After I Do - Taylor Jenkins Reid - E-Book

After I Do E-Book

Taylor Jenkins Reid

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Beschreibung

Bist du bereit, für die Liebe zu kämpfen?  Als die Ehe von Lauren und Ryan auf der Kippe steht, schmieden sie einen unkonventionellen Plan. Sie beschließen, sich ein Jahr Auszeit zu nehmen in der Hoffnung, einen Weg zu finden, sich wieder ineinander zu verlieben. Es gibt nur eine Regel: Sie dürfen in diesem Jahr keinen Kontakt zueinander haben. Abgesehen davon ist alles erlaubt. Lauren zieht zurück zu ihrer Familie und beginnt zu hinterfragen, was sie eigentlich will: Wenn man Romantik ohne Treue und Bindung ohne Ehe haben kann, wenn Liebe und Lust nicht mehr miteinander verbunden sind, was ist einem dann noch wichtig? Wofür ist man bereit zu kämpfen? Ein umwerfender Roman über die Liebe: darüber, sie zu ergreifen, zu halten und sich ihr mit allem, was man hat zu verschreiben. Diese romantische Liebesgeschichte ist unter dem Titel Zwei auf Umwegen 2017 bei Diana erschienen. 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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After I Do

TAYLOR JENKINS REID ist die internationale Bestsellerautorin u.a. von Die sieben Männer der Evelyn Hugo, Daisy Jones & The Six, Malibu Rising und Carrie Soto is Back. Ihre Romane sind millionenfach gelesen, in über zwanzig Sprachen übersetzt, verfilmt und stürmen zahlreiche Bestsellerlisten. Taylor Jenkins Reid lebt mit ihrer Familie in Los Angeles.

Von Taylor Jenkins Reid sind in unserem Haus außerdem erschienen: 

Daisy Jones & The Six Die sieben Männer der Evelyn Hugo Carrie Soto is Back Malibu RisingForever,InterruptedMaybe In Another Life

»Erderschűtternd! Sie werden sich fűr diese epische Liebesgeschichte begeistern.« COSMOPOLITAN Als die Ehe von Lauren und Ryan auf der Kippe steht, schmieden sie einen unkonventionellen Plan. Sie beschließen, sich ein Jahr Auszeit zu nehmen in der Hoffnung, einen Weg zu finden, sich wieder ineinander zu verlieben. Lauren zieht zurück zu ihrer Familie und beginnt sich zu fragen, was sie eigentlich will: Wenn man Romantik ohne Treue und Bindung ohne Ehe haben kann, wenn Liebe und Lust nicht miteinander verbunden sind, was ist einem dann wichtig? Wofür ist man bereit zu kämpfen?Ein umwerfender Roman über die Liebe: darüber, sie zu ergreifen, sie zu halten und sich ihr mit allem, was man hat, zu verschreiben.

Taylor Jenkins Reid

After I Do

Roman

Aus dem Englischen von Babette Schröder

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2025© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2025

©2014 by Taylor Jenkins Reid Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel After I Do bei Washington Square Press.

Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildungen: getty images / © Riska; Farbspiel: © FinePic®, München

Foto der Autorin: © Michael Buckner

E-Book Konvertierung pepyrusISBN 978-3-8437-3532-2

Dieses Buch ist 2015 unter dem Titel Zwei auf Umwegen bei Diana, München, erschienen.

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

TEIL EINS    Wohin entschwindet das Gute?

Wir befinden uns …

Elfeinhalb Jahre zuvor

Elf Jahre zuvor

Neuneinhalb Jahre zuvor

Etwas mehr als neun Jahre zuvor

Siebeneinhalb Jahre zuvor

Etwas mehr als sechs Jahre zuvor

Sechs Jahre zuvor

Drei Jahre zuvor

Zwei Jahre zuvor

Eineinhalb Jahre zuvor

Ein Jahr zuvor

Sechs Monate zuvor

Vier Monate zuvor

Drei Monate zuvor

Sechs Wochen zuvor

Letzte Woche

Jetzt, gerade eben

Ryan muss spät …

Ich habe ›Paarberatung‹ …

Die meisten von Ryans Sachen …

TEIL ZWEI    Novemberregen

Du musst mir einfach …

Am Sonntagabend um sieben …

Am Montagmorgen …

Eines späten Abends …

Na, Herzchen …

Die nächsten Wochen …

Am Abend …

Ich wache von der Haustürklingel …

Das Essen ist angebrannt …

In den folgenden Tagen …

Auf einer Skala …

An diesem Abend …

Danach hört Ryan …

TEIL DREI    So ist das mit der Liebe

Es ist ein Sonntagmorgen …

Am Montag …

Am nächsten Morgen …

Samstagmorgen …

David hat Petersilie …

Am Abend vor seiner …

Kannst du mir …

Frohe Weihnachten …

Den Rest des Weihnachtsabends …

Später ruft Großmutter …

Ich finde, wir …

Im Januar helfe ich …

TEIL VIER    Meistens

Rachel, Mom und ich …

Auf meinem Schreibtisch …

Am Morgen kommt …

Lieber Ryan,

Willst du mich …

Liebe Lauren,

Natalie trägt ein Maxikleid …

David liegt quer …

Als ich ins Büro …

Rachel, Klopfer und ich …

Am Freitagnachmittag …

Liebe Lauren,

Ich habe mich mit David …

Als ich nach Hause …

Lieber Ryan,

TEIL FÜNF    Du bist einmalig

Der Flug war angenehm …

Langsam stehen Ryan und ich …

Es stellt sich heraus …

Jonathan Louis Spencer kommt …

Es gibt eine Beerdigung …

Als Ryan und ich schließlich …

Einen Monat später findet …

Es ist zehn Uhr abends …

An einem Mittwochabend …

Anhang

Dank

Leseprobe: Atmosphere

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

TEIL EINS    Wohin entschwindet das Gute?

TEIL EINS    Wohin entschwindet das Gute?

   

Wir befinden uns auf dem Parkplatz des Dodger-Stadions, und Ryan hat wieder einmal vergessen, wo wir den Wagen abgestellt haben. Wiederholt erkläre ich, dass er in Bereich C steht, doch Ryan glaubt mir nicht.

»Nein«, widerspricht er zum zehnten Mal. »Ich erinnere mich genau, dass ich beim Reinfahren rechts abgebogen bin, nicht links.«

Es ist unglaublich dunkel hier, der Weg vor uns wird nur von wenigen Straßenlaternen beleuchtet, die wie überdimensionale Baseballs wirken. Ich habe auf das Schild gesehen, als wir geparkt haben.

»Du täuschst dich«, erwidere ich gereizt und mit schneidender Stimme. Das dauert alles schon viel zu lange, und ich hasse das Durcheinander im Dodger-Stadion. Wenigstens ist es ein warmer Sommerabend, dafür sollte ich dankbar sein. Doch um zehn Uhr abends strömen auch die übrigen Fans von den Tribünen. Seit ungefähr zwanzig Minuten kämpfen wir uns durch ein Meer aus blau-weißen Trikots.

»Ich täusche mich nicht«, entgegnet er, läuft voran und dreht sich beim Reden noch nicht einmal zu mir um. »Du bist diejenige mit dem schlechten Gedächtnis.«

»Ach, na klar«, höhne ich. »Nur weil ich heute Morgen meine Schlüssel verloren habe, bin ich plötzlich eine Idiotin?«

Er dreht sich zu mir um, und ich nutze den Augenblick, um ihn einzuholen. Der Parkplatz ist hügelig und steil. Ich bin langsam.

»Ja, Lauren, genau das habe ich gesagt. Ich habe ganz bestimmt gesagt, dass du eine Idiotin bist.«

»Im Grunde schon. Du hast gesagt, du wüsstest, wovon du sprichst, als wüsste ich es nicht.«

»Hilf mir doch einfach, den verdammten Wagen zu finden, damit wir nach Hause fahren können.«

Ich sage nichts mehr und folge ihm, während er sich immer weiter von Bereich C entfernt. Es ist mir ein Rätsel, warum er überhaupt nach Hause will. Zu Hause wird es kein bisschen besser sein. Seit fünf Monaten geht das schon so.

Er schlägt einen großen Bogen und läuft die Hügel des Parkplatzes hinauf und hinunter. Ich gehe dicht hinter ihm, warte mit ihm an den Fußgängerüberwegen und überquere sie in seinem Tempo. Wir sagen nichts. Wie gern würde ich ihn anschreien. Wie gern hätte ich ihn auch gestern Abend angeschrien. Vermutlich werde ich ihn auch morgen anschreien wollen. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm ähnlich geht. Und dennoch herrscht zwischen uns absolute Stille, keiner von uns unterbricht sie, indem er seine Gedanken ausspricht. In letzter Zeit werden jeder Abend und jedes Wochenende von einer enormen Anspannung bestimmt, die nur nachlässt, wenn wir uns voneinander verabschieden oder uns eine gute Nacht wünschen.

Nachdem der erste Besucherschwung den Parkplatz verlassen hat, können wir leichter feststellen, wo wir uns befinden und wo wir geparkt haben.

»Da ist es«, bemerkt Ryan, ohne sich die Mühe zu geben, in die Richtung zu deuten. Ich wende den Kopf und folge seinem Blick. Da steht er. Unser kleiner schwarzer Honda.

Mitten in Bereich C.

Ich lächele ihn an. Aber es ist kein freundliches Lächeln. Er lächelt zurück. Und auch er sieht dabei nicht freundlich aus.

Elfeinhalb Jahre zuvor

Es war in der Mitte meines zweiten Jahres auf dem College. Im ersten Jahr war ich ziemlich einsam gewesen. Die UCLA nahm mich nicht so herzlich auf, wie ich es mir bei meiner Bewerbung dort vorgestellt hatte. Es fiel mir schwer, Leute kennenzulernen. Oft fuhr ich am Wochenende nach Hause, um meine Familie zu besuchen. Na ja, eigentlich fuhr ich hin, um meine jüngere Schwester Rachel zu sehen. Meine Mom und mein kleiner Bruder Charlie interessierten mich weniger. Mit Rachel konnte ich über alles reden. Sie fehlte mir, wenn ich allein im Speisesaal aß, und das war häufiger der Fall, als ich zugeben mochte.

Mit neunzehn war ich wesentlich schüchterner, als ich es mit siebzehn gewesen war. In der Highschool war ich beliebt gewesen, ich hatte als Klassenbeste abgeschlossen und fast einen Krampf in der Hand bekommen, so viele Jahrbücher musste ich signieren. In meinem ersten Jahr auf dem College fragte meine Mutter mich immer wieder, ob ich wechseln wollte. Es sei durchaus in Ordnung, sich woanders umzusehen, betonte sie, aber ich wollte nicht. Der Unterricht gefiel mir. »Ich habe mich nur noch nicht richtig eingelebt«, sagte ich jedes Mal, wenn sie mich fragte. »Aber das wird schon noch.«

Es gelang mir, als ich einen Job in der Poststelle annahm. In den meisten Nächten arbeiteten dort außer mir nur noch ein oder zwei andere Leute, eine Konstellation, in der ich aufblühte. Bei kleinen Gruppen war ich gut. Ich glänzte, wenn ich mich nicht anstrengen musste, gehört zu werden. Und während ich ein paar Monate lang Schichten in der Poststelle schob, lernte ich eine Menge Leute kennen. Einige von ihnen mochte ich sehr. Und einige mochten mich auch. Als wir uns in jenem Jahr für die Weihnachtstage verabschiedeten, freute ich mich darauf, im Januar zurückzukehren. Ich vermisste meine Freunde.

Als der Unterricht wieder begann, führte mich der geänderte Stundenplan in ein paar neue Gebäude. Da ich den Großteil der Basiskurse bereits abgeschlossen hatte, belegte ich Kurse in Psychologie. Und durch den neuen Stundenplan lief ich auf einmal ständig demselben Typen über den Weg – im Fitnesscenter, im Buchladen, in den Aufzügen von Franz Hall.

Er war groß und hatte breite Schultern. Seine Arme waren so kräftig, dass sein Bizeps gerade noch unter den Ärmel seines T-Shirts passte. Er hatte hellbraune Haare und häufig einen Bartschatten. Stets lächelte er, und stets unterhielt er sich mit jemandem. Und auch, wenn ich ihn allein sah, zeigte er das Selbstvertrauen eines Menschen, der wusste, was er wollte.

Als wir schließlich miteinander ins Gespräch kamen, stand ich in der Schlange zum Speisesaal. Ich trug dasselbe graue T-Shirt wie am Vortag, und als ich ihn ein Stück vor mir in der Schlange entdeckte, schoss mir durch den Kopf, dass ihm das womöglich auffallen könnte.

Nachdem er am Eingang seinen Ausweis durch das Gerät gezogen hatte, blieb er hinter seinen Freunden zurück und unterhielt sich mit dem Typen, der das Gerät bediente. Als ich den Kopf der Schlange erreicht hatte, unterbrach er seine Unterhaltung und sah mich an.

»Verfolgst du mich, oder was?«, fragte er lächelnd und blickte mir in die Augen.

Ich wurde sofort verlegen und war überzeugt, dass er mir das ansah.

»Tut mir leid, dummer Scherz«, meinte er. »Ich sehe dich in letzter Zeit nur überall.« Ich nahm meine Karte wieder entgegen. »Darf ich dich begleiten?«

»Ja«, antwortete ich. Ich wollte mich mit meinen Freunden aus der Poststelle treffen, konnte sie aber noch nirgends entdecken. Und er war süß. Das gefiel mir.

»Wo stellen wir uns an?«, fragte er. »In welcher Schlange?«

»Wir gehen zum Grill«, erwiderte ich. »Natürlich nur, wenn du dich mit mir zusammen anstellen willst.«

»Das ist perfekt. Ich möchte unbedingt einen Patty Melt Burger.«

»Dann auf zum Grill.«

In der Warteschlange schwiegen wir zunächst, dann bemühte er sich, die Unterhaltung erneut in Gang zu bringen.

»Ryan Lawrence Cooper«, stellte er sich vor und streckte mir die Hand entgegen. Ich lachte und nahm sie. Sein Griff war fest. Ich bekam fast das Gefühl, ich würde ihn nie wieder los, wenn er das Händeschütteln nicht von sich aus beendete.

»Lauren Maureen Spencer«, erwiderte ich. Er ließ los.

Ich hatte ihn mir gewandt und selbstsicher, gelassen und charmant vorgestellt, und in gewisser Weise war er das auch. Doch als wir nun miteinander sprachen, schien er auch ein bisschen unsicher zu sein und nicht immer genau zu wissen, was er sagen sollte. Der süße Typ, der so viel selbstbewusster gewirkt hatte als ich, entpuppte sich als durch und durch menschlich. Er war einfach gut aussehend, vermutlich lustig und schien sich in seiner Haut schlichtweg wohlzufühlen, wodurch er wirkte, als verstünde er die Welt besser als wir anderen. Doch das stimmte nicht, er war genau wie ich. Und plötzlich mochte ich ihn deutlich mehr, als ich mir eingestehen wollte. Das machte mich nervös. Ich spürte Schmetterlinge im Bauch, und meine Handflächen wurden feucht.

»Na, ist schon okay. Du kannst es ruhig zugeben«, sagte ich in dem Bemühen, lustig zu sein, »eigentlich läufst du mir hinterher.«

»Ich gebe es zu«, erklärte er, widersprach sich jedoch gleich. »Nein! Natürlich nicht. Aber es ist dir auch aufgefallen, stimmt’s? Es ist, als wärst du plötzlich überall.«

»Du bist plötzlich überall«, entgegnete ich und machte einen Schritt nach vorn, da die Schlange sich vorwärtsbewegte. »Ich bin nur da, wo ich immer bin.«

»Du meinst, du bist da, wo ich immer bin.«

»Vielleicht sind wir einfach kosmisch verbunden«, scherzte ich. »Oder wir haben denselben Stundenplan. Zum ersten Mal habe ich dich auf dem Hof gesehen, glaube ich. Ich habe mir dort die Zeit zwischen der Einführung in Psychologie und dem Statistikkurs vertrieben. Du musst also ungefähr um dieselbe Zeit einen Kurs auf dem Süd-Campus haben, stimmt’s?«

»Jetzt hast du mir unbeabsichtigt zwei Dinge verraten, Lauren.« Ryan lächelte.

»Tatsächlich?«

»Ja.« Er nickte. »Weniger bedeutend ist, dass ich nun weiß, dass du im Hauptfach Psychologie studierst, und zwei Kurse kenne, an denen du teilnimmst. Als Stalker wäre ich damit auf eine Goldmine gestoßen.«

»Na gut.« Ich nickte. »Als richtiger Stalker hättest du das allerdings bereits gewusst.«

»Trotzdem, Stalker ist Stalker.«

Schließlich waren wir ganz vorn in der Schlange angelangt, doch Ryan schien mehr an mir interessiert als an seiner Bestellung. Ich wandte mich kurz ab, um meinen Essenswunsch aufzugeben. »Könnte ich bitte einen Grillkäse haben?«, sagte ich zum Koch.

»Und du?«, fragte der Koch Ryan.

»Einen Patty Melt Burger mit extra Käse«, antwortete Ryan, beugte sich vor und streifte mit seinem Ärmel versehentlich meinen Unterarm. Es fühlte sich wie ein ganz leichter Stromschlag an.

»Und die zweite Sache?«, fragte ich.

»Hm?« Ryan drehte sich zu mir um, offenbar hatte er den Faden verloren.

»Du meintest, ich hätte dir zwei Dinge verraten.«

»Ah!« Ryan lächelte und schob sein Tablett auf dem Tresen dichter an meins. »Du hast gesagt, dass du mich im Innenhof bemerkt hättest.«

»Stimmt.«

»Da habe ich dich aber nicht gesehen.«

»Okay«, erwiderte ich, nicht sicher, worauf er hinauswollte.

»Streng genommen hast du mich also zuerst bemerkt.«

Ich lächelte ihn an. »Touché.« Der Koch reichte mir den Grillkäse und Ryan seinen Burger. Wir nahmen unsere Tabletts und gingen zur Sodamaschine.

»Nun«, meinte Ryan, »da du mich verfolgst, muss ich vermutlich nur warten, bis du mich fragst, ob wir uns verabreden wollen.«

»Was?«, fragte ich halb schockiert und halb verletzt.

»Hör zu«, fuhr er fort, »ich kann sehr geduldig sein. Ich weiß, dass du erst den Mut dazu aufbringen musst. Du musst dir erst überlegen, wie du mich fragst, denn es soll natürlich möglichst locker klingen.«

»Aha«, bemerkte ich. Ich nahm mir ein Glas und schob es unter die Eismaschine. Das Gerät lärmte und produzierte dann drei lumpige Eiswürfel. Ryan schlug gegen die Maschine, woraufhin eine Unmenge Eiswürfel in mein Glas polterten. Ich bedankte mich.

»Keine Ursache. Was hältst du davon«, fragte er, »wenn ich bis morgen Abend warte? Wir treffen uns um sechs Uhr im Eingangsbereich von Hendrick Hall. Ich lade dich zu einem Burger ein und vielleicht auch noch zu einem Eis. Wir unterhalten uns. Und dann kannst du mich um eine Verabredung bitten.«

Ich lächelte ihn an.

»Das ist nur fair«, meinte er. »Du hast mich schließlich zuerst bemerkt.« Er war sehr charmant. Und das wusste er.

»Okay. Eine Frage habe ich allerdings. Dort drüben in der Schlange«, ich deutete zu dem Mann mit dem Kartenlesegerät, »worüber hast du mit ihm gesprochen?« Ich war mir ziemlich sicher, dass ich die Antwort kannte, und wollte sie von ihm hören.

»Mit dem Typen, der die Karten durchzieht?«, fragte Ryan lächelnd und wusste, dass ich ihn erwischt hatte.

»Ja, ich bin neugierig, worüber ihr zwei euch unterhalten habt.«

Ryan sah mir direkt in die Augen. »Ich habe gesagt: ›Tu so, als würden wir uns unterhalten. Ich muss Zeit gewinnen, bis das Mädchen in dem grauen T-Shirt hier ist.‹«

Was sich eben noch wie ein ganz leichter Stromschlag angefühlt hatte, durchfuhr mich jetzt als heftiges Brennen, entflammte mich. Ich fühlte es bis in die Fingerspitzen und die Zehen.

»Hendrick Hall, morgen um sechs«, bestätigte ich und sagte damit zu. Doch war uns beiden längst klar, dass ich es kaum erwarten konnte. Ich wünschte mir, es wäre schon so weit.

»Komm nicht zu spät!«, sagte er lächelnd im Weggehen.

Ich stellte mein Getränk aufs Tablett und ging beschwingt durch den Speisesaal. Dann setzte ich mich allein an einen Tisch, denn ich war noch nicht bereit, meinen Freunden zu begegnen. Mein Lächeln war zu breit, zu stark, zu strahlend. Um fünf vor sechs am nächsten Abend stand ich im Eingangsbereich von Hendrick Hall.

Ich wartete ein paar Minuten und versuchte, so auszusehen, als würde ich nicht sehnsüchtig auf jemanden warten. Ich hatte ein Date. Ein echtes Date. Und zwar nicht so wie bei den Typen, die einen fragten, ob man mit ihnen und ihren Freunden am Freitagabend auf irgendeine Party gehen wolle, von der sie zufällig gehört hatten. Und auch nicht so wie mit dem Typen von der Highschool, den man schon seit der achten Klasse kannte und der einen endlich küsste.

Ich hatte ein echtes Date.

Was sollte ich mit ihm reden? Ich kannte ihn doch kaum! Was, wenn ich Mundgeruch hatte oder etwas Dummes sagte? Was, wenn meine Wimperntusche verschmierte und ich den ganzen Abend nicht merkte, dass ich wie ein Waschbär aussah?

Panisch versuchte ich, in einer Scheibe einen Blick auf mein Spiegelbild zu erhaschen, doch da trat Ryan bereits durch die Eingangstür in die Halle.

»Wow«, sagte er, als er mich sah. Von diesem Moment an machte ich mir keine Gedanken mehr, ich könnte vielleicht nicht perfekt aussehen. Ich scherte mich weder um meine knochigen Hände noch um meine schmalen Lippen. Stattdessen dachte ich daran, wie meine dunkelbraunen Haare glänzten und wie hübsch der Grauton meiner blauen Augen war. Und an meine langen Beine, zu denen Ryans Blick glitt. Ich war froh, dass ich mich für das kurze schwarze Jerseykleid entschieden hatte, das sie zur Geltung brachte; darüber trug ich ein Sweatshirt mit Reißverschluss. »Du siehst toll aus«, fügte er hinzu. »Du musst mich wirklich mögen.«

Ich lachte, und er lächelte mich an. Er trug Jeans und T-Shirt, darüber ein UCLA-Fleece.

»Und du bemühst dich sehr, mir nicht zu zeigen, wie sehr du mich magst«, erwiderte ich.

Daraufhin lächelte er mich an, und es war anders als das Lächeln zuvor. Nicht so, als wollte er, dass ich seinem Charme erlag. Sondern, als wäre er meinem Charme erlegen.

Es fühlte sich gut an. Richtig gut.

Während wir Burger aßen, fragten wir uns gegenseitig aus, woher wir stammten und was wir mit dem Rest unseres Lebens vorhatten. Wir sprachen über unsere Kurse und stellten fest, dass wir im Vorjahr denselben Rhetoriklehrer gehabt hatten.

»Professor Hunt!« Ryan klang ganz sehnsüchtig, als er von dem alten Mann sprach.

»Erzähl mir nicht, dass du Professor Hunt mochtest!«, erwiderte ich. Niemand mochte Professor Hunt. Der Mann war so interessant wie ein Pappkarton.

»Wie kann man den Kerl nicht mögen? Er ist nett. Er ist höflich! Das war der einzige Kurs, bei dem ich in dem Semester eine Eins hatte.«

Ironischerweise war Rhetorik der einzige Kurs, bei dem ich in dem Semester eine Zwei bekommen hatte. Aber das zu sagen war mir unangenehm.

»Es war mein schlechtester Kurs«, sagte ich stattdessen. »Rhetorik ist nicht meine Stärke. In Recherche, Aufsätzen und Multiple-Choice-Tests bin ich besser. Ich bin nicht gut mit dem Mund.«

Nachdem ich das ausgesprochen hatte, sah ich ihn an und spürte, wie meine Wangen feuerrot brannten. Es war ein absolut peinlicher Satz, wenn man ein Date mit jemandem hatte, den man kaum kannte. Ich hatte Angst, er würde einen Witz darüber machen. Doch Ryan tat so, als hätte er die Mehrdeutigkeit nicht bemerkt.

»Du kommst mir vor wie ein Mädchen, das nur Einsen hat«, meinte er. Ich war überaus erleichtert. Irgendwie hatte er es geschafft, den peinlichen Augenblick zu überspielen und zu meinen Gunsten zu wenden.

Ich errötete erneut. Diesmal aus einem anderen Grund.

»Na ja, ich bin ganz gut«, gab ich zu. »Aber ich bin beeindruckt, dass du eine Eins in Rhetorik hattest. In dem Kurs ist das nicht leicht.«

Ryan zuckte die Schultern. »Ich glaube, ich kann einfach gut reden. Große Menschenmengen machen mir keine Angst. Ich könnte vor einem Raum voller Menschen sprechen und würde mich dabei kein bisschen unwohl fühlen. Was mich nervös macht, sind Vieraugengespräche.«

Ich legte den Kopf schräg, ein Zeichen, dass meine Neugierde geweckt war. »Du wirkst nicht so, als hättest du in irgendeiner Situation Probleme, etwas zu sagen, ganz egal, wie viele Menschen anwesend sind.«

Lächelnd aß er den Rest seines Burgers. »Lass dich nicht von meiner lässigen Art täuschen. Ich weiß, dass ich teuflisch gut aussehe und wahrscheinlich der charmanteste Typ bin, dem du je begegnet bist, aber es hat einen Grund, dass ich so lange gebraucht habe, dich anzusprechen.«

Dieser Typ, der so cool wirkte, mochte mich! Und ich machte ihn nervös!

Ich glaube, nichts fühlt sich so gut an, wie herauszufinden, dass man die Person, die einen selbst nervös macht, ebenfalls nervös macht. Das stimmt zuversichtlich und macht selbstbewusst. Man hat das Gefühl, alles auf der Welt erreichen zu können.

Ich beugte mich über den Tisch und küsste ihn. Ich küsste ihn mitten in einem Burger-Laden, und der Ärmel von meinem Sweatshirt hing im Ketchup. Es war kein perfektes Timing, in keiner Beziehung. Ich traf seinen Mund nicht richtig, sondern küsste ein wenig daneben. Und ich hatte ihn ganz offensichtlich überrascht, denn er erstarrte einen Moment, bevor er sich entspannte und mich zurückküsste. Er schmeckte salzig.

Als ich mich von ihm löste, wurde mir schlagartig klar, was ich gerade getan hatte. Ich hatte noch nie zuvor jemanden geküsst. Stets war ich geküsst worden. Küsse hatte ich immer nur erwidert.

Er sah mich verwirrt an. »Ich dachte, das müsste ich tun«, sagte er.

Jetzt schämte ich mich fürchterlich. Das war einer dieser Momente, über den ich als Mädchen in der Teenie-Zeitschrift YM gelesen hatte. »Ich weiß«, sagte ich. »Tut mir leid. Ich bin so … Ich weiß nicht, warum ich …«

»Es tut dir leid?«, erwiderte er erschrocken. »Nein, das sollte dir wirklich nicht leidtun. Das war vielleicht der großartigste Moment meines Lebens.«

Ich blickte ihn an und musste unwillkürlich lächeln.

»Alle Mädchen sollten so küssen«, meinte er. »Alle Mädchen sollten genau so sein wie du.«

Als wir nach Hause gingen, zog er mich ständig in Hauseingänge und Nischen, um mich erneut zu küssen. Je näher wir dem Wohnheim kamen, desto ausdauernder wurden die Küsse. Bis wir vor dem Eingang zu meinem Haus standen und uns gefühlte Stunden küssten. Es war etwas kühl draußen, die Sonne war schon vor Stunden untergegangen. Ich fror an den nackten Beinen. Doch ich spürte nichts als seine Hände auf mir, seine Lippen, konnte an nichts anderes denken als daran, wie sich sein Nacken unter meinen Händen anfühlte und dass er nach frischer Wäsche und nach Moschus roch.

Als es Zeit wurde, entweder einen Schritt weiterzugehen oder sich zu verabschieden, löste ich mich von ihm, ließ meine Hand jedoch in seiner. Ich las in seinen Augen, dass er gern von mir aufs Zimmer eingeladen worden wäre. Doch ich tat es nicht. Stattdessen sagte ich: »Wollen wir uns morgen sehen?«

»Na klar.«

»Kommst du vorbei und holst mich zum Frühstück ab?«

»Na klar.«

»Gute Nacht.« Ich küsste ihn auf die Wange.

Ich zog meine Hand aus seiner und wandte mich zum Gehen. Beinahe wäre ich stehen geblieben und hätte ihn doch noch gefragt, ob er mitkommen wollte. Unsere Verabredung sollte noch nicht zu Ende sein. Ich wollte nicht aufhören, ihn zu berühren, seine Stimme zu hören, he­rauszufinden, was er als Nächstes sagen würde. Doch ich drehte mich nicht um. Ich ging weiter.

Ich wusste, dass es mich erwischt hatte: Ich war verknallt. Ich würde mich ihm hingeben, ihm meine Seele offenbaren, er würde mir womöglich das Herz brechen.

Es bestand also keine Eile, sagte ich mir, als ich allein in den Aufzug stieg.

Als ich in mein Zimmer kam, rief ich Rachel an. Ich musste ihr alles berichten. Wie süß er war, was er gesagt hatte, wie er mich angesehen hatte. Ich musste den Abend noch einmal mit jemandem durchleben, der verstand, wie aufregend das alles war.

Und Rachel verstand das vollkommen.

»Ich frage mich, wann du mit ihm schlafen willst«, meinte sie. »Es hört sich an, als wäre es da draußen auf dem Bürgersteig ganz schön heiß hergegangen. Vielleicht solltest du ein Datum festlegen? Dass du nicht mit ihm schläfst, ehe du nicht so und so viele Wochen oder Tage oder Monate mit ihm zusammen bist.« Sie lachte. »Oder Jahre, wenn es das ist, was du dir vorstellst.«

Ich erklärte ihr, dass ich es einfach auf mich zukommen lassen würde.

»Das ist keine gute Idee«, meinte sie. »Du brauchst einen Plan. Was, wenn du zu früh oder zu spät mit ihm schläfst?« Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ein »zu früh« oder »zu spät« überhaupt geben konnte. Was Ryan und mich anging, war ich mir so sicher, mir war, als könnte gar nichts schiefgehen. Als würden wir so gut zusammenpassen, dass wir es gar nicht vermasseln konnten, selbst wenn wir uns Mühe gaben.

Und das fand ich einerseits enorm aufregend, und auf der anderen Seite gab es mir eine große Ruhe.

Als es passierte, waren Ryan und ich in seinem Zimmer. Sein Mitbewohner war das Wochenende über nicht in der Stadt. Wir hatten einander noch nicht gesagt, dass wir uns liebten, doch es war offensichtlich.

Ich staunte, wie gut er meinen Körper verstand. Ich musste ihm nicht sagen, was ich wollte, er wusste es. Er wusste, wie er mich küssen musste, wo er seine Hände hinlegen, wo und wie er mich berühren musste.

Bis dahin hatte ich das Konzept des Miteinanderschlafens nicht ganz verstanden. Es kam mir kitschig und albern vor. Doch in dem Moment begriff ich es. Es geht nicht nur um die Bewegungen. Es geht darum, dass einem, wenn der andere einem nahe ist, das Herz übergeht. Dass sich sein Atem anfühlt wie ein warmes Feuer. Dass das Gehirn völlig abschaltet und das Herz die Führung übernimmt.

Mich interessierte nichts anderes mehr, ich wollte nur ihn fühlen, seinen Geruch, seinen Geschmack wahrnehmen. Ich wollte mehr von ihm.

Hinterher lagen wir nackt und verletzlich nebeneinander, hatten jedoch das Gefühl, weder das eine noch das andere zu sein. Er nahm meine Hand.

»Ich möchte dir etwas sagen, aber ich will nicht, dass du denkst, es wäre wegen dem, was wir gerade getan haben.«

Ich wusste, was es war. Wir beide wussten es. »Dann sag es später«, antwortete ich.

Er schien enttäuscht von meiner Antwort, und ich erklärte sie ihm.

»Wenn du es sagst, sage ich es auch.«

Er lächelte, dann schwieg er einen Moment. Ich dachte schon, er sei eingeschlafen, doch dann meinte er: »Es ist gut, oder?«

Ich wandte mich ihm zu. »Ja«, bestätigte ich. »Das ist es.«

»Nein«, korrigierte er, »was wir haben, ist perfekt. Wir könnten irgendwann heiraten.«

Ich dachte an meine Großeltern, das einzige verheiratete Paar, das ich kannte. Wie meine Großmutter meinem Großvater manchmal das Essen schnitt, wenn er sich zu schwach fühlte, es selbst zu tun.

»Irgendwann«, sagte ich. »Ja.« Wir waren neunzehn.

Elf Jahre zuvor

In den Sommerferien fuhr Ryan nach Hause, nach Kansas. Wir telefonierten jeden Tag. Außerdem schickten wir in einem irren Tempo E-Mails hin und her und warteten ungeduldig darauf, dass der andere antwortete. Jeden Tag saß ich auf meinem Bett, bis er von seinem Praktikum nach Hause kam und mich anrief. Früh in jenem Sommer besuchte ich ihn und lernte seine Eltern und Geschwister kennen. Wir verstanden uns gut. Sie schienen mich zu mögen. Ich blieb eine Woche, in der Ryan und ich einander an unseren Lippen hingen und er sich jede Nacht zu mir ins Gästezimmer schlich. Als er mich zum Flughafen brachte und bis zur Sicherheitskontrolle begleitete, hatte ich das Gefühl, mir würde das Herz herausgerissen. Wie konnte ich ihn verlassen? Wie konnte ich ins Flugzeug steigen und mich so viele Meilen von der anderen Hälfte meiner Seele entfernen?

All das versuchte ich Rachel zu erklären, die nach ihrem ersten Jahr an der USC ebenfalls den Sommer zu Hause verbrachte. Ich jammerte, wie sehr ich ihn vermisste, und sprach unverhältnismäßig viel von ihm. Ich war vollkommen fixiert. Meist reagierte Rachel auf diese oberdramatischen Liebesbekundungen, indem sie sagte: »Ach, das ist toll. Ich freue mich wirklich für dich«, und dann so tat, als müsste sie sich übergeben.

Mein Bruder Charlie war inzwischen vierzehn und würde im Herbst auf die Highschool wechseln, daher wollte er nichts mit Rachel oder mir zu tun haben. Er tat noch nicht einmal so, als würde er sich für irgendetwas interessieren, was ich sagte. In dem Moment, in dem ich zu reden begann, setzte er sich Kopfhörer auf oder stellte den Fernseher an.

Ein paar Wochen, nachdem ich von meinem Besuch bei seiner Familie zurückgekehrt war, bestand Ryan da­rauf, mich zu besuchen. Es war ihm egal, dass die Tickets teuer waren oder dass er kein Geld verdiente. Er meinte, das sei es ihm wert. Er müsse mich sehen.

Als er am Flughafen von L. A. gelandet war, sah ich ihn mit anderen Passagieren die Rolltreppe hinunterkommen. Suchend ließ er den Blick über die Menge schweifen, bis er mein Gesicht entdeckte. In dem Augenblick erkannte ich, wie sehr er mich liebte, wie erleichtert er war, dass er mich gefunden hatte. Und ich sah all diese Gefühle, weil ich genauso für ihn empfand.

Er rannte auf mich zu, ließ seine Tasche fallen und hob mich hoch. Er wirbelte mich herum und hielt mich fester, als mich je jemand gehalten hatte. So traurig ich vor Wochen auch gewesen war, ihn verlassen zu müssen, so froh war ich jetzt, wieder mit ihm zusammen zu sein.

Er setzte mich ab, umfasste mein Gesicht und küsste mich. Als ich schließlich die Augen öffnete, bemerkte ich eine ältere Frau mit Kindern, die uns beobachtete. Zufällig trafen sich unsere Blicke, sie lächelte und wandte sich verlegen ab.

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht sagte mir, dass sie einst wie ich gewesen war.

Dann war meine Familie da, sie hatten endlich einen Parkplatz gefunden. Alle hatten darauf bestanden, mitzukommen, teilweise wohl deshalb, weil ich eindeutig nicht gewollt hatte, dass sie mitkamen.

Ryan wischte sich die schweißnasse Hand an der Jeans ab und streckte sie meiner Mutter hin.

»Mrs. Spencer«, begrüßte er sie, »wie schön, Sie wiederzusehen.« Sie waren sich einmal kurz begegnet, als meine Mutter mir beim Auszug aus dem Wohnheim geholfen hatte.

»Ryan, ich habe doch gesagt, du sollst mich Leslie nennen«, erwiderte meine Mutter lachend.

Ryan nickte und deutete auf Rachel und Charlie. »Rachel, Charlie, freut mich, euch kennenzulernen. Ich habe viel Gutes von euch gehört.«

»Ehrlich gesagt«, gab Charlie zurück, »wäre es uns lieber, Sie würden uns Miss und Mr. Spencer nennen.«

Ryan nahm ihn beim Wort. »Verzeihen Sie, Mr. Spencer, mein Fehler. Miss Spencer.« Er tippte sich an einen imaginären Hut und verneigte sich vor Rachel. Dann schüttelte er Charlie fest die Hand.

Und vielleicht, weil ihn jemand ernst nahm, entschied Charlie sich, bessere Laune zu haben.

»Okay, gut«, meinte er. »Du darfst mich Charles nennen.«

»Du kannst ihn Charlie nennen«, schaltete sich Rachel ein.

Wir gingen alle zusammen zum Gepäckband. Und so gern Charlie ein Spielverderber gewesen wäre, er redete den ganzen Heimweg über ununterbrochen auf Ryan ein.

Neuneinhalb Jahre zuvor

In unserem letzten Jahr am College hatten Ryan und ich die Frühjahrsferien eigentlich in Los Angeles verbringen wollen. Doch in letzter Minute entdeckte meine Mutter ein günstiges Angebot für Flüge nach Cabo San Lucas und beschloss, großzügig zu sein. So kam es, dass wir fünf – meine Mom, Rachel, Charlie, Ryan und ich – in einem Flugzeug nach Mexiko saßen.

Seltsamerweise schien Charlie sich am meisten da­rüber zu freuen. Als wir im Flugzeug unsere Plätze einnahmen – Mom, Ryan und ich auf der einen Seite des Gangs, Rachel, Charlie und ein merkwürdiger, glatzköpfiger Mann auf der anderen –, erinnerte Charlie Mom unablässig daran, dass man in Mexiko bereits mit achtzehn Alkohol trinken durfte.

»Das ist schön, Herzchen«, erwiderte sie, »ändert aber nichts daran, dass du erst sechzehn bist.«

»Aber es wäre weniger illegal«, meinte er und schloss seinen Sicherheitsgurt, während die Stewardessen mit prüfendem Blick durch die Gänge gingen. »Es ist weniger illegal, wenn ich mich in Mexiko betrinke als hier.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob es Abstufungen von illegal gibt«, bemerkte Rachel und drückte sich fest in den mittleren Sitz, um auf keinen Fall den Glatzkopf zu berühren. Er war bereits eingeschlafen.

»Ich glaube allerdings, dass Prostitution in Mexiko legal ist«, warf ich ein. »Stimmt doch, oder?«

»Nun ja, nicht für Minderjährige«, erwiderte Ryan. »Tut mir leid, Charlie.«

Charlie zuckte die Schultern. »Ich sehe nicht aus wie sechzehn.«

»Ist eigentlich Gras in Mexiko legal?«, erkundigte sich Rachel.

»Entschuldigt mal!«, schaltete sich Mom aufgebracht ein. »Das ist doch ein Familienurlaub! Ich nehme euch nicht alle mit nach Mexiko, damit ihr high werdet oder euch Huren nehmt.«

Natürlich lachten wir alle. Wir hatten nur Spaß gemacht.

Zumindest dachte ich das.

»Du bist zu naiv, Mom!«, sagte Rachel.

»Wir machen nur Spaß«, fügte ich hinzu.

»Sprich für dich selbst!«, bemerkte Charlie. »Mir war es ernst. Vielleicht servieren sie mir da unten Alkohol.«

Ryan lachte.

In dem Moment wurde mir klar, wie anders Charlie war. Es war nicht nur das Übliche, nicht nur der Unterschied zwischen Brüdern und Schwestern, Schülern auf der Highschool und Collegestudenten. Er war ganz anders als Rachel und ich.

Rachel und ich waren etwas mehr als ein Jahr ausei­nander. Wir erlebten Dinge ähnlich, sahen sie durch die gleiche Brille. Als unser Dad fortging, war ich viereinhalb, Rachel war gerade drei geworden. Mom war damals mit Charlie schwanger. Rachel und ich mochten uns vielleicht nicht mehr wirklich an unseren Vater erinnern, aber wir hatten Zeit mit ihm verbracht. Wir kannten seine Stimme. Charlie kam auf die Welt und hatte nur meine Mutter.

Manchmal fragte ich mich, ob Charlie vielleicht durch die Nähe zwischen Rachel und mir gar keine Chance hatte, zwischen uns zu kommen. Als er geboren wurde, hatten wir bereits unsere eigene Sprache, unsere eigene Welt. Doch in Wahrheit war Charlie einfach nicht an uns interessiert. Schon als kleines Kind machte er sein eigenes Ding, spielte seine eigenen Spiele. Er wollte nicht so sein wie Rachel und ich, nicht über die Dinge reden, über die wir sprachen. Er ging immer seinen eigenen Weg und wies alles zurück, was wir ihm anboten.

Doch trotz unserer Differenzen war es verblüffend, wie ähnlich wir drei uns sahen, je älter wir wurden. Charlie besaß zwar nicht dasselbe Temperament oder denselben Charakter wie wir, doch rein äußerlich konnten wir unsere Verwandtschaft nicht leugnen.

Wir hatten alle drei die gleichen hohen Wangenknochen, die dunklen Haare und die blauen Augen unserer Mutter. Zwar war Charlie groß und schlaksig, Rachel klein und zierlich und ich breiter, kurviger. Aber wir gehörten zusammen, so viel war klar.

Das Flugzeug hob ab, und wir sprachen über andere Dinge. Als das Anschnallzeichen erlosch, stand meine Mutter auf und ging zum Waschraum. Ryan beugte sich über den Gang und flüsterte Charlie etwas zu. Charlie lächelte und nickte.

»Was hast du gesagt?«, fragte ich. Ryan grinste breit.

»Du willst es mir nicht sagen?«

»Das ist eine Sache zwischen Charlie und mir«, erwiderte Ryan.

»Ja«, tönte Charlie. »Das bleibt unter uns.«

»Du darfst ihm dort keinen Alkohol kaufen«, mahnte ich. »Habt ihr etwa darüber gesprochen? Das darfst du nicht.« Ich klang wie ein Drogenfahnder.

»Wer hat gesagt, dass irgendjemand für irgendwen Alkohol kauft?«, fragte Ryan vielleicht ein bisschen zu unschuldig.

»Na ja, warum darf ich dann nicht wissen, worüber ihr gesprochen habt?«

»Es gibt Dinge, die gehen dich nichts an, Lauren«, entgegnete Charlie provozierend.

Mir blieb der Mund offen stehen. Meine Mutter war auf ihrem Weg zurück zu uns.

»Du willst meinen sechzehnjährigen Bruder betrunken machen!«, flüsterte ich und kreischte dabei doch irgendwie. Schließlich hatte Rachel genug: »Ach, Lauren, hör doch auf.« Ryan hatte sich zu ihr gebeugt und gesagt: »Mal sehen, ob ich deine Schwester dazu bringe, wegen nichts auszurasten.«

Ich blickte Ryan an und wartete darauf, dass er das bestätigte. Er lachte. Charlie ebenfalls.

»Also ehrlich«, meinte Rachel zu mir. »Du bist genauso naiv wie Mom.«

Etwas mehr als neun Jahre zuvor

Ich schloss mit »magna cum laude« ab und verfehlte das »summa cum laude« nur um Haaresbreite, doch Ryan sagte mir, ich solle mich deshalb nicht grämen. »Ich mache nur ein ganz normales Examen«, meinte er, »ohne ein einziges lateinisches Wort dahinter, und ich bin zufrieden. Du kannst also mehr als zufrieden sein.«

Auch meine Zukunftschancen waren kein Argument, denn ich hatte bereits einen Job im Alumni-Büro der UCLA. Ich wusste nicht genau, was ich mit meinem Psychologieabschluss anfangen wollte, aber ich nahm an, das würde sich zu gegebener Zeit finden. Das Alumni-Büro schien mir für den Anfang ein angenehmer, vertrauenswürdiger Ort zu sein.

Am Tag der Abschlussfeier befanden Ryan und ich uns an entgegengesetzten Enden des Hörsaals, sodass wir nur am Morgen miteinander sprachen und uns dann während der Zeremonie Gesichter schnitten. Im Publikum entdeckte ich Mom mit ihrer riesigen Kamera und neben ihr Rachel und Charlie. Rachel winkte mir zu und hob den Daumen. Ein paar Reihen dahinter sah ich Ryans Eltern und seine Schwester.

Während ich dort saß und darauf wartete, dass mein Name aufgerufen wurde, begriff ich, dass an diesem Tag vieles zu Ende ging. Und dass, wichtiger noch, nun mein Leben als Erwachsene begann.

Ryan und ich hatten ein kleines Apartment in Hollywood gemietet. Nächste Woche, am Ersten des Monats, würden wir einziehen. Es war eine winzige hässliche Bude, eng und dunkel. Aber sie gehörte uns.

Am Abend zuvor hatten Ryan und ich darüber gestritten, welche Möbel wir anschaffen wollten. Er fand, dass es genügte, wenn wir eine Matratze auf den Boden legten. Ich war der Ansicht, da wir nun erwachsen waren, sollten wir zumindest ein Bettgestell besitzen. Ryan erklärte, für unsere Klamotten bräuchten wir nur ein paar Pappkartons, ich bestand auf Kommoden. Es wurde hitzig. Ich warf Ryan vor, knauserig zu sein. Und nicht zu verstehen, was es bedeute, erwachsen zu sein. Er entgegnete, ich würde mich benehmen wie ein verwöhntes Gör, das glaubte, Geld würde auf den Bäumen wachsen. Es wurde so schlimm, dass ich anfing zu weinen; er bekam vor Wut ein knallrotes Gesicht.

Und dann, ehe wir es uns versahen, waren wir an dem Punkt, an dem wir beide zugaben, unrecht zu haben, und den anderen mit einer Leidenschaft um Verzeihung baten, die nur mit der bei unserem letzten Streit vergleichbar war. So ging das immer bei uns. Das »Ich liebe dich« und »Tut mir leid«, das »Ich werde es nie wieder tun« und das »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde!« überlagerten stets die Sache, über die wir eigentlich gestritten hatten.

An jenem Morgen wachten wir mit einem Lächeln auf und hielten einander fest im Arm. Wir frühstückten zusammen. Wir kleideten uns gemeinsam an. Wir halfen einander, unsere Mützen aufzusetzen und in die Mäntel zu schlüpfen.

Unser Leben begann. Wir waren erwachsen.

Zusammen mit meiner ganzen Reihe stand ich auf und ging hinauf zum Podium.

»Lauren Spencer.«

Ich trat vor, schüttelte dem Rektor die Hand und nahm mein Diplom entgegen. Aus dem Augenwinkel sah ich Ryan. Er hielt ein Schild hoch, das so klein war, dass nur ich es sehen konnte. »Ich liebe dich«, stand darauf. Und in dem Moment wusste ich, dass es toll sein würde, erwachsen zu sein.

Siebeneinhalb Jahre zuvor

Zu unserem vierten Jahrestag fuhren Ryan und ich zum Campen in den Yosemite-Nationalpark.

Das College hatten wir seit eineinhalb Jahren hinter uns, ich verdiente anständig im Alumni-Büro, und auch Ryans Gehalt war okay. Allmählich behielten wir Geld übrig und konnten ein wenig sparen. Daher beschlossen wir, dass eine Reise zum Yosemite uns nicht zu sehr zurückwerfen würde. Wir hatten uns die Campingausrüstung von meiner Mutter geliehen und Essen von zu Hause mitgenommen.

Am späten Freitagnachmittag kamen wir an und schlugen unser Zelt auf. Sobald es aufgebaut war, ging die Sonne unter, und es wurde kühl, also legten wir uns ins Bett. Am nächsten Morgen wollten wir die Vernal Falls hinaufwandern. Im Reiseführer stand, dass die Wanderung zwar anstrengend, der Blick von dort oben jedoch unvorstellbar sei. Dazu sagte Ryan: »Ich habe Lust, etwas Unvorstellbares zu sehen.« Also zogen wir die Wanderschuhe an und stiegen in den Wagen.

Ich wusste, dass er eine Woche vor der Reise meine Mutter angerufen und sie um ihren Segen gebeten hatte. Er hatte ihr erzählt, er habe einen Ring ausgesucht. Meine Familie konnte keine Geheimnisse bewahren. Wir versuchten es, aber wir waren immer zu aufgeregt, um etwas Gutes für uns zu behalten. Es platzte aus uns heraus, wir flossen über wie eine geborstene Wasserleitung. In gewisser Weise rechnete ich also damit, dass Ryan oben bei den Vernal Falls vor mir auf die Knie fallen würde.

Die Beschreibung aus dem Reiseführer war jedoch ziemlich irreführend. Die Wanderung zu den Wasserfällen war nicht nur anstrengend, der Aufstieg schien geradezu unmöglich. Ständig dachte ich, bald hätten wir es geschafft, bald hätten wir den Gipfel erreicht. Doch der Weg schlängelte sich immer noch weiter die Berge hinauf, man bog um eine Kurve und stellte fest, dass man noch Stunden vor sich hatte. Es gab tückische Pfade, steile Anstiege, Gelände, wo man nicht stehen bleiben durfte. An einer Stelle riss ich mir an einem Felsen den Knöchel auf. Obwohl der Schnitt in meinen Socken blutete, konnte ich nichts tun, ich musste einfach weitergehen.

Und dennoch trafen wir auf der gesamten Wanderung auf Gruppen von Leuten, die vor oder hinter uns gingen und ganz zufrieden aussahen. Es kamen uns auch Menschen mit strahlenden Gesichtern entgegen, stolz, dass sie es bis nach oben geschafft hatten. Ich war versucht, sie mir zu schnappen und zu fragen, was noch vor uns lag. Aber wozu? Vielleicht war es besser, wenn ich es nicht wusste, sonst würde ich womöglich aufgeben.

In der zweiten Stunde standen Ryan und ich auf in den Fels geschlagenen Stufen, so wackelig und steil, dass noch nicht einmal der ganze Fuß auf eine der Stufen passte. In der Nähe gab es einen Wasserfall, und ich weiß noch, dass ich dachte: Das ist ein wunderschöner Wasserfall, aber es ist mir egal, ich bin einfach zu fertig. Ich hatte das Gefühl, diesen Berg nie hinaufzukommen, und die Aussicht, die ich mir angeblich nicht vorstellen konnte, tja, die war mir inzwischen auch ziemlich egal. Die Haare klebten mir an der Stirn, mein T-Shirt war schweißnass, mein Gesicht rot wie eine Tomate. So sollte man sich nicht verloben. Und ich war noch nicht einmal sicher, ob das überhaupt Ryans Absicht war. Allmählich kam es mir vor, als wäre das doch nicht der Fall.

Ich überlegte, Ryan zu fragen, ob er nicht doch umkehren wolle. Wenn er Ja sagte, würde ich wahrscheinlich nichts verderben. Wenn er Nein sagte, würde ich bis zum Gipfel hinaufsteigen und sehen, was passierte.

»Wollen wir umdrehen?«, fragte ich. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«

Ryan stand ein paar Stufen unter mir und bekam kaum noch Luft. Eigentlich war er fitter als ich, aber er bestand darauf, hinten zu bleiben, damit er mich auffangen konnte, falls ich ausrutschte.

»Klar«, meinte er. »Okay.«

Plötzlich war ich geknickt. Erst, als er sagte, wir könnten umkehren, merkte ich, wie sehr ich auf seinen Antrag gewartet hatte. So wie man erst merkt, dass man unbedingt einen Burger zum Abendessen haben möchte, nachdem jemand anders Chinesisch vorgeschlagen hat.

»Ach, gut«, sagte ich, zog langsam meine Füße zurück und drehte mich um. Dieser Augenblick fühlte sich an wie eine doppelte Niederlage. Ich dachte an all die Menschen, die ich vom Berg hatte herunterkommen sehen. Sie hatten siegreich gewirkt. Mir war klar, wenn ich den Berg hinunterstieg, würde ich auf all die Menschen, denen ich auf dem Weg nach unten begegnete, ebenfalls siegreich wirken. Niederlage und Erfolg konnten sehr ähnlich aussehen. Und manchmal kannte man nur selbst die Wahrheit.

»Ach, warte«, bat Ryan. Er beugte sich hinunter, um seinen Rucksack zu richten, und ich bekam Angst, weil er so gefährlich nah am Rand der Treppe stand. Es sah aus, als würde er gleich in den Wasserfall rutschen.

Doch er streckte die Hand aus und stemmte vorsichtig ein Knie auf eine der wackeligen Stufen. Dann sah er mich an und sagte: »Lauren, ich liebe dich mehr als alles andere in meinem Leben. Du bist der Grund, warum ich auf dieser Erde bin. Du machst mich unsagbar glücklich. Ich kann nicht ohne dich leben.« Er lächelte, doch seine Mundwinkel bebten. Seine Stimme verlor ihre Selbstsicherheit und wurde zittrig. Ich bemerkte, dass sich die Gruppe vor uns umgedreht hatte. Ein paar Stufen hinter Ryan waren ein paar Kids stehen geblieben und warteten.

»Lauren«, fuhr er fort, ohne seine Gefühle zu verbergen, »willst du mich heiraten?«

Plötzlich kam mir der Wasserfall vor wie der prächtigste Wasserfall überhaupt. Ich lief die Stufen zu ihm hinunter und flüsterte »Ja!« in sein Ohr. Ich zögerte keinen Moment. Ja. Ja. Ja. Bist du verrückt? Ja.

Ryan umarmte mich, und ich schluchzte. Auf einmal besaß ich Energie für zehn. Wenn wir jetzt weitergingen, konnte ich die Stufen bewältigen. Ich konnte es bis zu diesem blöden Gipfel schaffen.

Ryan wandte sich um und rief: »Sie hat Ja gesagt!« Die Umstehenden klatschten. Das Echo von Ryans Stimme hallte durch den Canyon. Eine Frau rief: »Glückwunsch!«

Ich schwöre, es fühlte sich an, als wäre der ganze Yosemite dabei.