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Was es bedeutet, von heute auf morgen seine Heimat zu verlieren, erzählt Gabriele Sonnberger fesselnd und einfühlsam in ihrer von wahren Begebenheiten inspirierten Saga um eine böhmische Familie. Es ist das Jahr 1929, und im Rheinland herrscht Hungersnot. Die fünfjährige Erika wird von ihren Eltern schweren Herzens zu ihrer Tante Mimi ins südböhmische Hohenfurth geschickt, ohne zu wissen, wann sie ihre Familie wiedersehen wird. In der Obhut der strengen Tante wächst Erika zu einer selbstbewussten jungen Frau heran und findet in ihren Schulkameradinnen Emmi und Oli Freundinnen fürs Leben. Mit der Besetzung des Sudetenlandes 1938 ist die vertraute Idylle in Hohenfurth plötzlich bedroht. Und doch scheint Erikas Traum von einer glücklichen Zukunft zum Greifen nahe, als sie sich in den feschen Marineoffizier Heinz verliebt. Bis eines Tages sämtliche deutschen Bewohner Hohenfurths den amtlichen Befehl erhalten, sofort das Land zu verlassen. Doch dieses Mal ist Erika fest entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen ...
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Seitenzahl: 710
Veröffentlichungsjahr: 2021
Was es bedeutet, von heute auf morgen seine Heimat zu verlieren, erzählt Gabriele Sonnberger fesselnd und einfühlsam in ihrer von wahren Begebenheiten inspirierten Saga um eine böhmische Familie. Es ist das Jahr 1929, und im Rheinland herrscht Hungersnot. Die fünfjährige Erika wird von ihren Eltern schweren Herzens zu ihrer Tante Mimi ins südböhmische Hohenfurth geschickt, ohne zu wissen, wann sie ihre Familie wiedersehen wird. In der Obhut der strengen Tante wächst Erika zu einer selbstbewussten jungen Frau heran und findet in ihren Schulkameradinnen Emmi und Oli Freundinnen fürs Leben. Mit der Besetzung des Sudetenlandes 1938 ist die vertraute Idylle in Hohenfurth plötzlich bedroht. Und doch scheint Erikas Traum von einer glücklichen Zukunft zum Greifen nahe, als sie sich in den feschen Marineoffizier Heinz verliebt. Bis eines Tages sämtliche deutschen Bewohner Hohenfurths den amtlichen Befehl erhalten, sofort das Land zu verlassen. Doch dieses Mal ist Erika fest entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen …
Gabriele Sonnberger, geboren in Wien, ist studierte Lehrerin und Grafikdesignerin. Schon früh entdeckte sie ihr Talent fürs Schreiben, ABSCHIED VON DER HEIMAT ist nun ihr Debüt als Romanautorin. Die als Trilogie angelegte Saga um das Schicksal zweier Familien aus Hohenfurth ist inspiriert von der bewegenden Geschichte ihrer Mutter, die 1945 aus ihrer böhmischen Heimat vertrieben wurden. Gabriele Sonnberger ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sie lebt als freie Schriftstellerin im Herzen von Wien.
GABRIELESONNBERGER
ABSCHIED
VON DER
HEIMAT
Eine böhmische Familiengeschichte
Roman
LÜBBE
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Susanne George, Bergisch Gladbach
Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de
Einband-/Umschlagmotive: © shutterstock: sl_photo | Publio Furbino | PGMart; © Trevillion Images: Mark Owen
eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-7517-1002-2
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Für meine Mama
Erika Liedl, geborene Becker,
die mutigste, stärkste, begabteste und am meisten
unterschätzte Frau, die ich kenne.
Und meinen wunderbaren Mann Hannes,
der meiner Mama die alte Heimat wiedergebracht
und mir eine neue geschenkt hat,
als wir beide nicht mehr damit gerechnet haben.
Erika riss die Augen auf. Quer durch die Kammer zerschnitt ein fahler Streifen Mondlicht den nachtschwarzen Raum. Sie lauschte auf die regelmäßigen Atemzüge ihres Bruders, mit dem sie das Bett teilte. Etwas hatte sie geweckt. Ihr Blick folgte dem Lichtstrahl über ein Stuhlbein, die Maserung des Fußbodens und das beleuchtete Stück Tapetenmuster bis zur Zimmertür. Dahinter duellierten sich Stimmen.
»Olga, das kommt nicht in Frage! Nicht mein Pusselchen! Dafür bekommt ihr meine Zustimmung niemals!«
Das war Papa. Worüber regte er sich so auf? Sie war Papas Pusselchen. Ihren Kosenamen hatte sie genau verstanden. Aber was hatte das Geschrei mit ihr zu tun? Die Kleine schob entschlossen die raue Rosshaardecke zur Seite und tappte zur Tür. Sie konnte nicht verstehen, mit wem Papa sprach und was die andere Person entgegnete, aber Papas Stimme war laut und deutlich zu vernehmen.
»Deine Schwester kann sich ihr Angebot an den Hut stecken!«
Fest drückte sie ihre Wange gegen das rissige Holz. Diesen Hut hätte sie gerne einmal gesehen! Was da wohl alles darauf steckte? Sie erinnerte sich an den Besuch von Papas Cousine vor einiger Zeit. Vielleicht sah er ja genauso aus wie deren Hut. Erika kicherte. Riesige Federn hatten bei jeder Kopfbewegung mitgewippt. Der hatte ihr gefallen.
»Aber denk doch nur, wenigstens eines unserer Kinder hätte dann genug zu essen. Du siehst doch selbst, dass wir hier kaum über die Runden kommen. Ein solches Elend. Willst du das für deine Kinder?«
Jetzt erkannte sie die Stimme. Mama wirkte aufgebracht. Aber warum nur? Genug zu essen war doch fein! Was machte Mama dabei so traurig? Zwischen ihren Worten hockte Kummer. Das konnte Erika genau hören. Und das war gar nicht gut. Sie wollte die Klinke niederdrücken und ihre Ärmchen um Mamas Hals schlingen. Normalerweise half das immer, wenn man Trost brauchte. Die Schärfe im Tonfall der Erwiderung ließ sie jedoch innehalten.
»Hast du dir schon überlegt, um welchen Preis? Deine Schwester ist eine harte, verbitterte Matrone!«
Matrone. Schon wieder so ein aufregendes neues Wort. Sie musste Mama unbedingt danach fragen, was es bedeutete.
»Ich will doch nur das Beste für sie. Glaubst du, mir fällt das leicht? Ich hab sie doch genauso lieb wie du!«
Jetzt weinte Mama. Ohne Zweifel. Ihre Mutter brauchte auf der Stelle Unterstützung. Mit aller Kraft stemmte sich das Kind gegen die Tür. Mit einem quietschenden Seufzer gab sie dem Druck nach.
»Mama, du musst nicht traurig sein! Ich hab dich für immer lieb!« Geblendet von der plötzlichen Helligkeit, stolperte Erika auf ihre Eltern zu. Von zwei warmen Armen aufgefangen und das Gesicht im Duft der gestärkten Röcke vergraben, hörte sie einen erstickten Ausruf, der von ihrem Vater kam, und ein hartes Schluchzen aus der Tiefe des Bauches, an den sie ihre Wange schmiegte. Knochige Finger durchpflügten ihren vom Schlaf verstrubbelten Pagenkopf.
»Es ist nur für ein Jahr, kleine Erimaus. Nur ein Jahr.«
Der neue Pullover kratzte am Hals, aber Erika beschwerte sich nicht. Mama hatte ihn extra für die Reise gestrickt, obwohl sie doch so viel zu tun hatte. Außerdem war sie die letzten Tage immer wieder traurig und hatte heimlich geweint, wenn sie dachte, dass Erika es nicht merkte. Da wollte sie ihre Mama nicht kränken. Auf dem Bahnhof in Köln war ein schreckliches Gewühl, und Erika hielt sich an ihrer geflochtenen Umhängetasche fest. Die andere Hand steckte in der geschlossenen Faust ihrer Mutter.
Dicht hinter den beiden hielten sich Erikas Geschwister und ihr Vater an den Händen, um einander nicht zu verlieren. Toni war ihr richtiger Bruder. Eigentlich hieß er Anton, aber so nannte ihn Mama nur, wenn sie sich über ihn ärgerte. Doch das passierte nur ganz selten. Erika war mächtig stolz auf ihn, weil er schon zur Schule ging und richtig schlau war. Die drei Mädchen waren viel älter. Monika, Netta und Luise. Paps hatte sie mitgebracht, denn vor Mama war er mit einer anderen Frau verheiratet gewesen, die gestorben war. Erika hatte ihre Stiefschwestern aber nicht weniger lieb als Toni. Kurz überfiel sie die Sorge, dass sie ihre Geschwister doch sehr vermissen würde. Aber die Aufregung wegen der bevorstehenden Reise vertrieb den Gedanken gleich wieder.
Jetzt war er also gekommen – der Tag, an dem sie zu ihrer Tante in den Böhmerwald verschickt werden sollte. Erika war die Hungersnot nicht anzusehen, die das Rheinland seit dem Ende des Krieges fest im Griff hielt. Ihre kurzen Arme und Beine waren pummelig, und im rotbackigen runden Gesicht, umrahmt von einem dunklen Pagenkopf, blitzten blaue Augen, die alles ganz genau beobachteten. Aber Mama hatte gesagt, dass es bei der Tante etwas Besseres als jeden Tag nur Erdäpfel zu essen geben würde.
Olga hievte ihr kleines Mädchen mit Schwung auf die Hüfte. »Tante Mimi wird gut für dich sorgen. Und zum nächsten Osterfest bist du wieder zu Hause.« Zwischen zwei Küssen drückte sie ihre Wange gegen das kleine Gesicht. Dann ließ sie Erika wieder zu Boden gleiten und hockte sich auf Augenhöhe vor sie.
»Sei brav, Erimaus. Und mach, was die Tante dir aufträgt.«
Eine Durchsage dröhnte durch die Halle. Erschrocken schaute Olga zur großen Bahnhofsuhr an der gläsernen Stirnseite. Eilig erhob sie sich und holte aus einem Köfferchen ein Pappschild heraus, das sie mit einer gedrehten Kordel um Erikas Hals befestigte.
Erika Binder, 5 Jahre, Ankunftsbahnhof: Eger
Darunter hatte sie in ihrer akkuraten Handschrift noch den Namen und die Adresse ihrer Schwester geschrieben.
Maria Minich. Hohenfurth Nummer 41.
Unter dem Pullover trug Erika einen Brustbeutel, in dem mehrere Fotografien auf dicker Pappe steckten. Sie konnte die harten Kanten spüren. Es waren Bilder von Mama und Papa, von Toni und ihren drei Stiefschwestern. Und ganz vorne lag das Foto von Tante Mimi.
»Hörst du? Steig nicht aus dem Zug, wenn er zwischendurch Halt macht.« Sie deutete auf den stählernen Koloss, der eben mit lautem Schnauben und Stampfen auf dem Gleis neben ihnen zum Stehen gekommen war. »Bei jeder Station wird eine Dame von der Fürsorge nach dir schauen. Sei artig und bedank dich schön, wenn sie dir etwas zu essen gibt. Und lass dich von niemandem sonst ansprechen. Und geh mit niemandem mit, den du nicht kennst!«
Mamas Hände legten sich um das kleine Gesicht, das sich schon wieder in alle Richtungen drehte. »Hast du auch richtig zugehört?«
»Ja, sicher, Mama.« Automatisch fingerte Erika nach dem Brustbeutel und prüfte zum hundertsten Mal, ob er sich noch an seinem Platz befand.
»Bist du traurig, weil ich wegfahre?«
Die Augen ihrer Mutter glänzten verdächtig, aber ihr Mund zog sich zu einem Lächeln auseinander. »Mach dir keine Gedanken, meine kleine Maus. Ich komm schon zurecht ohne dich.« Dabei zerstrubbelte sie ihren Pagenkopf. »Auch wenn mir dein Geplapper und deine ewige Fragerei jetzt schon fehlen.« Sie lachte, und Erikas Herz klopfte schneller. Sie mochte es so gern, wenn Mama lachte. Das tat sie viel zu selten.
Noch einmal ging die Mutter vor ihr in die Hocke. »Tante Mimi holt dich in Eger am Bahnhof ab. Und damit du sie auch sicher findest, wird sie einen Stoffbären hochhalten. Schau also nach dem Teddy. So wirst du die Tante nicht verfehlen.«
Dann ging alles ganz schnell. Begleitet von einem langgezogenen Pfiff stieß die Lok eine riesige Dampfwolke aus. Hektik erfasste die kleine Gruppe auf dem Bahnsteig. Noch einmal wurde Erika reihum gereicht, und jeder drückte das Mädchen an sich. Der Vater steckte ihr ein Päckchen zu. Monika, Netta und Luise schluchzten mindestens so herzzerreißend wie Toni, der zwar zwei Jahre älter als Erika war, sich aber an den Rockzipfel der Mutter klammerte, als befürchtete er, im letzten Moment gegen seine Schwester eingetauscht zu werden.
Mama begleitete Erika noch bis zu ihrem Sitzplatz und drückte sie ein letztes Mal an sich. »Ich hab dich lieb, meine Erimaus.« Ihre Stimme war kaum zu verstehen, so tief vergrub sie ihr Gesicht im Haarschopf ihrer Tochter. Eine dichte Wolke Dampf, vom Lokführer abgelassen, rief mit einem ungeduldigen Pfiff zur Eile. Mit einem Ruck riss Olga sich von Erika los und hastete zum Ausgang. Das Mädchen presste ihre Nase gegen die Fensterscheibe. Kaum war die Mutter wieder draußen neben dem Rest der Familie aufgetaucht, stampfte der Zug auch schon aus dem Bahnhof. Schnell wurden die Personen kleiner, und Erika winkte, solange sie noch etwas von den flatternden weißen Taschentüchern erkennen konnte.
Mit einem Seufzer ließ sie sich auf den Sitz plumpsen und holte aus dem Brustbeutel die Fotos hervor. Tante Mimi blickte ihr streng entgegen. Wochenlang hatte sie es mit ihrer Mama immer wieder studiert, und Mama hatte ihr viel von ihrer zwölf Jahre älteren Schwester erzählt. Erika war sich nicht sicher, ob es ihr so einfach gelingen würde, sie »Tante Mimi« zu nennen, wie Mama es ihr vorgeschlagen hatte. Irgendwie klang das zu sanft. Die Frau in dem eng anliegenden Kostüm hatte ihre grauen Augen auf den Fotografen gerichtet. Die schmalen Lippen waren aufeinandergepresst, die Locken um die eingefallenen Wangen wirkten wie einzeln um das Gesicht geordnet. Der saubere weiße Spitzenkragen umschloss hoch den dürren Hals, und direkt unter dem ersten Blusenknopf steckte eine filigrane Brosche, die mit alten böhmischen Granaten besetzt war.
»Die hat unserer Mutter gehört.« Mama hatte leise geseufzt, als Erika mit ihrem Zeigefinger darauf gedeutet hatte. »Bald wirst du sie ganz aus der Nähe anschauen können.«
Vorsichtig verstaute Erika die Bilder wieder in dem Beutel und holte stattdessen einen kleinen Zeichenblock und den Bleistiftstummel hervor, den Mama in letzter Minute noch dazugesteckt hatte. »Damit du während der langen Fahrt etwas zu tun hast«, hatte sie gemeint und ihr dabei liebevoll übers Haar gestrichen. Mama wusste eben, wie gerne ihre Jüngste zeichnete. Erika wollte für Tante Mimi einen Blumenstrauß malen. Kurz war sie unglücklich darüber, dass sie nicht auch ihre Buntstifte hatte einstecken dürfen, doch sie hatte einsehen müssen, dass der Brustbeutel dafür einfach zu klein war. Fürs Erste musste eben eine Zeichnung reichen.
Eine Stunde später blickte sie zufrieden auf das Bild in ihrem Schoß. Die Tante würde sich bestimmt darüber freuen.
Dann erinnerte Erika sich an das Päckchen, das Papa ihr zugesteckt hatte. Mit geschickten Fingern öffnete sie die Schnur und wickelte vorsichtig das Papier ab. Eine dicke Stange Lakritze fiel ihr in den Schoß. Während sie die zähe Masse mit der Zunge gegen den Gaumen drückte, wo sie langsam zerging, schloss sie genüsslich die Augen. Die herbe Süße strömte vom Mund in ihren ganzen Körper.
»Nürnberg Hauptbahnhof!«
Das gleichmäßige Rattern hatte Erika in den Schlaf gewiegt, doch neue Mitreisende weckten sie auf. Aufgeregt verfolgte sie durch das Fenster, wer die Eisentreppe hochkletterte. Erst konnte sie hinter dem wehenden Mantel einer rundlichen Frau nur einen Wust langer blonder Locken erkennen, die unter einer Schiebermütze hervorquollen. Die Tür zum Waggon schlug auf, und Erika lächelte erwartungsvoll. Wie gerne hätte sie für die Fahrt eine Freundin, mit der sie sich unterhalten könnte.
»Grüß dich! Möchtest du dich zu mir setzen?« Sie patschte mit der Hand auf den Platz neben sich und blinzelte unsicher dem türkisen Blick entgegen, der sie unverblümt musterte. Der verkniffene Mund bildete einen irritierenden Kontrast zu dem engelsgleichen Gesicht, und Erika zog ihre Hand zurück. Die Frau schob das Kind zu den Sitzen auf der anderen Seite des Gangs. Erika sah, wie sie nach draußen deutete, wo ein Mann eine Hand zum Winken hob, sie wieder sinken ließ und sich zum Gehen wandte, bevor der Zug sich in Bewegung setzte. Das blonde Kind starrte währenddessen nur reglos auf den Boden und wippte mit den Schuhspitzen, bis der Zug wieder Fahrt aufgenommen hatte. Erika beobachtete die beiden neu Zugestiegenen aus den Augenwinkeln. Warum sprachen sie nicht miteinander? War das Kind womöglich stumm? Als die Frau nach einer Weile den Waggon verließ, nahm Erika einen neuen Anlauf.
»Wohin fährst du denn?«
Ein Knurren drang zwischen kaum bewegten Lippen hervor.
»Das geht dich nichts an.«
Erika schluckte. Aber trotz der harschen Abfuhr wollte sie nicht so schnell aufgeben. Immerhin hatte sie eine Antwort erhalten.
»Ich bin auf dem Weg zu meiner Tante in Hohenfurth.«
»Na, das ist aber ein Zufall. Wir wollen auch nach Hohenfurth.« Unbemerkt war die Frau wieder in den Wagen zurückgekommen und strich Erika im Vorbeigehen über den Scheitel. »Ich bin seine Kinderfrau und bringe den jungen Mann zu seinem Onkel, dem Bürgermeister von Hohenfurth.« Sie ließ sich wieder neben ihrem Schützling nieder und tätschelte seine Hand. »Dein Onkel wird gut für dich sorgen.« Kurz drehte sie sich zu Erika und lächelte unverändert freundlich, obwohl der Junge ihr barsch seine Hand entzog. »Was für ein Glück, dass du so schnell jemanden aus deiner neuen Heimat kennenlernst. Meinst du nicht auch, Coelestin?«
Erika gluckste, schluckte das Lachen aber gleich wieder hinunter, als sie ein eisiger Blitz aus zusammengekniffenen Augen traf.
»Oh … so ein lustiger Name. Den hab ich noch nie gehört.« Ihre Finger spielten mit der Kordel ihres Pappschildes. »Dabei habe ich geglaubt, du bist ein …« Sie verhedderte sich zwischen den unausgesprochenen Worten und schaute Hilfe suchend zu der Frau. Die zupfte beiläufig eine der blonden Locken zurecht, die das verschlossene Gesicht einrahmten.
»Das passiert ihm öfter. Er kommt sehr nach seiner Mutter …«
Jetzt war sie es, die ein feindseliger Blick verstummen ließ.
Erika hatte sogar kurz den Eindruck, als fürchtete sich die Frau vor dem seltsamen Jungen.
»Deine Mama ist bestimmt wunderschön. So wie du.«
Sternenstaub glitzerte in den grünblauen Seen, die sich vor ihr öffneten. »Meine Mama ist tot.«
Erschrocken presste Erika eine Hand auf den Mund. Ein Schwall von Mitleid ließ sie vom Sitz hochfahren. Mit wenigen Schritten war sie bei ihm und hockte sich neben ihn auf die Kante der Bank. Es raschelte leise, als sie den Rest ihrer Lakritzstange auswickelte.
»Für dich. Vielleicht kann dich ja etwas Süßes trösten.«
Einen Moment hielt die Zeit den Atem an. Dann sprengte Erstaunen die abweisende Maske. Zögernd schlossen sich schmale Finger um das angebotene Naschwerk, und mit dem unerwarteten Genuss entspannten sich seine Züge.
»Willst du dich nicht bedanken?«
Erika hob abwehrend die Hände. »Nicht nötig! Es war ja kaum noch etwas übrig.« Verschwörerisch zwinkerte sie dem Jungen zu. »Ich bin so froh, dass ich so schnell wieder einen großen Bruder bekommen habe.« Unaufgefordert blieb sie neben ihm sitzen, obwohl er sich gleich wieder in Schweigen hüllte.
Erst das Kreischen der Bremsen riss den undurchdringlichen Kokon auf, in den die Gruppe eingesponnen war. Dampf zischte, bevor der Zug zum Stillstand kam. Aufgeregt spähte Erika durch das verrußte Waggonfenster nach draußen. Der Bahnsteig war von wenigen Gaslaternen schummrig erhellt. Graue Schemen mit hochgeschlagenen Mantelkrägen zerschnitten kurz die Lichtkegel, bevor sie wieder mit der Dunkelheit verschmolzen. Kaum jemand hielt an oder schaute sich nach jemandem um.
»Kleine, bist du die Erika Binder aus Düren?« Eine Frau in grauer Uniform entblößte eine Reihe schief stehender Zähne. »Komm mit, hier musst du aussteigen.«
Hastig sprang Erika auf die Füße, pflückte Mantel, Schal und Mütze vom Haken und zerrte am Griff ihres Koffers. Sie folgte der Uniformierten durch den Gang, eilte dann aber noch einmal zurück und umarmte zuerst die Kinderfrau und anschließend den Jungen.
»Bis bald, Coele!«
Sie lachte hell über den verblüfften Ausdruck in seinem Gesicht. Dann lief sie durch den Waggon zum Ausgang und sprang über die Eisentreppe nach draußen.
Ihr Blick flitzte prüfend über die wenigen Personen, die auf jemanden zu warten schienen. Etwas abseits stand ein untersetzter Mann. Nicht weit von ihm entfernt hatten zwei Frauen unter einer Laterne Aufstellung genommen. Eine von ihnen wurde von einem mächtigen Stofftier überragt.
Ohne sich nach ihrer Begleiterin umzudrehen, sprintete Erika auf sie zu. Auf halbem Weg bremste sie ab und kniff irritiert die Augen zusammen. Die Frau mit dem Teddy war bestimmt nicht die Tante! Sie rief sich die Fotografie in ihrem Beutel ins Gedächtnis und verglich sie im Geiste mit den Gesichtszügen, die sie nun gut erkennen konnte. Nein. Da stimmte etwas nicht. Die Frau mit dem Bären auf dem Arm hatte weiße Haare und lustige Falten um die Augen. Und unter dem Mantel lugte fröhlich ein dicker Bauch heraus. Aber die andere, die war groß und hager. Und der scharfe Adlerblick unter den buschigen Brauen flößte Ehrfurcht ein. Ohne zu zögern lief Erika auf sie zu und umfing ihre Beine.
Die Tante stieß einen überraschten Laut aus. »Na so etwas! Da wollten wir uns einen Scherz erlauben und du fällst nicht darauf rein.« Aus dem rauen Lachen hörte Erika so etwas wie Respekt heraus. Sie kicherte verlegen, als sich knochige Finger ungewohnt fest um ihre Hand schlossen. Mit offenem Blick schaute sie zur Tante hoch und entdeckte ein erstauntes Lächeln.
»Die Kleine ist schlau. Das imponiert mir.«
Sie verstand zwar die Bedeutung der Worte nicht so genau, die die Tante ihrer Begleitung zuraunte, aber ihr Herz klopfte vor Aufregung.
»Erika, das hier ist meine Freundin Fanny Amerling. Sie wohnt bei uns und wird sich gemeinsam mit mir um deine Erziehung kümmern.«
Die Vorstellung, die freundliche alte Dame würde auch zu ihrer neuen Familie gehören, gefiel Erika gut. Ich werde sie Großmama Fanny nennen, beschloss sie für sich. Aus den Augenwinkeln nahm sie den Jungen und die Frau wahr, die auf den rundlichen Mann zugingen, den sie zuerst gesehen hatte.
»Da schau, der Bürgermeister Sternbacher.« Der Tante war Erikas Blick nicht entgangen. »Dann ist das wohl der Sohn seines Bruders, von dem er letztens gesprochen hatte.« Ihr Kinn ruckte unwillig. »Schaut ja aus wie ein Mädchen. Na, den wird er sich wohl erst einmal herrichten müssen.«
Weil Erika fragend das Gesicht hob, wedelte sie mit der Hand, als verscheuchte sie eine lästige Fliege.
»Da habe ich es mit dir hoffentlich besser getroffen. Jetzt bin ich aber erst einmal froh, dass du endlich da bist. Dich geb ich jetzt nicht mehr her.«
Ein warmer Hauch wehte über Erikas Ohr, bevor die Tante ihr die Mütze mit einem scharfen Ruck tief in die Stirn drückte.
Die Kleine ist besser, als ich es erwartet hatte. Sie hat Potenzial. Mit der richtigen Führung wird sie es im Leben zu etwas bringen.«
Mimi saß mit Fanny im Speisesaal der Kreuz-Schwestern, in deren Kloster die drei in Eger übernachtet hatten, bevor sie nun am nächsten Morgen mit der Elektrischen nach Hohenfurth gelangen würden. Das Kind ihrer Schwester schlief noch, und Fanny hatte Mimi dazu überredet, ihm diese letzte Schonfrist zu gönnen. Ab morgen aber würde sie dem ungezähmten Wildfang die Erziehung angedeihen lassen, die ihre Schwester nicht auf die Reihe brachte. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Die französischen Besatzer legten der Bevölkerung im Rheinland die Daumenschrauben an. Der Hunger zwang die armen Leute zu absurden Unternehmungen, ihre Not ein bisschen zu lindern. So nahm Olga zu den eigenen fünf Kindern auch noch zwei Pflegekinder in ihre Obhut. Das brachte der Familie zwar etwas Kostgeld ein, insgesamt blieb ihnen aber kaum das Nötigste zum Leben.
Mimi schüttelte den Kopf. »Es hat mich erstaunlich viel Mühe gekostet, meine Schwester und ihren Mann davon zu überzeugen, dass sie alle Nutzen daraus ziehen, wenn ich ihnen eines der hungrigen Mäuler abnehme.« Zufrieden rührte sie Milch in eine der beiden Kaffeetassen, die die Ordensschwestern ihr und Fanny hingestellt hatten. »Aber jetzt ist sie endlich da. Und sie macht einen recht patenten Eindruck. Damit werde ich arbeiten können.« Sie pustete in das heiße Getränk und trank ein paar Schlucke. Dann schob sie mit einem Ruck den Stuhl über den Linoleumboden zurück und machte sich für die Weiterfahrt bereit.
Nur kurz hatte das kleine Mädchen vor dem Einschlafen nach ihrer Mutter geweint. Fanny hatte sich gegen Mimis Willen an Erikas Bett gesetzt und ihr Schlaflieder gesungen. Die Handvoll Zuckereierchen und der kleine Schokohase, den ihr die Schwestern zugesteckt hatten, ließen das Heimweh dann rascher als befürchtet vergessen.
Ich bin jetzt deine Mutter. Und du wirst schnell begreifen, wie vorteilhaft das für dich ist. Mimi warf einen strengen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken, nachdem sie die Toilettenartikel wieder in ihrem Beutel verstaut hatte. Ein letztes Mal rückte sie die Brosche am Kragen zurecht. Forsch ging sie auf die Kammer zu, in der Fanny das Mädchen gestern in den Schlaf gesungen hatte. Eine plötzliche Ungeduld beschleunigte ihre Schritte. Wie lange war es schon her, dass sie einen warmen, anschmiegsamen Körper in den Armen gehalten hatte? Die Erinnerung daran presste ihr Lider und Lippen zu schmalen Strichen zusammen.
Vier Geschwister waren sie gewesen. Damals, in Kaplitz, im tiefsten Böhmerwald. Als das ganze Gebiet noch zu Österreich gehört hatte und die Monarchie den Menschen, die fleißig waren, Brot und Arbeit bot. Mit ihren zwölf Jahren war sie die Älteste. Dann folgten Heiner und die herrliche, zauberhafte Kamilla, die mit ihren schwarzen Augen und den wilden Locken gleich nach der Geburt das Herz des Vaters im Sturm erobert hatte. Sie war sein Ebenbild und wirbelte Lachen, Lärm und Lustigkeit ins Familienleben. Dass sie deswegen sein erklärter Liebling war, traf Mimi nicht allzu hart. Es gab ja noch das Neugeborene, Olga, das Mädchen, das viel zu früh auf die Welt gekommen war. Wie sie mit ihren Füßchen strampelte und die Fingerchen zu Fäusten ballte, berührte Mimi. Als ahnte die Kleine, dass dieses Leben, in das sie so unbedingt hinauswollte, ein einziger Kampf werden würde.
»Keine Sorge, du winziges Wesen. Ich werde dich vor allem Übel beschützen. Darauf kannst du dich verlassen.«
Mimi kümmerte sich gerne um den kleinen Wurm. Die Mutter hatte doch so viele andere Sorgen. Der Vater war ein schneidiger Offizier. Und viel zu gutaussehend für einen Mann. Mimi hörte es an seinem Gang, wenn er in der Morgendämmerung durch den Flur stolperte, krampfhaft bemüht, keinen Lärm zu machen, damit nicht gleich wieder dicke Luft herrschen würde. Dann schlich sie zur Wiege, holte die kleine Schwester heraus und kroch mit ihr zu den anderen ins Bett zurück, bis das Gewitter vorübergezogen war.
In einer dieser Stunden zwischen Nacht und Morgen begann der winzige Körper in ihren Armen zu glühen. Und an ihren Rücken schmiegte sich Kamilla wie ein weiteres Heizkissen, sodass Mimi selbst der Schweiß in Strömen aus den Poren trat. Der Vater war mit einem Mal nüchtern, und die Mutter riss ihr den Säugling aus den Händen. Die vorwurfsvolle Panik, mit der sie Mimi anstarrte, ließ sie ganz steif im Bett liegen bleiben. Als hätte sie etwas Unverzeihliches angestellt und erwartete die schlimmste Strafe dafür.
Es ist das Fleckfieber.
Nachdem der Arzt die Wohnung verlassen hatte, ging der Name der teuflischen Krankheit nur wispernd von Mund zu Mund, als könnte man ihn verschwinden lassen, wenn man ihn totschwieg. Doch so einfach ließ er sich nicht aus dem Haus jagen. Tage und Nächte verschwammen ineinander, ausgefüllt mit Eiswickeln, Fieberträumen und Essiggeruch, der sich in jeder Ritze ihres Hauses festsetzte. Mimi kniete vor ihrem Bett und flehte zum lieben Gott, ihr die beiden Schwestern doch noch ein wenig zu lassen. Bei Kamilla schien er sich erbarmt zu haben. Noch ein bisschen schwach, aber in gewohnter Unbekümmertheit brach schon am nächsten Morgen ihr Plappern das bleischwere Schweigen auf. Bald erlaubte sich der eine oder andere einen ersten zaghaften Seufzer der Erleichterung.
Der zarten Olga fiel es schwerer, den gierigen Fängen des Todes zu entkommen. Mimi blieb weiter Tag und Nacht an ihrer Wiege, während die Eltern aufgeregt Kamilla umschwirrten. Eines Morgens, als sie mit steifem Hals, den Kopf an die Kante des Körbchens gelehnt, aufwachte, meinte Mimi, im Schlaf einen Auftrag erhalten zu haben. Rasch wickelte sie das immer noch hoch fiebernde Mädchen in eine Decke und packte es in den Kinderwagen. Auf Zehenspitzen schob sie ihn ins Freie und schlug den Weg zum nahen Wald ein.
»Wohin gehst du denn?«
Mimi erstarrte und seufzte gleich darauf erleichtert auf. Gott sei Dank, nicht der Vater! Es war nur Heiner, der hinter ihr auftauchte.
»Olga glüht immer noch so. Ich hab geträumt, dass ich sie in den Wald bringen soll. Dort ist es schön kühl. Das wird ihr guttun.« Schweigend schloss Heiner sich seiner Schwester an, und rasch war die kleine Prozession von den hohen Tannen verschluckt. Schwarzgrüne Wipfel streckten sich gegen den erwachenden Himmel. Noch lag ihr Schatten auf dem Elternhaus der Kinder. Erst in einer Stunde würden die Fensterscheiben des Forsthauses in Gold getaucht sein. Mimi ließ ihren Füßen freien Lauf. Der holprige Weg führte sie über mächtige Wurzeln, durch zartgefiederte Farne und in knisterndes Unterholz. Die Kinder bemerkten die versteckte Waldsiedlung erst, als sie beinahe mitten im niedergebrannten Lagerfeuer standen. Ihr unerwartetes Auftauchen ließ zwei Männer aus der Dunkelheit hervortreten. Unvermittelt starrten die Geschwister in feindselig blickende Augen. Schützend schob sich Mimi vor Heiner und den Kinderwagen. Ihre Geste machte wenig Eindruck. Einer der Männer wölbte breit die Brust vor. Der andere ließ einen Zahnstocher zwischen den Mundwinkeln tanzen. In seinem bartschattigen Gesicht zuckten die Kiefermuskeln bedrohlich. Heiner drückte sich gegen Mimis Rücken. Sie spürte seinen rasenden Puls durch ihren dünnen Mantelstoff.
Zigeuner.
Augenblicklich hatte Mimi wieder die Flüche des Vaters im Ohr. Der Graf hatte ihn brüllend zu sich zitiert, weil einer seiner prächtigsten Hirschböcke von Wilderern geschossen worden war. Ob es diese waren, die sie nun in ihrem Versteck aufgestöbert hatten? Ein düsteres Raunen schien ihre Vermutung zu bestätigen.
»Was sucht ihr hier? Kommt ihr vom Schloss? Der Herrgott hat den Wald und das Wild nicht nur für den Herrn Grafen gemacht.«
Mit steifen Beinen schob Mimi ihren Bruder zurück in Richtung der Bäume. Ihre Finger krallen sich dabei um den Griff des Kinderwagens. Niemals würde sie ihn loslassen. Nur über ihre Leiche. Die Männer kamen immer näher. Gleich waren Mimi und Heiner in der Reichweite ihrer geballten Fäuste.
»Das sind die Kinder vom Major Minich. Die rührt keiner von euch an!«
Eine Stimme, scharf wie ein Peitschenschlag, brachte die Angreifer zum Erstarren. Hinter dem Lagerplatz schälte sich eine massige Gestalt aus dem Zwielicht. Schwarzborstige Haarbüschel überwucherten das Gesicht und ließen lediglich eine mächtige Nase und zwei funkelnde Augen frei. Mit einer herrischen Handbewegung beorderte er seine Männer zurück. »Der Major ist ein edler Mann. Er hat mich beim Grafen nicht angeschwärzt, obwohl er genau wusste, wer den Bock geschossen hat.« Er machte einen Schritt auf die verängstigten Kinder zu. »Ich war ihm etwas schuldig. Aber jetzt sind wir quitt.«
Mimi wollte nicht nachfragen, was genau er damit meinte. Hastig packte sie Heiner am Arm und zog ihn gemeinsam mit dem Kinderwagen auf den Waldweg zurück. Die ganze Zeit hatte die kleine Schwester keinen Laut von sich gegeben. Nun aber wimmerte sie gequält auf. Erschrocken holte Mimi sie aus dem Steckkissen. Ihr Körper war warm, aber bei weitem nicht mehr so glühend wie in den vergangenen Tagen. Sie hatten das Haus gerade wieder erreicht, als ein gellender Schrei sie auf der Schwelle festnagelte.
»Kamilla! Mein Engel! Nein!«
Mimi zitterte am ganzen Körper. Die Seele ihrer Schwester streifte als kühler Windhauch ihr Gesicht. Olga aber giggelte auf ihrem Arm, und ein seliges Lächeln glättete ihre verknitterten Züge.
»Kamilla hat dem kleinen Wurm da ihr Leben geschenkt.« Dicke Tränen tropften auf die Flanelldecke, doch in ihrem Herzen breitete sich Dankbarkeit aus. Still schwor sie ihrer Schwester, dass ihr Opfer nicht umsonst gewesen war. Dann ging sie ins Haus und die Stufen zum Kinderzimmer hinauf. Sie legte Wangen und Arme auf den Rücken der Mutter, die von heftigem Weinen geschüttelt wurde.
»Ich habe ein Recht auf deine Tochter.«
Fannys fragender Blick ließ Mimi blinzeln. Ganz in ihre Erinnerungen versunken, hatte sie nicht gemerkt, dass sie den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte. Sie ignorierte die zusammengezogenen Brauen ihrer Freundin und drückte stattdessen die Tür auf, vor der sie stehen geblieben war.
»Komm jetzt, Erika. Zu Hause wartet viel Arbeit auf uns.« Sie streckte ihr die knochige Hand entgegen und verbot sich ein Lächeln, als sie die gepolsterten Fingerchen spürte, die sich um die ihren schlossen. Doch bei dem vertrauensvollen Blick, mit dem das Mädchen zu ihr hochschaute, dehnte sich ihr Herz schmerzhaft gegen den Schutzpanzer, der in den einsamen Jahren gewachsen war.
Coelestin! Wo bleibst du so lange? Wir sollten schon längst bei den ersten Kunden sein.«
Johann Sternbacher schlug mit der flachen Hand gegen die Motorhaube seines Transporters. Der zaghaft erwachende Morgen übergoss das Metall mit einer silbrig changierenden Schicht. Erschrocken zog Hansi, der neben den aufgestapelten Brotkisten auf der Treppe hockte, den Kopf ein. Erst dann wurde ihm bewusst, dass diesmal nicht er es war, dem der Zorn seines Vaters galt.
Über ein Jahr lebte Coelestin nun schon bei ihnen, aber immer noch wurde Johann nicht schlau aus ihm. Seine Frau Rosa hatte der Sohn seines Bruders Volker vom ersten Augenblick an um den Finger gewickelt. Mit seinen kristallklaren Augen war er ihr mitten ins Herz gefahren, und sein von Goldlocken eingerahmtes Engelsgesicht weckte zugleich ihren Mutterinstinkt, wie das Bedürfnis, ihn vor der Grobheit der Welt zu beschützen.
Grobheit! Ach was!
Johann schnaubte durch die Nase. Der Junge benötigte durchaus hin und wieder eine harte Hand. Nicht ohne Grund war sein eigener Vater nicht mit ihm fertig geworden. Die Mutter hatte ihn viel zu sehr verwöhnt und stets auf Händen getragen. Eine zarte Künstlerseele war sie, die bekannte Sängerin Bozena Koublova, die Volker in Prag gesehen – und sich natürlich sofort in sie verliebt hatte. Wider Erwarten hatte sie ihn erhört und war mit ihm schließlich aus dem mondänen Prag ins rückständige deutsche Coburg gezogen. Nach dem Krieg war der Posten als Bezirkssekretär der örtlichen Polizei für den ehemaligen Kavallerieleutnant eine Chance gewesen, die er sich nicht entgehen lassen durfte. Dass Bozena dafür auf ihre eigene Karriere verzichten musste, ließ sich nicht ändern.
»Coelestin! Wird’s bald? Oder muss ich dich erst holen kommen?« Johann ballte die Fäuste.
Coelestin. Der Himmlische.
Von wegen! Das Kind mit dem Engelsgesicht hatte es faustdick hinter den Ohren. Das Gebrüll, als er dem Jungen nach seiner Ankunft als Erstes eine vernünftige Frisur verpasst hatte, konnte man vermutlich bis in die Hölle hören. Aber damit kam er bei Johann nicht weit. Bei ihm zu Hause hatten Männer einen sauberen Bürstenschnitt. Das war bei ihm selbst so gewesen, solange er noch genug Haare zum Abschneiden auf dem Kopf hatte, das handhabte er bei seinem eigenen Sohn so, und da hätte er jetzt keine Ausnahme gemacht, nur weil ein verweichlichter Achtjähriger nach seinen Mädchenlocken plärrte.
Das Knarren der Haustür unterbrach ihn in seinen Gedanken.
»Na endlich.« Hatte es der Bursche also doch noch aus der Wohnung im ersten Stock zur Bäckerei ins Erdgeschoss geschafft. Mit einem Knurren drehte Johann sich zum Wagen, als es hinter seinem Rücken polterte. In das Krachen der Holzsteigen mischte sich schrilles Heulen, und Johann fuhr herum.
Auf dem Steinweg zwischen Haus und Gartentür kollerten frische Semmeln und Brotlaibe, und mittendrin hockte Hansi mit schmerzverzerrtem Gesicht und umklammerte sein aufgestelltes Knie.
»Herrschaftszeiten! Kannst du nicht aufpassen?« Mit wenigen Schritten war Johann bei ihm und klatschte ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Das Weinen wurde gleich noch einen Ton lauter.
»Der Coelestin … hat mir … ein Bein gestellt!«
Anklagend brachen die Worte zwischen zwei Schluchzern hervor. Der Beschuldigte hob sogleich schützend die Hände vors Gesicht, weil Johanns Stiernacken sich gefährlich in seine Richtung drehte. »Ich war nicht einmal in seiner Nähe. Frag die Herma!«
»Mich brauchst du da nicht hineinziehen.« Hansis Schwester war von der Pritsche gesprungen und begutachtete die Schürfwunden an Knie und Handflächen ihres Bruders. »Halb so wild, Kleiner. Das wird eine tolle Narbe.« Sie pickte Steinchen und Schmutz aus der Haut, tupfte das Blut ab und knotete ein sauberes Taschentuch darum. »Wirklich sehr mutig, einen Vierjährigen umzustoßen.« Ihr abschätziger Blick streifte kurz Coelestins Unschuldsmiene, bevor sie sich bückte, um das verstreute Gebäck und die Brote aufzusammeln.
»Egal jetzt. Alle rein in den Wagen! Wir haben schon genug Zeit verloren.« Mit ungeduldigem Zungenschnalzen trieb Johann die Kinder zur Eile an und wuchtete sich selbst auf den Fahrersitz, nachdem er die Heckklappe verankert hatte.
Der Lieferwagen rumpelte über das Kopfsteinpflaster der Herrenstraße zuerst zum Hauptplatz, passierte den Rohbau der neuen Bürgerschule, auf dessen Errichtung der Bäcker und Bürgermeister besonders stolz war, und bog dann in die Straße ein, die zum mächtigen Kloster hinaufführte. Gleich nach wenigen Metern wurde die breite Zufahrt zum höchsten Punkt des Ortes in der Mitte durch einen lang gestreckten Park mit einer Gruppe ausladender Kastanienbäume, dem Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und dem Nepomuk-Brunnen der Länge nach geteilt. Auf der linken Seite boten die Bauern in kleinen Läden ihre Waren an, und rechts hatten sich Fleischer und Gastwirte angesiedelt und den beiden Straßenzügen ihre Namen gegeben. Der Wagen schnaufte über die Bratlseite den Hügel bis zum Gittertor vor dem Kirchplatz hinauf. Auf der Erdäpfelseite würde er nach erfolgter Lieferung wieder hinunterfahren.
Der Westwind trug Melodiefetzen durch das geöffnete Autofenster herein. Herma und Hansi tauschten einen sehnsüchtigen Blick. »Dürfen wir nachher zum Ringelspiel?«
Herma wagte es, gegen die verschlossene Miene ihres Vaters anzufragen. Sein geknurrtes »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen« deutete sie als Zustimmung. Beschwingt schleppte sie mit Hansi die Brotkiste zum Kloster, wo die Köchin bereits auf die frischen Backwaren fürs Frühstück wartete.
Kurz nach vier marschierte die Blaskapelle des Städtchens nach der ersten Maiandacht des Monats aus der Kirche heraus. Eine ganze Horde Kinder folgte den Musikanten auf den Fersen. Sie sangen und lachten und schubsten sich gegenseitig an, dass Erika ganz wehmütig ums Herz wurde. »Wenn’s Mailüfterl säuselt und der Schnee z’rinnt im Wald« kroch durch das geschlossene Küchenfenster herein und umschmeichelte sie. Unwillkürlich summte sie die Melodie mit. Im nächsten Moment klebte ihre Nase an der Scheibe. Da waren alle ihre Freunde, die sie in Hohenfurth mittlerweile gewonnen hatte: die Schwarz Emmi, wie so oft mit ihren Schwestern Luise und Leni im Schlepptau, Ella und Sanna, die Zwillinge vom Postvorsteher, der fesche Ernstl, in den alle Mädchen schrecklich verliebt waren, und neben ihm der Heinz, der Enkel vom Arzt im Ort, Dr. Riedel. Sogar der Coele hatte Ausgang bekommen und stapfte zwischen dem Hansi und der Sternbacher Herma der Kapelle hinterher. Die Tante hatte ihr noch nicht allzu viel Gelegenheit gegeben, mit ihrer Zugbekannschaft zu spielen, aber Emmi hatte ihr erzählt, dass der Bürgermeister nicht besonders gut auf seinen Schützling zu sprechen war. Angeblich hatte er letztens sogar mit einer Steinschleuder eines der bunten Rosettenfenster der Kirche eingeschlagen. Alle Kinder, die dabei gewesen waren, hatten wochenlang Dienst beim Pfarrer versehen müssen und waren entsprechend sauer auf den Burschen gewesen, der ihnen die Strafe eingebrockt hatte. Erika hockte auf dem Fensterbrett und seufzte tief. Sie wollte nicht die Einzige sein, die den Umzug zum Ringelspiel verpasste. Rasch lugte sie durch die angelehnte Tür ins Wohnzimmer. Tante Mimi war mit Resi in den Garten gegangen, und Großmama Fanny schnarchte leise im Lehnstuhl. Erika huschte neben sie und rüttelte sie unnachgiebig am Arm, bis die alte Frau endlich ein Auge auftat.
»Großmama Fanny, darf ich bitte zum Ringelspiel? Ich bin um sechs wieder daheim. Und dann schreib ich noch den Brief an die Mama fertig, versprochen! Darf ich? Bitte!«
Fanny öffnete auch das andere Auge, schaute sich benommen um und zuckte dann mit den Schultern. »Meinetwegen, wenn Mimi nichts dagegen hat.« Dabei schmunzelte sie. Ihr war klar, dass Erika ihre Tante nicht fragen würde. »Aber geh nicht in die Nähe des Tschechenviertels! Dort lungert gefährliches Gesindel herum.«
Mit einem Nicken in Fannys Richtung huschte Erika aus der Tür, rannte los und hatte die Prozession erreicht, bevor sie noch jemand aufhalten konnte.
»Erika! Mit dir hab ich gar nicht mehr gerechnet. Wie schön, dass die Frau Oberlehrer dich mitkommen lässt!«
Emmi hakte sich bei ihrer Freundin unter und zog sie mit sich zum Rudelteich, der am anderen Ende der Stadt am Waldrand lag. Schon von Weitem konnten sie die Kettenschaukeln, Kutschen, Autos und wippenden Tiere sehen, die bunt zwischen den Baumstämmen hervorleuchteten. Beim Zaun angekommen, der das Gelände umgrenzte, lehnten sich die Kinder dagegen und warteten. Endlich tauchte der Ringelspielbetreiber auf und wurde mit großem Hallo begrüßt. Mit einem verschmitzten Grinsen verschwand er für einen Moment in der kleinen Bude neben dem Karussell, und gleich darauf schepperten die ersten Töne aus dem Lautsprecher, und die Figuren begannen sich ächzend im Kreis zu drehen. Erika klatschte begeistert in die Hände. Aus voller Kehle schmetterte sie die sentimentalen Weisen mit und konnte nicht genug davon bekommen.
Trotzdem löste sie sich sofort vom Zaun, als sie der Glockenschlag an den Heimweg erinnerte. Ihr Herz war von Musik erfüllt, und fröhlich trällerte sie »Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzt’ ich auf mein Grab«, während sie den schmalen Pfad einschlug, der sie zum Ortseingang bringen sollte. Dass er nahe an der verbotenen Siedlung der Tschechen vorbeiführte, beunruhigte sie nur für einen Moment. Sie musste diese Abkürzung nehmen, wenn sie rechtzeitig zu Hause sein wollte. Der weiche Waldboden verschluckte die Tritte, und ihr Gesang übertönte jedes Geräusch. So erwischte es sie völlig unvorbereitet, als zwei halbwüchsige Burschen sie von links und rechts in die Zange nahmen. Erschrocken stieß Erika einen Schrei aus, doch eine dreckige Hand verschloss ihr gleich darauf Mund und Nase. Mit dem betäubenden Geruch nach Schweiß und Maschinenöl stieg Panik in ihr hoch. Verzweifelt trat sie um sich und traf auf etwas Weiches. Doch mit dem Schmerzensschrei verstärkte sich der Druck um ihren Hals. Rasender Puls rauschte in ihren Ohren. Mit einem erschreckend lauten Knarzen riss irgendwo an ihrem Kleid der Stoff, und Erika wimmerte. Die Angst vor der Strafe, die sie deswegen zu Hause erwartete, war größer als vor der akuten Bedrohung, deren Ausmaß sie ohnehin nicht erfassen konnte.
Plötzlich löste sich der eiserne Griff, und sie sackte zu Boden. Gierig sog sie die Luft ein, die nun wieder ungehindert in ihre Lunge strömte. Gleichzeitig rollte sie zur Seite, um den Fußtritten und wirbelnden Fäusten auszuweichen, die über ihr ein Trommelfeuer veranstalteten.
Schwarze Haarsträhnen rotierten wie Krähenflügel um die Köpfe, die mit einer Abfolge wütender Kinnhaken und Schläge bearbeitet wurden. Ihr Retter setzte den beiden, die ihr Heil nun in der Flucht suchten, noch ein paar Schritte nach, bevor sein Oberkörper nach vorne sackte und er sich mit beiden Händen auf den Oberschenkeln abstützte. Heftiger Atem hob und senkte seinen Brustkorb, und als er sich wieder aufrichtete und zu ihr umdrehte, erkannte sie ihn.
»Coele!«
Nur langsam setzte die Erkenntnis ein, wie knapp sie einer Katastrophe entkommen war, und mit dem Schock lösten sich auch die Tränen aus ihrem erstarrten Inneren. Eine Weile hockte sie an ihn gelehnt und spürte die kräftigen Muskeln seines sehnigen Körpers, an den er sie mit beiden Armen gedrückt hielt. Die hereinbrechende Dämmerung ließ sie schließlich hochfahren.
»O Gott! Ich muss los! Die Tante wird auch so schon wütend genug sein, wenn sie sieht, was mit meinem Kleid passiert ist.« Hastig rappelte sie sich auf und untersuchte die Stelle, an der die Naht aufgeplatzt war. Mit ein bisschen Glück würde sie sie vor dem strengen Blick der Tante so lange verbergen können, bis Resi den Schaden repariert hatte. Wie sie die aufgeschürften Knie und die blauen Flecken erklären wollte, würde sie sich auf dem Weg überlegen.
Coelestin hielt sie am Arm zurück. »Ich begleite dich. Wenn deine Tante sieht, dass du nicht allein unterwegs warst, kann sie doch nicht böse sein.«
Hoffnung breitete sich in Erika aus. Vielleicht kam sie noch einmal mit dem Schrecken davon. Gemeinsam eilten sie über das holprige Pflaster die Bratlseite hinauf, ohne wie üblich beim Schaufenster des Fleischhauers kurz anzuhalten und einen sehnsüchtigen Blick auf die langen Wurstketten und glänzenden Speckschwarten zu werfen, die von der Decke baumelten und den Kindern sonst immer das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Auch von den Verlockungen des Gemischtwarenladens mit seinen gut gefüllten Weidenkörben neben dem Eingang und dem Duft von Gebratenem, der ihnen aus dem Gasthof »Zur Post« in die Nase stieg, durfte Erika sich nicht aufhalten lassen. Beim Schlag der Kirchturmuhr meldete sich zwar Besorgnis, aber der Blick auf ihren strammen Begleiter beruhigte sie. Trotzdem beschleunigte sie noch einmal das Tempo, als sie zwischen den hohen Kastanienbäumen durchschlüpften und den Nepomuk-Brunnen, die Wandertafel und das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges passierten, um zur Erdäpfelseite hinüberzulaufen.
Erika atmete erleichtert auf, als sie direkt neben dem Kloster von Hohenfurth das Haus der Tante sah. Doch dann lief sie vor dem Hoftor geradewegs in Mimi hinein, und der Gesichtsausdruck ihrer Tante erstickte jede Hoffnung auf Gnade. Auch wenn sie schweigend zuhörte, als Coelestin die Schuld an ihrer Verspätung auf sich nahm, spürte Erika, wie die Zuversicht in ihrer Seele verwelkte. Kaum hatte er sich verabschiedet, deutete die Tante auf die kaputte Stelle an ihrem Kleid.
»Wo hast du dich wieder herumgetrieben? Und wann hättest du daheim sein sollen?«
Kurz bäumte sich Erikas Gerechtigkeitssinn auf, und sie schaute der Tante gerade in die Augen. Sie konnte doch nichts dafür, dass die tschechischen Jungen sie angegriffen hatten. Doch ihre Kehle gab keine Worte der Erklärung preis. Zu gut kannte sie die unbarmherzige Strenge ihrer Tante. Ohne Widerstand ließ sie sich in die Küche führen. Die Zeiger der großen Pendeluhr bezeugten ihre Verspätung. 25 Minuten nach sechs. Zwischen dem Kamin und dem gusseisernen Herd waren Holzscheite aufgestapelt. Eines lag bereits etwas abseits in der Ecke. Direkt unter dem Kruzifix. Erikas Körper spannte sich an. Die Finger verkrampften sich zu kleinen Fäusten.
Eins. Zwei. Drei.
Du wirst es mir noch einmal danken.
Tante Mimis knochige Hand brannte auf der nackten Haut ihres Pos.
Nichts ist so schlimm, dass es nicht einmal für etwas gut ist.
Die Zähne in die Unterlippe vergraben, kniete sie auf dem harten Holz und erwartete den nächsten Schlag. Sie weinte nur in sich hinein. Nach außen blieb sie stumm.
Und zählte. Bis 25. Das konnte sie nämlich schon.
Mit hochrotem Kopf kämpfte sich der Postbote die Erdäpfelseite hinauf. »Frau Minich, ein Brief für Sie. Aus Deutschland.« Er inspizierte mit kaum verhohlener Neugierde den Poststempel und die Marke mit dem Porträt von Hindenburgs, des Reichspräsidenten der Weimarer Republik, bevor er sich zögernd das Kuvert aus den Händen nehmen ließ. Mimi brauchte nicht viel Fantasie, um zu wissen, was ihre Schwester geschrieben hatte.
»Kommt überhaupt nicht in Frage.« Eine steile Falte mittelte die dichten Brauen. Die Sohlen ihrer Holzpantoffeln klapperten über das Steinpflaster im Hof, bevor sie lautstark die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ. »Als ob sich in dem einen Jahr irgendetwas an der elenden Versorgungslage geändert hätte. Auch wenn die Franzosen endlich aus dem Rheinland abgezogen sind, gibt es deswegen nicht mehr zu essen.« Ihr gereiztes Selbstgespräch ließ Resi, die eben aus der Küche kam, auf dem Absatz kehrtmachen.
»Und überhaupt – das Thema einer ordentlichen Ausbildung ist noch längst nicht vom Tisch. Was hat das Mädel denn überhaupt für eine Chance in einem Land, das wirtschaftlich und sozial so am Boden liegt wie Deutschland?«
Die blassgrauen Blätter wütend in der Faust geknüllt, stürmte Mimi ins Wohnzimmer. Inzwischen begnügte sie sich nicht mehr mit mürrischem Murmeln, sondern hatte sich ordentlich in Rage geredet. Fanny ließ ihren Stickrahmen sinken und legte den Kopf schief. »Schlechte Nachrichten?«
Steif sank Mimi in den Ohrensessel. »Ach was. Das letzte Wort ist in dieser Sache noch nicht gesprochen. Niemand weiß so gut wie ich, wie wichtig eine umfassende Schulbildung ist. Dafür muss man auch Opfer bringen. Das mag meine naive Schwester vielleicht nicht verstehen, aber ich dafür umso besser.«
Kurz musste sie an ihre Eltern denken, die sie vor sechsundzwanzig Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Sie lebte inzwischen schon länger allein als gemeinsam mit ihnen im Familienverband. Unwirsch zerrte sie an dem Briefpapier, bis es an der Längsseite mit einem Seufzer einriss. Auch wenn sie damals manchmal vor Einsamkeit und Hunger fast verrückt geworden war, hatte sie keine Sekunde lang die Richtigkeit ihrer Entscheidung in Zweifel gezogen. Und genauso würde sie es auch jetzt wieder handhaben. Da konnte sich ihre Schwester auf den Kopf stellen.
»Du willst was?«
Der frühere Offizier der kaiserlich-königlichen Armee ließ den Löffel in den Suppenteller fallen. Gebannt starrte Mimi auf die Spritzer, die sich auf dem Tischtuch verteilt hatten.
»Ich werde studieren. Auf Lehramt.«
Winzige orangefarbene Kleckse sprenkelten den weißen Leinenstoff und dehnten sich strahlenförmig aus. Mimi ließ sie nicht aus den Augen.
Mit einem Knall krachte der Stuhl des Vaters aufs Parkett. Der ehemalige Major Minich beugte sich weit über den Tisch. Seine immer noch pechschwarzen wilden Locken pendelten zornig vor seinen Augen. Geballte Autorität schlug Mimi entgegen.
Sie neigte den Kopf. Nicht unterwürfig, sondern wie ein Stier, der den Torero ins Visier nimmt und dabei die Stelle wittert, die im Rausch seiner Mordlust ungedeckt geblieben ist. »Ich gehe nach Prag auf die pädagogische Akademie. Daran können auch Sie nichts ändern, Herr Vater. Ich habe die Anmeldeformulare schon ausgefüllt und abgeschickt.«
»Aber Mimi, deine schwache Gesundheit erlaubt dir doch so ein Abenteuer gar nicht.« Die Finger der Mutter kneteten die Stoffserviette, die sie vom Boden aufgehoben hatte. Hilfe suchend hob sie den Blick zu ihrem Mann. Eine blaue Ader pochte an seiner Schläfe und Olga legte ängstlich ihre schmale Hand auf die schwarz behaarte Faust. Sein Schweigen überzog die Tischrunde mit Eis. Als er schließlich Atem holte, erzeugte das Ausdehnen seines Brustkorbs ein leises Rasseln. Die dunkle Iris war kaum zu sehen, als er Mimi aus schmalen Augenschlitzen beschoss.
»Ich verbiete es dir! Und wenn du meinem Befehl zuwiderhandelst, brauchst du nie wieder einen Fuß in dieses Haus zu setzen. Dann bist du für uns gestorben.«
Mit einer knappen Kopfbewegung schloss er alle Anwesenden in den Bannfluch ein. Olga schluchzte auf, schlug aber gleich die Hand vor den Mund, bevor der Blick ihres Vaters sie erreicht hatte. Unter dem Tisch suchten ihre Füße Kontakt zu ihrer Schwester, und Mimi schenkte ihr ein verstohlenes Lächeln.
Der Anflug eines Seufzers war vorüber, bevor er ihre Lippen passierte. Mit regloser Miene faltete Mimi ihre Serviette zu einem Dreieck, stand auf und schob den Stuhl zurück. Sorgfältig platzierte sie ihn anschließend wieder unter dem Tisch, während sie das Kinn hob und ihrem Vater gerade ins Gesicht blickte. »Ich bin 24 Jahre alt. Meine Entscheidung steht fest. Mit oder ohne Ihre Zustimmung. Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihrer Tochter kein selbstbestimmtes Leben zutrauen können.« Kurz erlaubte sie sich einen Blick auf ihre jüngste Schwester und fixierte dann wieder den Vater. »Ich wünsche Ihnen ein schönes Leben.« Entschlossen straffte sie die Schultern und wandte ihrer Familie den Rücken zu.
»Wenn du jetzt gehst, bist du enterbt! Hast du verstanden?« Ungläubig stolperte die Stimme des Majors ihr nach, als Mimi ohne sichtbare Regung die Tür hinter sich zuzog.
Die ersten Monate war das Leben in Prag die reine Folter, und nur Stolz und Trotz hielten Mimi davon ab, vor ihrem Vater zu Kreuze zu kriechen. Oft war sie so hungrig, dass sie der Katze ihrer Zimmerwirtin, bei der sie sich eingemietet hatte, das Futter in ihrem Napf streitig machte. Nur die sporadischen Zuwendungen von Mutters Verwandten in Wien retteten sie über die Tage voller Angst und Verzweiflung. Wenn sie auf dem Kuvert in der Hand ihrer Vermieterin Tante Fizzas Schrift erkannte, füllte sich ihr Mund unverzüglich mit Wasser, so deutlich stand ihr die Mahlzeit vor Augen, von der sie endlich wieder einmal satt werden würde. Ihr Cousin Heinrich Brandeis und seine Frau Franziska waren die einzigen, die sich über den Bannfluch des Majors hinwegsetzten. Seine Erfolge als Maler hatten ihn früh vom Familienclan unabhängig gemacht.
Bis nach Wien reicht sein Arm nicht. Nur weil Heinrichs Onkel ein jähzorniger Reaktionär ist, werden wir unsere Cousine nicht verhungern lassen.
Fizzas unverblümtes Bekenntnis in einem ihrer ersten Briefe weckte in Mimi noch heute ein befriedigendes Gefühl von Überlegenheit. Ihr Wunsch nach einem eigenverantwortlichen Leben stieß auf Verständnis, und es gab offenbar noch andere in der Familie, die sich von Drohungen nicht einschüchtern ließen.
Nach und nach lebte sie sich ein. In dem Maße, in dem sich ihre tschechischen Sprachkenntnisse verbesserten, wuchs auch ihr Selbstvertrauen. Entscheidend am Aufhellen ihrer Stimmung beteiligt war dabei die Freundschaft zu einer Kommilitonin, die sie auf der Akademie kennengelernt hatte. Maria, mit der sie nicht nur den Vornamen, sondern auch den Geburtstag teilte, gab ihr die Nestwärme, die sie zum Überleben brauchte. Mit ihr konnte sie philosophische Gespräche führen und im nächsten Moment ausgelassen über einen Witz oder eine komische Situation lachen. Wenn sie gemeinsam für Prüfungen lernten oder sich in einem der herrlichen Kaffeehäuser Prags einmal im Monat den Luxus einer Tasse echten Bohnenkaffees leisteten, fühlte Mimi sich in ihrem neuen Leben angekommen. Nur Olga vermisste sie. Vor allem in der Nacht. Früher war ihre kleine Schwester immer wieder zu ihr ins Bett gekrochen, und ihr warmer, weicher Kinderkörper hatte in Mimi das schicksalhafte Erlebnis im Wald wachgerufen, als dem Säugling das Leben neu geschenkt worden war. Wenn sie daran dachte, wuchs der Kloß in ihrem Hals, bis sie husten musste. Die Arme um sich geschlungen, verbot sie sich dann jedes Mal die Sehnsucht, und irgendwann war nur noch dieses Kratzen in der Seele übrig, an das sie sich allmählich gewöhnt hatte.
Erst auf dem Umweg über eine Nachricht aus Wien erfuhr Mimi vom Tod ihrer Mutter. Dass sie nicht ein einziges Mal in dem Jahr, seit sie fortgegangen war, wenigstens versucht hatte, zu ihr Kontakt aufzunehmen, rieselte jetzt, da sie nie mehr eine Chance dazu haben würde, wie ein Splitterregen durch ihre Brust. In einem ersten Impuls wollte sie sofort eine Platzkarte für den Zug nach Kaplitz lösen, doch im nächsten Moment sah sie den abschätzigen Blick ihres Vaters vor sich. Den Triumph, dass es nur einen entsprechenden Anlass gebraucht hätte, um seine Tochter schließlich doch vor ihm in die Knie gehen zu lassen, gönnte sie ihm nicht. Die Erinnerung an das donnernde Dröhnen, mit dem er sie des Hauses verwiesen hatte, ließ sie vor der Bahnhofshalle kehrtmachen.
Mutter nützt es ja doch nichts mehr.
Kurz spürte sie Olgas dünne Arme um den Hals. Sie war jetzt neun und musste nun ganz allein dem herrischen Mann den Haushalt führen. Die Tatsache, dass ihm nach seiner ersten Liebe – dem Dienst beim Militär – nun auch die zweite genommen worden war, hatte ihn bestimmt nicht umgänglicher gemacht. Mimi wollte sich nicht vorstellen, was ihre kleine Schwester mit ihm durchmachen würde. Trotzdem brachten sie keine zehn Pferde mehr über die Schwelle ihres Elternhauses.
Nur über seine Leiche.
Nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums hatte sie eine gut bezahlte Stelle in der Bürgerschule von Hohenfurth angetreten und sich in den folgenden drei Jahren einen ehrbaren Ruf unter den gefühlskargen Böhmerwäldlern erarbeitet, als neuerlich Post aus Wien den Weg zu ihr fand.
Nun hatte sie also seine Leiche. Doch ihr Zuhause war Kaplitz schon lange nicht mehr. Der Tod hatte sie zu Vollwaisen gemacht. Olga, Heiner und sie selbst. Ihr Bruder war in die Fußstapfen des Vaters getreten und hatte beim Militär trotz seiner Jugend bereits Karriere gemacht. Es beruhigte ihr schlechtes Gewissen, als sie erfuhr, dass ihre inzwischen sechzehnjährige Schwester von einem deutschen Urlauberehepaar adoptiert und ins Rheinland mitgenommen worden war. Jetzt, da der Grund für ihr Stillschweigen unter der Erde lag, knüpften sie zumindest brieflich die geschwisterlichen Bande wieder neu. Und als Olga ihr vier Jahre nach dem Ende dieses gefräßigen Krieges, der ihnen den Bruder genommen hatte, berichtete, dass sie einen guten Mann gefunden hatte, freute sich Mimi von ganzem Herzen für sie. Auch wenn sie ihre Motive nicht nachvollziehen konnte. Einen Witwer mit drei Kindern zu heiraten, der noch dazu fast zwanzig Jahre älter war als sie, wäre Mimi nicht einmal im Traum eingefallen. Sie selbst konnte sich nicht vorstellen, überhaupt jemals zu heiraten. Ihre Selbstständigkeit würde sie sich von niemandem auf der Welt mehr nehmen lassen. Erst recht nicht von einem Mann. Schon einmal hatte sie sich dagegen entschieden und es nicht bereut. Dem Trennungsschmerz zum Trotz, der die Erinnerung an den Vorfall bis heute wachhielt. Aber zu Olga passte es. Ihre weichherzige, opferfreudige Seele brauchte eben immer jemanden, den sie bemuttern konnte.
»Auch wenn du dich nicht mehr daran erinnern kannst – früher war dir meine Fürsorge lieb, und du hast mir vertraut, weil ich dich vor den Launen des Vaters und der Welt in Schutz genommen habe.« Mit gerunzelter Stirn strich Mimi die zerknüllten Seiten gerade. Beinahe zärtlich folgte sie mit den Fingerkuppen der geschwungenen Schrift. »Du kannst mir glauben, wenn ich dir versichere, dass ich deiner Tochter die gleiche Zuwendung angedeihen lasse. Sie wird es dir einmal danken, dass du sie in meiner Obhut gelassen hast.« Sie nickte zufrieden.
Ein blauäugiger Wirbelwind stieß die Tür auf und brachte ihre säuberliche Gedankenkette in Unordnung. Mit Anlauf warf sich Erika auf Mimis Schoß. »Ich hab meine Freundinnen mitgebracht. Sie wollen, dass ich ihnen vorsinge! Darf ich sie hereinholen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang sie wieder nach draußen und kehrte kurz darauf mit einer Horde schnatternder Mädchen ins Wohnzimmer zurück. »Das sind Emmi und ihre Schwestern, Luise und Leni, und die beiden heißen Ella und Sanna. Ist das nicht aufregend, dass sie ganz gleich ausschauen? Aber sie sind ja auch Zwillinge, da ist das ganz normal.« Mit einem Satz sprang sie auf den runden Beistelltisch mit den kostbaren Intarsien, den Mimi von ihrer Studienreise ins Erzgebirge mitgebracht hatte, und stemmte die pummeligen Arme in die Hüften.
Liebling, mein Herz lässt dich grüßen!
Kristallklar schmetterte sie die gängigen Schlager aus vollem Hals und drehte sich dabei wie eine Spieldosenfigur im Kreis. Woher hatte sie all diese Texte nur?
Mimi wechselte einen erstaunten Blick mit Fanny, die gleich darauf ihre Stickerei zusammenraffte und aus dem Zimmer schlurfte. »Mir ist gerade zu viel Jugend im Raum. Das halten meine alten Nerven nicht mehr aus.« Im Vorbeigehen tätschelte sie aber Erikas erhitzte Wangen und winkte den anderen Mädchen freundlich zu.
Eine Weile beobachtete Mimi das Treiben aus sicherer Entfernung, dann klatschte sie in die Hände, und augenblicklich verstummte die ganze Meute. Der Frau Oberlehrer hatte man Respekt zu erweisen. Das wussten schon die Jüngsten im Ort.
Kaum hatte Mimi die Mädchen nach draußen gescheucht, hüpfte Erika aufgekratzt vor der Tante auf und ab.
»Liest du mir jetzt wieder vor? Aus dem Sagenbuch?« Ihr Zeigefinger durchstach die Luft und zielte auf einen dicken, in Leinen gebundenen Band, der neben dem Ohrensessel auf dem Bücherregal lag. Ein moosgrünes Lesebändchen lugte an der Stelle hervor, an der die Tante am Abend zuvor Schluss gemacht hatte. Dann aber hatten ihre flinken Äuglein etwas anderes entdeckt, das ihr Interesse noch mehr fesselte. Die zerknitterten Briefseiten waren der Tante beim Aufstehen vom Schoß gerutscht und auf den Boden gefallen. »Ist das von der Mama? Hat sie mir zurückgeschrieben? Haben ihr meine Blumen gefallen, die ich ihr zum Muttertag gemalt habe?« Mit einem freudigen Aufschrei stürzte sie auf die Blätter zu – und wurde unsanft an der Schulter zurückgerissen.
»Nein! Das geht dich überhaupt nichts an!« In Mimis Stimme klirrte beherrschte Kälte. »Geh sofort in dein Zimmer und mach dich für die Nacht fertig. Wer sich nicht zu benehmen weiß, bekommt auch nichts vorgelesen.«
Erschrocken zog sich die eben noch übersprudelnde Fröhlichkeit in Erikas hintersten Herzwinkel zurück. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte, aber nach einem Grund für den Entzug von Liebe zu fragen hatte sie sich schon lange abgewöhnt. Je eher sie den Befehlen der Tante nachkam, desto schneller zog das Unwetter wieder ab. Doch auch für einen Versöhnungsversuch musste man den richtigen Zeitpunkt abwarten. Wenn sie zu früh wieder ihre Nähe suchte, konnte es passieren, dass das noch nicht vergessene Missfallen auf ihrem Hinterteil seinen Niederschlag fand.
Auch wenn sie die Schrift ihrer Mutter erkannt hatte, musste sie der Tante mehr glauben als ihren Augen. So schwer es ihr manchmal auch fiel, das zu akzeptieren – die Tante hatte immer recht. Wenn sie das nur endlich begreifen wollte, könnte sie sich manchen Schmerz ersparen.
»Gute Nacht, Tante Mimi.«
Schon im Nachthemd und mit geputzten Zähnen tappte Erika auf bloßen Füßen zum Sessel, in dem die Tante immer noch saß. Warmes Licht von der mit gelbem Stoff bespannten Stehlampe legte um Mimis grauen Haarkranz einen Heiligenschein. In gebührendem Abstand machte sie halt und presste die Handflächen gegeneinander. Kurz räusperte sie sich, als die Tante den Blick von ihrer Lektüre hob und sie über den Brillenrand musterte. In den grauen Augen lag Strenge. Aber auch ein Anflug von Zufriedenheit.
»Ich hab dich lieb.« Ein zarter Lufthauch pflückte das Geflüsterte von Erikas Lippen und trug es in den Raum. Als es sich an Mimis Wange schmiegte, glätteten sich die Falten auf der Stirn, und die Tante neigte den Kopf in ihre Richtung. Mit einem raschen Schritt war Erika neben ihr und drückte ihr einen Kuss auf die pergamentene Haut.