About storms and drowning - M.C. Winter - E-Book

About storms and drowning E-Book

M.C. Winter

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Beschreibung

Maica sitzt auf gepackten Koffern und will eigentlich nur mit ihrem Göttergatten Basti endlich in die langersehnten Flitterwochen auf die Malediven fliegen, als er ihr die Reise plötzlich unvermittelt absagt. Dabei wollte sie ihn doch am Strand mit einem letzten Hochzeitsgeschenk überraschen. Ein solches Verhalten passt so gar nicht zu Basti und Maica beschleichen üble Vorahnungen. Was wohl dahintersteckt? About storms and drowning - Das Spin-Off der Schattenspringen-Reihe von M.C. Winter, das die Geschichte von Basti und Maica weitererzählt. Der perfekte Abschluss. Ich kann es kaum glauben, dass es das jetzt mit den Vieren gewesen sein soll. Ich werde sie vermissen. Danke, für diese tollen Bücher! - Kristinaxhoh (Wattpad)

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Weitere Bücher der Autorin:

Schattenspringen-Reihe

Schattenspringen Bd 1 (2015)

Blutsbrüder Bd 2 (2016)

Lichtläufer Bd 3 (2018)

Goldstaub Bd 4 (2021)

Calm down (Schattenspringen-Spin-Off)

About storms and drowning (2023)

Über die Autorin:

M.C. Winter schreibt und lebt im Großraum Frankfurt/Main. Mit "About storms and drowning" veröffentlicht sie ihren fünften Roman im Self-Publishing.

Kontakt hält sie mit ihren Leser*innen über Social Media.

instagram.com/emciwinter

facebook.com/schattenspringen

Triggerwarnung

Liebe Leser*in,

dieses Buch enthält Inhalte, die sensible Leser*innen potentiell triggern können. Deshalb findest du auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.

Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Ich wünsche Dir viel Vergnügen mit „About storms and drowning“.

Deine Emci

Für Alle, die in den Sümpfen der Traurigkeit zu versinken drohen.

Playlist

Avril Lavigne - Sk8terboy

Sum 41 - With you

Guano Apes - Lords of the Boards

Dermot Kennedy - To all my Friends

The Verve - Bittersweet Symphony

Oasis – Wonderwall

Die Toten Hosen – Bonnie & Clyde

Nick Mulvey - Fever to the Form

Florence and the Machine - Skyful of Song

Juli - Perfekte Welle

Jennifer Rostock – Mein Mikrofon

David O’Dowda – All Alone

Ed Sheeran - Bloodstream

Demi- Lovato – Sober

Soap & Skin - Me and the devil

Danger Dan – Gute Nachricht

Florence and the Machine- Delilah

Taylor Swift – Lover

Florence and the Machine - You've got the love

Smith and Thell - Toast

Florian Künstler – Kleiner Fingerschwur

Godsmack - Under your scars

Jennifer Rostock - Das Schiff versinkt

Apache 207 – Breaking my heart

Florence and the Machine - The End of Love

Billie Eilish – When the party’s over

Rema – Calm down

Lady Gaga – Hold my hand

Helene Fischer – Ich will immer wieder… dieses Fieber spür‘n

Inhaltsverzeichnis

Überraschung

Freude

Backfisch

Mirabellen

Risiko

Sturmflut

Knutschfleck

Perfekte Welle

Achterbahn

Burton

Kiefernholz

Streifen

Schnapsfabrik

ieblingskinder

Schlechte-Nacht-Geschichte

Tinkerbell

Latein

Fieber

Hitzegewitter

Familientherapie

Fuchur

Narben

Silber

Sekt und Selters

Helena

Nachwort

Überraschung

Maica

Stuttgart Donnerstag, 7 Uhr 32

Ich starre mein Handy an. Schon zehn Minuten lese ich diese Textnachricht wieder und wieder und überlege mir, was - oder besser: wer - diesem Idioten ins Hirn geschissen hat. Spinnt der?

Hi Schatz. Tut mir leid, aber ich sitze in Hamburg fest. Ich schaffe es nicht zum Abflug. Bast

Was soll das heißen: Ich schaffe es nicht zum Abflug?! Weiß der eigentlich, wo wir hinfliegen? Was wir gebucht haben? Wir fliegen verdammt noch mal nicht nach Mallorca an den Ballermann! Wir fliegen in die Flitterwochen! Zwei Wochen Malediven. Male-Atoll. Hallo?! Ich glaube, der spinnt.

Mein Finger schwebt über dem Anruf-Button, aber ich bin zu wütend, um ihn anzurufen. Außerdem weiß ich, dass er gleich ab 8 Uhr in diesem Meeting sitzt und jetzt seinen Pitch durchgeht. Er wird nicht mit mir telefonieren. Vermutlich hat die kleine Ratte das genau so getimed. Wenn ich diesen Typen nicht so sehr lieben würde, ich hätte ihm schon so manches Mal den Hals umgedreht.

Wir fliegen in etwas mehr als 48 Stunden. Warum schreibt er mir heute schon, dass er da festsitzt? Und was kann zum Teufel so verdammt wichtig sein, dass er seinen sexy Hintern nicht zurück zu mir bewegen kann? Er löst normalerweise jedes verschissene Problem für mich.

Ich öffne Whatsapp und starre einen Augenblick zu lange sein Profilbild an. Es zeigt ihn und mich. Das Bild ist total kitschig, viel zu kitschig. Selbst ich habe mich nicht getraut, es als Profilbild zu behalten, und ich bin die Godmother of Kitsch. Es ist eine Schwarzweiß-Aufnahme von uns, unscharf, nur meine Hand im Vordergrund ist scharf gestellt. Wir knutschen im Hintergrund und ich halte scheinbar den Stinkefinger in die Kamera - nur dass es nicht der Mittelfinger ist, sondern meinen Ringfinger. Damit haben wir unsere Verlobung kundgetan. Unsere damn fucking Verlobung mit meinem gewaltigen Tiffany-Ring, den er sich nicht leisten konnte. Idiot. Er hätte diesen Ring nicht kaufen sollen.

Gedankenversunken streiche ich über die beiden Ringe an meinem linken Ringfinger und muss lächeln. Dass er den Sack damals tatsächlich zugemacht hat, wundert mich immer noch ein bisschen. Ich habe nicht damit gerechnet. Nicht so schnell, nachdem wir endlich zusammengezogen sind. Ich dachte eigentlich, dass er sich Zeit lässt - oder dass ich die Sache in die Hand nehmen muss - wie immer eigentlich.

Basti kommt nicht aus einer Musterfamilie. Er hat sich immer etwas abfällig über die Ehe seiner Eltern geäußert und ich ging davon aus, dass das für ihn nicht in Frage kommt - und dass ich ihn darauf stoßen muss. Mit brachialer Gewalt.

Und dann ist er mit dieser Tiffanyschachtel um die Ecke gekommen. Der Klunker war zu teuer. Viel teurer als er es sich hatte leisten können. Ein richtiger Prinzessinnen-Ring. Später hat er mir erzählt, wann und wo er den Ring gekauft hat, und vor allem mit wem, und das hat mich noch emotionaler werden lassen, als ich nach dem Antrag sowieso schon war. Ich liebe ihn sehr. Aber jetzt gerad würde ich ihm die Eier mit der Hand abreißen und mit diesem Ring zerquetschen.

Hallo „Schatz“ Unterstehe dich und komm zu spätzum Abflug. Ich warne dich. Ich fliege auch alleine auf die Malediven. Die Scheidungspapiere schickt dir mein Anwalt dann direkt zu.

Er weiß die Nachricht zu nehmen, das weiß ich. Niemals würde ich mich einfach so von ihm scheiden lassen. Das weiß er. Einen besseren Kerl als ihn würde ich ohnehin nicht mehr abbekommen - würde ich auch nicht wollen.

Ich sehe, dass er online ist, und meine Nachricht liest, aber er antwortet nicht. Vermutlich sitzt er gerade in dem Meeting. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten, was er später zu erzählen hat.

Seufzend klappe ich meinen Laptop auf und beginne mit den Recherchearbeiten für meinen neusten Klienten.

Stuttgart Donnerstag, 9 Uhr 12

Noch immer habe ich nichts von Basti gehört. Mittlerweile bin ich bereit, mich in seinen Geschäftslaptop einzuhacken, um zu gucken, ob er mit dem Termin fertig ist. Ja, das kann ich. Das mache ich beruflich. Ich bin hauptberuflich eine Art Hacker. Ich finde den Begriff furchtbar. Ich hacke auch nicht im eigentlichen Sinne, ich recherchiere. Sehr gründlich. Zum Beispiel für Firmen, um Lebensläufe zu überprüfen. Oder um im Internet hinter Unternehmen aufzuräumen. Ich kann mich ziemlich gut in Social Media einklinken - allerdings bin ich nicht bewandert genug im Programmieren und decodieren, um mich zum Beispiel in Banken oder die NSA einzuhacken. Das würde ich auch gar nicht wollen. Dafür habe ich Mitarbeiter.

Es ist viel zu früh am Vormittag, um nervös zu sein. Wir haben noch ewig Zeit, bis wir abfliegen. Aber Bastis Nachricht macht mich unruhig. Er schreibt sonst nie so einen Blödsinn. Schon gar nicht so einen kryptischen Mist - ohne irgendeine Begründung. Ich will wissen, was in Hamburg passiert ist, dass er dort festsitzt und jetzt schon weiß, dass er in den nächsten 48 Stunden nicht dort loskommen wird. Das ist doch vollkommen irre.

Bast? Hallo? Kannst du mir endlich mal antworten?

Ich starre mein Handy an und warte. Wieder sehe ich, dass er online ist, und endlich schreibt er. Hätte er es nicht getan, hätte ich ihm vermutlich den Stinkefinger-Smiley geschickt. Und auf Sex hätte er im Urlaub auch verzichten müssen. Und hallo? Der Sex ist immerhin der Grund, warum ich überhaupt mit ihm in die Flitterwochen fliege. Der Sex und der letzte Teil seines Geburtstagsgeschenks.

Mein Blick fällt kurz auf die Geschenkpackung, die auf unserem Bett liegt, und ich muss angespannt schlucken. Ich habe eine Menge vor mit ihm in diesem Urlaub.

Was soll ich dir denn antworten? Dass du alleine fliegen sollst?

Ich lese mir die Nachricht etwa viermal durch und stelle mir seinen Tonfall vor. Ist er genervt? Vermutlich. Weil er weiß, dass ich zickig bin. Aber hallo bin ich zickig!

Wieder fällt mein Blick auf unser Bett. Neben der Geschenkpackung türmen sich die anderen „Geschenke“ für die Reise auf. Ich hab fünf neue Bikinis gekauft für diese Flitterwochen. Und, um ehrlich zu sein, habe ich auch meine komplette Unterwäsche ausgetauscht, aber das weiß er nicht. Immerhin sind es unsere Flitterwochen. Ich sage ja: Geschenke. Ich habe einiges vor.

Nein, du Idiot. Du sollst mir erklären, was dich zum Geier in Hamburg 48 Stunden lang aufzuhalten droht.

Das kann ich dir nicht sagen.

Mit offenem Mund lese ich mir die Nachricht durch. Spinnt der? Wir sind verheiratet. Ich weiß, welcher seiner Hoden größer ist als der andere und er fängt jetzt mit so einem Blödsinn an?

Ich wähle seine Nummer und hoffe für ihn, dass er mich nicht wegdrückt.

„Maica.“ Er seufzt. Schwer. Genervt. Resigniert.

Glück für ihn, dass er rangeht. „Arbeitest du nicht mehr für den Flugzeugbauer?“ Basti verkauft keine Autos. Er hat Physik und Luftfahrttechnik studiert und konstruiert Triebwerke für Flugzeuge. Oder so etwas in der Art.

„Was?“

„Ich meine nur. Weil du nicht mehr mit mir sprichst. Vielleicht hat dich ja der BND abgeworben.“

Er stöhnt genervt auf. „Ich lege jetzt auf.“

„Das machst du nicht.“

„Ich bin noch immer in dieser Besprechung, Maica.“ Er klingt nicht nur genervt, sondern auch gehetzt und fahrig. Nervös. Angespannt. So kenne ich ihn nicht. Basti ist ein Fels.

„Offensichtlich ja nicht!“

Er schnauft und atmet durch. Ich weiß, dass er mit mir ein hartes Los gezogen hat. Aber er liebt mich. Und ich habe den Ring am Finger. Da muss er jetzt durch. „Wir machen Pause. Hör zu, ich kann dir das am Telefon nicht erklären, ja? Es ist hier etwas passiert und ich...“ Er bricht ab und schweigt. Ich lausche seinem Schweigen nach. Er ist total durch den Wind, das spüre ich. Er ist kein Fels mehr. Er ist gerade weniger als ein Haufen Kieselsteine.

Ich überlege, wann ich ihn zuletzt so erlebt habe. So gehetzt. So durcheinander wie er eben geklungen hat.

Noch nie. Das schießt mir in den Kopf. Aber ich korrigiere mich sofort: ewig nicht.

Er atmet ein und ich höre, dass er zittert.

„Bastian...“ Das Zittern macht mir Angst. Es schnürt mir die Kehle zu. Ich habe Bastis Stimme in all der Zeit, in der wir zusammen sind, nur selten zittern gehört. Und es hat nie etwas Gutes bedeutet – mit zwei Ausnahmen: Einmal hat er mir einen Antrag gemacht, einmal hat er mich geheiratet. Beides ist jetzt definitiv nicht der Fall. In allen anderen Fällen ging sprichwörtlich die Welt unter.

Mir fallen so viele Momente ein, aus denen ich ihn herausgezogen habe. Mich dagegen gewehrt habe, dass er unter geht.

„Ich muss Schluss machen, wir machen weiter.“

„Warte.“ Er legt nicht auf, sagt aber auch nichts mehr. Ich höre seine Atemzüge. Ein und aus. „Ist alles bestens?“ Er wird mich nicht anlügen, das weiß ich. Nicht bei dieser Frage.

„Es ist alles bestens“, flüstert er. „Ich muss auflegen. Ich liebe dich.“ Dann bricht das Gespräch weg und ich halte den Hörer in der Hand. Und weiß nicht, was ich machen soll. Er ist total am Arsch.

Stuttgart Donnerstag, 9 Uhr 35

„Hast du was von ihm gehört?“ Ich tigere nervös auf und ab. Immer wieder bleibe ich vor dem Fenster stehen und sehe hinaus. Der Regen platscht geräuschvoll gegen die Scheibe.

„Nein.“ Jans Stimme klingt beruhigend in meinen Ohren. „Schrecki, mach dich locker. Ihm geht es bestimmt gut. Der sitzt sicher nur gelangweilt in seinem Meeting. Was soll ihm schon passieren?“

„Jan, er hat mir gesagt, dass er nicht okay ist.“ Genaugenommen hat er gesagt, dass alles bestens ist. Aber das ist seit Jahren ein Code dafür, dass gar nichts bestens ist. Dass die Welt gerade am Untergehen ist. Ich mache mir Sorgen. Ich mache mir sogar so große Sorgen, dass ich noch nicht mal daran denke, Bastis besten Freund Franky zu nennen, wie ich das sonst tue. „Kannst du bitte versuchen, ihn zu erreichen?“

„Kann ich machen. Aber wenn er in dem Meeting sitzt, wird er genauso wenig mit mir sprechen wie mit dir.“ Jan lächelt, das höre ich.

„Probier es bitte. Mit dir ist das immer noch mal was anderes. Du hast einen Penis.“

„Danke auch.“ Er lacht. Mir ist nicht zum Lachen zu Mute. Es war die Art und Weise, wie Bastis Stimme geklungen hat. Damit ist mir jedwedes Lachen vergangen. Es war das Zittern, das den Ausschlag gegeben hat. Und der Code. Alles bestens.

„Du hast doch einen, oder? Manchmal bin ich mir da nicht so sicher...“, gebe ich zurück, aber mehr aus Reflex, als aus richtiger Schlagfertigkeit. Jan lacht wieder, aber diesmal verklingt es schnell.

„Ich kümmer mich drum. Iss nicht zu viele Schokobons, okay?“

Ich murmele irgendeine Antwort und lege auf. Ich werde keinen einzigen Schokobon hinunterbekommen. Mir ist schlecht vor Angst und Nervosität. Am liebsten würde ich meine Tasche packen und nach Hamburg fahren. Ich muss wissen, was passiert ist. Ich habe einfach ein ganz mieses Gefühl.

Alles bestens.

Ich habe Bastis belegte Stimme immer noch im Ohr. In den letzten Jahren war es wirklich gut. Er war ein Fels für mich. Keine Dramen mehr.

Aber diese gehetzte Nervosität eben? Die macht mir Angst. Die passt nicht zu seiner Ruhe.

Ich sinke auf den Rand der Couch und sehe blicklos auf den Teppich davor. Das ist so lange her. Ich war vierzehn oder fünfzehn, ich weiß es gar nicht mehr genau. Er klag genauso, wie damals. Genauso fertig, genauso müde.

Seine Schwester war damals gerade gestorben. Aileen war achtzehn, fast neunzehn, als es passierte, und Basti etwas jünger. Seine Schwester hatte ihn und sein Pferd Looping mit dem Hänger auf einen Lehrgang gefahren und ihnen war ein betrunkener Autofahrer entgegengekommen. Aileen war noch an der Unfallstelle gestorben. Basti war den Umständen nach nur leicht verletzt gewesen, Looping mit dem Schrecken und einigen Schrammen davongekommen. Danach war Basti monatelang ein traumatisiertes Wrack.

Hat die Sache in Hamburg etwas mit Aileen zu tun?

Ich runzele die Stirn. Der Unfall ist ewig her. Mittlerweile geht es Basti gut damit. Ich kann mir nicht vorstellen, was ihn so aus der Bahn geworfen haben kann, dass er unsere Flitterwochen aufs Spiel setzt.

Melde dich bitte, wenn ich etwas tun kann, ja? Ich mache mir Sorgen um dich

Ich seufze und stehe wieder auf. Dann fasse ich einen Entschluss. Hier werde ich verrückt. Ich habe schon den ein oder anderen Drachen erlegt. Ich bin Black Widow, wenn es sein muss, und erlege jeden Schatten, der meinen Mann bedroht. Ich werde es nicht zulassen, dass es ihm schlecht geht.

Ich stopfe einen Satz frische Unterwäsche, Wechselklamotten und mein Superheldencape in meine Tasche und rufe mir ein Taxi zum Hauptbahnhof, während ich mir online ein Ticket auf den nächsten ICE nach Hamburg buche.

Das wäre doch gelacht.

Im ICE Richtung Hamburg Donnerstag, 16 Uhr 32

Ich fahre eigentlich gerne Zug. Seit ich mit Basti zusammen bin, bin ich so oft Zug gefahren, dass ich Bahncard-100-Besitzerin bin. Ich bin in der Nähe von Frankfurt aufgewachsen, er in Stuttgart. Wir sind zusammen, seit ich sechzehn war. Nach dem Abi habe ich in Bremen studiert, er in Stuttgart, später in Tübingen, dann hat er ein Auslandssemester in den USA gemacht. Ich bin schon sehr viel Zug gefahren in meinem Leben.

Ich sehe auf die Anzeige. Wir sind schon weit hinter Hannover, bald kommen wir in Hamburg an. Ich schaue auf mein Handy. Jan hat Basti nicht erreicht, schreibt er. Das wäre auch zu schön gewesen. Ich hätte zu gerne von Jan gehört, dass es Basti gut geht, dass nichts Schlimmes passiert ist und ich mich vollkommen umsonst auf den Weg gemacht habe.

Wie war dein Meeting? Ist alles gut gegangen?

Das ist die sechste Whatsapp, die ich ihm schicke. Auf alle sechs hat er nicht geantwortet. Die letzten drei sind noch nicht mal angekommen. Wahrscheinlich ist sein Handy aus. Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll. Vielleicht ist der Akku einfach leer, versuche ich mich zu beruhigen.

Klar. Sicher. Weil es in diesem dämlichen Conference-Center im Marriott, oder wo auch immer dieser ätzende Meeting-Marathon stattfindet, kein iPhone-Ladegerät aufzutreiben ist.

Ich klappe meinen Laptop zu und lehne meinen Kopf gegen die Scheibe. Ich genieße für einen Moment die Kühle des Glases und atme durch. Ich will nur wissen, was mit ihm los ist. Vielleicht reagiere ich einfach über. Vielleicht bin ich einfach zur hysterischen Ehefrau mutiert. Vielleicht ist auch einfach alles okay.

„Verdammt!“ Ich schrecke auf, als das Handy auf dem Tisch in der Mitte vibriert. Der ältere Herr mir gegenüber sieht mich an, als hätte ich „Fuck“ gesagt. Habe ich aber nicht. Ich greife nach dem Handy und seufze erleichtert auf, als ich den Namen auf der Kennung lese. „Sahnebonbon!“, rufe ich, klinge aber nur halb so enthusiastisch wie üblich.

Sarahs Stimme am anderen Ende klingt besorgt. „Hey. Jan meinte, ich soll dich anrufen.“ Ich war noch nie so erleichtert, die Stimme meiner besten Freundin zu hören.

„Franky übertreibt maßlos.“

„Er meint, du machst dir Sorgen um Basti.“

„Er übertreibt maßlos“, wiederhole ich stumpf, spüre aber, wie meine Augen zu brennen anfangen. „Verdammt“, murmele ich. Ich will auf gar keinen Fall anfangen zu heulen. Ich sitze in einem voll besetzten ICE-Abteil und der Herr mir gegenüber rümpft schon wieder die Nase.

„Was ist denn los, Süße?“ Sarahs Stimme klingt etwas blechern. Ich frage mich, wie viel Uhr es gerade bei ihr in New York ist. Vermutlich erst früher Vormittag.

„Ich weiß es nicht. Er-“ Ich stocke und denke an die Nachricht, die er mir so unvermittelt geschickt hat. „Er... hat mir heute Morgen geschrieben, dass er in Hamburg feststeckt und... es nicht zurückschafft.“

„Aber ihr wollt doch Samstag in die Flitterwochen fliegen.“ Sarah klingt entsetzt.

„Ja.“ Meine Augen brennen immer noch, als ob man Säure hineingeschüttet hätte.

„Und warum?“

„Keine Ahnung. Er hat es mir nicht gesagt. Er“, ich schließe die Augen. Wie gerne hätte ich jetzt einen Gin Tonic, „meinte, er könnte am Telefon nicht darüber sprechen.“

„Aha.“ Sarah schweigt und denkt nach. Sie war schon immer die rationalere von uns beiden. Sie würde widersprechen. „Seltsam.“

Ich schließe die Augen und kämpfe die Tränen hinunter. „Ja“, presse ich heraus und schaue aus dem Fenster. Die Landschaft fliegt schnell an mir vorbei. „Ich fahre hin.“

„Wohin?“

„Nach Hamburg. Ich... Ich hab Schiss.“

„Wovor?“

„Keine Ahnung. Er meinte, er wäre nicht okay. Davor hab ich Schiss. Ich hab ihn das schon lange nicht mehr sagen hören...“ Ich schlucke. Alles bestens. Selbst damals, als seine Schwester gestorben ist, hat er nie gesagt, dass er nicht okay wäre. Gut, damals aus Selbstschutz. Mittlerweile fällt es ihm leichter über seine Gefühle zu sprechen, aber dass er diesen speziellen Code so nachdrücklich verwendet, das hat er noch nie getan. Nein, er ist nicht okay.

„Maica... Dreh nicht durch.“

„Ich drehe nicht durch.“

„Du drehst durch.“ Sarah seufzt leise. „Versuch die Nerven zu behalten. Vielleicht ist nur einfach etwas bei dem Job schief gegangen und er muss länger bleiben.“

„Das hätte er doch einfach sagen können.“

Sarah schweigt wieder, vermutlich, weil ich recht habe. Sie versucht, mich von meiner Palme runterzuholen, aber es gelingt ihr nicht richtig. Ich habe mich schon zu sehr hineingesteigert. Ich kenne Basti einfach zu gut, um mir keine Sorgen zu machen. In den letzten zehn Jahren hat er nie Nerven gezeigt. Basti war mein sprichwörtlicher Fels in der Brandung. Egal, wie stürmisch die See war, er hat jedem Sturm standgehalten - mit stoischer Gelassenheit.

Was hatte ihn jetzt umgeworfen?

Wer hatte ihn umgeworfen?

Vor ca. 14 Jahren

Bundeskaderlehrgang Warendorf, DOKR-Gelände

Die Hitze stand bleiern auf dem Reitplatz und es ging kein Lüftchen. Gar keins. Mir lief der Schweiß am Rücken hinunter, als der Bundestrainer Bert Reichmer mich wieder aufforderte, die Distanz zu reiten. Ich hatte das schon dreimal verkackt. Mein Pferd Schoko war müde und mir ging allmählich die Kraft aus, aber das hätte ich niemals zugegeben. Nicht heute. Nicht in der Gruppe von Bert Reichmers Goldjungs. Seinen Superstars: Jan von Frankenthal und Alexander Jahn.

Der eine war der Sohn von einem von Deutschlands erfolgreichstem Springreiter - Alex - und der andere das German-Wunderkind im Springsattel - Jan. Kurz gesagt Deutschlands Nachwuchselite. Wie ich in deren Mitte gelandet war? Keine Ahnung.

Eigentlich ritt ich nur zum Spaß ein bisschen Springen mit dem Wallach meines Onkels. Mein Hauptsport war ein anderer. Ich tanzte schon, seit ich klein war, und das mit dem Reiten war eigentlich nur ein Hobby. Seit dem Frühjahr lief es für Schoko und mich wirklich erfolgreich und als wir in Babenhausen aus Versehen den Großen Preis gewonnen hatten, wurden wir hierher eingeladen.

Tada. Perspektive Bundeskader. Das war irgendwie nicht der Plan gewesen.

Ich warf einen kurzen Blick rüber in die Ecke des Platzes zu den beiden Jungs, die am langen Zügel Schritt ritten. Alex und Jan waren beide schon fertig mit ihrem Programm und tuschelten wie alten Waschweiber.

Ich kannte beide schon eine Weile von den Turnieren und jetzt, auf dem Bundeskaderlehrgang in Warendorf, hatten wir uns direkt gut verstanden. Das heißt: Jan hatte mich direkt gedisst und ich ihm den Zunder zurückgegeben, den er verdient hatte. Das war das hochwohlgeborene Grafen-Söhnchen gemeinhin nicht gewohnt und er hatte mich wohl mehr oder weniger als seiner würdiger abgestempelt. Seitdem nannte er mich „Schreckschraube“. Er war nervtötend, aber eigentlich okay, wenn man darüber hinwegsah.

Dieser Lehrgang im Bundesleistungszentrum in Warendorf war mein erster dieser Art und ich war entsprechend nervös. Das erste Mal bei den großen Jungs mitspielen – für mich als Zwerg und Jüngste in der Runde eine doppelte Herausforderung. Ich riskierte immer eine große Klappe, aber die Latte hier hing hoch. Sehr hoch und nicht nur im Parcours.

Jan hatte mich für meine Nervosität direkt ausgelacht. Ich solle mich nicht so anstellen, hatte er gesagt, hier würde man auch nur mit Wasser kochen.

„Fräulein Zander! Wird das heute noch was?!“ Bert Reichmers Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich galoppierte erledigt erneut an.

„Gib schon Gas, Schrecki“, rief Jan mir zu und ich hörte Alex lachen. Tatsächlich war bei Schoko die Puste raus und ich musste den Wallach ordentlich vorwärts bitten. Nur mit ganzem Körpereinsatz brachten wir die Distanz letztlich hinter uns - ohne uns etwas zu brechen - und der Reichmer ließ uns Zähne knirschend vom Platz. „Morgen bitte mit mehr Konzentration!“, rief er mir nach.

„Und Kondition“, hüstelte Jan hinter vorgehaltener Hand.

„Ich glaube, ich muss mich auch unter den Wasserschlauch stellen“, stöhnte ich, als ich nach einer Schrittrunde zum Abkühlen vorm Stall erschlagen aus dem Sattel rutschte.

„Mimi hier nicht so rum.“ Jan klopfte seiner Stute Avalon den Hals. „Das ist ja nicht zu ertragen. Zum Jammern kannst du in den Dressurstall gehen.“

„Bist du immer so charmant?“

„Ist er.“ Alex klopfte seinem Pferd den Hals.

„Wie ätzend anstrengend.“ Ich löste Schokos Sattelgurt und warf Jan unauffällig einen Blick zu. So ätzend er sich gab, der Typ war sowas wie ein Ausnahmetalent. Der sammelte Titel wie ich früher Pokèmonkarten. Achtmal war er bereits Europameister, soweit ich wusste. Oder neunmal? Keine Ahnung. Einige Male bei den Ponyreitern und jetzt bei den Junioren. Deutscher Meister war er auch. Und den Preis der Besten hatte er auch schon ein paar Mal gewonnen. Alles, was er anfasste, wurde zu Gold mit Brillanteinschlüssen. Und - und das war der Gipfel des Ganzen - er sah auch noch verdammt gut aus. Natürlich.

„Schätzchen: nicht nur buschigen Schwanz haben, wenn du hier sein willst, auch Fuchs sein.“ Er zog seiner Stute die Trense aus und sah mich grinsend an. Seine blauen Augen blitzten verschmitzt. „Du brauchst mehr Kondition, und deine Praline hier auch. Die sollte auch dringend abspecken, wenn du noch mal so einen Glücksgriff wie in Babenhausen landen willst.“

„Alter. Nennst du mein Pferd dick?“

„Und langsam.“ Er grinste, während er seiner sehr schlanken und sehr hübschen Schimmelstute den Hals tätschelte. „Du hast ohne Frage Talent, aber der Reichmer hält dich nicht im Kader, wenn ihr beide aus dem letzten Loch pfeift wie eben.“

Ganz objektiv betrachtet stand jedes Mädchen, das ich kannte auf ihn. Diese blauen Augen – uärks. Und dann lächelt er dich an – brech. Und diese Haare! Kotz. Auf Insta und Facebook gab es Fan-Seiten. Hatte ich gehört. Aber er war auch, objektiv betrachtet, ein uncharmanter Arsch. Und das sagte ich ihm unverhohlen ins Gesicht.

Jan zuckte nur mit den Schultern. „Wie du magst. Mich müssen nicht alle mögen. Lieber bin ich ehrlich, als dass ich falsche Freunde habe. Entweder du kannst es ab – oder nicht.“

Ich starrte ihn ungeniert an.

„Also, Schrecki?“ Er legte den Kopf schief, als ob er auf eine Antwort warten würde, doch bevor ich dazu kam, ihm eine schlagfertige Antwort um die Ohren zu pfeffern, klingelte sein Handy.

Er zog sein Handy aus der Tasche und sah kurz auf das Display. Erleichtert nahm er das Gespräch entgegen. „Alter! Endlich, wo steckst du?!“ Er lauschte einen Moment und sah rüber zu Alex, der sein Pferd gerade in den Stall führte. „Nee, wir sind im Stall. Wann seid ihr da?“ Er sah zu Alex und grinste immer breiter. „Ja, cool. Wir warten.“ Er beendete das Gespräch und schob es sich zurück in die Tasche seiner Reithose. „Nachschub!“

Alex sah zum Himmel und grinste breit. „Endlich.“

„Auf wen warten wir?“, fragte ich.

Jan grinste bloß und schlug in Alex Hand ein. Dann drehten die beiden Jungs um und liefen Richtung Zufahrt davon und ließen mich stehen. Idioten. Jungs waren dämliche Idioten. Trotzdem folgte ich ihnen neugierig. Ich hatte ohnehin nichts Besseres mehr zu tun.

Etwa fünf Minuten später rollte ein silberfarbener LKW mit Stuttgarter Kennzeichen durch die Zufahrt auf das DOKR-Gelände. Der LKW parkte auf dem Stellplatz und ein paar Minuten später stiegen neben dem Fahrer ein Junge und ein Mädchen in unserem Alter aus, die beide von Jan und Alex überschwänglich begrüßt wurden.

Das Mädchen war etwas älter als wir, ich schätzte sie auf achtzehn oder neunzehn. Sie war groß, schlank, sehr hübsch, hatte aschblondes Haar und helle, grüne Augen und trug Shorts und ein schwarzes Polo.

Der Junge war etwas jünger als sie. Er schlug fest in Jans Hand ein und klopfte ihm auf die Schulter. Ein bisschen wirkte es so, als könnten die beiden Jungs nicht gegensätzlicher sein. Jan wirkte immer ein bisschen wie geleckt. Ich wusste, dass seine Familie unglaublich viel Geld hatte und immer, wenn ich ihn auf Turnier gesehen hatte, war er wie das Paradebeispiel eines geschniegelten Kaderklons aufgetreten. Auf diesem Turnier in Babenhausen vor drei Wochen hatte ich gezählt, wie viele verschiedene Ralph Lauren Hemden er dabeigehabt hatte. Ich war auf vierzehn gekommen. Dann war ich fast ein bisschen entsetzt gewesen, als ich ihn abends mit seinem Vater außerhalb des Turnierplatzes in einer Pizzeria getroffen hatte. Dort hatte ich ihn fast nicht erkannt, in seinem Band-T-Shirt und der ausgebeulten Jeans. Ich glaube, es war ein Tour-Shirt von den Red-Hot Chili-Peppers. Er hatte nicht ausgesehen, wie der Jan, den ich kannte. Ganz fremd. Wie ein rebellischer Zwilling.

Jedenfalls: Der Neuankömmling wirkte wie das krasse Gegenteil neben meinem glanzgeleckten Freund Jan. Hätten wir nicht mitten auf der DOKR-Anlage gestanden, hätte ich eher vermutet, dass der Typ auf dem Weg zu einer Skate-Anlage war. Alles an dem Typen schrie Skater. Die Klamotten, die Art und Weise, wie er sich bewegte, sogar, wie er die Jungs begrüßte. Der lockere Handshake, die Shorts einen Tick zu lässig und zu tief. Die Sneaker zu Streetstyle, der Oberkörper zu durchtrainiert.

Er sah kurz zu mir und musterte mich abschätzig.

„Hi“, das Mädchen kam auf mich zu und schob sich zwischen uns, „Ich bin Aileen, die meisten nennen mich Leena. Du bist die Neue, oder? Mareike?“

„Maica.“

„Wie das Würstchen?“ Der Typ hob die Augenbrauen und sah mich amüsiert an. Seine grauen Augen funkelten.

„Das war ein Fehler, Bast.“ Jan schüttelte den Kopf und um seine Mundwinkel zuckte es. Er wusste, warum. Er hatte den Spruch auch schon gebracht. In Babenhausen.

Ich atmete tief durch. „Jetzt hör mir mal zu, Skaterboy“, setzte ich an. „Ich hatte einen Scheißtag, ja? Ich musste ihn mir mit Prinzessin Aurora hier und ihren Star-Allüren vertreiben und bin von Satan traktiert worden. Dieser Würstchen-Witz ist so verdammt alt, dass ich noch nicht mal annähernd Anstrengungen unternehmen werde und dir erklären, wie lahm dieser Witz gerade war, okay, Avril?“ Ich schnaufte laut. „Also nerv mich nicht ab!“

Leena lachte und klopfte Avril mitleidig auf die Schulter, während Blondie Jan sichtlich irritiert ansah. „Erklär mir nochmal kurz, was der Powerzwerg hier macht, Alter.“

„Powerzwerg?!“, japste ich. „Skaterboy, ich geb dir gleich mal Powerzwerg!“

„Schrecki, durchatmen. Hier“, er warf mir zwei matschige Schokobons zu und ich bekam große Augen. Der Typ war okay. Definitiv okay. „Der Powerzwerg geht uns ab jetzt regelmäßig auf die Nerven. Sie ist die Nachberufung aus Hessen.“ Jan seufzte schwer und tätschelte Avril Lavigne die Schulter.

„Der Zwerg hat Babenhausen gewonnen? Gegen dich?“, fragte Blondie und musterte mich skeptisch. Dann lachte er. Ich war mir nicht sicher, ob er über mich lachte oder über Jan.

„Der Zwerg hört dich“, zischte ich, „Und ja. Gegen das aufgeblasene Wunderkind neben dir.“ Tatsächlich hatte ich in Babenhausen wie gesagt ziemlich überraschend das Stechen im Großen Juniorenpreis gegen Jan von Frankenthal gewonnen. Ich war mir bis heute nicht sicher, wie ich das genau gemacht hatte. Ich war ausgeflippt! Danach war ich in den Bundeskader nachberufen worden.

Um Jans Mundwinkel zuckte es. „Sie ist ‘ne Schreckschraube, aber eigentlich ganz okay.“

Avril musterte mich nochmal abschätzig und nickte dann skeptisch. „Also dann“, er rang sich ein angestrengtes Lächeln heraus und hielt mir die ausgestreckte Hand hin, „Basti, reizend dich kennenzulernen, Maica.“

„Jaja, ich weiß schon: reizend wie Chlor.“ Ich strahlte ihn übertrieben freundlich an. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“

Heute

Stuttgart, im ICE Donnerstag, 16 Uhr 43

Ich starre noch immer vor mich.

Ich mochte ihn sofort. Ich mochte seinen Humor. Das Funkeln in seinen Augen. Die Tatsache, dass er Skateboard fuhr. Dass er nicht so ganz in dieses Bundeskaderding passte - wie ich. Wir waren schnell auf einer Wellenlänge. Jan disste mich, Basti stieg darauf ein, ich gab Kontra. Es war wunderbar. Ein wunderbares Pingpongspiel.

Wir waren wie Tick, Trick und Track. Oder wie Dick und Doof. Basti war Dick, Jan Doof und ich das und dazwischen. Wir hatten Spaß zusammen. Irre viel Spaß. Aileen mochte ich auch sehr. Es war einfach entspannt. Noch entspannter wäre es gewesen, wenn Jan nicht dieses Schnöselgetue zum Besten gegeben hätte. Anfangs dachte ich wirklich, er wäre so, bis ich feststellte, dass er sich nur darüber lustig machte.

Er hörte abrupt auf damit, als Basti und Aileen, den Autounfall hatten und Leena starb. Alles wurde danach anders. Die Prioritäten verschoben sich – nicht nur für Jan.

Basti war nach dem Tod seiner Schwester ebenfalls nicht mehr er selbst. Avril Lavigne war weg. Skaterboy auch. Er hatte danach kein Lächeln mehr übriggehabt. Kein schiefes Grinsen mehr. Keinen dummen Spruch. Noch nicht mal mehr einen fiesen Kommentar.

Ich atme durch und ringe mir ein zittriges Seufzen ab, während der Zug vor sich hin rattert und ich vor mich aus dem Fenster starre.

Basti war ein Zombie. Ein durchweg dauerbekiffter Zombie. Keine Ahnung, wie er es damals geschafft hat, auch nur halbwegs anständig einen Parcours zu reiten, ohne sich oder Alba umzubringen. Vermutlich ging das alles auf Albas Kappe. Der Schimmel war immer schon klüger als Basti, das schwöre ich bei Gott.

Tagsüber war Bast damals - nach dem Unfall - nie ansprechbar. Und abends erst, wenn er sich mit Max und Sebi schon einen hinter die Binde gekippt hatte. Ordentlich einen hinter die Binde. Mit Vorglühen hatte das nichts mehr zu tun. Zumindest nicht für ihn. Jan hatte ihn nicht davon abhalten können, obwohl die beiden beste Freunde waren. Ich glaube, damals fing es an, dass sich diese Front zwischen den beiden aufbaute, die dann in Oslo eskalierte.

Ich schließe die Augen und denke für einen kurzen Moment an diese Party. Diese eine Turnierparty, an der das alles anfing. Das Partyspiel. Als Basti so betrunken war, dass er die Kontrolle verlor.

Die Party war in einer Longierhalle, abseits der Anlage. Der Bass wummerte, der PUR-Megamix lief im Hintergrund. Ich weiß noch, dass ich mit Alex Discofox getanzt habe und dann ganz außer Atem, zurück zu den Jungs an den Stehtisch kam. Dann spielte der DJ Helene Fischer und Basti drehte durch. Er flippte plötzlich total aus. Er hat Streit mit einem Typen aus Hamburg angefangen, dann war irgendwer dazwischen gegangen und Basti war... Er hat sich umgedreht und war abgerauscht. Stinksauer. Als ob etwas nicht stimmte.

Hamburg, Hauptbahnhof Donnerstag, 17 Uhr 58

Ich steige müde und doch aufgekratzt am Hamburger Hauptbahnhof in ein Taxi und nenne dem Taxifahrer die Adresse des Hotels, in dem Basti untergebracht ist. Der Fahrer wendet, fährt an der Hamburger Kunsthalle vorbei über die Lombardbrücke und über die Binnenalster und ich kann einen Blick auf das imposante Hotel Atlantik erhaschen. Auf der anderen Seite der Binnenalster sehe ich den Jungfernstieg mit dem Alsterhaus und über Eck das Vier Jahreszeiten.

Vor ein paar Jahren, als Sarah noch hier ihre Ausbildung zur Musicaldarstellerin gemacht hat, habe ich sie hier besucht, und wir waren sehr dekadent im Vier Jahreszeiten Kaffee trinken und Kuchen essen. Es war wunderbar. Wir haben uns gefühlt wie Prinzessinnen.

Der Taxifahrer biegt kurz danach links in die Dammtorstraße ab, fädelt sich dann am Gänsemarkt rechts ein und hält dann am Marriott.

Ich zahle und steige aus. Meine Übelkeit von heute Morgen ist immer noch vorhanden, das Telefonat im Zug mit Sarah hat es aber etwas besser gemacht. Ich straffe die Schultern und betrete die elegante Lobby des Hotels.

Ich bin nicht groß, deshalb trage ich meistens hohe Absätze, wie auch jetzt, und der Klang meiner Schritte hallt auf dem polierten Boden rhythmisch wider. Ich habe viele Jahre getanzt, ich weiß, wie ich laufen muss, um Aufmerksamkeit zu erregen, und auch jetzt merke ich, dass sich die ersten Köpfe nach mir umdrehen. Ich lächle und setze mein Strahlen auf, als ich auf den Rezeptionisten treffe.

„Herzlich Willkommen im Marriott“, begrüßt er mich.

„Hi“, gebe ich süß zurück und strahle ihn an. „Mein Mann ist auf Tagung hier.“ Ich nenne den Namen seiner Firma. „Ich würde ihn gerne überraschen.“ Zum Beweis, dass wir wirklich verheiratet sind, zeige ich ihm meinen Ehering und dann den Personalausweis. Ich könnte ja auch eine verrückte Stalkerin sein.

Der junge Mann mustert mich und meinen Perso skeptisch. „Ich kann ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen leider nicht die Zimmernummer sagen.“

Ich hebe beide Augenbrauen. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Ich schaue auf die Uhr. „Hören Sie mal, Schätzchen, ich hab mehrfach versucht, meinen Göttergatten anzurufen. Der hat sein Handy aus. Können Sie wenigstens im Zimmer anrufen und ihn hier runterzitieren?!“

Der Rezeptionist sieht mich noch skeptischer an, tippt dann aber auf dem Computer herum und greift zum Telefonhörer. Nach einer Weile schüttelt er den Kopf. „Tut mir leid. Er scheint nicht im Zimmer zu sein.“

„Das kann doch nicht wahr sein!“ Ich lasse meine Tasche auf den Boden sinken und denke einen Moment nach. Mit wem ist er nochmal hergefahren? Mit Henning Klein, diesem rothaarigen Nerd aus dem Entwickler-Team? Oder mit O.J.? Ich scrolle durch mein Handy und rufe O.J. an. Es klingelt viermal bis er ans Handy geht.

„Hallo?“, meldet er sich mit volltönender Stimme.

„O.J.! Wo steckt mein Mann?!“

„Wer ist dran?“ Im Hintergrund höre ich Gelächter und laute Stimmen. Dann sagt er. „Ach, Maica, du bist das.“ Offensichtlich hat er jetzt die Kennung gecheckt. „Keine Ahnung, wo dein Typ steckt. Wo soll er stecken?“

„Bist du nicht mit in Hamburg?“

„Nein. Henning und der Chef sind in Hamburg.“

„Kannst du bitte einen von den beiden anrufen und fragen, wo Basti steckt?“

„Warum?“ O.J. lacht. „Hat er eine Verabredung zum Telefonsex verpasst.“

„Du bist so widerlich.“ Das ist er wirklich. Ich kann den Typen tatsächlich nicht ausstehen. Ich frage mich, warum ich seine Nummer auf dem Handy habe.

„Das ist aus deinem Mund ja beinahe ein Kompliment.“ Er atmet tief ein, ich denke, er zieht an einer Kippe oder einem Joint. „Gib mir fünf Minuten.“ Damit legt er auf.

Ich strahle den Typen an der Rezeption unschuldig an. „Könnten Sie meinen Mann vielleicht nochmal anrufen? Bitte?“

Der Kunde ist König. Selbstverständlich ruft er nochmal Bastis Zimmernummer an, aber auch dieses Mal wird das Gespräch nicht angenommen. Ich starre währenddessen mein Handy an und warte auf den Rückruf von O.J.

Der Rückruf bleibt aus.

Der Rezeptionist empfiehlt mir zum Warten die Bar oder den Cast Iron Grill, wenn ich noch nichts gegessen habe. Tatsächlich knurrt mein Magen.

Ich habe keine Ahnung, warum du mich ignorierst, aber ich sitze unten in deinem Hotel im Restaurant und esse jetzt ein Steak. Ich hätte Lust auf Gesellschaft und trinke ca. drei Wein. Danach will ich Sex.

Die Sache mit dem Sex schreibe ich, um ihn zu provozieren. Vielleicht funktioniert das, um ihn zu irgendeiner Reaktion zu bewegen, aber ich sehe, dass auch diese Whatsapp nicht ankommt. Er hat sein Handy aus. Was ist los mit ihm, verdammt?

Ich bestelle mir einen Rotwein und ein Steak, medium rare, mit Pommes. Während ich darauf warte, arbeite ich mit dem Tablet noch ein bisschen an einem Dossier, das morgen fertig sein muss. Ich habe schon alles zusammengestellt und muss nur noch einmal alles durchsehen und die Formatierung anpassen. Das kann ich zur Not auch im Zug machen. Den Rotwein rühre ich nicht an.

Mein Handy klingelt. O.J.s Nummer taucht auf dem Display auf. Ich nehme ab.

„Der Chef meint, Basti wäre nach dem Meeting kommentarlos abgehauen.“

„Weißt du, wohin?“, frage ich und warte ungeduldig auf seine Antwort.

„Welchen Teil von kommentarlos hast du nicht verstanden?“, sagte er und seine Stimme strotzt vor Arroganz.

Ich hasse diesen Typen. Ehrlich. Wenn Foltern erlaubt wäre, würde ich ihm gerne an den Füßen von einer Ziege lecken lassen. „Wann war das?“

„Der Chef meint, gegen 12 Uhr.“

Ich schaue auf die Uhr. Es ist Viertel nach sieben. Wo drückt der sich sieben Stunden lang rum? Allmählich werde ich noch nervöser, als ich es schon bin. In St. Pauli vielleicht? Versackt auf der Reeperbahn? Ich traue Sebastian Hambach ja einiges zu, aber das auf keinen Fall. Er hat mich. „Danke O.J.“, murmle ich und lege auf.

Eine Kellnerin kommt und serviert mir das Steak. Es sieht fantastisch aus, schmeckt sicherlich ebenso, aber ich habe keinen Appetit mehr. Wo ist Basti? Ich weiß, dass er morgen früh nochmal in eine zweite Verhandlungsrunde muss. Deshalb... Er muss irgendwo in Hamburg sein. Aber wo?

Ich zwinge mir das Steak hinein, weil ich etwas essen muss und weil ich wirklich Hunger habe. Aber es schmeckt nach Pappe. Den Rotwein starre ich immer noch nur an. Ich bin nicht hysterisch, rede ich mir ein, aber ein winziger Teil von mir überlegt, ob ich die Polizei anrufen soll.

Hamburg, Marriott Donnerstag, 22 Uhr 59

Ich sitze in der Lobby und starre mit meinem unangerührten Rotweinglas in der Hand auf die Eingangstür. Trinken würde mir nicht helfen, einen klaren Kopf zu behalten. Ich maile mit Jan. Er versucht, mich abzulenken. Er erzählt mir, dass sein altes Pferd Calli neue Zirkuslektionen gelernt hat, und schickt mir Videos davon. Calli kann sich mittlerweile nicht nur auf Kommando hinlegen, sondern sich auch Totstellen und - das ist sein neuster Trick - zudecken. Tatsächlich zaubert mir das Video von Jans Reitsportrentnerpferd ein Lächeln ins Gesicht. Kaum zu glauben, dass das Zirkuspony bei Olympia war.

Ich bin so auf das Video konzentriert, dass ich gar nicht mitbekomme, wie sich die Drehtür des Hotels in Bewegung setzt.

„Was machst du denn hier?“

Erschrocken fahre ich zusammen und reiße den Kopf hoch. Vor lauter Schreck lasse ich mein Handy fallen. Aber das ist mir egal. Ich springe auf und starre ihn ganze fünf Sekunden mit offenem Mund an, als ob er ein Gespenst ist. Aber er ist keins. Er trägt eine dunkelblaue Jeans, eine schwarze Jacke, die seine breiten Schultern betont, und darunter sehe ich den dunkelgrauen Kapuzenpulli mit dem MIT-Aufdruck. Den hat er nicht nur, weil es cool ist, mit einem Uni-Pulli einer amerikanischen Universität herumzulaufen, sondern weil er wirklich ein halbes Jahr dort studiert hat. Basti ist echt klug. Eigentlich. So, wie er sich heute verhält, bin ich mir allerdings sicher, dass er höchstens den IQ einer Banane hat, die es geschafft hat, ganz von alleine braune Punkte zu bekommen. Bravo, Banane!

Ich falle ihm erleichtert um den Hals. Ich bin ein ganzes Stück kleiner als er und reiche ihm gerade so bis ans Kinn, wenn ich hohe Schuhe trage. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und ziehe ihn zu mir hinunter und küsse ihn sanft. Atme seinen Geruch ein und spüre, wie er mich zögerlich in die Arme schließt. Seine Lippen sind kühl und ich schmecke einen ordentlichen Rest Whisky-Cola. Er ist betrunken. Ordentlich betrunken. Bravo, Banane, denke ich erneut. Jetzt weiß ich auch, warum er sich nicht bei mir gemeldet hat.

„Überraschung...“, murmele ich und gebe ihn frei. Seine Hände rutschen träge an meinem Rücken hinunter, aber er lässt mich nicht los. Ich sehe ihn an, suche seinen Blick. Er sieht müde aus. Fix und fertig. Dunkle Schatten liegen unter seinen Augen, die ich so nicht kenne. So habe ich ihn nicht nach Hamburg geschickt. Er ist doch gestern erst hierhergekommen. Was ist denn bitte über Nacht hier passiert, dass er aussieht, als hätte er vier Nächte am Stück durchgemacht?

„Ja... Überraschung“, murmelt er, hält meinem Blick aber nicht stand. Er senkt den Blick. Seine grauen Augen blinzeln und sehen vollkommen leer aus. Ausgebrannt. Ich greife nach seinem Kinn und zwinge ihn, mich anzusehen.

Gott, ich kenne diesen Blick.

Der ist total stoned.

Man, Basti. Was ist denn los mit dir? Am liebsten würde ich ihn nehmen und schütteln. Aber das werde ich nicht tun, so lange er mir nicht verraten hat, was passiert ist. Er richtet sich nicht ohne Grund so zu. Nicht, dass es überhaupt einen Grund gäbe, Drogen zu nehmen. Ich bin da generell dagegen. Aber er ist da anders. War er schon immer. Gras war früher sein Ventil, um Dinge zu verarbeiten. Ich seufze schwer. Früher. Scheiß auf früher, ich dachte, das haben wir hinter uns gelassen.

Ich sehe ihn vor meinem inneren Auge vor mir sitzen, auf der ein oder anderen Turnierparty. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren. Wir waren so verdammt jung. Und er meistens betrunken und stoned. Ich komme mir vor, als ob wir plötzlich wieder Teenager sind. Als ob er plötzlich wieder siebzehn ist. Fix und fertig mit sich und der Welt, vollkommen überfordert mit dem Leben.

Ich atme tief durch und fahre ihm gespreizten Fingern durch die Haare. „Man, was ist denn nur passiert?“, flüstere ich und spüre, wie er langsam gegen mich sinkt.

„Du bist hier...“, murmelt er so leise, dass ich es fast nicht verstehen kann.

„Alter, ich fliege mit dir in weniger als 48 Stunden in die Flitterwochen. Komme, was wolle. Und wenn ich dich an deinen Eiern in dieses Flugzeug schleifen muss. Und du weißt, ich habe kein Problem deine Eier anzufassen.“

Basti seufzt schwer, so schwer, dass ich das Gefühl habe, dass die gesamte Luft aus ihm entweicht. „Hast du nicht... Du bist hier...“ Seine Stirn sinkt gegen meine. „Wo schläfst du eigentlich?“

Okay, er ist wirklich breit. „Komm mit, Hambach.“ Ich schiebe ihn von mir, greife nach meiner Tasche am Boden, hänge sie ihm um den Hals und nehme den Rotwein in die rechte Hand. In die Linke nehme ich Basti und ziehe ihn bestimmt hinter mir her zu den Fahrstühlen. „Ich schlafe bei dir, wo sonst?“ Als er nicht reagiert, rolle ich die Augen. „Überraschung!“

Freude

Maica

Hamburg, Marriott Donnerstag, 23 Uhr 08

An den Fahrstühlen angekommen stelle ich das volle Rotweinglas auf ein Sideboard. Schade darum. Basti starrt mich an, als wäre ich eine Fata Morgana. Meine Tasche baumelt immer noch um seinen Hals und ich nehme sie ihm ab. Man. Diese verfickte Kifferei. Eigentlich haben wir das gut im Griff. So stoned wie jetzt war er schon lange nicht mehr. Der ist vollkommen drüber.

Die Fahrstuhltür öffnet sich mit einem leisen Ping und wir treten ein. „Welcher Stock?“, frage ich. Basti schaut mich mit großen Augen an. „Basti! In welchem Stock ist dein Zimmer?“ Genervt schwebt mein Finger über den Anzeigeknöpfen.

„Sechs...“, murmelt er verträumt und schüttelt den Kopf. Dann nimmt er mein Gesicht in beide Hände und küsst mich, dass mir die Luft wegbleibt. Oha. Stoned und scharf. Kurz überlege ich, ob er das Stockwerk gemeint hat oder doch die Tätigkeit mit dem X am Ende.

Sein Kuss ist gierig und hungrig, und ich spüre die Wand des Aufzuges fest in meinem Rücken, als er mich dagegen presst.

Vielleicht hat er meine letzte Nachricht doch bekommen.

Ich öffne meine Lippen und spüre seine Zunge an meiner und er wirkt völlig gelöst. Sein Körper ist jedoch vollkommen angespannt. Er steht total unter Strom, wieso ist mir nicht wirklich klar. Jeder Muskel ist gespannt, als ober auf der Flucht ist. Aber ich spüre immerhin, als er sein Becken gegen meines presst, dass er froh ist, mich zu sehen.

Sein Daumen streichelt meine Wange, während wir uns leidenschaftlich weiterküssen und seine rechte Hand suchend an meiner Seite hinabgleitet. Erst über den Stoff meiner Jacke hinweg über die Rundung meiner Brust, wo sie zum Liegen kommt und kurz und fest zugreift. Ich japse kurz auf und er grinst in den Kuss hinein, während ich das Reiben seiner Erektion an meinem Schritt spüre.

Dann bleibt der Aufzug stehen. Er küsst mich weiter und ich schiebe ihn bestimmt von mir. „Komm schon, Hambach, aussteigen. Ich will mich nicht von dir vor den Hotelkameras vögeln lassen.“

Ich greife nach seiner Hand und spüre, wie seine Finger zwischen meine rutschen. Gott, ich liebe ihn. Egal, wie betrunken und stoned er gerade ist. Egal, was passiert ist. Egal, aus welchen Gründen er unsere Flitterwochen absagen will. Ich liebe diesen Kerl einfach.

Basti sieht den Hotelflur hinunter und runzelt die Stirn. „Ich glaube, ich hab die Zimmernummer vergessen...“

„Echt jetzt?“

Er zuckt die Schultern. „War ein heftiger Tag...“

„Eher viel Gras und Whisky, was?“, gebe ich zurück und sehe, wie dieses schiefe Grinsen an seinen Mundwinkeln zupft, dass mich schon als junges Mädchen immer schwach gemacht hat. „Du bist ein Held, echt.“ Ich drehe mich zum ihm um. „Wo ist die Schlüsselkarte?“

Er zuckt die Schultern. Zum ersten Mal, seit er in die Lobby gekommen ist, hellt sich seine Miene richtig auf. Um seine Mundwinkel zuckt es immer weiter. „Keine Ahnung.“ Er zieht provokant eine Augenbraue hoch. „Ich glaube, ich bin zu stoned, um nachzusehen.“

Ich kneife die Augen zusammen. „Mein Freund, glaub ja nicht, dass du damit jemals wieder durchkommst“, murmle ich und stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn knapp und beginne, ihn nach der Schlüsselkarte abzusuchen. Er gluckst und lässt sich gegen die nächstgelegene Wand sinken, während ich ihm die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans schiebe. Ich werde in der Linken sofort fündig. Neben seinem Handy ziehe ich die Schlüsselkarte heraus. Mega Versteck, Hasi.

Sichtlich enttäuscht stöhnt Basti auf. „Mach weiter“, gurrt er und zieht mich zurück an sich. Er küsst langsam und träge meinen Hals. Ich spüre seine Zähne unterhalb meines Ohrläppchens und die Berührung jagt direkt hinunter in meinen Schritt. Und er weiß das. Ich seufze leise auf und schließe die Augen, stoße mich aber von ihm ab. „Hör auf damit...“ 412 steht auf der Schlüsselkarte. „Du bist ein Idiot“, sage ich dann laut. „Was ist denn-“ los mir dir, will ich fragen, doch ich beiße mir auf die Lippen. Wenn ich ihn das jetzt frage, explodiert er.

„Ich wollte mit dir so lange wie möglich Aufzug fahren...“

Ich stöhne, das hat nun aber nichts mehr mit Erregung zu tun. „Komm mit, wir nehmen die Treppe.“ Ich laufe gestresst voran. Zügig. Ich befürchte, dass er im Treppenhaus irgendeinen Blödsinn veranstalten will. Betrunken ist er anstrengend und ein Riesenbaby. Und ich bin müde, genervt und will eigentlich nicht rummachen - so angenehm das ist - sondern wissen, was hier los ist.

„Maica! Warte!“

Er ist anhänglich, wenn er betrunken ist. Anhänglich, betrunken und stoned und geil. Das hatte ich vergessen. Offensichtlich ist sein Problem in den Hintergrund getreten, als er mich gesehen hat. Das ist gut, oder? Ich bin mir aber nicht so sicher, ob ich dafür herhalten will. Für die Ablenkung.

Ich flitze die Treppe in den vierten Stock hinunter und warte dort auf ihn. Er versucht wieder, mich zu küssen, aber das Gras und der Alkohol machen ihn langsam und träge. Als wir endlich im richtigen Hotelflur angekommen sind, und die Schlüsselkarte sogar ein Hotelzimmer öffnet, bin ich erleichtert. Ich bin schlagkaputt. Schlagkaputt und froh, dass er gesund und einigermaßen unversehrt wieder aufgetaucht ist.

Hamburg, Marriott, Zimmer 412 Donnerstag, 23 Uhr 18

Als sich die Tür hinter uns schließt, lasse ich die Tasche fallen und spüre fast gleichzeitig, wie ich den Boden unter den Füßen verliere. Er hebt mich hoch, setzt mich auf seine Hüfte, und presst mich so gegen die nächstbeste Wand. Ich keuche auf.

„Danke, dass du hier bist...“, flüstert er zwischen zwei Küssen. „Ich liebe dich...“ Er streift mir die Jacke ab, und in einer weiteren, fließenden Bewegung, folgt mein Pullover. Dann treffen seine Lippen auf die zarte Haut meines Schlüsselbeins, und mein dünnes Unterhemd fliegt nach dem Pulli kurz darauf auf den Boden, während ich an seinem Oberteil herumzerre und versuche, Basti davon zu befreien. Er brummt dunkel und kehlig an mein Ohr, weil es mir nicht gelingt, und ich immer noch auf seiner Hüfte sitze. Stattdessen greift er hinter mich, öffnet geübt meinen BH und befördert die zarte, schwarze Spitze ebenfalls auf den Boden. Er küsst mich und ich spüre, wie wir uns durch das Zimmer bewegen, und dann die kühle Matratze unter meinem nackten Rücken.

Er folgt mir aufs Bett, kniet sich so hin, dass ich zwischen seinen Beinen liege, streift sich dankenswerterweise den Pulli, an dem ich eben so kläglich gescheitert bin, selbst vom Körper und wirft ihn hinter sich. Seine hellen Augen sind vom offensichtlichen Rausch verhangen und ich spüre, wie sein Blick gierig über meinen halb entblößten Körper wandert. Ich tue es ihm gleich und beiße mir unverhohlen auf die Unterlippe. Ja, er ist betrunken und bekifft, aber das tut seinem Anblick keinen Abbruch. Ich hab mir ein ansehnliches Exemplar geangelt - ich gratuliere mir tagtäglich selbst dazu. Er ist manchmal noch ziemlich verrückt und kompensiert die aufsteigende Verrücktheit mit Sport. Viel Sport. Mit 18 Kilometer-Läufen vor dem Frühstück, zum Beispiel. Und diese irre Bondage-Scheiße im Fitnessstudio mit dem eigenen Körpergewicht. Ich musste das einmal ausprobieren, weil er mich gezwungen hat, und konnte zwei Wochen lang nicht laufen. TRX. Und, wenn er dazu kommt: Langhanteltraining mit schwerem Gewicht. Und nicht zu vergessen: Reitsport.

Gut, mir soll es recht sein. Er macht Sport, ich bekomme dafür den Mann mit dem Sixpack. Bewundernd wandert mein Blick über die definierten Schultern, seine breiten Brustmuskeln und die straffe Bauchmuskulatur, die er noch nicht mal anspannen muss, um mich nachhaltig zu beeindrucken.

Da fällt mein Blick auf das Tattoo.

Shit, das blöde Tattoo macht mich immer noch an. Er hat es, seit er siebzehn ist. Es zieht sich über seinen rechten Rippenbogen. Ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln unter einem knorrigen Apfelbaum. Tausende Menschen haben Engelstattoos, aber ihm bedeutet es die Welt. Seines ist... sein gebrochenes Herz auf seiner Haut.

Seine Haut ist ganz warm, sein Kuss schmeckt vertraut, wenn auch nach Alkohol. Ein bisschen erinnert mich das alles an die schlimme alte Zeit. An all die Partys, die wir gemeinsam durchgestanden haben. An unser Partyding, das wir hatten, bevor wir zusammenkamen. Wie heftig wir herumgemacht haben, in irgendwelchen dunklen Ecken in staubigen Reithallen und in leeren Pferdetransportern. Als Teenies. Damals. Zu Helene Fischer.

Ich lege meine Hand an seine Wange, streiche über die rauen Bartstoppeln und spüre, wie er die Luft anhält. Wie er innehält. Ich streiche mit dem Daumen über seine Augen und atme selbst aus. „Ich liebe dich“, flüstere ich. „Ist alles okay?“

Er schluckt. „Alles bestens...“

Ich halte die Luft an, will etwas sagen, doch soweit komme ich nicht. Er dreht sich mit einer flüssigen Bewegung auf den Rücken und zieht mich auf sich. Küsst mich, bis ich keine Luft mehr bekomme. Okay. Verstehe. Nichts ist gut.

Wir machen weiter rum. Er braucht das. Ich sitze rittlings auf ihm und küsse ihn. Fahre ihm durch die blonden Haare und er schließt die Augen. Das Lächeln in seinem Gesicht ist nicht richtig echt. Es kommt vom Alkohol und vom Gras, das er geraucht hat. Er ist nicht ganz hier. Ich würde gerne wissen, wo er gerade ist. Vielleicht auch besser nicht. Vielleicht ist es besser, das nicht zu wissen. Ich versuche, es erträglicher zu machen. Ihn abzulenken. Also küsse ich ihn, wieder und wieder. Wie damals. Wie bei unserem Partyspiel. Nur um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Ich hoffe, es funktioniert. Ich will ihn wieder haben. Ich werde nicht zulassen, dass ihn mir irgendjemand oder irgendetwas wegnimmt.

Gedankenverloren streichelt er mich, meinen nackten Rücken, meine bloßen Seiten, während wir uns weiter küssen und ich spüre, wie die Erektion in seiner Jeans wächst.

Trotzdem spüre ich, dass er immer mehr wegdriftet. Ich kippe mein Becken ein wenig, reibe mich an ihm und ich streichle ihn, befreie ihn aus seiner Hose. All das erinnert mich ein bisschen an früher. An damals, als wir noch nicht zusammen waren, und ich mit ihm herumgemacht habe, damit er vergessen konnte. Damals hatten wir noch keinen Sex, nicht so. Wir haben nur wild und heftig geknutscht, bis wir beide atemlos waren und er... weniger Fieber im Kopf hatte. Er hat das damals genauso gebraucht wie jetzt.

Jetzt spüre ich, wie sein Körper sich unter mir anspannt, als er kommt, und dann lässt er los. So weit ging es damals nie.

Er öffnet nun die Augen und sieht mich an, als würde er mich zum allerersten Mal sehen. Er ist wach.

„Hi...“, sage ich und muss lächeln.

Er blinzelt und sieht mich an, als sei er plötzlich stocknüchtern. Als hätte er mich jetzt erst erkannt. „Hi...“, gibt er verklärt zurück. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, runzelt die Stirn und schließt ihn wieder. Dann schüttelt er den Kopf und schluckt. Holt Luft. Atmet durch. Das macht mir etwas Angst. Aber er wirkt endlich wieder etwas mehr wie er selbst. Und dann endlich dreht er mich mit einem Ruck auf den Rücken und übernimmt das Ruder.

„Oh Gott!“ Ich stöhne auf, als sich sein Mund um meine Brustwarze schließt und er sanft hineinbeißt. Der Schmerz schießt mir sofort zwischen die Beine und ich werde unruhig. Ich spüre seine Küsse auf meinem gesamten Oberkörper, seine Hände, die sich forsch auf den Weg Richtung Süden machen und den obersten Knopf meiner Hose öffnen. Dann küsst er wieder meine Lippen. Gierig und sanft zugleich. Er lässt sich Zeit. Gott, ich liebe diese Küsse. Und während er mich mit diesen bedenkt, schiebt er seine Hand bedächtig an meinem Körper hinab in meine Jeans. Ich stöhne leise auf, als er diesen Punkt berührt, der sich nach ihm sehnt, um mich wirklich zu einer sehr glücklichen Frau zu machen, und ich sehe, dass seine Miene sich entspannt. Und darunter entspanne ich mich.

Er streift mir Jeans und Slip ab, verwöhnt mich mit dem Mund, bis ich ein sprudelndes Quell der Glückseligkeit bin, und es kaum noch aushalte, ihn in mir zu spüren.

Mein Blick fällt auf seine Lippen und muss lächeln, als er umständlich seinen Gürtel aus den Schlaufen zieht, ihn ebenfalls hinter sich wirft, dabei irgendetwas trifft, vermutlich etwas, was kaputt gehen kann, eventuell eine Lampe, und ich muss lachen. „Randalier hier nicht rum...“

„Mach ich nicht“ Er grinst schief und beugt sich zu mir hinunter. Seine Brust berührt meine und ich seufze auf. „Würde ich nie...“, murmelt er an mein Ohr und drückt eine Spur kleiner heißer Küsse an meinem Hals hinunter zu meinen Brüsten. Er küsst meine Nippel, bis ich fast wahnsinnig werde. Bei jeder seiner Berührungen sehe ich kleine Sternchen vor meinem inneren Auge, die ein wahres Feuerwerk ankündigen. Silvester ist ein Scheiß dagegen.

„Warte, warte, warte.“ Ich schiebe ihn von mir.

„Was?“ Außer Atem sieht er mich an.

Ich halte das nicht länger aus. Der Druck, der sich in mir aufgebaut hat, ist fast nicht mehr aushaltbar. Hambach muss endlich loslegen. Aber vermutlich denkt er gar nicht daran. Alk und Gras. Und Selbstkasteiung. Auch in Letzterem ist er ziemlich gut.

Ich seufze genervt, schubse ihn bestimmt in die Kissen und streife ihm mit seiner Hilfe die restlichen Klamotten vom Körper. Der kleine Mitarbeiter des Monats steht bereit und ich grinse - genau wie Basti. Sanft schließe ich die Hand um seinen Penis, streichle ein paar Mal über die zarte Haut und berühre mit dem Daumen die sensible Spitze. Basti stöhnt auf. Ich habe nicht vor, ihm ein zweites Mal einen runterzuholen. Wirklich nicht. Stattdessen rutsche ich rittlings über ihn und führe ihn in mich ein. Ich bin so feucht, dass er mit Leichtigkeit in mich eindringen kann. Dennoch stöhne ich fast schon gequält auf und warte einen Moment. Langsam richtet er sich auf und ich schlinge beide Beine um seinen Rücken. So sitzen wir beide nur da. Ich ausgefüllt von ihm und er hält mich, während ich ihm in die Augen sehe.

Die Spitzen meiner Brüste berühren seine warme Haut, ich bin ihm ganz nah und seine Stirn sinkt gegen meine. Er atmet aus. „Ich bin total stoned...“, flüstert er.

„Ich weiß...“, gebe ich leise zurück. Ich küsse seinen Hals und beginne mich langsam zu bewegen. Sehr langsam. Dann nimmt er meinen Rhythmus auf. Streichelt meinen Rücken, meinen Po und schiebt dann behutsam eine Hand zwischen uns, um die Reibung an meiner Klit zu verstärken. Ich stöhne laut auf und lege den Kopf in den Nacken. Unsere Bewegungen werden schneller und ich spüre, wie sich meine Muskulatur im Inneren zusammenzuziehen beginnt. Kleine Wellen der Erregung werden zu größeren, eine Flut der Hitze fällt über mich und ich presse mich laut stöhnend an ihn, als ich komme. Basti kommt nach mir, leiser, weniger heftig, aber er lächelt.

Immerhin jetzt ein ehrliches Lächeln.

Hamburg, Marriott, Zimmer 412 Donnerstag, 23 Uhr 46

Ich komme nackt aus dem Bad und rutsche neben ihn unter die Bettdecke. „Besser?“, frage ich und streichle seine Wange.

Er seufzt und nickt. „Etwas, ja.“

„Erzählst du mir jetzt, was passiert ist?“ Ich suche seinen Blick in der Dunkelheit. Er ist nicht sonderlich erpicht darauf mit mir darüber zu sprechen, das merke ich.

„Ich kann nicht.“

„Hast du eine Schweigepflichtserklärung unterzeichnet? Weil das ist der einzige Grund, der mir einfällt um-“

„Maica, nicht...“ Er seufzte schwer und schließt die Augen.

„Okay.“ Ich gebe nicht auf. Ich rolle mich auf den Bauch und schiebe ihm den Arm auf seinen. „Was ist los, Hambi?“

Er schweigt. Beharrlich. Er ist so ein Dickschädel. Ich kann ihn nicht leiden, wenn er so ist. Ich lasse den Kopf hängen und drücke ihm einen langen Kuss auf die Brust. Dann puste ich, so dass ein blödes Pupsgeräusch entsteht, und er zumindest lächeln muss. Er streckt die Hand aus und streicht mir durch die Haare. Ich spüre, dass er mit sich hadert und er mich nicht in der Luft hängen lassen will. Dann, endlich, holt er Luft. „Ich kann nicht mit dir auf die Malediven fliegen.“

„Ja, so viel hab ich schon kapiert. Und warum nicht? Was hält dich auf? Der Job?“ Mein Herz zieht sich zusammen. Es geht mir nicht um den blöden Urlaub. Es geht mir darum, dass er nicht ehrlich zu mir ist und einfach nicht sagt, was los ist. Ich halte das schon aus. Je mehr er herumdruckst, desto mehr Gedanken mache ich mir. „Bist du... fremdgegangen? Weil, wenn es das ist...“

Das bekommen wir hin. Jeder baut mal Mist.