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Beschreibung

»Allwöchentlich stieß die Weltbühne mit Heftigkeit und vollen Lungen einen Weckruf aus« Rudolf Olden Die "Weltbühne" genießt einen legendären Ruf. Wer nach einem Dokument intellektuellen Glanzes, sowohl geistreicher als auch scharfer Zeitkritik in der Weimarer Republik sucht, wird zuerst an sie denken. Die schillernden Herausgeber – Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky – versammelten in den "goldenen Zwanzigern" die begabtesten Federn unabhängiger linker Geistesarbeiter. Mit ihrem unerschütterlichen Nimbus als Kulturinstitution sorgte die Zeitschrift in politischen Dingen von Anfang an für Reibungen und Kontroversen. Ihre eigenwilligen Interventionen ließen niemanden kalt. Allwöchentlich stieß die "Weltbühne", das notierte Rudolf Olden einmal, "mit Heftigkeit und vollen Lungen einen Weckruf" aus: "rücksichtslos, schrill, unbarmherzig". 25 hier versammelte Artikel aus der "Weltbühne" dokumentieren als Zeugnisse einer kritischen Zeitdiagnostik zwischen 1918 und 1933 die Epoche einer Demokratie zwischen Hoffnung und Krise – und lassen uns von Neuem darüber nachdenken, wie anspruchsvoll es ist, die gemeinsamen Grundlagen für Konflikte in der offenen Gesellschaft herzustellen.

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Alexander Gallus (Hg.)

ad „Weltbühne“

ad „Weltbühne“

Ausgewählte kritische Kommentare zur Weimarer Republik

Herausgegeben und eingeleitet von Alexander Gallus

Europäische Verlagsanstalt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book (EPUB)

© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2023

Covergestaltung: Christian Wöhrl, Hoisdorf

Alle Rechte vorbehalten.

EPUB: ISBN 978-3-86393-651-8

Auch als gedrucktes Buch erhältlich:

ISBN 978-3-86393-163-6

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter www.europaeischeverlagsanstalt.de

Inhalt

Einleitung

Intellektueller Kampf mit Hass aus Liebe: Die Weltbühne und die Weimarer Republik

Hoffnung, Kritik und Ernüchterung

Die ersten zehn Jahre der Republik

1. Rat geistiger Arbeiter

2. Die verruchte Lüge

Von Georg Metzler

3. Rosa Luxemburg

Von Johannes Fischart

4. Wir Negativen

Von Kurt Tucholsky

5. Das neue Reich

Von Heinrich Ströbel

6. Aktive Außenseiter

Von Otto Flake

7. Die zufällige Republik

Von Ignaz Wrobel

8. Parteien-Abbau!

Von Alfons Steiniger

9. Der Reichspräsident

Von Kurt Hiller

10. Die Ebert-Legende

Von Ignaz Wrobel

11. Mildernde Umstände für Ebert

Von Hellmut von Gerlach

12. Konzentration links!

Von Kurt Hiller

13. S. J. und ‚Die Weltbühne‘

Von Alfred Polgar

14. Deutschland ist …

Von Carl von Ossietzky

Aufbäumen, Agonie und Katastrophe

Die letzten drei Jahre der Republik

15. Vom Inventar des Kleinbürgers

Von Axel Eggebrecht

16. Reichskanzler Hitler

Von Ernst Toller

17. Brutus schläft

Von Carl von Ossietzky

18. Rede gegen den Antisemitismus

Von Walter Mehring

19. Aktive Abwehr

Von Erich Mühsam

20. Wir Juden mitten drin

Von Hilde Walter

21. Das Ende der Pressefreiheit

Von Carl von Ossietzky

22. Ueber die Ursachen des nationalsozialistischen Erfolges

Von Kurt Hiller

23. Bürgerkriegsgericht

Von Gabriele Tergit

24. „Vaterländische Verbände“

Von Martha Maria Gehrke

25. Die Sage vom Großen Krebs

Von Walter Mehring

Statt eines Nachworts: Ein letztes Mal „Antworten“

Ausgewählte Literatur

Einleitung

Intellektueller Kampf mit Hass aus Liebe: DieWeltbühneund die Weimarer Republik

Vieles hatte sich aufgestaut während der vier Weltkriegsjahre. Die Weltbühne wollte nach Kriegsende, im Zeichen protestierender Massen und einer revolutionären Aufbruchsstimmung, nunmehr frei von Zensur, endlich sagen, was zu sagen war. Kurt Tucholsky verglich das Kaiserreich mit einem Augiasstall, den man schwerlich beschmutzen könne. Nach dem politischen Systemwechsel hin zu Republik und Demokratie aber galt es, wie er noch 1930 im Rückblick auf fünfundzwanzig Jahre Weltbühne festhielt, „gute Reinigungsarbeit“ zu verrichten.1 Bereits in einem seiner berühmten frühen Texte – „Wir Negativen“ – hatte er sie nachdrücklich gefordert. Er und seine geistigen Mitstreiter wollten auf den Seiten der Weltbühne künftig mit „Haß aus Liebe“ gegen den „schlechten Geist“ und für eine „anständige Gesinnung“ kämpfen. Das sollte angesichts der aufgetürmten Missstände einigermaßen rigoros geschehen, mit „eisernem Besen“. Bis man „Ja sagen“ könne, müsse sich ein massiver Wandel vollziehen. Solange dies nicht geschehen sei, hatte die Kritik laut und deutlich auszufallen.2

Die Weltbühne nahm sich dieser Aufgabe mit großer Energie an. Der Pazifist, Publizist und Jurist Rudolf Olden, selbst gelegentlich Autor der Zeitschrift, notierte Mitte der 1920er Jahre einmal, dass die Weltbühne allwöchentlich „mit Heftigkeit und vollen Lungen“ für einen „Weckruf“ gesorgt habe: „rücksichtslos, schrill, unbarmherzig“, so dass einem „die Ohren gellten“. Dabei wurde „nicht um des Geschreis willen geschrien“, sondern vielmehr, „weil die Welt voll ist von himmelschreienden Dingen“, die es anzuprangern galt.3

Als unbestechliche, scharf blickende und urteilende Beobachterin sollte die Weltbühne das intellektuelle Weimar prägen und weit über die Jahre zwischen 1918/19 und 1933 hinaus Sehnsüchte wie Ressentiments wachrufen. Ihre Kraft und Ausstrahlung, ihr Provokationspotenzial und intellektueller Kampfgeist sind nach wie vor bemerkenswert. Bis heute müssen sich Formen der kritischen Intervention, investigativen Reportage und des satirischironischen Kommentars an ihr messen lassen.

I.

Am 4. April 1918 erschien die Wochenschrift erstmals als Weltbühne. Der alte Titel Schaubühne, unter dem sie Siegfried Jacobsohn 1905 als Theaterblatt gegründet hatte, wirkte nicht mehr angemessen. Schließlich seien infolge des Weltkriegs Literatur und Kunst zur Politik „in das Verhältnis Luxus: zum Notwendigen“ getreten, wie der Theater- und Kulturkritiker Alfred Polgar 1927 feststellte. Ohne die Kunst aber, die Literatur und das Theater hätte es die Weltbühne nicht gegeben. Und ohne die Schriftsteller und anderen Künstler, die sich in ihr zu Wort meldeten, hätte sie kaum ihre noch immer anhaltende Wirkung entfaltet. Die Geschichte der Zeitschrift reichte deshalb bis zur ersten Ausgabe der Schaubühne am 7. September 1905 zurück.

Am Anfang der so geschichtsträchtigen Gründung stand paradoxerweise ein Skandal. Jacobsohns hoffnungsvolle Karriere erhielt nämlich eine heftige Einkerbung, als der Theaterkritiker der Welt am Montag Ende 1904 im einflussreichen Berliner Tageblatt des Plagiats beschuldigt wurde. Die Übernahme von Passagen aus fremder Feder war offensichtlich, doch stritt Jacobsohn nachdrücklich jede Absicht ab und begründete diesen Fauxpas mit seinem hypertrophen Gedächtnis, für das er in der Tat bekannt war. So sehr ihn berühmte Fürsprecher wie Maximilian Harden und Arthur Schnitzler verteidigten, war er doch zum Rückzug aus der Berliner Tagespresse gezwungen. Dies schuf – nach einer mehrmonatigen Auszeit mit Reisen in Österreich, Italien und Frankreich – erst die Voraussetzung für die Gründung der Schaubühne. Verlegerisch hinter ihr stand zunächst unter Geschäftsführung Siegbert Cohns die Schaubühne GmbH, bevor aufgrund finanzieller Unwägbarkeiten einige Verlagswechsel folgten: 1906 zum Verlag Oesterheld & Co., 1909 zum Erich Reiss Verlag, bevor die Zeitschrift ab 1912 wieder in Eigenregie im Verlag der Schaubühne (ab 1918: Verlag der Weltbühne) herauskam. Im November 1908 verschmolz das Blatt zudem mit Lion Feuchtwangers in München erscheinender Kulturzeitschrift Der Spiegel, die nur 15 Ausgaben erlebte. Redaktionssitz war bis zum Verbot der Weltbühne im März 1933 stets Berlin.

Ungeachtet der Verlagswechsel war die Schaubühne von Anfang an ganz Jacobsohns Schöpfung, der sie wie später auch die Weltbühne sein „Blättchen“ und – ob ihres ziegelroten Umschlags – sein „geronnenes Herzblut“ nannte.4 Bis zu seinem ebenso frühen wie überraschenden Tod Ende 1926 formte und redigierte er die Zeitschrift als unermüdlicher Einzelkämpfer. Lion Feuchtwanger kürte ihn später zum „feinsten Barometer“ der Theaterkritik.5 Jacobsohn war ein Stilist und ein ebenso enthusiastischer wie unbestechlicher Beobachter der damaligen Bühnenwelt. So sehr ihm Meinungsfreude, offen zum Ausdruck gebrachte Urteilskraft und heftige Debatten am Herzen lagen, so tief verachtete er engstirnige Prinzipienreiterei. Das traf auf die Theaterjahre zu, änderte sich aber keineswegs mit der Schwerpunktverlagerung ins Politische. Jacobsohn konstruierte sein „Blättchen“ als eine Forumszeitschrift voller Diskussionslust.

Ihn als „Unpolitiker“ zu kennzeichnen, wie das der große Unbequeme und nach Ossietzky und Tucholsky wohl auffälligste Leitartikler der Weltbühne Kurt Hiller 1938 einmal tat, war ein arg pointiertes Urteil.6 Immerhin engagierte Jacobsohn sich anfangs sogar in Hillers „Rat geistiger Arbeiter“ und druckte in der Weltbühne das Programm dieser Initiative ab, die 1918/19 danach strebte, endlich den alten Gegensatz zwischen Geist und Macht zu überwinden. Insbesondere mit der ab März 1913 eingeführten Kategorie „Antworten“ konfrontierte Jacobsohn seine Leserschaft schon früher recht unverhüllt mit seinen eigenen Vorstellungen – auch in politischer Hinsicht. Es war ein lange gehütetes „Betriebsgeheimnis“, dass ihm manches Mal beim Abfassen dieser Beiträge sein ab 1913 eifrigster Autor Tucholsky zur Seite stand. Jacobsohn liebte das Redigieren noch mehr als das Schreiben, obgleich er beides beherrschte. Tucholsky favorisierte eindeutig das Schreiben, weshalb ihm die wenn auch nur kurzzeitige Nachfolge (Dezember 1926 bis Mai 1927) an der Redaktionsspitze nach Jacobsohns überraschendem Tod am 3. Dezember 1926 wenig behagte. Der brillante Autor war froh, als wenig später Carl von Ossietzky das redaktionelle Ruder übernahm. Ab Oktober 1927 wurde er auch auf dem Heftumschlag als Leiter der Weltbühne geführt – „unter der Mitarbeit von Kurt Tucholsky“. Während Ossietzkys Haftstrafe im Jahr 1932 lag die politische Leitung der Zeitschrift in Hellmut von Gerlachs Händen, unterstützt von Walther Karsch als verantwortlichem Redakteur.

Die Entwicklung der Auflagenzahlen wies nach oben und blieb doch insgesamt auf einem relativ niedrigen Niveau: bis 1917 ca. 1200 Exemplare, 1917 ca. 4000, 1924 schwankend zwischen 5500 und 10 000, 1926 ca. 13 000. Die höchste Auflage dürfte auch in den Folgejahren 15–16 000 Exemplare nicht überstiegen haben. Wenngleich kein Massenblatt, waren Wirkung und Reichweite der Zeitschrift größer, als es diese Zahlen suggerieren. Die Weltbühne avancierte zu einem intellektuell-politischen Leitmedium, von dem Meinungsführer-Impulse auf andere Publikationsorgane ausgingen. Die Tagespresse und selbst Regionalzeitungen reagierten auf die Weltbühne, griffen Themen und Thesen auf, die dort zuerst gesetzt worden waren. Eine Multiplikatorwirkung entfalteten außerdem regelmäßige Leserkreise, die in nahezu allen deutschen Großstädten zusammentrafen, um jeweils die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift zu diskutieren. „Damals“, so erinnerte sich der Münchner Schriftsteller Oskar Maria Graf, „entstanden überall Leserzirkel der ausgezeichneten linksradikalen Berliner Zeitschrift Die Weltbühne, in denen sich sozusagen jeder Mensch, der auf geistige und politische Reputation aus war, informierte und bildete“.7 Der später berühmte Radiokommentator und markante bundesdeutsche Medien-Intellektuelle Axel Eggebrecht, der als junger Autor bei der Weltbühne sein politisch-publizistisches Rüstzeug erhalten hatte, erinnerte sich, wie die „aufsässigen roten Hefte“ im ganzen Land „von Hand zu Hand“ gingen und in die Breite wirkten, woran auch die Gegner der Zeitschrift einen Anteil hatten. Schließlich nahmen sie den „winzigen Unruhestifter“ überaus ernst und strengten gegen ihn wiederholt Gerichtsprozesse an, die zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit brachten.8

Die Vielzahl und Qualität der insgesamt rund 2500 Autoren der Zeitschrift (die Zahl der Stammautoren war allerdings deutlich geringer) steigerte ebenfalls deren Strahlkraft. Zu ihnen gehörten nicht wenige der führenden Schriftsteller, Publizisten und Kritiker, die die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Deutschland hervorgebracht hatten; darunter neben den Herausgebern Jacobsohn, Tucholsky und Ossietzky oder den politischen Leitartiklern Robert Breuer, Kurt Hiller und Heinrich Ströbel, um nur eine kleine Auswahl zu nennen: Julius Bab, Erich Dombrowski („Johannes Fischart“), Alfred Döblin, Axel Eggebrecht, Arthur Eloesser, Lion Feuchtwanger, Otto Flake, Egon Friedell, Manfred Georg(e), Alfons Goldschmidt, Herbert Ihering, Erich Kästner, Leo Lania, Else Lasker-Schüler, Richard Lewinsohn („Morus“), Walter Mehring, Erich Mühsam, Hans Natonek, Rudolf Olden, Heinz Pol, Alfred Polgar, Friedrich Sieburg, Peter Alfons Steiniger, Fritz Sternberg, Gabriele Tergit, Ernst Toller, Erich Weinert und Arnold Zweig.

Tucholsky aber wurde eins mit der Zeitschrift. Schon in seinem ersten Weltbühne-Jahr legte er sich mit Ignaz Wrobel, Theobald Tiger und Peter Panter drei Pseudonyme zu, um die Vielzahl von Artikeln einer Autorschaft zu kaschieren. Später kam noch „Kaspar Hauser“ hinzu, und Tucholsky war seitdem der selbst ernannte Autor mit den „5 PS“. Der Name des Journalisten und Publizisten war trotz einer Vielzahl von Zeitschriften, für die der pazifistische Autor nach dem Ersten Weltkrieg schrieb (zwischen 1918 und 1920 war er zudem Chefredakteur der Satirezeitschrift Ulk), engstens mit demjenigen der Weltbühne verbunden. Insgesamt verfasste er für Schaubühne und Weltbühne mehr als 1600 Beiträge, deren Form von politischer Prosa und Gerichtsreportagen über Feuilletons bis zu Satiren und Spottgedichten reichte. Seine Polemiken waren berühmt-berüchtigt. „Er teilte an der kleinen Schreibmaschine Florettstiche aus, Säbelhiebe, Faustschläge“ – so notierte es Erich Kästner rückblickend voller Bewunderung. Als die „Männer des Dritten Reiches, Arm in Arm mit den Herren der Reichswehr und der Schwerindustrie“ immer vernehmbarer „an Deutschlands Tür“ klopften, da „zupfte“ Tucholsky sie „an der Nase“. Er „trat sie gegen das Schienbein, einzelne schlug er k.o. – ein kleiner dicker Berliner wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten …“.9

Zwanzig Jahre vor der Katastrophe von 1933 war Tucholsky in den Kreis der Autoren und Mitarbeiter eingetreten. Er half seitdem den zeitkritischen Charakter der Zeitschrift zu schärfen. Der Politisierungsschub ließ sich am gewandelten Untertitel ablesen: Bald sah sie sich nicht mehr allein für die „gesamten Interessen des Theaters“, sondern „für Politik, Kunst und Wirtschaft“ zuständig. Jacobsohn erläuterte dazu in einer „Antwort“ an seine Leser: „Wenn hier neun Jahre das Theater und nur das Theater betrachtet worden ist, so habe ich damit noch nicht das Recht verwirkt, einmal andre Dinge betrachten zu lassen und zu betrachten. […] Denn schließlich sitzt im Theater, dessen Bühne wir seit neun Jahren zu säubern versuchen, auch ein Publikum, von dem hier noch zu wenig gesagt worden ist. Jetzt also wollen wir öfters das Fenster des Arbeitszimmers öffnen, ein wenig hinausblicken und Ihnen dann berichten, was es draußen gibt.“10

II.

War das Fenster einmal geöffnet, wurde es nicht mehr geschlossen und stand auch Weimar unter Beobachtung. Wie aber positionierte sich die Weltbühne zur Weimarer Republik? Sie begrüßte die junge Republik, stellte sich überwiegend auf die Seite linker bürgerlicher Kräfte wie unabhängiger Sozialdemokraten, begegnete Rätevorstellungen und Luxemburg-Liebknechts „Spartakus“ mit Skepsis, wie auch Erich Dombrowskis („Johannes Fischart“) kurz vor Luxemburgs Tod verfasstes, aber pikanterweise erst ein Tag nach der Tat veröffentlichtes Porträt der Politikerin signalisierte. Ungeachtet des Wohlwollens, mit dem die Weltbühne das frühe Republikexperiment betrachtete, hielt sie doch den Bruch zwischen dem autoritären Kaiserreich und der neuen demokratischen Ordnung für unzureichend. Die Autoren der Zeitschrift haderten mit den mächtigen Relikten des Ancien Régimes, die sie zuvorderst in Militär, Verwaltung und Justiz erkannten. Sie vermissten einen umfassenden Elitenwechsel ebenso wie einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Strukturwandel und politisch-kulturelle Veränderungen. Heinrich Ströbel, der sich zeitweise in der USPD engagierte und für die Weltbühne regelmäßig das Zeitgeschehen kommentierte, trug nach Verabschiedung von Verfassung und Versailler Vertrag seine Vorstellungen eines „neuen Reiches“ vor, das sich erst noch auf den Weg hin zum Sozialismus zu begeben hatte. Er befand sich – wie viele seiner geistesverwandten Mitstreiter in der Zeitschrift – auf einer schwierigen Standortsuche zwischen „revolutionärer Erfahrung“ und „republikanischer Ernüchterung“.11 Die Novemberrevolution jedenfalls wurde in der Weltbühne ganz überwiegend als eine ungenügende Umwälzung empfunden. Häufig war daher auf den Seiten der Weltbühne die Rede vom Wunsch nach einer nachzuholenden oder zumindest zu vollendenden Revolution vernehmbar. Ein enttäuschter Carl von Ossietzky zog 1928 – zehn Jahre nach Republikgründung – eine skeptische Bilanz und sprach von einer „verspielten Revolution“, die schwerer als ein verlorener Krieg wiege, nämlich der „Niederlage eines Jahrhunderts“ gleichkomme.12

Zu den schwer tilgbaren Traditionsüberhängen des Kaiserreichs zählte für die Zeitdiagnostiker der Weltbühne die Untertanenmentalität, die sich einem demokratischen Gesinnungswandel entgegenstemmte und sich noch 1930 aus Axel Eggebrechts Inventur des Kleinbürgertums ablesen ließ („Man ist auf gemütliche Weise politisch …“). So sehr der publizistische Zorn der Weltbühne sich gegen rechte, restaurative und reaktionäre Kräfte richtete und die Zeitschrift besonders frühzeitig die „Dolchstoßthese“ als eine „verruchte Lüge“13 entlarvte, so sehr traf ihr Furor doch auch die Vertreter des gebremsten Wandels rund um Friedrich Ebert und die Mehrheitssozialdemokratie. Die zum Teil heftigen Misstöne auch gegenüber republikanischen Politikern – anfangs insbesondere gegenüber dem „Arbeiterverräter“ und „Kleinbürger“ Ebert – steigerten sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu einer Grundsatzkritik an der Parteien- und Mehrheitsdemokratie in einer, so Tucholsky 1922 kurz nach dem Rathenau-Mord, bloß „zufälligen Republik“. Sie sollte dringend vollständig renoviert werden – und dies durch nicht allzu „zimperliche Demokraten“. Vor allen Dingen die Reichspräsidentenwahl von 1925, als Paul von Hindenburg zum Staatsoberhaupt avancierte, verstärkte die Unzufriedenheit mit der realen Republik in der Weltbühne weiter. Ihre Leitartikler widersprachen der verbreiteten Rede von einer „Republik ohne Republikaner“, empfanden sich – einem Wort Carl von Ossietzkys folgend – vielmehr als „Republikaner ohne Republik“.14 Ganz ähnlich bemerkte Kurt Hiller, als er 1927 eine Bündelung der verschiedenen linken Kräfte forderte: „Wir wollen nicht diese Republik verteidigen; wir wollen uns sammeln, jene zu schaffen.“ Ihm schwebte nunmehr eine „rote Republik“ vor.

Hartnäckig wies die Zeitschrift auf Übel und Schwachstellen der Weimarer Realverfassung hin, deren Kompromisshaftigkeit sie oft mit gesinnungsethischer Schärfe anging. Gustav Radbruch empfand diesen unnachgiebigen Modus mitunter als „Weltbühnenradikalismus“.15 Im Jahr 1931 übte Walter Benjamin ebenfalls Kritik an den „linksradikalen Publizisten“ der Weltbühne. Er beklagte, dass einer solchen Haltung „überhaupt keine politische Aktion“ mehr entspreche und sich derartiges Engagement nicht „links […] von dieser oder jener Richtung“ befinden würde, „sondern ganz einfach links vom Möglichen überhaupt“. Damit sei, wie Benjamin schrieb, eine Denkungsart verbunden, „in negativistischer Ruhe sich selbst zu genießen“.16

Es wäre aber falsch, die Weltbühne auf einen intransigenten linken Kurs zu reduzieren und sie unumwunden als dogmatische Richtungszeitschrift zu charakterisieren.17 Wie sehr das „Blättchen“ Kontroversen und Zwischentöne zuließ, zeigt beispielsweise eine Rekapitulation dessen, was man die „Ebert-Debatte“ nennen könnte. Tucholsky kannte in der Tat kein Pardon, wenn er auf den ersten Reichspräsidenten zu sprechen kam. Jacobsohn missfiel schon früher, wie sehr sich sein Hauptautor auf Ebert eingeschossen hatte. „Laß endlich den Ebert in Ruhe!“, mahnte er ihn im November 1924. „Erstens wirst Du Dich von seinem Nachfolger bitter nach ihm zurücksehnen. Zweitens ist Körperumfang kein Argument.“18 Selbst im Falle Kurt Tucholskys wollte die Weltbühne Kritik nicht unwidersprochen als gültige Wahrheit stehen lassen, sondern achtete darauf, ein Forum für widerstreitende Stimmen zu eröffnen. Auf Tucholskys Schuldspruch gegenüber Ebert19 – die Anklage lautete: Arbeiter- und Revolutionsverrat – folgte zunächst eine Widerrede von Robert Breuer20, auf die wiederum Tucholsky reagierte und von einer irreführenden „Ebert-Legende“ sprach, durch die das Erbe des Politikers wie jenes der „Leisetreter des November“ überhaupt verklärt werde. Denke er an Ebert, so denke er an eine „bodenlose Charakterlosigkeit“ und einen „Mangel an Mut“. Im Grunde sei Ebert deswegen des Gedenkens „nicht wert“.

Diese Ächtung erfuhr allerdings erneut Widerspruch. Hellmut von Gerlach – in den letzten beiden Monaten des Jahres 1918 Unterstaatssekretär im preußischen Innenministerium, sodann Mitbegründer der DDP (die er 1922 aber verließ), ab 1926 Vorsitzender der Deutschen Liga für Menschenrechte und später angesichts Ossietzkys Verhaftung Leiter der Weltbühne – hielt eine Antwort für umso stärker geboten, als Tucholsky wie ein „Staatsanwalt gegen Ebert“ aufgetreten sei. Gerlach sah sich in der Rolle des Strafverteidigers, der ein „gerechteres Urteil“ oder wenigstens „mildernde Umstände“ für Ebert einklagte. Der Autor und Advokat gleichermaßen rückte insbesondere den zeitlichen Kontext als Beurteilungsgrundlage zurecht und entwarf das Panorama einer Periode gravierender Bewältigungslasten und unklarer Verantwortlichkeiten. „In einer Zeit“, hieß es pointiert, „wo man auf der Rechten feige, in der Mitte ratlos und passiv und auf der Linken vielfach verstiegen war, behielt er [Ebert] Nerven, Energie und gesunden Menschenverstand.“ So sehr man über Versäumnisse reden könne, habe man doch zunächst über dieses „überragende Verdienst“ Eberts zu sprechen. Selbst in der Causa Ebert, die gewöhnlich ganz auf Tucholskys schärfste Verbalinjurien reduziert wird, ließ die Weltbühne mehr Meinungsstreit zu als meist behauptet.

So etwas wie linksdemokratische Kritik an der bestehenden Ordnung in konstruktiver Absicht lässt sich auf verschiedene Weise in der Weltbühne finden – etwa in den Ideen des jungen Juristen Peter Alfons Steiniger zum „Parteien-Abbau“ vom Jahresbeginn 1924. Seine Überlegungen zielten auf ein funktionstüchtigeres Parteiensystem. Ihm diente England als Muster. In abgewandelter Form wollte Steiniger das dortige Zweiparteiensystem auf Deutschland übertragen sehen. Ihm schwebte ein auf drei Blöcken – einem prorepublikanischen, einem kommunistisch-sowjetischen und einem konservativ-monarchistischen Block – beruhendes System vor, das er gelegentlich noch weiter reduzierte: auf zwei Pole, einen republikanischen und einen radikalen.

Ein letztes Beispiel mag belegen, dass Autoren der Weltbühne nicht immer auf unbedingten Zielvorstellungen beharrten. Das konnte selbst für den ansonsten so unbeirrbaren, ‚zielklaren‘ Hiller gelten. In seinen Ausführungen angesichts der anstehenden Reichspräsidentenwahlen 1925 war er bereit, das Spannungsgefüge aus Maximalforderungen und Handlungsspielräumen unter strategischen Gesichtspunkten auszutarieren. So brachte er als Kompromisskandidaten Joseph Wirth vom linken Flügel der Zentrumspartei ins Spiel, „der nicht nur den ungeteilten Beifall der Weimarer Koalition, sondern auch gewisse Sympathien bei den Kommunisten hätte“. Dies galt ihm als bester Weg, die Wahl eines „schwarzweißroten“ Präsidenten abzuwenden.

Es kam mit der Wahl Hindenburgs bekanntlich anders. Bis zum Anbrechen der Zeit der Präsidialkabinette im Jahr 1930 schwand aber in der Weltbühne die Hoffnung nicht gänzlich, die bestehende Demokratie retten und verbessern zu können; erst danach setzte die Weltbühne auf die Schaffung einer neuen politischen Ordnung. In der retrospektiven Gesamtsicht lässt sich ab der Wahlzäsur von 1925 ein Prozess linker Radikalisierung konstatieren, der im Jahr 1930 den point of no return erreichte. Damit verbunden waren vermehrt Forderungen nach der Formierung einer roten Einheitsfront – als „aktive Abwehr“, so Erich Mühsam Ende 1931 – aus Sozialdemokraten und Kommunisten, die in früheren Jahren auf vergleichsweise wenig Gegenliebe in der Weltbühne gestoßen waren. Von politischen Bewegungen oder Parteien ließ sich die Zeitschrift aber bis zum Schluss nicht vereinnahmen. Sie repräsentierte im Ganzen eine ‚heimatlose‘ und unabhängige Linke, so etwas wie Weimars außerparlamentarische Opposition der „aktiven Außenseiter“ von links, auf die Otto Flake schon 1922 setzte und die Ossietzky 1927 nochmals ausdrücklich mit Lob versah.21

Wenn sie sich auch wiederholt dem – gegenüber Kritikern stets unangebracht wirkenden – Vorwurf des Negativismus ausgesetzt sah, so sind doch die Verdienste der Weltbühne unübersehbar. An erster Stelle ist ihr Beitrag zur Aufdeckung und bis dahin ausgebliebenen öffentlichen Skandalisierung verschiedener „Fememorde“ rechter Geheimorganisationen („Schwarze Reichswehr“) zu nennen – nicht zuletzt 1925/26 durch eine zunächst anonym veröffentlichte Artikelserie des ehemaligen Freikorpsmanns Carl Mertens über „Vaterländische Verbände“. Sie markierte einen ebenso risikoreichen wie grandiosen Moment in der Geschichte der Weltbühne, woran Martha Maria Gehrke, bereits ab 1919 Mitarbeiterin der Zeitschrift, im Oktober 1932 nochmals erinnerte. Gegenüber Tucholsky soll Jacobsohn einmal gesagt haben: „Und wenn ich im Leben nichts getan hätte als die Aufdeckung der Fememorde, so wäre es mir genug …“22

Die pazifistisch gesinnte Zeitschrift stritt nicht nur gegen neu-alte Gewaltphantasien, rechte Verschwörerzirkel sowie eine autoritätshörige und militarisierte Gesellschaft, sondern auch gegen Antisemitismus, den Walter Mehring 1931 als „Vater des Nationalsozialismus“ bezeichnete. Ein Jahr darauf erinnerte Hilde Walter, die auch für das Berliner Tageblatt Artikel verfasste und der Weltbühne-Redaktion angehörte, eindringlich daran, ein wie breites und differenziertes gesellschaftlich-politisches Spektrum deutsche Juden repräsentierten, die durch die antisemitische Hassformel gleichsam homogenisiert würden. Sie deutete zudem an, wie weit das antisemitische Vorurteil ausstrahle und auch nicht vor der politischen Linken haltmache: „Es gibt da uralte Ressentiments, die mit keinem Marxismus und keiner Aufklärung auszurotten sind. Der Antisemitismus ist eben älter als sämtliche Internationalen.“

Wer die Weltbühne vorrangig als Organ einer jüdischen Intelligenz charakterisiert, lässt im übrigen, das sei an dieser Stelle bemerkt, die Fremdzuschreibung gegenüber dem Selbstbild dominieren. Jüdische Themen und Belange wurden in ihr zwar behandelt, aber weder besonders häufig noch an herausgehobener Stelle.23 Nicht selten waren sie zudem an andere politische, gesellschaftliche oder kulturelle Problembereiche gekoppelt und diesen unter- oder zugeordnet. So wenig ein tieferes Verständnis für das intellektuell-politische Wirken der Weltbühne aus einer wie auch immer gearteten ‚jüdischen Prägung‘ gewonnen werden kann, so sehr verdeutlichte das radikal-antisemitische Zerstörungswerk der Nationalsozialisten, in welchem Maße die Weltbühne Bestandteil und Frucht der deutsch-jüdischen Moderne war, mit der zusammen sie in den Jahren 1933 bis 1945 so brutal wie unwiederbringlich zunichte gemacht wurde.

Obgleich die Weltbühne eine unverbrüchliche antifaschistisch-antinationalsozialistische Ausrichtung besaß und Ideologien wie Bestrebungen am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums scharf bekämpfte, findet sich in ihr doch manch ambivalente Position. Insbesondere der bekennende „Antidemokrat“ und „Geistesaristokrat“ Kurt Hiller, der ab 1924 zu den wichtigsten politischen Stimmen der Zeitschrift gehörte, verdient einige Aufmerksamkeit.24 Aus seiner Feder stammt etwa eine Eloge auf Mussolini, dessen Charisma und Habitus ihn – gerade im Vergleich zu den blass anmutenden republikanischen Politikern – begeisterten, obwohl er den Faschismus als Ideologie ohne Wenn und Aber schmähte. Schwärmerisch formulierte er am Jahresbeginn 1926: „Ein weltfroh-eleganter Energiekerl, Sportskerl, Mordskerl, Renaissancekerl, intellektuell, doch mit gemäßigt-reaktionären Inhalten, ist mir lieber, ich leugne es nicht, als ein gemäßigt-linker Leichenbitter, der im Endeffekt auch nichts hervorbringt, was den Mächten der Beharrung irgend Abbruch tut.“25 Hiller trat in den Spalten der Weltbühne zudem gelegentlich in einen argumentativen Wettstreit mit Vertretern der intellektuellen Rechten, die er als Sparringspartner in der Diskursarena akzeptierte und für die er das Wort von den „linken Leuten von rechts“ prägte.26 In manchen Vertretern der „Konservativen Revolution“ erkannte er jedoch geistige Wegbereiter des Nationalsozialismus.

„Über die Ursachen des nationalsozialistischen Erfolges“ sinnierte er 1932 eingehend in einer zweiteiligen Artikelserie. Wenngleich darin eine innerlinke Marxismus-Materialismus-Kritik dominiert und Hiller die Nazi-Partei angesichts der Charakterisierung als „Schutzgarde der Besitzenden und Besitzendsten“ einerseits unterschätzte, erkannte er andererseits doch, wie gefährlich die „synthetische Parole“ zu werden drohte. Schließlich gelang es den Nationalsozialisten, mittels einer Kombination aus nationalem und sozialistischem Anspruch in verschiedene politische Milieus vorzudringen. Einzig das katholische Bürgertum erwies sich nach Hillers Einschätzung als weitgehend resistent. In dieser Interpretation wechselten sich hellsichtige Passagen mit Fehleinschätzungen ab. Auch Ossietzky tat sich einige Zeit schwer damit, den Nationalsozialismus als ernsthafte Gefahr zu betrachten. In seinem Artikel „Brutus schläft“ zieht er Hitler und die ihm zujubelnden „wildgewordenen Skatbrüder“ vor allem ins Lächerliche. Der „deutsche Duce“ sei „eine feige, verweichlichte Pyjamaexistenz, ein schnell feist gewordener Kleinbürgerrebell, der sichs wohlsein läßt und nur sehr langsam begreift, wenn ihn das Schicksal samt seinen Lorbeeren in beizenden Essig legt“. Ernst Toller warnte allerdings schon im Oktober 1930 vor „Reichskanzler Hitler“ und hielt es für geboten, sich von „gefährlichen Illusionen“ zu verabschieden. „Geschieht heute nichts“, lautete seine düstere, letztlich zutreffende Prophetie, „stehen wir vor einer Periode des europäischen Fascismus, einer Periode des vorläufigen Untergangs sozialer, politischer und geistiger Freiheit, deren Ablösung nur im Gefolge grauenvoller, blutiger Wirren und Kriege zu erwarten ist“.

Schon vor der nationalsozialistischen Machtübernahme beobachtete die Weltbühne Erosionen des Rechtsstaats, die sich etwa aus den Gerichtsreportagen Gabriele Tergits eindrucksvoll ablesen ließen. Die Weltbühne war selbst gelegentlich staatlichen Repressionen ausgesetzt und beobachtete – so Ossietzky ausdrücklich 1932 – ein Schwinden der Pressefreiheit auf schleichendem Wege, obwohl die Weimarer Verfassungsordnung an der Meinungs- und Pressefreiheit ausdrücklich festhielt und die Zensur abschaffte. Ungeachtet des rechtlichen Rahmens sorgte sich Ossietzky angesichts der Handlungsweisen eines, wie er meinte, „halb fascisierten Staates“. Unter unmittelbaren staatlichen Druck geriet die Wochenschrift im berühmten Weltbühne-Prozess wegen angeblichen Landesverrats, nachdem sie 1929 in Walter Kreisers Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ von geheimen, dem Versailler Vertrag zuwiderlaufenden Rüstungsbestrebungen der Luftwaffe berichtet hatte.27 Der Prozess endete u.a. mit der Verurteilung Ossietzkys zu einer anderthalbjährigen Haftstrafe, von der er allerdings dank der Weihnachtsamnestie 1932 nur ein reichliches halbes Jahr zu verbüßen hatte.

In der Rückschau wirkt der Weltbühne-Prozess wie ein unheilvoller Vorbote: Unter Hitlers Regime musste die Weltbühne bald ihr Erscheinen einstellen, und viele Autoren fielen dem braunen Terror zum Opfer. Im „Dritten Reich“ wurden sie als „Juden“ und „Linksintellekuelle“, die es aus der „Volksgemeinschaft“ auszusondern galt, gleich doppelt stigmatisiert. Einschüchtern ließ sich die Weltbühne