Achtsamkeit in der Pubertät - Eline Snel - E-Book

Achtsamkeit in der Pubertät E-Book

Eline Snel

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Beschreibung

Teenager können nett, humorvoll, verletzlich, unvorhersehbar und manchmal auch richtig nervig sein. Diese Stimmungsschwankungen kosten Jugendliche und Eltern viel Energie. Dieses Buch bietet praktische Achtsamkeitsübungen, die den Jugendlichen helfen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Die Erwachsenen lernen durch die Übungen, gelassener zu reagieren. Mut, Vertrauen und Leidenschaft sind wichtig in der anstrengenden Zeit der Pubertät. Das Buch unterstützt Eltern, Jugendliche und Pädagogen dabei, diese Fähigkeiten zu stärken.

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Seitenzahl: 156

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Eline Snel

Achtsamkeit in der Pubertät

Raum geben und nah dran sein

Aus dem Niederländischen von Susanne Bonn

© 2014 by Eline Snel

Titel der Originalausgabe: Ruimte geven & dichtbij zijn, erschienen bei Uitgeverij Ten Have, Utrecht.

Deutsche Übersetzung © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: total italic, Thierry Wijnberg, Amsterdam/Berlin

Umschlagmotiv: © grafiz – shutterstock

Alle Fotografien © Henk Jansen

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

ISBN (E-Book) 978-3-451-80847-0

ISBN (Buch) 978-3-451-60004-3

Inhalt

Einleitung
Achtsamkeit für Eltern
Aufmerksamkeit wirkt!
Mut, Mitgefühl und Vertrauen
Anfangen
Teil 1: Mut
1.1 Der Mut, unbefangen wahrzunehmen
Auf Autopilot
Time-out für zu Hause: Unbefangen wahrnehmen
1.2 Der Mut zu erforschen
Vom Kopf in den Körper
Time-out für zu Hause: Im Kontakt mit dem Körper
1.3 Der Mut, Gefühle zuzulassen
Fühlen oder nicht fühlen
Was ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten
Das Eis schmelzen
Time-out für zu Hause: Übung im Wahrnehmen
1.4 Der Mut, auf Stress zu reagieren
Prüfungsstress
Vorübergehend unvermeidlich
Die Arbeit des Geistes verstehen
Die Denkfabrik erkennen und managen
Time-out für zu Hause: Übung im Erkennen
1.5 Der Mut, Grenzen zu setzen
Das Quengeln ertragen
Das Fundament wiederherstellen
Teil 2: Mitgefühl
2.1 Die sanfte Kraft in der Krise
Überleben
Ich halte mein Herz fest
Und jetzt?
2.2 Mitgefühl mit sich selbst
Kleine Zwischenfälle
Mitgefühl mit Gefühlen
Das Herz heilen
2.3 Das Herz anbieten
Time-out für zu Hause: Die Geschichte von den zwei Wölfen
2.4 Die Kunst, ein gutes Gespräch zu führen
Du hörst mich, aber du hörst nicht zu
Übung: Aufmerksam zuhören
Time-out für zu Hause 1: der Grundriss
Time-out für zu Hause 2: Strichliste
Wie ein Stück Zucker
Ihrem Kind zuhören
Time-out für zu Hause: Wie war es bei Ihnen?
Ich höre zu, auch wenn du nichts sagst
Das Digitalzeitalter
Meister der Kommunikation
Time-out für zu Hause: Kommunizieren
Teil 3: Vertrauen
3.1 Vertraust du mir etwa nicht?
3.2 Unvollkommenheit mit Wärme annehmen
3.3 Wünsche
Akzeptanz, Geduld, Vertrauen und Loslassen
Time-out für zu Hause: Veränderungen im Leben erfahren
Verlangen gegen Verlangen
Kunstwerk in Arbeit
3.4 Der Weg Ihres Kindes
Loslassen
Flügel zum Fliegen
Der Weg zurück
3.5 Vertrauen durch Freundlichkeit
Übung im Nettsein
Das Weichei und die Schlange
Time-out für zu Hause: Übung in Freundlichkeit
3.6 Dem Glück vertrauen
Nachwort
Übersicht Übungen
Downloads für Eltern
Downloads für Pubertierende
Übungen von der CD zu »Stillsitzen wie ein Frosch« für Kinder und Pubertierende
Literatur und Inspirationsquellen
Danksagung
Über die Autorin

One day I’ll fly away

Es geht in unserem Leben nicht so sehr darum, die Liebe zu suchen, sondern eher darum, die sorgfältig errichteten Mauern in unserem Inneren zu finden, die uns daran hindern, die Liebe zu erfahren.

Rumi

Für meine fünf Enkelkinder Finn, Bow, Noosa, Neel und Nesta.

Einleitung

Wer für Kinder sorgt und Kinder erzieht, weiß, dass das in jeder Hinsicht ein großes Abenteuer ist, bei dem nur eins sicher ist: Man weiß nie, was auf einen zukommt! Wenn Sie für jemand anderen sorgen, werden Sie herausgefordert, anders mit Ihren Wünschen, Erwartungen, Gefühlen und Grenzen umzugehen. Vor allem das Leben mit Pubertierenden kann stressig sein, weil sie sich nicht immer an unser Programm halten und wir immer ein Gleichgewicht finden müssen zwischen ihren Bedürfnissen und unseren eigenen.

Mein 13-jähriger Sohn kommt auffällig früh nach unten. Meistens muss ich ihn aus dem Bett zerren oder locken mit: »Ich muss gleich in Richtung Schule, willst du mitfahren?« Aber heute kommt er, unglaublich frisch gewaschen und nach grünem Apfel duftend (»Hab das falsche Gel erwischt«, murmelt er), ins Wohnzimmer.

»Was hast du vor?«, frage ich interessiert, aber mit leichter Besorgnis über so viel Frische am frühen Morgen.

»Ich geh zum Arzt. Um acht soll ich da sein.«

»Zum Arzt? Was willst du denn dort? Es ist doch nichts Schlimmes?« Meine Unruhe wächst, während er ohne zu kauen sein Brot hinunterschlingt.

»Nichts Schlimmes? Und wie schlimm!« Seine Stimme klingt hart und schrill. »Aber du kapierst natürlich mal wieder gar nix. Du bist auch viel zu blöd! Ich geh zum Arzt für einen DNA-Test. Ich kann mir nämlich so gar nicht vorstellen, dass du meine Mutter bist!«

Schockiert über so viel Missachtung von Mutterliebe und unübersehbarer gemeinsamer DNA schaue ich ihn an. »WAS hast du vor?«

»Genau das meine ich. Ich sag es nicht noch mal, du hörst doch nicht zu.«

Bevor ich etwas über die Eigenschaften von DNA sagen kann, knallt die Küchentür zu, der Schuppen wird geöffnet, und mein Sohn springt aufs Fahrrad. Ich sehe, wie sein schmaler Rücken kleiner wird. Der Morgen hatte so friedlich begonnen, aber plötzlich stecke ich in einem Strudel unerwarteter Emotionen.

Da sitze ich nun, zwischen Müsliflocken, Joghurt und Erdnussbutter. Meine erste Neigung ist, zu reagieren. Direkt und impulsiv. Zu sagen, dass ich auch zum Arzt gehe. Der Termin steht schon. Meine DNA wird ebenfalls getestet, weil ich mir so gar nicht vorstellen kann, dass er mein Sohn ist. Ich habe Lust, ungerecht zu sein. Auch die Tür zuzuknallen, ihm hinterherzulaufen und ungeniert zu schreien: »He du, ich will, dass du mir jetzt mal zuhörst! Halt gefälligst an!« Aber ich tue es nicht. Ich bleibe kurz sitzen und nehme ein Time-out. Time-out, oder die Fähigkeit, die unmittelbare Reaktion zu stoppen, ist der erste Schritt zu einem achtsamen Leben mit Pubertierenden. Sie hat mir so oft geholfen, mich nicht von Gefühlen der Ohnmacht, der Wut oder der Angst, dass es schiefgeht, überwältigen zu lassen. Sie sorgte außerdem dafür, dass ich mich von Zeit zu Zeit aus meinem erschöpften Mutterkopf zurückziehen konnte.

Anstatt mir über die schnelle, plötzliche Verhaltens­änderung meines Sohnemanns Sorgen zu machen, erlaubte ich mir, den Kontakt mit meinem Körper wiederherzustellen. Ich fühlte die vertraute Bewegung des Atems, die Einatmung und die Ausatmung, jedes Mal wieder, bis die Ruhe zurückkam und ich mit klarerem Blick sehen konnte, was nötig war.

Der nächste Schritt, Tune-in, gibt Ihnen die Möglichkeit, wahrzunehmen, was sich in Ihnen abspielt, und zu bemerken, was Sie als schwierig, ganz schön lästig oder unerträglich empfinden. Sie erhalten Einsicht in sich selbst, ohne dass Sie sofort darauf reagieren müssen. Freundliche Beobachtung ist das Schlüsselwort. Für einen kurzen Augenblick achte ich auf das innere Chaos, auf das Herzklopfen und die heiße Wut, die inzwischen wie ein Waldbrand in mir auflodert. Beinahe wäre ich wieder darauf hereingefallen, hätte ich dem fast unüberwindlichen Bedürfnis nachgegeben, kurzen Prozess zu machen mit dem, was ich nicht hören, fühlen oder erfahren will. Das passiert mir öfter, auch jetzt wieder, aber diesmal bemerke ich es. Ich bin mir meiner Wut und meiner automatischen Neigung, wütend zu reagieren, bewusst, und das ist ein großer Unterschied.

Das Gartentor quietscht. Das Fahrrad landet halb in der Hecke. »He, Mama, stell dir mal vor, wir dürfen mit unserer Band auf dem Schulfest auftreten! Voll cool! Ich ruf sofort Jasper an, wegen dem Verstärker, weißt du?«

»Toll!« Ich freue mich aufrichtig für ihn und frage beiläufig, ob er Tee möchte … und wie es beim Arzt war.

»Beim Arzt? Nein, keinen Tee, aber was meinst du mit ›beim Arzt‹?«

»Ach nichts, ich dachte, dass du heute Morgen dort gewesen wärst.«

»Ich?«, sagt er verwundert. Er fischt sein Handy, das wie eine Art Nabelschnur mit ihm verbunden ist, aus der Hosentasche und ruft Jasper an. Einigermaßen erstaunt beschließe ich, nicht weiter auf den Zwischenfall einzugehen und ihn vorerst ruhen zu lassen. Erst schauen, in welche Richtung diese Unwetter ziehen. Reagieren kann ich morgen auch noch.

Der morgendliche Sturm hat sich gelegt. Seine Wachstumsschübe in der Pubertät haben begonnen. Ich bereite mich auf weitere Schlaglöcher auf dem holprigen Weg von der Kindheit zum Erwachsenenleben vor und bin entschlossen, mit meiner ganzen Aufmerksamkeit dabei zu sein. Ich weiß, dass schwierige Augenblicke kommen werden, ebenso wie schöne, und dass ich nahe dabei sein will, aber nicht zu nahe!

Time-out gibt Raum, innezuhalten. Tune-in gibt ­Ihnen die Möglichkeit, sich damit auseinanderzu­setzen, wie es Ihnen geht, wie Ihr Körper reagiert und welche Rolle der Atem dabei spielt. Das sind zwei wichtige Grundprinzipien für ein achtsames Leben mit ­Pubertierenden.

Übung 1 zum Download für Erwachsene kann Sie dabei unterstützen. Mehr Informationen zu den Downloads finden Sie ab S. 24 und in den Anhängen.

•Einleitung•Übung 1 für Erwachsene: »Time-out, Tune-in«

Achtsamkeit für Eltern

Achtsamkeit löst keine Probleme, gibt Ihnen aber in jedem Augenblick die Möglichkeit, anwesend zu sein, mit Ihrer Aufmerksamkeit beim Augenblick zu bleiben, die Sonne auf der Haut und den Wind in den Haaren zu spüren. Sie macht Ihnen die Bewegung Ihrer Un­ruhe im Bauch bewusst, wenn Sie nicht wissen, wo Ihr Kind sich aufhält. Sie lenkt Ihre Aufmerksamkeit auf die ersten Anzeichen des Erwachsenwerdens, die wie Vorboten des Frühlings alles durchbrechen. Sie bringt Sie in Kontakt mit der Fröhlichkeit und den Schwierigkeiten, mit den Konflikten und der Gemütlichkeit, sobald und solange sie da sind. Ohne dass Sie etwas lösen oder schöner darstellen müssen, als es ist, ohne dass sie sofort sagen müssen, was Sie eigentlich davon halten.

Die meisten Eltern finden ihren Weg in der Erziehung. Sie haben von Natur aus ein gut entwickeltes Radarsystem, mit dem sie ihre Kinder sicher ins Erwachsenenleben lotsen. Die meisten Pubertierenden wachsen von allein auf, ohne allzu große Probleme. Zweifel, Widerstand, sich nicht an Regeln halten, experimentieren mit dem Verbotenen, aber auch die zahllosen, normalen, alltäglichen Augenblicke – wir wissen, dass das alles dazugehört. Aber wenn die Dinge anders laufen, als Sie dachten, worauf können Sie sich dann verlassen? Wenn der Einfluss, den Sie lange zu haben glaubten, nicht mehr spürbar ist?

Es ist keine Katastrophe, wenn Sie im Leben mit Pubertierenden gelegentlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Es ist auch nicht schlimm, wenn Ihre Kinder fürchterlich übertreiben, Ihnen Ihre Fehler gnadenlos unter die Nase reiben oder darauf herumreiten, wie hoffnungslos altmodisch Sie doch sind. Es wird erst schwierig, wenn Sie beginnen, einander aus den Augen zu verlieren, wenn Sie nicht mehr wissen oder spüren, was den anderen beschäftigt, wenn Ihre Kinder alle gemeinsamen Vereinbarungen in den Wind schießen, oder wenn Sie selbst sich von dem zu entfernen drohen, was Sie im Innersten sind.

Früher oder später werden wir alle mit Situationen konfrontiert, die wir lieber nicht erleben wollen. Jeder kann durch verschiedene Umstände jederzeit in raue See geraten. In diesen Augenblicken suchen Sie einen Stabilisator. Etwas, woran Sie sich festhalten können.

Bewusste Aufmerksamkeit ist so etwas.

Bewusste Aufmerksamkeit können Sie mit einem festen Kiel vergleichen. In Zeiten großer emotionaler Aufruhr hält ein guter Kiel Ihr Boot im Gleichgewicht, verhindert, dass es beim ersten Windstoß kentert, und sorgt dafür, dass Sie bei Pubertätsstürmen der Stärke 10 das Steuer in der Hand behalten. Auch wenn Sie die Richtung und die Route nicht immer selbst bestimmen können und Ihr Einfluss deutlich abnimmt. Indem Sie üben, Ihre persönliche Wetterlage aufmerksam zu beobachten, können Sie bei Panik, Stress, Angstgefühlen oder großen Sorgen zu Ihrem Zentrum der Ruhe zurückkehren, wo der Sturm Sie nicht erreichen kann. In der guten Gesellschaft Ihrer bewussten Aufmerksamkeit erleben Sie die schönsten Augenblicke. Es entstehen Nähe, Verletzlichkeit und Offenheit.

Lucas schwänzt in letzter Zeit oft und wird, wenn er denn zur Schule geht, häufig aus dem Klassenzimmer geschickt. Oder er muss nachsitzen. Auch heute kommt er spät nach Hause. Er schreibt via WhatsApp: »Ich hab gar nix gemacht, muss aber schon wieder nachsitzen. Alles Loser hier an der Schule.« Seine Mutter bereitet sich vor auf »Es war nicht meine Schuld« und »Das ganze Schulsystem ist total altmodisch«. Das Radio läuft im Hintergrund, als er nach Hause kommt. In diesem Augenblick ist es das Lied »Let her go« von den Passengers, das bei der Trauerfeier für seine Oma gespielt wurde. Er bleibt auf der Stelle stehen und dicke Tränen bahnen sich einen Weg durch den Flaum in seinem Gesicht.

Auch sie muss weinen. Während sie einander fest in den Armen halten, hören Sie das Lied zu Ende an. Als es vorbei ist, schauen sie einander noch an. »Ich mag dich, Mama«, sagt er mit kratziger Stimme. »Ich mag dich auch, Kerl«, sagt sie warm. Dann schnappt er seine Sporttasche aus dem Flur, wirft sie sich auf den Rücken, gibt ihr einen dicken Kuss und flüstert: »We let her go, nicht, Mama?«

Achtsamkeit ist weder eine Wunderarznei noch ein Lösungsmittel.

Manche Leute glauben, dass sie nur eine neue Art Nabelschau ist. Manche haben die Vorstellung, dass es zu Egoismus führt, wenn man sich immer mit sich selbst beschäftigt, dass man dadurch andere nicht mehr beachtet. Wieder andere befürchten, dass sich ein Löwenkäfig öffnen könnte, wenn sie lernen, bei Gefühlen von Angst oder Traurigkeit zu bleiben. Dabei ist das Gegenteil richtig. Achtsamkeit ist keine Therapie, sondern eine tägliche Übung, um uns die Wirkung unseres Geistes und den Einfluss der Gefühle und Gedanken auf unsere Reaktionen bewusst zu machen. Achtsamkeit ist etwas anderes als positives Denken oder etwas verändern zu wollen. In Wahrheit geht es überhaupt nicht um Denken oder Tun. Es geht darum, zu sein, bei dem, was jetzt ist.

Aufmerksamkeit wirkt!

Während der letzten Achtsamkeitsstunde für Pubertierende drückt mir Romi (17) einen Zettel in die Hand und sagt leise: »Zu Hause lesen, ja? Nicht jetzt, sonst ist das peinlich!« Auf dem Papier steht, wie sehr ihr das Training geholfen hat. »Sie haben es vielleicht nicht gemerkt, aber Sie haben mir etwas für den Rest meines Lebens gegeben …«

Und die Mutter eines autistischen Sohnes sagt nach dem achtwöchigen Elterntraining, dass sie die zahlreichen schönen, guten Augenblicke mit ihrem Sohn jetzt viel besser wahrnimmt. Vorher war ihr Blick vor allem auf das gerichtet, was weniger gut ging. Außerdem gönnt sie sich seitdem mehr Ruhe. Auch mehr Mitgefühl. Dadurch kann sie hin und wieder zu sich sagen: »Ist das schwer! Komm, setz dich kurz hin, trink einen heißen Tee und gönne dir selbst Aufmerksamkeit, und mal nicht der ganzen Familie.«

Achtsamkeit in der Pubertät beruht auf den vielen »Aufmerksamkeit wirkt!«-Trainings, die ich im Laufe der Zeit Kindern (zwischen 4 und 12), Pubertierenden (von 12 bis 19), Profis in der Schule oder im Gesundheitswesen und unzähligen Eltern gegeben habe. Es ist eine Fortsetzung meines Buches Stillsitzen wie ein Frosch, das Eltern in mehreren Ländern und verschiedenen Kulturen hilft, statt auf »Power« auf »Pause« zu setzen.

Alle Beispiele in diesem Buch sind aus dem ­Leben gegriffen und beschreiben zum Teil Pubertierende und Eltern, die an meinen Trainings teilnahmen. Die ­Namen wurden geändert, um ihre Anonymität zu wahren. Ein anderer Teil beruht auf meiner eigenen, gut 25-jährigen Erfahrung als Mutter.

Mut, Mitgefühl und Vertrauen

Die Pubertät meiner Kinder brachte einigen Seegang in unsere Familie. Mit den Jungen ging es oft von allein gut aus, aber vor allem meine Tochter hatte ihre eigenen Ansichten über die Rechte von Pubertierenden. Von ihr habe ich am meisten über mich selbst gelernt. Ich habe gelernt, wie viel Mut, Mitgefühl und Vertrauen nötig sind, um als Elternteil oder Kind in unserer (digitalen) Zeit zu leben. In einer Zeit, in der Leistung, ein Überfluss an Reizen und Wahlmöglichkeiten, Gruppendruck, Kontrollzwang und die reine Ergebnisorientierung die wichtigsten Bausteine unseres Lebens zu sein scheinen. Deshalb besteht Achtsamkeit in der Pubertät aus drei Teilen: Mut, Mitgefühl und Vertrauen.

Mut brauchen Sie als Eltern, um den mächtigen Mythos zu entzaubern, dass es die perfekte Elternschaft gebe. Mut wird ebenfalls gebraucht, um Ihren Kindern ein möglichst gutes Vorbild zu sein. Mut spricht aus der Entscheidung, schwierigen Situationen, unangenehmen Gefühlen wie Gekränktsein, Schuld- oder Schamgefühlen oder Trauer ins Auge zu sehen. Mut, courage, kommt von coeur, Herz. Er bietet immer wieder neu die Möglichkeit, sich für das zu öffnen, wovor Sie sich im tiefsten Herzen fürchten und wovon Sie hoffen, dass Sie es nie erleben werden.

Es erfordert Mitgefühl, mit Ihrem Herzen in Kontakt zu kommen. Es ist in der Lage, zart und warm Liebe zu geben und zu empfangen, aber es verschließt sich auch schnell, wenn es verletzt wird. Das Kennzeichen von Mitgefühl für sich selbst und andere ist das natürliche Bedürfnis, Leiden und Schmerz zu verringern und Glück zu fördern. In der Erziehung besteht die Kunst darin, Ihren offenen Geist (Achtsamkeit) und Ihr warmes Herz (Herzlichkeit) im Gleichgewicht zu halten, sodass Sie in der Lage sind, intensiv zu fühlen und weise zu handeln. Gerade dann, wenn es schwierig wird.

Vertrauen schließlich ist ebenfalls wichtig für Eltern. Es gibt Ihnen ein Grundgefühl der Sicherheit und die Erwartung, dass alles gut wird, obwohl es im Augenblick anders aussieht. Vertrauen ist nötig zu den Zeiten, in denen wir Dinge akzeptieren müssen, über die wir keine Macht haben, wenn wir nichts anderes tun können als abzuwarten. Auf Flut folgt Ebbe, jedes Mal – Sie müssen nur Geduld haben. Aus einer Raupe wird immer ein Schmetterling. Darauf können Sie sich verlassen.

Auf die Gezeiten haben Sie keinen Einfluss, ebenso wenig auf die Verwandlung von der Raupe zum Schmetterling, wohl aber auf Ihre inneren Reaktionen, Ihre Haltung und Ihr Verhalten.

»Ihre Haltung bestimmt, wie schwer die Last ist.« (E. S.)

Anfangen

Um auf die Downloadseite für die Aufmerksamkeitsübungen als Audiodateien zu gelangen, gehen Sie auf http://www.herder.de und tragen Sie dort die ISBN 978-3-451-60004-3 und Ihre E-Mail-Adresse ein.

Die Übungen können Ihnen helfen, einfach anwesend zu sein, ohne Meinung, ohne vorher festgelegtes Ziel oder ein bestimmtes Ergebnis. Je mehr Sie bewusst anwesend sind, desto weniger verpassen Sie. Aus Anwesenheit entsteht Kontakt, und der ist – ganz bestimmt – im Leben mit Pubertierenden von großer Bedeutung.

Die Übungen sind im Text an den Icons zu erkennen. Sie können Sie auf dem Sofa machen, auf einem Stuhl oder gemütlich im Bett liegend. Wichtig ist nur Ihre Absicht, sie wirklich erleben zu wollen. So bringen Sie sich bei, bei allem, was Sie fühlen, denken oder erleben, anwesend zu sein.

Es gibt auch Downloads für Pubertierende. Das sind andere Übungen als die Downloads für die Erwachsenen. Außerdem gibt es speziell für Kinder mein Buch Stillsitzen wie ein Frosch. Kinderleichte Meditationen für Groß und Klein mit einer Übungs-CD (Wilhelm Goldmann Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2013). Hier sind interaktive Übungen zu finden, sehr geeignet vor allem für Jugendliche, die lernen wollen, mit Stress, Grübeln und (Prüfungs-)Angst anders umzugehen. Die Kinder sind für den Gebrauch der Übungen und die Häufigkeit, mit der sie sie machen, selbst verantwortlich. Das kann in Zeiten von Anspannung, Trauer, Panik oder Schlaflosigkeit schwanken. Im Niederländischen ist eine App dazu erhältlich, die über den iTunes-Store und Google Play bezogen werden kann. Unter dem Link unten auf dieser Seite sind Sie immer auf dem Laufenden, was die neueste Weiterentwicklung der App angeht.

»Mich ans Üben erinnern ist in Ordnung, sich einmischen nicht«, sagen Rick und Marlies aus dem Training für Pubertierende. »Da haben wir keinen Bock drauf.«

Jedes Kapitel enthält außer Übungen auch eine Reihe praktischer Achtsamkeitstipps. Ich nenne sie »Time-out für zu Hause«. Sie können sie üben, wenn Sie im Supermarkt an der Kasse stehen, beim Essen oder danach. Sie brauchen dazu nicht auf einem Meditationskissen zu sitzen. Aufmerksam sein geht immer und überall.