Abhandlung über die Buchhaltung - Luca Pacioli - E-Book

Abhandlung über die Buchhaltung E-Book

Luca Pacioli

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Beschreibung

Die doppelte Buchführung ist eine vergleichsweise alte Erfindung. Bereits im Jahre 1494 erfasste Luca Pacioli Ihre Anwendung in Italien systematisch als Unterkapitel seines Werkes »Summa de Arithmetica Geometria Proportioni et Proportionalita«. Im 16. Jahrhundert verbreitete sie sich dann auch in England, den Niederlanden und Deutschland. Das vorliegende E-Book ist die orthografische Modernisierung der Übersetzung von Balduin Penndorf von 1933 und enthält zusätzlich dessen Kapitel über Paciolis Leben und Werk und seine Zusammenfassung zum Stand der Buchführung in Italien im 14. und 15. Jahrhundert.

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Editorisches

Luca Pacioli: Abhandlung über die Buchhaltung Bearbeitet von Mona Restle Klassiker der Ökonomie. Band 8 Veröffentlicht im heptagon Verlag © Berlin 2020 www.heptagon.de ISBN: 978-3-96024-015-0

Vorwort

Im Jahre 1494 erschien die erste gedruckte Darstellung der Buchhaltung in dem Sammelwerke des bekanntesten italienischen Mathematikers des 15. Jahrhunderts, des Franziskanermönches Luca Pacioli. Dieser Buchhaltungstraktat wurde 1876 von Dr. Ernst Jäger, Stuttgart, ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel »Lucas Paccioli und Simon Stevin« herausgegeben. Dieses Werk ist aber seit vielen Jahren völlig vergriffen. Bei dem Interesse, das man heute der Geschichte der Buchhaltung und dem Erstlingswerk der Buchhaltung insbesondere entgegenbringt, entschloss ich mich zur Neuherausgabe, denn von den vielen, die heute das Werk und seinen Schöpfer nennen, kennen die meisten nur den Titel, die wenigsten aber den Inhalt. Um nun Gelegenheit zur Feststellung zu geben, inwiefern Paciolis Darstellung der Praxis jener Zeit entsprach, habe ich zunächst einen Überblick über den Stand der Buchhaltung Italiens im 14. und 15. Jahrhundert gegeben. Über Genua, Venedig und Florenz konnte ich die Arbeiten Sievekings benutzen, die neben dem wirtschaftsgeschichtlichen Inhalt der Handlungsbücher auch der Buchhaltungsform volle Beachtung schenken. Von italienischer Literatur leistete mir in erster Linie Bestas umfassendes Werk »La Ragioneria«, Mailand 1922, wertvolle Dienste, außerdem kamen einige Sonderarbeiten in Frage, die an der betreffenden Stelle genannt werden. Die Darstellung der in der Praxis angewandten Form ergibt, dass die doppelte Buchhaltung bereits im 14. und 15. Jahrhundert in Italien bekannt war und angewendet wurde und sogar in verschiedenen Punkten über die von Pacioli gebotene Darstellung hinausging. Sie beseitigt aber auch die mitunter noch anzutreffende irrige Ansicht, dass Pacioli der Erfinder der doppelten Buchhaltung gewesen sei, die ja Pacioli selbst ablehnt, wenn er sagt: »Und wir werden uns dabei der venezianischen Form bedienen, die sicherlich unter den anderen am meisten zu empfehlen ist.«

Wenn auch bei der vorliegenden Arbeit die Jägersche Übersetzung die Grundlage bildete, so habe ich doch auf Grund der beiden Auflagen des Originalwerkes eine völlig neue Übersetzung vorgenommen, wobei ich die Fortsehritte der Forschung seit 1876, sowie die Ergebnisse eigener, zum Teil in Italien vorgenommener Forschungen verwendete. Das Schwergewicht lege ich nicht auf philologische Feinheiten, sondern auf genaue Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse Italiens im Mittelalter, insbesondere des Handelsrechts und der Handelsgebräuche.

Der Übersetzung schicke ich Angaben über den Lebensgang Paciolis und über sein Hauptwerk voraus, untersuche die Streitfrage, ob er Verfasser oder nur Bearbeiter der Abhandlung ist, beschreibe den Einfluss seiner Darstellung auf die spätere Buchhaltungsliteratur und bespreche die bisherigen Übersetzungen.

Zum Schluss danke ich dem Herausgeber der Sammlung, Herrn Professor R. Seyffert, Köln, für seine wertvollen Anregungen und seine Unterstützung. Von ihm gilt der Schlusssatz der »Summa«: »Indem er den Druckern Tag und Nacht beistand, hat er das Vorgelegte mit eigner Hand verbessert.« Dem Verlage aber gilt das andere Wort der »Summa«: »Mit Aufwand und Fleiß in der Werkstatt des klugen Mannes ... hergestellt.«

So darf ich hoffen, dass das für die Geschichte der Buchhaltung bedeutsame Werk in neuer Form neue Freunde finden wird.

Leipzig, Silvester 1932

Dr. B. Penndorf

I. Die italienische Buchhaltung im 14. und 15. Jahrhundert

[...]i

4. Zusammenfassung

Das älteste der dargebotenen Beispiele stammt aus dem Jahre 1211. Es sind Aufzeichnungen in der Art, wie sie uns 150 Jahre später in Deutschland begegnen, nämlich erst die Niederschrift der Schuld und darunter ihre Bezahlung. Diese Aufzeichnungen entwickelten sich zu Konten, zunächst nur zu Personenkonten, später – gegen Ende des 13. Jahrhunderts – auch zu Sachkonten. Belastung und Erkennung standen anfangs untereinander, aber schon ausgedrückt durch dee dare, deno dare – ci a dato, anne dato – dee avere, deno avere, anne avuto. Bereits 1288 finden wir die Gegenüberstellung von Soll und Haben, die ihren Ausgang von Venedig genommen zu haben scheint, da man diese Art als »alla veneziana« bezeichnete. Aber noch war das Kontensystem unvollständig, insbesondere fehlten Kapitalkonten und die davon abgeleiteten Konten. Untereinanderstellung von Soll und Haben sowie unvollständiges Kontensystem – also die einfache Buchhaltung – herrschten im Wirtschaftsleben des 14. Jahrhunderts vor, aber wir konnten im Laufe des Jahrhunderts den Übergang zur Gegenüberstellung und die Vervollständigung des Kontensystems, also den Übergang von der einfachen zur doppelten Buchhaltung, beobachten. Damit ist die Streitfrage, ob die einfache Buchhaltung die Vorstufe der doppelten und daher früher entstanden ist, oder ob sie später durch eine Verschlechterung aus der doppelten entstanden ist, zugunsten der ersten Ansicht entschieden. Die älteste auf uns gekommene Anwendung der doppelten Buchhaltung findet sich 1340 in Genua, ihre weitere Ausgestaltung und Vervollkommnung hat sie aber im 14. und 15. Jahrhundert in Venedig gefunden, von wo aus sie dann ihren Weg in die anderen Teile Italiens und in das Ausland fand, und so können wir ihre Anwendung auch im 16. Jahrhundert in Deutschland feststellen.

Diese italienische doppelte Buchhaltung kannte ursprünglich nur ein Hauptbuch, das in Genua cartolarium, in Toskana libro oder libro grande und in Venedig quaderno hieß. Es bestand ursprünglich aus Pergament, später aus Baumwollpapier. Den Einband bildeten anfangs Holzbretter (daher libro dell’asse), die mit Leder überzogen und mit großen Nägeln beschlagen waren, später Pergament, Leder oder Papier. Sie waren durch Zeichen (Kreuz, Stern) oder Buchstaben unterschieden und begannen meist mit einer religiösen Eingangsformel, der Angaben über Zweck, Namen, Besitzer und Schreiber folgten. Die Eintragungen erfolgten ursprünglich in lateinischer, später in italienischer Sprache. Es enthielt Personen- und Sachkonten. Der Anfangsbuchstabe des Kontos wurde in markanter Schrift außerhalb des Textes gesetzt, die folgenden Eintragungen begannen darunter gleichförmig mit ditto. Dem Kontentitel folgte das Soll und das Haben, das deve dare – deve avere. Später fiel auf beiden Seiten das deve (Soll) weg, so dass in Italien nur dare und avere (Geben und Haben) übrig blieben; während in Deutschland links das Geben und rechts das Soll wegfiel, so dass wir heute in Deutschland Soll und Haben anwenden. Die Jahreszahl wurde über den Kontentitel gesetzt, während das Datum meist im laufenden Text erschien. Um den Gegensatz stärker hervortreten zu lassen, wurde auf einer Seite noch all’incontro (gegenüber) eingefügt.

Der Betrag wurde am Ende in eine besondere Betragsspalte gesetzt, vielfach befand er sich außerdem im laufenden Text. Die Beträge wurden anfangs in römischen Zahlzeichen geschrieben. Durch den Einfluss Leonardos von Pisa (Liber abbaci von 1202, überliefert in einer Bearbeitung von 1228) fanden die indisch-arabischen Ziffern immer mehr Eingang, ihre Anwendung wurde aber von der Florentiner Wechslerzunft 1299 verboten, wohl weil die städtischen Beamten ihrer nicht mächtig waren. Die Behörde verlangte die römischen Zahlzeichen oder die Ausschreibung in Buchstaben. In den behandelten Handelsbüchern wurden die arabischen Ziffern Ende des 14. Jahrhunderts in den Büchern des Franziskus di Marco im laufenden Text bei der kleinsten Werteinheit (denar) und als Endsumme und bei doppelter Währung verwendet, ebenso bald nach 1400 in Venedig in den Büchern der Soranzos. In der Wertspalte finden sie sich zum ersten Mal 1430 in dem Geschäftsbuch Jakob Badoers, das dieser in Konstantinopel geführt hatte. Wichtig waren besonders die Hinweise auf den Gegenposten durch Angabe des Blattes, vielfach am Schluss mit der Formel: »In diesem (Buche) auf Bl. ...«

Zu diesem Hauptbuch treten sehr zeitig Vorbücher, nämlich Memorial und Journal. Die Memoriale enthielten die ersten Aufzeichnungen, die dann im Journal geordnet gebucht und auf ein und dieselbe Währung zurückgeführt wurden. Der enge Zusammenhang zwischen Journal und Hauptbuch ist zuerst für Venedig festzustellen. Die Eintragungen in das Journal erfolgten chronologisch. Oben auf jeder Seite stand die Jahreszahl, das Datum stand über der Eintragung oder im laufenden Text. Die einzelnen Einträge waren durch einen waagrechten Strich getrennt. Zuerst wurde der Schuldner angerufen, und zwar mit Per, dann folgte der Gläubiger mit A. In der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden beide durch eine gerade Linie, später sogar durch zwei, getrennt. Vor den Text wurde die Blattnummer der beiden Konten des Hauptbuches gesetzt, wohin der Übertrag erfolgte, nach der Übertragung wurde der Journaleintrag durchgestrichen. Der Betrag konnte im Text in einer beliebigen Währung verzeichnet werden, in der Wertspalte aber nur in einer einheitlichen, denn dies war eine wesentliche Voraussetzung der doppelten Buchhaltung. Die chronologischen Bücher wurden aber im Allgemeinen nicht so korrekt geführt wie die Hauptbücher.

Von den Hilfsbüchern standen an erster Stelle die Kassenbücher, dann die Warenbücher, dazu kamen Briefbücher, Wechselbücher, Unkostenbücher, vielfach sogar besondere Bücher für die Unkosten des Haushaltes, der Gehälter, der Mieten usw. Für die Inventare gab es mitunter ebenfalls besondere Bücher (libri possessioni). Die Bilanzen und Gesellschaftsverträge wurden in Geheimbüchern (libri segreti und libri dell’asse) aufgezeichnet.

Musste ein Konto infolge Raummangels vorgetragen werden, so wurde es ausgeglichen und der Saldo vorgetragen, aber ohne Journalbuchung. Musste ein neues Buch begonnen werden, so wurden vielfach die Salden auf der letzten Seite des alten Buches gesammelt und von hier aus auf die einzelnen Konten des neuen Buches übertragen.

Beim Abschluss, der vielfach jährlich erfolgte, wurde häufig ein Inventar aufgestellt, wobei die Bewertung zum Anschaffungspreis oder nach Schätzung erfolgte. Es wurden auch bereits Abschreibungen vorgenommen, insbesondere aus Mobilien, Außenstände und Waren. Der Gewinn an Ware wurde häufig an den einzelnen Partien sofort nach dem Verkauf festgestellt und in das Erfolgskonto übertragen. Der Abschluss und die Wiedereröffnung der Konten erfolgte sehr oft mit Hilfe des Kontosaldo. Selten wurde auf ihm nur der Gesamtbetrag verzeichnet, in diesem Fall wurden die einzelnen Salden direkt in das folgende Buch oder in dasselbe Buch weiter hinten übertragen.

Die Bilanzen enthielten die Debitoren, Immobilien, Mobilien und Kassenbestand, ferner die Kreditoren, unter denen sich die Kapitalkonten und der Reingewinn befanden. Dieser wurde noch durch eine Abschrift des Gewinn- und Verlustkontos aus dem Hauptbuch nachgewiesen.

Bücher und Bilanzen dienten schon um 1400 als Grundlage für die Besteuerung, weshalb genaue Nachprüfungen durch die Behörde stattfanden, die an die Buchprüfungen der Finanzämter unserer Tage heranreichen.44

Ferner spielten die Geschäftsbücher eine wichtige Rolle bei Streitigkeiten und Prozessen. Schon 1326 wird ein Schiedsspruch, dass die Geschäftsbücher, die in Bologna und Padua geführt wurden, den Erben zur Verfügung gestellt wurden, gefällt. Auch Corsani gibt hierfür auf S. 53 eine Reihe von Beispielen. So hatte 1404 in Florenz die Erbin eines verdorbenen Gesellschafters im Rechtsstreit die Vorlegung der Bücher verlangt, ferner eine Abschrift der bösen Schuldner aus der Bilanz von Pisa, die 2 Revisoren (Ragionieri) übergeben worden war. Auch in Avignon wurden die Bücher von einem Ragioniere geprüft, der von Gericht delegiert worden war. Es wurde dort ferner eine authentische Abschrift der Verträge angefertigt und von 2 Zeugen beglaubigt, dass diese Abschrift aus dem »quaderno di ragionamento« stammt. Schließlich bezeugen noch die Meister der Bruderschaft von St. Johannes von Florenz in Avignon, dass die Abschrift aus dem genannten Buch stamme und die Zeugen eigenhändig unterschrieben haben. Weiter kann auf das oben S. 21 gegebene Beispiel verwiesen werden, wonach 1435 die Gebrüder Peruzzi beim Tribunal di Mercanzia 6 Bücher deponieren, die zur Verfügung des Andrea di Piero oder seines Ragioniere stehen.

Die Einträge in die beglaubigten Handelsbücher standen unter dem Schutz des Eides, so dass jeder, der einen solchen Eintrag vor Gericht leugnete, als meineidig galt (Calimala IV).

Gesetzliche Vorschriften über die Buchführung finden sich zunächst in Genua im Jahre 1327, als die Führung eines Hauptbuches »ad modum banchi« für die Buchhaltung der Kommune verlangt wurde. In Florenz waren es zuerst die Zünfte, die die Führung der Bücher nach bestimmten Regeln forderten. Die Wechslerzunft (Arte del Cambio) verordnete 1299 in § 38 ihrer Statuten, dass die Wechsler täglich ihre Einnahmen und Ausgaben genau in ihren Büchern aufzeichnen sollen, und schrieb ferner vor, dass die Bücher aufbewahrt werden mussten. Nach den Statuten der Arte di Calimala (Tuch-, Waren- und Wechslerhändler) von 1301 hatte der Buchhalter die Pflicht, jedes abgeschlossene Geschäft aufzuzeichnen, ehe noch der Käufer oder Verkäufer die Tür des Ladens hinter sich geschlossen hatte, und alle Gesellschafter und Angestellten, die außerhalb Kredit gewährt oder genommen hatten, waren gehalten, dies 4 Tage nach ihrer Heimkehr dem Scrittore zur Bekundung in den Büchern anzuzeigen. Kein Kassierer durfte ferner Geld in die Büchse oder Capsa oder in die Geldtruhe legen, ehe er den Betrag in die Bücher eingetragen hatte. Kassierer und Buchhalter wurden von der Zunft vereidigt, zu deren Organen sie dadurch gleichzeitig wurden.45

Die höheren Zünfte verlangten, dass die Bücher vom Zunftnotar approbiert wurden und auf der ersten Seite Firma, Name und Vorname aller Teilhaber und der Inhalt des Buches angegeben wurde und gaben diesen Büchern dadurch einen offiziellen Charakter.

i

[Die ersten drei Unterkapitel »1. Genua«, »2. Venedig« und »3. Toskana« haben wir nicht in die E-Book-Ausgabe aufgenommen.]

44

Über das Revisionswesen jener Zeit vgl.

Tosani

, Alcune ricerche storiche sull'ufficio e la professione di ragioniere a Firenze al tempo della repubblica, Florenz 1910.

45

Doren

, Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte, 1908, Bd. II, S. 627, 628. –

Davidsohn

, Geschichte von Florenz, Berlin 1925, Bd. IV, S. 132.

II. Paciolis Leben und Werk

Luca Pacioli und ein Schüler, Gemälde von Jacobo de Barbari (1495)

1. Paciolis Lebensgang

Luca Pacioli46 ist um 1445 in Borgo Sansepolcro47 im oberen Tibertale geboren, einem Marktflecken (Borgo), der 1515 zur Bischofstadt erhoben wurde und heute 11.000 Einwohner zählt. Politisch gehörte der Ort erst zu Urbino, dann 1440 zu Florenz, wirtschaftlich und sprachlich aber immer zu Arezzo. Pacioli entstammte einer angesehenen Familie seiner Heimat, in seinem Testament nennt er sich Sohn des Bartolomäus. Die Schreibweise des Familiennamens ist verschieden. Er selbst pflegte sich Lucas de Burgo Sancti Sepulchri zu nennen, trat der Familienname auf, so geschah es lateinisch in der Form Paciolus, italienisch Paciuolo. In seiner Geburtsstadt gebraucht man, wie ich mich überzeugen konnte, die toskanische Form Pacioli, so heißt die Schule, die man 1888 ihm zu Ehren benannte: R. Scuole Complementari »Luca Pacioli«. Auch die modernen Historiker der Mathematik gebrauchen diese Form.

Den ersten Unterricht in Mathematik erhielt er in seiner Vaterstadt wahrscheinlich von dem berühmten Mathematiker und Maler Piero Della Francesca. 1464 kam Pacioli nach Venedig in das Haus des reichen Kaufmanns Rompiasi, wo er den 3 Söhnen Unterricht erteilte und vielleicht auch praktisch kaufmännisch arbeitete. Mit seinen Zöglingen besuchte er die Vorlesungen des von der venezianischen Regierung angestellten Lehrers Bragadino, auch verfasste er für seine Schüler eine Handelsarithmetik. 1470 siedelte er nach Rom über und war einige Zeit als Gast bei dem als Architekt, Philologe, Philosoph und Mathematiker bekannten Battista Alberti. Noch vor 1477 trat er in den Franziskanerorden (fratres minores, Minoriten) ein, was nach seinen eigenen Worten zur Folge hatte, dass er durch verschiedene Länder wandern musste. Dieses Wanderleben führte ihn an alle Höfe und die bedeutendsten Universitäten Italiens. Zuerst wurde er 1477 Professor der Mathematik in Perugia mit 30 Gulden Gehalt, das dann auf 60 Gulden erhöht wird mit der Begründung »et habentes respectum suis virtutibus et bonitati ac moribus.« Hier schrieb er ein mathematisches Werk, das sich handschriftlich in der Vaticana befindet und der Jugend von Perugia gewidmet ist (»Suis carissimis discipulis egregiis clarisque juvenibus perusinis etc. frater Lucas de burgo«).

In den nächsten Jahren scheint Pacioli die Lehrtätigkeit aufgegeben und sich vorwiegend dem Studium der Philosophie und Theologie gewidmet zu haben. Wird er bis 1480 nur als »frater Lucas« angeführt, so von 1486 an als »Magister«, und auch er selbst fügte von jetzt ab seinem Namen immer den Titel Professor oder Magister der heiligen Theologie bei. 1481 hören wir von ihm aus Zara in Dalmatien, wo er auch ein mathematisches Werk verfasste, das leider verlorengegangen ist, auch war er mehrmals in Florenz.

1487 finden wir Pacioli wieder auf seinem alten Lehrstuhl in Perugia, dann nach zwei Jahren in Rom, wo er an der Sapienza Vorlesungen hielt. Hier verfertigte er eine Sammlung von Modellen der regelmäßigen Vielflächner und überreichte im April 1489 dem Herzog Guidobaldo von Urbino eine Sammlung solcher Modelle. Hieraus lehrte Pacioli 3 Jahre lang (die sich aber nicht genau feststellen lassen) in Neapel »euklidische Geometrie«. 1494 ging er nach Venedig, um den Druck seiner »Summa« zu überwachen. 1496 finden wir ihn in Mailand am Hofe des Herzogs Ludwig Sforza. In Mailand hielt er auch Vorlesungen über Euklid, was ihn bewog, eine Übersetzung Euklids anzufertigen. Am Hofe Sforzas befand sich auch Leonardo da Vinci, der auf das hier von Pacioli verfasste Werk: »Divina Proportione«48 (Lehre vom »göttlichen Verhältnis« oder im Deutschen »vom Goldenen Schnitt«) von Einfluss war und auch zum Manuskript die Zeichnungen lieferte. Nach dem Sturz Ludwigs verließ Pacioli gemeinsam mit Leonardo Mailand und begab sich nach Florenz. Zwischen 1500 und 1506 lehrte er in Florenz, Pisa, Bologna und Perugia Mathematik und siedelte 1508 zum dritten Mal nach Venedig über, wo er öffentlich über das 5. Buch Euklids las und diese Vorlesung feierlich mit einem Vortrag in der Bartolomäuskirche einleitete. Vor allem aber wollte er hier zwei Werke dem Druck übergeben: seine Euklidausgabe und seine Divina Proportione. In einer mit »Luca de Pacioli« unterzeichneten Eingabe an den Dogen von Venedig bittet er um Schutz gegen Nachdruck für einige Werke, die er zu veröffentlichen gedenkt. 1510 ist Pacioli wieder in Perugia »ad docendum abbicum«. Schon vorher war er zum Kommissar des Klosters Sansepolcro ernannt worden und hielt sich nun hier von 1511 bis 1513 auf. 1514 rief ihn Papst Leo X. nach Rom als Professor an die Sapienza, und bald darauf scheint er gestorben zu sein.

Von ihm sind zwei Testamente erhalten geblieben: das eine vom 9. November 1508 im Staatsarchiv in Venedig, das andere aus Sansepolcro vom 21. November 1511 im »Archivo de’Contratti« in Florenz49. In ihnen werden unter anderem auch zwei Neffen bedacht, die demselben Orden angehörten, sowie Katharina, die Frau von Antonio Massi Pacioli, auch Barbaglia genannt. 1878 brachte der Gewerbeverein von Sansepolcro unter dem Laubengang des Palastes delle Laudi (heute Bartolomei) die folgende Inschrift an, überragt von einem Bildnis in Basrelief, das kürzlich durch eine Malerei von Professor Silvio Zanchi ersetzt worden ist: »A Luca Pacioli / che ebbero amico e consultore / Leonardo da Vinci / e Leon Battista Alberti / che primo die all´algebra / linguaggio e struttura di scienza / avviò il gran trovato / di applicarla alla geometria / inventò la scrittura doppia commerciale / dettò opere di matematica / base e norma invariate / alle postere lucubrazioni. Il popolo di Sansepolcro / ad iniziativa della sua società operaia / vergognando 370 anni di oblio / al gran concittadino poneva 1878.«

»Luca Pacioli, den Leonardo da Vinci und Leon Battista Alberti zum Freund und Berater hatten, der zuerst der Algebra wissenschaftlichen Ausdruck und Gliederung gab, der die große Idee hatte, die der Geometrie anzupassen, der die kaufmännische doppelte Buchhaltung erfand (!)50, der mathematische Werke schrieb, die als Basis und Norm unverändert den späteren Arbeiten dienten. Die Bürger von Sansepolcro errichteten dies auf Anregung des Gewerbevereins, sich 370 Jahre Vergessenheit schämend, dem großen Mitbürger 187851«

Ein anderes Bild Paciolis befindet sich in Neapel, Museo Nazionale, Pinacoteca (siehe Abbildung 5 bei S. 55). Hier wird Pacioli in Mönchstracht dargestellt, wie er mit der linken Hand auf eine Stelle des vor ihm liegenden offenen Buches zeigt und mit der Rechten eine geometrische Figur zeichnet, ein in einen Kreis eingeschriebenes Dreieck. Von der Decke hängt ein kristallähnlicher Vielflächner herab. Eine jugendliche Figur steht an der linken Seite des lehrenden Mönches. Vor dem Buch liegt ein Zettel mit der Aufschrift:

Jaco. Bar. Vigen Nis. P. 1495.

Deshalb hat man das Bild Jacono de Barbari zugeschrieben, der es im Alter von 20 Jahren 1495 gemalt haben soll, aber das schöne Bildnis Paciolis hat mit »Barbari gar nichts zu tun«52.

Bei meinem Besuch in Sansepolcro fand ich eine Ansichtskarte: »Gli uomini illustri di Sansepolcro«. Unter den berühmten 7 befindet sich auch Pacioli, der als alter Mann mit langem Vollbart dargestellt wird. Das Bild stammt von dem Maler Fosco Tricca aus Sansepolcro und ist nach Fantasie entworfen.

Manche wollen auch in der Initiale, mit der die eigentliche Abhandlung beginnt und die einen Mönch darstellt (Abbildung 8 bei S. 59), Pacioli erkennen, was Kästner (Geschichte der Mathematik, Göttingen 1796, Bd. I, S. 73) zu der Bemerkung veranlasst: »Es ist wenigstens angenehm, wenn man sich einbildet, den Bruder Lucas zu sehen.«

Was können wir dem mitgeteilten Lebenslauf Paciolis über seinen Geist und seinen Charakter entnehmen?

Schon sein Geburtsort lässt hierfür einige Schlüsse zu. Sansepolcro liegt in der Nähe von Assisi, wo der heilige Franziskus 1208 seinen Orden stiftete. 6 km östlich von Sansepolcro befindet sich das Kloster Montecasale, das im 13. Jahrhundert in der Geschichte der Franziskaner eine große Rolle spielte. Die ganze Gegend steht heute noch unter dem Einfluss, der von dem Orden und seinem Stifter ausgeht, wie viel mehr wird das zu Paciolis Zeiten der Fall gewesen sein. Kirche und Mönchsorden übten auf die gebildeten Kreis eine große Anziehungskraft aus, und so war es nicht verwunderlich, dass auch Pacioli wie mehrere seiner Verwandten das Ordenskleid anlegten. Deshalb verbrachte er aber nun sein Leben nicht abgeschlossen hinter Klostermauern, nein, seine Zugehörigkeit zum Orden führte ihn, wie wir gesehen haben, in das Getriebe der Welt. Wir finden Pacioli als Professor für Mathematik und der Theologie, als Sekretär eines Kardinals, an Fürstenhöfen, aber auch mitten im praktischen Leben, aufmerksam die wirtschaftlichen Vorgänge betrachtend. Daher ist es völlig unangebracht, ihn immer als »alten Mönch« zu bezeichnen, wie Brown53 es tut.

Diese Ordenszugehörigkeit zeitigte auch einen religiösen Niederschlag in seinen Werken. In der Abhandlung über die Buchhaltung z.B. finden sich hierfür zahlreiche Beispiele, insbesondere Bibelsprüche, sowie die Stelle im 1. Kapitel, dass jedermann nur im katholischen Glauben selig wird, ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen.

Sie wirkte sich aber auch aus in einer demütigen Bescheidenheit. Wenn er sich als Professor der Theologie bezeichnet, so fügt er das Beiwort humilis (demütig, untertan) hinzu oder nennt sich den geringsten (minimus) der Theologieprofessoren. Sein Geburtsort Sansepolcro wurde für Pacioli auch von Bedeutung für sein Verhältnis zur Kunst. Sansepolcro führt heute den Beinamen »La città di Piero della Francesca«, der hier geboren wurde und von Pacioli als der König der Malerei bezeichnet wird, dessen Bilder man noch heute in den Kirchen und im Palazzo comunale bewundern kann. Er ist wahrscheinlich der erste Lehrer Paciolis gewesen. Sodann lag in der Nähe Urbino, das um diese Zeit eine Pflegstätte der Kunst war und dessen 1465 erbauter Palast das besterhaltenste Beispiel eines Herrschersitzes der damaligen Zeit bildete. Dem Herzog Guidobaldo widmete Pacioli seine »Summa«. Auch die Nähe von Florenz mag nicht ohne Einfluss gewesen sein.

In seinem späteren Leben verband ihn engste Freundschaft mit den bedeutendsten Künstlern der Zeit. Mit Leonardo da Vinci, dem Universalgenie, der gleichzeitig Mathematik, Naturwissenschaft, Medizin, Kriegswissenschaft usw. beherrschte, war er von 1496 bis 1499 am Mailänder Hofe. Leonardo lieferte auch die Zeichnungen zu Paciolis »Divina Proportione«, während Pacioli für Leonardo die Gewichtsmenge Erz für sein Reiterstandbild des Francesco Sforza berechnete.

Leon Battista Alberti, der andere Freund, war gleichfalls ein Mensch von universeller Bildung, war er doch Architekt, Mathematiker, Philosoph, Dichter usw.54.

Paciolis Umgang mit diesen hochgebildeten Menschen lässt den Schluss zu, dass er selbst eine umfassende Bildung besaß, die auch in seinen Werken zum Ausdruck kam.

2. DIE »SUMMA«

Die Abhandlung Paciolis über die Buchhaltung ist in seinem größten Werk, der »Summa« enthalten. Der ausführliche Titel dieses Werkes lautet: »Summa55 de Arithmetica Geometria Proportioni et Proportionalita (sic)« (vgl. Abbildung 6). Der Verfasser selbst wird auf dem Titelblatt, das noch eine Inhaltsangabe enthält, nicht genannt. Die zweite Seite trägt die Widmung des ganzen Werkes mit der Überschrift »Magnifico Patritio veneto Bergomi pretori designato. D. Marco Sanuto viro in omni disciplinarum genere peretissimo Frater Lucas de burgo sancti sepulcri ordinis minorum et inter. Sa. Theo, prosessores minimus«. Die Genannten, von denen insbesondere Sanudo in Astronomie und Mathematik sehr erfahren und im Senat sehr einflussreich war, hatten sich eifrig um den Druck seines Werkes bemüht. Auf dieser Seite folgen noch zwei Epigramme, die aber nicht von Pacioli stammen. Auf der dritten Seite beginnt der Widmungsbrief Paciolis an den Fürsten Guidobaldo, Herzog von Urbino, in italienischer Sprache, dann in lateinischer Übersetzung. Hieraus folgen zwei Inhaltsangaben, und zwar erst summarisch und für jeden Hauptteil, dann einzeln mit Angaben der Blätter.