Alkoholabhängigkeit - Johannes Lindenmeyer - E-Book

Alkoholabhängigkeit E-Book

Johannes Lindenmeyer

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Beschreibung

Die Neubearbeitung des Buches liefert einen praxisorientierten Leitfaden für die ambulante und stationäre Behandlung von Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit. Der bewährte Therapieleitfaden berücksichtigt den aktuellen Stand der Forschung, integriert die S3-Leitlinie und die Veränderungen nach dem DSM-5 und setzt diese in konkrete, für Therapeuten und Patienten leicht nachvollziehbare Handlungsmöglichkeiten um. Praxisorientiert werden u.a. folgende Therapieschritte vorgestellt: Erstgespräch, Diagnose und Differenzialdiagnose, Motivierungsstrategien, Rückfallprävention, Gruppentherapie mit Alkoholabhängigen, Umgang mit rückfälligen Patienten und Einbeziehung von Angehörigen. Konkrete Formulierungshilfen für den Therapeuten, eine klare Strukturierung der einzelnen Therapieeinheiten sowie eine Vielzahl von Arbeitsmaterialien machen den Band zu einer wertvollen Hilfe bei der Behandlung von Alkoholkranken.

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Johannes Lindenmeyer

Alkoholabhängigkeit

3., überarbeitete Auflage

Fortschritte der Psychotherapie

Band 6

Alkoholabhängigkeit

Prof. Dr. Johannes Lindenmeyer

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief

Begründer der Reihe:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Johannes Lindenmeyer, geb. 1954. 1974-1981 Studium der Psychologie in Heidelberg. 1996 Promotion. 2012. Habilitation. Seit 1981 in der Behandlung von Alkohol- und Medikamentenabhängigen und seit 1986 als Trainer und Supervisor an verschiedenen Ausbildungsinstituten für Verhaltenstherapie tätig. Seit 1996 Direktor der salus klinik Lindow.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Deutschland

Tel.: +49 551 999 50 0

Fax: +49 551 999 50 111

E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.de

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

3., überarbeitete Auflage 2016

© 1999, 2005 und 2016 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2791-1; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2791-2)

ISBN 978-3-8017-2791-8

http://doi.org/10.1026/02791-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 3., überarbeiteten Auflage

1 Beschreibung der Störung

1.1 Bezeichnung und Definition nach ICD-10

1.2 Typen der Alkoholabhängigkeit

1.3 Epidemiologische Daten

1.4 Verlauf und Prognose

1.5 Differenzialdiagnose

1.5.1 Primäre körperliche, psychische und soziale Probleme

1.5.2 Abgrenzung von riskantem oder schädlichem Alkoholkonsum

1.5.3 Sekundäre Alkoholabhängigkeit

1.6 Komorbidität

1.7 Belastung der Angehörigen

1.8 Diagnostische Screening-Instrumente

2 Störungstheorien und -modelle

2.1 Intrapsychische Erklärungsmodelle der Alkoholabhängigkeit

2.1.1 Die Entwicklung pathologischer Trinkmotive

2.1.2 Das sozialkognitive Rückfallmodell

2.2 Neuropsychologische Erklärungsmodelle der Alkoholabhängigkeit

2.2.1 Toleranzentwicklung/Entzugserscheinungen

2.2.2 Endorphinmangel

2.2.3 Alkoholspezifische emotionale Gedächtniseffekte und implizite Informationsverarbeitung

2.3 Psychosoziale Modelle der Alkoholabhängigkeit

2.3.1 Das „Eisbergphänomen“ in einer gestörten Trinkkultur

2.3.2 Familienprozesse bei Alkoholabhängigkeit

2.3.3 Sozialer Abstieg

2.3.4 Das verhaltensökonomische Rückfallmodell

2.4 Veränderungsphasen

2.5 Vier Schlussfolgerungen

Motivationspsychologische Niedrigschwelligkeit anstelle von Konfrontation

Beachtung von psychischer Komorbidität und Alkoholfolgeschäden bei der Behandlungsplanung

Beachtung subkortikaler Prozesse und eingeschränkter Willensfreiheit der Betroffenen

Zukunftsorientierung der Behandlung

3 Diagnostik und Indikation

3.1 Erstkontakt

3.1.1 Umgang mit Angehörigen im Erstkontakt

3.1.2 Gesprächsstrategien

3.1.3 Umgang mit intoxikierten Patienten im Erstkontakt

3.2 Medizinische Untersuchung

Laborwerte zur Abstinenzkontrolle

3.3 Diagnostische Instrumente

3.3.1 Instrumente zur Differenzialdiagnostik

3.3.2 Instrumente zur Dokumentation und Qualitätssicherung

3.4 Indikationsstellung

3.4.1 Indikationskriterien für eine stationäre Behandlung

3.4.2 Indikationskriterien für eine ambulante/teilstationäre Behandlung

3.4.3 Zweidimensionales Modell der Differenzierung von Suchtproblemen

3.5 Rückmeldung der Diagnostikergebnisse und Vermittlung der Indikationsentscheidung durch den Therapeuten

3.5.1 Rückmeldung der allgemeinen Diagnostikergebnisse

3.5.2 Rückmeldung der Suchtdiagnostikergebnisse

3.5.3 Erläuterung der individuellen Therapieindikation

4 Behandlung

4.1 Drei Komponenten der Suchtbehandlung

4.2 Strukturierung der Therapiesitzungen

4.2.1 Strukturierung der Einzeltherapiesitzungen

4.2.2 Strukturierung von alkoholbezogenen Gruppentherapiesitzungen

4.3 Detaillierte Abhängigkeitsanalyse

4.3.1 Analyse eines Trinktages

4.3.2 Analyse der letzten 90 Trinktage

4.3.3 Lebenslinie

4.3.4 Risikotagebuch

4.3.5 Situationsanalyse

4.4 Motivationial Interviewing zur Entwicklung von Änderungsbereitschaft

4.5 Informationsvermittlung und Auseinandersetzung mit der eigenen Abhängigkeitsentwicklung

4.5.1 Dosierte Informationsvermittlung

4.5.2 Motivationsförderung durch Gruppeninteraktion

4.5.3 Entwicklung eines situativen Modells der individuellen Abhängigkeit

4.6 Vier-Felder-Tafel

4.7 Ablehnungstraining

4.7.1 Verhaltenstest: Standardsituation

4.7.2 Positives Videofeedback

4.7.3 Modell: Standardsituation

4.7.4 Rollenspielübung: Standardsituation

4.7.5 Rollenspielübung: Individuelle Situation

4.8 Vorstellungsübung

4.9 Expositionsübungen

4.9.1 Einführung des Paradigmas

4.9.2 Die erste Expositionsübung in Gegenwart des Therapeuten

4.9.3 Auswertung der Expositionsübung

4.9.4 Weitere Expositionsübungen in vivo ohne Therapeuten

4.10 Anti-Alkohol-Training (AAT)

4.11 Notfallplan zur Überwindung von Rückfällen

4.12 Vorbereitung der ersten Zeit nach Therapieende

4.13 Gruppentherapie

5 Umgang mit rückfälligen Patienten während der Behandlung

5.1 Medizinische Abklärung und Versorgung

5.2 Wieder nüchtern werden

5.3 Therapie- und Abstinenzsicherung

6 Die Einbeziehung von Angehörigen

6.1 Motivierung von Angehörigen

6.2 Vermittlung eines therapierelevanten Modells zu Abhängigkeit und Partnerschaft

6.3 Steigerung positiven Erlebens in der Partnerschaft

6.4 Verbesserung der partnerschaftlichen Kommunikations- und Konfliktlösefähigkeiten

6.5 Rückfallprophylaxe unter Einbeziehung der Angehörigen

7 Medikamentöse Behandlungsmethoden

8 Effektivität und Prognose

9 Weiterführende Literatur

10 Literatur

Programme

11 Anhang

Karten

Hinweise für Erstkontakt

Indikationsfragen

Rückmeldung der Diagnostikergebnisse/Vermittlung der Indikationsentscheidung

Situatives Modell der individuellen Abhängigkeit

Umgang mit rückfälligen Patienten

Übungssituationen für die Angehörigenarbeit

|1|Vorwort zur 3., überarbeiteten Auflage

Seit dem Erscheinen der zweiten Auflage dieses Buches sind etwas mehr als 10 Jahre vergangen. Die anhaltend hohen Verkaufszahlen verdeutlichen die breite Resonanz, auf die das vorliegende Behandlungsmanual bis heute stößt. Mittlerweile hat die Behandlung von Alkoholabhängigen eine Reihe von wichtigen Impulsen erfahren, die eine Überarbeitung erforderlich machen:

Seit 2011 besteht durch eine Veränderung der Psychotherapierichtlinien die Möglichkeit der Behandlung von Alkoholproblemen innerhalb der ambulanten Psychotherapie.

Das Diagnosesystem DSM-5 sieht anstelle der bisherigen Diagnosekategorien „Alkoholmissbrauch“ und „Alkoholabhängigkeit“ eine dimensionale Kategorie von leichten bis hin zu schweren sog. Alkoholkonsumstörungen vor.

2015 wurde eine neue Behandlungsleitlinie für alkoholbezogene Störungen veröffentlicht (AWMF, 2015).

Pharmakologische Studien haben Behandlungsansätzen zur Trinkmengenreduktion anstelle von Alkoholabstinenz neuen Auftrieb gegeben.

Abgesehen von den Materialien, die im Anhang des Buches abgedruckt sind, wird im Text auch auf einige weitere Materialien verwiesen, die zum Teil kostenlos bzw. gegen einen Unkostenbeitrag von der Webseite der salus klinik Lindow (www.salus-materialien.de) heruntergeladen bzw. dort bestellt werden können.

Wenn sich die Darstellung auf die psychotherapeutischen Aspekte der Behandlung konzentriert, so geschieht dies in dem Bewusstsein, dass Psychotherapie bei Alkoholabhängigen nur im Zusammenwirken eines interdisziplinären Behandlungsansatzes erfolgreich sein kann. Andererseits ermöglicht erst die systematische Berücksichtigung einer psychologisch-psychotherapeutischen Perspektive die erforderliche Optimierung aller Maßnahmen zur Motivierung, Veränderung und Rückfallprävention innerhalb eines interdisziplinären Behandlungsansatzes in Hinblick auf die persönlichen Motive und Bedürfnisse im Einzelfall. Nur dadurch gelingt es, dass Alkoholabhängige zum Subjekt und nicht Objekt einer Behandlung werden.

Abschließend soll nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, dass selbstverständlich immer beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind, auch wenn im Text der besseren Lesbarkeit halber lediglich die männlichen |2|Sprachformen „Patient“ und „Therapeut“ verwendet werden. Auf geschlechtstypische Besonderheiten bzw. Unterschiede wird jeweils explizit eingegangen.

Lindow, Sommer 2016

Johannes Lindenmeyer

|3|1Beschreibung der Störung

Erstmals wurde Alkoholismus im Jahre 1774 von dem amerikanischen Arzt Benjamin Rush als „schleichende Krankheit des Willens“ beschrieben und damit überhaupt zum Gegenstand medizinisch-psychologischer Betrachtung und Behandlung gemacht. Zuvor waren Alkoholprobleme über Jahrhunderte als Laster bzw. Teufelswerk moralisch verurteilt und die Betroffenen lebenslang in Asylen gemeinsam mit Irren und Verbrechern von der Gesellschaft ausgesondert worden. Das heutigen Behandlungsansätzen zugrunde liegende Krankheitsmodell der Alkoholabhängigkeit wurde 1942 durch Jellinek entwickelt. Seither werden viele Begriffe synonym für Alkoholabhängigkeit verwendet: Trunksucht, Alkoholismus, chronischer Alkoholismus, Alkoholabusus, Alkoholkrankheit und neuerdings Alkoholgebrauchsstörung.

Bis heute ist eine ambivalente Einstellung in der Allgemeinbevölkerung und in der Fachwelt gegenüber Alkoholproblemen zu verzeichnen: Einerseits ist Alkoholabhängigkeit seit 1968 in Deutschland gesetzlich als Krankheit anerkannt, wodurch ein Behandlungsanspruch der Betroffenen begründet ist. Andererseits werden Alkoholprobleme häufig weiterhin als schuldhaftes Fehlverhalten angesehen und Alkoholabhängige beispielsweise für ihren Rückfall auch juristisch zur Verantwortung gezogen. Das Bild von Alkoholkranken in der Bevölkerung ist bis heute negativ. Entsprechend werden die Erfolgsaussichten der Behandlung von Alkoholabhängigen gemeinhin erheblich unterschätzt.

Bei einer Alkoholabhängigkeit handelt es sich nicht um ein einheitliches Phänomen, vielmehr können ein ganz unterschiedliches Trinkverhalten sowie eine Vielfalt von körperlichen, sozialen und psychischen Folgeschäden das klinische Bild dominieren und jeweils spezifische Behandlungsangebote erforderlich machen (vgl. Tabelle 1).

1.1 Bezeichnung und Definition nach ICD-10

Alkoholprobleme sind als mehrdimensionales Kontinuum zu verstehen mit unterschiedlichen Ausprägungsrichtungen und Schweregraden, aus denen lediglich einzelne Syndrome mit expliziten Diagnosen belegt und damit zum offiziellen Gegenstand des Gesundheitssystems gemacht wurden (vgl. Abbildung 1).

|4|Tabelle 1: Die mögliche Vielfalt von Problembereichen bei Alkoholabhängigkeit

Abbildung 1: Suchtdiagnosen nach ICD-10 stellen lediglich eine Teilmenge aller Alkoholprobleme dar. Erkennbar ist die starke diagnostische Ausdifferenzierung der körperlichen und psychischen Symptomebene mithilfe mehrerer Diagnoseziffern.

|5|Nach der „Internationalen Klassifikation psychischer Störungen“ (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden zehn verschiedene alkoholbedingte Syndrome unterschieden. Diese sind zwar nicht gleichwertig, können aber durchaus nebeneinander klassifiziert werden:

Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol nach ICD-10

F10.0

akute Intoxikation (akuter Alkoholrausch)

F10.1

schädlicher Gebrauch

F10.2

Abhängigkeitssyndrom

F10.3

Alkoholentzugssyndrom (z. B. Tremor, Schweißausbrüche, Angst)

F10.4

Entzugssyndrom mit Delir

F10.5

Psychotische Störung (z. B. Alkoholhalluzinose, alkoholische Paranoia)

F10.6

Alkoholbedingtes amnestisches Syndrom (z. B. Korsakow-Syndrom)

F10.7

Alkoholbedingter Restzustand (z. B. auch nach Abstinenz anhaltende Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung)

F10.8

sonstige alkoholbedingte psychische Verhaltensstörungen (riskanter bzw. gefährlicher Alkoholkonsum)

F10.9

nicht näher bezeichnete alkoholbedingte psychische und Verhaltensstörung

Es können so viele Syndrome benannt werden, wie zur Beschreibung eines Patienten notwendig sind. Für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit müssen nach der ICD-10 folgende Kriterien erfüllt sein:

Diagnosekriterien des Abhängigkeitssyndroms (F10.2) nach ICD-10

Mindestens 3 der folgenden Kriterien müssen innerhalb der letzten 12 Monate wiederholt aufgetreten sein:

Craving (starkes Verlangen oder eine Art Zwang, Alkohol zu trinken).

Kontrollverlust des Alkoholkonsums bezüglich Beginn oder Menge.

Körperliches Entzugssyndrom bei Reduzierung der Alkoholmenge.

Toleranzentwicklung gegenüber der Alkoholwirkung.

Einengung auf das Alkoholtrinken und dadurch Vernachlässigung anderer Interessen.

Anhaltender Alkoholkonsum trotz eindeutiger schädlicher Folgen (gesundheitlich, psychisch oder sozial).

|6|Die fünfte Stelle dient der weiteren Unterteilung des Alkoholabhängigkeitssyndroms:

F10.20

gegenwärtig abstinent

F10.21

gegenwärtig abstinent, aber in beschützender Umgebung (z. B. Klinik, therapeutische Gemeinschaft, Gefängnis)

F10.23

gegenwärtig abstinent, aber in Behandlung mit aversiven oder hemmenden Medikamenten (z. B. Antabus bzw. Disulfiram)

F10.24

gegenwärtiger Alkoholkonsum

F10.25

ständiger Alkoholkonsum

F10.26

episodischer Alkoholkonsum

Das DSM-5 sieht eine völlig andere diagnostische Einordnung der sog. Alkoholkonsumstörung nach Schweregrad vor, je nachdem wie viele der folgenden 11 Kriterien bei einer Person erfüllt sind:

Auszug aus den diagnostischen Kriterien der Störung durch Alkoholkonsum (Alkoholkonsumstörung) nach DSM-5 (Abdruck erfolgt mit Genehmigung aus der deutschen Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition © 2013, Dt. Ausgabe: © 2015, American Psychiatric Association. Alle Rechte vorbehalten)

Ein problematisches Muster von Alkoholkonsum führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei mindestens zwei der folgenden Kriterien innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten vorliegen:

Alkohol wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt konsumiert.

Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Alkoholkonsum zu verringern oder zu kontrollieren.

Hoher Zeitaufwand, um Alkohol zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von seiner Wirkung zu erholen.

Craving oder ein starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren.

Wiederholter Alkoholkonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt.

Fortgesetzter Alkoholkonsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen von Alkohol verursacht oder verstärkt werden.

Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Alkoholkonsums aufgegeben oder eingeschränkt.

Wiederholter Alkoholkonsum in Situationen, in denen der Konsum zu einer körperlichen Gefährdung führt.

|7|Fortgesetzter Alkoholkonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems, das wahrscheinlich durch Alkohol verursacht wurde oder verstärkt wird.

Toleranzentwicklung, definiert durch eines der folgenden Kriterien:

Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand oder einen erwünschten Effekt herbeizuführen.

Deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetztem Konsum derselben Menge an Alkohol.

Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:

Charakteristisches Entzugssyndrom in Bezug auf Alkohol (siehe Kriterien A und B der Kriterien für Alkoholentzug).

Alkohol (oder eine sehr ähnliche Substanz, wie etwa Benzodiazepine) wird konsumiert, um Entzugssymptome zu lindern oder zu vermeiden.

[…]

Bestimme den aktuellen Schweregrad:

F10.10 Leicht: 2 bis 3 Symptomkriterien sind erfüllt.

F10.20 Mittel: 4 bis 5 Symptomkriterien sind erfüllt.

F10.20 Schwer: 6 oder mehr Symptomkriterien sind erfüllt.

Für die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen im klinischen Alltag ist die Heterogenität der Diagnosekriterien innerhalb der ICD-10 bzw. des DSM-5 nur wenig befriedigend. Hier kann unverändert als einfacher zu handhabende Faustregel gelten:

Merke:

Alkoholabhängig ist entweder,

wer den Konsum von Alkohol nicht beenden kann, ohne dass unangenehme Zustände körperlicher oder psychischer Art eintreten oder

wer nicht aufhören kann zu trinken, obwohl er sich oder anderen immer wieder schweren Schaden zufügt.

Angesichts der zunehmenden Bewusstheit über die soziale Dimension von Erkrankungen sowohl hinsichtlich ihrer Genese, ihrer Auswirkungen im Alltag der Betroffenen und schließlich ihrer Prognose hat das internationale Klassifikationssystem of Functioning (ICF) der WHO zunehmend an Bedeutung in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit gewonnen. Gegenstand des ICF sind nicht mehr vorrangig die Symptome einer Erkrankung (Beeinträchtigung der Körperfunktion und Aktivität), sondern die sich daraus |8|ergebende Behinderung im Alltag der Betroffenen (Beeinträchtigung der Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen). Im Falle einer Alkoholabhängigkeit sind hierbei insbesondere folgende Bereiche relevant:

Einschränkungen der Mobilität (z. B. durch Führerscheinverlust),

Einschränkungen der Wohnraumbeschaffung,

Einschränkungen in der Haushaltsführung,

Einschränkungen im Umgang mit Stress und Belastungen,

Einschränkungen in der Beziehungspflege,

mangelndes soziales Stützsystem,

Einschränkungen hinsichtlich Schulbildung und Berufsausbildung,

Einschränkungen in der Arbeitsfähigkeit und der Chancen auf dem Arbeitsmarkt.