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Auf Anordnung der Westalliierten errichteten die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder am 1. September 1948 in Bonn den Parlamentarischen Rat. Er hatte den Auftrag, eine Verfassung für einen westdeutschen Teilstaat zu errichten. Präsident des Parlamentarischen Rates war der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer. Seine Rolle wurde von Anfang an kontrovers beurteilt. Die SPD hat später versucht, ihn als "Bundeskanzler der Alliierten" zu diskreditieren – zu Unrecht, wie dieses Buch nachweist. Denn Adenauer sah seine Aufgabe darin, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschaft überhaupt erst möglich wurde. Es war sein Verdienst, die Interessen der deutschen politischen Parteien mit denen der Alliierten und den weltpolitischen Erfordernissen in Einklang zu bringen. Nur so konnte die Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland gelingen.
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2023
Michael F. Feldkamp
Adenauer,
die Alliierten und das Grundgesetz
Titelbild: »Die Teppichrede«, Berlin 2022 © Günay Shamsi (Berlin/Baku)
Von links nach rechts Bundesminister der Finanzen Fritz Schäffer, Bundesminister der Justiz Thomas Dehler, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundesminister für Angelegenheiten des Marshallplanes Franz Blücher
Fotografien im Buch:
Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Distanzierungserklärung:
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© 2023 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Satz und E-Book-Konvertierung: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-7844-8446-4
www.langenmueller.de
Inhaltsverzeichnis
Zur Einführung
1. Besiegt! Besetzt! Befreit! – Die alliierten Siegermächte in Deutschland
2. Die Autorisierung zur westdeutschen Staatsgründung
3. Die Einrichtung des Parlamentarischen Rates
4. Die »Empfehlung« der Generäle vom 20. Oktober 1948
5. Adenauer und Robertson in Bad Homburg (18. November 1948)
6. »Diktat« oder »Anleitung« – Das alliierte Memorandum vom 22. November 1948
7. Die »Frankfurter Affäre« vom 16./17. Dezember 1948
8. Der Fünferausschuss und die erste Prüfung des Grundgesetzentwurfes
9. Die Ablehnung durch die Verbindungsoffiziere am 25. März 1949
10. Weichenstellung in Washington im April 1949
11. Schlussberatungen, Genehmigung und Ratifizierung
12. Die »Teppichrede« Adenauers auf dem Petersberg am 21. September 1949
13. »Der Bundeskanzler der Alliierten«
Nachwort
Literatur
Personenregister
Zur Einführung
Die Unterzeichnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 war bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 das zentrale Ereignis in der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg.
Im vorliegenden Buch wird an die bewegten Monate der Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland erinnert. Dabei rücken erstmals Konrad Adenauer und die westlichen Alliierten in den Fokus. Beide sind die politischen Hauptakteure vom September 1948 bis Mai 1949: Die westalliierten Siegermächte hatten den Deutschen den Auftrag zur Abfassung einer Verfassung für einen westdeutschen Staat erteilt. Adenauer hat als Präsident des Parlamentarischen Rates und später als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland federführend die Verhandlungen mit den Alliierten geführt. Er hat deutscher Nachkriegspolitik sein Gesicht und einer ganzen Epoche der deutschen Geschichte, der Adenauer-Ära, seinen Namen verliehen.
Bemerkenswerterweise sind die deutschen Archivalien im Wesentlichen erst in den 1990er Jahren publiziert worden, während die amerikanischen Akten in wissenschaftlichen Editionen der Forschung schon Mitte der 1970er Jahre zur Verfügung gestellt wurden. Aber auch sie wurden für die Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland kaum rezipiert. Britische und französische Akten sind bislang so gut wie gar nicht herangezogen worden.
Aus dieser Aktendichte heraus ist eine vielfach neue Sichtweise auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und damit die Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland entstanden. Es konnten Vorgänge entfaltet werden, die zeitgenössisch selbst dem gut informierten Konrad Adenauer vollständig unbekannt waren. Es bot sich an, die Geschichte neu zu erzählen.
Bis in die heutige Zeit stand und steht der Vorwurf im Raum, das Grundgesetz sei ein Diktat der Alliierten. Umso lauter waren die Forderungen, eine neue und deutsche Verfassung zu erarbeiten. Die Dokumente von 1948 und 1949, auf alliierter wie auf deutscher Seite, die hier zum ersten Mal umfänglich einer gemeinsamen Auswertung unterzogen worden sind, belegen das ernsthafte Ringen und den parteipolitischen Schlagabtausch der Mitglieder des Parlamentarischen Rates um eine zeitgemäße Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland, die angesichts der deutschen Teilung nur Grundgesetz heißen sollte.
In den ersten Wochen nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (7. September 1949) gab es zwei zentrale Ereignisse, die noch in unmittelbarem Kontext der Bonner Verfassungsschöpfung standen.
Als Erstes ist der Antrittsbesuch Adenauers und einiger Kabinettsmitglieder bei den Alliierten Hohen Kommissaren auf dem Petersberg bei Bonn am 21. September 1949 zu nennen. Die von den Alliierten choreographierte Begegnung, bei der Adenauer seine »Teppichrede« hielt, wurde von der Künstlerin Günay Shamsi für das Titelbild festgehalten. An diesem Tag trat auch das Besatzungsstatut in Kraft, dessen Entstehung die Grundgesetzarbeit vom ersten Tag an begleitet hatte.
Das zweite Ereignis war der Zwischenruf des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Kurt Schumacher: »Der Bundeskanzler der Alliierten!« Die Bedeutung erschließt sich vollends nur aus den Vorkommnissen im Parlamentarischen Rat und den Begegnungen mit den Alliierten. Das Zitat begründete zugleich den bis heute immer wieder nacherzählten bundesrepublikanischen Gründungsmythos von der alliierten Einflussnahme auf deutsche Politiker. Mit dieser Begebenheit vom November 1949 findet die vorliegende Erzählung, die mit dem Kriegsende 1945 beginnt, ihren Abschluss.
Michael F. Feldkamp
Berlin, den 23. Januar 2023
1. Besiegt! Besetzt! Befreit! – Die alliierten Siegermächte in Deutschland
Kriegsende
Der Zweite Weltkrieg hätte in Europa schon im Winter 1944/45 zu Ende sein können. Aber statt aufgrund der verheerenden militärischen Lage zu kapitulieren, verschloss sich der »Führer und Reichskanzler« Adolf Hitler den Realitäten, ließ den »Totalen Krieg« ausrufen und schickte alles, was verfügbar war, in die letzten Gefechte: Waffen und Menschen. Alte Männer wurden zum »Volkssturm« eingezogen; Kinder der Hitlerjugend wurden mit Panzerfäusten bewaffnet und auf die Straßen geschickt. Wer sich weigerte, wurde kurzerhand von spontan gebildeten Standgerichten der Wehrmacht und Waffen-SS als Verräter hingerichtet.
Am 27. Januar 1945 erreichte die Sowjetarmee deutschen Boden und konnte die Häftlinge des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz befreien. Am 21. April 1945 stand die »Rote Armee« an der Stadtgrenze von Berlin und am Abend des 29. April 1945 am Brandenburger Tor. Erst am 2. Mai war mit dem russischen »Kampf um den Reichstag« auch der Kampf um Deutschland zu Ende.
Hitler hatte sich seiner Verantwortung am 30. April 1945 durch Selbstmord entzogen. Sein Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz, beauftragte Generaloberst Alfred Jodl, die Kapitulationsverhandlungen im Hauptquartier des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte in Europa, Dwight D. Eisenhower, im französischen Reims zu führen. Er unterzeichnete am 7. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Sie trat am 8. Mai 1945 um 23 Uhr in Kraft.
Kurz nach Mitternacht des 9. Mai unterzeichnete Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, die Kapitulationsurkunde im Hauptquartier der sowjetischen Armee in Berlin-Karlshorst. In Moskau feiert man seitdem den 9. Mai als »Tag des Sieges« über Deutschland.
Der Zweite Weltkrieg war zunächst nur in Europa zu Ende. Der Krieg im Pazifik, der am 7. Dezember 1941 mit dem japanischen Überfall auf den amerikanischen Militärstützpunkt Pearl Harbor begonnen hatte, erreichte mit den amerikanischen Atombombenabwürfen auf die Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 seinen traurigen Tiefpunkt. Mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945 endete der Zweite Weltkrieg auch im pazifischen Raum.
Deutschland war 1945 politisch, militärisch, ökonomisch und moralisch zerstört und hatte zugleich die ganze Welt in den Abgrund gestürzt.
Weltweit hatte der Krieg 60 Millionen Menschenleben gekostet, darunter waren 6 Millionen Juden und Hunderttausende Sinti und Roma, die zivilen Opfer in den Bombennächten und schließlich die an Hunger, Kälte und Gewalt auf der großen und beispiellosen Fluchtbewegung Verstorbenen. Circa 17 Millionen Menschen galten 1945 als verschollen.
Rund 14 Millionen Deutsche waren in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches auf der Flucht oder vertrieben worden. Geschätzt 5,7 Millionen Soldaten der Roten Armee starben während der Kriegsgefangenschaft. Nur 2 Millionen der insgesamt 3,2 Millionen deutschen Kriegsgefangenen kehrten aus der Sowjetunion nach Deutschland zurück – die letzten im Januar 1956. Bis heute ist das Schicksal von 1,3 Millionen deutschen Militärangehörigen ungeklärt.
Die Paradoxie des 8. Mai 1945
Noch im Parlamentarischen Rat, vier Jahre nach der Kapitulation, am 8. Mai 1949, formulierte der FDP-Fraktionsvorsitzende und spätere Präsident der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss treffsicher:
»Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.«
Die Paradoxie des 8. Mai trat im Laufe der Jahrzehnte zusehends in den Hintergrund. Es wurde verdrängt, dass der Tag für den Beginn von Vertreibungsterror und erneuter Unterdrückung im Osten Deutschlands stand sowie für den Beginn der deutschen Teilung. Diese historischen Ereignisse wurden mit der Begehung des »8. Mai« als »Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus«, insbesondere in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), beziehungsweise der späteren DDR, ausgeblendet und relativiert.
Insbesondere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner viel beachteten Rede zur Wiederkehr des Kriegsendes am 8. Mai 1985 an die Worte von Theodor Heuss angeknüpft. Weizsäcker war der erste Politiker in der Bundesrepublik Deutschland, der die Befreiung vom Nationalsozialismus in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückte. Gleichwohl hatte er auch betont:
»Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.«
Mit zunehmender Geschichtsvergessenheit und/oder der Übernahme sozialistischer Geschichtsbilder wurde der 8. Mai 1945 in der 1990 vereinigten Bundesrepublik Deutschland schrittweise nur noch als »Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus« bezeichnet, nämlich seit 2002 in Mecklenburg-Vorpommern, seit 2005 in Berlin, seit 2015 in Brandenburg und seit 2020 in Schleswig-Holstein.
Die deutsche Nachkriegsordnung
Über eine deutsche Nachkriegsordnung berieten die alliierten Mächte, die USA, Großbritannien und die Sowjetunion, vom 4. bis 11. Februar 1945 erstmals auf der Konferenz in Jalta, einem idyllischen Badeort auf der Halbinsel Krim. Hier wurden die ersten Pläne für die Annektierung der deutschen Ostgebiete und für die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen vereinbart.
War die Kapitulation zum 8. Mai zunächst eine rein militärische Unterwerfung, übernahmen die – mit Frankreich inzwischen vier – Siegermächte auf der Konferenz von Potsdam am 5. Juni 1945 formal bis in die Kommunen hinein die Regierungsgewalt in Deutschland.
Was vom Deutschen Reich nicht ohnehin schon annektiert worden war, wurde in vier Besatzungszonen und die bisherige Reichshauptstadt Berlin aus Prestigegründen in vier Sektoren aufgeteilt. Während die Briten ein gemeinsames wirtschaftliches, politisches und administratives Vorgehen in allen vier Besatzungszonen vorschlugen, entschied die Potsdamer Konferenz, dass jede Siegermacht in ihrer Zone beziehungsweise ihrem Sektor die wirtschaftliche und politische Entwicklung nach eigenem Ermessen bestimmen durfte. Mit dem Alliierten Kontrollrat schufen die Siegermächte aber ein gemeinsames Gremium, um die in Potsdam vereinbarten Maßnahmen zu koordinieren.
Doch statt auf »Einheit« drängte der Kontrollrat auf »Einheitlichkeit« (W. Benz). Beides wurde aber durch Alleingänge der Sowjets wiederholt konterkariert. So hatten die sowjetischen Militärbehörden schon vor der Potsdamer Konferenz im Juni 1945 die Gründung von Parteien und Gewerkschaften in ihrer Zone und im Ost-Berliner Sektor zugelassen. Unterschiedliche Maßstäbe wurden auch bei der »Entnazifizierung« angesetzt; in der Sowjetischen Besatzungszone wurde sie schon 1946 gänzlich eingestellt.
Aufgrund der bürokratischen Schwerfälligkeit des Kontrollrats und der gegensätzlichen politischen Ziele seiner Mitglieder blieb die Auflösung Preußens vom 20. Februar 1947 die letzte gemeinsame Entscheidung der vier Siegermächte. Danach kam es im Sommer 1947 zu wirtschaftspolitischen Weichenstellungen, die dem Alliierten Kontrollrat die politische Geschäftsgrundlage entzogen. Mit der Verkündung des Marshallplans sowie der Errichtung des Wirtschaftsrates, einem parlamentsähnlichen Gremium für die amerikanische und britische Besatzungszone (die sogenannte »Bizone«), rückte auch ein formaler Friedensvertrag zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges in weite Ferne.
Erste demokratische Strukturen
Bei all ihren Bemühungen, gesellschaftliches und politisches Leben wiederaufzubauen, blieben die vier Siegermächte in ihren Besatzungszonen konservativ und traditionell. Im Prinzip wollten sie den Stand von 1933 wiederherstellen.
Die alten Parteien wurden wieder zugelassen, wenn ihnen keine Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen nachgewiesen werden konnte. Auf Weisung der sowjetischen Besatzungsmacht wurden im Juni 1945 die KPD, SPD und CDU sowie im Juli die Liberal-Demokratische Partei (LDP) gegründet. Die anderen Besatzungsmächte zogen bis Ende des Jahres 1945 nach. Erst mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 fusionierten die Parteien bundesweit, und ein autonomes Parteiensystem wurde etabliert.
Die SPD war die erste Partei, die in allen vier Besatzungszonen wieder errichtet worden war. Sie knüpfte bewusst an die Zeit vor 1933 an. Schon im Mai 1945 eröffnete Kurt Schumacher, der nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager 1943 vom englischen Exil aus gewirkt hatte, in Hannover sein Büro als »Parteizentrale«. Von hier aus hielt Schumacher gemeinsam mit Erich Ollenhauer auch während der Arbeit am Grundgesetz im Bonner Parlamentarischen Rat für die SPD die Fäden in der Hand.
Die Gründung der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) war in der deutschen Parteienlandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg die einzige wirkliche Innovation. Eine katholische Zentrumspartei wollten viele nicht mehr, auch Konrad Adenauer hatte sich bald nach Auflösung der Zentrumspartei 1933 wiederholt entsprechend positioniert. So war die CDU vielfach den konservativen und christlichen Parteien ähnlich, hatte aber auch liberale, soziale und sogar sozialistische Ideen angenommen, wie das »Ahlener Programm« vom 3. Februar 1947 belegt. Statt das Wort »Partei« im Namen zu führen, nannte sich die CDU »Union«.
Ein französischer Journalist charakterisierte das heterogene Erscheinungsbild der CDU als sozialistisch und radikal in Berlin, klerikal und konservativ in Köln, kapitalistisch und reaktionär in Hamburg und gegenrevolutionär und partikularistisch in München (nach G. Pridham).
Dieses uneinheitliche Erscheinungsbild bereitete der CDU/CSU im Parlamentarischen Rat große Schwierigkeiten, weil zu vielen Themen noch keine einheitliche Auffassung gefunden worden war. So hatten die CDU und ihre bayerische Schwesterpartei CSU – anders als die SPD – keine gemeinsamen Verfassungsgrundsätze oder gar einen gemeinsamen Verfassungsentwurf vorzeigen können, als am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat seine Arbeit am Grundgesetz aufgenommen hatte.
Das sogenannte Elternrecht war schon in der Weimarer Zeit ein klassisches Thema der katholischen Zentrumspartei, wurde aber erst im Oktober 1948 als Thema der CDU/CSU entdeckt. Damit war die Verantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder gemeint; konkret hatte dies zur Folge, dass der Staat auf Wunsch der Eltern zum Beispiel private und konfessionelle Schulen anbieten sollte.
Auch in der Frage der Ausgestaltung des Föderalismus gingen innerhalb der CDU/CSU die Auffassungen zwischen Katholiken und Protestanten weit auseinander, auch wenn das zeitgenössisch nie thematisiert worden war. Die Katholiken hatten die katholische Soziallehre verinnerlicht. Ihrem Prinzip der Subsidiarität entsprang auch der von Josef Schwalber (CSU) am 9. September 1948 im Parlamentarischen Rat vertretene Grundsatz »Rechtseinheit, aber kein Einheitsrecht«.
Die Bizone
Ohne ein gemeinsames Deutschlandkonzept schlossen sich am 1. Januar 1947 die amerikanische und britische Besatzungszone zur sogenannten Bizone zusammen, nachdem die Großmächte auf der New Yorker Außenministerkonferenz am 9. Dezember 1946 nahezu ergebnislos auseinandergegangen waren.
Die Bizone erhielt mit dem Wirtschaftsrat, Ernährungsrat, Verkehrsrat, Finanzrat und dem Verwaltungsrat für Post- und Fernmeldewesen gemeinsame Zentralbehörden für ihre Länder. Der Wirtschaftsrat mit Sitz in Frankfurt am Main wurde schon am 25. Juni 1947 zur gesetzgebenden Körperschaft erweitert. Damit wurde er die bedeutendste wirtschaftspolitische deutsche Einrichtung seit Kriegsende. Im Februar 1948 erhielt die Bizone die offizielle Bezeichnung »Vereinigtes Wirtschaftsgebiet«, was als Erfolg für ein fruchtbares Auskommen zwischen den deutschen Verwaltungseinrichtungen und den amerikanischen und britischen Besatzungsbehörden zu verbuchen war.
Seit 1947 wurden die Gegensätze zwischen Großbritannien und den USA und später auch Frankreich auf der einen sowie der Sowjetunion auf der anderen Seite stets größer. Mit diesem Jahr begann der »Kalte Krieg«. Die politischen Verhältnisse begünstigten die Idee zur Gründung eines deutschen Weststaates, wofür die USA erst Großbritannien und dann Frankreich gewinnen konnten.
Das Besatzungsstatut: Rechtssicherheit statt Willkürherrschaft
Während in den Kommunen und Ländern des besetzten Deutschlands allmählich Verwaltungseinrichtungen und staatliche Strukturen entstanden, kamen schon Ende des Jahres 1946 von deutscher Seite Forderungen nach einem sogenannten Besatzungsstatut auf.
Die Deutschen versprachen sich davon die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die Beziehung von alliierten Besatzungsmächten und deutschen Verwaltungsbehörden. Die Forderung entsprang dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit, in deren Rahmen sich die deutschen Verwaltungseinrichtungen frei von alliierter Einflussnahme und Kontrolle entfalten könnten. Rechtssicherheit sollte alliierte Willkürherrschaft ablösen.
Ein solches Besatzungsstatut setzte zugleich den Zusammenschluss der Besatzungszonen voraus. So verband sich mit der Forderung eines Besatzungsstatuts zugleich die Hoffnung auf die Schaffung von gesamtdeutscher Selbstverwaltung und Staatlichkeit.
Die westlichen Alliierten gingen tatsächlich auf die deutschen Wünsche ein und machten die Schaffung eines Besatzungsstatuts zu ihrer eigenen Sache. Doch im Frühjahr 1948 waren sie von einem Besatzungsstatut für Deutschland nicht mehr so überzeugt.
Während der Vorbereitungen zur Schaffung einer Verfassung und neuer politischer und administrativer Strukturen auf deutscher Seite war bei den Westalliierten zusehends die Einsicht gewachsen, dass man statt eines Besatzungsstatuts eher durch Memoranden oder »Briefe« der drei Mächte den jeweiligen deutschlandpolitischen Entwicklungen zustimmen könnte, um somit das völkerrechtliche Novum, nämlich Verfassungsschöpfung unter Besatzungsrecht, nicht übermäßig zu strapazieren.
Der amerikanische Außenminister Acheson hatte für die Londoner Außenministerkonferenz zudem Grundprinzipien entwickelt, die schon weitergehend und vor allem flexibler für den Alltag waren als ein Besatzungsstatut. Er schlug vor:
• Die Westalliierten behalten sich das Recht vor, alle an die Deutschen übertragenen Befugnisse zu widerrufen.
• Die Westdeutschen können sich selbst regieren, solange die Alliierten keinen Widerspruch einlegen.
• Die Westalliierten behalten sich bestimmte Rechte jederzeit vor.
Doch der Vorbehalt bestimmter Rechte war genau das, was auf deutscher Seite dringend klärungsbedürftig war. Welche Rechte würden sich die Alliierten vorbehalten? Der Anschein von Willkürherrschaft stand nach wie vor im Raum.
So blieben die Westalliierten schließlich doch der Idee eines Besatzungsstatuts treu. Mit dieser Perspektive und dem Wunsch nach einem Besatzungsstatut sollte dann in den nächsten Monaten allmählich der westdeutsche Staat entstehen.
Die Militärgouverneure
An der Spitze der Militärverwaltungen in Deutschland standen die Militärgouverneure der drei westlichen Siegermächte Frankreich, Großbritannien und USA.
Der amerikanische Militärgouverneur General Lucius Dubignon Clay stammte aus einer Südstaatenfamilie und trat 1916 in die Militärakademie West Point ein, wohin er später als Dozent für Zivil- und Militärbauwesen zurückkehrte. Den Großteil seines beruflichen Lebens befasste sich Clay mit dem Ausbau und der Verbesserung der amerikanischen Flughäfen für den Verteidigungsfall. 1942 kam er als stellvertretender Stabschef für Beschaffung und Nachschub unter Dwight David Eisenhower in die Normandie. Clay ließ in kürzester Zeit den zuvor von den Deutschen zerstörten französischen Hafen von Cherbourg wieder instand setzen. 1945 bis 1947 war Clay Kongressabgeordneter.
Gleichzeitig war er seit April 1945 Stellvertretender Militärgouverneur in Deutschland, zuständig für Zivilangelegenheiten sowie Vertreter der USA im Alliierten Koordinationsausschuss für Deutschland. Am 15. März 1947 wurde Clay Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa und zum Militärgouverneur für Deutschland ernannt. Nach anfänglichen Vorbehalten gegenüber den Deutschen setzte Clay sich schon bald für einen zügigen Wiederaufbau und die Westintegration der drei Besatzungszonen ein. Erst im Mai 1949 verließ er Deutschland, als das Grundgesetz fertig war.
Der britische Militärgouverneur General Brian Hubert Robertson war nach dem Besuch der Royal Military Academy in Woolwich 1914 in den aktiven Militärdienst eingetreten. Er nahm schon in Flandern und Frankreich am Ersten Weltkrieg teil, diente in der indischen Armee, war Teilnehmer der Genfer Abrüstungskonferenz und schied 1933 aus der Armee aus. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges trat Robertson 1940 als Reserveoffizier im Range eines Oberstleutnants in die südafrikanische Armee ein. Er war verantwortlich für den Nachschub im Feldzug von Bernard Law Montgomery of Alamein gegen Erwin Rommels Afrikakorps. Während des Italienfeldzuges 1944/45 diente Robertson als Verwaltungsoffizier.
1945 trat er als Chef des Stabes und Vertreter des Feldmarschalls Montgomery in die britische Kontrollratskommission ein und wurde in den Alliierten Kontrollrat in Deutschland berufen. 1946 bis 1947 war er bereits Stellvertretender Militärgouverneur und erhielt nach dem Ausscheiden von Luftmarschall Sir Sholto Douglas Ende 1947 das Amt des Militärgouverneurs (bis 1949) und war Oberbefehlshaber der britischen Besatzungstruppen in Deutschland (bis Juni 1950).
Robertson befürwortete zwar die Demontage der deutschen Industrie, gleichzeitig setzte er sich aber gemeinsam mit Clay für die Schaffung des Wirtschaftsrates in der Bizone ein. Aber noch im Sommer 1948 versuchte Robertson, die angestrebte Schaffung eines westdeutschen Staates zu verhindern (Robertson-Plan). Von 1949 bis Mai 1950 war Robertson britischer Hochkommissar in der Bundesrepublik Deutschland. Er hatte eigens die deutsche Sprache erlernt, um bei seinen deutschen Gesprächspartnern Vertrauen zu gewinnen.
Der französische Militärgouverneur und Armeegeneral Pierre Koenig, dessen Vater aus dem Elsass stammte, nahm im Alter von 17 Jahren als Freiwilliger und später als Berufssoldat am Ersten Weltkrieg teil. Nach dem Krieg diente er als Offizier unter anderem von 1920 bis 1922 in Oberschlesien und von 1922 bis 1923 in den französischen Alpen. Danach war er bis 1929 Angehöriger der französischen Besatzungstruppen im besetzten Rheinland. Von 1930 bis 1940 war Koenig in Marokko stationiert und zuletzt unter General Georges Catroux in Marrakesch tätig. Im Frühjahr 1940 kämpfte Koenig mit der 13. Brigade der Fremdenlegion in Norwegen. Von dort ging er zurück nach Frankreich und kämpfte gegen Deutschland.
Mit dem letzten Fischerboot setzte er über den Kanal nach England über und trat in die Dienste von Charles de Gaulle, der in London eine französische Exilregierung errichtete. Nach seiner Teilnahme an der gescheiterten Befreiung von Dakar wurde Koenig Militärkommandant von Kamerun und danach Stabschef (Oberst) der Ersten Französischen Brigade (BFL) in Syrien, wo er die Vichy-treue Stadt Damaskus eroberte. Als Brigadegeneral, bekannt geworden durch die erfolgreiche Verteidigung der Oase Bir Hakeim (1942) unter General Amila Kvari, wurde Koenig 1943 Divisionsgeneral und übernahm die Funktion des Stellvertretenden Generalstabschefs der in Algerien stehenden Armee. Als Oberbefehlshaber der Verbände des Freien Frankreichs und der Résistance (Streitkräfte der inneren Front – FFI) wurde er Delegierter des französischen Nationalen Befreiungskomitees beim interalliierten obersten Generalstab (GPRF).
Nach der Befreiung von Paris am 25. August 1944 wurde Koenig Militärgouverneur von Paris. Von 1945 bis 1949 war er Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen, Chef der französischen Militärverwaltung in Deutschland und Mitglied im Alliierten Kontrollrat in Berlin. Am 10. August 1949 endete die Tätigkeit Koenigs als französischer Militärgouverneur in Deutschland.
Berlin-Blockade
Zu Beginn ihrer jeweiligen Amtszeit zeichnete sich keiner der Militärgouverneure durch Deutschlandfreundlichkeit aus. Sie waren Angehörige der Siegerarmeen über das nationalsozialistische Deutschland und kamen als Soldaten und nicht als Diplomaten. In streng hierarchischen Strukturen waren sie beruflich erfolgreich geworden und hatten selbstverständlich die Interessen ihrer Staaten zu vertreten.
Mit dem Morgenthau-Plan, benannt nach dem US-amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau, stand den Deutschen ein »harter Frieden« bevor. Grundlage der amerikanischen Deutschlandpolitik wurde dann aber die Direktive JCS 1067 mit dem Ziel der weitgehenden Demontage der deutschen Industrie. Der Wiederaufbau Deutschlands stand zunächst nicht im Mittelpunkt der Arbeit der Siegermächte, darin waren sich die Alliierten einig.
Doch die Militärgouverneure stellten sich den Realitäten in Deutschland, die anders aussahen, als es sich die Staatsbeamten in London, Paris oder Washington vorgestellt hatten. Deren ursprüngliche politisch-ökonomischen Pläne waren angesichts der geopolitischen Entwicklungen nicht umzusetzen. Ideologische Gegensätze manifestierten sich im Ost-West-Konflikt zwischen der kommunistischen UdSSR und den freiheitlich-demokratischen Westmächten. Im Ringen um Deutschland wurden im Alleingang in den Besatzungszonen neue Verhältnisse geschaffen, die zugleich eine Vereinigung aller vier Besatzungszonen erschwerten. Die drei westlichen Besatzungszonen wurden der westlichen Welt zugeschlagen. Die Sowjetische Besatzungszone wurde zu einem stalinistisch-kommunistischen Unrechtsstaat.
Die in vier Sektoren eingeteilte Stadt Großberlin wurde als Austragungsort eines internationalen Konflikts zum Inbegriff und Symbol des Kalten Krieges. Mit der Ablehnung der D-Mark für die sowjetische Besatzungszone und Ost-Berlin begann am 24. Juni 1948 die Berlin-Blockade. Schon am 16. Juni 1948 verließen die sowjetischen Vertreter offiziell die Berliner Alliierte Stadtkommandantur.
Mit Clay stand ein herausragender Logistikexperte und Baumeister an der Spitze der amerikanischen Militärregierung. Für Berlin war es Glück und Segen. Er leistete den größten Beitrag bei der Durchführung der Währungsreform sowie der Berliner Luftbrücke. Letztere war nach Vereinigung der drei Zonen überhaupt erst auf Clays Initiative schon am 24. Juni 1948, am ersten Tag der sowjetischen Berlin-Blockade, ins Leben gerufen worden. Die Luftbrücke machte den US-General zum populärsten Amerikaner im Nachkriegsdeutschland.
Die Berliner Luftbrücke war eine Meisterleistung und kein spontaner Notbehelf und auch kein Experiment. Sie war ein sorgfältig geplantes und durchgeführtes logistisches Unternehmen. Die Rettung West-Berlins als östlichster Brückenkopf der Westalliierten in Europa und inmitten der Sowjetischen Besatzungszone war für die Westalliierten eine Prestigefrage und eine militärische Herausforderung.
2. Die Autorisierung zur westdeutschen Staatsgründung
Die Londoner Empfehlung
