Allein in einer fremden Welt - Londri Mingolo- Tite - E-Book

Allein in einer fremden Welt E-Book

Londri Mingolo-Tite

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Beschreibung

Wie fühlt man sich allein in Deutschland? Noch dazu als Asylbewerber? Allein in einer fremden Welt, mit anderer Sprache, anderer Kultur und anderen Werten? Dieses Buch beschreibt schonungslos offen und wahr die Geschichte eines Kindes, das aus dem Kongo nach Deutschland kommt, um Halt und Orientierung zu finden, doch vielfach Ablehnung und Vorurteile erfährt, das sich zurechtfinden will und dennoch auf die schiefe Bahn gerät, am Ende aber den rechten Weg vor sich sieht... Es ist nicht nur die Geschichte des Menschen Londri. Es ist auch die Geschichte einer schwierigen Selbstfindung inmitten unserer Gesellschaft. Spannend. Real. Authentisch.

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Inhalt

Vorwort

Meine ersten Erinnerungen

Die Reise ins Unbekannte

Drei Jahre Elfenbeinküste

Angekommen im Vereinigten Königreich

Wiedersehen mit alten Bekannten und unbekannten Verwandten

Die Erste Fahrt mit einem Schnellzug

Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland

Mama und ihre Gemeinden

Martin Luther King

Meine ersten Freunde

Die ersten Probleme

Die erste Sonderschule und der Weg in die Kriminalität

Das Jugendamt Köln- Lindenthal

Die Nische

Die heilige Mutter Theresa

Hauptschule

Die graue Eminenz

Christophorusgruppe

Der Weg in die Selbstständigkeit

Die besten Kumpels und Stefan Drechsler

Die erste Freundin

Umzug nach Brühl

Die Dealer von Nebenan

Bobby

Der Herr ist mein Hirte

Das Leben zu zweit

Neues Leben – neues Glück

Nachwort

VORWORT

Dieses Buch habe ich vor allem als eine Art Therapie für mich und als ›Erinnerungsspeicher‹ geschrieben. Dass mir nichts von dem Erlebten verlorengeht, nicht für mich und auch nicht für meine Kinder. Die müssen später mal wissen, wie das war, wo ihre Wurzeln sind. Und ein Stück weit dient es auch als Erklärung – als Erklärung für die vielen Menschen, mit denen ich zu tun hatte, die mir oft helfen wollten, aber dabei so manches Mal vergaßen, dass ein Mensch mit eigener Identität, mit eigenen Wurzeln vor ihnen steht und kein Hund, den es abzurichten oder zu dressieren gilt.

Ich war nie der Mensch, der gut über Gefühle oder Emotionen reden konnte, das ist in meiner Kultur auch nicht so vorgesehen. Bis ich dann auf die Idee kam, alles aufzuschreiben. Meine ersten Erinnerungen: die Zeit im Kongo und an der Elfenbeinküste, während der Kriege und den Unruhen Mitte der 90er Jahre in Afrika, die Überseefahrt und die erste Zeit in der Bundesrepublik Deutschland. Von den ersten Reizüberflutungen und der neuen Welt. Die Schwierigkeiten mit der Einbürgerung/ Asylpolitik und das Leben als Migrant. Der Weg in die Kriminalität und wieder raus.

Ich habe mich entschieden, den Text einfach und schlicht zu halten. Ich schreibe so, wie mir der Schnabel gewachsen ist. So kann ich mich gut ausdrücken. So versteht ihr mich. Es soll eine authentische Geschichte sein, in der ICH- Perspektive erzählt. Ich wollte jetzt nicht die Sprache der ›großen Weltliteratur‹ verwenden, weil es mir nicht entsprechen würde – außerdem kann ich es auch gar nicht.

Ich erwarte keinen Reichtum oder irgendeine Form von Berühmtheit, nachdem alles niedergeschrieben ist. Aber vielleicht kann ich einen Beitrag dazu leisten, Menschen besser verstehen zu können, Flüchtlinge eben, Menschen wie mich. Wer weiß denn schon im wohlbehüteten Deutschland, was im Kopf eines solchen Menschen vorgeht, der als achtjähriges Kind alleine zwei Kontinente bereist hat, der zwei Kriege in zwei Ländern erleben musste und quer durch die Weltgeschichte reiste, um in Europa sein Glück zu finden, was es bedeutet, als Asylant in einem Rechtsstaat zu leben und wie schnell auch der Weg in die Kriminalität führen kann?

Heute kann ich sagen, ich bin stolz auf mich. Ich habe mein Leben wieder auf die Reihe gekriegt. Viele wollten mir auf diesem Weg helfen, so manche haben es versucht, einige haben es auch wirklich getan, wenige wurden Freunde für mich, sehr wenige sind mir wichtig geworden. Und trotz aller Schwierigkeiten, Probleme und Verlockungen konnte ich mich nach Frau Merkels Vorstellungen doch noch integrieren und resozialisieren.

KAPITEL 1 MEINE ERSTEN ERINNERUNGEN

Ich erinnere mich an ein auf dem Boden sitzendes Kind mit vollgekackten Windeln, das aber nie oder nur ganz selten geweint hat. Ich erinnere mich auch, dass es Riesen streit gab zwischen den Erwachsenen. Das waren die ersten Erinnerungen, die ich an meine leibliche Mutter hatte. Meine Oma hatte mir immer Geschichten über sie erzählt. Sie war erst 16 Jahre alt, mein Vater bereits 24. Ihr Vater war der Meinung, dass sie selbst noch ein Kind sei und er ihr Kind deshalb nicht wolle. Daraufhin ist meine Oma mit meinem Vater in dieses Haus gestürmt und hat mich aus deren Fängen befreit. Wie gesagt, es war das letzte Mal, dass ich meine Mutter sah.

Von da an war meine Oma so eine Art Mutterfigur für mich. Obwohl ich mich nur noch schemenhaft erinnern kann, weiß ich noch, dass Papa immer an der Tankstelle gearbeitet hat. Oma hat dann für mich gekocht und auf mich aufgepasst. Ich bin von allen Enkeln im Haus am meisten von ihr verwöhnt worden. Sie kochte Spezialitäten aus ihrem Dorf. Krokodile, Affen und Waldratten standen auf der Speisekarte. Mein absoluter Favorit war immer die Wasserschildkröte. Und wie speziell sie zubereitet worden war! Ein großer Topf mit Wasser und Öl, Salz und Lorbeerblätter nimmt das lebendige Tier auf. Das gibt immer so ein komisches, lautes Geräusch. Als würde man durch einen kleinen Schlitz die Luft aus einem Luftballon lassen, quietschend und ziemlich unangenehm. Eine halbe Stunde wird die Schildkröte gekocht, dann rausgeholt und seitlich hingelegt. Mit dem Hammer hat Oma dann immer den Panzer geknackt und die Innereien entfernt. Die scharfen Krallen und der Kopf werden ebenfalls ab- trennt. Anschließend wird das Tier wieder in einen Koch- topf gelegt und mit Tomaten und ein wenig Erdnussbutter, Palmöl, Salz und Pfeffer, Zwiebeln und Wasser gekocht. Ungefähr eine Stunde dauerte es, bis die Soße in das Fleisch eingezogen und es gar war. Dazu gab es immer Reis. Lecker!

Meine Oma war und wird immer die Person sein, die mir am meisten bedeutet. Sie hat immer alles für mich getan. Sie hat mich gebadet, für mich gekocht und auf mich aufgepasst, wenn Papa nicht da war. Sie liebte es zu kochen, ganz besonders die Speisen aus ihrem Dorf. Am liebsten aß ich Malemba. Es wird aus Maniok gemacht. Maniok wird mehrere Stunden gekocht, bis es komplett weich wird, dann wird es zermalmt und ins Salzwasser gelegt. Es wird ein herrlicher Brei daraus, der mit Fisch vermengt wird, eben Malemba. Von meiner Oma zubereitet ein Traum, auch wenn es wenig appetitlich aussieht.

Meine Oma hatte neun Kinder. Und fast alle meiner Tanten und Onkel hatten selbst auch einige Nachkommen. Wir waren also eine recht große Familie. Mein Vater war natürlich immer der Größte für mich. Auch wenn er ab und an einen Joint rauchte und nach Benzin roch, war er immer gut angezogen und achtete sehr aufsein Aussehen. An manchen Tagen, wenn ich von den Verwandten nichts zu essen bekam, nahm er mich mit in einen Imbiss. So was konnten sich natürlich nur die leisten, die Geld hatten. So bin ich immer stolz mit meinem ›Kamundele‹ (Fleischspieß) mit Baguette durch die Straße gezogen und machte alle anderen neidisch.

Mein Vater hatte nicht viel, aber was er hatte, gab er mir, wenn ich etwas brauchte. So auch sehr viel Zuneigung. Wenn ich zum Beispiel bei Onkel Benjamin oder Onkel Patrick eingeschlafen war, trug er mich, sobald er von der Arbeit kam, immer zu uns ins Bett. Manchmal habe ich auch einfach nur so getan, als ob ich schlafe, nur damit Papa mich trägt. Bis heute finde ich den Geruch von Benzin irgendwie beruhigend. Es hat was von Zuhause und Geborgenheit, und ich fühle mich immer wohl, wenn mir dieser Duft in die Nase steigt.

Unser Haus im Hof war eins der kleinsten. Unser Dach war undicht, sodass es manchmal reingeregnet hat. Und immer wenn Papa mich holte und es regnete, schmiss er mir seine Jacke über den Kopf und rannte mit mir über den Hof in unser Haus. Doch wenn es schon regnete, bevor er los musste, blieb er daheim und wir schauten auf unserem alten Röhrenfernseher alte Schwarzenegger- oder Stallone-Filme.

Einmal war mein Vater arbeiten und ließ mir Geld da, damit ich mir was zu essen holen konnte. Ich war so superschlau und packte das Geld in eine der Zigarettenschachteln meines Vaters. Abends bekam ich dann tatsächlich Hunger und wollte das Geld holen. Ich stand auf der Terrasse von Onkel Benjamin und es regnete. Der Boden war nass und ich barfuß auf den Fliesen. Die Schachtel mit dem Geld lag oben auf einem Regal und ich angelte danach. Doch das Geld ließ sich nicht aus der Verpackung lösen. In dem Moment kam mein Papa gerade durch das Haupttor und ich verlor das Gleichgewicht, als ich hochschaute, fiel hin und schlug mir die linke Augenbraue an der Terrassentreppe auf. Alle dachten, ich hätte mein Auge verloren, denn das Blut floss mir in Strömen quer übers Gesicht. Schnell eilte mein Vater zu mir, hob mich auf die Schulter und rannte mit mir zu Fuß ins nächstliegende Krankenhaus (Hospital de Kalamu). Dort wurde ich genäht. Der Arzt sagte, ein paar Zentimeter tiefer und ich hätte eine Augenklappe gebraucht.

Bei uns zu Hause war immer viel los. Mein Großvater, der schon in den 80er Jahren durch einen Schlangenbiss sein Leben verloren hatte, ist ein Maurer gewesen und hatte ein Riesengrundstück mit mehreren Häusern bebaut, die in einem Viereck zueinander standen. Im Süden des Grundstücks befand sich der Haupteingang. Südwestlich davon hatten wir ein Restaurant, dass von meinem Onkel Benjamin geführt wurde. Dort gab es die besten Steaks und Pommes der ganzen Stadt. Jene, die das nötige Geld hatten, kamen gern hierher, das Lokal war immer gut besucht.

Daneben betrieben wir auch eine Art Kiosk, wo man alles von Babymilchpulver bis zu Klopapier und Bier bekam. Der Laden ist von Aushilfen oder zwischendurch auch von meinem Vater geführt worden. Im Südosten des Grundstücks stand unsere hauseigene Bäckerei, die von meinem Onkel Patrick geleitet wurde. Er war zwar kein ausgebildeter Bäcker, probierte aber viel aus und konnte irgendwann wunderbares Gebäck und Brötchen backen. Ich kann mich noch sehr gut an ihn erinnern. Er stand morgens früh auf, und man hörte ihn für den Herrn beten und singen, bevor er ans Werk ging. Er ließ immer die Musik von Denis Ngonde laufen, der hatte zwar eine grauenvolle Stimme, aber seine Texte berühren mich bis heute sehr. Na ja, im Kongo haben wir im Allgemeinen keine Sänger mit Stimmen wie die von Xavier Naidoo oder Adele, aber dafür sind die Texte sehr bewegend. Onkel Patrick blieb als Einziger der neun Kinder meiner Oma selbst kinderlos. Aber er ist einer der wenigen in meiner Familie, dem ich rückblickend wünsche, dass er die Frau fürs Leben findet und viele Kinder zeugt. Er war stets liebe- und verständnisvoll und einfach immer da.

Im Westen des Grundstücks bewohnte Onkel Benjamin mit seiner Frau Leonie und damals noch zwei Kindern ein Haus. Auch meine Oma hatte dort ein Zimmer. Es war das schönste und das größte von allen. Die Verwandten, die aus Frankreich oder Belgien zu Besuch kamen, schliefen dort immer gemeinsam mit der Oma. Das Haus von Onkel Benjamin war überhaupt das Schönste. Es gab eine Badewanne, eine Dusche und sogar ein Sitzklo im Haus. Alle anderen mussten sich draußen mit einem Plumpsklo zufrieden geben, das auch die Gäste des Restaurants von Onkel Benjamin benutzten.

Onkel Benjamin war bekannt für seine Erziehungsmethoden. Einerseits liebte er jedes einzelne Kinder auf dem Hof, aber seine Disziplinarverfahren waren ebenso berüchtigt. Wer Mist baute, lernte den berühmten ›Egogo‹ kennen, bei dem die Finger zusammengekniffen und mit einen kräftigen Schwung auf die Stirn geklopft werden. Wahnsinnige Schmerzen gab es da jedes Mal.

Im Nordwesten hatte Onkel Patrick sein kleines Haus direkt neben der hauseigenen Toilette. Im Norden lebten wir, also mein Papa und ich. Es war ein Zimmer mit einem Tisch, zwei Stühlen und einem alten, maroden Sofa, das absolut abgewohnt war. Auch ein Bett hatten wir. Alles in allem war unsere Einrichtung provisorisch zusammen gewürfelt. In der Regenzeit standen Wannen oder Eimer herum, weil unser Dach undicht war. Aber für mich war es das Schönste, hier einfach mit Papa zusammen sein zu können. Ich habe ihn dafür bewundert, was er alles getan hat, um uns über die Runden zu bringen. Er gab mit 24 Jahren eine vielversprechende Fußballkarriere auf, um sich um seinen Sohn zu kümmern. Jeder in unserem Viertel kannte ihn unter dem Namen Mambo. Den Spitznamen bekam er, soweit ich weiß, von seinen Freunden, die ihn nach dem damaligen Lokalmatador Jambo, ein äußerst begabter Fußballer und ›Womanizer‹, benannten. Er war fußballerisch so begabt, dass seine Freunde das ›J‹ durch den Anfangsbuchstaben seines Nachnamens ›Mingolo‹ ersetzten. Bei Dorffesten oder Turnieren in der Stadt kamen alle Leute zu uns und haben ihn angefleht, für unser Viertel zu stürmen. Bei manchen Spielen nahm er mich mit. Er war immer der Beste auf dem Platz. Seinem Spitznamen machte er aber auch dadurch alle Ehre, weil er bei den Frauen im Viertel bekannt und beliebt war. Er war jung und Single und genoss es. Warum auch nicht? Immerhin hatte er eine große Bürde zutragen und wollte seinem Vorbild nacheifern.

Bei uns im Kongo heißt es, ein Kind wird von dem ganzen Dorf erzogen. Das bedeutet so viel wie: Baut das Nachbarskind Mist, darf ich es verhauen, um ihm Manieren beizubringen. Eine Tracht Prügel war halt eine sehr beliebte kongolesische Erziehungsmaßnahme. Der Meinung war mein Vater auch, aber natürlich nicht, wenn es um sein eigenes und einziges Kind ging. Ich kann mich an drei Vorfälle erinnern: Einmal habe ich das Grundstück eines Nachbarn betreten, um meinen Fußball zu holen. Der Nachbar war der Meinung, es sei respektlos, ein fremdes Grundstück zu betreten ohne vorher um Erlaubnis zu bitten und er müsse mich dafür zurechtweisen. Und so bekam ich eine Tracht Prügel und ging heulend nach Hause. Abends, als Papa heimkam, sah er, dass ich total verheult war. Er fragte dann, was los war, und ich erzählte ihm natürlich alles. Da nahm er mich und wir gingen zu dem Nachbarn. Noch bevor irgendjemand etwas gesagt hatte, bekam dieser einen schönen rechten Haken mit dem Worten: »Nicht mit meinem Sohn.« Wenngleich auch er einer Abreibung gegenüber nicht abgeneigt war, so wie das eine Mal, als ich mich mit meinem Cousin Paul geprügelt habe. Ich hatte zwar gewonnen, bin aber trotzdem weinend zu Papa nach Hause und habe ihm alles erzählt. Überraschenderweise bekam ich von ihm dann eine Tracht Prügel mit dem Gürtel mit der Begründung: »Wenn du doch gewinnst, warum weinst du?« Das war dann das letzte Mal, dass ich bei einer Prügelei geweint habe.

Ein anderes Mal kamen mein Cousin Noel und ich zu spät nach Hause. Sein Vater und mein Onkel Benjamin haben uns bereits mit einem Besenstiel erwartet. Er prügelte damit solange auf uns ein, bis der Stiel zerbrach auf meinem Körper. Noel war der Kleinste in unserem Viertel, aber im Laufen unschlagbar. Er war so schnell, dass er selbst die Schnellsten langsam aussehen ließ. Eines Tages hatten sich wieder Prügel für uns angekündigt, als wir nach Hause kamen. Onkel Benjamin hatte schon, bewaffnet mit dem Gürtel, auf uns gewartet. Noel, Paul und ich standen nebeneinander und überlegten, wer zuerst durch das Tor marschiert. Noel kam die Idee, wenn wir alle gleichzeitig ins Haus rennen, könne er uns gar nicht erwischen. Das war die Lösung! Alle auf einmal an ihm vorbei! Nur hatten wir vergessen, dass Noel viel schneller war als wir und er locker an dem dicken, großen und angsteinflößenden Mann vorbei konnte. Aber wir zwei, Paul und ich, wir waren geliefert. Noel war also mit einem wahnsinnigen Tempo durch Onkel Benjamins Beine ins Haus zu seiner Mutter geflüchtet. Und nun stand ich mit Paul da, und bevor wir auch nur losrennen konnten, hatte uns Onkel Benjamin schon an den Ohren gepackt und ließ unsere Köpfe aufeinander prallen, sodass wir anfingen zu weinen. Dann kam der Gürtel zum Einsatz. Anschließend rief er alle Kinder zusammen und ließ lecker für alle kochen, nur Paul und ich bekamen nichts. Wir mussten mit im Raum sein, wo alle aßen, mussten aber stehen und die Wand angucken und durften uns nicht umdrehen, hinsetzen oder etwas sagen. Ich wusste nicht, was schlimmer war: die Tracht Prügel, der Hunger, die Strafe oder mein Onkel. Und der hinterhältige Noel, der flüchten konnte, hat natürlich von allen am lautesten geschmatzt.

Der andere Vorfall ereignete sich in der Schule. Nebenbei bemerkt: Im Kongo kann man sich seine Schulnoten praktisch kaufen. Auch mein Vater bezahlte den Lehrer, damit der mich fair behandelte. Eines Tages hatte ich Durchfall, doch der Lehrer ließ mich nicht aufs Klo. Es kam, wie es kommen musste. Ich kackte mich komplett voll. Zur Strafe bin ich dafür auch noch vom Lehrer verprügelt worden. Am nächsten Tag ging ich mit Papa zur Schule. Mein Lehrer bekam einen rechten Haken und konnte nichts dagegen machen, weil der ältere Bruder meines Vaters ein Oberst bei der Armee war und die Polizei im Viertel seinen Befehlen unterstand. Das war dann auch das letzte Mal, dass mich einer im Viertel schlug.

Wenn Schule war, stand mein Vater immer gegen 5 Uhr morgens auf und holte einen riesigen Badeeimer, füllte ihn mit Wasser und stellte ihn in die Sonne, um das Wasser aufzuwärmen. Strom war bei uns ein Luxusartikel, an manchen Tagen hatten wir gar keinen. Auch warmes Wasser gab es nicht immer. Wenn ich dann morgens um halb 6 aufgestanden war, hatte ich durch Papas Bemühungen aber immer warmes Wasser zum Duschen. Er machte mir dann noch meine warme Milch und Baguette mit Erdnussbutter. Dann brachte er mich zur Schule.

Warum ich damals überhaupt zur Schule ging, ist mir bis heute rätselhaft. Der Schulalltag war nämlich nicht besonders lehrreich. Morgens um halb 8 standen wir gestaffelt auf dem Schulhof und mussten alle die Nationalhymne singen, während die Flagge gehisst wurde. Dann gingen wir in die Klassen und mussten acht Stunden lang den Lehrern alles nachsagen, und das auf Französisch, was keiner von uns verstand. Und wehe dir, du hast nicht mitgemacht, dann gab es eine Tracht Prügel. Dann ging man nach Hause und am nächsten Morgen wieder das gleiche Spiel. Gelernt haben wir nichts. Na ja, doch, eines schon: nämlich, dass auch Lehrer korrupt sein können. Wie oben schon erwähnt, gab es gegen ›Bares‹ immer gute Schulnoten.

Kommen wir zum letzten Bewohner im Haus. ›Onkel Soldat‹ ist er genannt worden. Er lebte auf der Ostseite des Grundstückes. Ich habe nur negative Erinnerungen an ihn. Er war zur Zeit von Mobutu schon ein ›hochrangiger‹ Militär, was sich zu Kabilas Zeit nicht änderte. Er hatte oft zwei Unteroffiziere bei sich, die die Funktion von Leibwächtern hatten und alles erledigten, was mein Onkel ihnen befahl. Sie fungierten auch als Chauffeur, oder räumten ihm den Weg frei. Sie taten alles. Und ständig hatte er Streitereien mit meinem Vater. Privat war immer alles gut, aber wenn er in Uniform zu Hause war und die zwei sich gestritten hatten, ist es oftmals handgreiflich geworden. Und da musste Papa nicht selten den Knast von innen bewundern. Einmal kamen sie ihn mitten in der Nacht holen, schwer bewaffnet, als wäre er ein Krimineller, nur weil er sich mit seinem Bruder ›gezofft‹ hatte. Es waren meistens nur banale Sachen, um die es ging. Oft waren die zwei zum Beispiel verschiedener Meinung, was das Führen des Familienclans anging. Mein Onkel Soldat war der Anführer der Familie im Kongo. Wenn zum Beispiel Geld aus Europa von den dort lebenden Verwandten kam, um uns finanziell zu unterstützen, war mein Onkel der Meinung, dass mein Vater weniger verdient hätte von dem Geld, weil er nur zwei Köpfe zu ernähren hatte und daher nicht so viel wie die anderen Brüder bräuchte, die jeder mindestens fünf Mäuler zu stopfen hatten. Aber mein Vater sah es nicht so. Er ackerte sich über die Maßen ab, um über die Runden zu kommen. Die anderen Brüder aber hatten Restaurant oder Bäckerei im Hof, mit denen sie Geld verdienten, und sie sollten aus seiner Sicht deswegen eher weniger kriegen. So kamen die Streitereien zustande. Es ging also überwiegend um Geld. Dazu kam noch, dass keiner aus meiner Familie auf den Mund gefallen war und immer seine Meinung äußerte, und das nicht immer ganz politisch korrekt. Und schnell hatten sie sich vor den Fäusten. Wenn es gut lief, saß er nur ein paar Tage im Gefängnis, es konnten aber auch ein paar Wochen werden.

Im Vergleich zum kongolesischen Knast ist der deutsche ein Fünf-Sterne-Hotel. Im Kongo sind 20 bis 30 Menschen in einen Raum von ungefähr 20 Quadratmetern gesperrt. Ein Plumpsklo und ein Waschbecken mit braunem Wasser bilden die Einrichtung. Meinen Vater in so einem Loch zu sehen, war für mich die Hölle. Und dafür hasste ich meinen Onkel.

Im Großen und Ganzen hatte ich trotzdem eine schöne Kindheit im Kongo. Wir hatten nicht viel und wollten auch nicht viel. Alles, was wir uns wünschten, haben wir uns selber gebastelt. Wir haben es geliebt, Fußball zu spielen, aber konnten uns keinen Ball leisten. Also nahmen wir einen Luftballon und haben ihn zur Größe einer Wassermelone aufgeblasen und dann mit mehreren Schichten Plastiktüten umwickelt. Das Ganze wurde mit einem dünnen Seil mehrmals umwickelt und befestigt. So hatten wir einen Ball zum Spielen. Hatten wir keine Schienbeinschoner, war das auch kein Problem. PET-Flaschen wurden einfach senk- recht abgeschnitten und an das jeweilige Schienbein angepasst, oben und unten Löcher rein, Zeitungspapier dazwischen geklemmt und durch die Löcher ein Seil gezogen, festgebunden, fertig. Der perfekte Schutz gegen Prellungen am Schienbein. Fußball wurde bei uns barfuß gespielt, wir hatten keine Fußballschuhe, die wenigsten von uns hatten überhaupt Schuhe. Die Narben an meinen Beinen und Füßen bezeugen das noch heute. Besonderen Spaß hat es gemacht, in den matschigen und verregneten Straßen zu spielen. Oder generell im Regen.

Geld hatten wir nicht und konnten uns auch keine Utensilien zum Malen leisten, also haben wir im Sand gemalt. Wahre Kunstwerke sind entstanden, aber man hat sie nie festhalten können. Nach der Schule waren wir immer unterwegs. Hauptsächlich, weil wir den Hunger vertreiben wollten. Daheim hatten wir nichts zu tun. Essen gab es erst abends ab 18 Uhr. Die Schule allerdings war schon um 14 Uhr aus. Also machten wir uns auf den Weg und schauten uns andere Viertel an. War es zu heiß, um spazieren zu gehen, saßen wir auf der Straße und malten Gemälde in den Sand. Es war eine Beschäftigung, die jedes Kind in Afrika kennt. Die Straßen waren nicht gepflastert oder geteert. An den meisten Stellen war mit gestampftem Sand provisorisch eine Straße gebaut worden. An den weicheren Stellen am Straßenrand konnte man wunderbar malen.

Wir hatten nun mal leider nicht das Vergnügen, dreimal am Tag speisen zu können und dann Playstation zu spielen oder auf Facebook unseren Lebenspartner zu stalken und uns langsam zu Tode zu saufen. Wenn wir spielen wollten, mussten wir etliche Kilo- meter weit laufen, um in einer kongolesischen ›Spielhalle‹, die aus einer Playstation 1, Nintendo 64, Super Nintendo und 3 Gambeboys bestand, zu landen. Der Raum war mit 15 Quadratmatern kleiner als mein Keller, und hier saßen wir mit zehn Jungs bei 35 Grad im Schatten und zockten. Aber wir hatten trotzdem unseren Spaß. Das war unser Highlight.

Es gab auch sogenannte ›Kinos‹ bei uns. Irgendjemand hatte in seiner Garage einen alten Röhrenfernseher aufgestellt, dazu einen veralteten Video-Recorder und für paar Cent konnte man da alte Stallone-Filme anschauen.

Am liebsten sind wir immer raus und zu irgendwelche anderen Jungs im Viertel gegangen und haben gegen die Fußball gespielt oder einfach neue Ecken entdeckt. Je älter wir wurden, desto weiter entfernten wir uns bei unseren Streifzügen von unserem Viertel. Unsere Eltern wussten nie, wo wir waren, aber es gab auch keinen Grund zur Besorgnis, wenn nicht gerade Krieg war.

Meine besten Freunde in meinem Viertel waren Duawa und Clody. Beide waren ein paar Jahre älter als ich, aber körperlich konnte ich locker mithalten. So spielte es keine Rolle, wie alt ich war. Wir waren immer zu dritt unterwegs. Duawa war der beste Fußballer bei uns im Viertel. Ich beneidete ihn, weil eigentlich ich der Beste sein sollte, schließlich war mein Vater der große Mambo. Aber ich hatte zwei linke Füße.

Glody war der größte von uns und konnte wahnsinnig gut Schlagzeug spielen oder zumindest auf so etwas wie einem Schlaginstrument, das wir selbst zusammengebastelt hatten. Er bewohnte mit seiner Familie ein Haus direkt neben unserem, insofern war er fast jeden Tag bei uns oder ich bei ihnen. Er war der einzige Junge unter drei Schwestern also der selbsternannte Mann im Haus, da sein Vater schwer krank war. Der war ein Säufer, sodass seine Leber schwer geschädigt war. Er produzierte selbstgebrannten Schnaps. Sein größter Kunde war er aber leider selber.

Im Kongo gab es immer wieder Heuschreckenplagen. Dann gingen wir drei, jeder mit jeweils drei oder vier PET-Flaschen bewaffnet, auf die Jagd. Dort hinein sammelten wir dann die Heuschrecken. Daheim angekommen, nahmen wir die Tiere aus. Flügel und Beine ab, Bauchinhalt ausgequetscht. Anschließend wurde die Pfanne mit einbisschen Öl erhitzt, dann die Insekten hinein und mit Salz gut durchgebraten. Ein leckerer und kostenloser Snack für zwischendurch. Ich hatte wunderschöne Kindheitserinnerungen. Im Kongo habe ich ja auch gelernt, dass es das Böse gibt. Natürlich gibt es überall böse Menschen, die furchtbare Dinge tun, aber ich habe noch nicht erlebt, dass ein ganzes Land böse sein kann, so wie ich es im Kongo erfahren musste.

Kongolesen sind überwiegend christlich, ganz wenige sind nur ›Nganga‹ (Voodoozauberer). Viele Menschen, die nicht an Gott glauben oder sich auf die Macht des Voodoos verlassen, besuchen solche ›Ngangas‹, um nach Rat zu fragen oder äußern alles Er- und Bedenkliche an Wünschen, um an Reichtum, Macht oder sogar Lebenspartner zu kommen. Auch das Töten von Nachbarn oder Feinden wird nicht selten bei den ›Ngangas‹ angefragt. Voodozauberer haben kein leichtes Leben, denn sobald man als ›Ndoki‹ (so nennt man sie bei uns) enttarnt wird, steht das gesamte Viertel vor der Haustür. Man zerrt sie raus und schleppt sie gefesselt durch das Viertel, verprügelt und steinigt sie. Zu guter Letzt legt man sie in mehrere Autoreifen, übergießt diese dann mit Benzin und zündet sie an alles bei vollem Bewusstsein. Das Gleiche geschieht bei Schwulen und Ehebrecherinnen. Männlichen Ehebrechern dagegen geschieht nichts. Das männliche Geschlecht nimmt eine besondere Stellung ein. In manchen Dörfern ist es nicht mal unüblich, dass der Mann mehrere Frauen hat. Zu jeder guten Ehe gehört mindestens eine Nebenfrau. Frauen aber dürfen keinen Nebenmann haben!

Ich kann mich sehr gut an einen Fall erinnern: Wir hatten einen Nachbarn, dessen Familie nacheinander verstarb und niemand genau wusste woran. Hier bei uns würde es wahrscheinlich irgendeinen medizinischen Grund geben, oder was auch immer. Aber für uns Kongolesen ist es direkt klar: Der Typ ist ein ›Ndoki‹. Er hat also seine ganze Familie dem Teufel geopfert. Ich kam gerade von der Schule, als ich sah, wie das halbe Viertel bei ihm vor der Tür stand und ihn rauszerrte und ein paar Meter vor unserer Haustüre lebendig verbrannte. Bis zum bitteren Ende schrie der Mann, er habe nichts damit zu tun. Doch selbst als er bereits in Flammen stand, haben sie ihn mit Steinen beworfen. Kein Mensch fühlte sich berufen, etwas dagegen zu unternehmen, denn jeder wusste, wer hier dazwischen ging, würde als Komplize gleich mitverbrannt werden. So ein Ndoki galt einfach als große Gefahr. So war es uns Kindern zum Beispiel auch untersagt, Gegenstände von Fremden anzunehmen. Es könnte ja sein, dass diese verzaubert sind und dass der zuständige Ndoki etwas als Gegenleistung von uns verlangen würde, wie zum Beispiel das Leben eines Familienmitgliedes zu opfern.

Das wirkliche Böse lernte ich in den 90er Jahren im Kongo kennen, als der Krieg in Ruanda und Uganda die Grenze zu uns überschritt und als Kabila mit seinen Rebellen den Kongo übernahm. Danach war einfach alles schrecklich. So zum Beispiel an meinem ersten Schultag im zweiten Jahr. Ich war stolz, weil mein Papa mir eine riesengroße Thermoskanne mit warmer Milch gemacht hatte. In Deutschland kriegen die Kinder eine Tüte voller Süßigkeiten, bei uns war warme Milch in einer Thermoskanne schon das Größte. Wir hatten alle weiße Hemden und dunkelblaue Hosen an. Stolz ging ich mit Papa zu meinem ersten Schultag. Vor der Schule waren viele Menschen vor der Türe versammelt. Ich hörte nur, wie die Leute immer wieder riefen: »Tumba Rebell Oyo«, was so viel heißt wie: »Verbrennt den Rebell«. Mein Vater ging vor und ließ mich stehen, er wollte wissen, was da los war. Ein Geruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft. Mein Vater kam zurück, verschloss mir die Augen mit seiner Hand und führte mich ins Schulgebäude. Ein ganz normaler Tag im Kongo zu dieser Zeit. Es war an der Tagesordnung, leblose verbrannte Körper auf der Straße zu sehen.

Nachts, ab 20 Uhr, war Ausgangssperre. Wer sich draußen rumtrieb, galt als Rebell und wurde von der Polizei oftmals gleich erschossen. Strom- und Wasserausfall waren an der Tagesordnung. Manchmal für mehrere Wochen, sodass wir aus Brunnen Wasser holen und es abkochen mussten. Nachts wurde mit Petroleumlampen Licht gemacht. Ab 20 Uhr waren wir immer alle im Hof versammelt und wurden von den älteren Söhnen von Onkel Soldat, Jerome und Jonas, abgezählt, ob auch alle da waren. Dann bewaffneten sich meine älteren Cousins mit Äxten und wir versammelten uns alle im Hof und schliefen hinter verschlossenen Türen zusammen und beschützten uns gegenseitig. Nachts konnte man sehen, wie Raketen aufstiegen und der Himmel sich hell verfärbte, und Geschosse waren zu hören. Das war das einzig Schöne im Krieg, dass wir alle zusammen da saßen, beteten, zusammen sangen und uns Geschichten erzählten.

Zwischen all den schrecklichen Dingen gab es aber auch schöne Momente, wie große Geburtstage oder Hochzeiten. Da gab es nur das Beste vom Besten zu essen. Das Thema Hochzeit ist eh so eine Sache bei uns. Die Frauen werden förmlich verkauft und die Männer ausgebeutet. Als meine Cousine Carinne ihren Mann Jeff ›den Zahnlosen‹ heiratete, kam der zukünftige Ehemann samt Familie zu uns. Es wurde groß gekocht und gefeiert. Gegen 22 Uhr sollte meine Cousine dann erscheinen, aber sie tauchte nicht auf. Wenig später kam mein Onkel Benjamin und erklärte der Familie des Gatten, dass meine Cousine in Deutschland sei und nicht zurück könne, da das Geld für den Rückflug nicht reichen würde. So wurde die Familie des Gatten schnell um 1500 Francs ärmer. Dann kam noch der Vater meiner Cousine und sagte, dass er seine Tochter die ganzen Jahren von der ersten Windel bis jetzt versorgt, und es ihm nie einer gedankt habe. Er habe eine Rechnung erstellt von allen Dingen, die er bislang für sie gekauft hatte und kam auf eine Summe von weiteren 3000 Francs. Und natürlich kam auch noch meine Oma, die ja, wie sie nun erklärte, immer da war für ihr Enkelkind und alles getan hatte. Sie wollte natürlich auch ihre neue Kleidung für die Hochzeit bezahlt haben. Der Stoff dafür musste natürlich original von ›So-So‹ sein. Auch das hatte seinen stolzen Preis: Der Gatte erstattete meiner Großmutter 600 Francs.

Als alles geregelt war, stand dann urplötzlich meine Cousine vor der Tür. Als wäre sie von Deutschland in den Kongo gebeamt worden. Sie verließ ihr Elternhaus und zog zu dem Zahnlosen. Sie bekam mit ihm zwei bildhübsche Kinder.

Zu den Hochzeiten kamen auch die Verwandten aus Europa und brachten uns Klamotten, Schuhe und Süßigkeiten mit. Einmal kam eine Tante von mir aus Frankreich zu einer Hochzeit einer Cousine. Sie hatte uns so viele Süßigkeiten mitgebracht, die wir natürlich sofort verspeisten, dass ich vier Tage nicht mehr auf die Toilette gehen konnte, weil ich an Verstopfung litt.

Als diese Tante zurückreiste, nahm sie ohne große Ankündigung meine Oma mit nach Frankreich, die dort wegen einer Krankheit behandelt werden sollte. Jetzt war die einzige Mutterfigur, die ich je hatte, auch noch fort. Nun war ich ganz alleine mit meinem Vater, der tagsüber arbeiten war, und ich musste mich bei den Verwandten im Hof durchschnorren, um was zu essen zu ergattern.

Als ein Cousin von mir 1998 heiratete, kam die gleiche Tante aus Frankreich zurück. Mein Vater sagte mir, dass ich mit ihr nach Europa reisen würde und ich es unter keinen Umständen jemandem erzählen dürfe. Ich und Europa? Zu den weißen Engeln? Für uns waren ja Euro