unsterblich 5 - Oliver Marco - E-Book

unsterblich 5 E-Book

Oliver Marco

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Beschreibung

Das Jahr 2086, zwanzig Jahre nach der Erschaffung des ewig lebenden Menschen und einer Umwälzung der Gesellschaft und ganzer Staaten. Neue Möglichkeiten der Körpermanipulation entfachen unter den reAgern, vor allem in den USA, einen weiteren Hype. Doch das Gebilde ist fragil. Noch gibt es zu viele Endliche: Menschen, die sterben und Menschen, die sich nicht mehr vermehren können. Das vermeintlich letzte Aufbegehren beginnt, angeführt von einem Mann mit historischer Bedeutung. Die einst stolzen USA drohen zu implodieren. Ein fataler Irrtum inmitten dieser Krise bringt die eigentlich ewig leben wollende Menschheit endgültig an den Rand ihres Daseins. Doch sie kämpft. In den Wirren dieser radikal veränderten Umwelt suchen Maxx und sein Zwillingsbruder Smoath verzweifelt einen letzten Ausweg aus der bevorstehenden Apokalypse, während ihre Freunde auf dem Weg in die Hölle sind.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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oliver marco

un:sterblich 5

:: eine endliche welt ::

DER SCIENCE FICTION ROMAN

5

] DER VERRAT [

{buddha: die zeit ist ein großer lehrer. das unglück: sie tötet ihre schüler.}

Wien, Neujahr 2088

Der turnusmäßige UNO-Vorsitzende, Monsieur Nicolas Jobin, reAger, trat an das Rednerpult.

»Die Lage ist ernst, sehr ernst. Neben den Kriegen, Hunger- und Klimakatastrophen in Afrika und Teilen Asiens ist die Sorge um die zunehmende Abschottung und innere Zerrissenheit der USA groß. Der Anschlag auf unser Gebäude in New York City war der traurige Höhepunkt einer Verkettung von unglücklichen Umständen seit der Übernahme der Regierung durch Maria Stervals. Endliche werden nachweislich schikaniert, reAger bevorzugt, die UNO geschwächt und bloßgestellt, das UnitedWorldNet wurde landesweit abgeschaltet, der Supervisor David ist verschwunden, was auch das restliche Netz in der Welt hart trifft, obwohl das Netz wie gewohnt arbeitet, leider ohne die USA. Die Unfruchtbarkeit im Land und der daraus entstandene Zorn der Endlichen werden nicht durch Worte und Aufklärung, sondern durch Gewalt und Unterdrückung bekämpft. Das Fehlen des amerikanischen Vertreters hier in dieser Runde verdeutlicht dies in erschreckender Art und Weise. Es ist der Auftrag der UNO etwas zu tun, wenn Menschen zu Schaden kommen.«

Der Vorsitzende der Ewigen Jungen Republik China, Wang Jian, meldete sich zu Wort. Langsam stand er auf.

»Verehrter UNO-Vorsitzender, liebe Mitglieder. Wir verstehen die Maßnahmen der USA und wollen in keinem Fall eine Resolution oder dergleichen unterschreiben. Wir hatten ähnliche Probleme in unserem Land. Sie alle haben ähnliche Probleme in Ihrem Land, sobald Sie einen reAger als Bürger haben. Diese beiden Gesellschaftsordnungen Endlich und Ewig können nicht miteinander existieren. Es ist der Neid, die soziale Komponente und die familiären Verhältnisse, die es nicht zulassen, nebeneinander in der Stadt zu gehen. Die Wut der Endlichen über das Virus, dass sie um die Fortpflanzung brachte, ist unbestritten, aber nicht mehr zu ändern. Was sollte da noch Aufklärung bringen? In den letzten zehn Jahren scheint sich das Virus verflüchtigt zu haben. Teile Kanadas und Mexikos waren betroffen, aber sonst wurde es nicht übertragen. Wir werden immer wieder Grippewellen und Pandemien haben, die wir nicht erklären können und Reaktionen schwerfällig machen und uns vielleicht irgendwann sogar an den Rand einer Ausrottung bringen können. Eine Einmischung in das Innere eines Staates lehnen wir strikt ab. Wir sollten aus der Geschichte lernen.«

Jobin nahm das Wort wieder auf.

»Wenn China von vornherein ein Nein verlautbaren lässt, können Europa, Indien oder Russland schon nichts mehr ausrichten, da einige Länder auf jeden Fall für eine Resolution wären. Mein Vorschlag ist daher: Abwarten.«

»Ich kann mich dem nur anschließen.«

Timothy Sadhi, endlicher Führer Indiens, war neben Jobin getreten. Indien, nach China die Großmacht Asiens und der Welt, ein Wort aus dem Subkontinent galt als gewichtig. »Das Netz abzuschalten ist hart, aber wenn es die einzige Möglichkeit ist, gegen die Unterwanderung anzukämpfen, dann soll es so sein. Die Trennung zwischen Endlichen und reAgern ist in Ordnung, es kann nicht überall so funktionieren wie zum Beispiel hier in der UNO. Beobachten und Eingreifen ist der richtige Weg. Und das sage ich als Endlicher!«

Der Vertreter des Vatikans, Kardinal Luzius, sprang auf.

»Aber … was ist mit den Gläubigen? Ihre Kirchen, Synagogen und Moscheen brennen, die Satelliten zeigen Rauchwolken über jeder Stadt, Gotteshäuser, Zeichen des Friedens, sie sind dem Herrn gehörig, sie sind ein Ort der Zusammenkunft! Die Priester, Bischöfe und Kardinäle, Rabbiner … die Würdenträger aller Religionen … die Geistlichen aller Konfessionen wurden und werden verjagt oder eingeschüchtert, was wollen Sie dagegen tun?«

Jobin zuckte mit den Schultern, öffnete die Hände, drehte sich nach links und rechts. Aber nichts tat sich. Nichts.

+++ die uno begrüßt die politik der usa +++

+++ wegweisend für die gemeinschaft der endlichen und reAger +++

+++ stormfront-football-league +++

+++ new york ftpharma erster +++

+++ hoher besuch im citygarden erwartet +++

+++ kirchenbrände: sog. gläubige beklagen trümmerhaufen +++

New York City, CoS

Der bullige Typ rückte seinen Football-Helm ein letztes Mal zurecht und packte das Ei. Fünfzehn nicht minder stämmige Typen knieten vor ihm, sieben von seiner Mannschaft und acht gegnerische Kerle. Sein Ohr blutete noch vom letzten Angriff, als er versucht hatte, mittig durchzubrechen. Dabei hatte er seinem Gegner den Arm gebrochen. Mit klarer Stimme brüllte er die Zahlenkombinationen, richtete sich auf und warf den Football zu Clash. Der pflückte ihn sicher aus der Luft und dampfte los, beschützt von seinen Mitspielern. Wie ein Messer durch heiße Butter durchbrach er die erste Verteidigungslinie, doch schon bald stellten sich ihm härtere Gegner in den Weg. Die wurden zuerst von seiner Leibwache rüde niedergemäht, das Publikum riss es hoch von den Sitzen, fliegende MückenCams filmten aus nächster Nähe alles ruhig mit. Knochen zerbarsten, Blut spritzte auf die Kamera und brachte sie an den Rand eines Absturzes, während im Hintergrund fast nackte männliche, weibliche und diverse Cheerleader tanzten. Eine vorbeihuschende Röntgenkamera übertrug die knackenden Rippen, gebrochenen Beine und Arme live in violetten Bildern auf die Screens, die überall im Stadion angebracht waren. Die Zuschauer johlten und jubelten, viele überprüften ihre Wett-ePaper, ob der richtige Mann mit den richtigen Verletzungen vom Feld getragen wurde. Modifizierte Spieler mit weiteren Armen oder Beinen waren noch nicht zugelassen, doch das war nur noch eine Frage der Zeit oder einer anderen Liga. Clash hatte sich durchgetankt und den Touchdown vollendet. Kurz vor Schluss hatte er sein Team zum Sieg geführt.

Nach dem Spiel ergriff Ehrengast Maria Stervals das Wort: »Nur ein paar kurze Sätze, liebe reAger. Glückwunsch dem Sieger, New York FTPharma, Glückwunsch dem Team, Trainer und Eigentümer, Mr. Floyd Tami.«

Der grinste verlegen und bedankte sich artig.

Elendiger Fettsack und Schleimscheißer. Sie fuhr fort: »Unser USWeb wird in wenigen Minuten starten. Ein leeres virtuelles Land wartet darauf, besiedelt zu werden. Das USW soll ein Informationsweb aller reAger werden, reine Netzarbeitsplätze und Zweitwelten wird es vorläufig aber nicht geben, sind aber geplant. Es ist eine Anmeldung nötig, um ins Netz zu kommen. Der Zugang geschieht über die Daten, die auf jedem WallScreen eingeblendet werden. Viel Spaß im neuen USWeb!« Applaus brandete auf, ihr Land auf dem Weg zu ihrer eigenen Welt. »Die zweite Neuerung. Jeder wird einen neuen, eigenständigen Namen erhalten. So wie jeder früher ein eigenständiges Field mit eindeutiger Bezeichnung hatte, wird nun jeder seinen einzigartigen Rufnamen bekommen. Es kann ein Vorname sein, ein Name mit Zahlen oder Zeichen, egal, nur einzigartig muss und wird er sein. Im USWeb wird es eine Behörde namens »YourName« geben, die alle Namen erfasst. Beleidigende, politische Namen und so weiter sind nicht erlaubt. Innerhalb von vier Wochen werden alle Namen notiert, dann vergeben und an die entsprechenden Stellen und dem ID-Chip gemeldet, bei Namensgleichheit werden die Betroffenen informiert und es wird nach einer Lösung gesucht, denn jeder Name ist ein Unikum!«

Ein paar Meilen weiter. Geschäftige Heimlichkeiten.

»Die stillen Botschaften sind verbreitet, abgestimmt auf die verschiedenen Zeitzonen. Hoffen wir, dass wir keinen Verräter unter uns haben.«

Im Hintergrund war der Lärm des jahrhundertealten Buchdrucks zu hören, Abhören ausgeschlossen. .3 dachte nach. Ja, was, wenn sie verraten wurden? Über die letzten beiden Wochen hatten sie die Nachricht an gewisse Stellen verteilt. Aber es war nicht leicht, sie zu codieren, sie unauffällig erscheinen zu lassen und ihre Idee mündete schließlich im Wort Gottes. Die Nachricht war in Bibeln versteckt und hinaus in die Welt geschickt worden. Die Heilige Schrift hatten sie unter offizieller Beobachtung der reAger-Zensur in einer alten Druckerei anfertigen lassen. Zwei Schergen der Regierung waren sofort nach Inbetriebnahme der alten Druckerei aufgetaucht und hatten zu schnüffeln begonnen.

»Bibeln?« hatten sie gefragt.

»Bibeln!« hatte der alte Drucker John geantwortet. »Was dagegen?«

»Religion ist verboten!«, argumentierten sie.

»Aber nur Symbole und Orte, nicht das Wort. Schon gelesen?«

Er hielt ihnen das erste Exemplar hin.

»Damit wir auch davon gefangen werden?«

Sie winkten ab.

»Es ist für die, die gehen!« Er lächelte sanft. »Für die Überfahrt in ihre neue Welt! Ein Halt in schweren Zeiten.«

»Zeig her!« Einer nahm sie nun doch und betrachtete sie mit hochgezogener Augenbraue. Dunkelroter Einband. Dünne Seiten. Kleingedruckt. »Die Heilige Schrift« stand darauf. Aber keine religiösen Zeichen, nur ein Kreis außen herum, links dünner, rechts an der äußersten Stelle breiter, sonst nichts. »Es ist in Ordnung, wenn sie exportiert werden. Hier im Land bleiben sie dennoch strafbar. Verstanden?«

Der Drucker nickte und nahm die Bibel wieder an sich.

»Sollten wir nur eine Bibel in einem privaten Haushalt finden, so werden wir dich finden.«

»Warte, hier kommt eben eine Nachricht vom Hauptquartier.«

Sie fixierten beide ihre PAs. Um Demonstrationen und Aufstände nach den Bränden der Gotteshäuser zu vermeiden wird empfohlen, Religionsgläubigen gegenüber Nachsicht zu zeigen.

»Okay, alter Mann. Wir wollen es mal so stehen lassen. Wir erlauben es.«

Sie scannten noch seine ID aus dem Chip heraus, übertrugen ihre Auflagen auf den Uralt-PA des Druckers und verließen den alten Backsteinbau.

Erleichtert war er zurückgeblieben, die Bibel fest in seinen gefalteten Händen.

Ausgerechnet die Heilige Schrift mussten sie sich für ihre geheime Botschaft aussuchen! Dabei war das Buch selbst ein Relikt voller Geheimnisse und ein Hort unzähliger Sagen und Mythen. Aber es war das Buch, das am ehesten gelesen würde, zumindest hofften sie das, auch in der heutigen Zeit der Ungläubigkeit und Lesefaulheit. Viele hatten sicherlich noch irgendwo ein Exemplar, versteckt oder verstaubt in einem Karton, vergammelnd im Nirwana des Webs oder vernichtet aus Angst vor der CityArmy und den Cams. Doch aufgrund der schweren Schicksalsschläge durch abgefackelte Kirchen und Kreuze, welche viel Unruhe in die verschlissenen Seelen gebracht hatte, könnte ihnen die Bibel frischen Mut und begehrten Trost schenken. Das Volk würde neue Energie schöpfen, kochen, brodeln, aber es sollte nicht zu einem Vulkan mutieren, zumindest vorerst nicht. Aber der Tag war nicht weit.

Die Bibeln wurden von reAger-Behörden kontrolliert und unzensiert genehmigt, das Buch kehrte zurück zu den Endlichen als neue Form der Kommunikation und Information. Codierte Sätze im Alten Testament und die Hinweise auf Schlüsselstellen der Offenbarung blieben den Zensoren verborgen, was bewies, dass sie es nur überflogen oder ihre Programme es nicht bemerkt hatten. Die endlichen Leser aber würden instruiert werden, bei der Auslieferung durch die Händler.

.3 und Rock0n waren nervös und angespannt als sie die schiere Masse in unzähligen Containern unterbrachten. Die Zeit der Wahrheit und des Ausbruchs war nicht mehr weit. Von Kirk Parker aber, der sie auf die Idee gebracht hatte, hatten sie nichts mehr gehört.

War er ein Verräter?

+++ us-web-nutzungsrechte müssen bestätigt werden +++

+++ fields werden nach marken und dringlichkeit vergeben +++

+++ jeder reAger darf ein field besitzen +++

+++ firmen haben unbegrenzte möglichkeiten +++

+++ währung wird auch im netz der dollar sein +++

+++ keine zweitwährungen oder andere credits erlaubt +++

Irgendwo in Montana

Blasen. Freak fluchte. Er hatte sich Blasen gelaufen über all die Tage. Nach Kanada wollte er fliehen, um von dort aus nach seiner verlorenen Familie zu forschen. Und nach Sexchat. Aber die Grenze war dicht, ein läppischer Laserzaun war installiert worden, simpel, aber gefährlich. Grenzkontrollen warben mit einfachen Schildern, dass sie nur reAger abfertigen würden. Die wunderschönen Great Plains hatte er durchquert, die mächtigen Rocky Mountains versuchte er zu meiden. Great Falls, Helena, sicherlich reAger-Städte, wo er keine Chance hatte. Er dachte an den Missouri-River, um dort flussabwärts zu fahren, aber er verwarf den Gedanken wieder. Er marschierte in der Nähe des Milk Rivers auf einer schmalen, kaum befahrenen Straße. Umso überraschter war er, als plötzlich eine silberne Kugel neben ihm anhielt. Sie hatte die Höhe eines Trucks, keine Räder, keine Fenster, ein aufgeklebtes reAger-Symbol, Öffnungen zeichneten sich nur schemenhaft ab. Eine brach geräuschlos auf und gab den Blick aufs Innere frei. Es war wie der geheimnisvolle Zugang zu einem Ufo in Form einer Flipperkugel.

»Hey, Mann, so alleine unterwegs? Wo soll es denn hingehen?«

Ein glatzköpfiger reAger lugte aus der Kugel, äußerlich um die Vierzig, gekleidet wie ein echter Cowboy aus Montana, nur der Hut und die Waffe fehlten. Sein Akzent war erbärmlich und bärbeißig, sein blankpolierter Kopf wirkte wie der kleine Zwilling seines aparten Gefährts. Er bemerkte Freaks Waffe in dessen rechter Hand, aber der Besitz war nichts Ungewöhnliches, zumindest nicht auf dem Land.

»Einfach in die Stadt. Ich hatte Probleme mit meiner … TimeWife.« Freak hatte den Begriff damals in der Großstadt gehört. Ein exklusiver Partner an seiner Seite war in Mode gekommen. Jeder reAger hatte einen Auserwählten nur für eine bestimmte Zeit. Verheiratet sein für eine festgelegte Dauer. Entweder wurde der Vertrag verlängert oder gekündigt, ideal für gottlose und monogame reAger. »Sie hat mich einfach stehengelassen und ist abgedampft. Einseitige illegale Vertragsauflösung.«

»Ja, die Weiber. Steig ein!«

Freak betrat das seltsame Gefährt. Das Gefährt eines reAgers.

»Warum hast du nicht mit dem PA Hilfe geholt?«

»Leider habe ich noch keinen festgewachsenen PA. Hey, es ist Montana! Tolles Vehikel!«

»Danke. Musste ich mir unbedingt leasen. Gibt noch nicht viele hier in der Gegend.«

Die Tür schloss sich und sperrte das Sonnenlicht nach draußen. Freak fühlte sich wie in einem Raumschiff. Kameras in der Außenhaut bildeten über Rundum-Displays innerhalb der Fahrgastzelle die dreihundertsechzig Grad der Außenansicht vollständig ab. Ein Joystick zum manuellen Steuern, Displays für Temperatur, Netz, Geschwindigkeit, Status, Batterie, Navigation und die unzähligen Statistiken beeindruckten Freak.

»Geil, nicht? Ich liebe es, selbst zu fahren. Hier ist es erlaubt, wir sind die einzigen weit und breit!« Der Cowboy drückte den Stick nach vorne und die Kugel setzte sich kaum spür- und hörbar in Bewegung. »Der äußere Teil rollt und die innere Kabine bleibt davon vollkommen unberührt. Ein Wunder der Technik. Ich fahre gerne hier draußen, kein Verkehr, kaum Überwachung, hier kannst du mal Gas geben! Gibt’s auch zum Draufsetzen! Sozusagen ein Motorrad, aber statt mit zwei Rädern mit einer Kugel in der Mitte!« Er drückte den Stick noch weiter nach vorne und die Kugel flitzte über den staubigen Highway. »Hammergefühl, oder?«

Freak war wahrlich beeindruckt, auch wenn es wie eine Kutschfahrt in seinem alten Spiel wirkte. Der Cowboy imitierte einige Kurven, die Kugel fraß sie auf, gierte nach mehr.

»Du kannst Kurven fahren ohne es zu merken. Kannst ruhig mal aufstehen und dich umsehen. Okay, viel Platz zum Laufen ist nicht, aber immerhin kann man stehen!«

Vier Sitze waren insgesamt angebracht, im Viereck waren sie einfach zu verstellen und anzupassen, darunter war Platz für Gepäck, einem Erste-Hilfe-Kasten, der nie wirklich gebraucht wurde, und einer Snackbar. Der Typ stellte sein Gewehr und die Munition dazu.

»Nachteil ist, dass man nicht mehr original sieht, was draußen los ist, sondern über Cams. Gibt aber schon Balls, die komplett aus Glas sind. Sieht verflucht genial aus!«

»Balls?«

»Ja, die Kugeln heißen umgangssprachlich Balls. Wurden und werden eigentlich als Waffen gegen die verdammten Endlichen eingesetzt.« Er spuckte wütend auf den Boden. Der Speichel verschwand irgendwo im Teppich. »Wie lange bist du schon reAger?«

»Äh, mehr als fünfzehn Jahre.«

»Sieht man dir gar nicht an!« Er lachte laut über seinen Scherz auf und hustete. «Scheiß Erkältung. Oh, sieh nur, das USWeb geht ans Netz!«

Tatsächlich erschien plötzlich auf dem Web-Display das rotierende, rotblaue Logo des neuen USWebs: USW.

»Endlich kann wieder jeder rein. Ging uns schon irgendwie ab, oder?« Er bellte lachend auf. »Komm, mach den Anfang, melde dich an! Touchscreen ist eingestellt.«

»Nein, lass nur. Den Anfang gebührt dem Besitzer dieses Teils!«

»Lass mal, Mann! Deine Frau gehört sich bestraft! Zeig sie an. Leg los!«

In Freak stieg Unbehagen auf. Zögernd setzte er sich wieder und tippte das Logo vorsichtig an. Ein Begrüßungsbild erschien: »Ziehe das Körperteil mit deinem Chip über das Display oder nenne deinen Namen und Code per Sprach- oder Tasteneingabe.«

Freak stockte, zog dann aber seinen rechten Arm mit dem Chip über das Display. Der Scanner erfasste die Daten.

»Endlichen ist der Zutritt zum USWeb nicht erlaubt.«

Freak schluckte. Er war aufgeflogen.

»Scheiße, du bist ein Endlicher?«

Der Cowboy verriss ungestüm den Stick und die Kugel rollte von der Straße in die staubtrockene Pampa. Fieberhaft griff er nach einem Baseballschläger und stand auf. Freak fuhr erschrocken zurück und gestikulierte mit den Händen wild im bequemen Beifahrersessel. Die MG baumelte an seiner Seite.

»In Irrtum, das muss ein Irrtum sein!«

»Das amerikanische System irrt sich nie!«

Die Kugel erkannte die Führungslosigkeit und blieb mangels Zielvorgabe stehen. Freak nutzte den knirschenden Ruck, um sich auf den Cowboy zu stürzen. Kurz und hart hob er sein Knie und rammte es in die Bälle des Ballbesitzers. Der stöhnte laut auf und zuckte zusammen. Blitzschnell packte Freak den Schläger und drosch auf den Glatzkopf des Cowboys ein. Wieder und wieder. Wie in Trance, in ewiger Wut, wie in Blutrausch und Rache, wie in einer lang geplanten Abrechnung prügelte er auf den armen ächzenden Kerl ein, der zusammenkauernd sich zu verteidigen versuchte. Blut trat druckvoll und energiegeladen aus seinem Hinterkopf, seiner Stirn, seinem linken Ohr hervor, es spritzte auf die Armaturen, die Displays, auf Freaks staubige Klamotten, es lief über das Gesicht des Cowboys, es verfärbte dunkel sein Hemd, seine Weste, seine Hose. Und es lief weiter, als er sich schon nicht mehr bewegte. Der Schläger fiel polternd zu Boden. Freak hielt inne.

Was hatte er getan?

Der Chip des Typen würde die Verletzungen und den Ort melden. Oder seinen Tod. Entnervt ließ er sich zurück in den Sessel fallen und glotzte auf die Leiche. Das Blut verlor sich im dunklen Teppich.

Doch da! Der kleine Finger! Der kleine Finger des Kerls hatte sich bewegt! Scheiße aber auch, der Cowboy lebte! Er packte sein Opfer am Oberkörper und drehte ihn um. Tatsächlich, sein Brustkorb hob und senkte sich leicht. Er zog ihn hinauf in den Fahrersessel und meldete sich mit seiner Chip-ID an. Der Zugang wurde problemlos freigeschaltet. Vielleicht konnte er den Notruf abwürgen. Freak vergrößerte den Bildschirm und starrte darauf. Das Netz wirkte antiquiert, nichts war mehr zu sehen von der Aura und Atmosphäre einer eigenen grenzenlosen Welt. Diese hier war trist und nur ansatzweise dreidimensional, sie war leer und monoton. Nur wenige Fields hatten sie bisher gegründet. Hier würde er keine Hilfe finden, da war er sich sicher. Er musste in das richtige Netz, forschen, suchen - und N_Lo erreichen. Wie recht der doch hatte, als er in Montana aufgesucht worden war. Doch Freak wollte nicht auf ihn hören. Er und seine Organisation FOND, Fist Of Natural Death, die gegen das Web und deren Meinungsunterdrückung kämpften, wären die Einzigen, die ihm jetzt noch helfen konnten. Kontakte zu Smoath, Maxx oder dem ewiglebenden Papst waren unmöglich. Und Jesus2? Was konnte der in so einer verrückten und technisierten Welt schon ausdrücken? Noch dazu als Endlicher.

Freak wechselte enttäuscht zum Navigator und holte sich die Landschaften Montanas zur Grenze nach Kanada aufs Display. Nur wenig später wurde er fündig, seine Miene hellte sich etwas auf. Er hatte gefunden, wonach er geforscht hatte: Eine natürliche Schanze, um sich selbst mit der Kugel nach Kanada zu katapultieren.

+++ ansturm auf das us-web großartig +++

+++ wir bitten um geduld +++

+++ wie die organisation »yourname« +++

+++ festnahmen von verdächtigen aufgrund der kirchenbrände +++

+++ religionen sollen weiter eingeschränkt werden +++

+++ 82% der reAger glauben nicht an gott +++

+++ quelle: wissenschaftliche analysen und eigenerfahrung +++

+++ 34% glauben sie sind selbst ein gott +++

Östlich von Richmond, Virginia

Wir befanden uns noch auf den Feldern nahe der Außenbezirke der noch nicht sichtbaren Stadt Richmond, früher ein Ort der Tabakindustrie, heute eine Problemstadt mit unzähligen Anwälten und geiernden Banken. Ein Ort, zerrissen zwischen unendlichem Leben in einer verdreckten City und endlichem Glauben an bessere Zeiten. Jesus, Smoath und ich blieben in der sengenden Sonne vor einigen Bauarbeitern stehen, die Metallwände auf einer weiten Grasfläche aneinander setzten.

»Was tut ihr hier?«, fragte Jesus einen Arbeiter.

»Wir trennen das Wohngebiet der Endlichen von dem der reAger.«

Er arbeitete weiter.

»Warum tut ihr das?«

Wieder unterbrach der Arbeiter sein Tun.

»Weil es mir gesagt wurde!«

Vier Wachtposten näherten sich auf ihren Movern. Sie hielten vor uns an.

»Gibt es Probleme? Wer seid ihr?«

»Ich bin Jesus Christus und das sind meine Jünger, Petrus I und Petrus II.«

Die Posten lachten auf. Maria Stervals Idee mit den neuen Namen ließ bereits seltsame Früchte wachsen.

»Natürlich. Und was verschafft uns die Ehre?«

»Das Wort.«

»Dachten wir uns. Hand her.«

Jesus streckte seine rechte Hand aus. Der Scanner übernahm die Daten des Chips in Jesus’ Hand.

»Sir, da steht wirklich Jesus Christus.«

»In dieser Welt kann man ja jetzt heißen wie man will. Doofes Gesetz unserer ChiefManagerin.«

»Selbst diese Bibeln haben sie erlaubt, die man nun überall sieht. Neuzeitliche Auflage. So ein Quatsch! Dazu als Papierdruck. Ist die von dir, mein lieber Jesus Christus?«

»Ja, in gewisser Weise schon, zumindest der zweite Teil. Und sie wird gelesen?«

»Die Endlichen reißen sich darum.«

»Das Wort wird verteilt … «

Jesus blickte nachdenklich zu Boden. Auch Smoath und ich sahen uns fragend an. Ein Papierbuch in Zeiten des seligen ePapers? Eine Bibel in Zeiten brennender Kirchen? Erlaubt unter den Augen der Despotin?

Der Wachposten untersuchte mich.

»Chef, der eine Kerl ist ein reAger.«

»Was?«

»Und der andere … hat nichts. Gar nichts!«

»Nichts? Nehmt sie fest, alle drei.«

Jesus widersetzte sich der Handschellen nicht, aber er fragte den obersten Wächter: »Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?«

»Lass dich operieren, sofern du keine Kinder, Leiden oder schlechte Vergangenheit hast. Vielleicht hilft es auch, was gescheites anzuziehen und die Haare sich schneiden zu lassen.«

»Sollst du nicht dem Herrn mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele lieben, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken? Und deinen Nächsten lieben wie dich selbst?«

»Hä, was willst du von mir?«

»Ist es nicht so, dass dein Körper nun ewig lebt, aber nicht deine Seele? Ist es nicht so, dass aber die Liebe niemals sterben wird, weil wir ohne Liebe sterben? Ist es nicht so, dass der Nächste, der Wichtigste ist? Ist nicht die Frage, wer der Nächste ist? Ist der Nächste nur dein Freund, oder auch dein Feind? Muss du nicht selbst zum Nächsten werden, damit der Andere für dich zählt wie du selbst?«

»Scheiße, hör auf mit deiner Faselei!«

»Ich bin nicht dein Nächster, denn ich bin ein Endlicher und damit in deinen Augen ein Feind. Aber ich sehe in dir, du wärst mein Nächster, würde ich verletzt bis auf die Eingeweide hier liegen und nach Hilfe suchen. Du würdest dich damit selbst zum Nächsten machen, zum Liebenden, zu jemand, dessen Herz durch die Not offen steht. Dann würde ich von einem Nächsten gefunden werden. Und bald ist die Zeit reif. Es wird passieren, aber noch nicht endgültig. Es ist ein Vorgriff auf die spätere Zukunft. Es wird das Land erschüttern, aber nicht verändern. Es kommt die Zeit ohne Nächstenliebe, aber noch wird nicht der Schlange der Kopf zertreten, noch wird nichts Neues entstehen. Aber es wird ein Anfang sein, der nicht mehr weit entfernt ist, ein blutiger Anfang.«

»Verdammt, hör auf damit!«

»Jesus, warum lässt du zu, dass sie uns fesseln?«

Smoath verstand die Welt nicht mehr. Wir standen auf einem Feld, auf dem eine Metallmauer von Menschenhand gebaut wurde, wir waren gefesselt, während Jesus von Nächstenliebe und einer bevorstehenden Zeit ohne Nächstenliebe sprach. Papierbücher wurden verteilt und gelesen. Doch noch ehe Jesus antworten konnte, senkte sich dichter Nebel über das weite Feld und übertünchte den unerwarteten Ausbruch eines Volksaufstandes.

+++ us-web ein erfolg +++ über 1 mio fields +++

+++ wiederaufnahme von handelsbeziehungen übers netz mit ausland +++

+++ papierbuchdruck nun für endliche als netzalternative erlaubt +++

+++ zeitungen u.ä. bleiben aber unerwünscht +++

+++ belohnung für ergreifung der uno-attentäter wird verdoppelt +++

Washington D.C.

»Parker, habe ich Sie nicht zum Teufel geschickt? Wenn ich gewusst hätte, dass …«

»Noch zehn Minuten.«

Parker hatte noch immer die Zugangsdaten für das Oval Office, zugeschaltet über die sichere Leitung.

»Bitte?«

»Noch zehn Minuten, dann beginnt die Apokalypse.« Er beugte sich nach vorne, so, als könne er sich über den WallScreen ins Oval Office lehnen. »Du brauchst Hilfe, Mädel, ich kann sie dir geben. Noch neun Minuten, schlag ein, oder sie werden sterben. Gut, nicht sofort, Washington ist einigermaßen gemäßigt.«

»Was soll das? Sicherheitsdienst!«

»Nein, so läuft das nicht, Mädel.«

»Sie sind high!«

»Zumindest bin ich Realist. Nimm mich zurück ins Boot, Mädel, nur ich kann dir sagen, was in acht Minuten passiert.«

»Ihre Minuten vergehen schnell, Parker. Und nennen Sie mich nicht Mädel!«

»Und du nenn mich nicht Parker, meine Liebe. Was du einführst, solltest du auch nutzen.«

Zwei Männer stürzten ins Office, im Schlepptau Richard Ironside.

»Parker?«

»Hallo Richard. Also, Mädel, schlag ein. Innerhalb der acht Minuten kannst du so viel machen. Ich bluffe nicht.«

»Gut, was wollen Sie?«

»Zurück an die Macht, Mädel, zurück an die Macht.«

Maria dachte kurz nach. Parker war einfältig und schwach, aber nicht dumm. Seine dunklen Augen hatte er bestimmt überall, seine Informationen waren gewiss wichtig. Sie würde mit ihm fertig werden.

»Sie haben mein Wort. Also, was gibt’s?«

»Ihr Land wird in sieben Minuten von deinen Lieblingen angegriffen, von inneren Gedärmen und vergänglichen Maden! Überall, in jeder größeren Stadt! Ich melde mich wieder.«

Parker verschwand mit einem zähnefletschenden Lächeln vom Bildschirm. Während Maria über die Sinnlosigkeit seines vorletzten Satzes nachdachte, flammte das Bild von Dr. Hasler auf.

Marias Augen leuchteten freudig auf.

»Doc, sehr gut! Sind die Wissenden einsatzfähig?«

»Der Probelauf … «

»Was wissen sie? Gibt es Anzeichen für einen Aufstand der Endlichen oder irgendeinen Angriff?«

Dr. Hasler drehte sich um. Hinter ihm lagen sie, die Wissenden, getaucht im dunklen Rot, abgekapselt von der Umwelt. Sie trugen schattige Brillen und ohrenumgreifende Kopfhörer, ihre Gedanken waren an Aufzeichnungsgeräte angeschlossen, die aber noch nicht die gewünschten Befehle vollständig ausführten.

Hasler stellte die Frage in den Raum und erhielt postwendend eine Antwort.

»Nummer Sieben sieht einen Angriff aus der Bronx, New York City, New York! Akteure. Packen. Raupen. Nummer Elf sieht einen Angriff in Richmond, Virginia. Unbeschadet. Opern. Bevölkerung. Auch Nummer Eins und …«

»Woher wusste Parker das?«

»Was sagst du? Moment! Nummer Dreizehn meldet etwas aus San Francisco. Nummer Dreiundzwanzig erhält Daten aus Dallas. Maria, was ist da los? Was tun die Endlichen da?«

»Etwas, was sie lieber nicht getan hätten. Deine Wissenden scheinen zu funktionieren.«

+++ hautverjüngungskuren durch gen-manipulation fast spruchreif +++

+++ bald werden wir alle zwanzig sein! +++

+++ sperrung letzter highway für endliche bei los angeles +++

+++ umbau für reAger +++

New York City, Bronx

Eine Menschenwelle rollte aus dem Nichts hinein in den morgendlichen Dämmerschein als Endlichentsunami. Mit roher Urgewalt fräste sie sich in Richtung ehemalige Grenzübergänge nach Harlem. Bewaffnet mit einfachen Messern, Baseballschlägern oder Metallstangen rannten sie schreiend auf die Wachandroiden zu.

»Gedenke Mensch, dass du Staub bist, und zum Staub zurückkehrst! Gedenke Mensch, dass du Staub bist, und zum Staub zurückkehrst! Gedenke … «

Sie alle trugen weiß. Weiße Gewänder, weiße Hosen, weiße Kleidung, die sie aufgesprüht oder weiße Tücher, die sie sich umgebunden hatten. Auf der Stirn prangte ein Aschekreuz, zusammen mit dem Gewand als Zeichen der Vergänglichkeit und Buße, wie es sonst nur am Aschermittwoch aufgewartet wurde.

Sie waren unzählig, eine kaum zu stoppende furchteinflößende Masse, ein hypnotisch anmutender Mob, fast nur Männer, aber auch einige Frauen, gleich welchen Alters. Erneut probten sie den Aufstand, erneut rannten sie an, pulsierend und aufgewiegelt, erneut stellten sich ihnen die CityArmy und Polizei entgegen, doch anders als damals wussten sie, dass es ganz Amerika so tat.

Sie rissen die Mauer ein, sie eroberten die ersten Militärfahrzeuge und schwere Waffen, sie massakrierten die ersten Soldaten, sie zogen eine plattwalzende Schneise in das Häusermeer Harlems, in dem die einfachen reAger schreiend in die Häuser rannten, die die Endlichen sofort anzündeten. Unzählige Militärkugeln rollten ihnen entgegen, vereint als gigantische Kugel, als rollendes Inferno. Doch die Rebellen stellten sich ihnen mit den gekaperten Balls entgegen. Sie prallten aufeinander wie Billardkugeln, doch erst der brachiale Einsatz alter Raketenwerfer zerfetzten die neuen runden Militärwaffen. Ihre Trümmer zwischen Rauch und Feuer verhinderten eine schnelle Ausbreitung nachfolgender Balls. Die Massen zogen schreiend wie auf einer mittelalterlichen Hexenjagd Richtung dem früheren Manhattan, der jetzigen CityOfSatan, das Symbol der reAger, das reale Feindbild der Endlichen. Drohnen und OneWings am Himmel feuerten ihre Kugeln und Laser ab, ohne großartige Einschüchterung auszulösen. Viele starben, doch noch mehr rannten und kämpften wütend weiter, die Gewänder nicht mehr reinweiß, sondern blutrot und dreckbraun. Sie wussten, es war ihre letzte Chance, sie wussten, es war ihr letzter Kampf gegen die andere gottlose und sterile Gesellschaft, eine Gesellschaft, die den Orgien und der Dekadenz frönte. Das Bollwerk durchbrach unaufhaltsam eine weitere Sperre der Unterjochung in und um den Central Park, der frühere CatWalk, der zur Kulturmeile aufgestiegen war, er zeigte ihnen den Weg zum Mittelpunkt der durchgeknallten Ewiggesellschaft.

Sie kämpften den ganzen Tag, unermüdlich, unaufhörlich, unerbittlich, sie hatten die reAger überrascht. Konnte die USA als frühere Militärmacht einst jeden Punkt der Welt innerhalb von vier Stunden erreichen und vielen Scharmützeln den Garaus machen, erwies sich die Antwort auf einen Bürgerkrieg als erstaunlich still. Doch allein von der schieren Heftigkeit her mussten die Endlichen in Überzahl sein, die Army konnte nicht in jeder Stadt sein, die Army konnte oder wollte vielleicht auch nicht ihre eigene Bevölkerung bekämpfen, sei es als Mensch oder Androide. Sie wollte nicht wahrhaben, dass ein Bürgerkrieg begonnen hatte. Niemand wollte das. Kaum einer konnte es.

.3 war begeistert und hypnotisiert, sie war erschüttert und surreal. Ihre Kräfte tankten durch den Erfolg ständig nach. Um sie herum war die Hölle los. Die Panzerung eines Soldaten war immens, aber sie wusste sie zu knacken. Blut klebte an ihren Händen, und es war geil, vier Gegner hatte sie einen Headshot verpasst, sie getötet, irgendwie aus dem ewigen Leben gespült, sie war eine Göttin. Sie lief voran, wie in einem Rausch, einem Blutrausch, sie war die Spitze des Mobs, die Anführerin, die Rebellin, der Kopf einer Armee und plötzlich konnte diese laufen, schnell laufen. Kein Gegner war mehr zu sehen zwischen den Schluchten der Wolkenkratzer, vor ihnen nur noch die verspielten Tore der CityOfSatan, Tore wie sie Burgen und Schlösser hatten und Zäune, die als Mauern dienten, Laser, die als Barriere fungierten, aber es würde sie nicht aufhalten, niemals, obwohl dieser Feind mächtig erschien, mächtiger als die CityArmy, mächtiger als die Söldner Amerikas, mächtiger, als die Angreifer selbst. Stand eine Belagerung kurz bevor oder würden sie einfach durch die Tür rauschen? Würde der Staat sein eigenes Volk niederringen?

In der weitläufigen Trutzburg war die Aufregung groß. Carl Weiss suchte den Kontakt zu Maria Stervals. Doch die hatte andere Sorgen und so rief er nach dem Boss der Stadt. Der CityManager wurde schnell und unter Protest herbeigeschafft, sie hatten ihn am Morgen aus einem Zimmer mit vier Frauen geholt. Er war noch immer nackt, aber zumindest nicht mehr erregt. Nacktheit störte innerhalb der Grenzen niemanden mehr.

Er wirkte hilflos als er überall den Rauch über die Stadt emporsteigen sah, der die untergehende Sonne noch mehr verfinsterte. So wie ihr aller Schicksal.

+++ aufruf: endliche, legt eure waffen nieder und ergebt euch +++

+++ die regierung garantiert einen fairen prozess +++

+++ und einen dialog zur verbesserung der lage +++

+++ denkt ihr wirklich, ihr habt eine chance? +++

Östlich von Richmond, Virginia

Die saftig grüne, aber genmanipulierte Wiese hatte sich in ein blutrotes Schlachtfeld verwandelt. Die Endlichen hatten zur gleichen Zeit die reAger angegriffen wie ihre Genossen in der Bronx und überall in Amerika. Sie kämpften um ihre letzte Freiheit mit jedem Gegenstand, der als Waffe missbraucht werden konnte. Doch sie taten sich trotz Überzahl schwer gegen die hochgezüchteten und schwer bewaffneten Soldaten und Maschinen, die die Endlichen auf dem Feld mit unzähligen Kugeln niedermähten. Doch die unbändige Masse, dieser scheinbare unerschöpfliche Nachschub ließ sie weiterhin gemeinsam und mutig auf ihre Feinde stürzen.

Jesus, Smoath und ich aber standen mitten im blutrünstigen Getümmel, noch immer gefesselt, aber unbehelligt. Niemand kümmerte sich um uns, aber niemand griff uns an. Die erbarmungslose Schlacht tobte um uns herum, aber sie ignorierte uns. Menschen starben oder wurden verletzt, Körperteile wurden abgetrennt oder zerstört, Körper durchbohrt oder zerfetzt. Das grausame Gesicht des Krieges tobte wie ein reißender Löwe über das Land und Beute. Doch uns geschah nichts, nicht einmal Blutstropfen landeten auf unseren Gewändern oder in unseren Gesichtern. Nur der Schock, der Schock war mit uns.

+++ jeder endliche, der in aufstand verwickelt ist, wird hingerichtet +++

+++ ausnahme: bedingungslose aufgabe +++

+++ lage weitgehend unter kontrolle +++

+++ weitere aufstände nicht zu erwarten +++

Washington D.C.

»Meinst du wirklich, die Botschaften auf den WallScreens werden jetzt von Endlichen gelesen?«

»Nein, natürlich nicht, Richard, aber es kann dann gegen sie verwendet werden. Lass uns in den Medienraum gehen.«

»Gute Idee, von dort aus können wir die Strategien besser entwerfen.«

Lachend verließ Maria Stervals mit Richard Ironside im Schlepptau das Oval Office, sie liefen den endlosen Gang entlang, an deren Ende das eigens eingerichtete, fensterlose, kreisrunde MedienCenter wartete. Maria entledigte sich des Weges einem Kleidungsstück nach dem anderen und warf es verführerisch Richtung Richard.

»Verdammt, Maria, was tust du da?«

Sie hatte kurz vor dem MedienCenter nur noch ihre hohen Schuhe an, deren Schnüre sich buhlend um ihre wunderschönen Beine rankten und erst an der intimsten Stelle trotzig endeten. Richards Blick endete ebenso dort und er gierte nach diesem Ort der Lust, der so geil ihre Schenkel verband. Vergessen war das, was draußen geschah, vergessen, wie es nur ein Mann in der Gegenwart einer nackten koketten Frau tun konnte.

Schwungvoll öffnete sie die Doppeltür, der aufgedunsene Medienraum lag dunkel vor ihnen.

»Screen 1, Cam24, New York City, Screen 2, Cam 3 von Los Angeles Downtown, Screen 4, Cam 84 San Francisco Chinatown, Screen 5, Chicago, Cam 38 Südspitze, Screen 6, Miami, Cam 104, Screen 7, Houston, Cam 33, alles automatischer Zoom auf jeden kriminellen Akt, sprich, auf Tötungsszenen.«

Die Screens leuchteten im Kreis nach und nach auf, menschenverachtendes Bürgerkriegsgetümmel aus allen Teilen Amerikas war detailgenau zu sehen.

»Lautstärke Zwölf! Und auf schwarzweiß schalten, der Ästhetik wegen.«

Der Sound erschallte ohrenbetäubend. Schrille Menschenschreie, harte Befehle, barmherziges Flehen, ungehörte Hilferufe, harte Waffenschläge, unkontrollierte Schüsse, einschlagende Raketen, donnernde Panzer, pfeifende Geschosse. Im Hintergrund dudelte beruhigende Musik, die ihre Wirkung verfehlte. Durch die Luft schnellten fliegende Netze, die Angreifer einfangen oder festkleben sollten. Überall lagen zuckende Sterbende und Tote. Immer wieder Tote, Tote, Tote. Abnutzungsschlachten.

»Das Ganze mit unbändiger, stampfender IndustrialDustMusic hinterlegen.« Maria packte Richard am Kragen und fasste ihn derb zwischen die Beine. »Ich liebe dieses Ambiente. Diese Zerstörung, diese blinde Wut und der Hass, all der Mord und Totschlag, ich liebe diesen unmoralischen und brutalen Verhau, der Kampf ohne Gnade, die Abartigkeit des menschlichen Geistes. Dazu Musik, die keinen Widerspruch duldet. Wie unser Sex auch.«

Sie führte sich ihren Mittelfinger ein und stöhnte kurz.

»Amerika verliert sich im Krieg! Und du willst …?«

»Du willst es doch auch, also fick mich wie ein Speer, der von unten meine Brust durchstößt! Fick mich hart. Ramme deinen Hammer in mich hinein wie ein Panzer sein Rohr in den Arsch dieser Dissidenten. Und genieß das Drama um uns herum.«

+++ die us-army wurde alarmiert +++

+++ sie wird gegen die rebellen vorgehen +++

+++ aufstand wird konsequenzen haben +++

+++ hey, rebellen, ihr habt keine chance! +++

+++ wir sind noch immer eine militärische weltmacht! +++

New York City

Die reAger-Army hatte sich mit einem Schlag zurückgezogen. Sämtliche Militärfahrzeuge waren verschwunden, sowohl die Bodenvehikel als auch die Drohnen und OneWings. Eine seltsame Stille breitete sich aus. Der Mob kam vor den Toren der CoS zum Stehen. Der Schwung war wie weggeblasen, .3 und Rock0n sahen sich fragend an. Was hatte der Feind vor? In den engen Häuserschluchten war einiges und ungewöhnliches möglich. Viele hatten sich bereits aufgeteilt, andere waren in den Süden weitergezogen, trafen sich dort mit den unzähligen Kämpfern aus Brooklyn oder Queens. Sie waren Hunderttausende, aus der Luft mochten sie aussehen wie gigantische Würmer, die New York City durchzogen, Würmer, wie sie New York City noch nie gesehen und erlebt hatte. Die Aufständischen waren stark, sehr stark, sie hatten drei TATs erobert, einige Balls, ihre Fahrer und Insassen geschlachtet. Würde der Gegner Bomben einsetzen, große Bomben? Ohne Rücksicht auf Bauwerke oder reAger?

»Angriff!«

Niemand wusste, wer geschrien hatte, aber es war die Initialzündung für den letzten Lauf, das letzte Aufbäumen, der letzte Versuch, das Symbol der reAger niederzumetzeln. Sie schwärmten aus, teilten sich in drei Gruppen auf und griffen die Bastion der Lust an. Sie schafften es, die Tore zu knacken und Laserbarrieren zu durchbrechen. Sie tobten, sie schrien, sie rannten, sie eroberten, sie waren im Herzen der ewigen Welt, dem früheren Times Square.

Doch niemand war zu sehen.

»Die haben sich verbarrikadiert!«

»Feiglinge!«

»Zündet den verruchten Ort an!«

»Holt Fackeln!«

»Hackt die WallScreens!«

Die Sonne war hinterm Horizont versunken und kündigte die Nacht an. Doch es wurde schneller finster … viel schneller, viel zu schnell. Zwei Bomber der Army hatten sich fast geräuschlos über den Platz geschoben. Sie warfen einen gigantischen Schatten auf die zu ihnen hypnotisch nach oben starrende Masse.

»Scheiße, Rock0n, verschwinden wir!«

Sie eröffneten ohne Warnung das Feuer. Das Staccato einer Kugelsymphonie aus den unzähligen Waffen prasselte auf Tausende Endliche herab, viele hoben die Arme, als wollten sie sich vor Regen oder Hagel schützen. Kaum jemand hatte eine Chance, es sei denn, er oder sie verkrümelte sich unter eine Leiche oder schaffte es in einem nahegelegenen Wohnblock mit der Hoffnung, dort nicht erwartet zu werden.

Weitere Bomber, leichte Kriegshubschrauber und Flugzeuge erreichten die Metropole. Die Schützen an Bord fühlten sich wie in einem sinnlosen Ballerspiel, sie verzichteten auf programmierte Hilfe, sie lachten und flachsten, sie hielten einfach rein und konnten dennoch nicht verfehlen. Die Endlichen starben wie die Fliegen, das Blut rannte zu den Gullys und verschwand in der Kanalisation, Leichenberge türmten sich auf, sinnlose Schreie versanken im entfesselten Kriegsgetöse. Die Kugeln waren beweglich, sie flogen nicht stumpf geradeaus, nein, sie orteten das Leben, verfolgten und töteten es. Dadurch gab es kaum Schäden an Gebäuden, Straßen oder unbesetzten Fahrzeugen.

Die von Endlichen eroberten TATs ignorierten den pausenlosen Beschuss von oben und bahnten sich verzweifelt ihren sinnlosen Weg durch fliehende Menschen und über niedergemetzelte Kadaver. Sie luden ihre letzten Raketen und zielten wahllos auf Gebäude, hinter denen sie feige reAger vermuteten.

Eine Rakete davon riss ein Loch in einen abgedichteten Raum.

.3 und Rock0n wurde der Boden heiß, zu heiß, sie kannten die Gegend von früher, sie kannten die Subwaystations und verschwanden mit der Todesangst im Nacken in einer darin. Sofort bogen sie unten ab, Trommelfeuer begleitete sie, sie quetschen sich hastig durch eine ihnen bekannte Ritze und gelangten in einen stillgelegten Schacht, wo sie von riesigen Ratten begrüßt wurden. Angewidert rannten sie weiter. Wieder durch den Untergrund, wieder auf der Flucht. Gescheitert gegen das neue System. Gescheitert gegen sich selbst. Beide ließen ihren Tränen freien Lauf. Sie hatten das letzte Bisschen Frieden zerstört.

+++ kampf in n.y.c. fast beendet +++

+++ bomber sorgen für ruhe +++

+++ 24.000 festnahmen alleine in der cos +++

+++ eindrucksvolle arbeit der cityarmy +++

+++ innerhalb kürzester zeit ruhe und sicherheit wieder hergestellt +++

Irgendwo in Montana an der Grenze zu Kanada

Seine Begeisterung über die Steuerungsmöglichkeit der Kugel kannte kaum noch Grenzen. Wie eine Murmel, ein Fußball, eine Billardkugel rollte er sanft über die Landschaften Montanas Richtung Kanada. Bald hatte er sein Ziel erreicht, schließlich hielt er an. Noch einmal prüfte er die Lage über das System und die Screens, die die Bilder der Außenwelt in die Kugel brachten. Tief schnaufte er durch, dann raste er los. Es war ein Katapultstart, es nahm ihm den Atem, G-Kräfte drohten ihn zu zerquetschen, wie eine Kanonenkugel schoss er über den Boden, zielgerichtet auf einen Felsen, der als Absprungrampe Richtung Kanada dienen sollte. Auf den Armaturen wurden die Meilen pro Stunde höher und höher getrieben, dennoch war es in der Kugel außergewöhnlich ruhig. Freak war noch nie so schnell auf dem Boden unterwegs gewesen. Er wollte fliegen, Flugzeuge von heute starteten heutzutage senkrecht statt mit Anlauf, es war also was Besonderes. Sein Schwung war nicht mehr zu stoppen, zum Bremsen würde es vor dem Absprung nicht mehr reichen, er gab noch einmal Gas, ein letztes Mal! Konnte das nicht nur ein verfucktes Computerspiel sein? Die Kugel rauschte über die letzten Meter der Piste, sie hatte den Felsvorsprung erreicht, Freak spürte, wie der Boden unter den Füßen verschwand, Warnmeldungen erschienen, doch er ignorierte sie. Wie ein Stein aus einem Katapult jagte er durch die Luft, er lachte auf, er flog und flog, ja, er würde es schaffen, unter ihm die Grenze, er hatte es geschafft, die Kugel war wieder auf dem Weg nach unten, er hatte die Grenze überquert, in der Luft, im Flug, es war unglaublich, es war …

Die Landung war hart, der bewusstlose Cowboy wurde durch die Kabine geschleudert, Freak hatte ihn vergessen anzuschnallen. Hässliche Knackgeräusche waren unüberhörbar, doch Freak war es egal, er war drüben, die Kugel nach Statusberichten noch heil. Er jagte mit ihr sofort weiter über den Sand, schnell weg, nur weg, falls die Häscher der Grenze ihn verfolgen würden. Seine Hände waren schmierig feucht, sein Adrenalin leicht am Absinken, seine Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Nun musste er nur noch einen Weg ins Netz finden.

+++ terroristische endliche werden vor ein kriegsgericht gestellt +++

+++ nicht beteiligte bekommen die möglichkeit der ausreise +++

+++ erfreuliche nachrichten +++

+++ wirtschaftswachstum dank reAger gestiegen +++

+++ fünf prozent zuwachs +++

Washington D.C.

Mitten im ausschweifenden Akt hielt Maria inne. Einige Bilder der WallScreens neben ihr zogen sie plötzlich magisch an, noch immer untermalt vom stampfenden Beat der Musik. Dunkle Umrisse von kämpfenden und sterbenden Menschen im dichten Nebel, im Hintergrund die Silhouetten dreier Männer, die ihre Hände gefesselt auf dem Rücken hielten. Starr standen sie im Schlachtgetümmel, mitten im Kampftumult modernster Waffen gegen unbrauchbare Schlagutensilien, hochgerüstete Soldaten gegen Bürgertrampel. Der Schleier zog an ihnen ebenso vorbei wie Kugeln, Schwerter, Baseballschläger und Holzlatten. Sie wirkten wie die schwarzen Figuren eines Scherenschnitts.

»Schau dir das an. Ein Gemälde des Krieges. Ein Moment der Ignoranz, der Unversehrtheit«

Maria schrie freudig auf, um die Musik zu durchbrechen.

»Hm?«

Richard Ironside zog seinen Kopf zwischen den Busen hervor.

»Tatsächlich. Was zum Teufel …?«

»Es ist so … unwirklich. Sind das vielleicht Statuen?«

»Bei Richmond? Könnte sein. Sezessionskrieg und so weiter.«

Ich will weiter ficken!

»Nein, sieh nur, sie fangen zu laufen an. Sie gehen … einfach durch das Getümmel … als ginge sie das alles nichts an. Als wären sie unsichtbar. Ich brauch mehr Zoom! Mach das manuell bitte.«

»Okay!«

Ironside verließ Marias Innerstes und hüpfte nackt wie Gott, oder wer auch immer ihn geschaffen hatte, durch die laute Musik hin zur WallScreen, um mit wirren Handbewegungen die Einstellungen zu aktivieren und leiser zu drehen.

»Wo befindet sich diese Cam überhaupt?«

»Auf einem Feld in der Nähe von Richmond.«

»Finde heraus, wer die Männer sind.«

»In Ordnung, Maria.«

Er zoomte nahe an das Gesicht des ersten Mannes. Sie erkannte seine langen Haare, das Gewand, das alle Aufständischen trugen. Nur war es nicht weiß, sondern beige. Sie bemerkte seinen tollen Körper, muskulös und sexy. Sie bemerkte seine Ruhe, seine Aura, die die anderen beiden nicht hatten. Sie legte ihre Hand auf den Screen, so als könnte sie irgendetwas an ihm berühren. Aber sie beäugte auch die Umrisse der anderen beiden Gestalten. Eine kam ihr bekannt vor … wer war das …?

»Hol mir die drei Männer hierher!«

+++ usa verbietet sich innere einmischung durch uno und vatikan +++

+++ wir sind autonom +++

+++ bald: beratung der führung mit state-leaders über konsequenzen +++

Östlich von Richmond, Virginia

Unbehelligt hatten wir das Kriegsgebiet verlassen und uns auf einen kleinen Hügel zurückgezogen. In der Ferne waren Schüsse zu hören. Smoath hatte sich ungelenk von einem toten reAger die Pistole geschnappt.

»Seht nur, dieses sinnlose Gemetzel.«

»Tu was dagegen, Jesus. Wenn nicht du, wer dann?«

»Siehe, hätte ich alle Kriege verhindern sollen? Alle Krankheiten? Alle Operationen?«

Drohnen surrten über uns hinweg. Die reAger-Soldaten auf dem Schlachtfeld hatten den Befehl erhalten, sich zurückzuziehen. Kämpfe Androide gegen Mann waren nicht mehr ihr Metier, kämpften sie doch lieber aus Distanz mit Fernwaffen und der Unterstützung von Überwachungsmedien und Robotern. Unbemannte Drohnen würden es besser und genauer machen als das Fußvolk, gleich ob echte Soldaten oder Androiden. Aber die geballte Macht, die mit einem Schlag in die amüsierte Welt der reAger eingebrochen war, schockte und lähmte den gesamten Militärapparat zugleich.

»Die Endlichen werden verlieren.«

»War es nicht dumm, einfach anzugreifen? Was sind die Ziele? Sie können nur zivil sein. Es trifft die Falschen!«

Smoath hielt noch immer die Waffe hinter seinem Rücken in der gefesselten Hand. Nervös stellte ich mich mit meinen gefesselten Händen vor den Lauf.

»Baller mir bloß nicht die Hände oder sonst was durch!«

»Du bist doch ein reAger. Lass es dir nachwachsen.«

Leicht zitternd drückte Smoath ab. Die Handschelle riss durch, die Kugel verschwand dumpf in der Erde, der Hall im Nirgendwo. Ich schnaufte erleichtert durch.

»Es war ein Zeichen für den Teamgeist eines Volkes. Es gelang ohne Anführer, ohne Strategie, aber mit Hoffnung.«

»Es war totale Irrsinn.«

»Was ist nur passiert? Da liegt was!«

Jesus ging ein paar Schritte nach vorne und hob ein zerfleddertes Buch auf.

Es war die Bibel.

»Wie kommt das Buch hierher?« Ich eilte zu ihm. »Ein Buch … mit echten Papierseiten. Die Heilige Schrift. Wenn das kein Zeichen ist? Apropos Zeichen. Vorne ist ein Kreis drauf.«

»Sieh nur, im Innern wurden Buchstaben mit einem Stift markiert. Sie ergeben Wörter, ganze Sätze. Hier hinten … es wurde notiert. Der Angriff … «

Endliche! Am siebten Tage des Monats soll es soweit sein. Zieht ein weißes Gewand an, tragt ein Aschekreuz auf der Stirn, als Zeichen, dass dieses Buch die Grundlage aller Taten ist. Wir sind genug um sie zu besiegen, um ein Uhr Central Time am helllichten Tag, an der Stelle, wo schon immer die Demonstration ausging. Jede Stadt soll dies tun. Jede Stadt wird es tun. Amen.

Wir blickten einander entsetzt auf und starrten nach unten, wo überall sterbende Menschen lagen, die an die Sache, vielleicht an Gott und seine Schrift geglaubt hatten.

Oder in ihrem Todeskampf noch glaubten.

Ohne Chance zu helfen beobachteten wir, wie überlebende Endliche getötet wurden. Die Drohnen hatten ganze Arbeit geleistet, sie benötigten nur Minuten um den Aufstand zu beenden … nur Minuten um Hoffnungen einer ganzen Menschenspezies zunichte zu machen. Die saftige Grasfläche hatte sich in ein endloses Meer weiß gekleideter Verlierer verwandelt, das nur durch dunkelrote Flecken jäh durchbrochen wurde.

Stille war wieder eingekehrt. Transportflugzeuge und Lastwagen rückten an, um die defekten Androiden abzutransportieren und die Toten in mobilen Fahrzeugen sofort zu verklappen. Rumpelnd entfernten sie sich nach einigen Stunden wieder.

Wir hatten uns bereits wieder auf den Weg gemacht.

Einzelne Brandherde flammten immer wieder auf, Straßenkämpfe in einigen Städten der USA ließen die betroffenen Städte nicht zur Ruhe kommen. Heckenschützen und Räuber griffen wahllos Menschen beider Parteien an, um ihren eigenen Vorteil einzubringen. Scharmützel in Straßenschluchten. Abriegelungen. Flugverbotszonen. Ausgangssperren. Schockstarre. Viele trauten sich nicht mehr auf die Straße, der Unmut gegenüber den State-Leadern und Maria Stervals stieg.

+++ erneuter aufruf sich endlich zu ergeben +++

+++ reAger waren zu keiner zeit bedroht +++

+++ konsequenzen für bürgerkrieg weitreichend und unmittelbar +++

New York City, CityOfSatan

Zwei Tage später. Die Aufräumarbeiten hatten begonnen. Der frühere Times Square war abgeriegelt worden, das restliche Leben im unzerstörten Teil der CoS lief wieder normal an. Business as usual. Maria Stervals war in die Stadt gekommen, um sich das Ausmaß der Zerstörung anzusehen. Langsam entstieg sie dem Hubschrauber, die anwesenden Überwacher blickten interessiert auf. In jeder Ecke, auf jeder Straße lagen weiß gekleidete Leichen, einige seltsam verrenkt, andere, als ob sie schliefen. Wut stieg in Maria Stervals hoch, wie konnte es nur soweit kommen? Und warum hatte Kirk Parker davon gewusst?

Sie schritt zu einem Vorarbeiter hin. Das Wachpersonal hielt sich im Hintergrund.

Carl Weiss eilte mit großen Schritten auf Maria zu. Sie schüttelten sich die Hände, dann umarmten sie sich kurz.

»Zuerst einmal, Carl, es tut mir leid. Das hätte nie und nimmer passieren dürfen. Wie laufen die Aufräumarbeiten?«

»Die Sachschäden halten sich in Grenzen. Einige Gebäude sind leicht beschädigt, die Straßen etwas schlimmer. Die Leichen sind das Problem, die müssen so schnell wie möglich weg, bevor sie zum Stinken anfangen.«

»Sollten weitere StreetCleaner nötig sein, werden wir sie einfliegen lassen. Gleich gilt, sollten die Klappen überquellen, dann bringen wir die Körper woanders hin. Wir tun unser Möglichstes.«

»Das weiß ich doch, Maria.«

»Wie wäre es, Carl, wenn wir die Leichen zu einem Berg aufschichten, sie mit durchsichtigem Lack übergießen und es zu einer Art Mahnung erkoren lassen würden?«

»Ein Berg voller Leichen als Denkmal?«

»Ja, wunderschöner Lack mit Blick und von jedem besteigbar. Mit Gipfelkreuz.« Sie lächelte verwegen. »Ein Mahnmal. Carl, die Leichen, die den Weg hierher pflastern, sammeln wir auf den Platz nach Harlem in der Bronx. Diese Achse der zwei Berge wird für Frieden sorgen. Nein, ein Berg reicht. Ein großer Berg!«

»Sollten die Menschen nicht verklappt werden?«

»Carl, hier liegen tausende von Menschen herum. Sie wissen, unser Chip hat einen Nachteil. Tote können nur schwer identifiziert werden. Wenn sie länger herumliegen, gibt der Chip seinen Geist auf. Stapeln, lackieren, fertig. Ich habe genug gesehen.«

Nachdenklich beobachtete Carl die ChiefManagerin und ihr Gefolge, wie sie in der Luft entschwanden. Sein Blick zurück auf das Leid blieb plötzlich wie gelähmt an einem zerstörten Mauerwerk haften, in dem ein Loch zu McClanahans Totenzimmer klaffte. Ein TAT schien eine Granate in das Gebäude gebombt zu haben. Das war eine Katastrophe! Er musste etwas tun, den Einschlag so schnell wie möglich reparieren lassen. Falls es nicht schon zu spät war.

Sofort erzählte er den zuständigen Bauarbeitern, es handele sich bei der einbalsamierten Leiche um ein Experiment und legte ihnen einige gefälschte ePaper und Gutscheine für ein paar schöne Stunden vor. Es interessierte sie nicht.

Aber er war zutiefst beunruhigt. Die roten Viren waren vermutlich bereits aus dem Zimmer hinaus in die weite Welt verflogen. Musste er sich Gedanken machen, nach all den Jahren? Vielleicht existierten sie schon gar nicht mehr. Die Virenmelder, die an jeder Ecke zusammen mit dem Cams hingen und die Gegend mit allerlei Mitteln checkten, waren zumindest bisher still geblieben.

War alles halb so schlimm?

Doch nur Augenblicke später durchzuckte es ihn erneut. Viele Cams und Scanner waren doch abmontiert und gegen Dummys ausgetauscht worden. Lieferengpässe für die MortalZones hatten die Verantwortlichen zu diesem Schritt gezwungen. Er konnte seine entsetzten Gedanken nicht weiterverfolgen. Erst einmal musste er seinen Laden wieder zum Laufen bringen. Wäre es eine Katastrophe … wären sie dann nicht sowieso schon alle tot?

Die erste Fuhre Lack wurde bereits heran gekarrt. Manches funktionierte sehr schnell.

Nur Minuten später landeten Maria Stervals und ihr Stab auf dem kleinen herrschaftlichen Sitz der CIA auf Staten Island. Deren Chef Hard trat bemüht lächelnd hinaus. Speichellecken.

»Wir … haben fast alles wieder unter Kontrolle.«

Sie ignorierte ihn und seine ausgestreckte Hand und betrat leger das Haus. Innen entledigte sie sich ihrem Schal und Jacke einem Hausdiener und stolzierte in das große Wohnzimmer.

»Parker?«

»Oh, hallo, Maria!« Kirk Parker drehte sich von der Panoramascheibe weg hin zu Maria Stervals. Seine gute Laune war trotz seiner schweigenden schwarzen Augen nicht zu übersehen. »Haben Sie den Angriff gut überstanden?« Er bot ihr übertrieben lächelnd einen Platz an. Sie ließ sich in einem Sessel nieder, der sich ihrem Körper zart anpasste. Hard, Ironside und Parker setzten sich an die anderen Enden des kleinen Kristalltisches. Ein Bediensteter brachte Wasser.

»Ein Endlicher?«, fragte Parker.

»Was?«

Hard verstand nicht.

»Das Personal hier. Endliche?«

»Endliche Androiden. Wir werden sie überleben«, antwortete Hard gleichgültig.

»Ja, das wird ein Wettrennen.«

Parker lächelte verschmitzt.

Maria erschauderte leicht. Ihr waren Menschenkopien dieser Art nicht geheuer.

»Zum Thema. Der Angriff der Endlichen. Parker, warum wussten Sie davon?«

»Mit den Androiden sind wir schon beim Thema.«

»Ich verstehe nicht …«

»Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass so viele Endliche einfach in ihr Verderben rennen.«

»Wir haben sie niedergeschlagen. Das wollten Sie doch!«

»Das stimmt. Aber viele dieser Endlichen waren Androiden. Falsche Menschen mit etwas Spritzblut drin. Sie haben sich auf schöne Weise verstärkt. Sie haben das doch sicher bemerkt, Hard, … über die Chips!«

»Woher kam so eine Menge an falschen Menschen? Stecken Sie dahinter?«

»Ich? Nein. Wobei ich die Idee bewundernswert finde. Aber es braucht genau die Menge, die im Menschen den Herdentrieb verursachen. Die Androiden rannten los, die Endlichen rannten mit. Natürlich rannten auch einige bewundernswerte Endliche los. Die, die an die gute Sache glauben.« Genüsslich nahm er einen Schluck Wasser. »Du bist noch nicht lange in der Politik, und es ist noch immer Politik, selbst wenn du dieses Land wie dein Puppenhaus führst. So gesehen war es ein Klassenkampf. Sie scheiterten. Es ist doch das, was du wolltest, Maria? Oder etwa nicht? Ein schnelle, unkomplizierte Lösung eines Problems.«

Sie schlug lässig die Beine übereinander: »Noch einmal: Woher? Und wieso? Wieso haben Sie mich gewarnt und was bezwecken Sie damit? Und wer steuert das alles? Doch nicht Sie alleine!«

»Noch einmal. Ich stecke nicht dahinter. Aber ich habe meine Informanten. So wie Mr. Hard seine Undercover-Agenten nicht preis gibt, so tue ich das auch nicht. Dafür habt ihr doch sicher Verständnis. Zudem ist es in diesem Staat verboten, solche Informationen zu erhalten.«

»Hard, warum wussten Sie nichts davon?«

»Wir haben alles zensiert, überwacht, überprüft und … «

»Millionen an Endlichen und Androiden greifen zur gleichen Zeit mit weißen Gewändern und einem Kreuz auf der Stirn die Bastionen der reAger an und Sie behaupten, im Vorfeld nichts davon gemerkt zu haben? Stattdessen kann dieser Rentner von einem Politiker mir genau sagen, wann und wie das Inferno losbricht, auch wenn es vielleicht von ihm gesteuert war? Wissen Sie, was passiert wäre, wenn er es nicht getan hätte?« Sie beugte sich nach vorne, der Sessel entfaltete sich leicht. »Dann wäre die CityOfSatan gefallen, weil wir mindestens zwei Minuten zu spät gewesen wären!«

»Wir haben schon versucht, Agenten einzuschleusen und … «

»Ausreden. Die Zeiten von Agenten sind vorbei. Willkommen in der Gegenwart.«

Sie stand auf und beobachtete beiläufig das Meer, das fast direkt hinter dem Haus begann.

»Noch etwas, ihr Supergeneräle.«

Parker zog ein rot eingebundenes Buch hervor.

»Was ist das?«

»Eine Bibel. Der Glaube versetzt Berge und beginnt Kriege.«

»Parker, mit diesem Märchenbuch und dieser Autobiographie eines Mannes, der sich gut vermarkten konnte, will ich nichts zu tun haben.«

»Es beinhaltet einen Code, wann und wo der Angriff erfolgen sollte.«

»Was?« Hard schrie mit ungewöhnlich hoher Stimme auf. »Zeigen Sie her.« Er riss Parker die Heilige Schrift aus der Hand und blätterte sie entsetzt durch, während sich Maria wieder setzte.

»Es wurde hier in New York gedruckt, in der Bronx um genau zu sein. Von dort aus ging sie in alle größeren Städte Amerikas, in alle … wo es zu einem Aufstand kam. Der Kreis ist ihr neues Symbol. Ein halbes Unendlichkeitszeichen. Ist das nicht süß?«

»Hard, nennen Sie mir einen Grund, warum ich nicht Ihre Eier anlecken und sie dann abbeißen sollte?«

Sie hatte wieder die lässige Pose mit den übereinander geschlagenen Beinen eingenommen.

»Äh, die Bibeln, ja … viele Endliche trugen sie mit auf das Schlachtfeld, wir waren noch bei der Überprüfung … «

»Überprüfung, dass ich nicht lache. Dieses Stück Scheiße wurde doch kontrolliert, oder? Hat keiner mitbekommen, dass das eine Falle wird? Eine Falle? Eine Falle, die sogar mit Androiden angereichert worden war? Das alles muss hergestellt werden! Und Sie bekommen das nicht mit?«

»Lass, Maria, es ist nicht mehr zu ändern.« Ironsides Worte wirkten beruhigend auf seine Chefin und Gespielin. »Erinnerst du dich an das, was ich von diesem Kerl erzählt habe, der durchs Land wandert? Der in der CityOfSatan war?«

»Der Prophet? Hard, Sie waren damals mit dabei?«

»Er streift durch das Land, unterhält Leute, aber er ist kein latenter Endlicher. Er spricht von ... dem Leben, aber nicht davon, dass zum Beispiel Endliche die besseren Gläubigen sind. Er ist der vom Schlachtfeld.«

Maria fixierte Richard.

»Was? Der Typ, der gefesselt mit auf dem Feld …?«

»Das muss der Rädelsführer sein!«

»Wir suchen bereits nach ihm. Hard, Sie müssen schneller werden. Ich habe wirklich Angst um Ihren Job.« Hard biss sich auf die Unterlippe, während Maria ins Grübeln kam. »Richard … wer sind die anderen Beiden? Vor allem, der älter aussieht … «

Das Profil, die Umrisse, alles kam ihr seltsam bekannt vor. Sie hatte diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen.

»Der eine ist unbekannt, der andere wurde abgeglichen. Er scheint ein … reAger zu sein.«

»Ein reAger? Wie kann das sein?«

»Nun, es gibt genug reAger, die sich ein Leben mit Endlichen vorstellen können.«

»Dann könnte der andere ein Endlicher sein.« Woher nur kannte sie diesen Mann? Aber sie wollte sich nicht das Hirn zermartern und fuhr fort: »Wir müssen was gegen sie tun.«

»Ist das nicht übertrieben? Ein Prophet soll für das Massaker verantwortlich sein?«

»Großes beginnt im Kleinen. Propheten arbeiten immer so. Wer weiß, wer er wirklich ist. Es gibt noch immer reiche und tonangebende Endliche. Und mit dieser Show, den Bibeln und den Androiden, die wie Apostel wirken … Okay, weiter. Sanktionen müssen her. Radikale Sanktionen!« Ihre Stimme wurde plötzlich laut, überschlug sich fast. »Die Wut, über diesen gewaltbereiten Tag … Afrika hat kein Wasser, keine Ressourcen, kaum Zukunft. Die Klimaveränderung, Pandemiezeiten, Kriege … die letzten dreißig, vierzig Jahre haben uns schon vieles abverlangt. Hitzewellen und Gluthitze, Dürre, Stürme, Überschwemmungen, Infektionskrankheiten, Massentierhaltung, Getreideknappheit, Anstieg des Meeresspiegels, Kriege in Europa, in der Welt, Kriege ums Wasser in Afrika, Australien, Asien. Was haben wir verzichtet! Auf Garnelen aus Asien, auf Erdbeeren aus dem Süden, Kunstdünger hinfort und passé, Tropenholz sowieso. Kaffee- und Kakaoanbautgebiete haben sich verschoben oder sind verschwunden. Und wer ist schuld? Der Mensch! Es gibt zu viele davon. Und wer ist momentan der momentan überflüssigste Mensch? Der Endliche. Denn dem ist egal, was mit dem Planeten passiert. Nach mir die Sintflut. Wir könnten unsere Bevölkerung fast halbieren, das Land freimachen für die Natur, wir könnten ihr etwas wiedergeben, was wir ihr seit unzähligen Jahren genommen haben.«

»Die Endlichen … sind zu viel?«

»Sie kosten nur! Sie machen Ärger. Sie werden alt, viele sind umwelt- und gesundheitsbelastend fett und produzieren zum Teil neue Menschen. Das ist scheiße! Weg mit ihnen und zwar schnell. Der kleine Bürgerkrieg war doch ein guter Anfang und gibt uns Gründe. Ausrotten! Das gleiche könnte übrigens auch für Sie gelten, Hard.«

Erschrocken registrierte Hard den neuesten Affront gegen sich, fasste sich aber schnell wieder mit nur einem Satz: »Übrigens, die Bilder, wo Sie es mit Richard neben der brennenden Kirche treiben, wurden an einem sicheren Ort transferiert.«

Maria schluckte sichtlich. Wie konnte dieser dreckige Kerl dies einfach … so unverblümt sagen? Hier? Jetzt? Vor Parker? Aber sie verstand.

»Hard, warum steht das UNO-Gebäude noch? Weg damit. Diese Ruine ist doch das visuelle Symbol der Endlichen. Hier wurden die Gesetze erschaffen, die verhindern, dass auch sie in die Gemeinschaft der reAger aufgenommen werden. Zudem will ich die UNO aus diesem Land heraushaben. WHO, Unicef, wer braucht das hier noch? Die sind jetzt schon in Wien, die sollen dort bleiben. Gleiches gilt für christliche Reliquien. Gott wohnt hier nicht mehr. Menschen sind sozial, das müssen wir nutzen, hüben wie drüben. Wir wissen: Deprimierte Menschen begehen öfter Selbstmord. Aus dem näheren Umfeld tun es einige dem Selbstmörder nach. Vielleicht sollten Androiden als angebliche Endliche Selbstmord begehen. Wird das Ganze im Netz aufgebauscht und Hintergründe bekanntgegeben, tun es wieder andere nach. Diese Infektion des Todes müssen wir für den Tod Endlicher nutzen. Sie demoralisieren. Sie wirkt zwar meistens nur bei Männern, aber sie begehren auch am meisten auf. Dazu diese NanoBots, die aufgetaucht sind. Alles nutzen, auch wenn es von einem unbekannten Feind ist. Wir müssen herausfinden, welche Menschen am meisten zusammengehören. Religion! Nachbarschaften! Gemeinsame Überzeugungen! Gamer! Wie sind diese Leute miteinander vernetzt und wie stark sind diese Netze. Diese innere Struktur müssen wir sprengen! Dazu brauchen wir Physiker, Mathematiker, Computernerds und Soziologen. Und wir gehen auch in die andere Richtung. Diese positive Stimmung in reAger-Gebieten wie CityOfSatan muss umgehend wiederhergestellt werden. Und Reliquien der Endlichen verschwinden.«

Ihr Blick fiel auf die Bibel, die Hard noch immer in der Hand hielt. Er aber bemerkte es nicht. Er rang nach Worten.

»Wie sollen wir das UNO-Gebäude … aus dem Weg räumen? Ein Flugzeug wie ins Capitol, oder vor über achtzig Jahren ins alte WorldTradeCenter?«

»Hard, das Gebäude steht jetzt schon halb im Wasser. Versenken Sie es! Ziehen Sie dem Ding den Boden unter den Füßen weg und schieben Sie es wieder den Endlichen in die Schuhe. Weil wir vorhin das Thema reAger und Endliche können Freundesein