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Über Mütter und Töchter. Und die Freiheit einer Frau. Wie ein Wiegenlied erzählt Maria Pourchet eine ebenso mitreißende wie provokante Geschichte, die in ihrer schonungslosen Klarheit an Annie Ernaux erinnert. »Atemberaubend!« Libération
Schon vor Jahren ist Marie aus der Provinz nach Paris gezogen. Hat ihr kleinbürgerliches, konservatives Elternhaus hinter sich gelassen. Sie ist klug, frei, ungebunden. Als sie mit 35 Jahren schwanger wird, beschließt sie, das Kind allein großzuziehen. Wenige Stunden nach der Geburt blickt sie auf die Wiege ihrer kleinen Tochter – und wie ein Film läuft vor Maries Augen ihr eigenes Leben ab. Die Kindheit und Jugend in einer Kleinstadt in den Vogesen. Die komplizierte Beziehung zu ihrer eigenen Mutter. Das Gefühl, nicht wirklich geliebt zu werden, wenn sie, wie so oft, nach Schulschluss vergebens auf ihre Mutter wartete. Später dann die Verbote und Mahnungen, sich unterzuordnen. Kann es sein, fragt sich Marie nun, dass Frauen zu ihrer eigenen Unterdrückung beitragen?
»Maria Pourchet erzählt davon, was Frauen allzu oft von Generation zu Generation weitergeben: Selbsthass, Unterwerfung und die Hinnahme der vermeintlichen Überlegenheit des Mannes.« Marie Claire
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Seitenzahl: 125
Veröffentlichungsjahr: 2024
Über Mütter und Töchter. Und die Freiheit einer Frau. Wie ein Wiegenlied erzählt Maria Pourchet eine ebenso mitreißende wie provokante Geschichte, die in ihrer schonungslosen Klarheit an Annie Ernaux erinnert. »Atemberaubend!« Libération
Schon vor Jahren ist Marie aus der Provinz nach Paris gezogen. Hat ihr kleinbürgerliches, konservatives Elternhaus hinter sich gelassen. Sie ist klug, frei, ungebunden. Als sie mit 35 Jahren schwanger wird, beschließt sie, das Kind allein großzuziehen. Wenige Stunden nach der Geburt blickt sie auf die Wiege ihrer kleinen Tochter – und wie ein Film läuft vor Maries Augen ihr eigenes Leben ab. Die Kindheit und Jugend in einer Kleinstadt in den Vogesen. Die komplizierte Beziehung zu ihrer eigenen Mutter. Das Gefühl, nicht wirklich geliebt zu werden, wenn sie, wie so oft, nach Schulschluss vergebens auf ihre Mutter wartete. Später dann die Verbote und Mahnungen, sich unterzuordnen. Kann es sein, fragt sich Marie nun, dass Frauen zu ihrer eigenen Unterdrückung beitragen?
»Maria Pourchet erzählt davon, was Frauen allzu oft von Generation zu Generation weitergeben: Selbsthass, Unterwerfung und die Hinnahme der vermeintlichen Überlegenheit des Mannes.« Marie Claire
Maria Pourchet, 1980 in Épinal, Lothringen, geboren, ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs und gilt als »weiblicher Houellebecq« (Die Literarische Welt). Bei Luchterhand ist 2023 der Roman Feuer erschienen, der u. a. für den Prix Goncourt nominiert war. Für ihren neuen Roman Western wurde sie 2023 mit dem renommierten Prix de Flore ausgezeichnet. Die promovierte Soziologin lebt als Schriftstellerin und Drehbuchautorin in Paris.
Claudia Marquardt übersetzt Literatur aus dem Französischen, u. a. von Laetitia Colombani, Frédéric Beigbeder und Simone de Beauvoir.
Maria Pourchet
Roman
Aus dem Französischen von Claudia Marquardt
Luchterhand
Die französische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Toutes les femmes sauf une« bei Éditions Fayard, Paris.
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Luchterhand Literaturverlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © 2018 Librairie Arthème Fayard, Paris
Umschlaggestaltung: buxdesign | Ruth Botzenhardt
unter Verwendung eines Motivs von © Arcangel Images / Raluca Ciornea
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-29386-4V001
www.luchterhand-literaturverlag.de
facebook.com/luchterhandverlag
»Es gibt einen Weg. Du kannst ihm folgen oder eine Abkürzung nehmen.«
Gérard Manset, Y’a une route
Zwei violette oder eher blasslilafarbene Wände, zwei graue, der Rest ist weiß. Ein dreibeiniger Infusionsständer, die Goldenen Regeln des Stillens (vier) und – ohne jeden Bezug dazu – ein Aufruf der Gewerkschaft: »Beschäftigte im Gesundheitswesen, verteidigt eure Rechte«, zum 1. Mai. Der ist vorbei. Sie legen mich auf eine Art Wachstuch, zwischen zwei Frauen, denen tags zuvor der Bauch aufgeschlitzt wurde. Man kann natürlich nach einem Einzelzimmer verlangen, hängt ganz von den Kapazitäten ab, ein »Ich habe aber dafür bezahlt« reicht jedenfalls nicht aus. Nein, unter mir ist kein Wachstuch, sondern ein Laken, und der Geruch hier drinnen ist normal. Zu meinen Füßen eine Wiege, die ich nicht umstoßen soll, darin du, und vorn dran ein Schildchen: Adèle. Ich fühle mich klebrig, ausgehöhlt, so am Boden wie nie zuvor. Ich lerne die Panik eines Schiffbrüchigen kennen, seine Erschöpfung. Ich suche nach etwas, irgendetwas, das mit der Frau zu tun hat, die ich gestern noch war. Ich erkenne weder mein Gesicht wieder, noch finde ich meine Tasche. Es ist 12 Uhr mittags, der Weltuntergang beginnt.
Vor mir meine Mutter. Und davor ihre Mutter und die Mutter ihrer Mutter und alle Frauen vor ihnen. Die Starken, die nicht Einfachen, die Geschorenen, die Schlechten, die Übergeschnappten, die Heiligen, die ständig am Telefon Hängenden, die Bäuerinnen, die Königinnen Englands, die beinah Schönen und die zu Schönen, die Carmens dieser Welt, die Geschlagenen, die Pflichtbewussten, die Unverwüstlichen. Und die Wiege, die nach nichts verlangt hat. Oder vielleicht doch. Ich weiß nicht genau, was zum Fall der Seelen führt.
Du hast bekommen, was du wolltest.
Meine Mutter hat gerade aufgelegt, ich habe sie vor allen anderen angerufen, sonst hätte es Ärger gegeben. Ich habe nichts von dir gehört. Wer bin ich? Eine Fremde? Dass ich nicht lache, sie würde es fertigbringen, sich zwei Jahre lang nicht bei mir zu melden. Keine vergisst dich wie sie, keine lässt dich weniger in Frieden. Sie wird nicht ins Krankenhaus kommen, sie will nicht. Der Weg, das Wetter, die anderen, dieser ganze Mist, den man sich im Krankenhaus einfängt, und die Wahrheit: Du machst sie älter, sie würde dich gern ignorieren. Ich erzähle ihr von der Geburt. Erzählen, darin besteht mein Leben, aber ich will in dem Moment nicht noch einen draufsetzen. Plötzlicher Schwächeanfall, Einleitung der Geburt, zehn Stunden lang, Fehlschlag, das Ganze noch mal von vorn, weitere acht Stunden, Schmerz, Blutung, Kreislaufkollaps, aber jetzt bist du endlich da. Ungerührt und weit weg am Telefon – schon immer haben Worte an ihrer Stelle gehandelt – hat sie gesagt:
War ja klar. Du hast es vermasselt. Warst du nicht vorbereitet?
Ich, das selbstmörderische, immer noch suizidgefährdete kleine Mädchen, möchte einen weiteren Satz über das Baby auf meiner Brust formulieren. Ich möchte diese unerhörte, übermenschliche Ruhe beschreiben, in die die Kleine verfällt, sobald sie in Berührung mit meiner Haut kommt; wenn man dann ihrem Atem lauscht, klingt es, als säße man in einer Muschel und hörte das Meer rauschen. Ich möchte, dass meine Mutter sich erinnert.
Sie ist zugedröhnt, nicht ruhig. Bei der ganzen Periduralanästhesie, die du aus Bequemlichkeit auf sie abgefeuert hast. Aber egal, ist passiert.
Bitte schön, auf das Komma genau. Sonst wäre es ja erfunden.
Ich habe Schlimmeres gehört, insbesondere aus ihrem Mund. Über anderes habe ich Gras wachsen lassen. Aber alles hat irgendwann ein Ende, und dieses ist jetzt gekommen.
Sie hat es schon vergessen. Sie wird bei ihrem gekrönten Haupt schwören, dass ich mir das ausdenke. Diese kranke Fantasie, die das Potenzial hat, die Menschen in meinem Umfeld zu zerstören, sie fragt gar nicht erst, wo ich die herhabe, sie weiß es nämlich. Dein Vater fantasiert sich auch immer was zusammen. Sie wird behaupten, dass ich lüge, bei allem. Aber das spielt keine Rolle, schließlich bin ich diejenige, die schreibt.
Besuch einer Frau in Grün. Sie kommt nicht, um das längst überholte Plakat abzunehmen, sondern erkundigt sich, ob ich stille. Nein. Sie hakt nach. Ob ich mir das gut überlegt hätte? Ja, seit tausend Jahren. Es hilft nichts. Denn in einer Lache aus Blut, Pisse und Wasser liegend, erfahre ich die ganze Wahrheit: Ich bin ein Tier. Was man auf diese Weise weitergibt, ist absolut entscheidend, Madame, befindet die junge Frau in der grünen Kluft, die Geschichte ist auf ihrer Seite, und die Wissenschaft gibt ihr recht. Darf ich mich, da ich nun einmal hier bin, über die Tradition dieses Ortes hinwegsetzen? Und darf ich noch dazu außer Acht lassen, dass die Muttermilch der Beginn von allem ist? Sie enthalten ihr etwas vor.
»Und was ist mit dem Einzelzimmer?«
»Das Zimmer ist nicht so wichtig.«
Damit macht sie auf dem Absatz kehrt, einfach so. Voller Empörung. Frauen sind nicht ungeschickt, Adèle, nicht müde, jedenfalls nicht immer. Sie sind boshaft, nutzen jeden x-beliebigen Vorwand. Du wirst noch hören, wie sie eine nach der anderen mit denselben Sprüchen auf Niederlagen herumreiten, gnadenlos, unerbittlich. Das ist Teil des Weltgeraunes. Wundere dich nicht, halte dich nicht daran auf.
Du wirst sehen, nichts beginnt mit der Muttermilch, außer bei den Tieren. Im Fall unserer Spezies, die getrieben ist von dem Wunsch zu sprechen, beginnt es mit der Katastrophe der Sprache. Mit all den Wörtern, die man uns sagt, Sätzen, mit denen man uns niederknüppelt, Macht über uns ausübt, Sätzen, die einlullen, verbieten, spalten, zum Nachplappern gedacht sind. Ein Mädchen nach dem anderen stand unter der Knute einer Sprache, die ich im Folgenden aufribbeln möchte wie die Trikotagen, die sie zu Tode kratzen. Neben der Wiege, die ich nicht umstoßen soll, deiner Wiege, die mir Angst einjagt, werde ich tagein, tagaus die Sprache sprechen, aus der wir kommen, wir, die Frauen vor dir. Das ganze Repertoire. Ich wünsche mir, dass du so gut wie nichts davon behältst.
Ich weiß nicht, an welcher Stelle ich in dieses Geschwätz einsteigen soll, es hat kein Ende und keinen Anfang, es war einfach immer da. Nehmen wir an, es hätte einen Anfang.
Pass auf, wo du hintrittst.
Fordere nicht.
Fall nicht auf.
Siehst du die da?
Das hast du verdient.
Es wird dir eine Lehre sein.
Wie bitte?
Die sind kein guter Umgang, diese Leute.
Du hättest dich mehr anstrengen müssen.
Das wird dir noch leidtun.
Halt dich davon fern.
Mach es dir nicht zu bequem.
Für mich ist es zu spät. Ich bin schon viel zu lange die Summe ihrer Sätze. Ich habe sie verinnerlicht. Ich bin das, was diese Sätze gebieten. Ich bin das perfekte Sprachverbrechen.
Bleib an deinem Platz.
Häng nicht an meinem Rockzipfel.
Denk nicht immer nur an dich.
Willst du dir noch eine fangen?
Ich vergesse. Vergesse diese Worte, denen man zuhört, bis man am Ende und nichts mehr von einem übrig ist, nichts als eine Frau, die sich benimmt. Die etwas muss. Die sich nicht von der Stelle rührt.
So beginnt die Sprache, die du nicht lernen wirst, das schwöre ich. Du musst es nur wollen.
Dies ist keine Geschichte, aber es geht doch um Literatur. Die Schlimmste. Eine in Formeln gegossene, stets bereite Sprache, geprägt von jedermann für niemanden, Sätze, die schnell und gründlich ihren Dienst tun, man kann auf einen Schlag die schrecklichsten Dinge raushauen, Dinge, die das Denken übersteigen, aber es ist falsch. Es ist eine Sprache, von der wir immer behaupten können, dass sie uns leidtut. Die böse Zunge, die man hüten wollte, aber, pardon, dann hat sie sich doch gelöst. Eine Sprache, die wir nachahmen, weil sie funktioniert. Sätze, auf die es nichts zu erwidern gibt.
Neuerliches Auftauchen des Personals in Grün, aufgerüstet um ein Fläschchen mit Milliliterskala und Sauger. Kehrtwende des Personals, das nicht lockerlässt, weil es falsch ist, was ich mache: Es ist Ihre Entscheidung.
Ich habe überall Schmerzen, besonders an dieser Stelle. Ich brauche ein orthopädisches Sitzkissen. So was gibt es hier nicht, nein, stellen Sie sich das mal vor, ein Sitzkissen pro Bett, die Kosten, das Durcheinander. Ich bin auf der Suche nach dem Anfang des Wortes, nach dem Ursprung des Massakers, auf das es abzielt. Ich bin es leid. Ich möchte mich dem Französischen dieses eine Mal nähern, ohne dass es gleich an Ironie oder Syntax zerschellt.
Ich ziehe den Sauger des Einwegfläschchens zwischen deinen winzigen Lippen hervor. Du hast zu viel getrunken. Man hatte mir gesagt, ich solle es langsam angehen lassen, fünfzehn Milliliter, nicht zwanzig. Ich habe den Bogen mal wieder überspannt. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Bei mir.
Du kapierst einfach nichts.
Streng deine kleinen grauen Zellen an.
Beginnen wir also irgendwo, da sowieso nichts mehr dort ist, wo es hingehört, kommt der Anfang eben später dran.
Irgendwo in der Erinnerung an meine Kindheit höre ich, wie sich Frauen über andere, nicht anwesende Frauen aufregen. Eine sagt über eine Schwester, dass die trinkt wie ein Kerl, keine fragt, warum, stattdessen verkündet eine andere, dass die Betroffene eine Fahne hat, bemitleidet deren Kinder und den Ehemann, einen Autoschieber, der auch nicht viel besser ist, der ihr ihre Jugend gestohlen hat, seinetwegen hängt sie an derFlasche. Ein Drückeberger, stinkend faul, keinen Finger macht der krumm, stinkend faul, du bist gut, ich würde ihn eher einen Volltrottel nennen, aber so was hat er nicht verdient. Sie tratschen, sehen zu, wie andere zu Boden taumeln, bevor sie selbst dran sind.
Nicht, dass keiner sie gewarnt hätte.
Zumindest ist es nicht die Arbeit, die sie ruiniert hat.
Die Niedergemachte schläft, wie sie sich gebettet hat, während sie, die Unbeschadeten, die Nichtangeschlagenen, die Nichtabgebrannten ihren Senf dazugeben. Ihr Seelenfrieden begnügt sich mit dem Stolz, den sie dabei empfinden. Wenn sie schon nicht getrunken, nicht gelacht, nicht genossen haben, so sind sie wenigstens würdig. Wessen? So zu enden, wie die Sommer enden, ausgetrocknet, als Heimchen am Herd. Bis es so weit ist, reden sie weiter, merken nicht, wie der Krebs ihre Körper der Reihe nach auszehrt. Sie büßen ihre Eierstöcke ein, verlieren ihr Haar, ihre berüchtigten Brüste. Sie wollen nicht, dass Schluss damit ist. Denn wo wir herkommen, meine Tochter, heißt es, dass die Männer ihre Frauen verlassen, weil sie es verdienen. Und die anderen bleiben nur, weil sie vorher sterben, sie hinterlassen bissige Witwen, die immer noch stolz auf ihr Geschirr blicken und auf ihre Söhne, die sich, nur zweihundert Meter entfernt, in einem mittelmäßigen Leben mit Auto, geplantem Pool und Grill eingerichtet haben. Über den toten Gatten wird man sagen, dass sie ihn verschlissen haben. Es sind Frauen, die so reden. Frauen, die Karten spielen, Messdiener anleiten, Kalbsleber bestellen, einen Knochen extra für die Brühe verlangen und dass man ihnen ein Kaninchen für den Sonntag aufhebt, mit Kopf, bitte. Und ich, die ich unter dem Tisch spiele, mitgehe in die Metzgerei, in die Kirche, ich höre es.
Das alles trägt sich nicht irgendwo zu. Je nach Jahreszeit in einem flimmernden oder bleiernen Tal, das sich immer zu fürchten scheint vor dem, was kommt. Einem Schrei, der Kälte, den Hirschen. Es gibt dort nichts, was ineinander übergeht. Ich verbinde mit diesem Ort eine Lebensphase voller Gegensätze, an die ich mich in unvereinbaren Bildern erinnere. Der Schnee gegen den Schlamm, der ihn tilgt, die Landwirte gegen den Boden, der ihre Erwartungen nicht erfüllt, mein Vater gegen meine Mutter, meine Mutter gegen die Idiotinnen, die Giftschlangen gegen uns, der Frost gegen die Früchte und die Arbeiter stillschweigend gegen die mit Geld und Bildung. Und in Klöstern, die zu Schulen umfunktioniert wurden, kehren die Kinder der einen den Kindern der anderen den Rücken, hier gesellt sich Weiß nur zu Weiß, als lebte man in der letzten Kolonie. Dort, wo die Luft graublau schimmert, küssen sich allein die Wipfel der Wälder und der Himmel und die Gipfel der Berge. Manchmal sieht man auf der Straße, die mein Dorf von unten nach oben durchschneidet, einen Mann auf einem Pferd vorbeireiten. Jeder kennt ihn, außer mir, oder ich habe es vergessen. Auch sie bildeten eine harmonische Einheit. Aber das war’s. Zumindest aus meiner Sicht.
Sonntags sitzen sie da und brüllen ihr Credo, das von der Einzigartigkeit des Menschen und blinder Zustimmung handelt. Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium.