Adrenalin pur - Gunnar Küster - E-Book
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Gunnar Küster

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Beschreibung

Seit mehr als 30 Jahren ist Gunnar Küster als Retter in Weiß im Einsatz, zunächst im Rettungsamt Berlin (Ost), dann bei der Berliner Feuerwehr. In Erinnung gebleiben sind viele lustige, skurrile, kaum glaubhafte Geschichten, aber auch die traurigen, schicksalsträchtigen, dramatischen Einsätze werden geschildert, oftmals liegen Lachen und Weinen dicht beieinander. Es wird ein weiter Bogen gespannt, er reicht vom 17.Juni 1989, dem Tag des Flugzeugunglückes in Berlin-Schönefeld, bis zur Corona-Epidemie, von kapriziösen Patienten unter Drogeneinfluss bis zu tieftraurigen Menschen in seelischer Not, von der ersten Geburt bis zu älteren Patienten, deren größte Last die Einsamkeit ist, von tapferen Kindern bis zu hochmotivierten Auszubildenden, von den Schwierigkeiten der Kommunikation im Einsatz bis zum Dilemma des Rettungsdienstes selbst. Und spielt auch für einen Ungläubigen Jesus Christus eine Rolle in der Notfallmedizin?

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Gunnar Küster

Adrenalin pur

Vom Alltag im Rettungsdienst

Abläufe, Örtlichkeiten, Personennamen und ähnliches wurden verändert, um die Identität von Patienten nicht recherchierbar zu machen.

Ich verwende größtenteils die Form des generischen Maskulinums, damit sind Personen sämtlicher Geschlechter gemeint.

Vorwort

Gefühlt jeder Zweite, der im Rettungsdienst arbeitet, sagt mindestens einmal am Ende eines Dienstes, ich muss unbedingt ein Buch schreiben. Gott sei Dank machen es dann nur wenige.

Ich denke, meine Erlebnisse decken sich so ziemlich genau mit dem, was andere in diesem Beruf erleben. Man erinnert sich an viele lustige, skurrile, kaum glaubhafte Geschichten, und um an die traurigen, schicksalsträchtigen, dramatischen Einsätze in seiner Erinnerung zu gelangen, muss man schon etwas graben, zumeist sind sie ein Stück weit verdrängt. 1987 begann meine Tätigkeit im Krankentransport des Rettungsamtes in Ostberlin, seit 1991 bin ich auf einem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr unterwegs, nach der Ausbildung zum Krankenpfleger bildete ich mich zunächst zum Rettungsassistenten, später zum Notfallsanitäter weiter.

Aus der Vielzahl der Einsätze dieser Jahre passende für dieses Buch heraus zu filtern, war gar nicht so einfach, wie ich zunächst annahm. Denn in ähnlichen Büchern von Kollegen missfiel mir, wenn sie sich als die einzig wahren Helden darstellten. Einsätze, die den Eindruck erwecken, dass ein anderer bloßgestellt wird, wollte ich also schon einmal ausschließen.

Wenn beispielsweise dem Notfallsanitäter oder dem Rettungsassistenten eine Intubation oder ein venöser Zugang gelingt, nachdem der Notarzt zuvor zwei Fehlversuche macht, so ist dies ja eigentlich keine riesige Leistung, der als Zweiter oder Dritter am Patient Agierende hat es immer deutlich leichter, da er ohne den Erfolgsdruck seines Egos arbeiten kann. Trifft er die Luftröhre nicht, hat der Patient halt schlechte anatomische Voraussetzungen, liegt der Tubus richtig, ist er der Held. So wie der Torwart beim Elfmeterschießen. Geht der Schuss ins Tor, nimmt man es ihm nicht übel, hält er den Ball, wird er gefeiert. Er hat nichts zu verlieren. In den Jahren haben meine Kollegen und ich auch bemerkt, dass oftmals derjenige, der nicht direkt am Patienten arbeitet, also die Situation mit etwas Abstand sieht, die bessere Idee hat. Die Komplexität von medizinischen Notfällen, die Dramatik, der Zeitdruck, erfordern einfach mehr als zwei denkende Augen. Ich möchte da den Vortrag von Dr. Bernhard Saneke „Warum Flugzeuge abstürzen und Unternehmen versagen“ empfehlen.

Jesus Christus - Am Anfang steht das Ende

In gut 30 Jahren Rettungsdiensttätigkeit wird man häufig mit Schwerverletzten, mit tragischen Schicksalen, mit dem Tod und mit dem Kummer der Angehörigen konfrontiert. Irgendwie findet jeder seinen eigenen Weg, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Der bei Notärzten, Notfallsanitätern und Rettungsassistenten häufig anzutreffende schwarze Humor ist sicherlich eine Art, um die Geschehnisse nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Ich erinnere mich noch immer an einen älteren Kollegen, der einen abgetrennten Schädel, der Patient hatte sich in suizidaler Absicht vor einen Zug geworfen, nach seiner Krankenkasse befragte. Dieser Einsatz ereignete sich am Anfang meiner Dienstzeit, und ich war als junger Mitarbeiter noch entsetzt über die scheinbare Gefühllosigkeit. Heute weiß ich, dass der Kollege sich auf diese Weise lediglich einen Abstand versuchte zu bewahren.

Ich habe Glück gehabt. Das Glück, bereits in meiner ersten medizinischen Ausbildung eine Dozentin hören zu dürfen, die mir eine verblüffend wirksame Art des Umgangs mit dem Tod nahebrachte.

An der Schule für Gesundheitsberufe in Berlin-Buch erlernte ich Ende der achtziger Jahre den Beruf des Krankenpflegers. Damals war diese Ausbildung die einzige Möglichkeit zu einer Qualifizierung. Ausschließliche Rettungsdienst-Berufe gab es in der DDR nicht.

Ein Seminar zur Pflege sterbenskranker Patienten hielt eine ältere Dozentin, die zuvor als Oberschwester im Karl-Marx-Hospital in Managua (Nicaragua), einem Solidaritätsobjekt der DDR, gearbeitet hatte. Daher war uns Auszubildenden klar, dass ihre politische Gesinnung sehr regimekonform sein musste. Umso mehr überraschte uns ihr Unterricht.

Man kann eine kleine Kerze aufstellen am Bett des Patienten, sagte sie uns, und man kann dem Sterbenden den Namen Jesus Christus zuflüstern. Trägt er diesen Namen auf den Lippen, so wird er Einlass im Himmelreich finden, auch wenn er sein Leben nicht im Glauben verbracht hat. Wir sahen uns verblüfft an, sie bemerkte unsere Verwirrung und fuhr fort, dass ja auch die Kommunisten nicht wissen könnten, wer am Ende Recht haben wird. Aber vor allem findet man auf diese Art und Weise einen persönlichen Abstand, man übergibt die Verantwortung an eine höhere Instanz.

Obwohl ich nicht gläubig bin, ist mir der Name Jesus Christus in den vielen Jahren häufig über die Lippen gekommen, und ich weiß, geholfen hat es zuallererst mir selbst.

Der lange Weg hinauf

"Er ist ganz steif. Aber er sieht aus wie das blühende Leben."

Wie das blühende Leben. Ich frage mich, wie kommt der 17-Jähriger Anrufer, der uns vor dem Hauseingang erwartet, auf so eine Formulierung.

Es ist ein sonniger Vormittag im Nordosten von Berlin. Ein Plattenbau, oder ein Neubaublock, wie man früher in der DDR sagte. Es sind fünf Etagen ohne Fahrstuhl, genug Zeit, um im Kopf die Informationen einzuordnen. Die Alarmierung erfolgte zu einer „Hilflosen Person“, eine Allerweltsalarmierung am Anfang der 2000er, in den folgenden Jahren werden die Stichwörter deutlich präziser werden.

Aber mir reichen schon drei Wörter des jungen Mannes, um zu ahnen, was uns erwarten könnte. Steif, blühendes Leben. Oder war es die Erinnerung, dass vor einigen Wochen gewarnt wurde vor einer Suizidmethode, die vielleicht von England nach Deutschland schwappen wird. Einfach einen kleinen Holzkohlegrill in einen fensterlosen Raum stellen, anzünden, fertig. Sicher und schmerzlos.

„Er ist mein Freund, er sitzt auf´m Klo.“

Luft anhalten, alle Türen zum Badezimmer auf, einen Blick auf den bereits steifen Körper, zurück ins Wohnzimmer, Fenster auf, einatmen. CO-Warngeräte wird die Feuerwehr erst in den folgenden Jahren auf allen Rettungswagen verlasten.

Polizei und Notfallseelsorge nachalarmieren.

Ansonsten haben wir heute keine wirklichen Notfälle. Wie an anderen Tagen und Nächten auch. Sagt einer zu mir, also Deinen Job könnte ich nicht machen, das ganze Blut, dann erwidere ich immer, Blut sehe ich meistens nur, wenn der Patient von uns einen venösen Zugang bekommt. Es sind die Leute, die alleine sind und in sich zu lang hinein hören, es sind die, die nicht mehr die Kraft haben zum Arzt zu gehen, oder die keinen Facharzttermin bekommen, und von uns ins Krankenhaus gebracht werden wollen, in der Hoffnung, so die Warteschlange in der Notaufnahme zu umgehen. Am späten Abend Betrunkene, die glauben, genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um eine Entziehungskur zu beginnen. Zwischen zwei und drei am Morgen die Damen in den 60ern, denen ihr Blutdruck von 160 zu 100 so dramatisch erscheint, dass der Hausarzt später nicht helfen könnte, zumal der ja noch nie die wirkliche Ursache gefunden hat.

Nach einem 12 Stundendienst ist die beste Therapie, mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren. Okay, es sind nur 11 Kilometer, aber immerhin. Der Kopf wird frei. Nehme ich mal das Auto, weil es regnet, oder weil Schnee liegt, sitze dann am Abendbrottisch und berichte vom Dienst, sagt meine Frau „Komm erstmal runter!“ Obwohl ich gar nicht viel erzähle. Finde ich. Die meisten Einsätze habe ich schon vergessen, bevor ich Daheim angekommen bin. Verdrängt.

Aber heute weiß ich, auch nach 30 Minuten Radfahrt, dieses Gesicht wird mich noch lange verfolgen.

An der Häuserwand

Wer über viele Jahre hinweg im Rettungsdienst tätig ist, merkt irgendwann, dass die Zeit physisch dann doch so ihre Spuren hinterlässt. Langsam kommen dann auch erste psychische Defizite. Und da man darauf getrimmt ist, immer alles möglichst schnell in Angriff zu nehmen, übersieht man schon mal den deutlich einfacheren Weg.

Das führt dann eben auch mal zu komisch anmutenden Situationen.

Wir wurden an einem Vormittag zu einem Patienten gerufen, der eine Wohnung im Hochparterre bewohnte.

Der Einsatz liegt schon sehr weit zurück, es muss Mitte der 90er Jahre gewesen sein. Damals erhielt man noch keinen Ausdruck mit detaillierten Einsatzinformationen wie Alter, Geschlecht und Beschwerden.

Wir wussten lediglich, dass es sich um eine „hilflose Person“ handeln soll.

Doch leider öffnete uns auf unser Klingeln hin keiner die Hauseingangstür. Doch just in diesem Moment trat eine junge Frau aus dem Mietshaus, und sie konnte uns berichten, dass die Wohnung im unteren Geschoss von einem älteren, sehr ordentlichen Herrn bewohnt wird.

Also vermutlich kein böswilliger Anrufer.

Das war zu jener Zeit noch recht häufig, heute verfügen die Leitstellen in der Regel über die technische Möglichkeit, auch unterdrückte Rufnummern sichtbar zu machen. Das reduziert doch deutlich die Lust mancher Leute, mal eben ein Blaulichtfahrzeug in ihrer Straße herum irren zu sehen.

Glücklicherweise war ein Fenster nur angelehnt, und da ich mit knapp 2 Metern auch nicht gerade klein bin, zu jener Zeit auch sportlich noch gut beieinander war (man beachte die verschiedenen Zeitformen), konnte ich mich ohne große Mühe an der Hauswand nach oben ziehen und einen Blick durch das Fenster werfen.

Durch die Küche hindurch schauend, erblickte ich die ausgestreckten Beine einer Person in der Horizontalen im Flur liegen. Also schnell meinem Kollegen Bescheid gesagt, dass er einen Notarzt nachalarmieren, und dann alles, was wir so brauchen, mitbringen soll. Unterdessen schwang ich mich mit einem kräftigen Ruck durch das aufgestoßene Fenster, und eilte zu dem Patienten.

Kein Grund zur Sorge, auf den ersten Blick hin verfügte der Herr über gute Lebenszeichen, der Puls war kräftig und etwas zu schnell, die Atmung ging gut, vielleicht auch ein wenig zu fix, die Haut war rosig und die Pupillen waren nicht zu beanstanden.

Plötzlich hörte ich ein Schaben an der Häuserwand.

Dann ein Plumpsen.

Dann wieder ein Schaben, verbunden mit keuchenden Geräuschen.

Also schau ich doch mal nach, dachte ich mir.

Beladen mit unserem ganzen Equipment (Defibrillator, Rettungsrucksack, Absaugpumpe und Sauerstoffflasche), versuchte mein ca. 1,65m großer, 55 Jahre alter Kollege das Fenster im Hochparterre zu erklimmen. Ein schöner Anblick.

„Wenn Du mich lieb bittest, würde ich Dir vielleicht auch die Tür öffnen!“

Wir konnten uns noch oft freudig an diesen Einsatz erinnern, denn der ältere Herr war bald wieder bei guter Gesundheit, mit einer Glucose-Injektion war sein hypoglykämischen Schock (Unterzuckerung) rasch überwunden.

Die Boulevardpresse

Der Einsatz, den ich nun schildern möchte, endete leider sehr tragisch. Trotzdem möchte ich davon berichten, weil mir dieser Tag auch die Erfahrung brachte, dass selbst die Boulevardpresse nicht so sensationslüstern ist, wie es ihr Ruf besagt.

Es war ein ruhiger Abend. Langsam dämmerte der Tag dahin. Und ein vermutlich psychisch verwirrter Mann schoss mit einer Pistole vom Balkon seiner Wohnung in der 6. Etage aus auf den Gehweg. Ein Großaufgebot der Polizei hatte den Bereich bereits weiträumig abgesperrt.

Da sich laut Aussagen anderer Bewohner des Mietshauses unter Umständen auch ein Kind in den Wohnräumen befinden könnte, entschied sich die Einsatzleitung der Polizei, die Wohnung durch das SEK stürmen zu lassen.

Als der Schütze die Vorbereitungen der Einsatzkräfte bemerkte, begann er, sich aus Bettwäsche eine Leine zum Abseilen zu bauen. Das Aufbauen eines Sprungpolsters zur Absturzsicherung durch die Feuerwehr war nicht möglich, da vereinzelt noch Schüsse fielen.

Wir beobachteten das Geschehen aus sicherer Entfernung, waren per Handfunkgerät mit den anderen Einsatzkräften verbunden, es wurde zunehmend dunkle Nacht, aber wir erkannten, dass das provisorische Seil bereits von der 6. bis zur 4. Etage reichte.

Als dann endlich das SEK die Eingangstür mit einer Ramme öffnete und die Wohnung erstürmte, schwang sich der Mann über die Brüstung seines Balkons und versuchte sich abzuseilen. Aber das Seil war doch viel zu kurz! Und es hielt auch nur bis zur 5. Etage, dann riss es, und er stürzte ca. 15m in die Tiefe und schlug auf dem Gehweg auf.

Wir eilten sofort zur Unfallstelle, und der erste Basis Check ergab, dass der Patient trotz der Aufprallverletzungen noch lebte. Allerdings wurden seine Lebenszeichen zunehmend schwächer, bis sie schließlich ganz versiegten, und da er von außen betrachtet keine mit Leben unvereinbaren Verletzung aufwies, entschieden wir uns zu Reanimationsmaßnahmen.

Plötzlich wurde die dunkle Nacht um uns herum beinahe taghell. Mehrere Kameras der Presse hatten sich um uns gruppiert. Ich schaute mich böse um, aber sofort versicherte mir einer der Journalisten, dass er und seine Kollegen keinen Aufnahmen machen werden, sie wollten uns lediglich mit dem Licht ihrer Geräte die Arbeit erleichtern.

Und tatsächlich, am nächsten Morgen fanden sich in allen Tageszeitungen nur Bilder, die aus großer Entfernung aufgenommen wurden. Respekt für diese selbstlose Entscheidung, uns zu helfen und die Würde eines Menschen auch in seiner letzten Stunde zu wahren.

Die Wiederbelebungsmaßnahmen waren erfolglos.

In der Pistole befand sich Schreckschussmunition.

In der Wohnung befand sich kein Kind.

Feyenoord Rotterdam

Apropos Respekt. Apropos Vorurteile.

Im November 2021 traf der Berliner Fußballverein Union im Europapokal auf Feyenoord Rotterdam. Schon beim Hinspiel in den Niederlanden gab es Krawalle der Fans auf beiden Seiten, zwischen den gewaltbereiten Anhängern beider Vereine besteht wohl seit langem eine Fehde.

Für das zweite Spiel in Berlin befürchtete man schon schlimme Ausschreitungen, beispielsweise schon am Vorabend des Spiels besprühten Fans aus Rotterdam die Berliner East Side Gallery mit dem Schriftzug „FEYENOORD“.

Am Nachmittag des Spieltages wurden wir zu einem U-Bahnhof im Zentrum der Stadt gerufen, Alarmierungsstichwort „Gestürzte Person im öffentlichen Raum“.

Auf dem Bahnsteig fanden wir liegend einen männlichen Patienten Mitte 60 vor, ein Passant, der sich als Arzt vorstellte, konnte uns in wenigen Worten sehr präzise die Unfallsituation schildern, bei einer Notbremsung der U-Bahn war der Patient gestürzt, es gab keinen Schädelanprall, er nimmt keine Antikoagulanzien*, er war nicht bewusstlos, er kann sich an alles erinnern, er konnte sofort unter Hilfe wieder aufstehen, klagte aber über Schmerzen im linken Kniegelenk, und nach dem Aussteigen aus der Bahn wurde ihm schwarz vor Augen, und er musste sich hinlegen. Also ein ganz alltäglicher Einsatz.

Da wir mit einem Auszubildenden unterwegs waren, hatten wir genügend „Manpower“, so schickte ich einen Kollegen wieder zurück zum RTW, um unsere Trage zu holen. In der Zwischenzeit überprüfte der Auszubildende die Vitalparameter des Patienten, alle Werte waren im grünen Bereich, und ich führte einen kurzen Bodycheck durch, um eventuelle andere Verletzungen neben dem Knietrauma auszuschließen.

Dabei fiel mir auf, dass der Patient von Zeit zu Zeit heftig mit den Augen zitterte, dachte natürlich sofort an einen Nystagmus**, und wollte gerade nachfragen, ob dieses Symptom bei ihm bekannt ist.

Auf U-Bahnhöfen ist es aber ohnehin immer recht laut, und das Tragen einer Maske in Zeiten der Corona-Epidemie erschwert die Kommunikation noch zusätzlich, und nun wurde der Bahnsteig auch noch von ca. 50 lautstark grölenden Feyenoord-Fans überflutet, man verstand sein eigenes Wort nicht mehr.

Ein neurologisches Defizit, und darauf deutete das Augenzittern hin, ist jedoch gerade im Anschluss eines Sturzes besonders ernst zu nehmen, und ich überlegte gerade, wie ich die Befragung sicher weiter führen könne, da traf mein Blick einen der holländischen Fans, ich signalisierte ihm kurz mit dem Zeigen des Fingers auf die Maske, dass wir Ruhe bräuchten, glaubte aber nicht an einen Erfolg, aber weit gefehlt, er machte in Richtung seiner niederländischen Mitreisenden eine deutliche Ansage, und sofort trat absolute Ruhe ein. Respekt!

Anschließend halfen uns auch noch 3 Fans dabei, den Patienten auf unsere Trage zu heben, und die Gruppe spendete uns beim Betreten des Fahrstuhls noch einen Beifall. Noch einmal Respekt für diese Geste!

Dem Patienten war übrigens das Zittern der Augen in Stresssituationen bekannt, im Krankenhaus konnte später lediglich eine Prellung des Kniegelenks festgestellt werden.

*Antikoagulanzien

Medikamente, die die Bildung von Blutgerinnseln verhindern, sie dienen der Verhinderung von Schlaganfällen, Herzinfarkten und anderen Gefäßverschlüssen, führen aber beispielsweise bei Unfällen zu einem erhöhten Blutungsrisiko, insbesondere gefährlich bei Stürzen auf den Schädel, daher sollte bei jedem Unfall eine Abfrage bezüglich der Einnahme solcher Medikamente erfolgen.

** Nystagmus

unkontrollierbare Pendelbewegung der Augen, umgangssprachlich als Augenzittern bezeichnet, häufig sind die Ursachen unklar, eine erbliche Komponente ist möglich, es kann aber auch durch ein Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst werden, und ist daher gerade nach Stürzen besonders ernst zu nehmen

Wenn Sie schon mal da sind

Nein, man empfindet nix, wenn man bei einer weiblichen Patientin die Elektroden für ein EKG bei entblößten Oberkörper anbringen muss. Natürlich kann ich da nur für mich sprechen, aber vermutlich werden auch alle anderen so empfinden, viel zu sehr ist man konzentriert auf das Notfallgeschehen, ist man gedanklich schon im Abfragebaum für ein Akutes Koronarsyndrom*, hat schon ein halbes Auge auf den Monitor gerichtet, um so schnell wie möglich eine ST-Streckenhebung** zu erkennen.

Es war später Nachmittag, Bernhard, mein langjähriger Kollege, und ich waren zu Gast bei einer jungen Frau, Anfang 30, sehr freundlich, sie wirkte gut gelaunt und eigentlich ganz lustig drauf.

---ENDE DER LESEPROBE---