Adrastea - Johann Gottfried Herder - E-Book

Adrastea E-Book

JOHANN GOTTFRIED HERDER

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Beschreibung

Herders Adrastea (1801-1803), eine Schrift in zwölf Stücken, sollte die klassizistische Strömung der deutschen "Dichter und Denker" insgesamt treffen. Er befürchtete, dass diese den ganzen Ruhm davontragen würden und bezeichnete sich selbst als "dürrer Baum und verlechzte Quelle" oder als "Packesel und blindes Mühlenpferd.

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Adrastea

Johann Gottfried Herder

Inhalt:

Johann Gottfried Herder – Biografie und Bibliografie

Adrastea

Vorbemerkung des Herausgebers

I. Gegebenheiten und Charaktere des vergangenen Jahrhunderts.

1. Erbfolgekrieg. Entscheidet Krieg über Recht?

Beilage. Fénélon's Gewissensleitung eines Königes.

2. John Bull.

3. Ludwig XIV.

Beilage.

4. Maintenon. Fénélon.

5. Akademien unter Ludwig XIV.

Akademien der Wissenschaften und der Literatur.

Beilage. Duclos über Männer von Wissenschaft.

6. Französische Akademie.

7. Schöne Künste unter Ludwig XIV.

Beilage.

8. Französische Flüchtlinge.

Beilage. Wodurch verbreitet sich eine Sprache mit bleibender Wirkung?

9. Bayle.

Beilagen. Ueber Zweifelsucht und Disputirränke.

10. Französischer Klerus.

Beilage. Wozu ist der Klerus?

11. Wilhelm von Oranien. Englische Kirche.

Beilage. Was ist Kirche, und Haupt der Kirche?

12. John Locke. Die Freidenker.

Beilage. John Jortin. Ueber die Kirchengeschichte.

13. Shaftesbury. Principium der Tugend.

14. Shaftesbury. Geist und Frohsinn.

15. Glänzendes Quindecennium der Königin Anna.

16. Er und Sie.

17. Sommers. Adddison. Peterborough.

Beilage. Von romantischen Charakteren.

18. Jonathan Swift.

19. Jonathan Swift. Gegenseite.

Beilage. Strafende Genien.

20. Pope. Bolingbroke.

Charakterzüge einiger Vorgenannten.

II. Früchte aus den sogenannt goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts.

1. Geschichte.

Beilage. Baco von der Geschichte.

2. Denkwürdigkeiten

Beilage. Maß der Adrastea in Denkwürdigkeiten seiner selbst.

3. Gedanken

4. Lehrgedichte.

5. Fabel.

Beilage. Das Conversatorium und die Erscheinung.

Fortsetzung. Über die Fabel.

Fortsetzung.

6. Märchen und Romane.

Beilage. Guter und böser Märchenleumund.

Fortsetzung. Ueber Märchen und Romane.

Beilage. Der Traum.

Fortsetzung. Ueber Romane und Märchen.

Schluß.

Beilage. Der erste Traum.

7. Idyll.

8. Bilder, Allegorien und Personificationen.

Fortsetzung.

9. Tanz. Melodrama.

Beilage. Wirkt die Musik auf Denkart und Sitten?

10. Das Drama.

Fortsetzung.

Fortsetzung. Wilhelm Shakespeare.

Fortsetzung.

Fortsetzung.

Schluß.

11. Das Lustspiel. Unterredungen.

III. Wer war der größte Held, wer der billigste Gesetzgeber? Ein Gespräch.

Wer war der größte Held?

IV. Ereignisse und Charaktere des vergangenen Jahrhunderts.

1. Karl XII.

2. August von Polen und Stanislaus I.

3. Peter der Große.

Beilage. Ueber die schnelle Kunstbildung der Völker

Kaiser Alexander.

4. Preußische Krone.

Beilage. Eigne Gemälde ans der preußischen Geschichte.

5. Gottfried Wilhelm Leibniz.

6. Säcularische Hoffnungen.

Fortsetzung.

7. Propaganda.

V. Wissenschaften, Ereignisse und Charaktere des vergangenen Jahrhunderts.

1. Isaak Newton's Gesetz der Schwere.

Erste Beilage. Hermes und Poemander.

Zweite Beilage. Kepler's Gedanken über Anziehung und Schwere der Weltkörper.

2. Newton's Teleskop.

Erste Beilage. Orion.

Zweite Beilage. Hermes und Poemander.

3. Newton's Theorie des Lichts und der Farben.

4. Newton und Kepler.

Beilage. Ueber die verschiedene Schätzung der Wissenschaften nach Zeiten und Nationen.

5. Händel.

Fortsetzung.

Fortsetzung. Cäcilia.

Fortsetzung.

6. Emanuel Swedenborg , der größte Geisterseher des achtzehnten Jahrhunderts.

VI. Unternehmungen des vergangenen Jahrhunderts zu Beförderung eines geistigen Reiches.

1. Chistianisirung des chinesischen Reiches.

Beilage. Montesquieu von den Chinesen.

2. Paraguay.

Beilage. Montesquieu über Paraguay.

3. Am Nordpol eine christliche Aurora.

4. Zinzendorf

5. Bekehrung der Juden.

Beilage. Montesquieu: Wie sich der Handel in Europa mitten durch die Barbarei Licht machte.

Fortsetzung.

Erste Beilage. Lied zu Bewillkommung des großen Ruhetages der goldnen Zeit.

Zweite Beilage. Lord Herbert's von Cherbury Himmelszeichen für die Wahrheit.

Dritte Beilage. Stellen aus Luther fürs Bekenntniß der Wahrheit.

6. Freidenker Christianity not mysterious 1696.

Fortsetzung

Beilage. Baco von der Wahrheit.

7. Mandeville's Bienenfabel.

Beilage. Die

8. Freimäurer.

Beilage. Salomo's Thron.

9. Enthusiasmus. Methodisten.

Erste Beilage.

Zweite Beilage

10. Atlantis.

VII. Früchte aus den sogenannt goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts.

12. Romanze.

Beilage. »Eines im Arabischen sehr erfahrnen Gelehrten«

Fortsetzung.

Beilage. Andenken an einen Besuch bei dem ehemaligen würdigen Superintendenten Johann Niklas Götz zu Winterburg in der hintern Grafschaft Sponheim.

13. Volksgesang.

Fortsetzung.

Erste Beilage

Zweite Beilage. Lessing an Gleim über Lieder fürs Volk.

Beilage.

14. Epopöe

Beilage. Volkssagen über Ossian, von einem gelehrten Hochländer.

VIII. Zutritt der nordischen Mythologie zur neueren Dichtkunst.

Nachlese zur Adrastea.

Vorrede.

1. Nemesis der Geschichte.

2. Zweifel. Auflösung der Zweifel.

3. Morgenländische Literatur.

4. Persepolis.

5. Früchte aus den sogenannt goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts.

Fortsetzung von oben.

6. Fragen.

Fragment.

7. Deutsche Hoheit.

8. Briefe, den Charakter der deutschen Sprache betreffend.

9. Der Mann und sein Schatte Niemand.

10. Idee zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist Deutschlands.

11. Gedanken von Swift mit Nachgedanken.

12. Berkeley. Fragment.

13. Gedanken aus Berkeley.

14. Aurora, die Erscheinung am neuen Jahrhundert. Gespräche.

15. Ankündigung nach der ersten Ausgabe von Herder's Werken, »Zur schönen Literatur und Kunst«.

16. Fragment über Licht und Farben und Schall.

Adrastea, J. G. Herder

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849627638

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Johann Gottfried Herder – Biografie und Bibliografie

Einer der hervorragendsten und einflußreichsten Schriftsteller und Denker Deutschlands, ward 25. Aug. 1744 zu Mohrungen in Ostpreußen als Sohn des Kantors, Glöckners und Schullehrers Gottfried H. und dessen zweiter Ehefrau, Anna Elisabeth Pelz, geboren und starb 18. Dez. 1803 in Weimar. Die Verhältnisse seiner Eltern waren bescheiden und beschränkt, nicht aber so dürftig, daß sie auf eine bessere Erziehung ihrer Kinder und namentlich des Knaben, dessen Begabung früh zutage trat, durchaus hätten verzichten müssen. H. besuchte die Stadtschule und wurde zum Studium der Theologie bestimmt. Die unfreundliche und willkürliche Einmischung des Diakonus S. F. Trescho, der Herders Eltern zu bestimmen suchte, den Knaben ein Handwerk lernen zu lassen, kreuzten die künftigen Lebenspläne. Trescho nahm den Knaben als Famulus in sein Haus, mißbrauchte jedoch seine Kräfte zu allerhand unwürdiger Arbeit, so daß es für H. eine Erlösung aus bittern Leiden war, als sich ein russischer Regimentschirurg erbot, ihn zur Erlernung der Chirurgie nach Königsberg und später nach Petersburg mitzunehmen. H. langte im Hochsommer 1762 in der ostpreußischen Hauptstadt an, und da er alsbald erkannte, daß er für den von seinem Beschützer in Aussicht gestellten Beruf gänzlich ungeeignet sei, ließ er sich 10. Aug. als Studiosus der Theologie immatrikulieren. An dem Buchhändler Kanter, dem er sich schon von Mohrungen aus durch Zusendung des »Gesanges an Cyrus« empfohlen hatte, gewann er einen hilfreichen Gönner; durch seine Anstellung als Lehrer an der Elementarschule des Collegium Fridericianum ward er der drückendsten Not rasch überhoben und überließ sich rückhaltlos seinem Bildungsdrang. Bedeutenden Einfluß auf die geistige Entwickelung des Jünglings übte von den Universitätslehrern nur Kant, außerhalb der Universitätskreise aber der »Magus aus Norden«, der originelle J. G. Hamann aus. Unter den Einwirkungen seiner mannigfaltigen und ausgebreiteten Lektüre war keine tiefer, sein ganzes Wesen bestimmender als die der Schriften J. J. Rousseaus. Im Herbst 1764 ward H. als Kollaborator an die Domschule nach Riga berufen, später auch als Pfarradjunkt an der Jesus- und an der Gertraudenkirche angestellt, so daß er in der alten Hauptstadt Livlands, die sich damals noch fast republikanischer Selbständigkeit erfreute, einen ausgebreiteten und nicht unwichtigen Wirkungskreis fand. Die Kreise des städtischen Patriziats erschlossen sich dem jungen vielversprechenden Mann, der sich in ihnen mancher Anregung und eines bis dahin ungekannten Lebensgenusses erfreute. Unter so günstigen Umständen eröffnete H. mit den »Fragmenten über die neuere deutsche Literatur« (Riga 1766–67), dem Schriftchen »Über Thomas Abbts Schriften. Der Torso von einem Denkmal, an seinem Grab errichtet« (das. 1768) und den »Kritischen Wäldern« (das. 1769) seine große literarische Laufbahn. Indem er darauf hinwies, daß die literarischen Erzeugnisse aller Nationen durch den besondern Genius der Volksart und Sprache bestimmt sind, und indem er die »kritische Betrachtungsweise Lessings durch seine eigne genetische ergänzte«, gewann H. seine selbständige Stellung in dem großen Kampf der Zeit. Die Angriffe gegen die seichte und verächtliche Clique der Klotzianer waren nur Konsequenzen seiner Anschauungen. Gleichwohl hatte sich H. Klotz und den Seinen gegenüber Blößen namentlich durch die Ableugnung der Autorschaft der »Kritischen Wälder« gegeben und ward, wie im spätern Leben noch oft, in ärgerliche Händel verwickelt, die ihm selbst das Behagen an seiner sonst so günstigen Stellung in Riga verleideten. Starker Reisedrang und das Verlangen, sich für eine künftige große Wirksamkeit (die er sich mehr als eine praktische, denn als eine literarische dachte) allseitig vorzubereiten, veranlaßten H., im Frühling 1769 seine Entlassung zu begehren, die man ihm gewährte in der Hoffnung, daß er zurückkehren werde. Im Juni d. J. trat er eine große Reise an, die ihn zunächst zu Schiff nach Nantes führte, von wo er im November nach Paris ging. Weil er sich rasch überzeugen mußte, daß es nicht möglich sein werde, mehrjährige Reisen nur mit Unterstützung seiner Freunde durchzuführen, war ihm der Antrag des fürstbischöflich lübeckischen Hofes in Eutin, den Erbprinzen Peter Friedrich Wilhelm als Reiseprediger zu begleiten, ganz willkommen. Anfang 1770 kam er nach Eutin und brach im Juni d. J. von dort mit dem Prinzen auf. Noch vor der Abreise hatte ihn ein Ruf des Grafen Wilhelm von Lippe in Bückeburg erreicht; gleich darauf lernte H. in Darmstadt seine nachmalige Gattin, Maria Karoline Flachsland (s. unten), kennen. Eine rasch gefaßte und erwiderte Neigung nährte in H. den Wunsch nach festen Lebensverhältnissen. Er folgte dem Prinzen nur bis Straßburg, begehrte vom eutinischen Hof seine (im Oktober gewährte) Entlassung, nahm die vom Grafen zur Lippe angetragene Stellung als Hauptprediger der kleinen Residenz Bückeburg und als Konsistorialrat an, blieb aber dann um einer (leider mißglückten) Augenoperation willen den Winter in Straßburg und knüpfte hier die freundschaftlichen Beziehungen zu dem um fünf Jahre jüngern Goethe an. Ende April 1771 trat H. seine neue Stellung in Bückeburg an. Sein Verhältnis zu dem Landesherrn des kleinen Ländchens, dem berühmten Feldherrn Grafen Wilhelm, ward bei aller Achtung, die der durch und durch soldatische und an keinen Widerspruch gewöhnte Fürst ihm zollte, kein erfreuliches. Auch als Graf Wilhelms Gemahlin, die liebenswürdige fromme Gräfin Maria, sich H. in herzlicher Verehrung anschloß, betrachtete dieser den Aufenthalt in Bückeburg als ein Exil. Doch wurden ihm diese Jahre durch die Liebe seiner im Mai 1773 heimgeführten Gattin und durch die reichen Ergebnisse seiner Studien verschönt. Die Zeit des Bückeburger Aufenthalts war für H. die eigentliche Sturm- und Drangperiode. Mit der geistvollen, von der Berliner Akademie preisgekrönten Abhandlung »Über den Ursprung der Sprache« (Berl. 1772), die er noch in Straßburg begonnen, den beiden Aufsätzen über »Of sian und die Lieder alter Völker« und über »Shakespeare« in den fliegenden Blättern »Von deutscher Art und Kunst« (Hamb. 1773; Neudruck von Lambel, Stuttg. 1893) und der Schrift »Ursache des gesunkenen Geschmacks bei den verschiedenen Völkern, da er geblühet«, trat er in den Mittelpunkt der Bewegung, die eine aus dem Leben stammende und auf das Leben wirkende, echte Natur atmende Dichtung wiedergewinnen wollte. Mit der Schrift »Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit« (o. O. [Riga] 1774) erklärte er der prahlerischen und öden Aufklärungsbildung des Jahrhunderts den Krieg. Rief schon diese Arbeit die entschiedensten Widersprüche, ja Herabsetzungen und Verlästerungen Herders hervor, so war dies in noch höherm Grade der Fall bei seinen theologischen und halbtheologischen Schriften, der »Ältesten Urkunde des Menschengeschlechts« (Riga 1774–76, 2 Tle.), den »Briefen zweener Brüder Jesu in unserm Kanon« (Lemgo 1775), den »Erläuterungen zum Neuen Testament, aus einer neueröffneten morgenländischen Quelle« (Riga 1775) und den 15 Provinzialblättern »An Prediger« (1774). Die Angriffe, die er erfuhr, veranlaßten ihn, seine schon zum Druck vorbereitete Sammlung der »Volkslieder« zurückzuhalten. Sie brachen ihm den Entschluß des Weiterwirkens nicht, aber sie steigerten eine hypochondrische Reizbarkeit und ein dämonisches Mißtrauen, die in Herders Seele früh erwacht waren. H. verhandelte eben wegen einer Berufung an die Universität Göttingen, als er durch Goethes freundschaftliche Bemühungen im Frühjahr 1776 als Generalsuperintendent, Mitglied des Oberkonsistoriums und erster Prediger an der Stadtkirche nach Weimar berufen wurde. Sein Weggehen von Bückeburg folgte dem Tode seiner Gönnerin, der Gräfin Maria, fast auf dem Fuß. Am 2. Okt. 1776 trat H., der besten Erwartungen und des besten Wissens voll, in Weimar ein. Obschon er hier die denkbar freundlichste Aufnahme fand, so blieben doch auch Mißhelligkeiten nicht aus. Da H. wahrzunehmen glaubte, daß in dem engern Kreise des Herzogs eine gründliche Gleichgültigkeit, ja verächtliche Geringschätzung gegen Kirche und Schule vorherrschte, vertrat er nicht nur, was sein gutes Recht war, deren Interessen aufs kräftigste und eifrigste, sondern setzte sich in Opposition gegen nahezu alle Meinungen, Richtungen und Neigungen jenes Kreises. Und so gewiß Weimar eine große Verbesserung Bückeburg gegenüber heißen durfte, so fühlte sich H. von der Kleinlichkeit und Enge auch vieler weimarischer Verhältnisse gedrückt. Dennoch wirkte die veränderte Lage günstig auf ihn, und seine literarische Produktivität nahm einen großen und immer gewaltigern Aufschwung. Der Läuterungsprozeß, durch den sich die hervorragendsten Repräsentanten des Sturmes und Dranges in die Hauptträger der deutschen klassischen Literatur verwandelten, nahm auch bei H. zu Ausgang der 1770er Jahre seinen Anfang. Die bedeutsame philosophische Abhandlung »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume« (Riga 1778), die »Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traum« (das. 1778) und die Herausgabe der »Lieder der Liebe« (Leipz. 1778) sowie der längst vorbereiteten »Volkslieder« (erst später von Johannes v. Müller »Stimmen der Völker in Liedern« betitelt, das. 1778–79) waren seine ersten von Weimar aus in die Welt gesandten Publikationen. Die von der Münchener Akademie preisgekrönte Abhandlung »Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten« (1778) galt einem neuen Nachweis, daß echte Poesie die Sprache der Sinne, erster mächtiger Eindrücke, der Phantasie und der Leidenschaft, daher die Wirkung der Sprache der Sinne allgemein und im höchsten Grade natürlich sei, eine Wahrheit, welche die mit umfassender Literaturkenntnis ausgewählten, lebendig nach- und anempfundenen, z. T. vorzüglich übersetzten »Volkslieder« eben weiten Kreisen zum Bewußtsein brachten.

Einen höchst glücklichen Einfluß auf Herders weitere geistige Entwickelung übte seit den ersten 1780er Jahren das wiederhergestellte innige Verhältnis Herders und seines Hauses zu Goethe. H. trat in den regsten Gedankenaustausch zu dem jüngern Freund, und während er seinen Weg unter dessen bewundernder Teilnahme weiter verfolgte, steigerte sich sein Gefühl für Schönheit und Klarheit des Vortrags, selbst sein poetisches Ausdrucksvermögen durch den reinen Formensinn Goethes. In ebendiesen 80er Jahren entstand beinahe alles, was Herders immer genialem Wirken durch innere Reise und äußere Vollendung bleibende Nachwirkung sicherte. Bezogen sich die »Briefe, das Studium der Theologie betreffend« (Weim. 1780–1781, 4 Tle.) und eine Reihe von vorzüglichen Predigten auf Herders Amt und nächsten Beruf, so leitete das große, leider unvollendet gebliebene Werk »Vom Geiste der Ebräischen Poesie« (Dessau 1782–83, 2 Tle.; hrsg. von Hoffmann, Gotha 1891) von der Theologie zur Poesie und Literatur hinüber. Aus der tiefsten Mitempfindung für die Naturgewalt, die Frömmigkeit und eigenartige Schönheit der hebräischen Dichtung wuchs ein Werk hervor, von dem Herders Biograph (R. Haym) mit Recht rühmt,-daß es »für Kunde und Verständnis des Orients Ähnliches geleistet wie Winckelmanns Schriften für das Kunststudium und die Archäologie«. 1785 aber begann H. die Herausgabe seines großen Hauptwerkes, der »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« (Riga 1784–91, 4 Bde.), die endliche Ausführung eines Lieblingsplans, die breitere Ausführung von Gedanken, die er längst in kleinern Schriften in die Welt gesandt hatte, und wiederum die energische Zusammenfassung alles dessen, was er über Natur und Menschenleben, die kosmische Bedeutung der Erde, über die Aufgabe des sie bewohnenden Menschen, »dessen einziger Daseinszweck auf Bildung der Humanität gerichtet ist, der alle niedrigen Bedürfnisse der Erde nur dienen und selbst zu ihr führen sollen«, was er über Sprachen und Sitten, über Religion und Poesie, über Wesen und Entwickelung der Künste und Wissenschaften, über Völkerbildungen u. historische Vorgänge gedacht und (wie seine Gegner erinnerten) geträumt hatte. Die Aufnahme des Werkes entsprach dessen großem Verdienst (vgl. Grundmann, Die geographischen und völkerkundlichen Quellen und Anschauungen in Herders. Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit', Berl. 1900). Gleichzeitig veröffentlichte H. die Sammlung seiner »Zerstreuten Blätter« (Gotha 1785–97, 6 Tle.), in der eine Reihe der schönsten Abhandlungen und poetischen Übersetzungen die Geistesfülle und sittliche Grazie des Schriftstellers in herzgewinnender Weise offenbarte. Seiner Verehrung für Spinoza, in der er sich mit Goethe eins fühlte, gab er Ausdruck in den Gesprächen, die er 1787 u. d. T. »Gott« veröffentlichte.

Einen großen Abschnitt in Herders Leben bildete die Reise, die er 1788–89 nach Italien unternahm. Freilich wirkten seine hypochondrische Reizbarkeit und mancherlei ungünstige Zufälle zusammen, ihn eigentlich nur in Neapel zum Vollgenuß dieser Reise kommen zu lassen; doch empfing er bedeutende und bleibende Eindrücke, die vielleicht noch günstigere Folgen gehabt hätten, wenn ihn nicht in Italien eine abermalige ehrenvolle und vielverheißende Berufung nach Göttingen erreicht und die schwere Frage des Gehens oder Bleibens in Weimar ihn während der Rückreise gequält hätte. Goethe, von der Erwägung ausgehend, daß der Freund dem Kathederärger in Göttingen noch weniger gewachsen sein werde als dem Hof- und Konsistorialärger in Weimar, wirkte für Herders Bleiben und konnte im Einverständnis mit dem Herzog Tilgung der Herderschen Schulden, Gehaltsverbesserungen und mancherlei tröstliche Verheißungen für die Zukunft bieten. H. ließ sich mit einem gewissen Widerwillen zum Bleiben bestimmen, und beide Freunde sollten dieser Entscheidung nur kurze Jahre froh werden. Herders Gesundheitszustand war bloß vorübergehend gebessert, körperliche Leiden brachen ihm Lebenslust und Arbeitskraft; der fünfte Teil der »Ideen« blieb ungeschrieben, und bereits die »Briefe zur Beförderung der Humanität« (Riga 1793–97, 10 Sammlungen) trugen die Farbe seines verdüsterten Geistes. Die materiellen Sorgen im Herderschen Hause hatten sich leider nur vorübergehend gemildert, und die nur halb gerechtfertigten Ansprüche, die H. und seine Gattin auf Grund der Abmachungen von 1789 erhoben, führten zu einem unheilbaren Bruch mit Goethe. H. hatte schon zuvor mit reizbarer Eifersucht die wachsende Intimität zwischen Goethe und Schiller betrachtet. So trat allmählich ein Zustand der Isolierung und kränklich verbitterten Beurteilung alles ihn umgebenden Lebens bei H. ein. Die geistigen Gegensätze, in denen er sich zur Philosophie Kants, zur klassischen Kunst Goethes und Schillers fand, verstärkte und verschärfte H. gewaltsam und ließ sie in seinen literarischen Arbeiten mehr und mehr hervortreten. Zwar gab er, sowie er auf neutralem Gebiet stand, auch jetzt noch Vorzügliches und Erfreuliches. Dem Unterrichtswesen widmete er fortwährend eine liebevolle Teilnahme, die besonders in seinen formvollendeten und inhaltreichen Schulreden zum Ausdruck kam. Seine »Terpsichore« (Lübeck) 795), die den vergessenen neulateinischen Dichter Jakob Balde wieder einführte, seine »Christlichen Schriften« (Riga 1796–99, 5 Sammlungen), in denen das unbeirrteste Gefühl für den eigentlichen Kern des Christentums den schönsten und maßvollsten Ausdruck fand, seine Aufsätze für Schillers »Horen« bewährten den alten Herderschen Geist. Aber voll grimmer Bitterkeit und dazu mit unzulänglichen Waffen bekämpfte H. in der »Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft« (Leipz. 1799, 2 Tle.) die Philosophie und in der »Kalligone« (das. 1800) die Ästhetik Nants, voll absichtlicher Verkennung und unwürdiger Lobpreisung des Abgelebten und Halben richtete seine »Adrastea« (das. 1801–03, 6 Tle.) alle ihre versteckten Spitzen gegen die lebendige, schönheitsfreudige Dichtung Goethes und Schillers. Nur die Qual eines Zustandes, der ihn tief niederdrückte, und in dem er sich selbst bald als »dürrer Baum und verlechzte Quelle«, bald als »Packesel und blindes Mühlenpferd« schilderte, konnte diese letzte verhängnisvolle Wendung seiner literarischen Tätigkeit entschuldigen. Letzte Erquickung bereitete ihm, dessen körperliche Kraft mehr und mehr erlag, die poetische Arbeit an seinen »Legenden«, an der Übertragung der Romanzen vom »Cid« (s. d., S. 149) und an den dramatischen Gedichten: »Der entfesselte Prometheus« und »Admetus' Haus«. Die Annahme eines vom Kurfürsten von Bayern 1802 ihm verliehenen Adelsdiploms bereitete H. schweren Ärger, und seine endliche Ernennung zum Präsidenten des Oberkonsistoriums (1801) kam zu spät, um ihm Lebensmut zurückzugeben. In den Sommern 1802 und 1803 suchte er Heilung in den Bädern von Aachen und am Egerbrunnen; im Herbst des letztgenannten Jahres erfolgte ein neuer heftiger Anfall seines unheilbaren Leberübels, dem er im Winter erlag. Sein Grabdenkmal in der Stadtkirche zu Weimar trägt die Aufschrift: »Licht, Liebe, Leben«; vor der Kirche wurde ihm 1850 ein ehernes Standbild (von Schaller) errichtet.

Mannigfach rätsel- und widerspruchsvoll, ungleicher in seinen Leistungen als seine großen Zeitgenossen, aber unvergleichlich reich, vielseitig, voll höchsten Schwunges und schärfster Einsicht, eine Fülle geistigen Lebens in sich tragend und um sich erweckend, steht H. in der deutschen Literatur. In der großen Umbildung des deutschen Lebens am Ende des 18. Jahrhunderts hat er mächtiger und entscheidender eingegriffen als einer, und die Spuren seines Geistes lassen sich in der Literatur im engern Sinn, in Fachwissenschaften und Spezialzweigen, die aus seinen Anregungen hervorgegangen sind, überall nachweisen. Die Forderung der »Humanität«, der Heranbildung und Läuterung zum vergöttlichten Menschlichen, ist der durchgehende Grundgedanke in der Vielheit und Mannigfaltigkeit seiner Schriften. Bei allen seinen Gaben war ihm die künstlerische Gestaltungskraft versagt, so daß er als Dichter nur in einzelnen glücklichen Momenten und auf dem Gebiete der didaktischen Poesie zu wirken vermochte. Die Verbindung seines eignen ethischen Pathos mit Stimmungen und Gefühlen, die ihm aus der Dichtung der verschiedensten Zeiten und Völker ausgingen, war nie ohne Reiz; sein Verdienst als poetischer Übersetzer, als Aneigner und Erläuterer fremden poetischen Volksgeistes kann kaum zu hoch angeschlagen werden Die große Zahl von Herders poetischen Übertragungen aus den verschiedensten Sprachen, ihre Auswahl und die Resultate, die H. jedesmal aus ihnen zog, haben einer allgemeinen, über die »Gelehrtengeschichte« der vorausgegangenen akademischen Perioden hinauswachsenden Literaturgeschichte den Boden bereitet. Neben den »Volksliedern«, dem »Cid«, den Epigrammen aus der griechischen Anthologie, den Lehrsprüchen aus Sadis »Rosengarten« und der ganzen Reihe andrer Dichtungen und poetischer Vorstellungen, die Herders anempfindender Geist für die deutsche Literatur gewann, stehen jene morgenländischen Erzählungen, jene Paramythien und Fabeln, die H. im Wiedererzählen benutzt, um Momente seiner eignen sittlichen Anschauung, seiner Humanitätslehre beizugesellen, und die hierdurch wie durch ihre Vortragsweise zu seinem geistigen Eigentum werden. Höher aber als der Dichter steht überall der Prosaiker H., der große Kulturhistoriker, Religionsphilosoph, der feinsinnige Ästhetiker, der produktive Kritiker, der glänzende Essayist, der gehaltreiche und in der Form anziehende Prediger und Redner. Es ist Herders eigenstes Mißgeschick gewesen, daß die großen Ergebnisse seines Erkennens und Strebens rasch zum Gemeingut der Bildung, seine Anschauungen zu Allgemeinanschauungen wurden, so daß es erst der historischen und kritischen Zurückweisung auf die Genialität, die seelische Tiefe und den verschwenderischen Gedankenreichtum der Herderschen Schriften bedurfte, um das größere Publikum zu ihnen zurückzuführen.

Herders »Sämtliche Werke« erschienen zuerst in einer von J. Georg Müller, Johannes v. Müller und Heyne unter Mitwirkung von Herders Witwe und Sohn veranstalteten Ausgabe (Cotta, Stuttg. 1805–20, 45 Bde.; Taschenausg. mit den Nachträgen, das. 1827–1830, 60 Bde., und 1852–54, 40 Bde.). Die Entfremdung des Publikums veranlaßte die »Ausgewählten Werke« in einem Band (Cotta, Stuttg. 1844), ferner »Ausgewählte Werke«, hrsg. von Ad. Stern (Leipz. 1881, 3 Bde.), die des Cottaschen Verlags (mit Einleitung von Lautenbacher, Stuttg. 1889, 6 Bde.) und die in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« (Stuttg. 1886 ff.); besonders gelungen ist die Auswahl der Werke in der gut kommentierten Ausgabe von Th. Matthias in der Klassikerbibliothek des Bibliographischen Instituts (Leipz. 1903, 5 Bde.). Vollständigkeit erstrebten die Ausgabe in der Hempelschen »Nationalbibliothek« (Berl. 1869–79, 24 Tle., mit Biographie von Düntzer) und die große kritische, von Suphan geleitete Ausgabe von »Herders sämtlichen Werken« (das. 1877–99, 32 Bde., wovon noch Bd. 14 fehlt). Auf Grund der letztern Ausgabe gaben Suphan und Redlich »Herders ausgewählte Werke« (Berl. 1884–1901, 5 Bde.) heraus. Eine ungekrönte Preisschrift Herders: »Denkmal Joh. Winckelmanns«, von 1778 veröffentlichte Alb. Duncker (Kassel 1882). Sammlungen von Briefen Herders veranstalteten Düntzer und Ferd. Gottfr. v. Herder in den Werken: »Aus Herders Nachlaß« (Frankf. 1856 bis 1857, 3 Bde.), »Herders Briefwechsel mit seiner Braut« (das. 1858), »Herders Reise nach Italien« (Gießen 1859) und »Von und an H.« (Leipz 1861–1862, 3 Bde.); O. Hoffmann gab Herders Briefwechsel mit Nicolai (Berl. 1887) und Herders Briefe an Hamann (das. 1889) heraus.

Von biographisch-kritischen Schriften über H. sind außer den von seiner Gattin gesammelten »Erinnerungen« (s. unten) und dem von seinem Sohn Emil Gottfried v. H. verfaßten »Lebensbild« (Erlang. 1846 bis 1847, 3 Bde.) zu erwähnen: Danz und Gruber, Charakteristik J. G. v. Herders (Leipz. 1805); ferner: H. Döring, Herders Leben (2. Aufl., Weim. 1829); »Weimarisches Herder-Album« (Jena 1845); Jegor v. Sivers, H. in Riga (Riga 1868) und Humanität und Nationalität, zum Andenken Herders (Berl. 1869); Joret, H. et la renaissance littéraireen Allemagne (Par. 1875); namentlich aber das biographische Hauptwerk: R. Haym, H. nach seinem Leben und seinen Werken (Berl. 1880–85, 2 Bde.), eine Meisterleistung streng sachlicher und zugleich liebevoller Lebensdarstellung und Beurteilung. Vgl. außerdem A. Werner, H. als Theologe (Berl. 1871); J. G. Müller, Aus dem Herderschen Hause, Aufzeichnungen 1780–1782 (hrsg. von J. Bächtold, das. 1881); Bärenbach, H. als Vorgänger Darwins und der modernen Naturphilosophie (Berl. 1877); Lehmann, H. in seiner Bedeutung für die Geographie (das. 1883); J. Böhme, H. und das Gymnasium (Hamb. 1890); Kühnemann, Herders Persönlichkeit in seiner Weltanschauung (Berl. 1893) und Herders Leben (Münch. 1894); Franke, H. und das Weimarische Gymnasium (Hamb. 1894); O. Hoffmann, Der Wortschatz des jungen H. (Berl. 1895); Bloch, H. als Ästhetiker (das. 1896); Tumarkin, H. und Kant (Bern 1890); Schaumkell, H. als Kulturhistoriker (Ludwigslust 1902); Genthe, Der Kulturbegriff bei H. (Jena 1902); Wiegand, H. in Straßburg, Bückeburg und in Weimar (Weim. 1903); Bürkner, H., sein Leben und Wirken (Berl. 1903).

Herders Gattin Maria Karoline, geborne Flachsland, geb. 28. Jan. 1750 zu Reichenweier im Elsaß, gest. 15. Sept. 1809 in Weimar, lebte nach ihres Vaters Tode bei ihrer Schwester in Darmstadt, wo sie H. kennen lernte, der sich 1773 mit ihr verheiratete. Nach Herders Tode ordnete sie dessen literarischen Nachlaß und schrieb: »Erinnerungen aus dem Leben Herders« (hrsg. von J. G. Müller, Stuttg. 1820, 2 Bde.; neue Ausg. 1830, 3 Bde.). Der älteste Sohn, Wilhelm Gottfried v. H., geb. 1774 in Bückeburg, studierte in Jena Medizin, ward 1800 Provinzialakkoucheur und 1805 Hofmedikus in Weimar, wo er 1806 starb. Er schrieb: »Zur Erweiterung der Geburtshilfe« (Leipz. 1803) und nahm teil an der Herausgabe der Werke seines Vaters. Der dritte und jüngste, Emil Gottfried v. H., war bis 1839 bei der Regierung für Schwaben und Neuburg tätig und starb als bayrischer Oberforst- und Regierungsrat 27. Febr. 1855 in Erlangen. Er gab in »Herders Lebensbild« (s. oben) eine liebevolle Darstellung des Lebens und Wirkens seines Vaters. Ein Enkel Herders, G. Th. Stichling, war weimarischer dirigierender Staatsminister und starb 22. Juni 1891.

Adrastea

Vorbemerkung des Herausgebers

Wie Herder in den »Briefen zu Beförderung der Humanität« eine Art Fortsetzung der »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« liefern wollte, in welcher er das Beste, was er in Herz und Seele trage, niederzulegen gedachte, so schließt sich die Adrastea unmittelbar an jene Briefe an, deren zehnte und letzte Sammlung zu Ostern 1797 erschien. Nach diesen, welche mit Christus als dem höchsten Lehrer wahrer Humanität endeten, wandte Herder sich der Ausarbeitung seiner »christlichen Schriften« zu, die er mit dem Buche: »Von Religion, Lehrmeinungen und Gebräuchen« vorläufig beschloß. Sodann aber rüstete er sich zu seinem großen Kampfe gegen Kant in seiner »Metakritik«. Noch war diese nicht ausgedruckt, als er auf den Rath seines Verlegers Hartknoch, der seinem eigenen Wunsche, wieder regelmäßig mit einem größern Leserkreise in Verbindung zu treten, entgegenkam, diesem vom nächsten Jahre ab eine Zeitschrift in Verlag zu geben versprach, welche das vergangene Jahrhundert darstellen, aber zugleich in mannichfachster Weise auf sittliche und geistige Bildung hinwirken sollte. »Mit 1800 gebe ich und Einige mit mir eine »Aurora« heraus,« schreibt er den 5. April 1799 an Gleim; »die Ankündigung, sobald sie gedruckt ist, sende ich Ihnen, Memnon, Sohn der Aurora, der von jedem ersten Strahl Aurorens tönt. Wünschen Sie ihr Glück auf ihrem leuchtenden Wege, daß sie nicht zu bald verschwinde!« Gegen Eichhorn gedenkt er seiner neuen Zeitschrift, deren Titel er nicht errathen werde, am 9. August. Im Briefwechsel mit Knebel findet sich die erste, freilich eine noch frühere voraussetzende Erwähnung der Zeitschrift schon im Briefe Herder's vom 6. Mai: »In unserer Aurora wollen wir uns rüsten, hie und da lieblich zu singen und es vor ihrem Angesicht gut zu machen auf Saiten. Denken Sie jeden Morgen an diese Aurora, wenn Sie nach Ihrer Weise singend erwachen und Sich wie eine Taube schmücken und baden!« Die »Ankündigung der Aurora«, die wir unten S. 811 bis 814 geben, ist am 20. Mai geschrieben. Herder hoffte auf Beiträge zu seiner Zeitschrift von Knebel, Jean Paul und dem Bergrath Einsiedel in Lumpzig. Knebel erwiderte am 23., er denke an »Aurora« und wünsche auch ihr gelegentlich ein Opfer zu bringen. »Daß Sie für die ›Aurora‹ sammeln, freut mich,« erwiderte Herder den 3. Juni; »mir ist sie noch nicht aufgegangen. Ich bin, wie Sie wissen, aus dem Klima der langen Nächte.« Es beschäftigte ihn damals die zweite ganz umzugestaltende Auflage seiner Gespräche über Gott; daneben waren seine Gedanken auf die Fortsetzung seines Kampfes gegen Kant in der »Kalligone« gewandt, mit welcher es aber wegen mancher Abhaltung und geistigen Mißstimmung nicht recht fortgehn wollte. Auf eine Anfrage von Gleim erwiderte er am 11. October: »Meine ›Aurora‹ geht mir mit dem Jahr 1801 auf, sonst käme sie ein Jahr zu früh; das wäre gegen den chronologischen und politischen Kalender.« Die Ankündigung der »Aurora« theilte er dem unterdessen nach Ilmenau gezogenen Einsiedel mit, der erst nach längerer Zeit erwiderte. Nach seiner prosaischen Vorstellungsart, meinte Dieser, sei dabei auf den willkürlichen Abschnitt des Jahrhunderts, der doch an sich keine Realität habe, zu viel Werth gelegt, um so mehr, da gerade der seltene Fall eintrete, daß mit dem Jahrhundert eine wirklich wichtige Epoche für die Menschheit einzutreten scheine, und möchte es auch nicht rathsam sein, Frankreich geradezu zu nennen, so wären doch die Aussicht zum Frieden und zu einer längeren Dauer desselben als bisher, die Fortschritte der physischen Wissenschaften, die Tendenz des menschlichen Geistes in mehreren Ländern, von den unnützen transscendentalen Untersuchungen zu realen überzugehn, auch vielleicht die durch den Krieg selbst hervorgebrachte Annäherung der Menschen als die Ursachen anzuführen, warum mit dem Jahrhundert eine neue Epoche eintrete. Hauptgegenstand der »Aurora« müsse das sein, was auf Erweiterung der Cultur Bezug habe; daß er gegen die Aufnahme von Gedichten, Märchen und dergleichen sei, habe er ihm schon früher mündlich erklärt, doch möchte es vielleicht nöthig sein, durch solche Dinge der neuen Zeitschrift Leser zu verschaffen. Nach Einsiedel legte Herder auch Jean Paul seine Ankündigung zur schriftlichen Aeußerung darüber vor, doch ist uns diese nicht erhalten. Nach Herder's Gattin wäre, als in Weimar die Kunde sich verbreitet, Herder gebe eine Monatsschrift heraus, laut und viel davon gesprochen worden, und es hätten sich von mehreren Seiten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angeboten. Da Herder gesehen, daß sein Plan auf diese Weise scheitern müsse, habe er denselben aufgegeben und dem Verleger Hartknoch erklärt, er sei nicht zum Redacteur eines Journals gemacht; auf dessen Bitten aber, ihm eine Zeitschrift in anderer Gestalt, etwa wie die »Briefe zu Beförderung der Humanität«, zu liefern, habe er dies mit Freundschaft für ihn und dessen verstorbenen Vater versprochen; sie habe eine Uebersicht des Merkwürdigsten des vergangenen Jahrhunderts liefern sollen. Diese Darstellung beruht auf ganz falscher Erinnerung. Was Herder von der »Aurora« abhielt, war die Ausführung seiner »Kalligone«, die im Mai 1800 erschien; hinter dieser war sie zurückgetreten, aber nichts weniger als aufgegeben. Den 31. Januar 1800 beschwört Herder's Gattin Knebel, Alles, was er dichte, ihr zu schicken; sie bewahre es in einer für die »Aurora« bestimmten Kommode. Als der Verleger im Frühjahr bei Herder einsprach, mahnte er an »Aurora«, die mit dem neuen Jahrhundert beginnen solle. »Senden Sie mir Alles in den »Aurora-Schatz«, bittet Herder's Gattin am 11. Juni Freund Knebel, den Herder Anfangs Mai in Ilmenau besucht hatte. »Es wird nun still daran gesammelt. Sprechen Sie mit Niemand davon! Es soll ein stiller, heiliger Bund sein und bleiben. Die Idee dazu ist durch Hartknoch's Gegenwart und Aufmunterung bei meinem Manne neu belebt und auferweckt. Auch Hartknoch's Existenz zu erleichtern, den Kaiser Paul bald um Haus und Hof zu bringen scheint, ist es ein gutes Werk. Sie wissen doch die letzte Ukase, daß ganz und gar kein Buch nach Rußland darf.« Das Werk sollte in vierteljährigen Heften erscheinen, von denen je zwei einen Band bildeten. Lange konnte Herder nicht zu einer anhaltenden Arbeit gelangen; er schrieb nur einzelne Beurtheilungen für die Erfurtischen Nachrichten. Am 10. September klagt er Knebel, er wohne noch in nichts. Erst gegen Ende des Jahres scheint er an die Arbeit gegangen zu sein, von welcher er nicht einmal Knebel und Gleim ein Wort sagte. Er hatte sich nun entschlossen, das Werk allein zu unternehmen, in welchem er die Politik und Bildung des vergangenen Jahrhunderts nach dem strengen Maßstabe des Rechts und der Sittlichkeit darzustellen gedachte, und in dieser Beziehung hatte er auch den Titel der neuen Zeitschrift geändert, welche »Adrastea« heißen und auf einem Titelbilde zwei Adrasteen, die der Wahrheit und Gerechtigkeit, zeigen sollte. Zur Aenderung des Titels hatte ihn wol der Umstand mit bestimmt, daß mittlerweile eine »Aurora, Deutschlands Töchtern gewidmet«, angekündigt worden war. Zunächst wollte er das Zeitalter Ludwig's XIV. in seiner geschichtlichen oder vielmehr menschlichen Bedeutung darstellen, dem dann das Zeitalter der Königin Anna sich anschließen sollte. Seine Gattin bemerkt, daß er hierzu mehr Bücher als zu irgend einem andern seiner Werke habe lesen müssen, was ihm bei seiner durch Amtsgeschäfte sehr beschränkten Zeit schwer gefallen. Als Knebel am 20. Januar 1801 Herder's Gattin einen Gruß an das neue Jahrhundert sandte, schrieb diese ihm, diese vier goldenen Zeilen sollten an die rechte Stelle bald kommen, womit sie wol an die Aufnahme in die Adrastea dachte, an deren Spitze jetzt drei Strophen Knebel's stehen, deren letzte wol jene »vier goldenen Zeilen« enthält.

Schon am 12. März sandte Herder's Gattin das erste Exemplar des ersten eben angekommenen Stückes der Adrastea an Knebel. Es enthielt außer der Darstellung des Zeitalters Ludwig's XIV. das allegorische Drama »Aeon und Aeonis« und die mit Benutzung von Jesaias gedichteten »Hoffnungen eines Sehers vor dreitausend Jahren«. Knebel's kleines Gedicht an das Jahr 1801 stand vor der Widmung. »Mein Mann hat keinen kleinen Gesichtspunkt, er hat einen großen zu wählen gesucht; sagen Sie, wie Sie es finden!« schrieb sie dabei. » Aeon und Aeonis lesen Sie nicht, als bis Sie alle die vorangehenden Stücke gelesen haben; aus diesen ist es erwachsen. In dem ersten und den nächstfolgenden Stücken sucht mein Mann noch eine Basis zu bereiten.« Letzteres hatte Herder auch vom Anfange seiner »Humanitätsbriefe« bemerkt. Hier wollte er zuerst die politische, sittliche und literarische Gestaltung Frankreichs und Englands in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zur Anschauung bringen, wobei er einen weitern Leserkreis vor Augen hatte, dem er ein rein menschliches, auf die sittliche Förderung gerichtetes Urtheil über diese großen, auf Deutschland mächtig wirkenden Völker zu vermitteln strebte. Knebel, der von Herder's Beschäftigung mit der französischen Geschichte nichts geahnt hatte, freute sich, daß Dieser einen geschichtlichen FGegenstand gewählt habe; nur so habe die Geschichte Frucht und Leben. Trefflich sei es, daß er gerade Ludwig XIV., dieses Musterbild aller spätern Fürsten, selbst Friedrich's des Großen, gewählt habe, »da der ganze Schwanz der Welt- und Hofleute, Gelehrten u. s. w. daran hänge«. Die Behandlung sei voll hohen Sinnes, reiner und feiner Bemerkungen und treffender Wahrheit und im Vortrage so anspruchslos. »Aeon und Aeonis«, ein treues Gemälde, bilde die Nutzanwendung der vorhergehenden politischen Fabel. Am Lehrreichsten und Kräftigsten fand er den Schluß (unten S. 89), daß die Louis auch in der andern Welt so sind und bleiben. Gleim hielt Sachen und Worte der Göttin würdig, und er wünschte, daß der herrliche Traum am Ende des herrlichen Buches: »Die Erde wird ein Paradies«, in Erfüllung gehn möge. Jean Paul war über diesen »letzten Band der Ideen zur Geschichte der Menschheit« erfreut. Unserer von historischer Kenntniß und humanen Ansichten zugleich abkommenden Zeit würden diese kenntniß- und grazienreichen Blätter Oel-, Rosen- und Stärkungsblätter sein. »Aeon«, besonders sein Sophokles-Oedipischer Tod, sei das, was Goethe's Casual-Aeon habe sein wollen. Die Greife der Vorrede zögen im poetischen Aether. AuchWielandsprach sich brieflich höchst anerkennend aus und ging gern auf den Wunsch von Herder's Gattin ein, daß sein Urtheil im »Merkur« abgedruckt würde. Dagegen meinteGoetheam 18. März, der Verfasser befinde sich wie im Fegfeuer zwischen der Empirie und der Abstraction, in einem sehr unbehaglichen Mittelzustande, und weder an Form noch an Inhalt gehe etwas über das Gewöhnliche hinaus. Noch schärfer urtheilteSchiller,der das Büchlein bitterbös fand; es ärgerte ihn »dieses erbärmliche Herausklauben der früheren und abgelebten Literatur, das nur den Zweck habe, die Gegenwart zu ignoriren oder hämische Vergleichungen anzustellen. Herder zeige sich hier unendlich trivial, schwach und hohl, und die Arbeit leide an Flüchtigkeit. In »Aeon und Aeonis« sei blos der aus Goethe's »Paläophron und Neoterpe« herübergenommene Gegensatz zweier Hauptfiguren mit begleitenden allegorischen Nebenfiguren gut, mit der eigenen Erfindung beginne die Pfuscherei; nirgends zeige sich eine feste Gestalt. Schiller ahnte, worauf das Ganze hinauslaufe, daß diese Adrastea die ganze neuere Kunstbildung, wie er sie mit Goethe angestrebt habe, als einen schädlichen Irrthum verwerfen und nur die auf sittliche Besserung gerichtete Dichtung anerkennen werde. Auch der Standpunkt, von welchem Herder die Geschichte betrachtete, schien ihm ein sehr beschränkter, da er nur von sittlicher Beurtheilung ausgehe und nicht der Macht der Persönlichkeit und dem großartigen Gegeneinanderwirken der leidenschaftlich sich bekämpfenden Kräfte ihr Recht zu Theil werden lasse. Und doch war Herder's Gesichtspunkt ein durchaus berechtigter, wenn auch dabei das dramatische Leben der Geschichte zu kurz kam. Herder durfte dem »großen« Ludwig den Spiegel der Wahrheit und des Rechtes entgegenhalten und auf die strenge Forderung des Volkes und der Menschheit an die Fürsten hindeuten, welche ihre Unterthanen nicht zum Spiel ihrer leidenschaftlichen Ehrsucht mißbrauchen sollen. Ist ja die Menschheit, ihre Vervollkommnung, ihr Glück der Angelpunkt jeder weltgeschichtlichen Betrachtung. Und Herder's tiefer Rechts- und schöner Menschensinn verleugnen sich hier nicht, wenn auch Manches flüchtig geschrieben ist und er keineswegs den Anspruch auf kunstmäßige Darstellung erheben kann. Zu einer solchen fehlten ihm vor Allem Ruhe und Muße, und doch würden wir es ihm Dank wissen, wenn er in gleicher Weise wie den Anfang des Jahrhunderts auch dessen Verlauf dargestellt hätte, wozu es freilich noch viel umfassenderer Studien bedurft hätte, die Herder's Sache nicht waren.

Schon am 15. Mai sandte Herder's Gattin das zweite Stück der Adrastea an Knebel, dem sie den Shaftesbury, Horaz und Swift, und was sonst Gutes darin sei, weihte. Es handelte bei Gelegenheit der Regierung Wilhelm's von Oranien und seiner Nachfolgerin von Locke, Shaftesbury, Addison, Swift, Pope und gab die Uebersetzung dreier Briefe des Horaz. Knebel war über seine Lieblingsbetrachtungen und seine Lieblingsdichter, die er hier fand, ganz entzückt, vor Allem aber erfreuten ihn die Uebersetzungen aus Horaz, die bis auf einige Ausglättungen ganz Horazisch gesagt seien, so völlig verschieden von Wieland's Uebersetzung. »Welcher liebliche Menschenduft!« schrieb er; »wie reich und milde ist die Seele unseres trefflichen Herder! Die Engländer sind trefflich geschildert und die Swiftischen Deutschen!«

Erst im Winter ging Herder an die Fortsetzung der Adrastea. Das dritte in der Mitte Februar 1802 erscheinende Stück enthielt »Früchte aus den sogenannt goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts«. Hier sprach Herder über die Geschichtschreiber, die Denkwürdigkeiten, Gedanken, Lehrgedichte, Märchen, Romane und Idyllen jener in den beiden ersten Stücken behandelten Zeit, an welche er den aus dem Wesen derselben genommenen Maßstab legte, freilich ohne den Gegenstand zu erschöpfen und auf ein gründlich eingehendes Studium jener Literaturzweige zu fußen; aber auch hier leuchtet Herder's feine Beobachtungsgabe und sein menschlich edler Sinn hervor. Eine Anzahl lehrhaft dichterischer Gaben bot eine freundliche Abwechslung. Horaz war durch zwei Stücke vertreten, und am Schlusse fanden sich drei neue Legenden. Auch von Knebel hatte er eine Anzahl ungedruckter Sprüche als »Blumen aus dem Garten eines Freundes« aufgenommen. Dieser Freund pries am 19. Februar mit näherm Eingehn auf das Einzelne diesen »Strauß von angenehmen, nützlichen, geistigen und gelehrten Erzeugungen«. Alles hatte ihn angesprochen. Die Erörterung der Fabel fand er wahr und trefflich, nur über Lafontaines Manier habe er sich eine andere Ansicht gebildet. Fast am Besten hatte ihm die Behandlung des Märchens gefallen, die an wahren, neuen und schönen Bemerkungen reich sei. Das Gedicht »Der Traum« begrüßte er als »eine holde Begeisterung voll zarter Tinten und feiner, beredter Gefühle«. Herder fühlte sich durch diesen aus der Seele fließenden Beifall wahrhaft gestärkt. »Mein Sinn und Plan war's,« schreibt er bei der Aeußerung seines Dankes, »bei jeder Dichtart die reine Idee zu fixiren (im vierten Stück werden Sie dies noch mehr sehen); denn sonst ist alle Kritik ein Hanswurstgefecht. Keinem Talent wird damit etwas entnommen; ich schone, wie und was ich kann.« Auf die genaue Unterscheidung der einzelnen Dichtarten als besonderer Kunstformen gingen ja auch Schiller und Goethe aus, aber Herder's Grundansichten des Wesens der Dichtung beruhten auf der sittlichen Wirkung; die feinsinnigen, von tiefem Kunstgefühl belebten Bemerkungen Schiller's ließ er zur Seite und blieb hartnäckig auf seinem Standpunkte stehn, von dem aus er freilich manche treffende Bemerkung machte. Ueber Lafontaine stimmte er Knebel ganz bei: Dieser gehöre eigentlich ins vorige Jahrhundert; nur beiläufig habe er von ihm, eigentlich von seinen Nachahmern und derarte fabulas dicendiin seiner mißbrauchten Manier, geredet. An Gleim schrieb Herder, als er ihm die beiden neuen Stücke der Adrastea anmeldete, diesmal sei es sein poetisches Testament, kleine Institutionen; die Pandekten der Poesie möge ein Anderer schreiben. Gleim fand hier Alles edel, hoch und erhaben. Nur seinem Wunsche, daß Jeder, weß Standes er sei, rein menschliche Denkwürdigkeiten schreiben solle, konnte er nicht beistimmen, indem er daran erinnerte, wie wenig Gutes Bahrdt, Semler, Brandes, Trenk u. A. damit gestiftet.

Gleich nach dem dritten erschien das vierte Stück, das den ersten Jahrgang schloß. Schon Anfangs Januar hatte er daran gearbeitet. Knebel dankte dafür bereits am 7. März. Voran ging der erste Gesang eines Gedichtes in Stanzen »Pygmalion, die wiederbelebte Kunst«, zu welchem ihn der Aufenthalt in Rom veranlaßt hatte. Daran schloß sich die Fortsetzung der »Früchte«, welche über Bilder, Allegorien, Personificationen, Tanz, Melodrama und Oper, das Drama und das Lustspiel handelte; den Schluß bildete die Uebersetzung der Einleitung und der ersten Satire des Persius unter der Ueberschrift: »Rom's goldnes Zeitalter der Dichtkunst unter Nero«, wol mit entschiedener Richtung gegen die neuern Dichter. Außerordentlich scharf und bitter war er diesmal gegen das neuere Drama vorgegangen, wozu ihn besonders der Aerger über A. W. Schlegel's »Ion« trieb, den Goethe auf das Theater gebracht hatte. Doch nahm er die gegen den »Ion« gerichteten Blätter (vgl. unten S. 737 ff.) vor dem Drucke zurück, weil er mit Goethe, welcher die Unterdrückung eines von Böttiger auf den »Ion« gerichteten Angriffes durchgesetzt hatte, nicht in Händel gerathen wollte. Knebel konnte auch diesmal des Lobes kein Ende finden. Die holden Stanzen »Pygmalion's« seien Gefühle und Bildungen von Herder's italienischer Welt, deren Grundlage desto mehr seinen Sinn getroffen habe, da er längst der Ueberzeugung sei, daß Alles, was Kunst heiße, seinen letzten Endzweck auf das Innere unseres Gemüths haben müsse. Die Behandlung der Allegorien fand er zart und schön, und auch im Folgenden stimme er darin ganz mit ihm überein, daß nur das Moralische das wahre Mittel sei, das Herz, das vor Allem getroffen werden müsse, zu heben; dieses sei die innere Stimme, auf welche die äußere Kunst anschlagen müsse. Vielseitig und trefflich habe er dies im Drama durchgesetzt. Fein, scharf und richtig sei das über das Lustspiel Bemerkte, vielleicht für Manche, die es treffe, zu stark. Auch Wieland, mit welchem Herder's Gattin über das vierte Stück der Adrastea sprach, konnte nicht leugnen, daß er einige Stellen gemäßigter gewünscht hätte; diese aber erwiderte: das Gemäßigte thue gar keine Wirkung mehr; ihres Mannes Metier sei es, auf Sittlichkeit zu halten, die jetzt so frech und gegen alle Regeln der Kunst auf dem Weimarer Theater verletzt werde, worin Wieland ihr beistimmte. Jean Paul sprach seinen Beifall über das dritte und vierte Stück der Adrastea zugleich am 18. März aus. »Aus der dritten ( Adrastea), die ich verliehen, entsinn' ich mich noch unter den poetischen Stücken des schönsten und wichtigsten Gedichts, das die Weiber je von Dichtern erhalten (»Adam's Traum«), und der zwei ersten Legenden. Die Abhandlung über die Fabel, die Allegorie, den Roman (als ein Widerschein des Traums) und über das Trauerspiel (besonders über das Schicksal) unterschreib' ich bewundernd. Die Oper der Oper ist köstlich und unerwartet, wie des Persius schweres Problem (eine gute Übersetzung) gelöst. Ueberhaupt scheinen die beiden letzten Adrasteen mit noch größerm Feuer und mit einer Kraft geschrieben, von der man sich eine größere Gesundheit verspräche, als leider, wie ich höre, blieb.« Freilich war Herder leidenschaftlich gespannt gewesen.

Auch der Anfang des zweiten Jahrgangs, das fünfte Stück, das erste des dritten Bandes, folgte rasch. Es begann, wie der erste Jahrgang, mit einem Gedichte von Knebel, dem »Lied der Hoffnung«, das Dieser am 4. Januar statt aller Neujahrswünsche geschickt hatte. »Sie erlauben es doch (oder es geschieht ohne Ihre Erlaubniß),« schrieb Herder's Gattin am 23. an Diesen, »daß das Hoffnungslied den zweiten Jahrgang der Adrastea anfange? Mein Mann hat eine innig große Freude daran wie ich.« An das Hoffnungslied schloß sich zunächst die Uebersetzung eines Gespräches über den größten Helden und den billigsten Gesetzgeber. Den Haupttheil des Stückes bildeten die »Ereignisse und Charaktere des vergangenen Jahrhunderts«, unter welcher Ueberschrift zunächst über die nordische Geschichte vom Anfang des Jahrhunderts gehandelt, Karl XII., August von Polen, Stanislaus I. und Peter der Große gezeichnet, sodann auf die »preußische Krone« als eine neue zukunftsvolle Macht hingedeutet wurde. Eine ausführliche Darstellung fand die umfang- und erfolgreiche Wirksamkeit des großen Leibniz. Als Zwischenspiel traten Uebersetzungen aus den lateinischen Gedichten des Thomas Campanella ein, bei denen der Name des Dichters vorläufig verschwiegen war; sie wurden unter der Ueberschrift »Prometheus aus seiner Kaukasushöhle« eingeführt. Sodann folgten als Fortsetzung der »Ereignisse« die »Säcularischen Hoffnungen« und eine Betrachtung der Wirkung der »Propaganda«. Den Schluß bildete Knebel's am 22. März gesandtes Gedicht » Adrastea«. Schon am 10. Mai dankt Knebel für das neue Werk von Herder's Geist und Fleiß. Er habe es mit reiner Freude durchlesen, und seit lange habe ihn keine Schrift mehr in sich beruhigt und zufrieden gestellt; es herrsche darin ein milder Geist der Ueberzeugung, der fest bestimmten Lehre. Mit den Helden nehme er es mit Recht nicht moralisch strenge, sondern lasse ihren Naturgaben ihr Recht angedeihen, wobei treffende Bemerkungen und Kenntnisse überall ausgestreut seien. In der »Krone Preußen« sei ihm der Gedanke, daß Brandenburg der natürliche Bundesgenosse Oestreichs sei, so simpel und natürlich er sei, besonders aufgefallen, da leider die östreichischen und preußischen Minister es nur darauf absähen, Haß und Eifersucht zwischen den Brudernationen immer mehr anzufachen. Am Meisten habe ihm der Abschnitt über Leibniz wohlgethan, diesen Urgeist, dessen Seele ganz in die Herder's übergegangen sei. Hier seien die wahren Erzstufen der Weisheit, aus denen sich das reine Gold läutern lasse. Diesen Aufsatz hatte Herder im Januar geschrieben, wo er dazu von Knebel eine Schrift über den Geist von Leibniz dringend forderte. Auch Gleim ward durch das neue Stück erquickt; nur wollte er nicht zugeben, daß Peter ein großer Mann gewesen; in seinem Tagebuch erscheine er nicht als ein selbstdenkendes, selbstthätiges Wesen, und sein Testament zeige ihn klein. Das sechste Stück kam noch vor Herder's Reise in das Aachener Bad zu Stande. Den Anfang bildeten elf Gedichte des »Prometheus aus seiner Kaukasushöhle«, mit einer »Nachschrift«, welche das Räthsel dieses Prometheus löste. Der Hauptinhalt des Stückes brachte die Behandlung der »Wissenschaften, Ereignisse und Charaktere des vergangenen Jahrhunderts«, eine etwas willkürliche Ueberschrift, in Anlehnung an die im vorigen Stücke gewählte. Hier wurde zunächst über die naturwissenschaftlichen Entdeckungen Newton's und Kepler's gehandelt, dann über Händel, das Oratorium und reine musicalische Wirkung, zuletzt über Swedenborg's Geistererscheinungen. Knebel's Hymnus an die Sonne zierte dieses Heft; den Schluß bildete ein Gedicht »Himmel und Hölle«, zum Theil nach Swift.

Erst im Winter konnte Herder zur Adrastea zurückkehren. Zu dieser schrieb er im November die dramatischen Scenen seines »Entfesselten Prometheus«, welche das Fortstreben des göttlichen Geistes im Menschen zur Aufweckung aller Kräfte dichterisch darstellen, im Gegensatz zu der im griechischen Mythus liegenden Härte. Herder war damals sehr verstimmt, auch mit dem Erfolge seiner Adrastea unzufrieden, die nirgendwo gelesen werde, worüber ihn Knebel beruhigen konnte, wenn auch freilich die große von Herder gehoffte Wirkung ausblieb, da er besonders in der Auffassung der Dichtung und Kunst mit dem Zeitgeiste in Widerspruch stand und auch in der äußern Form sich manches Auffallende gestattete, was die reine Wirkung trübte, wie geistvoll, anregend und tief gedacht auch Manches war. »Mit der Adrastea will es diesmal nicht recht flink gehen,« klagt Herder's Gattin am 25. Januar 1803. »Das Actenlesen und die hiesige Atmosphäre hat meinem Manne Muth, Freude, Augen und Leben geraubt. Gott helfe uns doch!« An den Augen hatte Herder schon längere Zeit gelitten, so daß bereits zum fünften Stücke ein größerer Druck gewählt werden mußte, damit er die Bogen vor dem Drucke durchgehen konnte. Knebel wünschte ihm zur Adrastea Muth und Munterkeit; gern möchte er darin etwas über das Verdienst der Missionäre lesen. Da Dieser den Anfang seiner Übersetzung des Lucrez in ein Taschenbuch geben wollte, schrieb Herder's Gattin ihm am 4. Februar: »Mit dem Lucrez hat mein Mann den Wunsch und die Idee, ob es nicht besser gethan sei, wenn dieser Anfang in die Adrastea käme.« Da diese doch immer in die Hand der besten Menschen komme und Lucrez nur von den Verständigern aufgenommen werden könne und müsse, nicht von den frivolen Lesern der Almanache, so solle das erste Stück der Adrastea 1803 mit diesem Dichter anfangen; jetzt werde noch am dritten und vierten Stück von 1802 gedruckt. Habe dieser Vorschlag seinen Beifall, so möge er den Lucrez etwa in vier Wochen senden. Schon am 6. März erhielt Knebel den Schluß des siebenten Stückes, das außer dem »Entfesselten Prometheus« Aufsätze über »Unternehmungen des vergangenen Jahrhunderts zu Beförderung eines geistigen Reiches« brachte. Die Christianisirung des chinesischen Reiches, die Republik der Jesuiten in Paraguay, das Christenthum in Grönland, Zinzendorf und die Bekehrung der Juden kamen hier in Herder's mildem Sinne zur Sprache. Dabei wurden ein Stück aus dem Tschong-Yong und acht Erzählungen aus den chinesischen »Exempeln der Tage«, ein Lied von Hallevi und zum Schlüsse »Jüdische Parabeln« mitgetheilt. Eine Stelle aus der Bhagavad-Gîtâ war einem der Gespräche über die Nationalreligionen einverleibt. Der reichste Beifall Knebel's lohnte auch diesmal den »guten Sucher und Vollender«. Gleim meinte, Herder sei ein Gott, aus der harten Mythe des Prometheus habe er eine so weiche gemacht wie die von Amor und Psyche. Am 12. April sandte Herder's Gattin das achte Stück diesem treuen Freunde und Verehrer. Dasselbe begann mit der Fortsetzung der chinesischen »Exempel der Tage«, dann folgte die Fortsetzung der im vorigen Stück abgebrochenen »Unternehmungen«, und zwar zunächst zwei Beilagen zu dem Artikel »Bekehrung der Juden«, zu dem sie freilich nicht recht passen; aber man sieht nicht, welche andere Beziehung diese beiden Mittheilungen von fester Ueberzeugungskraft haben sollten; daran schlossen sich bis Abschnitte über die Freidenker, Mandeville, die Freimaurer, Enthusiasmus und die Methodisten und endlich ein Rückblick auf die mancherlei Bemühungen des vorigen Jahrhunderts auf diesem Gebiete mit Vorschlägen, was zur Förderung der geistigen und moralischen Kräfte geschehen könne. Dazwischen kam Herder's »Bienenfabel« und ein Garten der Ehre aus den Minnesingern. Den Schluß bildete das Gedicht »Die Verhängnisse«, worin der Dichter die Zuversicht und Hoffnung aufruft, in des Redlichen Brust herabzusteigen und eine glückliche Zukunft zu schaffen. Auch diesmal dankte Knebel in zwei eingehenden Briefen vom 22. und 23. April. »Sie sagen Alles so vortrefflich, leicht und doch kräftig. Wenn ich nur eine Feder aus Ihrem Flügel hätte!« Das Ganze sei »eine herrliche Flora der fruchtreichsten Philologie, Moral und Philosophie«; überall schöpfe das Herz mit dem Verstande. Jean Paul's Dank für die beiden letzten Stücke der Adrastea verzögerte sich zufällig. Der Aufsatz über die Juden, schrieb er am 11. Mai, habe ihm und dem Herzoge von Meiningen durch seine feine, lustige, vielseitige Gewandtheit gefallen. Die »Flora- Melitta« und »Psyche« hätten eine indische Süßigkeit. In dem Aufsatze über die Freimaurer werde ein Schleier von einem Schleier abgezogen, und das Licht raube die poetische Schönheit den Mysterien nicht. Nur gegen die Bestimmung in der »Atlantis«, daß nur gelehrt werden dürfe, was der Staat und sein Tribunal der Verständigen billige, spricht er sich entschieden aus. Man bewundere, bemerkt er, die Gelehrsamkeit des Buches, weil man diese sonst nur in einem, nicht in so vielen Fächern gewohnt sei. Zuletzt spricht er den Wunsch aus, ein würdiges Denkmal von Herder's Lands- und Geistesverwandten Hamann in der Adrastea zu finden.

Gleich darauf erschien das neunte Stück, das erste des dritten Jahrganges und zugleich des fünften Bandes. Es begann mit dem zweiten Gesang des »Pygmalion«; am Schlusse standen die dreizehn ersten Romanzen der Geschichte des Cid, wie es hieß, »nach spanischen Romanzen«. Den bei Weitem größten Theil des Stückes nahmen die »Bemühungen des vergangenen Jahrhunderts um die Kritik« ein, in welchen demjenigen, was man früher Kritik genannt habe, auf sehr gezwungene Weise eine despotische kritische Philosophie des verflossenen Jahrhunderts entgegengesetzt und scharf abgefertigt ist, sodann Bentley, Baxter, Creech und Clarke behandelt werden; wobei wir als Beilagen bei Bentley ein Gespräch zwischen Kritik, Satire, Ironie und Sophron und eine Übersetzung der die Geschichte der Satire behandelnden Horazischen vierten Satire des ersten Buches, bei Baxter sieben Briefs über das Lesen des Horaz an einen jungen Freund, bei Creech den Anfang von Knebel's Übersetzung des Lucrez, bei Clarke eine Abhandlung über das Epos, seinen Unterschied von der Geschichte und der Tragödie erhalten. Das ist freilich eine wunderliche Compositionsweise, die bei Manchem Kopfschütteln erregen mußte. Knebel hatte auch an diesem Stücke »herrliche Freude«, besonders an dem »prächtigen« Cid.

Die Fortsetzung der Adrastea war dem Winter aufbehalten; mit dem zwölften Stücke, dem dritten Jahrgange, dachte Herder zu schließen, da ihn die Vollendung seines »Geistes der ebräischen Poesie«, der »Aeltesten Urkunde« und der »Persepolitanischen Briefe« lebhafter anzogen. Schon im October ging er an die Adrastea, da die beiden nächsten Stücke zu gleicher Zeit erscheinen sollten. Er hatte Knebel's Bericht über einen Besuch, den Dieser im Jahre 1780 dem Dichter Niklas Götz in Winterburg gemacht, aufzunehmen gedacht, aber da Diesem derselbe zu unbedeutend für eine so würdige und gehaltvolle Zeitschrift schien, schon darauf verzichtet, als der Freund sich noch durch Herder's Gattin bestimmen ließ, dazu seine Einwilligung zu geben. Freilich sei es ihm ehrenhafter und lieber, wenn Herder den Bericht als ein Actenstück zur Literatur unserer Dichtung aufnehme, aber er müsse hintenan stehen, etwa mit der Entschuldigung, daß es einen Mann betreffe, von dem schon einigemal die Rede gewesen sei. Herder's Gattin erwiderte: »Den Götz will mein Mann mit größtem Vergnügen in die Adrastea einrücken. Wenn Sie nur nicht so bescheiden wären! Diese Untugend hat nun verursacht, daß mein Mann ein anderes Arrangement mit dem jetzt folgenden Stück traf. Geht es noch, so kommt Götz hinein, wo nicht, so folgt er gleich. Beide Stücke kommen mit einander heraus.« Gleich darauf ward Herder von einem schlagartigen Anfall niedergeworfen; erholte er sich auch bald wieder von den Folgen und konnte von Zeit zu Zeit arbeiten, so fühlte er sich doch sehr leidend. Mit ganzer Seele hing er an der Vollendung der Adrastea; aber ehe er den Aufsatz »Zutritt der nordischen Mythologie zur neueren Dichtkunst« ganz vollenden konnte, ward er von Neuem auf das Krankenlager niedergeworfen, das er nicht mehr verlassen sollte. Noch hätte er gern die zwei folgenden Stücke der Zeitschrift vollendet, in welche er sein ganzes Bekenntniß legen wollte. Wahrscheinlich würde er hier auf das Schärfste gegen die neuere Richtung der Kunst aufgetreten sein, wie ja seine Aeußerungen gegen die neuere Balladenpoesie noch bitterer sind als seine frühern über das Drama. Das zehnte Stück war nur theilweise geordnet, als Herder am 18. December verschied. Es begann mit weiteren Proben des »Cid«, woran sich eine Fortsetzung der im vierten Stücke abgebrochenen »Früchte aus den sogenannt goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts« (die Artikel »Romanze«, »Volksgesang« und »Epopöe«) anschlossen; dazwischen waren Knebel's »Andenken an einen Besuch bei J. N. Götz«, ein Aufsatz: »Ist dem Volke so viel Kunstsinn als Sinn für Wahrheit und Ehrbarkeit nöthig?« und eine darauf bezügliche Aeußerung von Young eingeschoben. Den Schluß bildete die Abhandlung, welche Herder nicht hatte vollenden können. Aus den vorhandenen Papieren, von denen Manches für das nächste Stück bestimmt, Anderes auch für die Adrastea geschrieben war, Anderes in keiner Beziehung dazu gestanden [Wort unleserlich. Re], stellte Herder's ältester Sohn die zwei noch fehlenden Stücke zusammen.

Die Adrastea ist der letzte Ausläufer seiner auf die Entwicklung reiner Menschheit gerichteten Bestrebungen des edeln Mannes, der zuletzt im Widerstreite mit der großartigen Entwicklung der deutschen Philosophie und Dichtung stand und, indem er die sittliche Wirkung der Kunst und den reinen Menschenverstand als höchstes Ziel betrachtete, gegen die vollendete Kunstform und den Tiefsinn der Speculation gleich ungerecht ward. Sie hat die Zahl seiner Verehrer nicht vermehrt, wenn auch in Deutschland noch Viele auf die aus tiefer Ueberzeugung sprechende Stimme des für Menschenwürde begeisterten hochbegabten Geistes hörten, der so mächtig auf die Entwicklung unseres Volkes gewirkt hatte. Herder selbst hatte die Lust daran verloren; seine geschichtliche Betrachtung bezog sich nur auf den Anfang des Jahrhunderts, und auch mit der literarischen Beurtheilung wagte er sich nicht einmal in die Anfänge unserer neuern deutschen Literatur. So ist seine Adrastea ein Torso geblieben; gerade zur Darstellung der bedeutendsten Wendungen des vergangenen Jahrhunderts, besonders der Zeit, welche Herder selbst erlebt und mit gespanntester Theilnahme verfolgt hatte, war er nicht gelangt; doch ergiebt sich schon aus dem Grundbau, noch mehr aus den vertrauten Bekenntnissen in seinen Briefen, wie er diese dargestellt haben würde. Gegen sein Vaterland Preußen war Herder während seines ersten Aufschwunges mit dem bittersten Hasse erfüllt, da er in ihm den Sitz ärgster Unterjochung, den schlimmsten Feind der schwärmerisch von ihm ersehnten freien deutschen Einheit sah; für den Staat des Königs von Preußen schien ihm noch zur Zeit seiner Reise in Frankreich (1769) das einzige Heil, wenn er wieder zertheilt werde, wie das Reich des Pyrrhus, mit dem er so viel Ähnlichkeit habe. Aber in Weimar, dessen edler Fürst den Bestrebungen für deutsche Freiheit sich mit ganzer Seele zuwandte, sollte er bald die Ueberzeugung gewinnen, daß gerade in Preußen der mächtigste [Wort unleserlich. Re] zur Erreichung der deutschen Freiheit gegeben sei. Der Tod Friedrich's des Großen, dessen weit über die Macht [Wort unleserlich. Re] Persönlichkeit hinausreichende Bedeutung er jetzt nicht mehr [Wort unleserlich. Re], erregte auch in Herder die schönsten Erwartungen die am Anfange sich erfüllen zu wollen schienen. Da brach der große Brand in Frankreich aus, dem Herder anfangs als der Morgenröthe einer neuen Freiheit zujauchzte; ja, die Rücksichtslosigkeit, mit welcher er seine freien, gegen die Fürsten erbitterten Gesinnungen am Hofe selbst zu äußern und sich für die Männer des Umsturzes auch noch zu einer Zeit, wo Andere längst ernüchtert waren, zu erklären fortfuhr, überstieg alle Grenzen. Als aber nun die Vertreter der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sich als gierige Welteroberer entpuppten und das Dasein der deutschen Selbstständigkeit gefährdeten, da schauderte er vor den schrecklichen Zeiten zurück, in denen ihm nur die einzige Hoffnung blieb, daß die in der Geschichte waltende Vorsehung endlich wieder Alles ins Gleiche bringen und nicht die Humanität unterliegen lassen werde. Mit seiner Verzweiflung an den politischen Verhältnissen sollte leider am Ende des Jahrhunderts die Erbitterung über die verderblichen herrschenden Richtungen in deutscher Dichtung und Philosophie gleichen Schritt halten. Hatte er seinen Kampf gegen Kant und dessen Schüler in der Metakritik und Kalligone geführt, so trat er gegen die Dioskuren der Dichtung gerade in der Adrastea mit der schärfsten Leidenschaft auf, und auch sein Sohn unterdrückte bei der Nachlese derselben das Bitterste nicht, wozu der krankhaft erregte Vater gegen Diese sich hatte hinreißen lassen. Je mehr wir dies bedauern, um so erhebender wirkt die edle Ruhe, mit welcher Goethe und Schiller diesen Sturm auf ihre wohl gesicherte, freilich auch von anderer Seite bekämpfte und unterwühlte Stellung aufnahmen, und besonders war es Goethe, welcher diesen wüthenden Anfall des einst so innig ihm verbündeten Freundes, der ihn selbst noch aus dem Grabe heraus bekämpfen sollte, herzlich bedauerte.

Wir haben bei der Herausgabe nur das ausgeschieden, was an geeigneterer Stelle bereits in andern Bänden zum Abdruck gekommen ist. Auch Abschnitte, welche Herder aus den Schriften Anderer nahm, durften hier nicht weggelassen werden, sollte nicht der Charakter der Adrastea verwischt werden. Von demjenigen, was Knebel beisteuerte, haben wir blos dasjenige ausgesondert, was sonst bereits gedruckt ist, so daß eine einfache Hinweisung genügte. In der Ausgabe von Herder's »sämmtlichen Werken« war in Folge der Vertheilung derselben auf verschiedene Classen bei der Adrastea, wie bei den »Briefen zu Beförderung der Humanität«, eine höchst unglückliche Spaltung in zwei Theile nöthig geworden, da die geschichtlichen Darstellungen zu den Werken »Zur Philosophie und Geschichte« mit der dafür allein in Anspruch genommenen Bezeichnung »Adrastea« gezogen wurden, wogegen in der Abtheilung »Zur Literatur und Kunst« die übrigen, nicht bereits an andern Stellen abgedruckten Stücke unter der Bezeichnung »Früchte aus den sogenannt goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts« ihre Stelle fanden. In der »Nachlese«, den von Herder's Sohn zusammengestellten beiden Stücken, haben wir die ursprüngliche Folge beibehalten, während der Herausgeber der Werke hier willkürlich änderte. Auch sind wir diesem in der Aufnahme der beiden Aufsätze aus den Horen: »Homer und Ossian« und»Iduna, oder der Apfel der Verjüngung«, nicht gefolgt, haben dagegen zum Schlusse mit ihm die Ankündigung der Aurora gegeben, da drei zu dieser beabsichtigten Zeitschrift bestimmte Gespräche im letzten Stücke der Adrastea sich finden. Die den Schluß bildende Uebersetzung Knebel's aus Ossian durfte hier ebenso wenig stehn als die beiden ersten Theile des sonderbaren Gedichtes »Der Kampf« (aus dem elften Stücke) von einem ungenannten Verfasser. Schließlich haben wir eine ursprünglich für die Adrastea geschriebene Ausführung »Übersicht und Farben und Schall« gegeben, welche in der Ausgabe der Werke an ungehöriger Stelle eingefügt war.

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