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Jason Sante erzählt ungeschönt seine persönliche Geschichte voller Leid und Hoffnung. In diesem Werk verschmelzen autobiografische Elemente mit bewusster Lebenshilfe. Der Kampf gegen die Alkoholsucht verlangt in erster Linie Eigeninitiative. Dazu fordert dieses Buch nachdrücklich auf, und sieht sich als mutmachender Wegbegleiter auf dem Weg zu einer zufriedenen Abstinenz. Der Autor wagt eine völlig neue Sichtweise auf die Alkoholabhängigkeit, und zerrt diese unbarmherzig ans Licht. Auch die Hintergrunderkrankungen wie Depressionen, mangelndes Selbstbewusstsein oder Angstzustände werden aufgrund der persönlichen Erfahrungswerte des Autors durchleuchtet. Die eigenen Erlebnisse und Erkenntnisse niederschreiben bedeutet gleichzeitig ein Weitergeben von Strategien und Überlegungen an den Leser. Ein Buch für alle, die ihr Leben endlich wieder leben möchten. Ein Buch, das Mut macht, beim Kampf gegen die Alkoholsucht mit ihren tausend Fratzen. Nicht nur für Betroffene empfehlenswert, auch Angehörige und allgemein am Thema interessierte Menschen sollten dieses Werk lesen. Authentisch, weil „Alkohol ist ein Blender“ der Feder eines Alkoholikers entsprungen ist. Folgende Worte fassen den Inhalt dieses Buch in einem Satz zusammen: Keine Schönrederei, sondern nichts als die Wahrheit.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zum 1. Band und Impressum:
Ein grober Rückblick I:
Die Tiefsee:
Ein grober Rückblick II:
Die lieben Nerven:
Alkohol als Medizin:
Alkohol war mein Sprit:
Die Hochsee:
Zuviel aufgebürdet:
Großstadtrevier:
Neuer Job! Neue Chance?:
Das Ufer:
Das Umkippen:
Einkaufs-Torturen:
Rettung naht:
Wanted Dead or Alive:
Meine erste Entgiftung:
Hoffnungsträger:
Krankenhaus-Alltag:
Der andere Alltag:
Mein erstes trockenes Wochenende:
Die Belohnung:
Der Sommerurlaub:
Meine zweite Entgiftung:
Sucht-Klinik:
Krankheitsbilder:
Alkohol ist ein Blender:
Ergotherapie contra Küchendienst:
Schmuggelware:
Interessante Menschen und Begebenheiten:
Gespräche und Überlegungen:
Fressattacken und andere Ereignisse:
Der zweite Rückfall:
Die dritte Entgiftung:
Ortswechsel:
Die offene Station:
Die Reise:
Die Ankunft:
Der Unfall:
Die Therapie im Schnelldurchgang:
Kopfsache Alkohol:
Die Heimreise:
Der Tag, wo alles wieder begann:
Ende des ersten Teils.
Vorwort:
Ruheloser Mensch:
Suchtdruck:
Nicht schon wieder (der Rückfall nach der Therapie):
Verlegt:
Die Offene:
Gruppenaktivität:
Daheim ist daheim:
Ob du willst oder nicht:
Das Krankenhaus:
Die Visite:
Nicht Willkommen:
Ein netter Versuch:
Fehlgestrandet:
Gewohnte Umgebung:
Selbstdiagnosen und Beschlüsse:
Soziotherapie:
Schnell nach Hause:
Vom Suchtdruck und der Staatsanwaltschaft:
Ein seltenes Hoch:
Ratschläge und der Alltag:
Leben:
Erinnerungen:
Rockiger Sound - null Promille:
Hausgemacht?:
Hilflos:
Die schwere der Sucht:
Gewinner Alkohol:
Katastrophe oder ein Wunder:
Der Tag nach dem Rückfall:
Die Leihfirma:
Trinkeralltag:
Gedanken und spärliche Kontakte:
Zukunftsträumereien:
Tätig werden:
Wochenende:
Offizieller Termin:
Sanfte Entgiftung:
Sieger Alkohol:
Bombenideen und unbedachte Zusagen:
Gedanken und Befürchtungen:
Legal:
Schon wieder unerwünschte Briefe:
Ich sehe was, was du nicht siehst:
Erneute Ankunft:
Suchtbiografie in der Suchtklinik:
Jedem sein Teufelskreis:
Unschöne Erlebnisse:
Briefwechsel:
Ungeliebte Umbrüche:
Der bedauernswerte Junge:
Schwierige Patienten:
Als wären drei noch nicht genug:
MP 3 Player:
Unruhen:
Verfrühter Aufbruch:
Der gelebte Traum:
Meine vorerst letzte Entgiftung:
Schüttelfrost:
1001 Nacht:
Unerwartete Hilfe vom Oberarzt:
Nüchtern in die Suchtklinik:
Auf der Zielgerade:
Dankeschön:
Vorwort:
Freier Geist:
Aufbruch in ein neues Leben:
Auswege:
Ankunft:
Der erste Tag meiner zweiten Langzeittherapie:
Ergotherapie:
Wochenende:
Wochentags:
Wäschekammer:
Therapie-Alltag:
Wäschekammer; und die ersten Folgen:
Sporttherapie und rohe Tomaten:
Kurze Momente:
Träume als Schlüssel:
Feuer frei:
Doch wie kam´s?
Heilige Freizeit:
Verräter oder Freund?:
Werther-Effekt:
Kino:
Pairing:
Und er lebt doch:
Gute Gedanken:
Schöne Zeit:
Heimfahrt:
Nein Danke:
Selbstbewusstsein:
Pubertieren:
Adaption:
Therapieabbruch:
Hintergründe:
Nach der Langzeittherapie:
Suchtdruck und Suchtverlagerung:
Rückfall Sommer 2014:
Oktober 2014 – Januar 2018 (eine Zusammenfassung):
Alkoholiker, Depressionen und die Selbstliebe:
Murmeltag:
Nachwort:
Danksagung:
Literaturverzeichnis:
Meine erhältlichen Bücher unter Jason Sante:
Weitere interessante Bücher aus dem 19. Jahrhundert von Edgar S. Schöberl als Herausgeber:
Impressum
Alkohol ist ein Blender 1. eigenständiger Band:
Die Trilogie „Alkohol ist ein Blender“ erzählt meine persönliche Geschichte. Hier ein paar anfängliche Bemerkungen, zu dem – was dich liebe Leserin, lieber Leser – hier erwartet:
Dieser 1. Band (ebenso der 2. Band) wurde von mir überwiegend autobiografisch niedergeschrieben. Im dritten Band nehme ich mir heraus, auch Strategien weiterzugeben, die mir geholfen haben, um trocken zu bleiben (wobei jeder Teil in sich abgeschlossen ist). Menschen, die den dritten Band gegengelesen haben, bezeichnen diesen als eine Mischung zwischen Biografie und Lebenshilfebuch.
Insgesamt erzähle ich in meiner Trilogie, wie ich einst zur Sucht gekommen bin, auch von zahlreichen Rückfällen, Entgiftungen und Therapiemaßnahmen. Lass dich einfach überraschen, von dem, was ich dir mitzuteilen habe.
***
In diesem Werk verwende ich die männliche Form der Bezeichnung. Das heißt, bei Verallgemeinerungen ist der Autor zugleich Autorin, der Arzt die Ärztin – es sei denn, ich erzähle von einer spezifischen Person.
Es handelt sich hier um kein medizinisches Werk. Alle Aussagen spiegeln rein meine persönliche Meinung sowie das selbst Erlebte wieder.
In meiner Biografie kann ich folglich nur über Therapieeinrichtungen berichten, in denen ich selbst Patient war.
Auch bei den Selbsthilfegruppen spiegelt sich lediglich meine persönliche Meinung wieder. Jeder muss und sollte selbst entscheiden, wo und ob er wann wohin geht.
Wichtig wäre, meine ich, solche Entscheidungen nüchtern zu fällen, etwa während einer Entgiftung, wo sich auch diverse Gruppen oftmals vorstellen.
Hilfreich und bewundernswert sind sie alle, diese Selbsthilfegruppen, Tageskliniken, Suchtberater usw.
Ebenso die Kliniken in Deutschland. Man sollte genau hinsehen, was einem persönlich anspricht – damit meine ich besonders die Hintergrunderkrankungen, die oftmaligen Auslöser – um die jeweilige, vom Programm her bestgeeignetste Einrichtung zu finden (ob nun stationär oder ambulant).
Nun wünsche ich gute Unterhaltung und hoffe sehr, das Buch gefällt. Insbesondere erhoffe ich mir, dass der eine oder andere einen Nutzen daraus ziehen kann.
Personen in der Handlung wurden namentlich sowie vom Aussehen verändert.
Herzlichst, Sigi Schöberl alias Jason Sante
Meine Homepage: jasonsante.beepworld.de
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Alle Ideen und Rechte vorbehalten.
Kontakt: [email protected]
Vorübergehende Postadresse:
Schöberl bei Knillmann
Haunwöhrerstr. 125 ½
85051 Ingolstadt
Da ich ein ewig Reisender bin, empfehle ich den elektronischen Kontakt über meine oben genannte E-Mail Adresse!
Haftungsausschuss:
Die Inhalte dieses vorliegenden Buches geben die Meinung des Autors wieder und wurden nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Das Buch kann keine medizinische oder psychologische Beratung, Diagnose oder Behandlung ersetzen. Bei einer Erkrankung oder dem Verdacht auf eine Solche, ist ein Arztbesuch unumgänglich. Der Autor übernimmt keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen. Haftungsansprüche gegen den Autor, welche sich auf Schäden materieller oder ideeller Art beziehen, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Informationen verursacht wurden, sind grundsätzlich ausgeschlossen. Der Autor behält es sich ausdrücklich vor, Teile der Seiten oder das gesamte Angebot ohne gesonderte Ankündigung zu verändern, zu ergänzen, zu löschen oder die Veröffentlichung zeitweise oder endgültig einzustellen.
"Wer das Boot nicht lenken kann, macht die Flussbiegungen dafür verantwortlich."
(Chinesisches Sprichwort)
So wie es aussah, konnte ich den Kahn nicht lenken. Die Biegungen fand ich zum größten Teil in meinem Arbeitsleben wieder. Aber auch in den mir eigenen Charakterzügen und Vorerkrankungen. Insgesamt habe ich mir viel zu viel zugemutet. Ist es reine Schwäche, ein schlechter Steuermann zu sein?
Ich dachte immer – Ja. Seit einigen Monaten sehe ich die Dinge anders. Und über diese Zeit möchte ich in erster Linie berichten.
Nein. Schwäche ist, auf dem Fluss zu bleiben, den man nicht gewachsen ist. Stärke dagegen, sich in ruhigeren Gewässern zu bewegen.
Um es vorweg zu nehmen. Der grobe Rückblick ist das, was er ist. Eine kurze Zusammenfassung hausgemachter Lebensumstände, die mir persönlich auf Dauer zu viel wurden. Keine Verantwortlichen. Nur ich selbst. Weil ich es zugelassen habe.
Vielleicht mag es sich anfänglich so lesen, als würde ich die Schuld abschieben. Doch die Erkenntnis wird sich nach und nach herauskristallisieren. So wie es war.
„Die längste Zeit war ich duldsam und ohne Ventil.“
(Jason Sante)
„Wer sich seiner Fehler schämt, macht sie zu Verbrechen.“
(Konfuzius)
(Mein Leben in der Dunkelziffer)
Eigentlich war es kein so finsterer Ort, wie sein Name es vermuten lässt. Nennen wir ihn Tiefsee oder Dunkelziffer. Hier verweilten ausschließlich Bewohner, die ähnlich dachten wie ich, was Stressabbau und kurzzeitiges Abschalten betraf.
Zudem ein erstklassiger Platz, um sich bei Bedarf einzugraben, wenn man nicht gesehen werden wollte. Dort verbrachte ich den größten Teil meines bisherigen Lebens; und ich fühlte mich einigermaßen wohl.
Der Sauerstoffgehalt in der Tiefsee war nicht besonders hochprozentig. Trotzdem erfüllte er seinen Zweck und beruhigte auf wohltuende Art. Zukunftsängste und Nervosität waren für Stunden ausgeschalten. Die alltäglichen Hürden schienen von Stunde zu Stunde überwindbarer zu werden.
Minderwertige wurden selbstbewusst. Ängstliche zu Helden. Stille redselig.
Jeder hier unten – so wie ich – ging seinen täglichen Aufgaben nach. Das brachte Geld. Von irgendetwas musste man ja Leben, auch in der Tiefsee.
Niemand fiel besonders aus der Reihe und alle schienen mehr oder weniger zufrieden. Und wenn nicht, dann gab es halt noch eine Pulle Sauerstoff obendrauf. Alleine oder in Gesellschaft. Am Abend oder nachmittags. Jedermann nach seinem persönlichen Geschmack.
Ich wusste, dass sich über uns – dort, wo bereits ein wenig Licht die See durchbrach – einige seltsame Zeitgenossen herumtrieben. Die waren anders, als wir hier unten. Zum Teil schon ohne die täglichen Aufgaben. Sie benötigten außerdem Sauerstoffpullen, die mindestens doppelt so groß waren, wie die unsrigen.
Dort oben, in der Hochsee, lebten die Erkrankten.
Zugeben würden sie das nie, aber jeder wusste es. Da wollte keiner landen. Diese Nachbarn über uns waren süchtig und konnten mit dem Stoff nicht umgehen, so wie wir. Einige wirkten zwar noch halbwegs unauffällig, aber das war alles Sache einer perfekten Fassade.
So etwas könnte mir nie passieren? Oder?
Hier in der Tiefsee waren doch alle normal? Wir wollten uns lediglich ein wenig beruhigen lassen, von dem Zeug. Außerdem musste man ja irgendwie runterkommen. Ich ging schließlich meiner Aufgabe mehr als genug nach, ohne je besonderen Dank dafür zu erfahren. Aber das da über mir? Tzz. Sie waren einfach nur schwach. Oder drückten sie sich absichtlich vor den Aufgaben? Konnte man sich derart gehen lassen? So tief fallen?
Gut, dass meine Welt in Ordnung war.
Da stand ich nun, frisch der Schule entschlüpft; ohne Quali, dafür mit einer Lehrstelle im Gepäck. Viel Auswahl hatte ich ja nicht gerade, mit diesem Abschluss. Es sollte demnach ein Bäcker aus mir werden. Im zarten Alter von fünfzehn Jahren begann mein glorreiches Arbeitsleben.
Jeden Abend, um zweiundzwanzig Uhr, musste ich in der Bäckerei aufkreuzen, um dort zu nächtigen. In einem spartanisch eingerichteten Zimmer – ausgestattet mit Bett, Schrank und Nachttisch – hielt ich von nun an meine täglichen vier Stunden Schlaf. Und das, obwohl mein wirkliches Zuhause gerade mal zwei Kilometer entfernt lag.
Doch es half nichts. Ich hatte eine All inklusive Lehre gebucht. Dafür wurde ich morgens um zwei von einer Türklingel geweckt, die extra für diesen Zweck in meinem Asyl installiert war. Der Meister musste lediglich unten in der Backstube einen Knopf drücken, und schon schrillte es; zwei Stockwerke über dessen Haupt. Dieses unmenschliche Geräusch – das schon an vorsätzlicher Körperverletzung grenzte – hob mich täglich aus den Federn. Fünfzehn Minuten später war antreten in der Backstube angesagt. Sonst konnte es leicht passieren, dass dieses Folterinstrument noch einmal losheulte.
Während meiner drei Lehrjahre musste ich überwiegend Backbleche putzen oder ähnlich geistreiche Aufgaben übernehmen. Der hauseigene Sohn lernte zur selben Zeit wie meine Wenigkeit. Ich war folglich eine Randfigur, die bei den Bemühungen um den eigenen Sprössling völlig unterging.
Du hast die Arschkarte gezogen, dachte ich, und spielte weiterhin die Reinigungskraft. Die einzige Abwechslung bot mir eine allmorgendliche Radtour. Etwas betuchtere Haushalte ließen sich ihr Frühstück bis zur Haustüre bringen. Im Sommer machte es richtig Spaß, doch in der kalten Jahreszeit verfluchte ich diese Touren. Zahlreiche Stürze und ein Bub mit Eiszapfen in den Haaren waren oft genug das Resultat.
Während meiner Lehrzeit fingen meine Eltern mit dem Hausbau an. Der Lebenstraum meines Vaters sollte endlich Wirklichkeit werden. Ich wurde demnach schon sehnlichst erwartet, wenn ich so um vierzehn Uhr von meiner Arbeitsstelle nach Hause kam. Die Bäckerschürze wurde zum Blaumann. Da mein Vater vom Fach war, wollte er das meiste selber stemmen.
Ich stemmte fleißig mit.
Abends sah ich meist noch fern, bevor ich mich wieder auf den Weg ins Asyl machte. Meine Freunde hatten den ganzen Abend für sich und mussten auch nie samstags arbeiten. Ich machte mich immer rarer, da ich sonntags den verlorenen Schlaf nachholen musste.
Ich vermute, dies war der Einstieg in ein eher zurückgezogenes Leben. Der Einzelgänger Stempel war drauf. Zack!
Wenigstens brachte ich es fertig, meine Lehre sauber zu beenden. Wie? Keine Ahnung. Denn ich musste auch vor der Berufsschule arbeiten. Deshalb wurde ich während des Unterrichtes nicht selten von Lehrern aus dem wohlverdienten Schlaf gerissen.
Nun war ich trotz aller Widrigkeiten ein waschechter Bäckergeselle.
Daher bewarb ich mich bei einem Lebensmittelriesen. Prompt wurde ich eingestellt; für drei Schichten am Fließband. Schnell wurde mir klar, dass dies nicht meins war. Ganz und gar nicht. Weder von hinten noch von vorne betrachtet.
Mein Ziel war ein Leben in Freiheit, und dabei `ne Menge Geld verdienen. Es musste logischerweise der LKW Führerschein her. In die schönsten Länder fahren und gleichzeitig dicke Spesen kassieren. Nur am Lenkrad sitzen und sonst nichts tun. Wie schön. Müsste doch eigentlich ein Traumjob sein?
Da ich nicht sonderlich gut verdiente – und der Schein auch damals schon viel Geld kostete – jobbte ich nebenher in der Gastronomie und bei einer Gebäudereinigung. Es war ja noch Zeit bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr. Erst dann durfte man/n – auch Frau – den Lastwagen-Schein machen.
Wenn es mir mal wieder zu viel wurde, mit den zahlreichen Jobs, fing ich an, eigene Geschichten zu schreiben. Bereits in der Grundschule nannten mich die Lehrer einen Tagträumer, der wohl in seiner ureigenen- fiktiven Welt lebe.
Und diese brachte ich zu Papier. Das Schreiben entspannte und lenkte mich gleichzeitig ab. Mit der Zeit wurden dann richtige Romane daraus. Ich befand mich in jenen Momenten in einem anderen Universum und konnte Luft holen – durchatmen. Denn aufgeben kam nicht in Frage. Geld musste her, egal wie. Mein Berufswunsch stand fest. Mein Glaube auch, dass dieses angestrebte Ziel mehr ein Umherreisen, statt harte Arbeit war.
Schon als Kind war mein Natural eher ängstlich und nervös.
Ob da meine männerhassende Oma ihre Finger im Spiel hatte? Wenn meine Mutter ihrem Halbtagsjob nachging – was leider sehr oft vorkam – passte diese auf meine Schwester und mich auf. Um das Ganze aus Omas Sicht zu vereinfachen, sperrte sie mich mehrfach während dieser Zeit in die Abstellkammer. So war weit und breit kein männliches Wesen zu sehen, das meine Oma stören konnte – mal abgesehen davon, dass ich für einen richtigen Mann wohl doch noch viel zu klein war.
Meinen Eltern erzählte ich nichts von alledem. Sie kamen eher zufällig dahinter, weil ich eines Tages irgendetwas – aus Wut oder Panik? – in dieser Kammer zertrümmerte. Was genau dieses zerstörte Objekt war, weiß ich nicht mehr.
Schon ab der dritten Klasse musste ich dann regelmäßig zum Nervenarzt. Mein vegetatives Nervensystem hätte einen Schaden. So oder so ähnlich hieß es. Dementsprechend gefiel es meinem Körper wohl gar nicht, dass ich mir nun so viele Nebenjobs zumutete. Die einzig verbliebenen Hobbys waren nur noch das Schreiben und ab und an mal einen Flohmarkt besuchen. Es fehlte an Zeit, Schlaf und aktiver Erholung.
Immer häufiger suchten mich Ängste und später regelrechte Panikattacken heim. Ich konnte diese Zustände nicht zuordnen, und dachte jedes Mal, daran zu sterben. Organische Schäden waren allerdings keine vorhanden. Der Neurologe konnte mir auch nicht helfen. In der Fabrik, in der ich immer noch arbeitete, bekam ich mittlerweile wöchentlich diese Zustände und landete sehr oft beim Betriebsarzt. Es ging dann irgendwann so weit, dass ich selbst in Supermärkten Probleme bekam. Nicht selten ließ ich den vollen Einkaufswagen an der Kasse stehen und flüchtete mich nach draußen.
Öffentliche Verkehrsmittel wurden ebenfalls zum: geht gar nicht mehr. Ein geplanter Kurzurlaub in Italien endete für mich bereits in Österreich. Mit heftigen Kreislaufproblemen verließ ich den Bus. Die Symptome waren keine Einbildung, doch nach dem Verlassen des Fahrzeugs – welch Wunder – spurlos verschwunden. So ähnlich verhielt es sich auch in den Supermärkten. Verließ ich die vermeintliche Gefahrenzone, beruhigte sich auch mein Nervenkostüm. Abrakadabra.
Ich zog mich immer weiter zurück und war völlig verzweifelt.
Dann passierte das Ausschlaggebende; dessen bin ich mir heute noch sicher. Ich fuhr mit zwei meiner wenigen, echten Freunde nach München. Hätten diese nicht das Auto genommen, ich wäre zu Hause geblieben. Bahnfahren war derzeit für mich nicht drin. Schon der Gedanke daran löste Phobien aus.
Beim anschließenden Marsch durch die Münchner Fußgängerzone verspürte ich bereits erste Anzeichen von Herzrasen. Die vielen Menschen machten mir zu schaffen. Rasch gesellte sich noch Schwindel hinzu. Meine Finger verkrampften sich zur Faust; kraftvoll, wie eine Baggerschaufel. Mit pochenden Schläfen und Schweißausbrüchen flüchtete ich mich in eine Apotheke, wo meine Vitalwerte überprüft wurden. Der Blutdruck war viel zu hoch und mein Puls überschlug sich geradewegs. Ich erzählte der Apothekerin von meinen Angstzuständen, und sie schaffte es, mich ein wenig zu beruhigen.
Ich werde ihr besorgtes- sympathisches Gesicht nie wieder vergessen. Danach erklärte sie mir den Weg zum nächsten Allgemeinarzt. Doch da kam ich nie an. Zwar war mir noch ein wenig schummrig, doch es war auszuhalten. Somit kehrten wir beim Schneider-Wirt ein – anstatt der Arztpraxis – um dort ein Weißwurstfrühstück zu genießen.
»Und das geht gar nicht ohne Bier«, meinte mein Kumpel.
Kurz nachdem mein Glas geleert war, verspürte ich es mehr als deutlich. Körper und Geist entspannten sich gleichermaßen. Alles fühlte sich plötzlich so leicht an, als würde ich schweben. Immer weiter – immer höher. Ich erreichte eine Sphäre, in welcher ich alles tun könnte, ohne mir einen Kopf darüber zu machen. Selbst mit dem Zug nach Hause gondeln wäre nun kein Problem mehr. Herrlich! Klar, dass ich mir noch ein frisches Bier bestellte. Gemundet hats ja auch.
Tja. Von nun an konnte ich endlich wieder Einkaufen, Bahn fahren und all das machen, wozu ich Lust hatte. Dank sei dem Retter in allerhöchster Not. Seit diesem verhängnisvollen Tag, gab es keinen weiteren mehr, den ich ohne Alkohol verlebte. Erst im Alter von dreiundvierzig Jahren sollte sich das erstmals wieder ändern.
Ich trank weder vor noch während der Arbeit – aber danach. Ebenso lenkte ich nie alkoholisiert ein Fahrzeug. Das mit dem Fahren behielt ich bei, die Abstinenz in der Arbeit jedoch nicht.
Schon das Wissen um diesen neuen Schutzschirm wirkte sich positiv auf meine Panikstörungen aus. Konnte ich mal nichts trinken, reichte mir allein schon der Gedanke, dass zu Hause ein Rettungsanker auf mich warten würde. Die Zustände kehrten dorthin zurück, wo sie hergekommen waren: ins nirgendwo. Das dachte und hoffte ich zumindest. Auch dies sollte später wieder anders werden.
Doch vorerst galt: Wer braucht schon Tabletten? Ich habe meine Medizin gefunden – meine Krankheit besiegt!
Nachdem ich zu einem Jahr Bundeswehr gezwungen wurde, um die Berge hoch und runter zu klettern, machte ich endlich den LKW Führerschein und kündigte in der Fabrik. Nun war ich Fernfahrer und träumte von Abenteuern, für die ich so ganz nebenbei noch viel Geld bekommen würde.
Doch weit gefehlt! Es gab zwar noch extra Spesen, die mir bar cash ausbezahlt wurden – allerdings wurde dieses Zusatzgeld an den Raststätten von Speis und Trank sowie überteuerter Duschgelegenheiten aufgefressen. Es reichte bei Weitem nicht und meine Lohntüte musste zusätzlich herhalten. Sonntag um zweiundzwanzig Uhr war Arbeitsbeginn. Meist kam ich erst samstags wieder zurück. Dann und wann waren es auch mehrere Wochen, die ich unterwegs war. Ständiger Zeitdruck, schlecht gelaunte Staplerfahrer und unberechenbare Witterungsverhältnisse waren längst nicht alles, was diesen Job zum harten Brot machte.
Es war ein einsames Tun. Ich war ein einsamer Feierabendtrinker.
Doch alles hat zwei Seiten, und es gab durchaus schöne Erlebnisse, aber auch sehr schmerzliche.
Ich durchquerte halb Europa, hatte oft skurrile Fracht geladen und konnte zudem etwas Gutes tun: Während des Jugoslawienkrieges transportierte ich bei freiwilligen Hilfstransporten Lebensmittel, Spielzeug und Textilien nach Pécs in Ungarn. Dort waren die leidtragenden Kriegskinder in heruntergekommenen Heimen untergebracht. Ich hatte so viel Elend und Leid bis dato nicht gesehen. In Pécs fing ich an, die Menschheit in gewisser Weise zu verachten.
>>Diese Bilder verfolgen mich bis heute. Ich finde, es hat sich sogar noch gesteigert. Immer wieder versuchte ich – auch in späteren Jahren – mein persönliches Trauma regelrecht zu ertränken. Doch ich würde es wieder tun, und bin froh, damals geholfen zu haben. <<
So strebte ich also vor mich hin – einsam, nahezu unauffällig und innerlich verdrossen. Zudem war ich ein Mensch, der sehr schwer nein sagen konnte. Besonders im Berufsleben. Wenn ich zurück denke, hat mir das ein vielfaches Plus an unbezahlten Arbeitsstunden eingebracht, die ich gar nicht machen wollte.
Dass ich jeden Abend trank, störte mich herzlich wenig. Viel zu groß war die Angst vor der Angst.
Ohne etwas Alkoholisches in greifbarer Nähe zu haben, kann ich mein Leben nicht aushalten, dachte ich oft. Nicht nur der Stress war zu bewältigen – auch die Panikattacken könnten immer noch irgendwo schlummern, und auf eine solch fabelhafte Gelegenheit lauern.
Obendrein tat ich damals noch niemanden weh, mit der Trinkerei. Die meiste Freizeit verbrachte ich ohnehin in den eigenen vier Wänden. Ich hatte weder Vollräusche noch Aussetzer, benötigte aber zu Hause eine gewisse Grundmenge zur Beruhigung. Am Steuer war ich weiterhin nüchtern und auch sonst kein schlechter Kerl – denke ich zumindest. Meine Hilfsbereitschaft war allgemein bekannt.
Wurde ich deshalb so gerne von Bekannten zu Wohnungsumzügen eingeladen?
Ja, ich wurde gemocht, von allen, die mich näher kannten. Ich würde eine angenehme Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, höre ich auch heute noch sehr oft. Das mag stimmen, denn jegliche Art von Aggression war mir schon immer zuwider. Außer jene, die sich gegen mich selbst richtete. Tief verborgen konnte ich mich und mein Leben nicht mehr ausstehen. So tat ich weiterhin mehr für andere, als für mich selbst. Innerlich stand ich ständig unter Druck. Ich konnte einfach nicht mehr abschalten – zur Ruhe kommen – selbst beim Schreiben nicht. In meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Bis heute ist mir dieses geblieben.
Dazu gesellte sich eines Tages ein beharrlich- hochfrequentierter Pfeifton im Oberstübchen. Mein Kopf war von nun an ein Transformator-Häuschen. Vielleicht Spätfolgen der Horrorklingel meines Bäckerasyls? Das Geräusch verschwand nur, wenn ich trank. Wieder Zauberei?
Zu dieser Zeit war ich einzig psychisch abhängig, was ich seinerzeit noch nicht einmal ahnte. Das physische (körperliche) kam später noch hinzu. Eigentlich tat ich gar nichts mehr für mich, außer ab und an mal lesen, oder an neuen Romanen schreiben. Ich hatte mich angepasst und funktionierte wie eine Maschine, die zuverlässig und ohne Widerspruch ihre Arbeit erledigte.
Doch keine Maschine läuft ohne Benzin. Mein Sprit war der Alkohol.
(Jenseits der Dunkelziffer)
Na also. Es waren doch nicht allesamt Drückeberger, die um ihre Aufgaben absichtlich einen Bogen machten. Die Meisten konnten diese einfach nicht mehr so bewältigen, wie sie es gerne hätten. Hier, in der Hochsee, existierte dieselbe Artenvielfalt wie einen Stock tiefer – ein bunter Mix aus sämtlichen Aufgabenschichten. Vielen sah man an, dass sie bereits sehr lange Zeit hier verweilten. Ich fühlte mich sehr unwohl, und gehörte doch um Himmels Willen nicht hierhin.
Es war furchtbar anstrengend, wieder abzutauchen, in die Welt der Unauffälligkeit. Allerdings befand ich mich dabei in bester Gesellschaft, denn an der Grenze zur Tiefsee herrschte reges Treiben. Leider nicht nur in diese eine Richtung. Unzählige wurden heraufgespült; und alle hatten sie eines gemeinsam. Ihre Mimik wirkte verzweifelt, ja beinahe gequält; und allesamt hatten sie eine Geschichte parat, welche sie so sehr plagte, dass die wenigsten den Weg aus der Strömung noch alleine fanden.
Ich schaffte es immer wieder, so für zwei- drei Monate in der Tiefsee zu verweilen. Später wurden daraus Wochen und zum Ende hin nur noch wenige Tage. Es gab längst keine Frau mehr, die dort auf mich warten würde. (Nein, Alkohol war nicht der Grund meiner Scheidung).
Schließlich resignierte ich und überließ alles Gottes Hand.
Stopp, nicht ganz. Vor meiner endgültigen Strandung schaffte ich es noch ein einziges Mal zurück nach unten. Es dürften etwa sechs Monate gewesen sein. Ohne Unterbrechung hielt ich mich tapfer am Boden.
Doch dann wurde ich grausam hinaufbefördert. Selbst die Hochsee raste an mir vorbei wie ein ICE – nicht einmal hier war noch Platz für mich. Das Licht kam immer näher. Wie Strandgut wurde ich an Land gespült.
Ich kündigte meine Arbeit im Fernverkehr, weil mein Vater schwer erkrankte. Baldigst fand ich einen neuen Job, bei dem ich jeden Abend nach Hause kam. Ich unterstützte meine Mutter bei der Pflege des Vaters, bis dieser leider viel zu jung verstarb. Zum Abschied sollte ich ihm Versprechen, unser Elternhaus für die Familie zu erhalten. Zumindest sollte ich es versuchen – und ich gab ihm mein Wort.
Eine wahrlich schwere Bürde, die ich mir damals auferlegte.
Meine Mutter bewohnte derzeit als einzige das Haus, was obendrein noch hoch verschuldet war. Ich musste mich somit um mein eigenes Leben kümmern, und um die Erhaltung unseres Familienbesitzes. Jetzt wurde auch die finanzielle Situation fortwährend angespannter. Von meiner ohnehin knappen Freizeit war so gut wie nichts mehr vorhanden. Dafür stieg die Anzahl meiner Nebenjobs stetig an. Zudem sorgte das Haus dafür – einzig durch sein vorhanden sein – dass es mir nicht langweilig wurde. Da gab es reichlich zu tun. Hinten aufgehört – vorne wieder angefangen.
Mein Alkoholkonsum stieg an den Wochenenden im zunehmenden Maße. Die Nebenjobs waren ja meist keine Fahrtätigkeiten – das ging schon irgendwie. Obendrein wurden die Getränke immer hochprozentiger. Ich machte zusätzliche Schulden und verlor nach und nach die Kontrolle über meine Verhältnisse. Der Familienbesitz fraß Unmengen an Geld auf.
Es waren keine direkten Panikattacken, die mich erneut heimsuchten. Doch ich hatte Angst. Angst vor Gesellschaft und Nähe. Ich wollte alleine sein, mit niemanden reden, keinen Menschen begegnen. Das befreiende Glücksgefühl beim Trinken verlor immer mehr an Kraft. Je mehr ich trank, umso trauriger wurde ich. Alles erschien mir völlig sinnlos. In der Arbeit ging es mir ebenfalls ziemlich mies. Ich verspürte keinerlei Antrieb mehr.
Erstmals in meinem Leben zog ich in Erwägung, montags einfach mal blau zu machen. Ich tat es aber nicht – noch nicht.
Bislang trank ich nicht im Job und es gelang mir nach wie vor, die Alkoholmenge sonntagabends etwas herunterzufahren. Dieses Maßband hielt ich dann auch Wochentags strikt ein. So lala knapp an der Grenze. Während der Arbeit nein – abends ja – und an den Wochenenden ganztags und reichlich.
Es war an der Zeit für eine grundlegende Veränderung. Ich brauche dringend eine andere Arbeit, dachte ich. Mir schwebte ein Job vor, bei dem ich nicht hinters Steuer müsste. Schon bald würde ich eine Gefahr im Straßenverkehr darstellen. Am besten etwas mit Menschen. Vielen Menschen. Raus aus der ewigen Einsamkeit – der Gefahr ins Auge schauen. Mich plagten mittlerweile schon Minderwertigkeitskomplexe.
Gastronomie vielleicht? Da hatte ich freilich schon meine Erfahrungen.
Eventuell nach München? Bingo! Das war es. Dort durfte ich schon ein Viertel meiner Kindheit verbringen. Fahrzeug nicht zwingend erforderlich.
Auf die Idee, doch lieber mit dem Trinken aufzuhören, und mir Hilfe zu suchen, kam ich leider nicht. Später durfte ich erfahren, dass dies ein typisches Merkmal von Abhängigkeit war. Fehlende Einsicht. Sich selbst belügen. Entscheidungen treffen zugunsten des Suchtmittels.
Ich meldete mich bei der VHS für ein dreitägiges Gastronomieseminar an und erhielt alsbald eine schicke Urkunde. Endlich hatte ich wieder einen Plan vor Augen, welchen in Wahrheit mein vermeintlicher Freund für mich geschmiedet hatte. Er war ein schlaues Kerlchen und mit allen Wassern gewaschen.
Warum auch mit dem Trinken aufhören? Es war doch viel einfacher, die Wohnung zu kündigen und sich einen neuen Job in einer anderen Stadt zu suchen. Was für ein Sarkasmus. Mit dem Spruch – ich kaufe mir ein neues Auto, weil der Aschenbecher voll ist – kann ich mittlerweile etwas anfangen.
Mein Vorhaben setzte ich rasch in die Tat um und zog tatsächlich nach München. Wenn schon, denn schon. Ich war nun in einer großen Stadt, demgemäß wollte ich auch in einem ebenbürtigen Wirtshaus arbeiten. Ich fing im Hofbräuhaus als Kellner an. Dort werkelte ich sechs Jahre in Vollzeit und im Anschluss noch zwei Jährchen so nebenher.
Mitnichten der bislang härteste Job meines Lebens. Jeden Tag herrschte hier Oktoberfeststimmung. Dann noch unaufhörlich diese Blasmusik. Grauenvoll. Doch ich hatte ja meinen guten Kumpel an der Seite. Eine wahrhaft treue Seele, dieser Alkohol. Von nun an konnte ich ihn endlich schon vor der Arbeit trinken. Klar, zudem in den Pausen. Und danach sowieso. Anders wäre dieser Job auch nicht auszuhalten gewesen. Leider gab es nur wenige Kollegen, die nicht irgendwelche Hilfsmittel benutzen mussten, um dem Ganzen gewachsen zu sein.
Ich arbeitete meist von zehn Uhr Vormittag bis zwei Uhr in der Nacht. Die Wirtsleute führten ein strenges Regiment und behandelten uns Servicekräfte wie Sklaven. Das machen sie wohl nach wie vor.
Warum tut man sich so etwas an? Der Verdienst war hier außergewöhnlich hoch, wegen der guten Umsätze. Ich hatte ein Haus, persönliche Schulden und meine Miete vor Ort zu bezahlen. Selbstverständlich auch Unterhalt. Mein nunmehr gleichbleibender Alkoholspiegel machte die Arbeit zudem etwas erträglicher. Was außerdem fehlte, war die Zeit, nach einem anderen Job Ausschau zu halten. Oder waren es die Voraussetzungen? Ich war nüchtern zu nichts mehr zu gebrauchen. Erst ab einem bestimmten Pegel wirkte ich auf andere völlig normal und fühlte mich sicher. Außerdem kannte ich im Grunde kein anderes Arbeitsleben. Vierzig Stundenwochen waren mir vollkommen fremd.
Hatte ich Urlaub, besuchte ich meine Familie. Wohlgemerkt, ich war geschieden. Meine Familie, das ist mein Sohn, meine Mutter und meine Schwester.
Meistens war ich dann mit Arbeiten am Elternhaus beschäftigt. Lediglich an den Ausflügen, gemeinsam mit meinem Sohn, hielt ich weiterhin fest. Allerdings musste von nun an die Deutsche Bahn herhalten, oder wir unternahmen eben in der näheren Umgebung etwas. Toller Plan! Früher war alles besser (ich hasse diesen Spruch, selbst wenn er an dieser Stelle passend ist). Denn seinerzeit konnte ich tagsüber noch mit dem Auto fahren, und wir kamen mühelos überall hin, ganz gleich ob Freizeitpark, Erlebnisbad oder sonst was.
Inzwischen hatte der Alkohol schon längst das sagen. Entscheidungen traf ich nur noch in Absprache mit meinem anhänglichen Freund. Ich war demnach immer ein klein wenig erleichtert, wenn ich wieder in München eintraf. Eine erschreckende Tatsache, wie ich aber erst später feststellte. Keiner störte mehr die Harmonie mit derlei Fragen wie: »Trinkst du nicht ein bisschen viel in letzter Zeit?«
In der Großstadt war ich anonym. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für einen Alkoholiker. Wie gegensätzlich sich das jetzt anhören mag, hier waren so viele Menschen; und trotzdem scherte sich keiner um den anderen. Man konnte schon um neun Uhr früh am Bahnhof sitzen und sich ein Bier bestellen. Es gab mindestens zehn andere, die dasselbe machten. Deswegen verließ ich manchmal – wenn auch selten – meine Höhle. Bestenfalls auf ein- zwei Bier. Einzig den Whisky trank ich nach wie vor im trauten Heim, hinter geschlossenen Jalousien, obwohl kein Mensch hineingucken konnte.
Meine Schreiberei vernachlässigte ich inzwischen immer mehr. Das einzige, was mir noch etwas Freude bereitete, war, in Büchern zu lesen.
Eines Tages entdeckte ich durch Zufall eine interessante Stellenanzeige in der Zeitung:
>Mitarbeiter für Theater gesucht. Befristet bis zum Intendantenwechsel. <
Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich es trotz meines damaligen Zustandes geschafft habe, mich dort zu bewerben. Ist auch nicht mehr so wesentlich, in diesem Fall – wieso, weshalb, warum – denn ich wurde eingestellt.
Es war der schönste Arbeitsplatz, den ich je hatte. Ich lernte zudem neue Freunde kennen. Wirkliche Freunde, die mir bis heute geblieben sind, ob männlich oder weiblich. Obendrein habe ich mir jedes Bühnenstück Minimum einmal angesehen.
Ein herrlich- faszinierender Lebensabschnitt.
Mein Alkoholkonsum wurde derzeit zwar etwas weniger, blieb jedoch nicht gänzlich aus. Ich war längst körperlich und seelisch abhängig, leistete aber nach wie vor gute Arbeit. Im Hofbräuhaus werkelte ich auf vierhundert Eurobasis weiter, denn ich brauchte ja Geld. Es reichte trotzdem hinten und vorne nicht.
Als der Intendantenwechsel vollbracht war – und mein Arbeitsvertrag endete – brach alles, was von meiner Welt noch übrig war, völlig zusammen. Ich fühlte mich leer und nutzlos. Dabei fiel ich in eine tiefe depressive Phase, die ich mit Unmengen an Whisky bekämpfen wollte. Aber zu spät – ich war schon viel zu tief drin, in den Sümpfen der Sucht. Der Alkohol hatte längst seine Umkehrwirkung erreicht. Er verweigerte seinen Dienst als Seelentröster, und verstärkte stattdessen meine Traurigkeit um ein Vielfaches.
Völlig erschöpft und nervlich am Ende, kehrte ich München den Rücken zu. Ein Schritt, der mir nicht unbedingt leicht fiel. Doch für die Gastronomie fehlte mir die Kraft, und etwas anderes traute ich mir im Augenblick nicht zu.
Ich fand Unterschlupf in meinem Elternhaus und wollte von dort aus meinen Neuanfang organisieren. Zuerst brauchte ich schnellst möglichst eine Wohnung und neue Arbeit.
Meine Mutter meinte, ob es nicht besser wäre, das Haus zu verkaufen. Einerseits fiel mir ein Stein vom Herzen, doch auf der anderen Seite fühlte ich mich als Versager; hatte ich doch ein Versprechen gegeben. Es hing zudem – trotz aller Belastungen – auch ein wenig Herzblut an dem Haus. Dazu kam noch, was ich inzwischen an Arbeit und Lebenszeit in das Objekt investiert hatte.
Zu guter Letzt entschieden wir uns aber gemeinsam für den Verkauf. Ich fand eine neue Wohnung und musste nun zwei Umzüge stemmen. Den von meiner Mutter sowie meinen eigenen.
Man möchte es nicht glauben, was sich so alles in einem großen Haus ansammelt, im Laufe der Jahre. Dafür war das übrig gebliebene Geld umso knapper, weil das Gebäude noch hoch belastet war. Folglich organisierten wir alles selbst, ohne Umzugsfirma.
Das alles geschah im Jahr 2011.
Das Arbeitsamt machte mir fortwährend Druck, obwohl ich noch keine zwei Monate ohne Job war. Und das zum ersten Mal. Sie wollten mich zu einer ganztags Maßnahme zwingen. Ich sollte dort meine Zeit absitzen, um aus deren Statistik zu verschwinden. Eine gängige Methode, um weiterhin mit niedriger Arbeitslosigkeit zu prahlen. Ich bat um wenigstens so viel Aufschub, bis das Haus leer geräumt und die Umzüge vollbracht wären. Vergebens. Logischerweise schoss ich zurück – mit gelben Zetteln.
Apropos gelb. Ich bewarb mich derzeit beim Postriesen um eine ausgeschriebene Stelle als Paketzusteller. Prompt bekam ich eine Zusage.
Inzwischen trank ich etwas weniger, weil ich seit Monaten natürliche Beruhigungsmittel – und in Notfällen – Atosil-Beruhigungstropfen zu mir nahm. Ich war in etwa wieder dort angelangt, wo ich vor meinem Umzug nach München stand. Alkohol nur nach der Arbeit; aber täglich.
Mein neuer Job entpuppte sich derweil als etwas, das ich bereits sehr gut kannte. Enormer Zeitdruck und schlechte Bezahlung – dafür Stunden ohne Ende. Mit der Kohle, das wusste ich ja von vorneherein, aber es war von geregelten Wochenstunden die Rede – anfänglich, beim Bewerbungsgespräch. Das Weihnachtsgeschäft setzte dem ganzem die Krone auf. Aber es wurde wiederholt versprochen, dass wir jede Stunde nachträglich vergütet bekämen. Bis heute habe ich keine müde Mark gesehen – oder vielmehr: die noch müderen Euros.
Und dann passierte es. Ich hatte endlich eine Woche Urlaub, wenn auch im Februar.
Es war so, als hätte ich etwas nachzuholen. Ja, genau so.
Wenn du hier landest, bedeutet das entweder dein Ende – oder deine Rettung.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten:
Liegenbleiben und in der Gosse landen (vorausgesetzt, du stirbst nicht vorher schon an den Folgen), oder du schreist um Hilfe und hoffst, dass dich jemand erhört.
Ich habe mich erst tot gestellt und dann geschrien.
Meine wahre Geschichte (Februar 2012 – Februar 2013):
Endlich mal Urlaub. Hurra!
Den hatte ich auch bitter nötig. Nach dem Weihnachtsgeschäft fing das Umtauschen an. Pakete wurden hin und hergeschickt. Langsam aber normalisierte sich die Lage wieder; und aus vierzehn Stunden wurden wieder die täglichen zehn bis zwölf. Hier sind morgendliche Beladung und abendliche Bearbeitung der unzustellbaren Pakete sowie Abrechnung bereits mit eingeschlossen. Man muss ja immer fair bleiben.
Mit meiner Wohnung konnte ich zufrieden sein, war es aber nicht. Sie stand weder in München, noch in der Stadt, in der ich aufgewachsen war. Leider fand ich dort nicht auf die Schnelle eine passende Bleibe. Man hatte ja seine speziellen Vorstellungen. Na, immerhin bewohnte ich von nun an drei Zimmer und hatte zudem einen Balkon. Kein weiterer Freisitz war über oder neben dem meinigen. Grillen im Sommer? – kein Problem.
>>Mittlerweile mag ich meine Höhle sehr und muss sagen, sie ist wirklich Chic geworden. <<
Um die freie Woche mitten im Februar willkommen zu heißen, kaufte ich mir eine Flasche Sekt und nahm abends ein entspannendes Bad. Während ich wiederkehrend heißes Wasser nachlaufen ließ – und zeitgleich dieses prickelnde Getränk genoss – dachte ich intensiv über mein Dasein nach.
Das Ergebnis war immer dasselbe. Meine Vergangenheit war geprägt von vier Säulen:
Arbeiten – Abendessen – Beruhigungstrinken – Schlafen.
Dieses Rad drehte sich jeden Tag von neuem, wobei ich natürlich das Trinken rechtfertigte. Wehmütig dachte ich an München. Das Theater fehlte mir. Meine dortigen Freunde fehlten mir. Die Wochenenden waren geprägt von Einsamkeit, außer mein Sohn kam zu Besuch. Doch das war nur alle zwei bis drei Wochen der Fall.
An jenem Abend zerfloss ich im puren Selbstmitleid. Eine Arglist meines vermeintlichen Freundes. Er ließ mich in ein tiefes Loch fallen, und präsentierte sich gleichzeitig als derjenige, der mich da wieder rausholen könnte.
Es musste demnach wieder Whisky ins Haus. Ich hatte jedes Recht, mich zu betrinken. Schließlich litt meine Seele. Außerdem hatte ich Urlaub, und es gab nichts zu beachten, was den Alkoholpegel betraf.
Daher beschloss ich, meine Alk-Vorräte aufzustocken. Somit wäre ich eingedeckt, und könnte mir in aller Ruhe überlegen, was hier, in der Wohnung, noch alles zu tun wäre. Und das war jede Menge. Kartons wollten ausgepackt werden, um deren Inhalt an einen würdigeren Platz zu stellen. Farbe hatte ich auch schon besorgt, um die Wände zu verschönern. Hier lag noch einiges im Argen.
So saß ich also das Wochenende über in der Küche und dachte nach. Trinken und Denken, das funktionierte gut. Nur die Umsetzung leider nicht.
Eine Antriebslosigkeit – gepaart mit tiefschürfender Traurigkeit – erfasste mich, wie ich sie noch nie vorher erlebt hatte. Ich war eingefroren. Depressive Phasen waren zwar nichts Neues, aber bei Weitem nicht in diesem Ausmaß. Der Scheitelpunkt war erreicht und es war lediglich noch eine Frage von wenigen Tagen, bis das Fass überlaufen sollte. Alles änderte sich in dieser Woche; mit rasender Geschwindigkeit.
Meos war da.
>>Das wusste ich damals natürlich nicht. Über dessen Existenz und Bedeutung sollte ich aber bald schon mehr erfahren, als mir lieb war. Laut Wikipedia ins Leben gerufen 1968, so wie ich. Was für ein schwacher Trost. Ich komme im weiteren Verlauf des Buches noch auf dieses Enzym zu sprechen<<.
Wir verbrachten das gesamte Wochenende am Küchentisch, mein vermeintlicherFreund und ich. Im Wohnzimmer verbat ich mir jeglichen Alkoholkonsum. Zu meiner Zeit gab es dieses abschreckende Bild des biertrinkenden Mannes – bekleidet mit einer verwaschenen Jogginghose und fleckenbehafteten Unterhemd – sitzend und rülpsend vor der Glotze. So wollte ich nicht werden, und es kam auch nie dazu.
Am Sonntag öffnete ich nicht mal mehr die Jalousien und trank schon am frühen Vormittag. Gegen Abend hin stellte ich zudem die Türglocke ab und programmierte mein Handy auf lautlos.
>>Ich glaube fast, mein vermeintlicher Freund, der Alk hat das getan. <<
Um wenigstens irgendeiner Beschäftigung nachzugehen, fing ich an, eine Art Tagebuch zu führen; in Form einfachster Notizen (welche mir beim Schreiben dieses Buches mehr als nützlich waren). Ich wollte das Geschriebene fürs kommende Wochenende nutzen – zwecks Hilfestellung – um vor der Arbeit wieder runterzukommen. Ein vorgehaltener Spiegel, der mich spätestens dann zurückholen sollte, in die Realität.
Ab Montag konnte ich keinen Kaffee mehr trinken, weil mein Magen danach rebellierte. Ich ließ es bleiben und stellte auch meine Ernährung um; auf Salzstangen. Von Tag zu Tag verschlechterte sich mein Zustand. Ich war nicht einmal mehr fähig, mich zu rasieren. Ständig war ich müde, was zur Folge hatte, dass ich nur noch auf Etappen schlafen konnte. Mein Körper weckte mich stets so nach zwei Stunden, um mir mitzuteilen, dass es höchste Zeit für Nachschub wäre.
Was für eine Plage war es doch letztendlich, dieses Zeug in mich hineinzuschütten! Mir war nur noch schlecht. Ich betete nach jedem Schluck, mich nicht übergeben zu müssen. Der Alkohol möge doch schnell ins Blut gehen, um meinen pulsierenden Körper endlich- endlich zu beruhigen.
Bis Donnerstag schleppte ich mich einmal täglich zum Einkaufen. Längst hatte ich das Gefühl, alle würden mich anstarren und mein Treiben beobachten. Darum wählte ich bestimmte Zeiten, an denen ich weniger Menschen in den Läden vermutete.
Raffiniert täuschte ich jedes Mal eine Party vor, und kaufte neben Alkohol noch Chips sowie andere Knabbereien. Den Kassierinnen erzählte ich manchmal von einer geplanten Feier am Abend. Doch erstens interessierte sie das ohnehin nicht, und zweitens nahm mir das niemand ab, obwohl ich die Geschäfte täglich wechselte. Ich hatte einfach jenes Bedürfnis, mich zu erklären. Meine Augen waren glasig, gerötet und extrem lichtempfindlich. Das Wechselgeld konnte ich mit zittrigen Händen kaum noch entgegennehmen. Trotz der winterlichen Jahreszeit war kalter Schweiß auf der Stirn mein ständiger Begleiter – und Pfefferminzbonbons.
Keiner hielt somit meine Chipstüten im Einkaufswagen für Gästeverpflegung, sondern als das, was sie letztlich waren: Ein Scheinkauf.
Zum Ende der Woche quälte ich mich letztmalig zum Einkaufen. Mein Nervensystem war bereits so angeschlagen, das ich es kein weiteres mal schaffen würde. Den bevorstehenden Montag hatte ich längst aus den Augen verloren. Alles was zählte, war mein Alkoholpegel, den es hochzuhalten galt. Es plagten mich fürchterliche Zustände, die ich aus der Vergangenheit so nicht kannte. Mundtrockenheit und Zittern waren noch die angenehmsten Begleiterscheinungen.
Demnach sollte es nun eine vorgetäuschte Megaparty für hartgesottene werden. Auf Softdrinks wie Bier und Wein wollte ich verzichten – viel zu wenig Prozente.
Würde das auffallen, an der Kasse? Kein Bier, nur Schnaps? Nein, jeder anständige Haushalt hatte diese Getränke sowieso stets griffbereit im Keller. Doch einzig Whisky für eine Feier war mir dann doch zu brenzlig. Das könnte beim Bezahlen darauf hindeuten, dass womöglich ich allein das alles Trinken würde. Es landeten daher noch zwei Wodkaflaschen im Einkaufswagen – und zur Krönung eine Flasche Eierlikör. Meine Ausbeute versteckte ich unter Knabberzeugs, sodass ich dezent meine Runden weiterdrehen konnte. Um das ganze Perfekt abzurunden, griff ich nach zwei Halbliterflaschen Cola, um diese Stolz in meinem Wagen zu präsentieren. Sodann umkreiste ich die Kassengegend und wartete ab, bis sich eine Gelegenheit bot, mich so unauffällig wie möglich aus der Affäre zu ziehen.
Es mussten die passenden Leute anstehen. Am besten mit viel Alkohol im Wägelchen. Kunden, die vielleicht tatsächlich eine Party planten.
Als ich wieder in meine verdunkelte Wohnung zurückkehrte, fiel mir eine Riesenlast von der bleiernen Brust. In diesem Augenblick fühlte ich mich wie ein Sieger.
>>Beim Gedanken daran, wie fest die Sucht mich zu diesem Zeitpunkt schon im Griff hatte, läuft es mir immer noch eiskalt den Rücken hinunter. Auch in der vergangenen Sekunde, während ich den oberen Absatz geschrieben habe. <<
Je näher der Sonntagabend heranrückte, umso verzweifelter wurde ich. Der ganze Urlaub war so was von sinnlos. Ich hatte nicht ein einziges Vorhaben umgesetzt. Mein Zustand war mehr als erbärmlich – körperlich wie seelisch. Die letzte Flasche Whisky, die ich schon mit Cola strecken musste, war um etwa neunzehn Uhr geleert; vom Wodka ganz zu schweigen.
Montag war ein kürzerer Arbeitstag, weil da die Firmenpost ausblieb. Ich redete mir ein, den würde ich schon irgendwie überstehen. Was ich bräuchte, wär nur genügend Schlaf, um wieder vollends nüchtern zu werden, hoffte ich. Am späten Abend zwang ich mich zu einer Rasur – das kostete einiges an Überwindung. Jeder alltägliche Handgriff wurde zur Zerreißprobe und bedurfte stundenlanger Vorplanung. Nun, irgendwie schaffte ich es, und blieb zur Belohnung solange auf, bis die Eierlikörflasche nur noch Viertels voll war.
In der Nacht wurde ich mehrmals von schlechten Träumen wach gerüttelt. Dann stand ich auf und nahm jedes Mal kleine Schlucke von dem restlichen Likör. Das Zeug sollte mich beruhigen, um schnellst möglichst wieder einschlafen zu können, was allerdings mehr und mehr zur Pein wurde. Das Nachttischlicht neben mir war längst eingeschalten. Ich verspürte eine furchtbare- innere Unruhe und lag im eigenen Schweiß gebadet. Es brauchte stets zehn oder mehr Anläufe, ehe ich wieder für kurze Zeit wegtreten konnte. Wiederholt zuckte mein Körper in sich zusammen, während des Übergangs in die Schlafphase. Dabei schoss ich meist abrupt in die Höhe, und nahm meine vertraute Umgebung völlig verändert wahr. Selbst die Hände fühlten sich in dieser misslichen Lage kalt, kribbelig und befremdlich an. So, als würden diese nicht mehr zu mir gehören.
Als läge ich in einem Gemisch aus Ameisenhaufen, Glibber und Eisschollen.
>>Dieses Aufreißen beim Einschlafen hatte ich schon immer sehr extrem. Doch seit ich trank, verschwand es wieder, mitsamt den Panikattacken. In dieser Nacht suchte es mich erstmalig wieder heim. Von meinem damaligen Nervenarzt wusste ich, dass dieses Aufschrecken ganz normal wäre und jeder Mensch davon betroffen sei. Bei mir wäre dies allerdings deutlich ausgeprägt, wegen meines nicht sehr stabilen vegetativen Nervensystems, meinte er. Diese Zuckungen lösten schon einmal einen Kreislaufkollaps aus, während meiner Lehrzeit. <<
So gegen vier- halb fünf ging gar nichts mehr. An Kaffee war nicht zu denken, und für eine Dusche stand ich viel zu wackelig auf den Beinen. Mein Körper schrie nach Alk. Mit jeder verstrichenen Minute wurde es unerträglicher. Eine Ewigkeit bis sieben Uhr. Dann erst würde der Supermarkt um die Ecke seine Alkoholvorräte zum Verkauf freigeben.
Zur Arbeit konnte ich in diesem Zustand unmöglich gehen. Ich würde mich krankmelden müssen, wegen Grippe oder irgendetwas anderem. Die Zeit verging einerseits viel zu langsam, weil ich nichts Trinkbares besorgen konnte. Andrerseits bereiteten mir die fortschreitenden Sekunden Unbehagen. Der bevorstehende Anruf bei meinem Arbeitgeber war für mich der reinste Horrortrip.
Inzwischen fühlte sich mein Kopf an, als wäre er aus Glas und würde jeden Augenblick zersplittern. Und keine Aussicht auf Rettung. Eher das Gegenteil war der Fall. Zäh tropfte der restliche Eierlikör aus der Flasche – als wolle er mich dadurch demütigen – um schließlich doch noch im Trinkbecher zu landen. Viel zu wenig. Mit den Fingern wischte ich die Ränder desselben aus, um ja nichts zu verschenken. Stattdessen wurde der Entzug immer heftiger. Sämtlichste Blutgefäße verwandelten sich in reißende Flüsse, und ich konnte jeden einzelnen davon spüren. Jede Sekunde erwartete ich einen Schlaganfall oder Herzinfarkt. Wie ein ausgeleiertes Mühlrad schien sich meine Pumpe geradewegs zu überschlagen, um den gewaltigen Strömungen Herr zu werden. Jederzeit könnte diese an der Last zerschellen.
Es war kurz vor halb sieben, als ich vor meinen Medizinschrank stand und ein kleines Fläschchen mit Kreislauftropfen herausfischte. Ich konnte es kaum halten, denn meine Hände wollten mir nicht mehr gehorchen. Ich erwischte es im letzten Moment, denn gleich darauf bekam ich Krämpfe in den Beinen und musste mich auf den Boden setzen. Verzweifelt massierte ich meine Waden – und tatsächlich, der Schmerz wurde etwas erträglicher. Trotzdem kroch ich auf allen Vieren in die Küche zurück.
Sollte ich mit dem Taxi in den Supermarkt fahren? Fünf Gehminuten? Oder machen die auch Einkäufe und liefern? Nein, das wäre eine Blamage hoch drei. So oder so ähnlich dachte ich an diesem Morgen, wenn hier überhaupt noch von Denken die Rede sein konnte.
Die Tropfen aus dem Medizinschrank hatten – wenn ich mich Recht erinnere – fast fünfzig Prozent Alkohol. Das könnte die Rettung sein, hoffte ich. So gut es ging, schüttelte ich das Fläschchen so lange über meinem geöffneten Mund, bis nichts mehr herauskam. Bitte, ihr Tropfen, geht schnell ins Blut. Ich sterbe gerade, bettelte ich ins nirgendwo. Stattdessen bekam ich Magenkrämpfe und krümmte mich zusammen. Mit Gedankengewalt und tiefem Einatmen versuchte ich das Zeug unten zu halten, was mir letztlich auch gelang. Der Entzug aber ließ nicht von mir ab.
Niemals schaffe ich es die Treppen hinunter, geschweige denn zum Supermarkt, erwog ich in meiner Not. Das Telefon lag in Reichweite. Hilfe holen? Doch lieber wollt ich sterben, als so von Rettungskräften vorgefunden zu werden. Ich könnte ihnen vielleicht nicht einmal die Türe öffnen. Und was würden die Nachbarn sagen?
Selbst in dieser Situation ließ mich mein Selbstbewusstsein wieder völlig im Stich. Alles würde ich ertragen, nur nicht so von anderen gesehen zu werden. Irgendetwas musste ich aber tun. Die Alkoholmenge, welche ich intus hatte, reichte bei Weitem nicht aus, um mich zu beruhigen. Mit jeder verstrichenen Sekunde baute ich wertvollste Promille ab. Verzweifelt wählte ich schließlich die Nummer meiner Mutter, die damals noch ganz in der Nähe wohnte und einen Zweitschlüssel besaß.
Natürlich war sie geschockt, als ich sie anflehte, mir schnellstens Alkohol zu besorgen.
>>Später erzählte sie mir, trotz des frühen Morgens telefonisch einen Arzt erreicht zu haben. Der erklärte ihr, sie solle mir dringend etwas Alkoholisches zu trinken geben, und mich dann in die Notaufnahme fahren.
Zu der Zeit wusste ich nicht, wie sehr ich mich in Lebensgefahr befand. Eine mögliche Leberzirrhose war nur eine der vielen Todesursachen bei Alkoholmissbrauch. Ich hätte jederzeit – durch den kalten Entzug – ins Delirium fallen können (was mittlerweile auch schon einmal geschehen ist), oder ein plötzlicher Krampfanfall hätte mein Leben abrupt beenden können.
Ein Entzug darf nur in der Klinik gemacht werden. Dort erhält man ruhigstellende Medikamente, die so etwas Vorbeugen oder gar verhindern. Zudem ist jederzeit medizinische Hilfe gewährleistet.
Häufige Todesursache sind auch unvorhersehbare innere Blutungen, wenn eine durch das Gift Alkohol gereizte Ader platzt. <<
Nun aber zurück ins Geschehen.
Schon die Aussicht auf Rettung konnte mich etwas beschwichtigen, und so schaffte ich es, mich auf meinen Stuhl zu hangeln. Eine halbe Stunde später war meine Mutter endlich hier, mit drei Liter Weißwein im Tetrapack. Ich schenkte mir ein Glas nach dem anderen ein. Es war so befreiend, dieses Gefühl, als würde eine Schmerztablette heftige Zahnschmerzen vertreiben.
Der Alkohol kommunizierte mit mir, indem er aufzeigte, was nicht alles passieren könnte, wenn man einen guten Freund nach einer harmonischen Woche so einfach vor die Türe setzen wollte. Es war eine Warnung mit Happy End. Alles war wieder gut; und wir beide längst versöhnt.
Mein Körper funktionierte inzwischen wieder, als wäre nie etwas vorgefallen. Einzig die vorausgegangenen Wadenkrämpfe machten bei jedem Schritt noch auf sich aufmerksam.
Aber deswegen gleich ins Krankenhaus? Nein!
Wozu auch; mir ging es doch blendend. Ich hatte ja nun alles, was ich benötigte. Meine Mutter redete zwei Stunden auf mich ein, und ich versprach, es mir wenigstens zu überlegen. Sie wollte später noch einmal nach mir sehen.
Als ich dann alleine war, ging es meiner Seele sofort wieder schlecht. Wie auf Knopfdruck. Ich sah die entgangenen Anrufe auf meinem Handy.
Mein Arbeitgeber. Ich hatte nichts von mir hören lassen.
Dann war es halt so! Nichts war wichtig, nur das Trinken. Sämtliche Gedanken schienen isoliert und ich war nun völlig aus der Spur. Weltfremd. Somit saß ich wieder im Dämmerlicht meiner Wohnung und dachte nach.
Doch das Resultat meiner eingeschränkten Denkweise war erschreckend: Nie wieder wollte ich die Wohnung verlassen. Lediglich zum Einkaufen. Auf gar keinen Fall jemanden öffnen. Nur meinen Sohn, meiner Mutter und meiner Schwester. Besser künftig von Hartz 4 leben, als je wieder ohne wichtigen Grund in diese Welt hinausschreiten.
Ich wünschte mir den ewigen Winter, um mich unter meiner Mütze und hinter dem Schal verstecken zu können, während ich mir kurz darauf noch Whisky besorgte. In meiner Seele war dieser Wunsch schon lange in Erfüllung gegangen. Denn dort war es trüb, und ringsum umgaben mich kahle Landschaften, wohin ich auch blickte.
Eine gute Stunde nach meiner Rückkehr vom Einkaufen klopfte es an der Türe. Die Klingel war nach wie vor außer Betrieb. Ich erschrak fast zu Tode und bekam augenblicklich Herzrasen. In der Wohnung selbst war es mucksmäuschenstill.
Draußen stand ein Arbeitskollege, der immer wieder meinen Namen rief. Ich war erstarrt und konnte mich nicht mehr bewegen. Dann hörte ich, wie er sich mit meiner Nachbarin unterhielt. Er erzählte ihr, dass ich sehr zuverlässig sei und etwas passiert sein könnte. Anschließend lief er die Treppen hinunter und alles war wieder gespenstisch ruhig.
Ich werde morgen anrufen und alles erklären, dachte ich. Morgen, nur nicht heute. Just machte ich mir die schlimmsten Vorwürfe. Vollkommen gerechtfertigt – doch am Küchentisch saß längst nicht mehr meine Wenigkeit. Da saß jemand, der einfach nur Schweigen und in Ruhe gelassen werden wollte. Die Küchenjalousie war ganz heruntergezogen. Ich beschloss, diese einen Spalt zu öffnen, um wenigstens mitzubekommen, falls sich jemand annähern sollte, um meine Festung zu stürmen. Was war nur aus mir geworden?
Diese Gedanken bekämpfte ich mit viel- viel Whisky, bis es etwa zwei Stunden später erneut klopfte und ich abermals aufschrak.
Eine mir unbekannte Männerstimme rief mich beim Nachnamen. Ich stellte mich tot, was auch nicht sonderlich schwerfiel, denn zum Teil war ich es ja bereits. Völlig lautlos ging ich den einen Meter zum Fenster und erstarrte. Unten stand ein Streifenwagen. Die Polizei war vor der Türe. Meine besorgten Kollegen mussten sie informiert haben.
Jetzt mischten sich wiederholt die Stimmen meiner Nachbarn ins Gespräch. Vielleicht ist er verreist und hängt irgendwo fest, hörte ich. Dann wieder den Polizisten, der meinte, sie würden erst einmal versuchen, meine Mutter zu erreichen, bevor sie sich Zugang verschaffen würden. Eine Minute später war das Treppenhaus wieder leer und die Beamten standen unten am Streifenwagen. Ich bewegte mich wie ein Einbrecher in der eigenen Wohnung.
Was habe ich nur angerichtet!- schrie es in meinem Kopf. Noch nie war ich so zerbrochen und verzweifelt gewesen, wie in dieser Situation. Dann griff ich zum Telefon.
Ich rief bei der örtlichen Polizeidienststelle an und gab Entwarnung. Ich hätte einen Nervenzusammenbruch gehabt und dabei sehr viel getrunken, erzählte ich der hilfsbereiten Polizistin. Und ich wäre nicht in der Verfassung, jemanden unter die Augen zu treten. Die Dame gab mir die Nummer einer Telefonseelsorge, die ich kurz darauf wählte.
Niemals wieder werde ich diese Worte vergessen. Es war das erste Mal, dass ich es mir selbst eingestand.
»Ich bin Alkoholiker und völlig fertig«. Im ersten Moment konnte ich nicht glauben, dass ich das gerade gesagt hatte. Einer mir völlig fremden Person.
Und dann kam die Erleichterung.
Es fühlte sich an, als würden hunderte von Wackersteinen aus meiner Seele purzeln. Danach erzählte ich der Dame alles. Auch von der Arbeit, und dass ich mich dort einfach nicht gemeldet hatte. Ich redete weiter, über die vergangenen Stunden, über die letzte Woche. Die Seelsorgerin versprach, bei meinem Arbeitgeber anzurufen.
Ich weiß nicht mehr, wie weit ich damals noch ausholte, mit meinen Schilderungen. Erinnern kann ich mich, dass ich erzählte, wie sehr ich unter dieser jahrelangen Schauspielerei gelitten habe und wie kräftezerrend diese letztendlich war. Ein andauerndes Versteckspiel. Und dass ich es irgendwie wusste, abhängig zu sein, aber die Tatsache nicht akzeptieren wollte. Während meiner Zeit in München galt für mich tatsächlich dieser Spruch: »Ich habe kein Problem mit Alkohol, aber ohne!«
Sie hörte mir aufmerksam zu, während ich vom leidigem Be- und Entsorgen sowie meinen Einkaufstouren erzählte, bei denen ich jedes Mal aus Scham im Erdboden versinken wollte. Selbst Feiertage mussten akribisch in die Vorratshaltung miteingeplant werden. Mein sämtliches Gedankengut drehte sich in den letzten Jahren nur noch um den Alkohol, auch das verschwieg ich nicht.
Es war Befreiung in seiner reinsten Form, dieses Telefonat.
Nach dem Gespräch traute ich mir sogar zu, mein Handy samt Haustürglocke wieder auf laut zu stellen, und setzte dieses Vorhaben in die Tat um. Etwa zwei Stunden später schellte es auch schon.
Durch den Türspion erkannte ich zwei meiner Vorgesetzten, und öffnete ihnen mit dem Gedanken – jetzt ist eh schon alles egal. Ich bat die Herrschaften ins Wohnzimmer und versuchte meinen Kopf möglichst aus der Schlinge zu ziehen. Deshalb erklärte ich, wie sehr ich München vermissen würde und von meinem Umzug hierher. Dann vom Verlust des Hauses und zwei weiteren Umzügen, die ich fast alleine bewerkstelligen musste.
Nach jedem Satz entschuldigte ich mich für mein Verhalten. Dann berichtete ich, wie viel Druck das Arbeitsamt zeitgleich ausübte, obwohl ich damals schon am Suchen war.
Dass der derzeitige Job mich total überforderte, verschwieg ich natürlich.
>>Eigentlich war ich abgehärtet, was die Arbeit betraf. Doch die vergangenen Ereignisse hatten mir in der Tat zugesetzt. Und ich war längst keine zwanzig mehr. Schon morgens, wenn der zum Bersten vollgeladene Paket LKW aufs Betriebsgelände einbog, um unsere „Ware“ anzuliefern, war mein Tag bereits gelaufen. <<
Ich verschwieg auch, wie einsam ich mich meistens fühlte.
Zusammenfassend rechtfertigte ich mich damit, dass mir im vergangenem Jahr alles zu viel geworden war, und ich die Belastungen nicht mehr aushalten konnte. Dass mein Verhalten an diesem Tag mehr als falsch war, wusste ich natürlich. Mein schlechtes Gewissen setzte mir ohnehin gewaltig zu.
Das Gespräch verlief ziemlich einseitig und ich empfand das ganze eher als Begutachtung meines aktuellen Zustandes. Natürlich auch auf Hinsicht meines Zeitvertrages, der alle halbe Jahr verlängert werden musste. Die beiden verabschiedeten sich mit dem Hinweis, ich solle doch die Jalousien öffnen, um Licht in die Wohnung zu lassen.
Etwas später erhielt ich einen Anruf von unserer betrieblichen Sozialarbeiterin. Diese erklärte, ich sei nicht der Einzige, für den Alkohol nunmehr ein Problem darstellte.
>>Für mich war immer klar, dass es niemanden außer mir sonst geben konnte. Eigentlich dürfte ich gar nicht existieren. In meiner Welt gab es nur A und B. Auf der einen Seite all jene, die bereits auf der Straße lebten, auf der anderen die Genusstrinker, welche aber ebenso gut darauf verzichten konnten.
Dazwischen war kein Platz. Wo stand ich also? Die Antwort – ich befand mich in bester Gesellschaft. <<
Die Sozialarbeiterin wollte mich überreden, ins Krankenhaus zu gehen. Doch was sollten die schon für mich tun? – überlegte ich. Vielleicht eine kreislauf-stabilisierende Spritze geben? Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich null Ahnung. Das Wort Entgiftung befand sich nicht in meinem Sprachgebrauch. Die freundliche Frau bemerkte wohl, dass sich alles in mir sträubte und fragte, ob sie mich am nächsten Tag kurz besuchen dürfe. Ich bejahte.
Denn der morgige Tag lag noch in angenehmer Ferne. Alles war gut, was nicht heute geschehen sollte. Doch er kam unbarmherzig, der nächste Morgen; und somit auch die Sozialarbeiterin.
Selten zuvor hatte ich eine derart herzensgute und geduldige Frau kennengelernt. Ich trank natürlich schon seit in der Frühe. Demzufolge ging es mir körperlich gut, als sie gegen zehn Uhr eintraf und mich bekehren wollte.
Ins Krankenhaus gehen würde bedeuten, Abschied zu nehmen. Es hätte auch zur Folge, nie wieder in diese Scheinwelt abzutauchen, in welcher man Probleme austreten konnte, wie eine glühende Zigarette.
Andrerseits war es tatsächlich nur Selbstbetrug. Letztendlich gab ich nach.
Mein rettender Engel besorgte bei meiner Hausärztin einen Einweisungsschein. Ich packte derweil meine Tasche. Zwischendurch ging ich immer wieder in die Küche und trank so viel, wie es mir nur möglich war.
Es war meine Art, Good Bye zu sagen.
Heute weiß ich noch genau, wie ich damals fühlte. Meine Welt, die ich nicht anders kannte, würde aufhören zu existieren. Wie ein sterbender Stern. Der Alkohol wollte mich festhalten und zerrte überall, wo er mich nur packen konnte.
Als die Sozialarbeiterin wieder in meiner Wohnung eintraf, und mich zum Aufbruch drängte, musste ich mich noch kurz auf meine Couch setzen. Das letzte Mal hatte ich geweint, als ich meinen Sohn nach dessen Geburt in den Armen hielt. Es waren die schönsten Tränen meines Lebens, und ich wehrte mich nicht, sondern ließ es zu.
Dieses Mal kämpfte ich dagegen an, doch ich hatte keine Chance. Der Anfall dauerte etwa zehn Minuten.
Ich war ein Wrack.
Um etwa sechzehn Uhr brachen wir zur Notaufnahme ins Kreiskrankenhaus auf. Auf mich wartete ein langer und beschwerlicher Weg.
Wie lange und wie beschwerlich, ahnte ich noch nicht einmal.
Während mein rettender Engel noch kurz meine Tasche bewachte – natürlich erst nachdem die Formalitäten geklärt waren – konnte ich endlich im Eingangsbereich eine Zigarette rauchen.
Ich war ziemlich betrunken, aber unauffällig. Alles Gewohnheit und jahrelange Übung. Danach verabschiedeten wir uns und ich marschierte in den Warteraum der Notaufnahme.
Was war ich eigentlich für eine Art Notfall? Ich war doch nur alkoholisiert, wie schon zum X-ten Mal in meinem Leben.
Der diensthabende Neurologe erkannte sofort, wie ängstlich, zweifelnd und nervös ich war, und musste ebenfalls wieder viel Geduld aufbringen. Das tat er auch. Er war ein guter Arzt.
Nachdem mir eine Infusionsnadel gesetzt wurde, folgten die verschiedensten Untersuchungen. Immer wieder bat ich darum, die Blutergebnisse nie erfahren zu müssen. Sie sollten mich doch in Würde mein Leben beenden lassen. Das war eine gefährliche Aussage, denn sie könnte auf Suizid hindeuten. Folglich war ich in Erklärungsnot, sonst wäre der Weg in die Klapse nicht mehr weit.
Seit mein Vater gestorben war, ließ ich keine Untersuchungen mehr zu. Viel zu viel Angst hatte ich vor den Ergebnissen. Ich war mir sicher, dass in meinem Innersten tausende Krankheiten nur darauf lauerten, schlagartig auszubrechen. Die Blutwerte wären der Auslöser, der das ganze Pulverfass zur Explosion bringen könnte.
Als ein EKG gemacht werden sollte, war ich drauf und dran, wieder nach Hause zu gehen. Ich wollte nichts über mein Herz wissen. Wie oft hatte ich schon das wilde Hämmern in meiner Brust verspürt. Hundertmal? Tausendmal?
Höchstwahrscheinlich unzählige Miniinfarkte, dachte ich. Ein Wunder, dass es mich noch gab. Schließlich rauchte ich seit über zwanzig Jahren. So ein Herz musste zwangsläufig stark beschädigt sein.