Albert Camus - Martin Meyer - E-Book

Albert Camus E-Book

Martin Meyer

4,8

Beschreibung

Als Albert Camus 1913 in der Nähe von Algier zur Welt kam, deutete nichts darauf hin, dass er eines Tages von Frankreich aus das Lebensgefühl einer ganzen Generation prägen sollte. Seine Romane und Dramen, seine Essays zur Philosophie und zur Politik handeln von den großen Fragen der menschlichen Existenz: Freiheit, Schuld, Verantwortung. „Die Pest“ und „Der Fremde“, „Der Mythos des Sisyphos“ und „Der Mensch in der Revolte“ faszinieren daher ebenso heutige Leser. Für Martin Meyer ist Camus einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts überhaupt. Sein Buch erklärt Camus‘ Werk und stellt es in den Zusammenhang seiner Zeit. Zum 100. Geburtstag gilt es Camus als großen Zeitgenossen zu entdecken.

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Hanser E-Book

Martin Meyer

ALBERT

CAMUS

Die Freiheit leben

Carl Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-24444-3

Alle Rechte vorbehalten

© Carl Hanser Verlag München 2013

Umschlaggestaltung: Peter-Andreas Hassiepen, München, unter Verwendung eines Fotos von Albert Camus/© Archives Gallimard/Koestler.

Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Vorwort

I.

Der Sprung ins Absurde

Debüt mit Philosophie - Ein »glücklicher Tod« - Versuche in Kurzprosa - Caligula, der Leidende - Missverständnis mit Folgen - Nachdenken über Sisyphos - Nochmals: »Der Fremde«

II.

Eine Welt von Unheil

Erster Auftritt Sartres - Die Tyrannis der Pest - Gefangenschaft und Exil - Das Böse in der Welt - Belagerungszustand – auf der Bühne - Roland Barthes als Kritiker

III.

Philosophie und Kritik der Revolte

»… in Zeiten des vollkommenen Verbrechens« - Erinnerungen an die Metaphysik - Von Baudelaire zu den Surrealisten - Von der Französischen Revolution zu Stalin - Gerechte und »Gerechte« - Sartre rechnet vor und ab

IV.

Kommentator im Zeitgeschehen

Anfänge eines Journalisten in Algier - Briefe an einen Deutschen - Weder Opfer noch Henker - Ein Scharmützel unter Intellektuellen - Gegen die Todesstrafe - Algerien: vergebliche Hoffnung - Der Künstler und die Freiheit

V.

Spiegelbild im Tagebuch

Auftakt mit Zurückhaltung - Tod und Lebenssinn - Streifzüge in Paris - Über die Freiheit - Reise nach den Vereinigten Staaten - Unterwegs durch Südamerika - Familiäre Krisen, Nöte des Künstlers als Nobelpreisträger

VI.

Verlorene Zukunft – späte Prosa

»Sommer«-Skizzen - Ein Fall ins Böse - Botschaft aus Stockholm - »Exil« und »Paradies« - Auf den Spuren des ungekannten Vaters - Ausblicke ins Ungewisse

Epilog

Siglen

Anmerkungen

Werkregister

Für Megan –

und für Michael

Vorwort

Unter den großen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts nimmt Albert Camus eine besondere Stellung ein. Er ist sowohl der Frühbegabte, der als junger Autor mit seinen Romanen »Der Fremde« und »Die Pest« rasch die öffentliche Aufmerksamkeit erreicht, wie auch der Frühverstorbene, dem es nicht vergönnt war, die volle Ernte seiner literarischen und philosophischen Gedanken einzubringen. Kontinuität ist da. Doch wird sie jäh und tragisch durchbrochen. Der Lebensfaden reißt ab, und es ist die kalte Sinnlosigkeit eines Unfalls, die als Spiegelbild der Absurdität im Dasein scheinbar das letzte Wort behält.

Dieses Unglück ist von den Biographen ausführlich geschildert worden. Anfang Januar 1960 reist Camus von Lourmarin in Südfrankreich, wo er vor kurzem ein Haus der Abgeschiedenheit erworben hat, zurück nach Paris. Er hat die Fahrkarte für den Zug bereits gekauft, als ihn seine Freunde Michel und Janine Gallimard überreden, mit ihnen im Auto zu fahren. Nach einer Übernachtung bei Mâcon im Burgund wird der Weg auf der Nationalstraße am 4. Januar fortgesetzt. Ein Mittagessen in Sens sorgt für eine Ruhepause. Dann: Auf der schnurgeraden Landstraße bei dem Dorf Villeblevin gerät Gallimards Facel Vega plötzlich ins Schleudern und prallt nach heftigem Zickzackkurs in einen Baum. Camus wird gegen das Rückfenster geworfen und ist sofort tot. Michel Gallimard stirbt ein paar Tage später im Spital. Janine und die achtzehnjährige Anne Gallimard überleben unverletzt. Die technischen Gründe für das Fanal bleiben ungeklärt, aber Kenner sind sich einig, dass der starke Wagen diverse Gefahren in sich barg.

In seinen Tagebüchern kommt Camus wiederholt darauf zu sprechen, dass ein Unfalltod im Verkehr als besonders sinnwidrig zu begreifen wäre: als höhnische Tücke des Seins gegenüber einem Leben, das ohnehin vergeblich auf die Transzendenz späterer Erlösung hofft. So verklammert sich Camus’ hartnäckiges und differenziertes Nachdenken über das Absurde in der Welt und die Unbehaustheit des Menschen in ihr auf dramatische Weise mit seiner eigenen Vita. Deren Gewinn aber ist in einem Werk gerettet, das weit über die französische Literatur hinaus bis heute den Geist erregt. Was die condition humaine meint und mit welchen produktiven Beunruhigungen sie umgehen muss, hat Camus in faszinierenden Parabeln, aber auch in Texten ausgeruhter Erzählkunst zu Ausdruck und Form gebracht. Die Freiheit ist hierbei ein Leitbegriff. Sie wird zur Losung für den Einzelnen, sich seiner Chancen ohne Furcht vor den übermächtigen Instanzen – heißen sie Gott, nennen sie sich die Geschichte – mit Selbstbewusstsein zu versichern.

Dieses Buch will den Büchern und Themen nachgehen, die Albert Camus uns hinterlassen hat. Es versteht sich als Lesekompass und vergegenwärtigt dabei die Herausforderungen, die in Camus’ Œuvre teils offener, teils verdeckter angelegt sind. Es interpretiert sowohl im Detail wie im Kontext und zieht das spezifisch Ästhetische wie auch das Politische, das Gesellschaftliche und wichtige Stationen der Biographie heran. Wenn Camus’ Aktualität wie seine Kunst jenseits der Zeiten im Jahr seines hundertsten Geburtstags erneut transparent werden, hat es sein Ziel erreicht.

Zürich, im Februar 2013

I. Der Sprung ins Absurde

Am 7. November 1913 wird in Mondovi Albert Camus geboren. Der Ort liegt im Nordosten Algeriens, das damals noch dem französischen Kolonialreich zugehört. Lucien Camus, der Vater, ist Landarbeiter, stammt aus Frankreich. Er stirbt am 11. Oktober 1914 nach einer tödlichen Verwundung bei der Schlacht an der Marne im Militärspital von Saint-Brieuc. Die Familie der Mutter, Catherine Camus, stammt ursprünglich aus Menorca. Madame Camus versieht den Haushalt und kann zeit ihres Lebens weder lesen noch schreiben. Albert und sein Bruder, der ebenfalls Lucien heißt, wachsen in Algier unter bescheidensten Verhältnissen auf. Die Großmutter mütterlicherseits dominiert die Familie, ein Onkel fügt sich in die Runde. – Früh zeigt sich die wache Intelligenz des Knaben. Sie wird gefördert insbesondere von dem Lehrer Louis Germain sowie später von dem Philosophieprofessor und Schriftsteller Jean Grenier, der Albert mit der Literatur seiner Zeit vertraut macht. Erste Artikel verfasst Camus seit 1932, als Leser bewundert er Malraux und Gide. Ab 1933 studiert er Philosophie und Literatur an der Faculté des Lettres von Algier, der Abschluss erfolgt im Juni 1935 mit einem Lizentiat in Philosophie. 1936 liegt auch die Diplomarbeit zum Thema »Métaphysique chrétienne et Néoplatonisme« vor. Schon damals manifestiert sich eine Lungenkrankheit; sie wird Camus während Jahrzehnten verfolgen.

In die dreißiger Jahre fallen: eine erste Heirat, der Eintritt in die Kommunistische Partei, der Camus bis 1936 zugehört, Arbeit als Schauspieler und Regisseur beim »Théâtre du Travail« und dem »Théâtre de l’Équipe« von Algier sowie Reisen nach Osteuropa und Italien. Für ein knappes Jahr ist Camus als Assistent am meteorologischen Institut von Algier beschäftigt. Seit 1938 wirkt er als Journalist und Redakteur bei »Alger républicain«. Gleichzeitig laufen diverse literarische Projekte – für Erzählungen, für einen Roman, für Theaterstücke. 1937 erscheint eine Sammlung mit fünf Prosaskizzen unter dem Titel »L’Envers et l’Endroit« (»Licht und Schatten«), zwei Jahre darauf folgt eine weitere des Titels »Noces« (»Hochzeit des Lichts«). Im März 1940 übersiedelt Albert Camus nach Paris, wo er den Posten eines Redaktionssekretärs bei »Paris-Soir« übernimmt. Er geht eine zweite Ehe ein und fristet – unter der deutschen Besatzung Frankreichs – ein bewegtes Dasein zwischen Paris, Lyon und Algerien. Im Mai 1942 veröffentlicht der Pariser Verlag Gallimard Camus’ drittes Werk – einen Roman des Titels »L’Étranger« (»Der Fremde«), der bereits im Manuskript die begeisterte Zustimmung André Malraux’ gefunden hat. – So formt sich aus ungewissen und wenig verheißungsvollen Anfängen im Arbeitermilieu von Belcourt bei Algier eine Vita, deren gedankliche Stringenz überrascht. Philosophie und Literatur, der Sinn für das Drama und das Auge für das Leben in seiner teils niederdrückenden, teils vitalen Alltäglichkeit – alles ist da, den Weg für einen großen Schriftsteller zu bereiten, dessen Energien sich nach vielen Engagements hin verteilen.

*

Wenige Texte der Weltliteratur haben sich ihrem Publikum so rasch und nachhaltig eingeprägt wie Albert Camus’ Roman »L’Étranger«. Als das Buch im Frühjahr 1942 beim Verlag Gallimard in Paris erschien, war die Wirkung unter den französischen Intellektuellen groß. Diese Aufmerksamkeit reflektierte den Geist der Zeit und den Nerv einer Epoche, die sich mannigfachen Bedrohungen, Irritationen und Ängsten ausgesetzt sah. Die Besatzung durch die Deutschen war das eine. Sie bildete den politischen Hintergrund, dessen Ableger auch den Alltag insbesondere in der Metropole dramatisch verändert hatten. Das allgemeine Gefühl einer Zukunft ohne Aussicht auf Besserung war das andere, woraus eine »existentiell« aufgeladene Unsicherheit resultierte. Vorbei der Stolz über den Sieg im Ersten Weltkrieg gegen den alten Widersacher, stattdessen die demütigende Erfahrung einer Revanche, die das Symbol von Versailles ins Gegenteil gewendet hatte. Hinzu trat die Wirtschaftskrise, deren Folgen auch das soziale Gefüge der Nation schwer erschütterten, so dass nationale Identität, den Franzosen aus ihrer langen Geschichte ein verlässliches Kapital, in diversen Fraktionen und wechselseitigen Schuldzuschreibungen auseinanderzubrechen schien. Für das Ideologische schließlich war ein breites Spektrum gegenläufiger Interessen und Absichten von links bis rechts zu diagnostizieren, wobei die Extreme die Positionen bürgerlicher Mitte zusehends zurückdrängten.1

Doch dies alles war mit der Geschichte um den geheimnisvollen Fremden des Namens Meursault höchstens indirekt angesprochen. Weder nahm sie die zeitgeschichtlichen Konstellationen auf, noch öffnete sie sich den vertrauten Lebenswelten, wie sie als spezifische Atmosphäre der Pariser Gesellschaft von Balzac bis zu Proust literarisch gestaltet worden waren. Im Grunde traktierte sie terra incognita. Der Verfasser stammte aus dem kolonialen Hinterland, und die Story spielt ebenda, in und um Algier, wo die Sonne auf die Menschen niederbrennt und die Tage gemächlich laufen. Mochte Camus seiner Bildung des studierten Philosophen und eifrigen Lesers viel verdankt haben, das Resultat hat solche Spuren weitgehend gelöscht. Kenner hätten damals nicht nach jenen Vorlagen gesucht, die der französische Gesellschaftsroman so brillant entwickelt hatte, sondern weitaus eher an Tropen und Reflexionen denken müssen, wie sie bei Kafka oder Dostojewski oder den amerikanischen Zeitgenossen aufzuspüren sind. Aber selbst solche Allusionen und Stillagen sind auf überlegene Weise sublimiert – bei bedeutendem spekulativem Überschuss liefert »L’Étranger« zunächst ein minuziöses Porträt der Gewöhnlichkeit im Dasein. Um so massiver und überraschender wirkt dagegen der Einbruch des Unheils oder jedenfalls der Verstörung quer zum Schritt der Banalitäten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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