Allein mit dem Tod - Nick Ward - E-Book

Allein mit dem Tod E-Book

Nick Ward

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Beschreibung

"Allein mit dem Tod" erzählt die wahre Geschichte von Nick Ward, der während des Fastnet Race von 1979 zusammen mit vielen anderen Mitstreitern in einen Jahrhundertsturm gerät, und der – totgeglaubt – von seinen Mitseglern an Bord der lackgeschlagenen Yacht zurückgelassen wird. Erst 30 Jahre nach der Tragödie um das Fastnet Race ist er in der Lage zu erzählen, wie es damals, in den Tagen des Sturms, wirklich war. Nachdem er kenterte, das Bewusstsein verlor und von seinen Mitseglern allein auf der Yacht zurückgelassen wurde, überlebte er das katastrophale Fastnet Race von 1979 nur knapp – und wurde als letzter Überlebender geborgen. Ergänzt wird der packende Bericht durch Fotos, handschriftliche Aufzeichnungen des Autors, Wetterkarten und -analysen sowie Auszüge aus dem offiziellen Bericht über die Fastnet Race-Katastrophe mit Angaben zu Todesfällen und Schiffsverlusten.

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Seitenzahl: 395

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NICK WARDSINÉAD O’BRIEN

AlleinmitdemTod

Eine verschwiegeneTragödie vomFastnet Race 1979

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

Text Copyright © Nick Ward and Sinéad O’Brien 2007Die englische Originalausgabe mit dem Titel “Left for Dead” erschien beiAdlard Coles, an imprint of A & C Black Publishers Limited, London.

 

1. AuflageDie Rechte für die deutsche Ausgabe liegen beim VerlagDelius, Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:ISBN 978-3-7688-3575-6 (Print)ISBN 978-3-7688-8177-7 (E-Book)ISBN 978-3-7688-8368-9 (E-Pub)

Aus dem Englischen von Klaus Berger unter Mitarbeit von Susanne BergerUmschlaggestaltung: Buchholz.Graphiker, HamburgSatz: Fotosatz Habeck, Hiddenhausen

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft fürVerlagsservice, München

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnisdes Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Für Chris

Inhalt

Ich breche das Schweigen

Das Kronjuwel

Wachen und Leuchttürme

Die Ruhe vor dem Sturm

Ockergelber Himmel

Orkan

Schwarze Schluchten

Bei Tagesanbruch – das Grauen

Verwirrung

Spuren im Sand

Blut und rote Rosen

Tot oder lebendig?

Mit Geduld und Spucke

Zeitlose Zeit

Verzweiflung

Vor meinem inneren Auge

Von Horizont zu Horizont

Nachlese

Wiedersehen mit der Grimalkin – 26 Jahre danach

Eine Absprache?

 

Anhang 1: Fastnet Race 1979 –             Teilnehmerliste und ausgeschiedene Yachten

Anhang 2: Segelriss und Einrichtungsplan der Grimalkin.

 

Danksagungen

Nachweis von Fotos, Auszügen und Artikeln

Ich breche das Schweigen

Vor über 25 Jahren saß ich allein im Treliske-Krankenhaus in Nord-Cornwall an dem Tisch neben meinem Krankenbett. Vom Krankenhaus hatte ich Schreibzeug bekommen. Ich hielt es damals für wichtig, die Tatsachen aufzuschreiben, solange ich sie noch frisch im Gedächtnis hatte. Ich war müde und mitgenommen, aber die Worte schrieben sich wie von selbst. Es war der 15. August 1979 – der Tag nach dem Erschütterndsten, was ich je erlebt habe. In dem Vierteljahrhundert, das seither vergangen ist, hatte ich sehr viel Zeit, über die längsten 14 Stunden meines Lebens nachzudenken, die ich mit meinem Freund und Mitsegler Gerry Winks an Bord der Segelyacht Grimalkin zugebracht habe.

Vier Tage vorher, am 11. August 1979, war ich als Mitglied einer sechsköpfigen Bootsbesatzung zu meiner ersten Fastnet-Regatta ausgelaufen. Mit an Bord waren David Sheahan (Eigner und Skipper der Grimalkin), sein Sohn Matthew Sheahan, Gerald Winks, Mike Doyle und Dave Wheeler. Wir alle waren freudig erregt und stolz, dass wir an dieser 600 Meilen langen klassischen Hochseewettfahrt teilnehmen konnten. Das Rennen begann bei nahezu idealem Segelwetter, aber am dritten Tag geschah etwas Unvorhergesehenes: Wie viele der anderen Yachten geriet die Grimalkin in den tödlichsten Sturm der neueren Segelsportgeschichte.

Die Katastrophe beim Fastnet Race 1979 kostete 15 Segler das Leben. Darunter waren zwei Besatzungsmitglieder der Grimalkin – David Sheahan und Gerald Winks. Über die Ereignisse beim Fastnet 1979 ist eine Menge geschrieben worden, und es gab viele Spekulationen über die Umstände, unter denen Gerald Winks und ich auf dem Höhepunkt des Sturms von unseren Bordkameraden, die uns für tot hielten, im Stich gelassen wurden.

Während des Vierteljahrhunderts, das inzwischen vergangen ist, habe ich kaum etwas von den anderen drei Überlebenden der Grimalkin – Mike Doyle, Dave Wheeler und Matthew Sheahan – gehört. Über die wenigen Tage, die wir gemeinsam an Bord der Grimalkin verbrachten, wurde in Segelzeitschriften, im Fernsehen und in der Tagespresse berichtet, diskutiert und gestritten. Wir aber, die vier Überlebenden der Mannschaft, haben uns weder privat noch in der Öffentlichkeit gemeinsam geäußert. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass etwas zwischen uns stand, eine Art Unbehagen. Vor Kurzem hörte ich Matthew in einer Fernsehdokumentation sagen, er habe mit der Sache abgeschlossen. Ich bin sicher, dass er wie Mike und Dave seine eigene Sichtweise auf die Ereignisse jenes grauenhaften Augusttages hat.

In den Monaten nach der Katastrophe habe ich mehrere Interviews gegeben. Heute weiß ich, dass ich dabei weder meine wirklichen Gefühle wiedergegeben noch die vollständige Geschichte erzählt habe. Ich war ein junger Mann von 24 Jahren, der unter Schock stand und nicht in der Lage war, die eigene Situation objektiv einzuschätzen. Vieles von dem, was ich über die Umstände las, unter denen sich jene Ereignisse abspielten, schmerzte mich so, dass ich einfach nichts davon an mich herankommen lassen wollte. 1980 beschloss ich, dazu keine Interviews mehr zu geben. Seitdem habe ich alle Interviewanfragen von Journalisten, Film- und Fernsehgesellschaften abgelehnt.

Dabei blieb ich bis September 2004, als die Dokumentarfilmerin Sinéad O’Brien an mich herantrat. Sie hatte zufällig von der Geschichte gehört, dass ein junger Mann und ein Mitsegler in der Irischen See ihrem Schicksal überlassen worden waren. Zuerst verhielt ich mich natürlich ablehnend. Inzwischen hatte ich aber begonnen, für mich selbst etwas niederzuschreiben, nicht direkt über die Fastnet-Regatta, aber persönliche Gedanken in Tagebuchform. Ich sprach lange mit meiner Frau Chris über die neue Anfrage und erklärte mich dann zu einem Treffen mit Sinéad bereit. Sie war interessiert, aus der Geschichte einen Dokumentar- oder Spielfilm zu machen, und hatte ein Video gefunden, auf dem ich mit meinem toten Mitsegler Gerald Winks zu sehen war. Die Aufnahme war kurz vor der Rettung durch einen Sea-King-Hubschrauber der Royal Navy entstanden. Das Video auf meinem Monitor rief mir nur allzu lebhaft eine Zeit ins Gedächtnis zurück, die vergraben, aber nicht vergessen war. Ich war erschrocken, überwältigt – und froh, dass Chris bei mir war. Während der nächsten Monate sollte Sinéad, diese intelligente, lebensprühende und hartnäckige junge Frau aus Irland, Stück für Stück die Erinnerungen aus mir herauslocken, die so lange verschüttet, ja fast verdrängt gewesen waren. Vor dieser Fremden begann ich, die Gefühle herauszulassen, die ich 25 Jahre lang eingesperrt hatte.

Nach langer Unentschlossenheit entschied ich mich, die in mir schlummernden Gefühle einem Buch anzuvertrauen. Ich wollte endlich die Wut, die Qual, die Hilflosigkeit, Verzweiflung und abgrundtiefe Enttäuschung zu Papier bringen, die ich bei meinem fast aussichtslosen Überlebenskampf empfunden hatte.

Sinéad konnte mir erklären, wie man am besten an die Sache herangeht. Bald wurde das Buch unser gemeinsames Projekt. Das, was meine Mitverfasserin einbrachte, riss mich von Anfang an mit. Ich erkannte sofort ihre Begeisterung für die Sache und ihre Begabung. Sobald ihr klar war, dass ich etwas zu erzählen hatte, brachte sie ihren präzisen Stil und ihre Fähigkeit zur klaren Gliederung in das Vorhaben ein. Sie zeigte mir, wie man den Text anreichert, ohne den roten Faden zu verlieren. Der rote Faden bestand darin, mich nicht selbst zu verleugnen. Ohne Sinéad wäre diese Geschichte nur ein privates, unveröffentlichtes Tagebuch geblieben.

Das Buch ist nicht nur für mich geschrieben, sondern ebenso für Gerald Winks: Ohne ihn wäre ich nicht hier, um meinen Bericht abzuliefern. Hier ist die noch nie erzählte Geschichte von dem, was damals, am 14. August 1979, mit Gerry und mir geschah. Es ist meine Sicht der Ereignisse, und es ist meine Art, mit der Sache abzuschließen.

Nick Ward (2007)

Das Kronjuwel

Ich wurde an der englischen Südküste, in dem kleinen Ort Hamble in Hampshire, geboren. Ich habe zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester. Meine Kindheit verlief etwa so, wie man es in einem Dorf an der Küste erwartet. Hamble ist aber kein gewöhnliches Dorf. Das Leben im Ort wird entscheidend von der Fischerei, vom Segeln und vor allem vom Regattasegeln geprägt. Bei uns wurden einige der besten Regattasegler der nationalen und olympischen Klassen geboren, segelten hier oder hatten sonst eine Verbindung zu Hamble. Wenn man in Hamble geboren ist, kann man kaum aufwachsen, ohne mit der Seefahrt oder dem Segelsport in Berührung zu kommen.

Mein Vater jedenfalls weckte bei uns drei Söhnen schon sehr früh die Liebe zum Wasser, zur Seefahrt und zum Segeln. Meine ersten Segelstunden bekam ich schon mit vier Jahren auf einer kleinen Jolle, einem Jüngstenboot, das Pa im Winter 1959/60 für mich gebaut hatte. Während Pa die Sperrholzjolle in unserer Garage plante und Gestalt werden ließ, sah ich ihm vom Schaukelstuhl aus zu. Es war bemerkenswert, wie viel Liebe und Sorgfalt er in den Bau des kleinen Bootes steckte. Dass er sich so viel Zeit für mich nahm – mehr als für meine Geschwister –, lag vielleicht daran, dass ich der Jüngste war. Als meine größeren Geschwister aufwuchsen und er noch jünger war, hatte er wohl einfach nicht so viel Zeit gehabt. Wir hatten eine ganz besondere, wunderbar enge Beziehung, auch wenn ich meine Mutter ebenso verehrte. An vielen Abenden schlief ich in dem Schaukelstuhl ein, während Pa sägte, hobelte und nagelte, bis er mich schließlich ins Bett trug. Er war kräftig, fast 1,90 m groß und hatte, so weit ich zurückdenken kann, weißes Haar und stets eine filterlose Zigarette in der Hand. Er war belesen und konnte sich gut ausdrücken. Zur Schlafenszeit erzählte er mir Geschichten von der Seefahrt. Er las mir viele alte Berichte von Schiffen und Seeleuten vor, die Kap Hoorn umsegelt und die Südsee befahren hatten. Dort wollte auch ich sein, zusammen mit den Figuren aus den Büchern. Ich erinnere mich noch genau an die freudige Erregung, die ich verspürte, als wir die Jolle im Frühjahr am Hafen von Hamble zu Wasser brachten – und auch an die vielen Leute, die dabei zusahen. Pa hatte das Boot nach meinem Onkel Fred genannt – einfach, weil ihm nichts anderes eingefallen war. Aber ich weiß noch, dass ihm einer der Zuschauer zurief: »Ihr könnt das Boot doch nicht Fred nennen!«

»Wir nennen es, wie wir wollen«, entgegnete mein Vater dem Zwischenrufer, »nicht wahr, mein Junge?«

Ich stand neben Fred knietief im Wasser und wartete darauf, dass Pa mich ins Boot hob. Dann segelte ich unter Beifallsrufen der Zuschauer zusammen mit Pa zum ersten Mal auf Fred. Ich kam mir vor wie ein großer Seefahrer auf abenteuerlicher Reise in die Südsee.

Im Sommer 1960 brachte mein Vater mir die Grundbegriffe des Segelns bei – das Wenden und Halsen, das Kreuzen auf dem Fluss –, und wie immer war er dabei sehr aufmerksam und geduldig. Weil ich noch so jung war, hatte ich keine Angst und traute mir bald immer mehr zu. Ich wurde eine richtige Wasserratte und wagte oft Dinge, vor denen Pa mich eindringlich gewarnt hatte. Eine der ersten Regeln, die er mir einimpfte, war, nach einer Kenterung immer am Boot zu bleiben.

»Bleib immer beim Boot, mein Junge. Halt dich daran fest und bleib dran – das ist deine Rettung.«

Diese schöne marineblau und schneeweiß lackierte Jolle war meine erste Liebe. Aber ich war nicht nur diesem einen Boot verfallen, sondern generell dem Leben auf dem Wasser. Die Segelstunden bei Pa standen am Beginn einer lebenslangen Leidenschaft.

Als ich noch sehr klein war, hörte ich durch unseren Nachbarn Dick Langton, einen erfahrenen Hochseesegler, von der Fastnet-Regatta. Dick hatte dreimal am Fastnet Race teilgenommen und erzählte mir von dem berüchtigten Seegebiet zwischen dem Festland und dem Fastnet-Felsen. Er berichtete auch von den ganz unterschiedlichen Wetterbedingungen, die er dort erlebt hatte – von der Totenflaute bis zu Regen und Hagel. Außerdem beschrieb er mir, dass er noch nie so ungewöhnliche Sonnenuntergänge gesehen habe wie dort vor der Südküste Irlands, wo Irische See und Atlantik sich vereinigen. Oft schlüpfte ich unter dem Gartenzaun durch, stürmte in Dicks Wohnzimmer und quengelte so lange, bis er mir mehr erzählte. Ich hörte von Gewittern und Sommerstürmen, aber der Nachbar erklärte, dass der Empfang am Ziel in Plymouth jede Minute der harten, mühsamen Segelei rechtfertigte. Durch seine Geschichten am Kamin gewann das Fastnet Race für mich eine geradezu mythische Bedeutung.

Auch mein Vater hat zu meinem Interesse am Fastnet-Rennen beigetragen: Als ich sieben Jahre alt war, nahm er mich zur Bucht von Cowes auf der Isle of Wight mit, nur einen Steinwurf von Hamble entfernt, damit wir den Start der Wettfahrt beobachteten. Das war Anfang der 1960er-Jahre. Pa fuhr für Eileen Ramsay, einen berühmten Schiffsfotografen, das Motorboot Snapdragon. Schon in so jungen Jahren war mir die Bedeutung dieser großen Hochseeregatta bewusst. Ich wusste, dass sie die letzte einer Reihe von fünf Wettfahrten war, die zum Admiral’s Cup, der Weltmeisterschaft im Hochseesegeln, gehören. Noch heute gilt das Fastnet Race als Kronjuwel der Hochseeregatten.

Die Bootsfahrt über den Solent nach Cowes dauerte knapp eine Stunde. Dort ankerten wir in der Bucht und warteten ab. Der Start dieser Regatta schlug mich in seinen Bann. In den Jahren darauf sollte ich noch viele solcher Starts miterleben. Die Bucht füllte sich mit Hunderten von Yachten. Die ganze Atmosphäre und das Gefühl, direkt dabei zu sein, begeisterten und erregten mich. Ich stand neben Pa. Wie immer nutzte er die Gelegenheit, um mir ein paar gute Ratschläge zum Segeln zu geben. Ich erinnere mich, dass er mir die goldene Regel »eine Hand für dich, eine Hand für das Schiff« ans Herz legte. Und ich gelobte mir, bei diesem Rennen eines Tages selbst am Start zu sein und zu erfahren, wie es dabei zuging.

Mit dem Heranwachsen wurde das Segeln für mich eine Art Lebensinhalt. Jedenfalls empfand ich es als Jugendlicher so und hatte keine anderen Sorgen auf der Welt als gutes Wetter für die Abendregatta. Ich liebte jede Minute auf dem Wasser und konnte nicht genug davon bekommen. Alles, was nicht mit der Segelei zu tun hatte – Schule, Geselligkeiten usw. –, musste dahinter zurückstehen. Mindestens an drei Tagen pro Woche segelte ich Regatten. Kaum war am Mittwoch die Schule zu Ende, flitzte ich nach Hause, um an der Mittwochabendwettfahrt teilzunehmen. Freitags konnte ich den Schulschluss kaum erwarten, denn das Wochenende bedeutete ungestörtes Segeln am Stück. Ich gehörte zum Hamble River Sailing Club, einem bedeutenden Segelclub am Ufer des Hamble-Flusses. Aus diesem Verein sind über die Jahre mehr Meisterschaftssieger und Medaillengewinner hervorgegangen als aus jedem anderen Club des Landes. Wenn ich nicht gerade in der Schule war, verbrachte die meiste Zeit im, am oder auf dem Fluss. Auch wenn im Segelverein nichts los war, war ich auf dem Fluss und verdiente mein Taschengeld, indem ich Ray Sedgewicke, dem Fährmann von Hamble, half.

Bald fuhr Pa mit mir – unsere Jolle auf dem Bootsanhänger – landauf, landab zu offenen Regattaveranstaltungen und freute sich, dass ich dabei für meinen Verein und nicht zuletzt für mich eine Reihe von Pokalen und Medaillen gewann. Als ich mit 13 oder 14 Jahren zum ersten Mal auf einem Kielboot über den Ärmelkanal segelte und begann, auf kleinen Kielbooten an Hochseeregatten teilzunehmen, hatte ich schon eine lange Lehrzeit als Jollensegler hinter mir. Hamble und Cowes waren meine Spielplätze und Ausbildungsstätten in Sachen Regattasegeln und Seemannschaft.

In der Schule lief es auch ganz gut. Viele meiner Schulfreunde segelten ebenfalls. Mir kommt es so vor, dass ich ein ziemlich normaler, ausgeglichener Schüler war und auf einen guten mittleren Abschluss hoffen konnte. Anschließend wollte ich irgendetwas tun, was mit der See oder dem Fluss in Verbindung stand. Ich machte mir keine Sorgen um meine Zukunft – sie lag so klar vor mir. Ich war fest entschlossen, zur Handelsmarine zu gehen. Fest stand für mich auch, an welchen Hochseeregatten ich teilnehmen wollte. 17 Jahre, so meinte ich, wäre das richtige Alter für mein erstes Fastnet-Rennen. Dann würden Sydney–Hobart und das Bermuda Race folgen. Aber zuerst das Fastnet, das hatte ich mir in den Kopf gesetzt.

Mit 15 Jahren, im letzten Schuljahr, erlitt ich jedoch einen unerwarteten Rückschlag. Ich bekam eine Gehirnblutung. Am Tag davor hatte ich mit meinem guten Freund Mark Parkin die Schule geschwänzt. Wir hatten einen langen Spaziergang bis zum Titchfield Haven gemacht, einem beliebten kleinen Prielhafen, der bei Niedrigwasser trocken fällt. Es war ein sehr heißer Märztag, und nach dem Fußmarsch zurück hatte ich scheußliche Kopfschmerzen, die zum Glück nachließen, als ich ins Bett ging.

Auch der nächste Tag, der 24. März 1971, war heiß. Diesmal ging ich zur Schule. Nachmittags nahm ich an einem anstrengenden Hockeyspiel teil und war danach sehr erschöpft, erschöpfter als sonst. Mitschüler erzählten mir später, dass ich auf dem Spielfeld zusammengebrochen sei, doch daran kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich heftige Kopfschmerzen hatte, wie bei Migräne, aber noch schlimmer. Wie üblich fuhr ich mit dem Bus nach Hause. Ganz unüblich war aber, dass ich sofort ins Bett ging.

Im Laufe des Abends wurden meine Kopfschmerzen immer stärker, so schlimm, dass ich in meinem Zimmer mit dem Kopf gegen die Wand schlug, damit der Schmerz aufhörte. Mehrmals musste ich mich übergeben. Als ich mich im Bett umdrehte, versuchte ich mich auf den linken Arm zu stützen, der aber kraftlos unter mir nachgab. Mit dem linken Auge sah ich nur noch verschwommen, als wäre links von mir ein Wandschirm aufgestellt, der die Sicht versperrte. Die Vorhänge vor dem Fenster waren zugezogen, weil ich kein Licht ertragen konnte. Bald spürte ich in meiner linken Körperseite überhaupt nichts mehr. Ein Krankenwagen wurde gerufen.

Man brachte mich ins Royal-South-Hants-Krankenhaus in Southampton. Meine Mutter war bei mir. Ich spürte jede Straßenunebenheit, über die der Krankenwagen fuhr, und das Blaulicht tat ebenso weh wie die Sirene. Ich erinnere mich, wie ich zu meiner Mutter aufblickte, die meine Hand hielt und mir sanft über die Stirn strich. So hatte ich sie noch nie gesehen – in ihren Augen stand Angst. Da begann ich zu begreifen, dass mein Zustand vielleicht ernst war. Später brachte man mich ins Neurologische Zentrum von Wessex.

Da sich mein Zustand im Verlauf des nächstes Tages weiter verschlechterte, schaffte man mich eilig in den Operationssaal, wo ich drei Stunden operiert wurde. Einige Monate später erfuhr ich, dass man mir nur eine Überlebenschance von 50 Prozent eingeräumt hatte. Meine Eltern hatten es nicht über sich gebracht, mir das gleich zu sagen. Ich habe nie erfahren, was genau passiert ist, außer, dass man einige Blutgefäße mit Fehlbildungen entdeckt hatte, wahrscheinlich ein Geburtsfehler. Gehirnblutungen kommen plötzlich und können in jedem Lebensalter auftreten.

Mein Leben war wie angehalten. Ich lebte in einer Welt, die von Ärzten und Physiotherapeuten beherrscht war. Monate verbrachte ich im Krankenhaus und musste feststellen, dass als langfristige Folgen meiner Gehirnblutung eine linksseitige Körperschwäche und eine Epilepsie zurückgeblieben waren. All meine Hoffnungen, Träume und Pläne waren durchkreuzt. Ich musste kämpfen, um die einfachsten Fähigkeiten wieder zu erlernen, zum Beispiel das Gehen. Ohne meine Familie hätte ich das alles nicht durchstehen können. Abgesehen von der familiären Unterstützung wartete auf mich noch eine andere Therapie – das Segeln.

Ein Jahr später, im Frühjahr 1972, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, um wieder zu segeln. Mit Mark ging ich aufs Wasser. Am Anfang war es mir unheimlich. Ich zögerte. Am Ufer standen Leute, um mir Glück zu wünschen, und vor denen wollte ich mich nicht blamieren. Verflucht, da stand ich jetzt knietief im Wasser, und es fühlte sich links ganz besonders kalt an, so, als hätte jemand flüssigen Stickstoff über mein Bein gegossen – kalt, eiskalt. Dann dachte ich: Scheiß drauf, ich kann jetzt keinen Rückzieher machen. Ich musste mir etwas beweisen. Mist, also dann los. Mühsam kletterte ich über den Spiegel in die Jolle und saß im Boot. Auf einmal war es, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben. Hier kannte ich mich aus. In dieser vertrauten Umgebung würde ich klarkommen.

Mark sprang ins Boot, und schon waren wir unterwegs. Wir segelten nicht weit, aber doch weit genug. Toll, einfach toll, wieder zu segeln. Ich schaffe es, dachte ich. Dafür bin ich geboren. Nächste Station: Regattasegeln. Aber erst einmal war ich froh, wieder in der Jolle auf dem Fluss zu sein. Diese erste Segeltour baute mich auf und beflügelte mich mehr als alles, was ich vorher erlebt hatte. Jetzt war ich eisern entschlossen, mir zu beweisen, dass ich noch zu etwas taugte und meine Ziele erreichen konnte, wenn auch vielleicht nicht so schnell und nicht ganz so, wie ich es mir einmal vorgestellt hatte.

Ich segelte also wieder, wenn ich nicht gerade am Fluss oder auf dem Fluss arbeitete. Ich war in einem Schiffs- und Yachtausrüstungsgeschäft tätig, dem größten in der Gegend, das damals die meisten bekannten Hochseeyachten ausrüstete. Schon bald verdiente ich mir ein Zubrot durch Bootsüberführungen, sowohl in der Nähe als auch im Ausland. Dabei gewann ich mehr Seeerfahrung und lernte von den besten Überführungsskippern. An den meisten Wochenenden segelte ich sportliche Hochseeregatten. Den Traum, in die Handelsmarine einzutreten, hatte ich aufgegeben, aber ich hatte ein Leben auf See gefunden. Ich konnte nicht klagen.

1977 fühlte ich mich bereit für die Fastnet-Regatta. Da die meisten Skipper ihre Besatzungen aber die ganze Saison behalten, kam ich in jenem Jahr nicht zum Zuge. Im Juni 1979 erhielt ich jedoch die Gelegenheit. David Sheahan, einer meiner Kunden, bat mich, bei der bevorstehenden Channel Week, einer Wettfahrtserie, bei ihm mitzusegeln. Ich war sofort Feuer und Flamme und sagte zu, ohne lange nachzudenken. Davids Regattapläne passten zeitlich mit meinem Urlaub zusammen. Wäre es anders gewesen, hätte ich mir die Zeit irgendwie genommen. Ich wusste, dass eine Yacht und ihre Mannschaft sich schon durch die bloße Teilnahme an dieser Serie für das Fastnet Race qualifizierten. Es konnte schon in diesem Jahr etwas werden! Vorher musste ich mich auf Davids Boot bewähren, aber es war endlich ein Einstieg, und was für einer – die Teilnahme am Fastnet war greifbar nahe.

Inzwischen hatte ich schon so viel Segelerfahrung gesammelt, dass Leute wie David mich von sich aus baten, auf ihren Yachten zu segeln. Ich kannte David damals nicht so gut, wusste nur, dass er Mitte 40 und von Beruf Steuerberater war. Seinen Sohn Matt kannte ich besser. Matt sah ich oft auf dem Jollenplatz, im Umkleideraum oder mit seiner Rennjolle auf dem Solent. Ich wusste schon, dass sein Vater Eigner einer gut neun Meter langen Yacht mit Namen Grimalkin war und damit Regatten segelte. Es war ein schnelles Boot, ein Schwesterschiff der Silver Jubilee, die 1976 den World Cup gewonnen hatte. Die Grimalkin war genau der Bootstyp, an den ich gewöhnt war. Am wichtigsten aber war, dass David ein Mann zu sein schien, dem man sich anvertrauen konnte. Als er mich bat, Mitglied seiner Besatzung zu werden, kannte er schon meine körperlichen Fähigkeiten, meine Stärken und Schwächen.

Kaum eine Woche, nachdem ich Davids Einladung angenommen hatte, bekam ich einen Brief von ihm. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war, als ich ihn las. Darin hieß es, dass die Channel Week für mich eine gute Gelegenheit sei, sein Boot kennenzulernen, »auch im Hinblick auf das längere Fastnet-Rennen im August«. Die Teilnahme daran rückte immer näher. Am Schluss des Briefes schrieb er, dass er entweder direkt oder über Matthew mit mir in Verbindung bleiben und mich auf dem Laufenden halten wolle, sobald er Genaueres wisse. In dieser Zeit lernte ich auch Matt näher kennen. Der 17-Jährige war selbstsicher, sprach offen und manchmal recht unverblümt. Er war untersetzt, etwas über 1,70 m groß, athletisch gebaut und kräftig. Matt gehörte nie zu meinen engsten Freunden, aber wir waren Kumpel mit einem gemeinsamen Ziel und einer gemeinsamen Leidenschaft.

Am Freitag, den 6. Juli begann die erste Wettfahrt der Serie. Es war die bekannte, 165 Meilen lange Hochseeregatta von Cowes nach Saint-Malo. An Bord der Grimalkin war eine sechsköpfige Crew, die nach der frühzeitigen Auswechselung eines Besatzungsmitglieds aus mir, David, Matt, dem mir bekannten Gerry Winks und zwei anderen bestand, die ich nicht kannte: Mike Doyle und Dave Wheeler. Die beiden hatte David über eine Zeitungsanzeige in Surrey gefunden. Matt war mit dem Boot am besten vertraut, weshalb Dave und Mike seine Führungsrolle akzeptierten. Mir gestanden sie meine Erfahrung zu, schließlich hatte mich David deshalb an Bord geholt. Auch Gerry war mit seinen 35 Jahren sehr erfahren.

David Sheahan gehörte zu den besten Schiffsführern, auf deren Yachten ich mitgesegelt bin. Er war sehr gutmütig und wusste es zu schätzen, wenn seine Mannschaft sich Mühe gab. Uns gegenüber war er immer ruhig, fast wie ein guter Onkel. In mancherlei Hinsicht erinnerte David mich an meinen Vater. Die beiden haben sich nie kennengelernt, aber sie hätten sich bestimmt ausgezeichnet verstanden. Beide waren liebenswürdige, höfliche und humorvolle Männer, die aber an Land wie auf See niemals fünf gerade sein ließen. David war ein gut aussehender Mann und hatte sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Pa, war aber mit etwa 1,75 m kleiner und zierlicher. Die großen Brillengläser betonten sein schmales Gesicht, und unter der Seglermütze durchzogen einige graue Strähnen sein mittellanges, dunkles Haar.

Das Gute an dieser Regattawoche war, dass ich dadurch Gelegenheit hatte, mit der ganzen Besatzung zusammenzuarbeiten und sie kennenzulernen. Matt zeigte bei der Arbeit auf dem Vorschiff eine beinahe affenartige Gewandtheit. Er war ständig darauf aus, das Beste aus der Grimalkin herauszuholen. Aber manchmal, wenn er sich über etwas ärgerte, erlaubte er sich Grobheiten, worüber wir anderen uns ziemlich amüsierten. Er brauchte aber nie lange, um sich von diesen kleinen Wutanfällen zu erholen. Seinen Vater verehrte und achtete er. Dennoch herrschte zwischen den beiden eine gewisse Gleichberechtigung. Sie waren nicht nur Vater und Sohn, sondern auch beste Freunde. Gerry Winks war Steuermann und Navigator – sozusagen Erster Offizier – und erwies sich als guter Wachführer und erstklassige Unterstützung für David. Er war über 1,85 m groß und fast 90 kg schwer, hatte aber eine überraschend sanfte Stimme. Er war sehr umgänglich und humorvoll. Ich verstand mich auf Anhieb gut mit ihm.

Mike Doyle war ein liebenswerter junger Bursche, der viel lächelte. Nach seiner eigenen Darstellung war er ziemlich erfahren, und bei diesen ersten Wettfahrten bewegte er sich an Bord sicher und machte einen selbstbewussten Eindruck. Er war groß, dunkelhaarig und hatte eine unglaublich tiefe Stimme, die ihm beim Anquatschen von Frauen bestimmt sehr zustatten kam. Er verfügte auch über ein riesiges Repertoire an Witzen und hatte oft die Lacher auf seiner Seite.

Mit Dave Wheeler kam ich nicht so gut aus. Er war kein schlechter Kerl, aber etwas unreif oder unbedarft. Während der Regatta stellte ich schon bald fest, dass er unter Druck problematisch reagierte. Aber lustig war er auch. Er besaß einen unerschöpflichen Vorrat unanständiger Witze und ließ dauernd seine Blähungen heraus – was ihm wesentlich mehr Freude bereitete als uns anderen. Ich weiß nicht, wie oft er während dieser ersten Regatten zu mir sagte: »Zieh an meinem Finger, Nick, die Patrone ist im Lauf verklemmt.«

Natürlich zog ich dann an seinem Finger – nur damit er zufrieden war – und wusste, wozu das führen würde.

»Jaaaa, jetzt ist es besser«, sagte er dann immer und lachte sich halb tot.

Leuchtfeuer und wichtige Punkte entlang der Fastnet-Regattabahn.

Dann und wann, besonders wenn an Bord nicht viel los war, musste man über Daves blöde Witze lachen. Seine Zoten waren nicht für Davids Ohren bestimmt, es war eher eine Art Toilettenhumor, aber ab und zu musste ich doch so sehr lachen, dass ich beinahe über Bord gefallen wäre. Manchmal musste der Skipper Dave daran erinnern, dass er nicht nur zum Vergnügen an Bord war. Wenn ich heute zurückdenke, ist mir klar, dass Dave mit seinen etwa 19 Jahren noch jung war, sehr jung, und dass er bei allem guten Willen wohl wirklich nur an Bord gegangen war, weil er seinen Spaß haben wollte.

Die erste Wettfahrt verlief ohne Zwischenfälle, und ich genoss sie trotz der Nackenschmerzen, die ich bekommen hatte, weil ich als Spinnakermann den Spi fast den ganzen Tag im Auge behalten musste. Auf dem Schlag über den Kanal nach Saint-Malo konnten wir uns an einem fantastisch farbenfrohen sommerlichen Sonnenuntergang erfreuen. Während ich auf dem Seitendeck saß und beobachtete, wie sich dieses malerische Bild am Himmel entwickelte, musste ich daran zurückdenken, was Dick Langton mir vor vielen Jahren über die Sonnenuntergänge beim Fastnet Race erzählt hatte. Ich hoffte, dass wir uns für die Teilnahme am Fastnet-Rennen qualifizieren und dann solche Sonnenuntergänge erleben würden.

Nach einem feuchtfröhlichen Abend gegen Ende der Woche wurde das Gutenachtsagen an Bord zu einer endlosen Parodie auf die Schlussszenen einer Episode der Serie Die Waltons. Zum Auftakt ließ Dave – wie auch anders – einen lauten Furz hören, danach »Gute Nacht, Johnboy« wobei er kicherte wie ein Schuljunge.

Darauf Matt: »Nacht, Mary Ellen.«

Dann meldete sich Mike mit seiner tiefen Stimme: »Gute Nacht, Großvater.«

Ich antwortete: »Gute Nacht, Elizabeth.«

Darauf folgte ein Rülpswettbewerb – kein Wunder nach so viel Bier –, bis David es nicht mehr aushielt und Ruhe verlangte.

Alles in allem war die Regattawoche im Juli fabelhaft. Die Grimalkin lief ausgezeichnet. Wir erlebten harte Bord-an-Bord-Kämpfe, errangen einige Erfolge und bekamen auch schlechtes Wetter auf die Mütze, womit Boot und Crew ohne Schwierigkeiten fertig wurden. Als Mannschaft arbeiteten wir gut zusammen. Im Vergleich zu unseren Konkurrenten und zu anderen Booten, auf denen ich gesegelt bin, war Davids Crew nach meiner Einschätzung eine gute Mischung aus Erfahrung und Jugend. Wenn man von den kleineren Reibereien absieht, die bei dem Zusammenleben auf so engem Raum unvermeidbar sind, gab es keinerlei Spannungen an Bord.

Obwohl wir in der letzten Wettfahrt aufgeben mussten, betrachtete David die Woche als Erfolg, weil wir uns für die Fastnet-Regatta qualifiziert hatten. Er meldete die Yacht zum Fastnet und sicherte mir zu, dass ich zu seiner Mannschaft gehören würde. Endlich stand fest, dass ich beim Fastnet Race 1979 am Start sein würde – ein tolles Gefühl! Den anderen ging es ebenso. Auch an diesem Abend tranken wir einiges an Bier und sangen das Loblied der Grimalkin, bis wir nicht mehr konnten.

David beschloss, an der Cowes Week nicht teilzunehmen, sondern sich lieber ganz auf das Fastnet am Ende der Woche zu konzentrieren. Das passte mir gut, denn so konnte auch ich mich auf das wichtigste Ereignis vorbereiten, auf die Wettfahrt, der ich jahrelang entgegengefiebert hatte.

Zwei Wochen vor der Fastnet-Regatta schrieb David Sheahan jedem Besatzungsmitglied einen Brief mit genauen Angaben über die Vorbereitungen. Er ging sehr ins Detail, regelte Pflichten, Verantwortung und Zuständigkeiten an Bord. Ein Wachplan lag ebenfalls bei. Das hört sich sehr pedantisch an, aber damit war festgelegt, welche Rolle wir jeweils an Bord zu übernehmen hatten. Ich war erfreut, als ich las, dass ich die ersten zwölf Stunden der Regatta wachfrei sein würde. In dieser Zeit brauchte ich meinen Mitseglern nur Butterbrote zu schmieren. Ich war wirklich kein Koch – David hatte mir schon das verbrannte Spatelmesser der Grimalkin als Preis verliehen, das Resultat meiner Bemühungen in der Kombüse während der Channel Week – aber das machte mir nichts aus. An der Schot fühle ich mich besser als am Herd.

David sorgte dafür, dass sein Boot alle strengen Sicherheitsbestimmungen erfüllte, die die Wettfahrtleitung aufgestellt hatte. Er sparte an nichts. Nicht nur sein Schiff, sondern auch die Mannschaft sollte hundertprozentig vorbereitet sein. Er bestand sogar darauf, dass wir vor der Regatta alle noch einmal zum Zahnarzt gehen und unsere Zähne nachsehen lassen sollten. So gründlich sind nicht viele Skipper. Er war ein Perfektionist, und deshalb segelte ich gern mit ihm.

In der Woche vor dem Fastnet Race sah ich mir täglich die Wetterberichte und Wetterkarten an. Die Aussichten versprachen für das Wochenende ideales Segelwetter. Ich konnte es kaum erwarten, an Bord und an den Start der 608 Meilen langen Wettfahrt zu kommen. Nach dem Start in Cowes führt die Regattabahn an der englischen Küste entlang nach Westen. Nach dem Passieren von Land’s End geht es in nordwestlicher Richtung über die Gewässer vor dem Ärmelkanal und in die Irische See hinein, dann an der Südspitze Irlands um den Fastnet-Felsen mit seinem Leuchtturm herum. Dieser Felsen wird oft Irlands »Träne« genannt. Nach der Umrundung dieses Felsens geht es dann zurück nach England bis zum Ziel vor dem berühmten Wellenbrecher von Plymouth. Diese Wettfahrt stellt vom Start bis zum Ziel hohe Anforderungen. Das wusste ich. Seglerisch sollte sie meine bis dahin größte Herausforderung werden, aber ich war bereit. Ich glaube, dass meine Mutter sich Sorgen um mich machte. Während der Woche vor dem Start ermahnte Ma mich immer wieder: »Also, mein lieber Junge, du wirst doch auf keinen Fall vergessen, deine Medikamente zu nehmen? Bewahr sie an Bord sicher auf. Achte unbedingt darauf!«

Wegen meiner Epilepsie musste ich zweimal täglich Phenobarbiton einnehmen, ein Mittel, das Krämpfe verhindert. Daran brauchte mich niemand zu erinnern. Ich wusste nur zu gut, was sonst passieren würde. Aber ich nehme an, dass Ma sich einfach nur das Schlimmste vorstellte. Was wäre, wenn ich die Einnahme vergessen oder das Mittel verlegen würde? Was, wenn wir raues Wetter hätten und ich einen Krampf bekäme? Meine Eltern wussten genau, dass das Hochseesegeln mit vielen Gefahren verbunden ist.

In der Nacht vor der Wettfahrt blieb ich zu Hause in Hamble bei Ma und Pa. Wir aßen früh Abendbrot und sahen dann ein wenig fern. Pa holte sein Briefmarkenalbum hervor. Er war ein begeisterter Briefmarkensammler und beschriftete seine Sammlung mit der ihm eigenen gestochenen Schönschrift. Für seine Sammlung hatte er gerade eine japanische Gedenkmarke gekauft, eine Bearbeitung des berühmten Holzschnitts Die große Welle von Kanagawa des japanischen Künstlers Hokusai. Darauf sieht man eine riesige, schaumgekrönte Welle, die den Blick auf den Fuji fast versperrt. Ich bewunderte nicht nur die Marke und ihre sorgfältige Einordnung im Album, sondern auch die Beschriftung, die Pa in seiner schönen Handschrift mit goldgelber Chinatusche daruntergesetzt hatte. Wie immer wünschte ich mir auch jetzt, eine so ebenmäßige, saubere Handschrift zu haben wie mein Vater.

Am nächsten Morgen packte ich nach einem zeitigen Frühstück mit Ma meine letzten Sachen zusammen, darunter auch meine Brieftasche und eine sorgfältig verschlossene Flasche mit meiner Medizin. Ich war froh über das reichhaltige Frühstück, das meine Mutter mir bereitet hatte, denn so konnte ich meine Nervosität in den Griff kriegen. Ich schloss die Tür meines Zimmers, streichelte unseren schwarzen Kater Tom, der im Treppenhaus auf der Fensterbank faulenzte. Dann ging ich die Treppe hinab und durch die offene Haustür nach draußen. Pa wartete auf der Auffahrt in seinem weißen Escort-Kombi. Nach dem Einsteigen kurbelte ich das Fen ster ganz hinunter, um mich von Ma zu verabschieden. Sie beugte sich ins Auto und sagte nur: »Pass gut auf dich auf, mein lieber Junge.« Als Pa langsam anfuhr, drehte ich mich um und sah Ma eingerahmt von den Ligusterhecken, die zu beiden Seiten des Gartentors standen. Mit strahlendem Lächeln winkte sie mir nach.

Pa fuhr mit mir den knappen Kilometer zum Liegeplatz der Grimalkin im Yachthafen Hamble Point. Keiner von uns sagte etwas, was aber nicht ungewöhnlich war. Zwischen uns herrschte oft freundschaftliches Schweigen. Mein Vater war tief in Gedanken versunken, und ich wusste, dass er sich Sorgen um mich machte, aber wie üblich nicht darüber sprach. Bald waren wir am Yachthafen. Nur noch fünf Minuten trennten mich von der Grimalkin, mit der ich am Fastnet-Rennen teilnehmen würde. Ich nahm meinen Seesack aus dem Kofferraum. Pa stieg ebenfalls aus, und wir schüttelten uns etwas steif die Hand. Dann legte er mir ganz kurz den Arm um die Schulter: »Denk daran, was Ma gesagt hat – pass auf dich auf.«

Er ging zum Geländer des Yachthafens und lehnte sich mit verschränkten Armen darauf. Seine Zigarette brannte schon. Beim Weggehen drehte ich mich noch einmal um und winkte. Pa war mit seinem weißen Haar nicht zu übersehen.

Es war Sonnabend, der 11. August 1979, frühmorgens. Die nächsten vier Tage würden unser Leben für immer verändern. Die Grimalkin und ihre Besatzung standen vor einer 600 Meilen langen Odyssee – einer Höllenfahrt, über die man noch jahrzehntelang Vermutungen anstellen würde.

Wachen und Leuchttürme

Im Yachthafen Hamble Point schlenderte ich über die Holzpier. Auf der anderen Seite des Flusses sah ich, gegenüber von Hamble, den Ort Warsash mit den roten Dächern des Segelclubs und dem wohlbekannten Pub »Rising Sun«. Die Flut lief auf, und das Glitzern der Sonne auf dem Wasser blendete mich. Das hatte mich schon von klein auf fasziniert. Wie oft hatte ich neben dem Yachthafen vom Ufer aus flache Steine über das Wasser springen lassen? Ich ging an dem Yachtausrüstungsladen vorbei, in dem sich Segler drängten, die in letzter Minute Karten, Handbücher und andere Ausrüstung verlangten. Den Laden und Chris, den Geschäftsführer, kannte ich gut.

»Hallo, Nick … viel Glück! Übrigens, wenn du wieder zurück bist, habe ich die Zeichnung für dich fertig.«

Chris hatte mir versprochen, eine Karikatur zu zeichnen, auf der ich mich an die riesige alte Eiche vor dem Laden lehnte. Er konnte sehr gut zeichnen und malen.

Nachdem ich Tschüs gesagt hatte, ging ich den Ponton F entlang. Überall an dem Schwimmsteg machten Segler ihre Boote klar. Einige wollten an der Fastnet-Regatta teilnehmen, andere nur auslaufen, um den Start zu beobachten. In mir und in der ganzen Marina spürte ich freudige Erregung. Im Hafen lagen mehr Yachten als sonst, Boote jeder Größe und Farbe. Anscheinend waren alle Liegeplätze belegt. Die Luft knisterte vor Spannung – Fastnet-Spannung –, die ich fast schmecken konnte. Auf jeden Fall roch ich sie, denn irgendjemand briet Speck. Ich hörte auch das Geräusch klappernder Fallen – Drähte, die an Aluminiummasten schlugen –, die Hintergrundmusik in jedem Yachthafen. Auf einem Schiff sah ich bekannte Gesichter. Drei Leute saßen in der Plicht, tranken Kaffee und rauchten. Es waren Kunden von mir, die mit ihrer anscheinend neuen Yacht vom Typ OOD 34 ebenfalls an der Wettfahrt teilnehmen wollten.

Einer von ihnen brüllte: »He, Nick, rechnest du dir gegen uns irgendwelche Chancen aus?«

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Das werden wir ja sehen!«

Der Zigarettenrauch erinnerte mich an die halb volle Marlboro-Schachtel in meiner Hosentasche. Ich musste die Zigaretten noch in meinem Seesack verstecken, denn bei David durfte an Bord nicht geraucht werden. Matt und ich steckten uns trotzdem ab und zu insgeheim eine an. Ich rauchte nicht viel, vielleicht fünf Zigaretten am Tag. Fünf oder sechs Tage ohne Zigaretten würden mir nichts ausmachen. Doch es war gut zu wissen, dass ich ein paar Glimmstängel dabeihatte.

Die Gedanken an Nikotin waren verflogen, als ich einen Blick auf die am Stegende liegende Grimalkin erhaschte. Ich sah ihren Mast, das Rigg und einen Großteil des hellblauen Decks. Das 30 Fuß (9,15 m) lange Boot war kein Langkieler, kein schwerer, traditioneller Entwurf. Das Schiff mit dem leichten, auftriebsstarken Rumpf war für die komplizierte International Offshore Rule (IOR) gezeichnet und gebaut worden. Ron Holland, der Konstrukteur, hatte mit der Grimalkin eine schnelle, bequeme Yacht entworfen. Beim Näherkommen sah ich den blau lackierten Spiegel, dessen Form mir besonders gut gefiel. Ron muss beim Zeichnen der anmutigen Linien des Bootes an eine Frau gedacht haben. Ich sah auch den weißen Rumpf mit dem schön geschwungenen, dunkelblauen Namenszug. Das Boot sah fantastisch aus. Plötzlich war mein Mund trocken. Ich brauchte etwas zu trinken, einen Kaffee oder wenigstens einen Tee.

In der Plicht sah ich Matt sitzen. Ich hatte ihn gleich an seiner flachen Mütze mit Schottenmuster erkannt. Sie stand ihm nicht besonders gut, aber er setzte sie kaum jemals ab, obwohl seine Mitsegler ihn deshalb ständig aufzogen. David stieg vom Boot auf den Ponton und begrüßte mich mit freundlichem Lächeln und festem Händedruck. Neben der Yacht standen vier Leute. Gay Sheahan, Davids Frau, Matts jüngeren Bruder und seine Schwester erkannte ich gleich, die vierte Person aber nicht. Gay stellte sie als Gerrys Frau Margaret vor. Sie machte einen nervösen, aufgeregten Eindruck. Anders als die braungebrannte Gay hatte sie eine blasse Gesichtsfarbe, dazu dunkles Haar. Hinter ihr sah ich Mike und Dave, die auf dem Vorschiff damit beschäftigt waren, Leinen aufzuschießen und Fallen auszutörnen. Ich war als Letzter eingetroffen.

»Ich gehe nur eben unter Deck, um meinen Seesack zu verstauen«, rief ich den anderen zu, »dann bin ich gleich bei euch.«

Matt nahm mir den Seesack ab, und Gerry half mir über die Seereling an Deck. Gerry begrüßte mich mit einem sarkastischen Lächeln.

»Schön, dass Sie es doch noch einrichten konnten, Mister Ward.«

Der rothaarige Gerry hatte einen sehr trockenen Humor. Wir kamen gut miteinander aus, seit wir uns kannten. Ich grinste leicht gekünstelt:

»Ich hätte mir große Vorwürfe gemacht, wenn ich nicht gekommen wäre, Mister Winks.«

Matt warf mir den Seesack wieder zu, wodurch ich fast den Halt verlor. Gerry und er schienen ihren Spaß daran zu haben.

»Los, Leute … Wir müssen in Gang kommen.« Das war David, der uns zur Ordnung rief. Wir gehorchten.

Beim Aufbinden meiner braunen Docksides bemerkte ich, dass diese Schuhe kaum weniger seltsam aussahen als Matts Schottenmütze. Die Schuhe hatte ich auf Dick Langtons Vorschlag hin bekommen, als ich 16 war, und hatte sie seitdem bei jeder Regatta mit an Bord. Wie abergläubisch Segler und Seeleute doch sind! Pa hatte mir gesagt, dass es Unglück bringe, etwas Grünes an Bord zu haben, und seitdem habe ich nie etwas Grünes mit an Bord genommen. Auch manches andere soll Unglück bringen, zum Beispiel, am Freitag auszulaufen, einen Bootsnamen zu ändern, eine Pütz auf See zu verlieren, ja sogar, an Bord zu pfeifen. Am schlimmsten aber soll es sein, wenn jemand auf See stirbt und die Leiche an Bord bleibt. Ich hatte keinen Zweifel, dass jeder Teilnehmer dieser Regatta – im Ganzen waren es etwa 2500 Seglerinnen und Segler – irgendeinen Talisman bei sich hatte oder in unbeobachteten Momenten irgendwelche Rituale ausführte, die Glück bringen sollten. Ich selbst hatte mehrere solcher Angewohnheiten. Dazu gehörte es, dass ich beim Verstauen meiner Schuhe darauf achtete, dass der linke vor den rechten kam.

Ich zog meine rutschfesten, wasserdichten Seestiefel an und stieg die senkrechte, sechsstufige Niedergangsleiter in die Kajüte hinab. Dort unten sog ich den vertrauten Geruch der Grimalkin ein, den ganz speziellen Geruch nach natürlichen und synthetischen Werkstoffen, eine Duftmarke, die auf jeder Regattayacht anders ist. Dieser Geruch tat mir immer gut. Das Vorluk stand offen, und die Kajüte der Grimalkin sah hell und freundlich aus. Sechs Leuten bot sie nicht gerade viel Platz, aber ich war schon auf noch kleineren Booten gesegelt, deren Einrichtung lange nicht so hell und zweckmäßig war. Links von mir sah ich die Pantry mit der kleinen rostfreien Spüle voller benutzter Kaffeebecher. Ich war also mindestens eine Viertelstunde zu spät gekommen.

Rechts von mir war der Kartentisch, gleich darüber hingen UKWFunkgerät und Echolot. Zusätzlich zum UKW-Gerät hatte David eine Callbuoy-Seenotfunkboje und einen Empfänger für Lang- und Mittelwelle an Bord. Er wollte nichts dem Zufall überlassen. Auf dem Klappdeckel des Kartentischs lagen zwei gefaltete Seekarten. Anscheinend hatte David unseren Kurs abgesteckt. Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Bleistiftlinie bemerkte, die bei Hurst Point, auf halbem Weg zur Solent-Mündung, begann. Es war keine gerade Kurslinie, er musste also die Einflüsse von Wind und Gezeitenströmen berücksichtigt haben. Neben den Karten lag ein Seehandbuch, das bei der Seite über Portland Bill und sein Leuchtfeuer aufgeschlagen war. Dieser Punkt lag etwa in der Mitte der eingezeichneten Strecke. Die berüchtigten Gezeitenstromschnellen dort gehören zu den für die Tidennavigation wichtigsten Punkten der ganzen Regatta. Einige Hoch- und Niedrigwasserzeiten, Kurs und Wetterangaben hatte David auf einen wasserfesten Schreibblock gekritzelt, der neben dem Handbuch lag. Gegenüber vom Kartentisch befand sich die Backbord-Hundekoje. Alle Kojen bestanden aus kräftigem blauem Stoff, der zwischen Aluminiumrohren gespannt war. Die Rohre selbst waren an Halterungen befestigt, die von oben herabhingen. Zu jeder Koje gehörte eine wasserdichte PVC-Stautasche für persönliche Sachen. Die Borde oberhalb der Pantry-Arbeitsplatte waren voller Konservendosen und Lebensmittelgläser, die von hölzernen Schlingerleisten gehalten wurden. Jeder verfügbare Platz war ausgenutzt. Während ich meinen Seesack auspackte und mein Ölzeug, den Sicherheitsgurt und die Schwimmweste in den Kleiderschrank hängte, ging ich die bevorstehende Fahrt und die zu passierenden Leuchttürme in Gedanken durch, wie ich es vor jeder Regatta tat. So, wie David auf den Papierkarten unseren Kurs abgesteckt hatte, tat ich dasselbe im Kopf. Vom Start vor Cowes an arbeitete ich mich gedanklich nach Westen vor. Ich habe keine Ahnung, ob andere Segler dieselbe Gewohnheit haben – ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen –, aber ich machte es so. Wie man eine wohlbekannte Melodie summt, ging ich die Namen der Leuchtfeuer durch. »Hurst Point, die Needles, Anvil Point, Portland Bill, Berry Head, Start Point, Eddystone Light, St Anthony’s, Lizard, Tater Du, Longships, Wolf Rock, Seven Stones/Sisters, Peninnis (Scilly-Inseln), Round Island (Scilly-Inseln), Bishop Rock und schließlich der Leuchtturm auf dem Fastnet-Felsen als Wendemarke.«

Ich staunte, wie flüssig mir die Namen über die Lippen kamen. Ich wusste, dass wir die Leuchtfeuer nicht unbedingt in genau dieser Reihenfolge passieren würden, weil Wind, Wetter und Gezeiten vielleicht Abweichungen erzwängen, aber es war ein gutes Gefühl, die Karte im Kopf zu haben. Meine Medizin brachte ich sicher auf dem Bord über der Backbordkoje unter. Als ich wieder im Cockpit war, verflogen die Gedanken an Leuchttürme. Die anderen waren eifrig damit beschäftigt, das Boot seeklar zu machen, und schon war auch ich dabei.

Wir hatten vor, um 10.30 Uhr aus Hamble Point auszulaufen, um bis zu unserem Start um 13.20 Uhr ausreichend Zeit zu haben. Auf dem Vordeck holten Matt und ich die Genua 1 der Grimalkin aus dem Segelsack, während Mike und Dave die Schoten mit engen Palsteks anschlugen. Das Genuafall setzten wir dann auf einem am Bugkorb angeschweißten Auge fest, um das Fall später beim Segelsetzen draußen im Solent griffbereit zu haben. Die Genua legten wir ziehharmonikaartig an der Reling zusammen und befestigten sie sorgfältig mit Gummizeisingen an den Stützen.

»Haltet eure Eier fest, Jungs«, sagte Dave.

Dave brachte immer solche pubertären Sprüche. Das störte manchmal, aber heute nahm es ihm niemand übel – die Stimmung war einfach zu gut. Während wir das Boot weiter klarmachten, wurden wir immer alberner, besonders Gerry und Dave, die sich aus lauter Übermut mit Donald-Duck-Stimme unterhielten. Sie lispelten und quäkten vor sich hin wie zwei Wahnsinnige.

Wie Genua und Genuafall schlugen wir auch das Großsegel und sein Fall an, dann packten wir das Groß auf dem Baum so eng wie möglich zusammen, damit es nicht im Wind schlagen konnte, bevor wir es draußen auf freiem Wasser setzten. Zuletzt befestigten wir die Relingskleider. Das waren maßgefertigte weiße PVC-Bahnen mit der Segelnummer der Grimalkin – K5637 – in schwarzer, fast 40 cm großer Schrift. Wir befestigten die Relingskleider beidseitig etwa mittschiffs mit 3-mm-Perlonbändseln an der Seereling. Dazu zogen wir die Bändsel durch Messingösen an den Ecken der Relingskleider und um die Relingdrähte und stützen herum. Sowohl die Wettfahrtleitung als auch die Rettungsdienste hatten allen Teilnehmern diese Kennzeichnung vorgeschrieben.

Sobald wir an Deck fertig waren, rief David uns in die Kajüte. Wie bei all unseren früheren Regatten erklärte er uns ganz genau, wo sich alles befand – von der Sicherheitsausrüstung wie den Feuerlöschern, dem Erste-Hilfe-Kasten und den Signalfackeln undraketen bis hin zum Proviant und zum Trinkwasser, das uns jeweils in einer bestimmten Menge zur Verfügung stand. Die Wassertanks der Yacht enthielten etwa 110 Liter. Deshalb mussten wir sparsam damit umgehen und durften täglich nicht mehr als 14 Liter verbrauchen. Wie es schon in den schriftlichen Anweisungen gestanden hatte, die er allen Mitseglern geschickt hatte, wies David darauf hin, dass wir 27 Liter Diesel an Bord hatten, was eine Motorlaufzeit von 24 Stunden ermöglichte. Nach den Wettfahrtregeln durfte der Motor nur benutzt werden, um die Hauptbatterien zu laden, die die Positionslampen versorgten, oder um in Seenot geratenen Regattateilnehmern zur Hilfe zu kommen. Auf keinen Fall durfte die Maschine dem Schiff Vortrieb verleihen, solange es am Rennen teilnahm und nicht ausgeschieden war.

Nachdem damit der »offizielle Teil« abgehakt war, wünschte David uns allen einfach viel Glück. Er war genauso aufgeregt und begeistert wie wir anderen, aber auf eine ausgesprochen britische Art. David hasste jeden Überschwang. Er war einfach ein nüchterner, anständiger Kerl.

Dann wurde es Zeit, Abschied zu nehmen. Da ich Gay nur flüchtig kannte – ich hatte sie erst drei- oder viermal gesehen – verabschiedete ich mich von ihr genau wie Mike und Dave ziemlich förmlich. Bei den wenigen Gelegenheiten, die ich in ihrer Gesellschaft verbracht hatte, war sie immer lustig gewesen – sie hatte einen wunderbaren Humor. Sie war so etwas wie eine jüngere Ausgabe meiner Mutter, und ich nehme an, dass ihr wie meiner Ma gar nicht wohl bei dem Abschied war, denn er galt gleichzeitig ihrem Sohn und ihrem Mann. Als Mike, Dave und ich wieder an Deck waren, verabschiedete sich David von Gay und seinen beiden anderen Kindern, und Gerry sagte Margaret Lebewohl. Margaret war deutlich bewegter als Gay.