Abschiede im Leben - David Althaus - E-Book

Abschiede im Leben E-Book

David Althaus

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Abschied ist unvermeidlich und gehört zum Leben wie der Tod. Trotz allen Leids lehren uns Abschied und Tod das Prinzip des Werdens und Vergehens und sind eine Einübung in die eigene Vergänglichkeit. Gibt es dabei eine gute Art, Abschied zu nehmen? Was befähigt Menschen, mit Abschied umzugehen und wie kann Abschied in den verschiedenen Stadien unseres Lebens gelingen? Das sind zentrale Fragen, denen sich das Buch widmet.

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Seitenzahl: 169

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Das Buch

Unser Leben wird von Abschieden begleitet: Abschied von der Kindheit, Abschied von Lebensplänen, einer Partnerschaft, von Gesundheit und Abschied von geliebten Menschen. So schmerzlich diese Abschiede sind, sie zu durchleben bedeutet, das Prinzip des Werdens und Vergehens von Grund auf zu verstehen.Um diese Seite der Abschiedserfahrung geht es in diesem Buch. Geschichten aus dem Leben erzählen von Verlusten, Tränen und Trauer und von der Kontinuität des Lebens, die einerseits nahezu unerträglich ist und andererseits eine willkommene Verheißung.

Die Autoren

Dr. David Althaus ist Diplom-Psychologe und niedergelassener Psychotherapeut. Er ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Deutschen Bündnisses gegen Depression e.V.

Marion Getz ist Sozialpädagogin und Gründerin einer Elterninitiative zur Unterstützung von Familien mit unheilbar kranken und schwerstbehinderten Kindern. Dort ist sie in der Begleitung, als Seminarleitung und als Fachreferentin tätig. Sie ist Mutter eines nach langer Krankheit verstorbenen Sohnes.

David Althaus · Marion Getz

Abschiede im Leben

Geschichten, die trösten

Kösel

Wir danken all den Menschen, die sich uns anvertraut haben. Ohne sie wäre dieses Buch nicht möglich gewesen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2016 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Textredaktion: Dr. Peter Schäfer, Gütersloh (www.schaefer-lektorat.de)

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © plainpicture / Jeanene Scott | BildNR. p495m716379

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-20038-1V001Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort

Der Abschied als kleiner Bruder des Todes

Von kleinen und großen Abschieden

Schmerz als elementare Erfahrung

Die Angst vor dem Tod

Hänschen klein ging allein: Abschied von der Kindheit

Verlust der heilen Welt

Die Erfahrung der Einsamkeit

Wachstum durch Übernahme von Verantwortung

Aus dem Leben: Erinnerungen an eine Kindheit

Zerbrochene Träume

Jeder ist seines Glückes Schmied?

Abschied von der Planbarkeit des Lebens

Die Akzeptanz der veränderten Realität

Aus dem Leben: Dein Name wäre Max gewesen

Wenn gemeinsame Wege sich trennen

Das hohe Lied der Liebe

Was eine gute Partnerschaft ausmacht

Bis dass der Tod euch scheide

Das Ende der Partnerschaft

Aus dem Leben: Protokoll einer Verlassenen

Abschied von der Illusion der eigenen Stärke

Die Verleugnung der eigenen Verletzbarkeit

Die Scham, nicht mehr zu sein wie früher

Die Annahme des Alterns

Aus dem Leben: Wenn Mann nicht mehr kann

Fortgerissen: Abschied von einem geliebten Menschen

Den Abschied leben

Aus dem Leben: Brief an einen sterbenden Vater

Die lange Zeit der Trauer

Immerwährende Wunde?

Aus dem Leben: Tagebucheinträge einer trauernden Mutter

Das Ende der Zeit

Aus dem Leben: Gedanken über das Altwerden

Sterben als Teil des Lebens: Abschiede brauchen Rituale

Der Brandner Kaspar

Leben in Unsicherheit

Das Festhalten an der Hoffnung

Carpe diem

Die Einsamkeit im Sterben

Das Leben ausatmen

Aus dem Leben: The Time of my life

Das Salz der Tränen: Die Zeit nach dem Abschied

Die Natur als Spiegelbild

Zeit und Raum für Tränen

Weitergehen: einen Weg finden

Der erste Reif: Abschied vom Sommer

»Rezept« für den Umgang mit Abschiedserfahrungen

Mascha Kaléko, Die paar leuchtenden Jahre © 2003 dtv Verlagsgesellschaft München

Lektüreempfehlungen

Quellennachweis

Vorwort

Von Anfang an gibt es in unserem Leben Veränderungen, zu denen zahlreiche Abschiede gehören: Je älter wir werden, umso häufiger müssen wir uns von anderen Menschen, aber auch von wichtigen Lebensabschnitten verabschieden.

Selbst unsere Geburt ist ein Abschied: Neun Monate wächst der werdende Mensch im Bauch seiner Mutter, eingebettet in Wärme, behütet und versorgt, um dann aus der schützenden Umgebung heraus ins nackte und kalte Leben entlassen zu werden. Der Beginn unserer Existenz als Wesen, das nach immer mehr Autonomie strebt, ist gleichzeitig der Abschied aus dem Leib der Mutter. Es ist ein buchstäblich lebensnotwendiger Abschied, denn der Fötus ist nun zu groß, um noch weiter in der Mutterhöhle existieren zu können. Nur die Trennung macht das Weiterleben möglich.

Im Grunde ist dieser erste Abschied in unserem Leben, den jeder von uns durchmacht, beispielhaft für all die vielen kleinen und großen Abschiede, die uns im Leben erwarten. Dabei haben Abschiede unterschiedliche Qualität. Manche fallen leichter, weil die Verheißung auf etwas Neues im Vordergrund steht, andere scheinen unerträglich wie der Tod eines geliebten Menschen. Doch allen Abschieden ist gemeinsam, dass etwas zu Ende geht, unwiederbringlich vorbei ist und dass das Leben dennoch nicht stoppt und verharrt, sondern weitergeht und sich Neuem zuwendet. Bei manchen Abschieden ist dies kaum auszuhalten, man möchte sich gegen die Zeit stemmen, sie aufhalten, um zu bewahren, was gewesen ist. Bei anderen Abschieden ist das Weiterfließen der Zeit dagegen beinahe Erlösung: Das erwartete Neue bedeutet Verheißung und Aufbruch.

Abschied ist unvermeidlich. Er gehört zum Leben, wie auch der Tod zum Leben gehört. Die Natur spiegelt dieses Prinzip wieder und zeigt es uns täglich. Abschied und Entstehung neuen Lebens sind ganz eng miteinander verbunden und bedingen sich manchmal sogar. Trotz allen Leids bedeutet er nicht das Ende der Welt, sondern er lehrt uns das Prinzip des Werdens und Vergehens. Oft möchten wir uns dagegen aufbäumen und ihn zurückweisen. Aber die Erfahrung des Abschieds gehört unabdingbar zu den notwendigen Erfahrungen unseres Menschseins, und es ist wichtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Dieses Buch wurde vom Psychotherapeuten David Althaus und der Sozialpädagogin Marion Getz geschrieben. David Althaus hat viele Menschen nach dem Verlust eines geliebten Angehörigen begleitet und dabei die verschiedenen Facetten des Abschieds kennengelernt. Marion Getz unterstützt Familien mit unheilbar kranken Kindern, die einen langsamen Abschied hin zum Tod leben müssen. Darüber hinaus weiß sie aus eigener Erfahrung, was Abschied bedeutet – sie ist Mutter eines Sohnes, der nach langjähriger schwerer Krankheit gestorben ist.

Der Abschied als kleiner Bruder des Todes

Von kleinen und großen Abschieden

Wir freuten uns auf zuhause. Unser Familienurlaub auf Sardinien war besonders schön gewesen. Wir hatten wunderbare Landschaften erlebt, zauberhafte Strände besucht und mediterranes Essen genossen. Am Tag der Abreise durchquerten wir die Insel von Süden nach Norden, um die Fähre in Olbia zu nehmen. Ein letztes Mal mittendrin in der atemberaubenden Schönheit der Insel, die wir auf hunderten Fotos festgehalten hatten. In Olbia war noch reichlich Zeit bis zur Abfahrt der Fähre. Es war früher Abend, die Stadt war in ein mildes Licht gehüllt, und alles schien voll heiterer Betriebsamkeit. Wir entschlossen uns zu einem kleinen Spaziergang durch die Altstadt, um ein letztes Mal das Flair Italiens zu genießen, bevor es nach Hause ging in den deutschen Herbst. Als wir wenig später zum Auto zurückkehrten, war die Seitenscheibe eingeschlagen. Nur allmählich realisierte ich, was geschehen war. Diebe hatten die wertvolle Fotoausrüstung, eine Videokamera und einige Elektrogeräte aus unserem Auto gestohlen.

Erst nach und nach merkte ich, was alles abhandengekommen war, und ärgerte mich. Gleichzeitig bemühte ich mich, alles sofort kleinzureden. »Nicht so schlimm«, murmelte ich, »so was kommt halt vor. Ist ja zum Glück keinem was passiert.« Auch wenn ich diesen Verlust gerne sofort von mir abgeschüttelt hätte, gelang es mir nicht. Wir warteten auf die Fähre und klebten notdürftig das Fenster zu. Immer wieder blickte ich im Wageninneren dorthin, wo vorher meine Fotoausrüstung und Videokamera gelegen hatten. Ich spürte sie noch förmlich in meinen Händen, sah all die Bilder und Filme vor mir, die ich in den Wochen davor mit ihr aufgenommen hatte. Meine Augen suchten die Stelle ab, ich wollte es einfach nicht wahrhaben, obwohl ich natürlich wusste, dass die Filme und Fotos unwiederbringlich verloren waren.

Die Nacht auf der Fähre war schrecklich. Dauernd wachte ich von unangenehmen Gedanken gequält auf. »Nur zwanzig Minuten hatten wir das Auto allein gelassen! Wieso bin ich nicht beim Wagen geblieben? Wie konnte ich nur? Das weiß man doch! Das macht man nicht mit einem vollgepackten Auto in Italien!«

Eigentlich war es wirklich keine Tragödie. Die Urlaubsfotos und Videoaufnahmen von der Familie und ein materieller Schaden von rund 4000 Euro. Es hatte keinerlei existentielle Bedeutung für mich, und trotzdem dauerte es etwa zwei Tage, bis sich in mir wieder Ruhe eingestellt hatte. Vorher haderte ich mit mir, war wütend und schaffte es nicht, meine Gedanken von dem abzuwenden, was geschehen war. Es nervte mich, denn im Angesicht der schweren Schicksalsschläge unserer Klienten war mein Verlust geradezu lächerlich.

Diese Geschichte zeigt, dass sogar unbedeutende Abschiede uns kurzfristig aus der Bahn werfen können und unsere Realität verändern. Oft versuchen wir, uns zunächst gegen die Endgültigkeit des Abschieds zu wehren, und wollen die veränderte Realität lange Zeit nicht wahrhaben. Selbst bei rein materiellen Verlusten dauert es eine gewisse Zeit, bis wir in der Lage sind, diese Veränderungen zu akzeptieren. An den kleinen Abschieden üben wir für die größeren. Die wirklich großen Abschiede in unserem Leben sind sehr viel schwerer zu meistern: das Ende einer engen Beziehung, das Zerplatzen eines Lebenstraums, die Erfahrung schwerer Krankheit oder der Verlust eines geliebten Menschen. Die Erfahrung solcher Verluste kann so niederschmetternd sein, dass der getroffene Mensch für lange Zeit niedersinkt und jede Perspektive verliert: Er weiß dann nicht, wie das Leben weitergehen könnte. Das Dasein scheint zu stagnieren, alles wirkt sinnlos und vergebens. Ein Spalt der Leere tut sich auf zwischen dem Verlorenen, dessen unerreichbares Bild uns noch immer ganz erfüllt, und einer Zukunft, die matt und leblos vor uns zu liegen scheint. Gibt es dabei eine gute Art, Abschied zu nehmen? Wenn wir als Kind Abschied nehmen mussten, konnte es passieren, dass wir hemmungslos weinten. Tränennass und von Schluchzern geschüttelt gaben wir uns ganz der Traurigkeit und dem Schmerz hin. Wir schafften es kaum zu sprechen, und unsere Worte wurden von heulenden Klagelauten zerrissen. Wenn man uns ließ, weinten wir so lange, wie wir eben brauchten. Manchmal auch bis zur Erschöpfung. Und wenn das Weinen langsam versiegte und nur noch Seufzern Platz machte, fuhren wir uns mit der Zunge über Lippen und Mundwinkel. Wir kosteten den salzigen Geschmack der Tränen, verharrten noch eine Zeit nachdenklich, und dann machten wir uns wieder auf den Weg, die Welt auf ein Neues zu erkunden. Das Salz der Tränen war der Wendepunkt, und Minuten später waren wir wieder ganz in unser Spiel versunken, als hätte es all den Kummer nie gegeben.

Kinder schaffen es besser, sich dem Abschied hinzugeben und ihn schließlich auch zuzulassen. Wir Erwachsenen tun uns oft schwerer, versuchen den Schmerz zu vermeiden oder bleiben gefangen in der grauenhaften Erfahrung des Verlustes. Was befähigt Menschen, mit Abschied umzugehen? Ist es möglich, daran zu wachsen? Wie kann Abschied in den verschiedenen Stadien unseres Lebens gelingen? Wie wirkt das Salz der Tränen?

Schmerz als elementare Erfahrung

Sogar kleine Abschiede schmerzen uns. Aber gleichzeitig sind sie notwendige Wendepunkte unseres Lebens und erlauben uns eine Weiterentwicklung und Wachstum.

Größere Abschiede werfen uns monate- oder jahrelang aus der Bahn. Es tut weh, sich von vertrauten Menschen, Tieren, Dingen, Orten oder Überzeugungen trennen zu müssen. Wir haben oft relativ klare Vorstellungen von unserer Zukunft.

Wenn dann unvorhergesehene Ereignisse eintreten, die unsere Vorstellungen völlig zunichtemachen, reagieren wir mit Verleugnung, Schock, Verzweiflung, Angst, Ärger oder Resignation. Je nach Person dominieren unterschiedliche Reaktionen, und viele Gefühle stellen sich erst nach und nach ein. Die verschiedenen Erlebensweisen können sowohl nacheinander als auch parallel ablaufen, und wenn man meint, eine Gefühlsreaktion hätte ihren Abschluss gefunden, dann kann sie – verursacht durch beliebige Auslöser – wieder aufs Neue ablaufen. Wie lange es dauert, bis ein Abschied bewältigt ist, hängt sehr von der betroffenen Person und der Art des Abschieds ab.

Kleine Abschiede brauchen vielleicht nur Tage oder Wochen, große manchmal Jahre. In manchen Fällen gelingt es nie wieder, Boden unter den Füßen zu finden.

Einige Abschiede sind mit überwältigendem Schmerz verbunden. Die Wucht kann so groß sein, dass wir jeden Halt verlieren und ins Nirgendwo zu stürzen scheinen. Der Schmerz baut sich auf aus der Spannung zwischen dem geliebten Verlorenen und seiner Abwesenheit im Jetzt. Je wichtiger uns das Verlorene im eigenen Leben schien und je mehr wir es als zentralen Teil unseres eigenen Lebens sahen, desto quälender ist nun unser Schmerz. Je größer die Liebe, desto größer der Schmerz. Andererseits erleben wir, dass gerade durch das Durchleben dieses tiefen Schmerzes auch Neues entstehen kann. Es ist ja gerade der Schmerz, der uns zwingt innezuhalten, uns ganz dem Verlust zuzuwenden, um allmählich begreifen zu können, was uns widerfahren ist: Das gestrige Leben ist Vergangenheit, wir müssen den vertrauten Raum des früheren Lebens verlassen und uns auf den Weg ins Unbekannte und Fremde begeben. Abschied bedeutet daher auch eine Pendelbewegung zwischen der schmerzlichen Rückschau auf das Vergangene und dem nach vorne gewandten Blick auf die Möglichkeiten der Zukunft. Beides hat dabei seine Berechtigung. Sowohl die sehnsuchtsvolle Würdigung des Vergangenen als auch das mutige Vorwärtsgehen ins Zukünftige.

Die Angst vor dem Tod

Wir alle haben Angst vor dem Tod, dennoch sind sich viele Menschen ihrer Furcht nicht bewusst. Als Jugendlicher ist einem der Tod manchmal sogar egal, übermütig wird er in unsinnigen Mutproben herausgefordert, als sei man im Grunde unverletzbar: »Soll er doch kommen, der Tod, dann habe ich wenigstens gerade das Leben voll ausgekostet.« Aber auch viele Erwachsene empfinden den Tod nicht als reale Gefahr: Er kann einem nichts anhaben, wird einen nicht erwischen. Nicht einen selbst. Der eigene Tod scheint unendlich fern.

Andererseits sind wir täglich vom Tod umgeben: Allabendlich laufen im Fernsehen Serien und Spielfilme, in denen dutzende Menschen durch Mord, Totschlag oder Unfall ums Leben kommen. In detailgenauen Ausschnitten und großformatigen Bildern wird der Tod in Szene gesetzt, gerne auch als Schockeffekt mit abgerissenen Gliedmaßen oder verwesenden Leichen. Diese Konfrontation scheint vielen einen anregenden Schauer des Gruselns zu vermitteln. Besonders praktisch ist, dass wir den Fernseher jederzeit ausmachen können und damit den Tod »auf Kommando« aus unserem Leben verbannen bzw. »abbestellen« können. Seit jeher wurde der Tod in Geschichten und Phantasiewelten eingebunden. Früher vor allem in Märchen, heutzutage überwiegend in Film und Fernsehen. In der Realität unseres Alltags scheint er dagegen gar nicht mehr zu existieren. Wir haben in Wirklichkeit so viel Angst vor der Begegnung mit ihm, dass wir ihn sorgsam aus unserem Leben heraushalten. Wir sind mehr und mehr in Gefahr, Auseinandersetzung und Umgang mit dem realen Tod zu vergessen.

Wenn in Filmen jemand stirbt, kann man den begleitenden Dialog der Angehörigen und Freunde beinahe voraussagen: »Er hätte gewollt, dass wir weitermachen … Er hätte gewollt, dass wir dennoch feiern … das Leben geht weiter …«

Als ginge es darum, den Verlust möglichst schnell abzuhaken. Der Schmerz hat wenig Raum in unserer modernen Zeitrechnung, und wir laufen Gefahr, die natürliche Trauer nach einem Abschied zu pathologisieren: Dann gilt die Trauer als unangebracht und unnormal. In einer auf perfekte Funktionalität ausgerichteten Gesellschaft stört der allzu lange Schmerz. Die allgemeine Forderung lautet: Das Leben muss weitergehen. Wir glauben, uns an den schnellen Schritt der Zeit anpassen zu müssen, und laufen Gefahr, all die bremsenden Gefühle der Trauer zu verleugnen, abzukürzen oder zu überspringen.

Jeder Abschied ist auch ein kleiner Tod, denn etwas geht unwiederbringlich zu Ende, geht verloren und ist nicht länger Teil der Gegenwart, sondern ein Mosaiksteinchen unserer Vergangenheit. Wie der persönliche eigene Weg nach einem Abschied weitergehen wird, das kann einem niemand vorhersagen. Die ersten Schritte führen immer ins Unbekannte.

Aber das Unbekannte macht Angst: Den Verlust des Vertrauten und der Kontrolle erleben wir mit Furcht. Abschied bedeutet, auf einer Schwelle, auf einer Übergangsposition zu stehen. Hier ist der Ort des Schmerzes, der Tränen, der Angst – und des Heilens. Manche scheinen vorwärts zu hasten mit dem Wunsch, die Veränderung so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Andere verharren auf der Schwelle und blicken zurück, bevor der Schritt ins Neue getan wird. Abschied braucht seine Zeit. Der Blick zurück kann voller Schmerz und Wehmut sein, ist gleichzeitig aber auch Ausdruck von Respekt für das Vergangene. Ein bewusstes Abschiednehmen bedeutet Innehalten für eine bestimmte Zeitspanne, um dem Schmerz und den Tränen Raum zu geben. Dabei gilt es nicht, alles Gestrige als Ballast von sich abzuwerfen, sondern ein essentieller Teil der Vergangenheit wird uns immer begleiten. Denn was wir heute sind, resultiert aus all den Erfahrungen und Begegnungen unseres bisherigen Lebens.

Die ersten Schritte über die Schwelle zwischen Altem und Neuem beginnen mit Unsicherheit. Es muss ein Ausprobieren sein, ein Vorwärtstasten ins Unbekannte, denn der Neuanfang macht uns zu Anfängern. Der letzte Abschied ist der eigene Abschied aus dem Leben. In Bezug auf unser Sterben sind wir alle immer Anfänger.

Hänschen klein ging allein: Abschied von der Kindheit

Verlust der heilen Welt

Der Abschied von der Kindheit gilt gemeinhin als selbstverständlich und wird häufig gar nicht als solcher wahrgenommen, denn er verläuft in kleinen Abschnitten, von denen die meisten einen natürlichen Schritt in der Persönlichkeitsentwicklung bedeuten. Was haben diese kleinen Abschiede, diese Stufen zur Weiterentwicklung, mit den schmerzlichen Abschieden, die einen im Leben treffen können, gemeinsam? Warum geht es im zweiten Kapitel eines Buchs, in dem es um große Abschiede mit Verlustschmerz geht, um die normale Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen? Weil jede Entwicklung in der Kindheit zugleich den Abschied von Bisherigem bedeutet.

Bereits bei der Geburt wird offenbar, dass jeder Einzelne von uns seine eigene Art hat, mit diesem Abschied zurechtzukommen. Einige Babys stürzen regelrecht ins Leben, während andere sich nicht lösen wollen, sie stecken fest und müssen zu ihrer eigenen und der Rettung ihrer Mutter fast gewaltsam ins Leben geholt werden.

Ein meist sehr früher Abschied ist die Entwöhnung von der Mutterbrust. Sie schafft Distanz und ist eine deutliche Umstellung für Körper und Seele des Kindes.

Wahrscheinlich ist es gut, dass wir uns nicht bewusst an all diese Verluste von Nähe, Geborgenheit und Süße erinnern können.

Der Abschied vom Schnuller oder vom »Schnüffeltuch« sind Veränderungen, die wir bereits ganz bewusst miterleben. Sie gehen oft mit Konflikten und viel Kummer einher.

»Groß zu sein«, bedeutet jetzt, geliebte Dinge und Gewohnheiten, die Geborgenheit und Sicherheit vermittelten, aufgeben zu müssen. Trotzdem bietet die frühe Kindheit oft viel Schutz und Halt. Selbst in unserer Zeit der Patchworkfamilien und zeitlich begrenzten Lebenspartnerschaften schaffen es die meisten Eltern, ihren Kindern einen stabilen und sicheren Rahmen zu geben. Natürlich sollte man nie der Illusion verfallen, die Kindheit als grundsätzlich heile und schöne Zeit zu stilisieren. Aber die Mehrzahl der Kinder erlebt die ersten Lebensjahre als behütet. Im Idealfall bedeutet das, ganz Kind sein zu dürfen, wenig Verantwortung zu tragen, Nähe und Wärme zu spüren, Zugewandtheit und Herzlichkeit zu erfahren, sowie sich selbst und die Welt in Spontanität und Spiel erkunden zu dürfen. Die Eltern kümmern sich um den Rahmen, sie sind Begrenzung und Schutz in einem. Die Dinge haben ihre augenblickliche konkrete Bedeutung, jeder Tag ist ein neuer Beginn. Es ist nur wichtig, was in der eigenen kleinen Welt der unmittelbaren Familie passiert.

Jeder neugierige Schritt raus aus diesem Dasein der Kernfamilie in ein eigenständiges Leben beinhaltet gleichzeitig die Konfrontation mit der unberechenbaren Größe der Welt. Wenn sich Kinder an der Tür des Kindergartens erstmals von Mutter oder Vater verabschieden müssen, fließen häufig Tränen. Sowohl bei den Kleinen wie bei den Eltern!

Sich trennen zu müssen, tut weh und wird zunächst als Zumutung erlebt. Und doch ist es ein notwendiger Schritt für die Weiterentwicklung der Kinder. Viele empfinden anfangs Heimweh, haben Gefühle des Verlassenseins, und doch gewöhnen sich die meisten rasch an die veränderten Bedingungen und sind schließlich stolz, diese Herausforderungen gemeistert zu haben.