen, ob unsere Ergebnisse funktionieren!«
»Was tun wir mit den Mädchen?«
»So lassen. Sie sind integriert, haben keine psychischen Schäden und … «
»… haben eine ausgeleierte Vagina und sind vollgepumpt mit Medikamenten!« Weiss verlor langsam die Fassung. »Vielleicht sollten wir sie aufpushen, mit Brüsten, Ärschen, Falten! Bestimmt füllt das auch ihre psychische Leere aus!«
»Carl, wenn du eine Welt willst, die die ungezügelte Freiheit und damit Barbarei des Menschen darstellt, wirst du damit leben müssen. Wie die Opfer dieser Lebensform auch. Nimm dir eine, vögele sie durch und es wird dir gut gehen!«
Der Vulkanausbruch stand kurz bevor. Hätte Weiss eine Waffe gehabt, er hätte den Doc ohne zu Zögern eine Kugel zwischen die hirnbestimmenden Eier gejagt. Doch er zog einen Themenwechsel vor.
»Ihr habt es geschafft, Zellen zum Nachwachsen zu bekommen?«
»Ja, im Prinzip ist das ein alter Hut, nur beim Menschen gab es noch Mutationen, deswegen wurde es nie erlaubt und der Umweg über die GenBox gegangen. Vielleicht hat LifeGenom das Geheimnis auch schon gelüftet, aber die Dauervermietung einer GenBox bedeutet dauerhafte Geldeinnahmen. Also, warum ändern? Wir gehen den anderen Weg. Dass mit der GenBox lohnt sich nicht. Die Gründe kennen wir. Wir haben die Erkenntnisse aus den ... jungen reAgern zugrunde gelegt.«
»Verflucht, ihr habt was?«
Sie kamen doch wieder auf das Thema zurück. Er brodelte sofort wieder.
»Na, das Problem ist doch, dass durch die Operation zum reAger der Alterungsprozess ausgeschaltet wird. Sollte das Wachstum mit ausgeschaltet sein, wären auch die Gene ausgeschaltet, die die Signale zum Ausbilden von Zellen weitergeben. Aber die Kinder wuchsen, Wachstumsfuge, Zellen, gewisse Gene, sie waren davon ausgeschlossen! Sie wurden größer, aber nicht älter, hatten noch ihren Willen und wir hatten über einen Signalweg die Möglichkeit, das Verhalten und die Befehlsgewalt einiger Gene so zu ändern, dass diese Zellen animierten, sich zu Knochen, Haut, Muskeln und so weiter zu bilden und das korrekt!«
»Das heißt, ich könnte mir den Arm abschlagen und er würde nachwachsen?«
»Ja, und das sogar ziemlich schnell. Drei, vier Wochen. Und wenn wir das eine oder andere Mittelchen noch hinzufügen … ein paar Tage. Dann kannst du dabei zusehen.«
»Für die Perversen da draußen ist das eine gute Nachricht.«
»Für Stervals und LifeGenom einer eher schlechte.«
»Kann man das patentieren?«
»Ein Grundpatent ist vorhanden. Wir sollten es versuchen.«
»Ohren aus dem Bauch heraus, Penis zwischen den Augen … alles möglich?«
»Theoretisch ja! Ob deren Aufgabenbereich aber funktioniert testen wir noch aus. Aber eher nicht, es fehlen ja die Zuleitungen, die Kanalisation und Anschlussmöglichkeiten im Körper. So zur Staffage … auf jeden Fall.«
Die Cam erfasste die Bewegungen und die Kopfformen der drei Attentäter, analysierte den Inhalt des kleinen Päckchens und rechnete durch, ob eine Verwarnung direkt an den potentiellen Gesetzesbrecher nötig war oder es besser wäre, Hilfe anzufordern und die Gegend zu räumen. Das Programm entschied sich für Letzteres und schlug unmittelbar stillen Alarm. Die Gäste, alarmiert über ihren PA, eilten panisch aus dem Restaurant, während .3 und ihre Gang überrascht aufblickten.
»Scheiße, die haben uns! Zünden!«
Rock0n drückte ruhig den kleinen Auslöser und warf die Minibombe durch das offene Toilettenfenster. Dann rannten sie los. Eine ohrenbetäubende Explosion ließ das Mauerwerk leicht wie Pappe nach außen fallen, Menschen schrien, Trümmer, Qualm und Staub wirbelte durch die Luft, Sekunden später kreisten die ersten Drohnen über dem Tatort, bauten eine Verbindung zu den Stadtsatelliten auf und verfolgten alle sich im Umkreis bewegenden Menschen. Die normalen Cams analysierten aufgrund der Körperformdaten jeden einzelnen Passanten. HouseClimber, kleine Roboter, die mit Vakuum-Technik an den Hauswänden entlangliefen und gefährliche Risse, Spalten oder Unebenheiten im Mauerwerk ausmachten, piepten aufgeregt und geschockt über die defekten Wände und suchten chaotisch nach Lösungen und Wegen.
.3, Rock0n und Scream trennten sich und suchten Wege in den sicheren Untergrund. Sie vermieden es, zu laufen, zu hetzen, sondern bewegten sich ruhig und unnormal fort. In die Backen hatten sie Watte gestopft, um ihren Kopf wurde ein provisorischer Turban gewickelt, und die Klamotten wechselten ihre Farbe, um verfremdet für die Cams zu sein. Das Schwierigste aber war, nicht nervös zu wirken. Dann verschwanden sie von der Bildfläche. Unter der Erde hasteten sie durch verlassene und unbenutzte Röhren und Tunnel, wateten durch Wasser und Abwasser, jagten an Ratten und anderem Getier vorbei und rangen den Gestank und Ekel nieder. Immer tiefer drangen sie in die Wurzeln New Yorks ein, aber sie versuchten den zahllosen Minen und Stollen unter der Stadt aus dem Weg zu gehen. Unzählige Arbeiter ackerten beim UrbanMining nach vergessenem Kupfer, nicht mehr benötigtem Stahl und anderen wertvollen Gütern und Rohstoffen verlassener Häuser, die vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten verbaut, versenkt, verschüttet, zerbombt und nie recycelt worden waren. Es war ein hartes, gut bewachtes und lukratives Geschäft. Irgendwann sollte sich New York zu einer Green City mausern, einer Stadt, die sich selbst wiederverwertete, wie schon so viele andere.
Erschöpft trafen sie sich drei Stunden später in der Bronx wieder, sie hatten es geschafft. Aber die Ernüchterung kam schnell.
»Leute, wir lassen das. Wir hantieren wie Amateure. Das bringt nichts mehr. Die sichern ihr Gebiet immer besser ab. Nein, sie sichern es immer schneller.« .3 konnte kaum atmen. Ihre Coolness war ihr abhanden gekommen, ihre Nieten im Gesicht funkelten unter dem Schweißfilm nur noch schummrig hervor. »Wir müssen andere Wege finden, um die reAger zu ärgern. Wir werden langsam zu alt für so etwas.«
».3! Die Demo beginnt gleich! Wir müssen uns noch vorbereiten.«
+++ attentat auf reAger-treffpunkt-restaurant in manhattan +++
+++ keine toten +++ täter flüchtig +++