A Rebel's Kiss - Lisa Marten - E-Book

A Rebel's Kiss E-Book

Lisa Marten

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Beschreibung

Sam ist der Chef der »Rebels«-Stuntcrew und in der Branche als absoluter Draufgänger bekannt. Kein anderer Stuntman ist so abgebrüht wie er. Sam übernimmt selbst die Jobs, an die sich sonst niemand heranwagt. Nichts bringt ihn aus der Ruhe. Nichts - außer Luna. Nach Jahren der Funkstille läuft er seiner Ex-Freundin bei einem Dreh unfreiwillig wieder über den Weg. Luna ist mittlerweile eine gefeierte Schauspielerin. Doch sie kennt auch die Schattenseiten des glamourösen Lebens: Anfeindungen, Hater, Stalker. Als Lunas Leben in Gefahr gerät, vertraut sie sich Sam an und bittet ihn um Hilfe. Auch wenn das Feuer zwischen ihnen sofort wieder auflodert - mittlerweile trennen Sam und Luna Welten voneinander. Und der Abgrund dazwischen droht sie zu zerreißen ...
Kantige Charakter, leidenschaftliche Action und eine packende Story: Lass dich mitreißen vom dritten Band der sexy Liebesroman-Reihe um die »Rebels«-Stuntcrew.

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Seitenzahl: 430

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. KapitelEpilogÜber die AutorinWeitere Titel der AutorinImpressum

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Über dieses Buch

Sam, Gründer der Rebels-Stuntcrew, ist der Draufgänger der Branche und für seine waghalsigen Stunts berühmt. Kein Stuntman in Berlin hat das Know-how oder die Abgeklärtheit, die brandgefährlichen Jobs zu meistern, wie Sam. Nichts bringt ihn aus der Ruhe. Nichts, bis auf Luna – seine Ex-Freundin, der er bei einem Dreh unfreiwillig nach Jahren der Funkstille wieder über den Weg läuft. Sie ist mittlerweile erfolgreiche Schauspielerin. Doch sie lernt auch die Schattenseiten des glamourösen Lebens kennen, denn sie kämpft mit Anfeindungen und Stalkern. Als ihr Leben in Gefahr gerät, ist Sam der Einzige, dem sie vertraut und den sie um Hilfe bittet. Das Feuer zwischen ihnen lodert erneut auf, doch mittlerweile trennen sie Welten, und der Abgrund dazwischen droht, die Liebe zu zerreißen …

L I S A  M A R T E N

Selten – doch es gibt ihn. Diesen einzigartigen Augenblick, der sich unendlich anfühlt.

Prolog

November 2013 – Whistler, Kanada

Kassy

Die Flocken, die mit dem eiskalten Wind durch die geöffnete Tür der Bar hineinfegten, verwandelten das Innere in eine funkelnde Schneekugel, und Kassy befand sich mitten darin. Hier in Whistler, einem kanadischen Skiort, sah alles so aus wie in einem Winterwunderland. Die schneebedeckten Berggipfel, die langen Eiszapfen an den Holzdächern der Häuser und die bunten Gondeln, die die Skifahrer zu den Hängen fuhren. Aber trotz des wunderschönen und so friedlichen Anblicks um sie herum war Kassys Körper inzwischen so gar nicht mehr in Urlausstimmung. Das Skitraining der letzten Tage machte sich deutlich bemerkbar und bei jedem Schritt, den sie sich hinter ihrer Freundin Paula vom Eingang in Richtung Bartresen kämpfte, zog es in ihren Oberschenkeln.

Aber da heute bereits der letzte Tag ihres sechstägigen Kurztrips nach Kanada war und sie morgen wieder mit ihrer Studienfreundin nach Hause fliegen musste, würde sie noch einmal die Zähne zusammenbeißen und den Abend genießen. Passend dazu dröhnte nun ein Song von Midnight City aus den Boxen durch das Stimmengemurmel, als sie am Tresen ankamen und Getränke bestellten. Entspannt blickte Kassy sich um und sog noch mal die losgelöste Stimmung in sich auf. Das würde sie definitiv vermissen – ganz im Gegenteil zu den Skistunden mitsamt dem Lehrer, der an Paula und ihr verzweifelt war. Bei dem Gedanken an seinen Gesichtsausdruck, als sie mal wieder mehr schlecht als recht über die Piste gerutscht waren, musste sie schmunzeln. Er war bestimmt auch sehr erleichtert, sich nicht mehr mit den unsportlichen Schauspielstudentinnen herumplagen zu müssen. Nichtsdestotrotz hatte Kassy die Auszeit gutgetan, und an diesem letzten Abend würde sie noch einmal all die Herausforderungen des Studiums ausblenden.

Lächelnd nahm sie ihren Cocktail in Empfang, drehte sich wieder Richtung Tür und verharrte prompt. Denn in diesem Moment betraten drei Männer die Bar. Aber nur der in der Mitte ließ Kassys Herz einen ungelenken Purzelbaum in ihrem Brustkorb vollführen. Gerade zog er sich die Mütze vom Kopf, darunter kamen blonde verwuschelte Haare zum Vorschein. Ein Dreitagebart schattierte sein kantiges Kinn, und unter der Sonnenbräune stachen blaue Augen heraus. Er musste mindestens ein Meter neunzig groß sein, damit überragte er seine beiden Begleiter deutlich.

Aber die Körpergröße und die Statur allein machten nicht diese Wirkung aus, die er offensichtlich nicht nur auf sie hatte. Er strahlte eine Präsenz aus, die in Sekunden den Raum flutete. Gefühlt jeder anwesende Gast drehte sich zu ihm um und begrüßte ihn, als wären plötzlich alle in seinen Bann gezogen. Ein breites Lächeln blitzte auf seinem Gesicht auf. Es wirkte frech, gleichzeitig charmant und unglaublich einnehmend. Er grüßte ein paar Gäste zurück, und selbst durch die Takte der Musik erahnte sie seine weiche Stimmfarbe. Als er in der Mitte der Bar angekommen war, zog er sich den dicken dunkelblauen Parka über die Schultern, und ihre Blicke trafen sich. Ein stürmisches Kribbeln wie ein turbulenter Wirbelwind durchströmte sie von der Scheitelspitze bis zu den Zehenspitzen.

»Hat sich doch gelohnt hierherzufahren«, ertönte es plötzlich neben ihr.

Kassy sah zu Paula, die neben ihr am Tresen stand und an ihrem bunt geschmückten Cocktailglas nippte, bevor sie mit einem kurzen Kopfnicken durch den Trubel in Richtung der drei Neuankömmlinge deutete.

Kassy schaute zurück, dort traf ihr Blick wieder den des blonden Mannes. Für ein paar Herzschläge schien sich ein unsichtbarer Tunnel zwischen ihnen aufzutun. Dort gab es weder Bartrubel noch Musik und oder andere Menschen. Nur sie beide.

Kassy fühlte sich wie elektrisiert von diesem Lächeln. Vermutlich hätte ein Sternschnuppenregen in der Kneipe herunterkommen können, das hätte sie nicht minder beeindruckt. Vollkommen verrückt, dass sie so auf eine fremde Person reagierte. Dass allein die Präsenz eines Mannes sie derart bannen konnte. Eine Begegnung in einem Wimpernschlag, und trotzdem fühlte sie sich tief getroffen. Alles wirkte plötzlich intensiver.

Als ihm von einem anderen Gast zur Begrüßung auf die Schulter geklopft wurde, wandte er sich ab.

Ertappt sah sie auf das Glas in ihrer Hand. Hitze durchflutete ihren Körper, und ihre Handflächen waren feucht. Lächerlich, dass sie hier stand wie ein Teenager und einen Kerl in einer Bar beobachtete. Doch sobald sie aufschaute, fand ihr Blick seinen wieder. Plötzlich setzte er sich in Bewegung und bahnte sich einen Weg durch die Feiernden direkt auf sie zu.

Kassy packte die Jacke, die sie über ihren Arm gelegt hatte, so fest, dass sie die Daunen im Futter knacken spürte. Ihr Herz hüpfte unregelmäßig, und die Hitze in ihren Wangen glühte vermutlich tomatenrot.

»Hi!« Er blieb vor ihnen stehen und schenkte ihr das wohl schönste und breiteste Lächeln der Welt.

Sie sah in seine blauen Augen, in denen sich sein Grinsen aufblitzend wiederfand, und verlor sich fast darin.

»Hi.« Zu mehr Antwort war sie nicht in der Lage. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, nur zu lächeln, und dem Gedanken, dass sie diesen intensiven Blickkontakt abbrechen sollte, damit es nicht peinlich wurde.

Sekundenlang sahen sie sich an.

»Das ist mein Kumpel Sam. Ich bin Matthis.« Ein Mann mit einer wilden dunkelbraunen Mähne schob sich an Paulas Seite und durchbrach damit diesen fast schon intimen Moment zwischen ihnen.

Kassy begrüßte ihn kurz, während Paula sie beide vorstellte. Sie erwischte sich bei dem Gedanken, dass ihr so etwas noch nie passiert war. Dass sich diese Faszination vollkommen ihrer Kontrolle entzog. Und die legte sie normalerweise im realen Leben an den Tag. Da hatte sie sich im Griff. Ihre Impulsivität lebte sie im Schauspiel auf der Akademie aus. Es fiel ihr sogar leichter, andere Personen darzustellen, als sie selbst zu sein. Doch hier und jetzt vor diesem gut aussehenden Kerl hoffte sie nur, dass man ihr das innere Chaos nicht ansah.

Ihre Freundin Paula war da um einiges offener und selbstbewusster. Sie tat sich leicht, Kontakte zu knüpfen und auch zu flirten. Sofort begann sie zu erzählen, dass sie beide aus Los Angeles kamen, dort Schauspiel studierten und in Whistler Urlaub machten. Kassy starrte hingegen nervös auf die zerplatzenden Kohlensäurebläschen in ihrem Drink. Wenn sie noch einmal in Sams blaue Augen blickte, würden ihre butterweichen Knie vermutlich nachgeben.

»Warum Schauspielerin?«, fragte er. Das tiefe weiche Timbre in seiner Stimme übertönte das laute Pochen ihres Herzschlags.

Jetzt sah sie ihm wieder in die Augen. Erneut flammte da dieser intensive Zauber zwischen ihnen auf, als wären sie sich irgendwie vertraut.

»Es war eher ein Zufall.« Kassy stockte.

Er nickte, ließ sie aber keine Sekunde aus den Augen.

Dadurch bestärkt, umriss Kassy kurz, wie sie in das Studium gerutscht war und wie es sich anfühlte, jetzt nicht mehr in Deutschland, sondern in Los Angeles zu leben und nicht nur zu Gast dort zu sein, wie sie es aus ihrer Kindheit von Reisen zu ihrem dort lebenden Vater kannte.

Ab und zu wanderte sein Blick zu ihren Lippen, was kleine aufgeregte Schauder durch ihren Körper jagte. Seit der kurzen Zeit, in der sie hier standen, hatten ihn schon mehrere Menschen begrüßt und ihm auf die Schulter geklopft. Trotzdem blieb sein Fokus immer bei ihr. Kassy hatte das Gefühl, dass sie wissen sollte, mit wem sie es zu tun hatte. Weil ihn alle kannten. Andererseits pochte ihr Herz so stark, dass sie sich kaum sortiert bekam. »Oder vielleicht bin ich einfach nicht gern ich selbst.« Sie spürte, wie das Lächeln an ihren Mundwinkeln zupfte, bevor sie sich auf die Unterlippe biss.

In seine Augen huschte ein Glitzern, bevor er auf die Jacke auf ihrem Arm deutete. »Darf ich?«

Sie nickte.

Er nahm ihr die dicke Jacke ab und legte sie auf einen Barhocker neben sich. Einer der Barkeeper rief seinen Namen und stellte eine Flasche Bier auf den Tresen.

Sam bedankte sich und zog die Augenbrauen hoch, bevor er einen Schluck trank. In seinen Mundwinkeln sah man trotz des Dreitagebarts und der Sonnenbräune die kleinen Grübchen aufblitzen. »Und welche Rolle spielst du am liebsten?«

»Die habe ich noch nicht gefunden, schätze ich«, gab sie ehrlich zu. Sie liebte die Bühne, das Theater, die Darstellung von Kunst in jeder Facette – ein Teil davon zu sein, erfüllte sie mehr als alles andere.

»Und du?« Der Bass der Musik und die Gesprächsfetzen der anderen Clubgänger mischten sich in ihre Frage. Selbst hier am Rand war es kaum möglich, sich verständlich zu unterhalten. Paula und Matthis hatten sich unterdessen direkt an den Tresen neben sie gestellt. Ab und zu warf Paula einen Blick zu ihnen, für Kassy jedoch nur eine Randerscheinung, weil ihre Aufmerksamkeit an Sams Lippen hing.

»Ich fahre Snowboard.«

»Das ist ein Beruf?«

O Gott. Hatte sie das wirklich gefragt? Sie hatte den Eindruck, bloß wirres Zeug von sich zu geben.

Die Grübchen unter seinem Bart wurden tiefer. Er nickte. »Ja, beruflich zurzeit.« Er zuckte mit den Schultern. »Wie lange seid ihr noch hier?« Die Musik wurde lauter gedreht, weshalb er näher kam, damit sie sich besser verstehen konnten. Seine Lippen verharrten ein paar Zentimeter vor ihrem Ohr.

Ein kribbelnder Schauder schoss über ihren Hals, als sie seinen Atem auf der Haut spürte. Er roch unglaublich gut. Herb, erdig und frisch. Sie erwischte sich bei dem Gedanken, dass sie gern mit den Fingern durch seine dichten Haare gefahren wäre. Um ihn zu fühlen, seine Reaktion zu sehen und ihn ganz nah zu sich zu ziehen. Sodass seine Lippen die letzten Zentimeter überwandten und sie seinen Mund auf der Haut spüren konnte.

»Morgen Nachmittag«, brachte sie gerade so heraus. Der Rückflug von Kanada zurück nach Los Angeles würde knapp fünf Stunden dauern. Und vermutlich würde sie in dieser Zeit nur an diesen Abend denken können.

»Morgen schon?« Kurz flackerten ein paar Falten auf seiner Stirn auf, als gefiele ihm der Gedanke gar nicht.

Sie nickte. »Ja, leider.«

»Aber wir sind bis morgen Mittag noch im Hostel«, erklärte Paula neben ihr.

Doch das konnte nicht verhindern, dass Kassy leichte Verzweiflung in sich aufsteigen spürte. Hier am letzten Abend einen Typ kennenzulernen … sie würden sich nie wiedersehen. Oder vielleicht ein paarmal Nachrichten hin- und herschreiben, bis die Distanz einfach alles zunichtemachte. Daran änderte auch der nächste Morgen nichts. »Wo lebst du?«, huschte über ihre Lippen.

Er zog die Augenbrauen leicht zusammen. »Momentan ist es etwas wild. Ich lebe eigentlich in Berlin, bin aber wegen des Jobs permanent unterwegs.« Er zuckte etwas hilflos mit den Schultern.

»Wollen wir los?« Paula rief regelrecht gegen die Geräuschkulisse an, dann zog sie ihre Jacke vom Barhocker und deutete mit einem Kopfnicken an, dass sie sich auf den Weg machen sollten.

Kassy warf einen Blick auf den fast vollen Drink, den Paula auf den Tresen gestellt hatte und fragte sich, warum es ihre Freundin plötzlich so eilig hatte. Aber sie waren zusammen hergekommen, und unter Freundinnen war es blöd, wenn sie hier die ganze Zeit mit einem wildfremden Typ sprach. Kassy nahm einen großen Schluck ihres Cocktails, verhedderte sich mit der Limettenscheibe am Rand und verschüttete einen Teil des Getränks über ihr Shirt. Am liebsten wäre sie sofort im Erdboden versunken. Schnell leckte sie die süße Flüssigkeit von den Lippen, während sie das Glas ebenfalls auf dem Tresen abstellte.

Sam blickte wie paralysiert auf ihren Mund, bevor er die Hand anhob, um mit der Daumenkuppe einen Tropfen unter ihrem Kinn wegzuwischen.

Die kurze Berührung fühlte sich so zärtlich und aufregend zugleich an, dass Kassy regungslos stehen blieb. So eine vertraute Nähe gab es unter Fremden nicht, und normalerweise hätte sie sich niemals einfach so berühren lassen. Doch hier und jetzt fühlte sie sich wie von einem Zauber gefangen.

»Entschuldige.« Plötzlich zuckte er zurück, als wäre er just aus einem Traum aufgewacht und sich null darüber im Klaren, was in ihn gefahren war. »Ich wollte nicht …« Er hob die Hände nach oben und versuchte sich zu erklären, dabei stockten die Worte.

»Nicht schlimm.« Sie spürte das feine Streichen seines Daumens weiterhin auf der Haut, während Paula sich bei ihr einhakte. »Gut, dass wir noch nicht gepackt haben.« Sie deutete auf den großen Fleck auf Kassys Shirt.

Mehr als ein Nicken und ein hastiges Tschüss brachte sie nicht zustande, während sie ihre Jacke vom Stuhl hinter Sam zog und neben Paula durch die feiernde Meute Richtung Ausgang ging. Als sie einen letzten Blick über die Schulter warf, sah er ihr nach. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie noch nicht gehen konnte. Dass sie weiter mit ihm sprechen wollte, weil es so viel zu sagen gab, obwohl ihr die Worte fehlten. Sie wollte einfach nur die Chance dazu haben. Doch bevor sie überhaupt zögern konnte, klappte die Tür hinter ihr zu.

Schnell zog sie die warme Jacke über. Ihr Atem schuf glitzernde kleine Wolken in der Nachtluft. Weiße Flocken fielen vom dunklen Himmel. Wie Sternengestöber.

»Die Drinks waren gut, aber an diese Kälte werde ich mich nie gewöhnen.« Paula rieb sich mit den Handschuhen über die Oberarme, dann zog sie eine dicke Mütze über ihre braunen Haare. »Kanada.« Sie zischte abwertend durch die Zähne. »Das nächste Mal fliegen wir nach Hawaii.«

Kassy murmelte etwas Zustimmendes, während sie sich fragte, ob man ihr die Erschütterung ansah. Normalerweise machte sie die Dinge mit sich allein aus, allerdings überforderte sie ihre Reaktion auf Sam. Einen Moment lang haderte sie mit dem Impuls, sich Paula anzuvertrauen, doch die stapfte schon los. Die Schritte schufen kleine Krater in der feinen Schneedecke. Darunter knirschte es.

Abrupt blieb Kassy stehen. Sie musste zurück. Unbedingt.

»Kassy?« Paula hatte ebenfalls gestoppt und schaute sie fragend an.

Aber was sollte sie Sam denn sagen? Es war schön, dich kennengelernt zu haben. Kann ich dich wiedersehen? Mir ist so etwas noch nie passiert …

Kassy schüttelte gedankenverloren den Kopf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Jacke offen gelassen hatte und der nasse Fleck eiskalt auf ihrer bloßen Haut lag. Schnell zog sie den Reißverschluss des Parkas nach oben, dann folgte sie Paula zurück zum Hostel.

Gedankenverloren stopfte Kassy ihre Wäsche in ihre Reisetasche und nahm nur am Rande wahr, dass Paula mit ihr sprach. Irgendwas über den Flug und den Abend und, und, und.

»Ich hole uns noch was zu trinken. Zumindest dieses Hostel war eine gute Wahl, eine inbegriffene Bar gibt es schließlich nicht überall«, plapperte Paula, und bevor Kassy etwas erwidern konnte, stapfte sie schon aus der Tür.

Kassy atmete tief durch und verlor sich ein paar Minuten im Spiel der Schneeflocken an der dunklen Scheibe, ehe sie den Flatscreen einschaltete, der an der hellen Holzwand des Zimmers wie ein dunkler Fleck wirkte.

Der Off-Kommentator kündigte ein Snowboard-Rennen an. »Und mit der Startnummer elf der Favorit: Sam Peters.«

Sie stutzte, bevor sie einen Blick auf den Bildschirm warf. Sam, dessen Kopf gerade unten neben einer Grafik eingeblendet wurde, stand vor dem Start eines Rennens. Kurz nach dem Countdown kippte er auf dem Brett nach vorne und schoss den Abgrund hinunter.

»Kassy? Das ist doch der Kerl!«

Paulas Stimme ließ Kassy aufhorchen, bevor sie überhaupt über den Sinn der Worte nachdachte. Ihre Freundin stand mit zwei Gläsern in den Händen in der Tür.

Mehr als ein »Ja« kam Kassy jedoch nicht über die Lippen, weil sie sich direkt wieder dem Flatscreen zuwandte. Dort glitt Sam gerade im rasanten Tempo über die Piste und sprang halsbrecherisch über Hindernisse. Der Schnee spritzte glitzernd von der Kufe seines Bretts, als er nach der Zieleinfahrt stoppte, das Visier aufklappte und auf das Ergebnis der Punktrichter wartete.

Paula stellte den Ton lauter. Der Kommentator beschrieb die folgenden Slow-Motion-Aufnahmen des Rennens mit den Worten: »Also, wenn das nicht der Tagessieger wird, dann weiß ich auch nicht … In dieser Saison gibt es keine Medaille, die Sam Peters nicht holt. Da gibt es keine Limits und keine Angst vor den Pisten. Das ist ein wahres Talent, und man munkelt, dass es Prestige-Angebote hagelt. Und hier ist das Ergebnis …« Auf der animierten Grafik stiegen Zahlen nach oben. »Na, bei der Zeit wird es für die Konkurrenz schwer bis unmöglich aufzuholen. Dennoch – morgen der zweite Lauf … das Finale.«

»Der sieht wirklich gut aus«, betonte Paula mit nach oben gezogenen Augenbrauen, während sie den Ton des Fernsehers leiser drehte. »Wir hätten morgen früh noch Zeit, da vorbeizuschauen«, schlug sie vor.

Kassys Kehle fühlte sich an wie ausgetrocknet. Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht, ja.« Sie wusste ja selbst nicht. Diese Begegnung hatte sie vollkommen aus der Bahn geworfen. Und ja, sie hätte viel dafür gegeben, mehr Zeit mit Sam zu haben. Doch die Realität sah anders aus. Schließlich flogen sie morgen zurück nach Los Angeles. Und dort wartete ein Studium auf sie, in das sie ihre ganze Konzentration stecken sollte.

»Kassy«, unterbrach Paula schmunzelnd ihre Gedanken.

»Ja?«

»Du hast gerade deine Zahnbürste in die Laptoptasche gepackt.« Ihre Freundin zog die Augenbrauen nach oben und biss sich auf die Unterlippe, bevor sie losprustete.

»Das liegt an dem Cocktail!« Die Borsten der Zahnbürste ragten tatsächlich aus dem Reißverschluss der schmalen Laptoptasche.

»Apropos!« Paula deutete auf die beiden Drinks, die sie von unten mitgebracht hatte. Auf dem Glas hatten sich feine Tröpfchen gebildet. Als Paula die Getränke nahm, klirrten die Eiswürfel darin aneinander. »Prost. Auf zurück in den Akademie-Wahnsinn! Ab nächstem Jahr wird bei mir alles besser laufen.« Sie reichte Kassy eins der Gläser.

Die fruchtig süße Säure des Cocktails prickelte auf der Zunge. Es schmeckte weich nach Aprikose, gemischt mit einem Hauch herben Ahornsirup. Das Fundament bildete Prosecco. Zumindest vermutete Kassy das. Kurz dachte sie darüber nach, warum Paula nicht einfach den Cocktail in der Bar ausgetrunken hatte. Normalerweise war sie diejenige, die als Letzte von einer Party nach Hause kam.

»… Über das Fachliche müssen wir nicht sprechen, ich gebe ja zu, dass ich zu wenig Stoff gelernt habe. Aber das kommt doch übers Gefühl, also die emotionale Ebene.« Wild gestikulierend stand Paula vor ihr. Der dunkelbraune Pony wippte bei ihren Armbewegungen.

Kassy wurde klar, dass sie Paula gar nicht gefolgt war. Jetzt beeilte sie sich, um den Faden wieder aufzugreifen. Sie hatte Paula am Tag der Aufnahmeprüfung an der Schauspielakademie kennengelernt. Im Gegensatz zu ihr hatte diese schon ihr ganzes Leben lang davon geträumt, Schauspielerin zu werden. Kassy hatte eigentlich mit einem Philosophiestudium in Wales geliebäugelt. Erst bei einem Komparsen-Job, den sie für einen Freund ihres Vaters gemacht hatte, um sich etwas Geld dazuzuverdienen, war sie angesprochen worden, dass sie talentiert sei. Zufall war auf Zufall getroffen, denn als sie bei ihrem Vater zu Besuch gewesen war, hatte es diese Aufnahmeprüfung in Los Angeles gegeben. Sie wusste nicht einmal, warum sie sich damals eingeschrieben hatte. Selbst ihren Eltern hatte sie davon nichts erzählt. Vielleicht weil sie Angst gehabt hatte zu versagen. Und zu großen Respekt vor dem Erfolg und dem Ruf ihres Vaters, der Soundtracks für große Hollywoodblockbuster komponierte. Und bei ihrer Mutter hatte sie eher befürchtet, zurückgehalten zu werden. Ihre Noten waren einwandfrei, sie hätte vieles studieren können. Noch dazu war sie zweisprachig aufgewachsen. In Deutschland bei ihrer Mutter und in den USA bei ihrem Vater.

Doch dann war es plötzlich nicht mehr um Erwartungen anderer gegangen. Etwas war in ihr geschehen. Sie hatte bei der Audition auf der Bühne gestanden, und nach den allgemeinen Vorstellungsfragen der Jury hatte sie begonnen und war in eine Art Rausch verfallen. Als hätte eine Metamorphose stattgefunden. Völlig frei und selbstbewusst hatte sie auf der Bühne gestanden. Als wäre ein Panzer von ihr abgefallen und sie hätte endlich ein lebenswichtiges Ventil gefunden, um ihre Energie zu bündeln. Und das hatte sich seither nicht verändert. Doch die Akademie lehrte nicht nur freies Spiel. Das Studium hatte genau so viel an Theorie zu bieten. Während Kassy büffelte, weil sie der Ehrgeiz gepackt hatte, zog Paula oft um die Häuser, feierte ausschweifend Partys und machte die Nacht zum Tag. Sie stammte aus gutem Hause, ihre Eltern arbeiteten in der Immobilienbranche, so hatte sie finanziell keinen Druck.

»Bei dir sieht das immer so leicht aus.« Paula schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck ihres Drinks.

»Das nächste Mal können wir zusammen lernen, wenn du magst.« Das Konkurrenzdenken war bei vielen Schauspielern sehr groß. Unabhängig davon, dass Kassy sich noch lange nicht als Schauspielerin sah, bereitete ihr dieses Denken regelmäßig Bauchschmerzen. Selbst hier und jetzt hätte sie das Thema lieber schnell beendet. Man konnte die Leistung und die Ausstrahlung der unterschiedlichen Künstler gar nicht vergleichen. Es gab Rollen und der eine oder die andere passte eben besser hinein. Was da als Talent galt oder vielleicht nur momentan gut in den Markt passte, konnte sich medial in Sekunden verändern.

»Gern. Und das nächste Mal solltest du unbedingt mitkommen. Die Party war legendär an dem Abend. Und ich habe da einen Typ kennengelernt.« Ihre Freundin zog die Augenbrauen in die Höhe und schüttelte den Kopf. »Er hatte Charisma und war so sexy. Und er hat so gehoben gesprochen. Nicht so wie die Typen in der Bar vorhin. Bis auf …«

Kassy seufzte innerlich. Am liebsten hätte sie gekontert und erklärt, dass Paula gar nicht mit Sam gesprochen hatte. Doch Paula tickte in dieser Richtung anders als sie. Ihre Freundin stand auf Geld und Prestige und Machtgehabe. Solche Typen konnten Kassy gestohlen bleiben. Außerdem hatte sie eben in letzter Zeit überhaupt keine Lust auf Flirten gehabt. Seit sie an der Akademie aufgenommen worden war, hatte sie ein Ziel. Und nicht vor, sich ablenken zu lassen. Zu diesem Urlaub hatte sie sich überreden lassen, weil sie noch nie Winterurlaub gemacht und sie die sportliche Herausforderung gereizt hatte. Und jetzt, am letzten Abend des Trips, begegnete sie Sam. Und etwas in ihr sagte ihr klar, dass diese Begegnung anders gewesen war. Etwas ganz Besonderes.

»Bis auf?«

»Na, diese Snowboardtypen waren hot, keine Frage. Aber du hast doch nicht wirklich vor, da morgen hinzugehen, oder?« Paula warf sich auf ihr Bett und streckte die Arme über den Kopf aus, um sich zu rekeln.

Manchmal wurde Kassy nicht schlau aus ihrer Freundin. Dieser Wankelmut war omnipräsent und anstrengend. »Hattest du das nicht vorhin vorgeschlagen?«

»Ja.« Paula lag auf dem Rücken, stützte sie sich mit den Ellbogen ab und schaute sie mit zusammengepressten Lippen an. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass du das ernsthaft in Betracht ziehst. Aber gut …« Sie hob die Handflächen, bevor sie sich wieder nach hinten kippen ließ. »Dann sehen wir uns morgen eben noch dieses Rennen an.«

Am nächsten Morgen stapfte Kassy hinter Paula zur Absperrung. Die World Championship im Boarderstyle fand auf dem Blackcomb Mountain statt, und die Piste lag quasi in Laufweite der Hostels. Nur dass sich Kassy als Anfängerin nicht in die Nähe dieser Gegend getraut hatte. Sie hatte schon Schwierigkeiten, die Kinderpiste aufrecht herunterzukommen. Selbst die vielen Plakate und Aufsteller, die den Wettkampf als Event ankündigten, fielen ihr erst jetzt bewusst auf.

Als sie unten an der Piste angekommen waren, ließ Kassy ihren Blick über die vielen Sportler mit Nummerntrikots schweifen. Ein paar Presseleute warteten unter Pavillons. Aktuelle Charts dröhnten aus hohen Boxen und machten so das Winterwunderland zu einem Rummelschaulaufen.

Etwas peinlich fühlte sich die Aktion schon an. Hier wie ein seltsamer Fan zu warten, obwohl sie überhaupt keine Ahnung von dem Wettkampf hatte. Sie hatte ja nicht einmal geahnt, dass Sam ein bekannter und erfolgreicher Sportler war. Um Himmels willen, sie hatte sich sogar erkundigt, ob das ein richtiger Job war. Und seit ein paar Stunden musste sie sich auch ernsthaft fragen, wo ihr Selbstbewusstsein geblieben war. Schüchternheit war das eine, aber kaum ein Wort herauszubekommen und die Augen nicht von einem Kerl losreißen zu können, wirkte wohl kaum souverän. Genauso wenig wie die Zahnbürste zum Laptop zu packen.

»Komm schon, Kassy, da ist ein Platz frei.« Paula zog sie am Ärmel der dicken Daunenjacke hinter sich her und zerrte sie Richtung Absperrung. Ihre Freundin hatte offensichtlich ein Auge auf den Journalisten geworfen, der in einer dicken teuren Jacke mit einem Mikrofon in der Hand vor einer Kamera stand.

Vor ihnen erstreckte sich der breite Zieleinlauf. Kassy hatte keine Ahnung, welche Route die Fahrer überhaupt über die Piste und Hindernisse nehmen mussten, geschweige denn, was es mit den vielen Fahnen auf sich hatte.

»Das ist der zweite Lauf von dreien, der ganze Wettkampf wird sich ganz schön ziehen, aber hey … immerhin sitzen wir nicht dumm im Hostel und warten. Mann, bin ich froh, wenn wir wieder zu Hause sind«, erklärte Paula, ohne den Blick von dem Moderator zu nehmen.

»Woher weißt du, welcher Lauf das ist?«

»Na, ich habe mir den Beitrag gestern angesehen, während du leicht abgelenkt warst.«

Eigentlich brachte die ganze Aktion nichts. Sam fuhr hier ein Rennen, es gab Riesentrubel, und es war schlicht albern, sich von einem Fremden verabschieden zu wollen, den man nie wiedersehen würde. Doch in einem hatte Paula recht, sie hatten nichts Besseres vor, also stützte sich Kassy auf einen der Pfeiler des Zauns und beobachtete die wartenden Snowboarder, die sich in Bewegung setzten, um sich am Lift aufzustellen.

Als das Spektakel begann, kroch eine spürbare Spannung durch die Zuschauermenge. Es hatte schon was, die laute Musik, die anheizte, die Stimme des Kommentators während der Läufe und die Reaktionen der Fahrer, wenn sie nach dem Zieleinlauf außer Atem das Visier hochklappten, um auf dem großen Screen die Ergebnisse abzulesen.

Als Sam Peters mit seinem Lauf angekündigt wurde, kribbelte es in Kassys Bauch. Auf dem Screen wurde die Startrampe eingeblendet. Sam stand in Position. Auf dem Kopf ein mattschwarzer Helm mit drei Emblems von Sponsoren, über den Augen eine schwarze schillernde Brille. Start. Kassys Puls schoss nach oben. Selbst der Kommentator geriet ins Schleudern bei dem rasanten Stil von Sams Rennen. Elegant raste er um die Fahnen. An seinen Beinen erkannte man die Geschwindigkeit, mit der er über die holprig harte Eispiste jagte. Jubelnd wurde er unten vom Publikum begrüßt. Er schob die Brille hoch und wartete ernst auf die Punkte, bevor sich ein Lächeln auf seine Lippen legte.

Wie am gestrigen Abend zog Kassy dieses Grinsen vollkommen in den Bann. Sam sah nicht nur gut aus. Das war mehr als diese männliche Kernigkeit, seine kantigen Züge, die breiten Schultern oder die Größe. Es lag in seinen Augen, dieses charmant Schelmische. Als wäre das ganze Leben, mit all seinem Risiko, nur ein großes Spiel, das er nicht allzu ernst nahm.

Er winkte in die Menge, bevor sein Blick fast wie magnetisch an ihr haften blieb. Kassy erstarrte regelrecht, als er sein Brett abschnallte, es hochhob und mit den schweren Boots direkt auf sie zu stapfte.

»Ihr seid noch nicht weg«, sagte er atemlos. »Es ist«, er stockte kurz, »so schön, dich zu sehen.« Er freute sich wirklich.

Kassys Herz hüpfte leicht. »Wir fliegen erst in zwei Stunden, ein bisschen Zeit, um sich das Rennen anzuschauen.« Sie zuckte mit den Schultern.

Er kam näher, weil sie sich wegen der lauten Musik kaum verstanden. »Zwei Stunden also?«, wiederholte er.

Sie nickte.

Ein Mann, der Teil der Crew zu sein schien, rief nach Sam und bedeutete ihm, dass er kommen sollte. Sam sah zwischen dem Typ und ihr hin und her. Dann presste er die Lippen aufeinander und entschuldigte sich, bevor er ging.

»Viel Glück«, rief sie, als er davonstapfte.

»Alles in Ordnung?«, hakte Paula nach.

»Warum wünsche ich viel Glück? Ich meine, er ist der Favorit des Rennens, da sollte man doch viel Erfolg wünschen.« Am liebsten hätte sie sich mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. Stattdessen biss sie sich auf ihre Unterlippe. Seit wann war sie so eine Art »Mädchen«, das sich wegen Begriffen verrückt machte? Mein Gott, was war nur los mit ihr?

»Ich glaube, es ist ziemlich egal, was du ihm wünschst.«

Obwohl Kassy Sam nachsah, nahm sie das Lächeln in Paulas Worten wahr. Sie schaute zur Uhr und stellte verzweifelt fest, dass sie bald im Flieger sitzen würde. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

»Was macht der denn?« Paulas Tonfall lenkte Kassys Aufmerksamkeit einige Minuten später zurück zur Piste.

Durch die Menge floss ein erschrockenes Raunen, als Sams Sturz in Slow Motion auf dem großen Monitor wiederholt wurde. Der Kommentator erklärte, dass Sam sich mit diesem Sturz für die heutige Endrunde quasi disqualifiziert habe. Spektakulär, so was habe man auch noch nie erlebt. Glück für den Favoriten, dass er punktetechnisch so viel Vorsprung hatte, dass er trotzdem am Finale teilnehmen konnte … die heutige Leistung würde nach diesem Pech eine kleine spannende Aufholjagd nach sich ziehen, falls Sam Peters sich nicht nachhaltig verletzt hatte.

Kassy hielt sich die Hand vor den Mund und wagte kaum zu atmen. Doch Sam rappelte sich wieder auf und hob beide Arme in die Höhe, bevor er sein Brett, das sich im Laufe des Sturzes gelöst hatte und jetzt ein paar Meter von ihm entfernt lag, einsammelte.

Kassys Herz pochte so heftig, dass sie glaubte, ihren Puls in jeder Ader widerhallen zu spüren. Das einzig Beruhigende war, dass Sam langsam nach unten glitt. Die Fahrt auf dem Brett wirkte geschmeidig, dabei hatte der Sturz schlimm ausgesehen.

Als er vor ihr zum Stehen kam und der Schnee unter seinem Brett wegspritzte, musste ihr der Schrecken ins Gesicht geschrieben sein. Er schnallte sein Board ab und zog den Helm aus, bevor er ungeachtet des lauten Jubels der umstehenden Zuschauer direkt auf sie zukam. Er zog die eng anliegende Mütze vom Kopf, was kleine Wölkchen in der Eiseskälte aufsteigen ließ. »Jetzt haben wir Zeit.« In dem Blau seiner Augen blitzte es regelrecht auf. »Schenkst du mir ein Date?«

Schlagartig entwich der angestaute Atem aus ihrem Mund. »Jetzt haben wir Zeit?« Ihre Stimme klang unnatürlich hoch, obwohl sie zu flüstern versuchte. »Hast du das mit Absicht gemacht?« Das konnte nicht wahr sein. »Du bist absichtlich gestürzt?« Sie wusste nicht, ob sie grinsen oder schimpfen sollte. Schließlich war so eine Aktion unglaublich gefährlich. Es hätte weiß Gott was geschehen können. Andererseits würde es bedeuten, dass er einen wichtigen Wettkampf verloren hatte, nur um Zeit mit ihr zu haben.

Und warum fühlte sie sich wie eine Komplizin in einem Komplott? Am liebsten hätte sie laut aufgelacht.

Er strich sich über den kurzen Bart, doch selbst die Geste konnte sein Grinsen nicht verdecken. »Sagen wir, ich habe kurzfristig umdisponiert.«

»Umdisponiert?« Das war die schönste, verrückteste und charmanteste Aktion, die sie je erlebt hatte.

Er zuckte die Schultern. »Für einen besonderen Anlass.«

Das Lächeln auf seinen Lippen verzauberte sie. Ein Euphorie-Feuerwerk blitzte mit bunten Glücksfunken durch ihr Herz. Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass dies ein Augenblick war, den sie niemals vergessen würde. Er war unbezähmbar und magisch. Genau so wenig wie dieses Lächeln.

1. Kapitel

August 2022 – Berlin

Sam

Sieben Jahre lang.

Sams Kieferknochen mahlten aufeinander, während sich seine Fingernägel in die Handballen gruben. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper versteinerte, als wappnete er sich gegen einen harschen Angriff. Sieben Jahre hatte er versucht, Kassy aus dem Weg zu gehen. Er ignorierte die Schlagzeilen und die Presse, die über ihre Karriere berichteten. Er hatte sogar Jobs in den Staaten ausgeschlagen, um nicht mit ihr an einem Set arbeiten zu müssen.

Sieben verdammte Jahre war es ihm gelungen, so zu tun, als hätte sie nie existiert. Und jetzt stieg sie in Berlin aus einer Limousine. Sam zwang sich, den Blick abzuwenden. Er wollte den Pulk der Menschen an den Brückenpfeilern, dort unterhalb des Sets, nicht sehen. Trotz des Trubels, der dort herrschte, hatte er Kassy schon erkannt, sobald sie den ersten Schritt aus dem Wagen gemacht hatte. Jede Bewegung – ihre Art zu gehen – er würde sie blind erkennen, doch er wollte es nicht mehr. Er wollte ihr nicht mehr begegnen.

Plötzlich kam er sich wahnsinnig naiv vor, weil er ernsthaft geglaubt hatte, sich von der Vergangenheit freigemacht zu haben. Denn dieser erste Blick auf sie fühlte sich an, als wäre er hinterrücks attackiert worden. Als wäre ein Blitz eingeschlagen, unvermittelt und plötzlich. Etwas, wogegen er sich nicht wehren konnte. Und genauso rabiat und unvermittelt stürmten die Gefühle auf ihn ein. Er wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und ignorierte das dumpfe schnelle Wummern seines Pulses, der in den Ohren pulsierte. Eine zermürbende Bitterkeit schoss in seine Kehle. Abrupt drehte er sich um und ging Richtung Kran-Operator, der das Setting auf der Brücke begleitete.

»Hey, Sam, alles klar?«

Jackson, so hieß er, dachte Sam gedankenverloren, als er die Hand des grinsenden Aufnahmeleiters von seiner Schulter streifte, ein Nicken andeutete und weiterging. Kassy konnte ihn nicht gesehen haben, schließlich befand er sich auf der Brücke, von der gleich Jasper, ein Stuntman der Rebels, mit einem Motorrad auf einen fahrenden Zug springen sollte. Und Kassy war mit der Limousine unten bei den Schienen angekommen. Keine Ahnung, ob man als populäre Schauspielerin noch Cast-Listen der Crew las, vermutlich nicht. Sonst wäre ihr klar gewesen, dass seine Firma die Stunts in Berlin betreute. Und spätestens dann hätte sie hier nicht auftauchen dürfen. Denn dazu war zu viel geschehen.

Jeder Atemzug rasselte durch seine Kehle, und seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. Er konnte sich von Brücken stürzen, in Flammen aufgehen und in rasender Geschwindigkeit über Serpentinen jagen, doch das hier machte ihn fertig.

Er musste so schnell wie möglich weg. Jasper würde den Stunt rocken. Alles war vorbereitet. Sam hatte seine fachliche Meinung zum Ablauf abgegeben, fertig. Alles würde so laufen wie geplant, schließlich war die Rebels Stunt Crew dafür bekannt, dass sie fehlerfrei, professionell und sauber arbeitete. Und er war stolz darauf, dass sie diesen Ruf genossen. Sie hatten hart dafür gearbeitet. Wenn es Grenzen gab – die Rebels sprengten sie. Das war in den letzten Jahren sein Mittelpunkt gewesen. Diese Crew war sein Leben, sie tat ihm gut. Er sog viel Selbstbewusstsein aus dem Erfolg, und genau das hatte ihn geerdet und aus dem seelischen Chaos befreit, das Kassy hinterlassen hatte.

Warum war sie bloß hier? Weder in der Dispo noch im Ablaufplan stand, dass die Hauptdarsteller persönlich am Set erscheinen würden. In Berlin drehten sie die Stunts, bei den Takes wurde der Cast gedoubelt. Ja, er hatte gewusst, dass sie in dem Film die Hauptrolle spielte. Genau deshalb hatte er das ganze Skript gelesen und mit dem Regisseur gesprochen. Es hatte keine Überschneidungen gegeben. Es ergab schlicht überhaupt keinen Sinn, das Geld in die Hand zu nehmen und eine Prominente wie Luna Perell nach Deutschland einzufliegen. Berühmte Regisseure wie Nolan, Fincher und selbst Coppola drehten mit Kassy. Unter ihrem Künstlernamen Luna Perell galt sie als der neue Stern am Hollywoodhimmel.

Für einen Atemhauch ertappte er sich beim Gedanken, dass sie wegen ihm hierhergekommen sein könnte. Dann wischte er den Impuls beiseite wie eine nervige Fliege und ging an der Crew vorbei, die den Sprung von der Rampe vorbereitete. Kurz drauf stapfte er die Brücke hinunter in Richtung Parkplatz. Dort stand der Van der Rebels, wenigstens in entgegengesetzter Richtung zu Kassys Ankunftsort.

Er stieg in den Wagen und startete den Motor. Dann schlug er wütend auf das Lenkrad. Er ärgerte sich maßlos, dass er den Job angenommen hatte. Jetzt und hier einfach abzuhauen, war unprofessionell, und er hatte sich seit der Gründung der Rebels vor fünf Jahren keine Schramme in seinem Ruf zugezogen. Diese Stuntcrew aufzubauen, hatte ihn gerettet. Seelisch und psychisch. Nachdem Kassy den Kontakt ohne ein weiteres Wort abgebrochen hatte, war er vollkommen verloren gewesen. Zwei Jahre hatte er sich mehr schlecht als recht durch seinen alten Job bugsiert. Er war Snowboard gefahren wie eine Marionette. Stets auf der Suche nach den radikalsten Manövern auf der Piste. Ab und zu hatte er sogar gehofft, dass etwas schieflief.

Er hatte Albträume gehabt, schlaflose Nächte, in denen er sich gefragt hatte, warum sich Kassy zu diesem radikalen Schritt entschlossen hatte. Was er übersehen hatte. Warum der Mensch, der ihm am nächsten gewesen war, sich urplötzlich gegen ihn gewendet hatte. Ohne ein Wort.

Alles war im Chaos versunken. Er hatte sich selbst nicht mehr getraut und sich immer mehr zurückgezogen. Der Erfolg war geblieben, der Hype um seine Sportlerlaufbahn war größer geworden und er einsamer. Er hatte sich dem Konstrukt Karriere schutzlos ausgeliefert gefühlt, das Management hatte Termine vereinbart, die er kühl abarbeitete. Wenn er auf der Piste gefahren, geschwommen war oder Krafttraining gemacht hatte, war er fokussiert gewesen, er hatte funktioniert, mehr nicht. Den Kontakt zu seinen Freunden hatte er nicht gepflegt. Er hatte das Mitleid oder die Sprüche, dass es noch andere Frauen auf der Welt gab, kaum ertragen können. Das Letzte, was er gewollt hatte, waren Dates.

Dann hatte er Jasper kennengelernt, der damals als Roadie für einen Sponsoren gearbeitet hatte. Es war die Ruhe, die dieser ausstrahlte, die Sam gutgetan hatte. Irgendwann hatte der geborene Ukrainer, der ansonsten wortkarg stoisch vor sich hin arbeitete, zu ihm gesagt, dass Sam bei dem Fahrstil sein Geld gleich als Stuntman verdienen könne. Nicht mehr als ein Spruch und doch der Samen einer Idee. Ab diesem Zeitpunkt hatte der Impuls, eine Crew zu gründen, immer exaktere Züge angenommen. Sam hatte begriffen, dass er sich entscheiden musste. Entweder er ließ sich gehen und verlor sich, oder er nutzte ein gesundes Maß an Wut, um alles radikal zu verändern.

Die Gründung der Stuntcrew hatte ihm einen Teil der Power wiedergegeben. Es bedeutete mehr als ein Projekt oder eine Aufgabe. Diese Veränderung hatte er gebraucht. Sein Mentor Kilian, selbst ehemaliger Stuntman, beschrieb es so: Stuntman, das lernte man nicht, man machte keine Ausbildung oder ging auf eine Schule. Man musste angstfrei sein und ein kompromissloser Grenzgänger. Es ging um Physik, Planung und Teamgeist. Um Passion und Leidenschaft, nicht um den schnellen Kick.

Das Geld, um eine Firma zu gründen, hatte Sam während seiner Karriere verdient und angelegt. Und alle Stunt-Scheine, die er gemachte hatte, waren ihm leichtgefallen. Fallschirm, Tauchschein, Pyrotechnik, Statik – er hatte alles aufgesogen wie ein Schwamm. Dann hatte er Jasper ins Boot geholt und die Rebels Stunt Crew in Berlin gegründet.

Vor drei Jahren hatten sie Maria dazugewonnen. Sie waren mehr als ein gutes Team. Sie waren Freunde. Er hatte sich in der Arbeit vergraben und jeden Adrenalinschauer begrüßt, weil er ihm das Gefühl gegeben hatte, nicht rettungslos unterzugehen. Und zu leben.

Mit den Handballen schlug er noch mal auf das Lederlenkrad, bevor er die Stirn daran lehnte und tief durchatmete. Er drehte den Motor des Vans wieder ab, zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg fluchend aus, bevor er die Tür zuschlug. Er würde seine Crew jetzt nicht allein lassen. Die ganze Geschichte war sieben Jahre lang her. Luna Perell war nicht Kassy. Luna Perell war eine Schauspielerin, eine Fremde. Er würde dieser Frau aus dem Weg gehen. Punkt.

Entschlossen stapfte er zum Set zurück. Jasper wartete auf dem Motorrad etwa zweihundert Meter von der Rampe entfernt auf der Brücke. Ein Sprung auf ein fahrendes Objekt, wie in diesem Fall auf einen Zug, barg immer mehrere Risiken. Normalerweise hätte er den Stunt selbst gemacht. Diesmal hatte er ihn Jasper angeboten und sich rein um die Koordination gekümmert. Schlicht aus einem Bauchgefühl heraus, vielleicht war auch sein Misstrauen gegenüber der amerikanischen Prestige-Produktion schon da gewesen. Es war ein Fehler gewesen, den Job überhaupt anzunehmen. Jetzt hing Jasper da drin, und Sam konnte ihn unmöglich im Stich lassen. Abhauen stellte schlicht keine Option dar.

Sam konzentrierte sich auf seinen Arbeitstunnel. Darin war er Meister. Er hatte es perfektioniert. Das Funktionieren. Trotzdem kostete es Beherrschung, nicht zu dem Medientrubel und den parkenden Limousinen unterhalb der Brücke zu schauen. Stattdessen heftete er sein Blick fieberhaft an seinen Freund. Heute besuchten sogar Jaspers Freundin Laila und ihr kleiner Bruder Karim die Dreharbeiten. Alle, die Sam wichtig waren, würden heute anwesend sein.

Kurz darauf wedelte Maria mit einem Arm, bis er zu ihr sah, dann erkundigte sie sich per Handzeichen, ob bei ihm alles in Ordnung sei. Sie saß beim Aufnahmeleiter unter einem Pavillon, der das Licht mehr schlecht als recht von den Preview-Monitoren abhielt. Deshalb musste sich Trenton, der Regisseur, einen schwarzen Kasten über Kopf und Monitor klappen, um die Reflexionen auf den Bildschirmen gering zu halten und die Szene beurteilen zu können.

Kurz entschlossen marschierte Sam zu Trenton und legte die Hände auf den Tisch. »Warum sind die Schauspieler da?«

»Was?« Trenton zog den Kopf aus dem schwarzen Kasten und starrte Sam irritiert an.

Erst jetzt fiel Sam auf, zu welcher Übersprungshandlung er sich hinreißen lassen hatte.

»Na ja, sie sind die Schauspieler.« Trenton schien relativ hilflos. Was wohl nicht einzig an der Frage an sich lag, sondern auch an der Tatsache, dass Sam normalerweise immer ruhig blieb. Er erkannte sich ja gerade selbst nicht wieder.

Und genau das spiegelte Marias Blick.

»Ich hatte nur nicht mit dem Trubel gerechnet.« Sam machte den Rücken gerade und stapfte zurück zum Set. Es war unprofessionell, wie er sich verhielt. Er hatte hier einen Job zu erledigen und der besagte: koordiniere Jaspers Motorrad-Stunt. Er steckte den Knopf in sein Ohr und setzte das Headset-Mikro auf.

»Wie sieht es aus?«

Jasper drehte sich zu ihm. Die schwarz glänzende Motorradkluft musste sich bullenheiß aufgeladen haben in der Sonne. Es war ätzend, dass sie ihn so lange warten ließen. Trotzdem: Die Maschine war der Wahnsinn. Normalerweise hätte sich Sam so einen Auftrag nie durch die Lappen gehen lassen. Das war sein Ding – Geschwindigkeit, Sprünge, Taktik. Aber es war genau die richtige Entscheidung gewesen, nur zu koordinieren. An dem Vorfall von eben konnte man ja sehen, wie sehr ihn allein der Gedanke, dass Kassy an derselben Produktion beteiligt war, sein inneres Gleichgewicht beeinflusste. Und jetzt war sie auch noch hier. Sam versuchte, sich zu konzentrieren. Den Ablauf hatten sie zigmal durchgesprochen. Wie Jasper auf dem fahrenden Zug landen musste, mit welcher Geschwindigkeit, mit welchem Rückstoß er zu rechnen hatte. All das konnte man theoretisch vorher feststecken. Was es aber in der Realität mit einem machte – dieser Rausch, wenn etwas vermeintlich Unmögliches klappte … das toppte alles.

»Bereit«, tönte Jaspers Stimme aus dem Knopf in Sams Ohr.

Sobald der Zug unter der Brücke startete, gab Sam seinem Freund das Kommando. Es fühlte sich fast so an, als würde er die vibrierende Energie des Motorrads in seinem eigenen Körper spüren. Er stellte sich neben Maria und den Aufnahmeleiter vor die Monitore und betrachtete die unterschiedlichen Einstellungen der Kameras. Wenigstens war Trenton wieder in die schwarze Box abgetaucht. Sam war sein Auftritt von vorhin unangenehm, doch auch das musste er jetzt ausblenden. Zurück zur Szene. Die GoPros, die er mit Maria und Jasper im Vorfeld der Dreharbeiten versteckt am Setting angebracht hatte, konnten sie nicht live übertragen. Sie würden die Action-Kameras später auswerten.

Sam startete den Countdown. Regelmäßig und ruhig zählte er die Zahlen herunter, die anderen Koordinatoren und der Aufnahmeleiter hatten sich stumm geschaltet. Sie konnten über die Interkom zuhören, das reduzierte die Nebengeräusche, die in Jaspers Helmlautsprecher störend gewesen wären. Ein Motorrad an sich war schon laut genug. Als Sam bei null ankam, fetzte Jasper los. Er musste den Lenker gerade nach oben ziehen, sodass er nach dem kurzen Flug möglichst geschmeidig und mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Waggondach aufsetzen konnte.

Sams Fokus verlagerte sich auf den Monitor, auf dem der Zug inklusive eines Waggons heranraste – der Rest des ICE würde in der Postproduktion digital in die Szene integriert werden.

»Er kommt zu flach rein«, flüsterte Maria. Ihre Stirn in Falten gelegt, die Lippen sorgenvoll zusammengezogen, stand sie mit verschränkten Armen neben ihm.

Sam hielt kurz sein Mikro zu. »Nein. Er schafft es.« Jasper hatte ein untrügliches Gefühl für Motorräder und eine Körperbeherrschung wie kein zweiter.

Das laute Jaulen des Motors klang gegen das Rattern der Schienen an. Dann setzte Jasper mit dem Hinterrad hart auf.

»Cut«, tönte der Aufnahmeleiter durch den Knopf in Sams Ohr.

»Puh.« Maria atmete laut auf.

»Allerdings«, fügte Sam hinzu. Er beobachtete, wie der Zug entschleunigte und auch Jasper auf dem Dach zum Stehen kam. Auch wenn sie sich für eine wendige Motocross entschieden hatten … so eine Maschine wog eine Menge. Jasper musste es immense Kraft kosten, das Motorrad jetzt im Stand festzuhalten. Auf wackligem Boden, nach so einem Aufprall.

Sam machte sich auf den Weg zur Treppe, die nach unten zu den Schienen führte. Er fühlte sich wie in einem Tunnel. Im Fokus nur der Zug und seine Crew, allen voran Jasper. Sam spürte, wie seine Kieferknochen spannten und sich jeder Muskel im Rücken verhärtete, als wüchsen ihm Flügel aus Eisen. Wie ein stilles Mantra wiederholte er in Gedanken immer wieder, dass das hier ein Set war. Sein Job, mehr nicht. Er hatte mit den Schauspielern und der restlichen Produktion nichts zu tun. Mit diesem gewagten Take tat seine Crew dem befreundeten Regisseur einen Gefallen.

Sobald Sam den auf den Schienen zum Stehen gekommenen Zug erreicht hatte, gab er den Roadies das Zeichen zum Rampenaufbau, bevor er selbst die Tür des Waggons öffnete und über eine Luke aufs Dach gelangte. Er packte den Lenker, um Jasper das Gewicht der Maschine abzunehmen. Sein Freund stieg ab. Ein paar Jungs der Crew schoben die Rampe an die Zugseite. Die Geräusche zerrten wie scharfe Sägen an Sams Nerven. Er war drüber. Die Geschichte hier brachte ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht.

Sobald alles sicher stand, nahmen die Roadies Sam das Motorrad ab und schoben es über die Rampe herunter.

»Ich bin zu flach aufgekommen«, keuchte Jasper kurzatmig, als er den Helm vom Kopf gezogen hatte. Auf seinen Schläfen glänzte Schweiß.

Sam kletterte hinter ihm durch die Luke. »Es sah gut aus, mach dir keinen Kopf.« Jasper erlaubte sich keine Fehler und trainierte routiniert. Sein Ehrgeiz war genauso groß wie Sams. »Aber deine Knochen werden heute Abend immer noch vibrieren.«

Jasper murmelte zustimmend. »Mehr mein Arsch als meine Knochen.« Über die Mundwinkel seines Freundes huschte ein seltenes Grinsen. Seit es Laila in Jaspers Leben gab, veränderte er sich. Es waren solche Kleinigkeiten, die ihn nahbarer machten. Und so liebevoll, wie er mit Karim, Lailas kleinem Bruder, umging, erkannte jeder, dass Jasper eine weiche und feinfühlige Seite hatte.

»Na wenn das alles ist. Respekt.« Sam schlug in Jaspers Hand ein. Blessuren, blaue Flecken, Schnitt- und Brandwunden gehörten dazu. Knochenbrüche waren ärgerlich, weil man dann ausfiel. Allerdings passierte das selten.

Durch das abgedunkelte Fenster des Waggons konnte man Laila erkennen. Sie wartete auf Jasper.

»Bleibt es bei dem Take?«

Sam nickte. »Eine Wiederholung ergibt keinen Sinn. Ich kläre das.« Sie hatten beim ersten Mal abgeliefert. Sam konnte kaum beurteilen, wie das Kamerateam die Szene eingefangen hatte, doch bei fünf aktiven Perspektiven inklusive Drohne musste alles passen. Und besser konnte man den Stunt nicht machen.

Jasper wischte sich die Schweißperlen von den Schläfen und reichte Sam den Helm, bevor er zur Tür ging.

»Hey, Sam.« Jasper warf ihm noch einen Blick über die Schulter zu, die Augen argwöhnisch zusammengezogen. »Bei dir alles klar?«

Für einen Moment kostete ihn Jaspers direkte Nachfrage seine Beherrschung. Natürlich spürten Maria und Jasper, dass ihn etwas umtrieb. Es fühlte sich seltsam an, dass er selbst mit seinen beiden besten Freunden niemals über seine Vergangenheit oder Beziehung zu Kassy gesprochen hatte. Als hätte er es so aus seiner Erinnerung löschen können. Indem er einfach so tat, als hätte sie niemals existiert. Doch dieses Phantom stand jetzt keinen Kilometer entfernt irgendwo hier am Set. »Mir gehts besser als deinem Arsch.« Sein Lächeln fiel etwas zu schräg aus.

Jasper blieb stehen und nickte. Dann öffnete er die Waggontür und stapfte gespielt schwer seufzend die Treppen nach unten. Als würde ihm jeder Schritt wahnsinnige Schmerzen im Hintern bescheren.

Kurz flackerte ein echtes Lächeln auf Sams Lippen auf. Doch es verschwand sofort wieder. Durch die Scheibe beobachtete er, wie Jasper nach draußen ging und Laila in die Arme schloss. Kurz darauf hüpfte Karim neben die beiden. Es sah fast aus, als wären die drei eine Familie.

Sam wandte sich ab, strich sich die Haare nach hinten und nahm den hinteren Ausgang des Waggons. Dort bahnte er sich einen Weg durch die Crew, direkt zum Regisseur. Es gab eine Nachbesprechung der Szene vor den Monitoren, auf denen sie die unterschiedlichen Einstellungen prüften. Dienst nach Vorschrift, dann konnte er den Ort verlassen.

»Ich nehme die GoPros ab«, flüsterte ihm Maria zu. Ihre Hand streifte seine Schulter, als haderte sie mit dem Gedanken, ihn in den Arm zu nehmen.

»Danke. Bei dem Rest helfe ich dir gleich.«

Er hatte nicht vor, länger hierzubleiben als unbedingt nötig, der Zwiespalt in ihm war kaum auszuhalten. Einerseits blickte er unruhig zu jeder Person, die neu zum Set kam. Weil es sich dabei um Kassy handeln könnte. Und er den bizarren Wunsch in sich verspürte, sie zu sehen. Oder ihre Reaktion auf ihn. Andererseits hatte es ihn erschüttert, wie stark ihr Erscheinen auf ihn gewirkt hatte. Weshalb er sie wiederum auf gar keinen Fall sehen wollte.

Wenigstens hatte das Team nichts an der Umsetzung des Stunts auszusetzen. Das bedeutete, dass sie sich nicht länger als nötig am Set aufhalten mussten. Der amerikanische Aufnahmeleiter kommentierte die gelungene Arbeit ungelenk scherzend mit der Erwähnung der deutschen Gründlichkeit. Sam bedankte sich und hoffte, dass seine innere Unruhe und die Nervosität im Trubel untergingen und niemand merkte, dass er es eilig hatte.

Er ging zum Van, um die letzten Kisten Equipment und Motorradausrüstung auf die Ladefläche zu hieven. Er musste herausfinden, wie lange sich die amerikanischen Schauspieler in Berlin aufhalten würden. Klar, in einer Großstadt konnte man sich aus dem Weg gehen, aber Kassy musste ihre Gründe haben, hier aufzutauchen. Die letzten Jahre hatten sie sich gegenseitig erfolgreich ignoriert, und Sam hatte nicht vor, an diesem Zustand etwas zu ändern. Luna Perell – eine Fremde, mehr nicht.

»Kommt ihr ins Ritz heute Abend?« Jackson, der Aufnahmeleiter, tauchte hinter ihm auf.

Sam schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall würde er sich länger als nötig im Dunstkreis der Crew aufhalten.

»Da kommen nur ein paar Leute, Sam.« Jackson verschränkte die Arme vor der Brust. »Komm schon, gib dir einen Ruck, das ist netzwerken, außerdem will Trenton euch noch für weitere Stuntszenen.«

»Kein Interesse.« Sam staunte über die harte Klarheit in seiner Stimme. Das war nicht seine Art.



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