Akonos Berg - Weibel Peter - E-Book

Akonos Berg E-Book

Weibel Peter

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Beschreibung

Die Saison ist vorbei, die Gäste abgereist, im Bergdorf kehrt Ruhe ein. Spät in der Nacht bekommt Jonas, einer der Bergführer im Ort, Besuch von seinem Kollegen Glauser. Es geht um eine Rettung: Vor einigen Tagen sei jemand aus der örtlichen Asylunterkunft geflohen und zuletzt oben bei einer Berghütte gesehen worden. Glauser lässt durchblicken, dass andere Bergführer es abgelehnt haben, sich auf die Suche nach dem jungen Mann zu machen. Akono ist dessen Name, er stammt aus dem Norden Nigerias. In der Asylunterkunft erfährt Jonas, dass Akono aus-geschafft werden soll, sein Antrag ist abgelehnt worden. Jonas bittet seine Kollegin Sara um Hilfe und macht sich zunächst allein auf zur Hütte. Die Hoffnung, dass Akono dorthin zurückgekehrt sein könnte, zerschlägt sich. Nur Spuren seiner Anwesenheit sind zu finden, darunter ein vergilbtes altes Heft. Die Worte darin versteht Jonas nicht, er kennt noch nicht einmal die Schriftzeichen. Aber die Zeichnungen erzählen eine Geschichte, Bilder einer Flucht, schließlich eine Gestalt mit weit ausgebreiteten Armen, oben auf einem Berggipfel. Als Sara eintrifft, beginnt die Suche.

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Peter Weibel

Akonos BERG

Erzählung

Für Manuel, der ein Wahlverwandter von Jonas ist, und Sara, die der Geschichte ihren Namen geschenkt hat.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Dennoch breite die Arme aus und nimmeinen Anlauf für das Unmögliche.

Nimm einen langen Anlauf damit duhinfliegstzu deinem Himmeldaran alle Sterne verlöschen.

Denn Tag wird.

Ein Horizont zeigt sich immer.

Nimm einen Anlauf.

Günter Kunert, aus:IKARUS 64

1

Einer muss es tun, einer muss gehen – mit einem Satz, mit einem einzigen Satz beginnt eine Geschichte.

Jonas erinnert sich, diesen Satz schon einmal gehört zu haben, wann war es? Du kannst es sein oder auch nicht, du brauchst es nicht zu sein – du kannst es vorbeiziehen lassen oder packen. Er weiß, dass das, was wirklich verändert, immer schlagartig geschieht. In einem Augenblick, manchmal in wenigen Stunden, schnell.

Dass in diesen Tagen etwas geschieht, hat Jonas nicht erwartet. Eigentlich mag er die Ruhe der Spätherbstzeit. Er liebt es, wenn alles anders wird. Wenn die Tage langsam werden. Das Gebirg wirft sein Schweigen ins Tal herab, die Gäste bleiben aus. Etwas geht zu Ende, lässt Spuren zurück, es wird still im Dorf. Er liebt die Übergänge, das leise Verschwinden der Betriebsamkeit. Die Zwischenräume, in denen die Veränderungen nicht außen, aber im Inneren stattfinden.

Einer muss es tun. Glauser sagt es nicht sofort, erst später, erst beim zweiten oder dritten Glas. Er ist spät am Abend noch gekommen, Jonas hat ihn nicht erwartet, er weiß nicht, was der Besuch des Obmanns zu dieser Stunde zu bedeuten hat. Eigentlich kennt er Glauser nur flüchtig, nicht gut genug, aber er mag ihn. Er schätzt die Besonnenheit des Älteren, wenn die Bergführer des Dorfes zusammensitzen. Wenn eine drohende Gefahr, wenn eine schwierige Bergrettung zu einer Entscheidung zwingt. Glauser war schon eine Instanz im Dorf, als sich Jonas an die ersten Seillängen im Klettergarten gewagt hat. Als seine Freunde gelacht haben, wenn er gesagt hat, auch ich will Bergführer werden.

Der Berg als Leidenschaft, als großer Gesang vom Leben. Der Berg und die Menschen, die Jonas jetzt hinaufführt. Menschen mit ihren Geschichten, die sie mitbringen, die der Berg mit ihnen schreibt. Glücksmomente, Begeisterung. Erschütterungen.

Glauser kommt lange nicht zur Sache. Er will wissen, wie es Jonas geht, wo er im Leben steht. Redet von den Alltagssorgen, von den Ansprüchen, der mangelnden Ausrüstung der Touristen. Es geht schon gegen Mitternacht, als er unvermittelt sagt, einer ist aus der Asylunterkunft ausgerissen, sie befürchten dort das Schlimmste. Man hat ihn noch oben bei der Karhütte gesehen, dann nicht mehr, seit drei Tagen ist er verschwunden. Und dann sagt Glauser mit einer Heftigkeit, die Jonas bei ihm nicht erwartet hat, es gibt Kollegen von dir, die sich da heraushalten. Ich habe nur wenige erreicht, viele sind weg, aber es gibt Kollegen, die sich für einen Asylanten nicht abmühen wollen – sie sagen es nicht offen, sie denken es. Sie denken, Migranten tragen den Tod im Gepäck, flüchtige Migranten müssen wissen, dass sie auch am Berg sterben können. Man kann das so sehen, sagt Glauser bitter, aber wer so denkt, hat vieles aufgegeben. Und er verstößt gegen die Charta der Bergrettung, die für alle Menschen gilt. Einer muss gehen - wenn keiner geht, haben wir viel zu verlieren.

Eine Zeit lang schweigen beide, es ist so still, dass man nur das rhythmische Ticken einer Uhr hört. Warum bist du gerade zu mir gekommen? Du hast ein großes Herz, sagt Glauser, viele wissen das, und du bist der beste Alpinist, den wir haben. Wer die Karwand im Alleingang schafft, findet fast überall eine Lösung, auch da, wo andere keine mehr finden.

Diese Bilder, die auf Jonas einstürzen, er kann sie nicht einordnen. Ein verzweifelter Flüchtiger droben im Kargebirge, seit Tagen. Vielleicht liegt er auf dem Felsen, verletzt oder schon tot, vielleicht steht er ganz oben, unbeugsam, Jonas kann sich das nicht vorstellen. Was könnte er suchen außer dem Tod? Jonas findet keine Antwort, nicht hier, nicht jetzt, aber irgendwie spürt er in einem Augenblick, dass etwas geschehen wird. Dass er will, dass es geschieht, er hat dafür keine Erklärung. Zu Glauser sagt er, lassen wir es Tag werden, ich gebe dir morgen früh Bescheid.

2

In der Nacht jagen Träume vorüber, später erinnert sich Jonas nur noch an eine Sequenz. Er folgt einem Flüchtigen, er sieht einen Mann die Schneehänge hochsteigen, sieht, wie er sich umdreht. Jonas kann kein Gesicht erkennen, der Mann ist zu weit weg, dann rennt er weiter, verschwindet und taucht am abschüssigen Fels wieder auf. Jonas folgt ihm atemlos, immer weiter hinauf, und als er schon glaubt, ihn verloren zu haben, steht jemand neben ihm. Aber es ist kein junger Mann, Jonas schaut in ein altes, wächsernes Gesicht, er erkennt es jetzt, und als der Mann spricht, erkennt er auch die Stimme. Es ist die Stimme seines Vaters, der vom Berg nicht mehr zurückgekehrt ist. Er hat auch diese Worte schon einmal gehört, hat er sie vergessen? Du musst immer deine Grenzen prüfen, bevor du etwas tust.

Die Traumbilder wirken nach, als Jonas im ersten Tageslicht das Haus verlässt. Es ist kalt und garstig draußen, dünner Sprühregen, an den Hängen oben hängt der erste Schnee des Jahres. Jonas hat sich vorgenommen, zuerst mit den Leuten der Asylunterkunft zu reden, dann will er Glauser Bescheid geben. Auf dem Weg zur heruntergekommenen Anlage über dem Dorf fragt er sich, warum er diesen Weg noch nie gegangen ist. Manchmal hat er gesehen, wie die jungen Männer verloren im Dorf herumstehen, aber hat nie einen von ihnen angesprochen. Er hat nie wissen wollen, wer sie sind, warum sie gekommen sind, er hat sie nur immer als Andere wahrgenommen, nicht beunruhigend, nicht verstörend, nur einfach fremd. Ein Lebenskreis außerhalb, nicht berührbar. Oder nur berührbar mit dem Mut, eigene Schutzzonen zu verlassen. Einmal hat Jonas von Weitem gesehen, wie zwei, drei von ihnen aneinandergeraten sind, ein junger Mann mit dunkler Hautfarbe hat plötzlich losgebrüllt und um sich geschlagen, als wäre er angegriffen oder verletzt worden. Eine wüste Szene, überfallartig und unwirklich, ein paar Leute vom Dorf sind betreten und unbeteiligt danebengestanden, vielleicht auch nur gelähmt, keiner ging hin, auch Jonas ist nicht hinzugetreten. Er hätte es tun sollen, er denkt nicht gerne daran.