Fremd im eigenen Land - Londri Mingolo- Tite - E-Book

Fremd im eigenen Land E-Book

Londri Mingolo-Tite

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Beschreibung

20 Jahre nach der einsamen Flucht eines afrikanischen Kindes aus einem kriegsgebeutelten Land. Das Leben eines Migranten, der in Deutschland auf der Suche nach Halt und Orientierung zunächst in die Kriminalität und Gewalt abrutscht, es zuletzt aber doch schafft, sich zu integrieren. Doch was heißt Integration? Ist man als Integrierter in Deutschland automatisch ein richtiger Deutscher? Und was ist mit der eigenen Herkunft? Abgesehen von den Mitmenschen in neuem Zuhause - wie sehen die Menschen in der alten Heimat jemanden, der 20 Jahre nicht mehr dort war? Wo gehört man hin und welche Identität trägt ein Mensch mit einer solchen Geschichte in sich? Der Autor beschreibt seine Erfahrungen und Erlebnisse bei der Rückkehr nach 20 Jahren in sein Heimatland Kongo. Er zeigt die Unterschiede zwischen den Ländern, die uns Deutschland gänzlich unbekannt sind. Ein Vergleich zweier Welten, ein großes Wiedersehen mit seiner Familie und vieles mehr. Eine emotionale und fesselnde Fortsetzung des Buches, Allein in einer fremden Welt, von Londri Mingolo-Tite.

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Seitenzahl: 192

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Inhalt

Vorwort

Neue Stadt - alte Geschichten

Allein in einer fremden Welt

Das neue Leben

Die Blume

Heimweh

Die Reise zurück zu den Wurzeln

Kin la Belle

Die kongolesische Realität

Zando

Denis 11, Yolo Kalamu

Tite Mambo

Primus, Skol und Pastoren

La Famille

Kinshasa by Night

Sheques/ Bana Quartier

Die Ruhe vor dem Sturm

Das große Wiedersehen

Jeanne Tondolo

Die Anderen

Die zwei Seiten einer Münze

Umzug nach Matete

Vom Kongo nach Deutschland

Die deutsche Realität

Neues Kind- weiteres Glück

Nachwort

Vorwort

Zugehörigkeit. Etwas, wonach ich mein Leben lang gesucht hatte. Nun hatte ich es gefunden. Ich hatte meine eigene Familie. Einen Sinn in meinem Leben. Seit ich acht Jahre alt war, war ich auf der Reise. Auf der Suche nach etwas oder jemandem, das ich als Zuhause bezeichnen konnte. Nie habe ich länger als drei Jahre in einer Stadt oder in einer Wohnung gelebt. Menschen kamen in mein Leben und gingen wieder. Nur wenige sind geblieben. Doch war es mir nie wirklich bewusst.

Meine Suche hatte ein Ende. Ich wusste, dass ich genau da sein wollte, wo ich jetzt war. Doch nach fast 20 Jahren Deutschland war nicht mehr die Frage nach der Zugehörigkeit gestellt, sondern die Frage nach meiner persönlichen Identität. Wo gehöre ich eigentlich hin? Klar, meine Hautfarbe und meine Herkunft lassen sich nicht leugnen und ich würde es auch niemals zulassen. Doch im Zeitalter, wo Migration und Integration groß geschrieben werden, sucht man seinen Platz in der Gesellschaft. Wo gehöre ich hin? In Deutschland bin ich immer noch der Ausländer, doch wie sehen mich meine eigenen Landsleute im Kongo? Das Land, das ich verlassen musste aufgrund von Krieg und Not. Was hat sich geändert? Habe ich mich geändert? Fühle ich mich dort mehr zuhause als hier? Wo ist mein Platz? Fast 20 Jahre war ich nun weg. Ich habe mir die deutschen Tugenden angeeignet. Ich denke und träume deutsch. Ich habe mehrere deutsche Abschlüsse und besitze inzwischen einen deutschen Pass. Bis auf die deutsche Pünktlichkeit, passt alles, um ein vorbildlicher Deutscher zu sein. Und doch werde ich das für die meisten hier im Land niemals sein.

Neue Stadt - alte Geschichten

Da war meine Tochter nun. Mein eigenes Mädchen. Die erste Zeit war ich viel in Köln bei Isa und ihr. Ich bekam drei Wochen Urlaub und nutzte jede Minute, um bei ihr zu sein. Doch als ich wieder arbeiten musste, fingen die ersten Probleme an. Ich hielt es keine zwei Wochen ohne meine Tochter aus. Isa zeigte Verständnis und setzte sich die erste Zeit mit ihr immer wieder in den Bummelzug und kam zu mir nach Trier. Wir gewöhnten uns an das Leben zu dritt. Zwar war es eine Riesenumstellung für uns beide, aber irgendwie fühlte es sich gut an. Ich hatte durch meine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger ein wenig Erfahrung mit Neugeborenen gemacht, doch für Isa war es komplettes Neuland. Sie zweifelte die erste Zeit hin und wieder an ihren Fähigkeiten als Mutter.

Wenn ich Nachtdienst hatte und das Kind konnte nicht schlafen, rief sie an und ich sang für mein Kind am Telefon und beruhigte sie. Linda war von der ersten Minute an ein Papakind. Ein typisches Mädchen eben. Ich konnte Isa etwas entlasten, indem ich ihr bestimmte Griffe zeigte, die ich in der Lehre zum Pfleger gelernt hatte.

Nachts konnte ich zum Glück immer schlafen, während Isa wieder und wieder aufstand, um sich zu kümmern. Ich erzählte groß und breit, dass meine Tochter immer die Nacht komplett durchschlief. Isa schaute mich dann immer verwirrt an. Es stellte sich heraus, dass es eine Männerkrankheit sein soll, das Geschrei der Babys nachts nicht zu hören. Das Zusammenleben wurde immer besser. Und wir wuchsen in die Rolle der Eltern hinein. Es ist doch klar, dass kein Papa oder keine Mama fertig von irgendwoher kommen, sondern man wird erst dazu. Von Tag zu Tag wurde es mehr und immer besser.

Doch je mehr Zeit ich mit meiner Tochter verbrachte, umso stärker war der Wunsch, sie immer und täglich bei mir zu haben. Die ständige Pendelei strengte uns an.

Immer wieder mit dem Zug von Trier nach Köln, über drei Stunden, war einfach ätzend. Mitfahrgelegenheiten waren auch nicht viel besser. Ich setzte mich erneut mit Isa zusammen und wir besprachen unsere Situation. Diesmal konnte ich sie schließlich dafür gewinnen, zu mir nach Trier zu ziehen. Ein Zusammenleben als eine richtige Familie. In Köln hatte sie Freunde und Familie, aber nicht die tägliche Unterstützung im Zusammenleben, die eine frischgebackene Mutter dringend brauchen kann.

Dort hatte jeder auch sein Leben zu regeln und sie war nicht der Mensch, der anderen Leuten hinterher lief und um Hilfe zu bettelte. In Trier wären wir wenigstens zu dritt und könnten schauen, wie wir es hinkriegen. Isa hatte sich also dafür entschieden, mit mir nach Trier zu ziehen, aber wie das Ganze genau funktionieren sollte, war mir bis dahin noch nicht ganz klar. Es musste einfach irgendwie klappen.

Alles hatte sich von da an verändert. Ich dachte bisher eigentlich, dass ich das perfekte Leben gehabt hätte mit Freunden und Menschen um mich herum, die immer bleiben würden. Doch in dieser Situation entfernten sich viele Menschen von mir. Ob gewollt oder nicht. Einige kamen mit der Veränderung nicht klar, dass ich jetzt Vater war und mit einer Frau zusammen lebte. Das wilde Partyleben und das Herumtreiben war vorüber. Ich setzte andere Prioritäten. Mir war dieses wöchentliche Ausgehen nicht mehr wichtig. Ich nutzte stattdessen meine freien Tage, um mein Kind zu sehen. Selbst mein bester Kumpel Stefan Drechsler entfernte sich von mir. So wirklich darüber geredet haben wir nie, aber der Kontakt war mit der Zeit nach und nach weniger geworden. Je mehr Menschen um mich herum verschwanden, umso mehr setzte ich Prioritäten. Einige Freunde aus meiner Vergangenheit, wie zum Beispiel Henry, wurden zu engen Freunden. Henry, mein Mitspieler aus meiner Zeit damals beim Fußballverein SV Weiden, der sich über meine Aussprache lustig gemacht und dem ich dafür einen Schlag ins Gesicht verpasst hatte. Genau der ist heute einer meiner engsten Freunde. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich halt.

Auch Tai, aus meiner Schulzeit in der Eifel, ist mir eng verbunden geblieben, sowie seine Freundin Anne und seine Schwester. Ich machte Tai sogar zum Paten meiner Tochter Linda. Der legendäre Bobby aus Tannenbusch ist auch heute noch mehr als ein guter Freund.

Bobby hatte sich ein kleines Ladenlokal zugelegt, welches er zu einem kleinen Kiosk umgebaut hatte. Er verkaufte Süßigkeiten und einige Lebensmittel. Man bekam eigentlich fast alles bei ihm. Vom Kaugummi über Windeln bis hin zu Nudeln und Kippen. Ein perfektes Projekt für einen Menschen mit seiner Vergangenheit. So war er an einen Ort gebunden und führte sein Leben fernab von jeglichen Unruhen und Kuttenträgern. Tagsüber war seine Frau im Laden und bediente die Kunden, während er sich um seinen Sohn kümmerte. Am Abend ab 18 Uhr war er dann vor Ort bis um Mitternacht und manchmal auch länger. Dort gab es eine Playstation, an der sich die Kids und Jugendlichen gerne mal versammelten, um Fifa zu spielen. Der Laden war immer gut besucht, sowohl von kleinen Schulkindern als auch der gesamten Nachbarschaft. Bobby hatte seine Stammkunden, die am Bonner Paulusplatz ihr Kölsch kauften oder schnell für Babynahrung reinkamen, wenn der große Supermarkt um die Ecke schon geschlossen hatte.

Das Leben meinte es gut mit ihm und es erfüllte mich mit Stolz zu sehen, dass einer aus meinem Freundeskreis das Leben bei den Hörnern packte und es wunderbar meisterte. Ein eigenes Geschäft und ein Riesenhaus mit eigenem Grundstück. Nicht viele, die aus dem Loch im Köln-Bonner-Raum stammten, schafften es auch, so sauber weg zu kommen. Aber leider waren nicht alle mit seiner Idee und dem neuen Image als Saubermann so ganz einverstanden. So kam es, dass sich ein Jugendlicher direkt vor seinen Laden stellte und mit Kokain und Cannabis zu dealen begann. Bobby bemerkte dies nicht.

Erst als ein Stammkunde, der den Vorbesitzer und dessen Machenschaften kannte, Bobby ansprach, ob er auch mit drin stecke, wurde er aufmerksam. Der Vorbesitzer hatte einen Deal mit einem großen Kokainhändler aus Bonn gehabt. Für ein zusätzliches Taschengeld ließ er sein Ladenlokal als Verteilerplatz benutzen. Das Geschäft boomte jahrelang. Natürlich hatte Bobby damit nichts zu tun, so etwas steht ja auch nicht im Mietvertrag.

Drogen waren sowieso nie seine Welt. Auch nicht zu seiner Zeit als kriminelles Schwergewicht in NRW. Um seinen neuen Ruf nicht zu beflecken, ging er natürlich auf den jungen Mann zu und schickte ihn dezent von seinem Laden weg. Aus Respekt, naja, wohl eher Angst, ließ der Junge alles stehen und liegen und machte sich vom Acker. Dann, gegen Abend, klingelte das Telefon und der Kokaingroßhändler aus Bonn war dran. Er wolle mit Bobby reden und sich entschuldigen, dass er ihn nicht eingeweiht habe und er wolle nicht, dass etwas eskalierte.

Der freundliche Anruf stellte sich für Bobby als eine Drohung dar, als der Typ am Telefon sagte, dass man einen Krieg verhindern wolle. Und der Sturkopf ließ natürlich so etwas nicht durchgehen und nicht so mit sich reden. Also sagte er, wenn der Boss etwas zu sagen habe, möge er in den Laden kommen und man würde über alles Faceto-Face reden.

Gesagt getan. Am gleichen Abend kam die Kokaingröße persönlich in das Ladenlokal nach Tannenbusch, wo Bobby und einige Jungs kurz vor Ladenschluss Fifa spielten. Da die beiden sich kannten, begrüßte der Boss Bobby mit Küssen links und rechts. Eigentlich eine freundliche Geste. Das Wort Bruder fiel und man diskutierte und diskutierte. Dann unterbreitete der Boss Bobby ein Angebot. Er würde Bobby 10.000 Euro geben, wenn er im Mietvertrag den Boss als Pächter angeben würde und der seine Drogen von dort aus an die Bonner Konsumenten verticken könne. Das Angebot solch schnellen Geldes klingt für jeden, der dem Geld immer hinterher gelaufen ist, durchaus verlockend. Bobby sagte, er würde sich überlegen, den Laden abzugeben, aber nicht, um als Dealer oder ähnliches zu arbeiten. Allerdings nicht für 10.000 Euro. Ohne zu zögern, ging der Boss auf 25.000

Euro hoch. Da musste selbst Bobby kurz schlucken und sagte, er müsse es mit seiner Frau besprechen. Der Boss gab ihm die Zeit und verabschiedete sich wieder mit „Bruder“ und Küsschen links und rechts auf die Wange.

Zuhause angekommen setzte Bobby sich mit seiner Frau hin und sie lehnte strikt ab. Sie sagte, sie hätten zu viel Zeit, Geld, Schweiß und Blut reingesteckt, um es nach einigen Monaten wieder aufzugeben. Dazu kam, dass sie so sicher sein konnte, dass Bobby nicht mit den Kuttenträgern um die Häuser zog, um irgendwelche krumme Dinger zu drehen. Und sie wusste immer, wo er war und dass er nichts Dummes nebenbei anstellte. Diese Zeiten sollten endlich vorbei sein für die Familie. Dafür hatten sie gekämpft und nun hatten sie etwas Eigenes. Bobby nannte sie in solchen Situationen immer den Boss. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er das Geld genommen. Doch seine Frau behielt immer den Überblick. Also rief Bobby den Kokainboss an und sagte: „Die Chefin hat abgelehnt.“ Am Telefon schien der Kokainhändler ganz und gar damit einverstanden, zeigte Verständnis und Respekt. Er bat Bobby, nach Bonn- Bad Godesberg in die Arcadia- Passage zukommen, um sich ein neues Angebot machen zu lassen. So dachte sich Bobby das. Also nahm er zwei Jungs mit und sie fuhren los. In einer Bar in der Arcadia- Passage saß der Boss mitsamt seinen Anhängern, etwa 15 bis 20 dunkle Gestalten. Einige davon waren mit Bobby in Bonn aufgewachsen. Sie aßen zusammen und nannten ihn Bruder. Also dachte er sich nichts Schlimmes. Auch der kleine Dealer, der bei Bobby vor seinem Ladenlokal verkaufte, saß mit am Tisch. Als Bobby näher kam, sah er, wie der Boss dem Jugendlichen etwas in die Tasche steckte. Das ließ Bobby misstrauisch werden. Aber auch da dachte er noch nicht an allzu Schlimmes. Sie saßen am Tisch und wollten anfangen, die Konditionen zu bereden, als der Boss Bobby unterbrach und ihn aufforderte, alles mit seinem kleinen Dealer vor der Tür zu bereden, mit ihm habe er nichts mehr zu klären. Das war der Weckruf für Bobby. Er ahnte, dass jetzt eventuell Fäuste fliegen würden. Bobby und zwei Jungs gegen diese Masse dunkler Gestalten. Für manch einen mag es abschreckend sein, aber jeder, der Bobby kennt, weiß, dass er Herausforderungen mag.

Also ging er mit dem Dealer raus. Vor dem Lokal zog der Jugendliche sofort eine Neunmillimeter aus der Tasche und hielt sie auf Bobby gerichtet. Passanten suchten sofort das Weite. Ganz ohne Skrupel, ohne zu zögern oder auch nur eine Vorwarnung, drückte er ab. Die erste Kugel traf Bobby an der Hüfte und kam an seinem hinteren Oberschenkel wieder raus. Er beschrieb mir, es fühle sich so an, als würde einem jemand mit voller Kraft einen Tritt verpassen, der einen mit aller Wucht umhaut. Man spüre keine stechenden Schmerzen, nur ein wahnsinniges Brennen. Sofort fiel er um. Einer der Jungs, der Bobby begleitete, schmiss sich auf Bobby, um ihn zu schützen und sofort fiel der zweite Schuss, der Bobby am Gesäß traf, da er auf dem Bauch lag. Dieser Schuss kam dann an seinem Knie vorne wieder raus. Der zweite Typ, der auch mit Bobby war, schmiss sich ebenfalls auf Bobby, um ihn vor weiteren Kugeln zu bewahren. Dann fiel der dritte Schuss. Einer der Jungs, der auf Bobby lag, wurde von der vorbeifliegenden Kugel am Kopf gestreift, aber zum Glück nicht weiter verletzt. Die Kugel flog geradewegs in ein Ladenlokal der Arcadia- Passage. Daraufhin schoss der Junge weiter wild um sich, steckte die Waffe ein und lief davon. Direkt danach kam der Kokaingroßhändler raus und kniete sich neben Bobby, der blutüberströmt da lag und sagte, er wisse, wo Bobby wohne, wo sein Laden sei, wie seine Frau aussehe und sein Sohn.

Wenn Bobby es wagen würde, zur Polizei zu gehen, würde seiner Familie etwas passieren. Bobby erhob sich und fing an, ihm zu applaudieren. Er erzählte mir später, dass er in die perfekte Falle getappt sei. Damit habe er nicht gerechnet. Dieses Eins-gegen-Eins, wie man früher seine Probleme gelöst hatte, war mittlerweile vorbei. In Bonn und anderen Städten würde heute direkt geschossen und abgestochen. Die Lektion lernte Bobby schmerzlich an diesem Tag.

Als die Polizei endlich eintraf, lag Bobby schon fast verblutet auf dem Boden. Und sofort klickten die Handschellen. Nicht gegen den Jugendlichen, den Boss oder seine Gestalten, sondern gegen Bobby, der blutend auf dem Boden der Arcadia- Passage lag. Was war passiert? Der Junge, der Bobby angeschossen hatte, lief gleich nach der Tat zur Polizei und sagte, Bobby habe ihn bedroht und er habe aus Notwehr auf ihn geschossen. Er stellte sich und übergab der Polizei die Waffe. Als die Akte von Bobby aufgerufen wurde, war den Männern in blau klar, dass Bobby Dreck am Stecken haben musste und sie glaubten dem Jungen. Mehrere Jahre Gefängnis und schwerwiegende Delikte in der Vergangenheit waren Grund genug für sie, einem Mann, der blutend auf dem Boden lag, Handschellen anzulegen. Verrücktes System.

Bobby wurde in die Universität Klinik in Bonn gebracht und mehrere Stunden operiert. Ohne irgendwelche Probleme und Komplikationen überstand er alles. Keine bleibenden Schäden. Bis zur letzten Minute hielt Bobby dicht, erzählte der Polizei nichts, auch wenn er es hätte klarstellen können. Als er aber herausfand, dass der Junge und der Kokaingroßhändler bei der Polizei eine Aussage gemacht hatten, war die alte Gaunerregel - nicht mit der Polizei reden - auch für ihn gestorben. Dazu kam noch, dass der Boss seiner Frau einen Drohbrief mit Neunmillimeter- Patronen in einer Geschenk- Box schickte, während Bobby an sein Krankenhausbett gefesselt lag und sich nicht bewegen konnte. Aber auch da unternahm die Polizei nichts. Dein Freund und Helfer weigerte sich, die Familie eines Mannes zu beschützen, der mit mehreren Schüssen in die Intensivstation befördert worden war. Der Junge, der auf ihn geschossen hatte, wurde am gleichen Tag auf den Kölner Ringen gesichtet, wie er in einem Club feierte. Man stelle sich vor: Du schießt auf jemanden, gibst dich als Opfer bei der Polizei aus, die dich nach zwei Stunden wieder frei lässt, damit du in Köln feiern kannst. Dein Opfer wird stattdessen angeklagt und ihm werden Handschellen angelegt, während er blutend auf dem Boden liegt. Es stellte sich nicht die Frage, woher die Waffe stammte. Der Junge war weder wegen unerlaubten Waffenbesitzes, noch wegen versuchten Mordes oder schwerer Körperverletzung, Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung und allem, was einem Staatsanwaltschaft sonst noch hätte einfallen können, dran gekommen. Es wurde nicht einmal gefragt, wieso für Notwehr gleich drei Schüsse benötigt wurden, weiter geschossen wurde, obwohl der „Angreifer“ schon am Boden lag. Wäre Bobby derjenige gewesen, der geschossen hätte, wäre es bestimmt anders ausgegangen.

Ich fuhr zu ihm ins Krankenhaus nach Bonn. Mehrere unserer Freunde waren bereits da. Im Rollstuhl kam er mir lächelnd entgegen. Wir unterhielten uns und er erzählte mir genau, was passiert war. Kurz bevor ich nach Hause fahren wollte, klingelte sein Handy und sein Sohn war dran. Er rief an und fragte, warum sein Vater seit Tagen nicht mehr zuhause war. Ich nahm das Handy und sprach mit ihm und sagte, dass er bei mir in Trier gewesen sei, um mir bei ein paar Sachen zu helfen. Da meinte er, dass die Kinder in der Schule sagen würden, dass sein Vater erschossen worden war. Ich gab Bobby das Handy und Bobby beruhigte ihn und verneinte es. Er bat mich, mit ihm das Krankenhaus zu verlassen, um seinem Sohn zu zeigen, dass es ihm gut ging. Ich packte seinen Rollstuhl in meinen Kofferraum und wir fuhren nach Tannenbusch zum Paulusplatz, wo sein Kiosk war. Sein Sohn war ebenfalls da. Trotz der Schmerzen machte Bobby sich gerade und lief so, als wäre nichts geschehen. Links und rechts von seinem Kiosk waren die Läden, wo der Kokainhändler seine Geschäfte machte. Natürlich schauten sie alle, als würden sie einen Geist sehen. Wir fuhren mit seinem Sohn nach Tannenbusch Mitte. Mitten auf dem Platz am Bahnhof bestellten wir uns einen Döner, damit auch der Letzte sehen konnte, dass man einen Bobby nicht mit ein paar Kugeln ruhig stellen kann. Alle waren natürlich verblüfft und geschockt. Zumal das Gerücht rumging, Bobby sei erschossen worden und tot. Die Message schien angekommen zu sein. Das stellte den Drogenboss natürlich nicht zufrieden. Kurz darauf schickte er einige Leute, die Bobbys Kiosk überfielen, ausraubten und alles kurz und klein schlugen. Nichts stand mehr wo es war. Alles komplett zerstört und abgerissen. Die Polizei sprach natürlich von willkürlichem Vandalismus.

Es hätte jeden treffen können, sagten sie. Klar. Links und rechts, die Lokale blieben komischerweise völlig unversehrt. Selbst der dümmste Polizist würde die Zusammenhänge erkennen; sie wollten sie wohl einfach nicht sehen. Ein Mann wird angeschossen, weil er sein Ladenlokal nicht abgeben will. Seine Familie wird mit Pistolenkugeln bedroht und rein zufällig wird sein Laden danach kurz und klein geschlagen. Naja, in dem Punkt waren wir uns mit den Kuttenträgern dann doch einig. Die Sympathie für die Verbrecher in Uniform schien nicht zu steigen.

Sie ließen zu, dass der Köln- Bonner- Raum zum Wilden Westen wurde. Jeder konnte jetzt eine Knarre ziehen und abdrücken. Verrückte Welt und verrückte Zeiten.

In den Anfangszeiten hatte ich Schwierigkeiten mit einigen Leuten in Trier. So auch in einer lokalen Diskothek dort mit einem Türsteher, vor dem mich alle gewarnt hatten, dass er extrem gefährlich sei.

Nach einem Diskothekenbesuch in dem besagten Club lernte ich einige Afrikaner aus Trier kennen. Wir saßen vor dem Laden und aßen unseren obligatorischen Döner nach einer Party. Da trat ein junger Araber aus dem Laden heraus und kam geradewegs auf uns zu. Er packte einen der Jungs, die ich dort kennengelernt hatte an den Wangen und sagte: „Na mein Niggerlein? Schmeckt dir der Döner?“ Der Schwarze war so verblödet und lachte noch mit ihm. Ich fragte, ob es in Trier normal sei, dass man sich als „Nigger“ bezeichnen lassen ließe? Ich machte ihm deutlich, dass bei uns in Köln und Bonn das Wort kurz vor dem Aussterben sei und man sich so eine Scheiße nicht bieten lassen sollte. Kaum hatte ich ausgesprochen, stand der Junge auf und verpasste dem Araber einen rechten Haken, sodass dieser zur Boden fiel und sich nicht mehr rührte. Irgendeiner schrie rum und holte den besagten, berühmt berüchtigten Türsteher aus Trier. Denn der zu Bodengeschlagene war sein kleiner Bruder. Es hieß nur, dass ein Schwarzer seinen Bruder umgehauen hätte. Sofort kam er raus und machte seinem Namen „One- Punch- Man“ alle Ehre und knockte jeden Schwarzen, der vor der Diskothek stand mit einem Punch aus. Als er nun vor dem jungen Schwarzen stand, gab es eine richtige Schlägerei. Obwohl der Afrikaner klein, dünn und wesentlich jünger war, hielt er den Punch aus. Er war auch mit seinem Bruder da. Die beiden gingen auf den Türsteher los, der wiederum Verstärkung von seinen Kollegen erhielt. Fünf oder sechs Türsteher gegen die zwei dünnen Afrikaner. Und die beiden machten einen sehr guten Job gegen die Anabolopfer aus der Diskothek.

Drei Polizeiwagen und ein Polizeibus fuhren schließlich vor und beendeten das Ganze. Ich saß da mit meinem Döner und hatte mir das ganze angeschaut, als die Polizisten zu mir kamen und mich ebenfalls mitnehmen wollten. Sie hatten nur Schlägerei zwischen Arabern und Schwarzen gehört und sofort war jeder mit schwarzer Haut verdächtig. Ich machte den Herren klar, dass ich mit der Schlägerei nichts zu tun hatte. Ich hätte lediglich da gesessen und meinen Döner gegessen. Wenn sie etwas erfahren wollten, dann sollten sie Richtung Diskothek gehen und dort mit den Leuten reden. Während ich es sagte, zeigte ich mit der Hand in die Richtung der Diskothek.

Genau davor stand der Araber und aufgrund meiner Bewegung vermutete er wohl, ich hätte den Bullen verraten, dass er etwas damit zu tun habe. Was ich nicht getan hatte. Doch es kam bei dem „One- Punch- Men“ aus Trier wohl nicht so an.

Da er mich nicht kannte und nicht wusste, wer ich war, besorgte er sich mein Bild aus den Überwachungskameras von der Diskothek und schickte es in Trier herum.

Doch mich kannte keiner. Irgendwie war das Bild allerdings zu mir gelangt und ich wusste, was los war. Ich lernte zu der Zeit einen Mann namens Sinan kennen. Er kam aus Pakistan und war der erste und einzige Mensch in Trier, der mich direkt aufgenommen hatte. Er stand mir zur Seite in meiner Chaosphase vor der Geburt meiner Tochter. Als ich mich von Aggressionen leiten ließ und irgendwelche Menschen verprügelte, war er da. Auch, als ich so einen Vollidioten mit Trierer Akzent, der mit seiner Frau da war, mit dem Schlagring bearbeitete, war er es,