Gedanken und Aphorismen - Johann Gottfried Herder - E-Book

Gedanken und Aphorismen E-Book

JOHANN GOTTFRIED HERDER

0,0

Beschreibung

Johann Gottfried Herder hatte einen wichtigen Anteil am Wandel des kulturellen Lebens der gebildeten Deutschen gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Seine Spuren sind unübersehbar in der Literatur, der Philosophie, der Theologie und der Geschichtswissenschaft. Herder trug Wesentliches zur Entwicklung der Sprachwissenschaft bei und war ein bedeutender literarischer Übersetzer. Sein ethisches Pathos verband er mit Stimmungen und Gefühlen aus der Dichtung verschiedener Zeiten und Völker, die er einem aufgeklärten Publikum durch Übertragungen ins Deutsche zugänglich machte. Seine Gedanken und Aphorismen sind auch heute noch eine lesenswerte Lektüre.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 78

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Johann Gottfried Herder

Gedanken und Aphorismen

Covergestaltung:Gospel B. Villagracia

1. AuflageISBN 978-621-8015-08-1© 2015 Alojado Publishing, PH 6109 Ilogwww.alojado-publishing.com

Inhalt

ERSTES KAPITEL - NaturZWEITES KAPITEL - MenschenbestimmungDRITTES KAPITEL - HumanitätVIERTES KAPITEL - Völker-NationalitätFÜNFTES KAPITEL - Das innere LebenSECHSTES KAPITEL - Das GuteSIEBTES KAPITEL - Das WahreACHTES KAPITEL - Das SchöneNEUNTES KAPITEL - Bildung. ErziehungZEHNTES KAPITEL - Gelehrsamkeit und MenschensinnELFTES KAPITEL - Literatur

ERSTES KAPITELNatur

Schon Hippokrates nannte die menschliche Natur einen lebendigen Kreis, und das ist sie. Ein Wagen Gottes, Auge um und um voll Windes und lebendiger Räder. Man muß sich also vor nichts so sehr als vor dem einseitigen Zerstückeln und Zerlegen hüten. Wasser allein tut nichts und die liebe kalte spekulierende Vernunft wird dir deinen Willen eher lähmen, als dir Willen, Triebfedern, Gefühl geben. Wie sollte es in deine Vernunft kommen, wenn nicht durch Empfindung? Würde der Kopf denken, wenn dein Herz nicht schlüge? Aber Gegenteils, willst du auf jedes Pochen und Wallen deines Herzens, auf jeden Nachhall einer gereizten Fiber als auf die Stimme Gottes merken - und ihr blindlings folgen: wo kannst du hingeraten? da alsdann dein Verstand zu spät kommt. Kurz, folge der Natur! sei kein Polype ohne Kopf und keine Steinbüste ohne Herz; laß den Strom deines Lebens frisch in deiner Brust schlagen, aber auch zum feinen Mark deines Verstandes hinaufgeläutert, und da Lebensgeist werden.

*

Wenn wir der Natur einen Zweck auf der Erde geben wollen, so kann solcher nichts sein als eine Entwicklung ihrer Kräfte in allen Gestalten, Gattungen und Arten. Diese Evolutionen gehen langsam, oft unbemerkt fort und meistens erscheinen sie periodisch. Auf die Nacht des Schlafes folgt der Morgen des Erwachens; unter dem Schatten jener hatte die Natur Kräfte gesammelt, diesem, dem Morgen, munter zu begegnen. In den Lebensaltern der Menschen dauert die Kindheit lange; langsam wächst Körper und Geist, bis mit zusammengenommenen Kräften die Blume der Jugend hervorbricht und die Frucht späterer Jahre allmählich reifet. Sehr unrecht hat man diese Perioden der Entwicklung Revolutionen genannt; hier revolviert sich nichts, aber entwickelt (evolviert) werden die Kräfte. Immer kommen verborgenere, tiefer liegende zum Vorschein, die ohne manche vorhergehende nicht tätig werden konnten.

Deswegen machte die Natur Perioden; sie ließ dem Geschöpfe Zeit, von einer überstandenen Anstrengung sich zu erholen, um eine andere noch schwerere fröhlich anzufangen und zu vollenden; denn ohne Zweifel sind, wenn das Gewächs die Blume hervortreibt, oder sich in ihr die Frucht bildet, innigere, feinere Kräfte regsam, als da der Saft in den Stengel trat, und sich die untersten Blätter an ihm erzeugten. Nicht eher verläßt die Natur, dem ordentlichen Laufe nach, ihr Geschöpf, als bis alle physischen Kräfte desselben in Anwendung gebracht, das Innerste gleichsam herausgekehrt, und die Entwicklung, der bei jedem Schritte eine gütige Epigenese beitritt, so vollendet ist, als sie unter gegebenen Umständen vollendet werden konnte.

*

Der Mensch ist zwar das erste, aber nicht das einzige Geschöpf der Erde; er beherrscht die Welt, ist aber nicht das Universum. Also stehen ihm oft die Elemente der Natur entgegen, daher er mit ihnen kämpfet. Das Feuer zerstört seine Werke, Überschwemmungen bedecken sein Land; Stürme zertrümmern seine Schiffe, Krankheiten morden sein Geschlecht. All dies ist ihm in den Weg gelegt, damit er's überwinde. — Er hat dazu die Waffen in sich. Seine Klugheit hat Tiere bezwungen und gebraucht sie zu seiner Absicht; seine Vorsicht setzt dem Feuer Grenzen und zwingt den Sturm, ihm zu dienen. Den Fluten setzt er Wälle entgegen, und geht auf ihren Wogen daher; den Krankheiten und dem verheerenden Tode selbst sucht und weiß er zu steuern.

Zu seinen besten Gütern ist der Mensch durch Unfälle gelangt, und tausend Entdeckungen wären ihm verborgen geblieben, hätte sie die Not nicht erfunden, sie ist das Gewicht ein der Uhr, das alle Räder derselben treibt.

Ein Gleiches ist's mit den Stürmen in unserer Brust, den Leidenschaften der Menschen. — Alle Laster und Fehler unseres Geschlechts müssen dem Ganzen endlich zum Besten gereichen. Alles Elend, das aus Leidenschaften, Vorurteilen, Trägheit und Unwissenheit entspringt, kann den Menschen seine Sphäre nur mehr kennen lehren. Alle Ausschweifungen rechts und links stoßen ihn am Ende auf seinen Mittelpunkt zurück.

*

Die Natur scheint bei der unendlichen Varietät, die sie liebt, alle Lebendigen unserer Erde nach einem Haupt-Plasma der Organisation gebildet zu haben . . . Ein Geschöpf erklärt das andere . . . Der Mensch ist die ausgearbeitete Form, in der sich die Züge aller Gattungen sammeln . . . Die Fiber, den Muskel, den Nerv bewegt eine Kraft. Es mögen viele Medien in der Natur sein, von denen wir nichts wissen, weil wir kein Organ dazu haben . . . Jedes Geschöpf hat seine Welt.

*

Wer ein Maß von Wichtigkeit, wer ein Weltall in der Seele trägt, dem wird unmöglich jedes Kümmel- und Staubkorn ewige Welt der Beschäftigung sein können.

*

Siehe die ganze Natur, betrachte die große Analogie der Schöpfung: Alles fühlt sich und seinesgleichen, Leben wallet zu Leben. Jede Saite bebt ihren Ton; jede Fiber verwebt sich mit ihrer Gespielin, Tier fühlt mit Tier, warum sollte nicht Mensch mit Menschen fühlen? Nur er ist Bild Gottes, ein Auszug und Verwalter der Schöpfung: also schlafen in ihm tausend Kräfte, Reize und Gefühle; es muß also in ihnen Ordnung herrschen; daß alle aufwachen und angewandt werden können, daß er Sensorium seines Gottes in allem Lebenden der Schöpfung, nach dem Maße es ihm verwandt ist, werde, — Dies edle allgemeine Gefühl wird also eben durch das, was es ist, Erkenntnis, die edelste Kenntnis Gottes und seiner Nebengeschöpfe durch Wirksamkeit und Liebe. Selbstgefühl soll nur die Conditio sine qua non, der Klumpe bleiben, der uns auf der Stelle festhält, nicht Zweck, sondern Mittel. Aber notwendiges Mittel, denn es ist und bleibt wahr, daß wir unsern Nächsten nur wie uns selbst lieben. Sind wir uns untreu, wie werden wir andern treu sein? Im Grad der Tiefe unseres Selbstgefühls liegt auch der Grad des Mitgefühls mit andern; denn nur uns selbst können wir in andere gleichsam hineinfühlen.

*

Die Materie ist eine ewige Lüge, d.h. ein Phänomenon von lauter Kräften, geistigen wirksamen Kräften, die in ihrer Existenz bezirkt gehindert sind, und durch positive Kräfte und Bahnen, deren Ursachen außer ihnen liegen, bestimmt werden. Wer weiß, was die Kraft der Schwere, der Union Eins ist? von welchem Grade geistiger Kraft sie für uns das Phänomen sei? Wir sehen indes immer, daß sie nach Stolz, d. i. ewig fortgesetztem Streben und Drücken ihrer Kraft in gerader Linie wirke, und daß der Schöpfer ihr nur nach positiven Regeln eines höhern Plans, eines Ganzen, von dem sie nichts weiß, gewisse äußere Mittelpunkte des Anziehens gesetzt habe, die die Kraft ihres Stolzes, jener geradfortlaufenden Bewegung schwächen, und eben damit einen Sonnenplan voll höherer Weisheit und Güte, Körpern und Substanzen voll tieferen Lebens und Genusses bilden müssen. Die Kontrarietät des Menschen, scheint mir also, in dem ganzen Weltbau verbreitet überall zwei Kräfte, die sich einander entgegengesetzt doch zusammen wirken müssen, und wo nur aus der Kombination und gemäßigten Wirkung beider das höhere Resultat einer weisen Güte, Ordnung, Bildung, Organisation, Leben wird. Alles Leben entspringt auf solche Weise aus Tod, aus dem Tode niedriger Leben, alle Organisation aus Zerstörung und Verwandlung geringerer Kräfte, alles Ganze der Ordnung und des Plans aus Licht und Schatten, aus divergenten, sich einander entgegengesetzten Kräften, wo das höhere positive Gesetz, das beide einschränkt und aufhebt, eben allein χοσμνο, Welt, Plan, Ganzes, höheres Wohl, gemeinschaftliche Glückseligkeit beginnet und anstimmt. Mathematik, Physik, Chemie, Physiologie lebender Wesen sind, dünkt mich, hier überall Zeugen.

*

Siehe das ganze Weltall von Himmel zu Erde - was ist Mittel? was ist Zweck? nicht alles Mittel zu Millionen Zwecken? nicht alles Zweck von Millionen Mitteln? Tausendfach die Kette der allmächtigen allweisen Güte, in- und durcheinander geschlungen; aber jedes Glied in der Kette an seinem Ort Glied — hängt an der Kette, und siehet nicht, wo endlich die Kette hange. Jedes fühlt sich im Wahne als Mittelpunkt, fühlt alles im Wahne um sich nur so fern, als es Strahlen auf diesen Punkt, oder Wellen geußt, schöner Wahn! Die große Kreislinie aber aller dieser Wellen, Strahlen und scheinbaren Mittelpunkte - wo? wer? wozu?

*

Abgrund, worin ich von allen Seiten verloren stehe! sehe ein großes Werk ohne Namen, und überall voll Namen! voll Stimmen und Kräfte! Ich fühle mich nicht an dem Orte, wo die Harmonie aller dieser Stimmen in ein Ohr tönt, aber was ich hier an meinem Orte von verkürztem, verwirrenden Schalle höre, so viel weiß und höre ich gewiß, hat auch etwas Harmonisches! tönt auch zu Lobgesang im Ohre dessen, für den Raum und Zeit nichts sind. — Menschenohr, weilet wenige Augenblicke, höret auch nur wenige Töne, oft nur ein verdrießliches Stimmen von Mißtönen; denn es kam dieses Ohr eben zur Zeit des Stimmens und traf unglücklicherweise vielleicht in den Wirbelwind eines Winkels. Der aufgeklärte Mensch der späteren Zeit, Allhörer nicht bloß will er sein, sondern selbst der letzte Summenton aller Töne. Spiegel der Allvergangenheit, und Repräsentant des Zweckes der Komposition in allen Szenen! - das altkluge Kind lästert; ei, wenn es vielleicht gar nur Nachhall des letzten übriggebliebenen Sterbelautes wäre, oder ein Teil des Stimmens.

*