After Work - Tobi Rosswog - kostenlos E-Book

After Work E-Book

Tobi Rosswog

4,9

Beschreibung

Jede Woche über 40 Stunden im Büro und montags schon dem Wochenende entgegenfiebern – ein erfülltes Leben sieht anders aus. Doch warum liefern wir uns einem System aus, das uns immer öfter krank macht, unsere Beziehungen belastet und darüber hinaus einen verheerenden Einfluss auf die Umwelt hat? Nach dem Motto »Sinnvoll tätig sein statt sinnlos schuften« zeigt Tobi Rosswog Wege aus dem Arbeitsblues. Ausgehend von Fragen wie »Was brauche ich wirklich?« und »Was ist mir wichtig?« stellt er Alternativen vor, vom Jobsharing bis zur Karriereverweigerung, vom Arbeiten im Kollektiv ohne Chef bis zum Grundeinkommen. Die Alternativen für eine Post-Work-Gesellschaft sind da, man muss sie nur wagen!

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TOBI ROSSWOG
AFTERWORK
Radikale Ideenfür eine Gesellschaftjenseits der Arbeit
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2018 oekom verlag MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Layout: Reihs Satzstudio, LohmarKorrektorat: Maike Specht, BerlinLektorat: Eva Rosenkranz
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-512-5
Inhalt
EinleitungArbeit? Nein danke! Faulsein? Keine Lust!
Etappen auf meinem eigenen Weg ins Leben ohne Arbeit
WARUM ARBEITEN WIR?
Bist Du sicher, dass Du arbeiten willst? (SICHERHEIT)
Der Klimawandel wartet nicht auf Deine Bachelorarbeit (ANGST)
Arbeit macht abhängig. Fang also gar nicht erst damit an! (SCHULDEN)
WAS MACHT ARBEIT MIT UNS?
Arbeit kann Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung Schaden zufügen (GESUNDHEIT)
Von innen sieht das Hamsterrad aus wie eine Karriereleiter (KONKURRENZ)
Du hast nichts geleistet und nichts verdient (LEISTUNG)
Arbeit macht unverantwortlich und unmenschlich (GEHORSAM)
Die Kontrolleurin in unseren Köpfen (KONTROLLE)
Unglücklich sind die Sklav*innen, die alles in die Zukunft verlagern (GLÜCK)
Arbeit macht das Wichtige unsichtbar (CARE)
Es ist nicht der Montag, der nervt, sondern Deine Arbeit (ZEIT)
WAS MACHT ARBEIT MIT DER WELT?
Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze (UMWELT)
Zwischen Überleben und Überproduktion (ÜBERPRODUKTION)
Kleines Intermezzo: Bullshit-Jobs
PRAKTISCHE WERKZEUGE FÜR EINE POST-WORK-GESELLSCHAFT
12 Schritte in ein arbeitsfreieres Leben
Suffizienz   Was brauche ich eigentlich wirklich?
Sharing   Vorhandenes sinnvoll nutzen
Subsistenz   »Do it yourself« und »Do it together«
Alternativen zur materiellen Existenzsicherung
Fünf Forderungen für eine arbeitsfreiere Gesellschaft
FACETTEN EINES ARBEITSFREIEREN LEBENS
Verkürze Deine Arbeitszeit   Tandemploy
Das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft ausweiten   Oya
Hälfte Akten, Hälfte Acker   Stadt, Land, Flow
Tätigkeit von Existenz entkoppeln   Mein Grundeinkommen
Arbeiten im Kollektiv   Konzeptwerk Neue Ökonomie
Mein Geld, Dein Geld?   Gemeinsame Ökonomie
In einer Kommune leben und organisieren   Stadtkommune Villa Locomuna
Karriereverweigerung   Haus Bartleby
Produktion ohne Wachstum und im Konsens   Premium Cola
Ganz oder gar nicht?   Mögliche Kritik an den Alternativen
AusblickEine Utopie jenseits der Arbeit
EXTRAS
Eine kurze Geschichte des Arbeitsfetisches
Fragen und Einwände, die mir auf meinem Weg häufig begegnen
Zum Weiterlesen, Hören, Sehen
Statt eines Nachwortes
Danksagung
Anmerkungen

Einleitung

Arbeit? Nein danke! Faulsein? Keine Lust!

Als ich fünf Jahre alt war, sagte mir meine Mutter immer, dass Glücklichsein der Schlüssel zum Leben sei. In der Schule fragten sie mich dann, was ich mal werden möchte, wenn ich groß bin. Ich schrieb hin: »Glücklich.« Sie sagten mir, dass ich die Aufgabe nicht verstanden hätte, und ich sagte ihnen: »Ihr habt das Leben nicht verstanden.«
JOHN LENNON
Zugegeben, der Titel »After Work« mag im ersten Moment verwirren – lädt er doch dazu ein, an After-Work-Partys oder ein sportlich-entspannendes Work-out zu denken. Nach getaner Arbeit. Doch darum geht es hier nicht. Vielmehr geht es mir um eine Welt, in der wir nicht mehr arbeiten müssen und stattdessen endlich tätig sein dürfen – eine Gesellschaft nach der Ära der (Lohn-)Arbeit.
Die Diskussion um den Sinn und Unsinn des klassisch gewordenen Arbeitskonzepts im Sinne der Lohnarbeit – »Ich gehe an eine Arbeitsstätte und verrichte dort eine Tätigkeit, die mit meinem eigenen Leben nicht unmittelbar etwas zu tun hat, bekomme dafür Geld und ›lebe‹ dann nach dem Feierabend« – wird schon seit langer Zeit immer wieder von Philosophinnen und Sozialforschern aufgeworfen.1 Momentan nimmt die Debatte durch die immer schneller fortschreitende Automatisierung an Fahrt auf. Laut einer Studie der Oxford-Universität von 2013 wird fast die Hälfte der Beschäftigten in den USA in den nächsten zwanzig Jahren durch Computer und Algorithmen ersetzt werden können,2 und die Medien fragen sich: »Was machen Millionen Taxi- und Lkw-Fahrer rund um die Welt, wenn autonomes Fahren zum Standard wird? Was wird aus Postboten, wenn die Auslieferung mithilfe autonomer Autos, Roboter oder Drohnen funktioniert?«3 Als Reaktion auf diese Entwicklungen versucht die Politik – in diesem Thema geeint – händeringend nach neuen Arbeitsfeldern. Doch wozu eigentlich? Die Tatsache, dass in den Ländern des globalen Nordens ein steigendes Bruttoinlandsprodukt nicht zu einer Steigerung des Glücks führt, ist längst zur akzeptierten Binsenweisheit geworden. Wirtschaftswachstum als absolutes und alleiniges Ziel steht längst in der Kritik, die Vorstellung eines guten Lebens statt eines superproduktiven rückt zunehmend in den Vordergrund. Nur an das Konstrukt »Arbeit« trauen wir uns immer noch nicht ran. Auf den viel diskutierten Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens als Reaktion auf die steigende Verdrängung des Menschen aus der industriellen Produktion wird von Gegner*innen oft eingewendet, dass Menschen ohne Arbeit ihr Selbstwertgefühl verlieren würden. Ich frage mich aber: Wieso braucht es Arbeit für das Selbstwertgefühl, wenn es Arbeit doch gar nicht braucht?
Die anfänglichen Assoziationen mit dem Begriff »After Work« werfen auch ein bedenkliches Licht auf unser Leben mit der Arbeit: Was macht es mit uns, dass wir nur vor und nach der Arbeit »leben«? Warum fühlen wir uns nur ohne sie frei, und warum dominiert Arbeit trotz dieser Abneigung so stark unseren Alltag? Vieles in unserem Leben dreht sich um Arbeit. Wenn wir in jungen Jahren einen Abschluss machen, um später eine Arbeitsstelle zu bekommen, wenn wir Freiwilligendienste und Praktika absolvieren, um unseren Lebenslauf zu schmücken, wenn wir in fremde Städte ziehen, um die Chancen auf einen besseren Job zu erhöhen … Unsere »mentalen Infrastrukturen«4 – um mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer zu sprechen – lassen es uns gar nicht anders denken, als dass Arbeiten notwendig ist. Nicht umsonst lauten die zwei entscheidenden Fragen in unserer Biografie:
1. »Was möchtest Du später mal werden?«Und später dann:
2. »Was arbeitest Du?«
Die beiden Theoretiker Frederic Jameson und Slavoj Žižek sagten einmal, es sei heutzutage einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Genauso wenig können wir uns eine Welt jenseits der Arbeit vorstellen. Dabei gibt es sie noch gar nicht so lange –wir Menschen haben lange ohne dieses Konzept existiert. Unsere Vorfahren haben sich natürlich auch darum kümmern müssen, sich selbst und ihre Kinder satt zu bekommen. Doch haben sie dafür sicherlich nicht, wie es heute leider immer noch gängig ist, ihre eigenen Kinder zurücklassen müssen, um am anderen Ende der Welt gegen »gutes Geld« die Kinder anderer Leute zu versorgen.
Arbeit ist sinnlos, entfremdet, ausbeuterisch, krankmachend, zerstörerisch und hierarchisch. Ihr zugrunde liegt die Tauschlogik, die auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung beruht, welches zu Selbstverwertung, Leistungszwang und Optimierungswahn führt. Wir arbeiten nicht aus intrinsischer, also innerlicher, sondern aus extrinsischer Motivation: für das Geld, mit dem wir unsere Grundbedürfnisse nach einem Dach über dem Kopf, einen gefüllten Bauch, Anerkennung und einigem mehr erfüllen. Vielen macht das keine Freude. Wir quälen uns nach dem Klingeln des Weckers aus dem Bett.
Aber es gibt eine Alternative, die ich nicht mehr als Arbeit bezeichne: die des Tätigseins aus intrinsischer Motivation – ein Akt der Selbstbestimmung, der sinnhaften Verantwortungsübernahme, um wirklich das zu tun, was uns und andere weiterbringt und aufgrund unseres inneren Drangs in verschiedenster Form Ausdruck findet. Leider ist es in unserer Welt fast unmöglich, selbstbestimmt tätig zu sein, da Konstrukte und Strukturen vorherrschen, die nur wenigen privilegierten Menschen Handlungsfreiheit zusprechen: Eigentum, Tauschlogik beziehungsweise Geld – und eben Arbeit. Selbst die sogenannten hohen Tiere des kapitalistischen Wirtschaftssystems müssen sich diesen Strukturen unterwerfen.

Warum es keine gute Arbeit gibt und der Kapitalismus uns nicht helfen kann

Es gibt viele Brillen, durch die wir die Welt und ihre ökonomische Logik erklären können. Ein Erklärungsversuch, der möglichst nah an der alltäglichen Erfahrungswelt liegt, ist folgender: Arbeit, Eigentum und Geld/Tausch sind untrennbar miteinander verbunden und bilden kapitalistische Grundkonstanten. Dieser Dreiklang gilt sowohl auf individueller Ebene als auch auf gesellschaftlicher: Arbeit ist das Einzige, was wir tun, Geld das, was unsere Beziehungen prägt, und Eigentum alles, was wir haben.
Oder genauer: Eigentum haben die wenigsten von uns. Eigentum ist das, was über unseren Bedarf hinausgeht. Besitz ist das, was wir benutzen und gebrauchen. Und damit ergibt sich folgender Zusammenhang: Wir gehen arbeiten, um Geld zu verdienen, um damit das Eigentum anderer Menschen zu bezahlen. Das meinte Karl Marx mit der »doppelten Freiheit des Arbeiters« – und letztlich aller beschäftigten Personen, inklusive kleiner Selbstständiger: Wir sind nicht versklavt, sondern frei, unsere Arbeitskraft zu verkaufen. Da wir aber auch frei von Produktionsmitteln sind, müssen wir uns doch verkaufen. Denn: Ohne Arbeit haben wir kein Geld, und ohne Geld haben wir nichts zu essen, nichts zum Anziehen und nichts zum Wohnen – oder das Jobcenter im Nacken, dass uns die Hölle heißmacht, endlich einen Job zu suchen. Dabei können wir uns noch so anstrengen, aber ohne Eigentum können wir in der kapitalistischen Hierarchie nicht aufsteigen. Durch Arbeit reich zu werden ist heute kaum noch möglich. Die Schichten differenzieren sich inzwischen wieder in einem längst überwunden geglaubten Ausmaß aus: Im Jahre 2016 besaßen acht Männer so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen.5 2015 waren es noch 62 Menschen.
Aus diesen Beobachtungen darf nun nicht der Fehlschluss entstehen, dass diese wenigen Männer von Grund auf böse sind und wir nichts an der Lage ändern können. Nur sind es nicht die Positionen Einzelner, die geändert werden müssen, sondern systemische Zwänge, die es zu verändern gilt. Denn: Verantwortung und Macht haben nicht nur diese acht Männer, sondern auch wir. Wir müssen aufhören, das kapitalistische Machtgefälle als natürlich zu akzeptieren, und anfangen, uns nicht mehr als Humankapital in einer Pyramide des Erfolgs zu verstehen.
Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Kapitalismuskritik um eine Simplifizierung und damit eine Reduktion komplexer Zusammenhänge. Andere haben das bereits tiefer analysiert.6 Aber selbst aus diesem kurzen Blick auf das System wird klar: Der Kapitalismus wird uns nicht helfen. Wir brauchen eine radikale Kritik der Arbeit. Es gilt, diesen Mythos zu dekonstruieren und praktische Ideen zu skizzieren.

Das Ziel von »After Work«

Dieses Buch basiert neben vielen kritischen Perspektiven auf einer grundlegend positiven Überzeugung: Wir können die Welt verändern! Eine Veränderung unserer Umwelt hat längst angefangen. Ob wir sie aktiv mitgestalten oder nicht, ist jetzt unsere Entscheidung. Wollen wir einen Wandel by design oder by desaster?
Reisen wir gedanklich einmal ein paar Jahrzehnte in die Zukunft:
Es ist das Jahr 2050. Wir stehen mit einem Kind hoch oben auf einem Berg und blicken hinunter auf die Welt.
Wir sehen den Himmel, der von dunklen Rauchwolken durchzogen ist, und riechen stinkende Luft. Das Wasser des Flusses unter uns ist vergiftet und lässt kein Leben mehr zu. Die Pflanzen sind vertrocknet und grau.
Dieses Kind fragt: »Warum ist die Erde so zerstört?«
Und wir müssen antworten: »Na ja, für die Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum war das gut.«
Ist das wirklich die Ausrede, die wir den künftigen Generationen geben wollen? Die Absichten einzelner Unternehmer*innen mögen noch so gut sein – solange die kapitalistischen Marktstrukturen bestehen, wird jedes Unternehmen spätestens, wenn es unter stärkeren Wettbewerbsdruck gerät, Natur vernutzen und die Arbeiter*innen – im Zweifel in einem Billiglohnland – zur Produktivität antreiben. Wir alle sind in einem solch fast unaushaltbaren Spannungsfeld gefangen. Auch für die Einzelperson reicht es nicht, einfach einen anderen, »besseren« Beruf zu finden. Marianne Gronemeyer, die unter anderem das Buch »Wer arbeitet, sündigt« geschrieben hat, spricht es deutlich aus: »Bei genauerem Hinsehen wird man feststellen, dass beinah alles, was heute berufsmäßig an Arbeit verrichtet wird, menschen- und naturschädigend ist.«7
Wir müssten radikal neue Wege einschlagen, um die Verhältnisse zu ändern. Gleichzeitig stehen wir ständig unter Druck, uns dem System zu beugen, um ein gutes Leben führen zu können. Und die Veränderung wird ihre Zeit brauchen. Dieses Buch möchte daher Wege aufzeigen, wie wir schon jetzt im Einzelnen und im Kollektiv Verantwortung übernehmen und uns von dem Konstrukt Arbeit befreien können. Denn wenn immer ich eine Person erlebe, die erdrückt wird unter ihrer Arbeit oder dem Druck, eine zu bekommen, möchte ich sie in den Arm nehmen und sagen: »Du bist gut, so wie du bist. Es ist die Arbeit! Arbeit ist das Problem.«
Bei diesem Vorhaben wird es unweigerlich zu viel Kritik kommen. Diese möchte ich einladen. Ich möchte mit diesen Ideen angreifbar sein und gerne in einem wohlmeinenden sowie konstruktiven Austausch gemeinsam andere Horizonte erfahren. Ich lade jede*n dazu ein, direkt in den Austausch mit mir oder anderen zu treten, gemeinsam weiterzudenken und sich kritische und vielleicht provokante Impulse zu geben, gegenseitig beim Vorlesen oder nach einem meiner Vorträge. Durch einen solchen Austausch können die Zeilen des Buches lebendig werden. Die Ökonomin, Historikerin und Aktivistin Friederike Habermann fasst es Bezug nehmend auf die Zapatistas so zusammen: »Woraus gebiert also das Neue? Nicht aus Dir. Nicht aus mir. Sondern zwischen uns. Im ›choque‹, dem Zusammenstoß.«8 Auf gesellschaftlicher Ebene kann es unweigerlich zu Reibung und Konflikten kommen, doch wie es bei der Band »Arbeitstitel Tortenschlacht« in einer Liedzeile heißt: »Reibung erzeugt Wärme, und wir leben in einer bitterkalten Zeit – dass wir uns reiben, zeigt: Wir sind zum Erfrieren noch nicht bereit.«9

Was möchte »After Work« konkret?

1.
Das Buch möchte dazu einladen, den eigenen Alltag zu verändern, sich als Gestalter*in im Sinne eines transformativen Subjekts und nicht als Konsument*in zu verstehen, nicht auf Politik, Markt und Staat wartend, sondern loslegend und sich anders (gemeinsam im Kollektiv) organisierend.
2.
Es möchte Fragen aufwerfen und Ideen liefern, aber keine allgemeingültigen Antworten predigen.
3.
Es will plakativ und provokant Impulse geben, um Menschen aus der Komfortzone herauszukitzeln und zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema anzuregen.
In diesem Buch werden viele Fakten bewusst kurz und knapp präsentiert. Damit sind sie notwendigerweise verkürzt dargestellt. Ein Buch ist immer auf eine gewisse Seitenanzahl begrenzt, die Gedanken aber sind frei. Ich möchte dazu einladen, Dich mit Deinen Mitmenschen auszutauschen, um gemeinsam weiterzudenken und zu Handlungen anzuregen. Das Buch muss dabei nicht vom ersten bis zum letzten Wort durchgelesen werden, vielmehr soll es zum Stöbern einladen. Es soll anspornen, bisher Geglaubtes zu hinterfragen, dazu einladen, außerhalb der Box zu denken. Lasst uns zusammen auf die Reise gehen. Diese Reise kann und mag aufwühlen, aber auf keinen Fall soll sie den moralischen Zeigefinger erheben. Wir sind zwar alle Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung.
Etappen auf meinem eigenen Weg ins Leben ohne Arbeit
Meine Geschichte vom Arbeitsfetisch zur Arbeitskritik ist lang und führt durch verschiedene Etappen – ein paar davon will ich teilen, um zu Fragen über das eigene Leben anzuregen: Gab es solche Impulse und Momente auch bei Dir? Wie hast Du entschieden? Welchen Weg gehst Du gerade? Und: Wie möchtest Du leben?
1990
Ich beginne ganz am Anfang: mit meiner Geburt. Am 11. Juli 1990 bin ich mit einer Herausforderung auf die Welt gekommen: einem kiloschweren Tumor am Steißbein – der Rest von mir wog nicht viel mehr als das Doppelte. Die Diagnose der Ärzt*innen war klar: Dieser Junge würde niemals laufen können.
Doch meine Eltern glaubten nicht an dieses Urteil. Nun bin ich zwar kein Spitzensportler geworden, aber ich kann mich heute beinahe problemlos von A nach B bewegen. Für mich war das der erste wichtige Impuls, den mir meine Eltern geschenkt haben: Wir müssen das Unmögliche probieren, um das Mögliche zu schaffen, und auf keinen Fall vermeintlichen Autoritäten Glauben schenken, die meinen, dass etwas nicht funktionieren könne oder sowieso noch nie funktioniert habe. Der Versuch, über die vermeintlichen Grenzen des Machbaren zu gelangen, ist zwar keine Garantie für ein Gelingen, aber von vorneherein aufzugeben ergibt gar keinen Sinn. Außerdem ist mir bewusst geworden: Das Leben ist ein Geschenk! Es ist mir zu wichtig, um es mit Arbeit zu vergeuden.
Diese Erfahrung des scheinbar Unmöglichen lehrt mich bis heute ein konstruktiv-kritisch-skeptisches Hinterfragen, wenn Menschen mit scheinbaren Totschlagargumenten argumentieren: »Aber das macht man doch so.« Oder: »Das geht nicht anders.« Oder noch schlimmer: »Das ist doch normal, natürlich und notwendig.« »Das haben wir immer schon so gemacht«. Mit diesen Glaubenssätzen konstruieren wir uns selbst eine Realität. Solche Narrative setzen sich tief in unserem Bewusstsein fest: Wenn ich mein ganzes Leben lang gesagt bekomme, dass ich nicht rechnen oder malen kann, werde ich später beinahe garantiert nicht rechnen oder malen können. Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, der ich mich unhinterfragt unterwerfe.
2002
Meine Eltern waren natürlich in Sorge um meine Zukunft. Für sie stand fest, dass ich gut in der Schule sein müsse, damit ich später studieren und am besten irgendwie verbeamtet werden kann, denn körperlich harte Arbeit kann ich nicht verrichten. Also strebte ich gemäß ihrem Wunsch nach guten Noten – glücklicherweise fiel mir das leicht. Natürlich nur, indem ich mich gegen meine Mitschüler*innen durchsetzte.
Als Kind des Kapitalismus wollte ich neben der Schule auch immer ein wenig Geld dazuverdienen – davon kann mensch schließlich nie genug haben. Ein Erlebnis von 2002 zeigt mir im Nachhinein gut, was so ein Streben nach Geld mit Menschen machen kann. Ich gewann damals in der Computer-AG den ersten Preis für die Gestaltung unserer Schulhomepage. Die Gruppe, die vor uns bei der Preisverleihung auf der Bühne stand, bekam ein Handy geschenkt. Ich freute mich schon riesig, nun endlich auch ein Handy in den Händen halten zu dürfen. Doch als wir an die Reihe kamen, gab es stattdessen ein Programm zur Erstellung von Websites: Microsoft Front Page 2002. Das hatte ich bereits zu Hause. Enttäuscht fragte ich mich auf dem Heimweg, was ich nun mit diesem Geschenk machen könnte. Zu Hause angekommen, recherchierte ich und fand heraus, dass das Programm für etwa 100 Euro auf eBay gehandelt wurde – was für eine Freude! Da ich noch nicht alt genug war, um dort zu verkaufen, organisierte ich mir einen Zwischenhändler, dem ich fünf Prozent Provision versprach. Nach einer Woche hatte ich 95 Euro auf meinem Konto. Aber dabei beließ ich es nicht. Mir kam der Gedanke, dass die anderen Mitglieder der Computer-AG vermutlich gerade dasselbe Programm in irgendwelchen Regalen verstauben ließen. Also nahm ich 50 Euro, besuchte damit meine fünf Freunde aus der AG und machte ihnen ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten: Ich bot ihnen 10 Euro für ihr Programm – mit der inneren Legitimation, dass es doch eine Heldentat sei, wenn sie wenigstens noch die paar Euro hätten anstatt gar nichts. Nach einer weiteren Woche hatte ich insgesamt einen Gewinn von 520 Euro eingefahren.
Es ist unglaublich, wozu ich mich habe verleiten lassen: dem Bescheißen meiner Freund*innen für Geld, das ich nicht mal dringend brauchte. Ein Handy habe ich mir dafür übrigens nicht gekauft. Schließlich gibt mensch sein Geld nicht aus, sondern spart es brav. Wofür? Das war mir auch nicht so richtig klar. Vermutlich, um das ultimative Ziel zu erreichen: reich zu werden.
2006
Zum ersten Mal hinterfragte ich diese Absurditäten während einer Praktikumsbewerbung im Bereich Maschinenbau bei einem großen Konzern. Dort gab es für alle Bewerbungen ein Assessment-Center, wo uns Bewerber*innen gleich zu Beginn erzählt wurde, dass wir zu viele seien und es nicht genug Plätze gebe. Sofort waren wir auf Konkurrenz gedrillt, was zu unschönen Situationen führte. Obwohl ich die Bewerbung »gewann«, fühlte ich mich am Ende unwohl. Das war eine für mich zutiefst wichtige Erfahrung.
Auch das Praktikum war nicht gerade erfüllend, und mir wurde schnell klar, dass so ein Leben für mich nicht infrage kam: inmitten von Männern, die rau und laut redend ihre Wertigkeit verteidigen mussten; Männer, die in ihrem Achtstundenarbeitstag nur das Nötigste erledigten und den Rest der Zeit mit belanglosem Small Talk und vielen anderen Zeitvertreibungsstrategien verbrachten.
Damals fragte ich mich das erste Mal: Warum machen Menschen das? Warum sind sie nicht einfach so lange tätig, wie es sinnvoll ist, und verbringen dann den Rest der Zeit wenigstens wirklich frei und selbstbestimmt?
2007
Dies war das Jahr, in dem ich das mich angrinsende Stück Mortadella-Bärchenwurst nicht mehr einfach ignorieren konnte. Nachdem ich 17 Jahre lang morgens, mittags und abends Fleisch gegessen hatte, wurde mir plötzlich klar, dass dieses leblose Stück Wurst mal ein lebendiges Tier gewesen war. Und ich entschied, dass ich diesen Fleischkonsum nicht weiter unterstützen wollte. Es hatte auch schon als Kind nicht meiner Moral entsprochen, doch mir war es lange gelungen, diesen Zusammenhang total auszublenden – schließlich war Fleischessen doch normal, natürlich und notwendig. Mir war immer gesagt worden, so würde ich groß und stark werden.
Dieser erste Gegenimpuls machte mir klar, dass letztlich alles hinterfragt werden muss. Denn wenn mir etwas so Offensichtliches, wie unser fehlgeleiteter Fleischkonsum, tagtäglich auf dem Teller präsentiert wird und ich es trotzdem nicht erkennen kann, dann gibt es über den Tellerrand hinaus sicherlich viele andere versteckte Grausamkeiten, die ich einfach so reproduziere, ohne es zu merken. Ich begann damals beispielsweise, Schule noch kritischer zu betrachten, absolvierte allerdings noch auf Anraten meiner Eltern das Abitur – denn mit diesem in der Hand wäre ich schließlich frei zu tun, was ich wolle. Später zeigte sich, dass diese Logik sich beim Studium, der Ausbildung und vielem anderen einfach wiederholt – eine vermeintlich unaufhaltsame Spirale.
2013
Im selbstverständlichen und fast schon vorauseilenden Gehorsam studierte ich nach dem Abitur ein paar Semester. Auch das Studium erfüllte mich aber keineswegs: Eigentlich sollte ich nur möglichst viel Stoff in mich hineinfressen, der für meinen Alltag keinerlei Relevanz hatte. Das empfand ich als sinnlose Zeitverschwendung. Als die Bauchschmerzen immer größer wurden, gab es kaum noch ein Zurück (»nur noch den Bachelor, danach bist du ja frei …«). Ein Aha-Moment kam dann allerdings auf einem von mir gestalteten Projekttag. An dessen Ende wurde ich gefragt, warum ich denn so etwas nicht öfter mache. Meine Antwort war ganz einfach: »Weil ich ja noch studiere.« Zunächst schien mir und den anderen diese Antwort völlig schlüssig. Auf dem Rückweg allerdings dachte ich genauer darüber nach und fragte mich: »Warum studierst Du eigentlich?« Studierte ich wirklich nur, um ein Stück Papier zu erhalten, das es mir erlaubte, etwas zu tun, was ich eigentlich längst schon tat? Das befriedigte mich nicht länger. Der Widerspruch war zu groß geworden.
Ich beschloss damals, einen durchaus radikalen Schnitt zu setzen, und entschied innerhalb einer Woche, all mein Geld und Eigentum zu verschenken, mich von meinen Eltern, Mitbewohner*innen sowie einer Professorin zu verabschieden und loszureisen. Die fünf Prozent Studiumsinhalt, die ich wirklich für meine Praxis brauchte, wollte ich mir in einem Prozess des Freilernens organisieren, indem ich Seminare zu genau den Themen besuchte, die mich bewegten und die für mich sinnvoll waren. Es war eine Reise im Vertrauen, dass alles da sein werde, was ich zum Überleben brauche, und dass ich mein Talent einfach in die Gesellschaft einbringen konnte.
Auf diesem Weg traf ich Pia Damm. Mit ihr gemeinsam konnte ich konsequent zweieinhalb Jahre lang geldfrei leben sowie verschiedene Projekte und Aktionen verwirklichen. Letztlich wurde so das Netzwerk »living utopia« initiiert: anfangs völlig geldfrei, inzwischen tauschlogikfrei.