Allein unter Dünnen - Heide Fuhljahn - E-Book

Allein unter Dünnen E-Book

Heide Fuhljahn

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Beschreibung

(Über-)Gewicht und Vorurteil: Ein Plädoyer für ein entspanntes Körperbild Bedeutet Dicksein automatisch Schwäche, Faulheit, weniger Leistung? Heide Fuhljahn über Körperscham, Body Shaming und Body Positivity – und die Frage, wo gesellschaftliche Verantwortung beginnt. Ein längst überfälliges Plädoyer für mehr Offenheit - und eine Einladung, die eigenen unbewussten Vorurteile zu hinterfragen. "Früher war alles leichter. Ich zum Beispiel! Heute bin ich dick. Nicht kurvig, nicht moppelig – dick. Und dafür schäme ich mich. Aber was, wenn ich es nie mehr schaffe, abzunehmen? Muss ich mich dann den Rest meines Lebens hässlich finden? Bisher reichen weder mein feministisches Weltbild noch die Bekennung zu Body Positivity und Self Love aus, um mich nicht mehr für meinen Körper zu schämen. Was kann ich ganz konkret tun? Und was muss sich gesellschaftlich ändern?" Dieses Buch ist eine Mutprobe In diesem Buch stellt sich Heide Fuhljahn stellvertretend für ihre Leser*innen verschiedenen Mutproben. Sie erzählt von Selbstversuchen wie dem Ausflug an den FKK-Strand, von Reisen in Länder, in denen andere Schönheitsnormen gelten. Und von Begegnungen mit Expertinnen und Experten, die Aufschluss darüber geben, was sich in unserer Gesellschaft ändern muss, damit Glück und Schönheit nicht länger von der Waage abhängen. Sehr persönlich, mit feinem Humor und Selbstironie ist "Allein unter Dünnen" ein wichtiges Buch über unbewusste Vorurteile - und wie wir uns von ihnen befreien können.

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EPUB

Seitenzahl: 363

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Heide Fuhljahn

Allein unter Dünnen

Eine waagemutige Reise durch eine Welt im Schlankheitswahn

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Dieses Buch ist eine Mutprobe. Obwohl sie es eigentlich besser wissen müsste, ist Heide Fuhljahn ihr Gewicht oft unangenehm. Trotz feministischen Weltbildes und Body Positivity liebt sie nicht jedes Kilo an sich. Was muss sich in unseren Köpfen ändern, damit wir unsere Körper akzeptieren können? Ihre Reise durch eine Welt im Schlankheitswahn führt die Autorin zu den Reichen und Schönen nach Sylt, an den FKK-Strand, in das Kampfsport-Dojo und zu ihren eigenen Sehnsüchten. Wird es eine glanzvolle Heldinnenreise? Sicher nicht. Aber zweifellos ein Abenteuer!

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Haftungsausschluss

Widmung

Zitat

Über die Sprache in diesem Buch

Einleitung

1 Herkunft und Familie: Niemand ist eine Insel

Mutprobe: Finde ich als Dicke im Fitnessstudio einen Platz?

Das Ich bildet sich über das Du

»Geist, Körper und Seele sind eins«

Pilates ohne Powerhouse

Ein bisschen Spaß muss sein

Aber die Vergangenheit sagt: Du bist zu dick!

Wieso, weshalb, warum?

Ist Inklusion eine Fantasie? Oder eine Utopie?

Gleichberechtigt? Welcome to Reality!

Selbstliebe oder Disziplin?

2 Essen und Genuss: Champagner und Kalbshaxe Florida

Ist da jemand?

Mutprobe: Sylt, der luxuriös-dünne Ort meiner Jugend

XOXO: Gossip Girl

Ozelot und Friesennerz

Baden mit Sonne und Mond

Das Rote Kliff ruft!

»Jedes Kind ist eine Schlacht!«

Frühstück bis 16 Uhr

»Ich kenn Peter«

Let the Fun Be Gin!

3 Luxus und Opulenz: Darf es etwas Meer sein?

Milch und Honig: Im Kreuzfahrt-Schlaraffenland

Von ganz oben nach ganz unten

Mutprobe: Kochkurs bei Verena Lugert

Auch Essen kann eine Sucht sein

Kurkuma, Kokosmilch und Kräuter

Zu Besuch in einem Feinkostgeschäft in München

Die Macht der Zuckerindustrie

4 Sport und Bewegung: Freude schöner Götterfunken

Beim Ju-Jutsu: Fang nie an, aufzuhören

Mutprobe: Selbstverteidigungskurs

Sei eine Autoritätsperson, keine Tussi!

3 Engel für Charlie

Sporty Spice oder Baby Spice?

Gewalt ist ein männliches, systemisches Problem

Im Flugzeug, im Parkhaus, im Restaurant

Breaking the Habit

5 Reisen: Als Frau allein unterwegs

Mutprobe: Sporturlaub auf Fuerteventura

Club Tropicana

Kuchen am Ozean

Bodies of Light

Julia, Richard, Anne, George und Timmy, der Hund

Wer, wie, was? Der, die, das

Du bist schön!

Mutprobe Türkei: Hayır teşekkürler

Bin ich ein Walross?

Nesthäkchen, Trotzkopf oder Ronja Räubertochter?

Sex und Gender

Twiggy, Sophia Loren und Farrah Fawcett

Odette gegen Odile

Rock und Rokoko

6 Gesellschaft: Was heißt schon normal?

Drag: Dressed as a Girl

LGBTQIA+ und der lange Kampf um Akzeptanz

I Am What I Am: Im Berliner SchwuZ

Mutprobe: Am Tegeler See in Berlin

Cheers, Queers

»Paillette geht immer«: Interview mit Dragqueen Jurassica Parka

7 Politik: … und raus bist du!

Dick oder dünn: Alles eine Frage der Disziplin?

Der Body-Mass-Index (BMI) in der Kritik

Mutprobe: Im Adipositas-Zentrum

Operation oder Semaglutid?

Wirklich übergewichtig, oder geht es um etwas anderes?

Glück ist (k)eine Entscheidung

Giftig statt gut: Toxic Positivity

Glücklich, heilig und zuversichtlich

Gescheitert? Dafür sind wir nicht zuständig

8 Lifestyle, Feminismus, Social Media: Fett und Filter

Mutprobe: Beim Silent Disco Yoga in Cornwall, England

Danke, Welpe!

Einsam oder frei?

Zwischen Mädchenfrauen in Vietnam

Mutprobe: Bauchtanz: Shakira und ich

Mutprobe: Neben Influencerinnen auf Zypern

Ich zeige mich, also bin ich

Die Rubensfrauen von heute

Posen am Nissi Beach

Ein bisschen Leichtsinn kann nicht schaden

Ich bin nicht perfekt. Und ich arbeite auch nicht daran!

9 Liebe und Partnerschaft: Junge, komm bald wieder!

Mutprobe: Ü-40-Party in Hamburg

Wer will mich? Oder: Wen will ich?

Das Unbewusste ist stärker: Wir lieben, was wir kennen

Masters of Sex: Die Spaltung in männliche und weibliche Sexualität ist ein Klischee, ein Mythos

Ich will keine Schokolade …

Aber suche ich einen Alpha- oder einen Delta-Mann?

Taser und Therapeuten: Wie divers sind wir wirklich?

10 Gesundheit und Krankheit: Haben Sie einen Joker?

Seelische Krankheiten sind kein Lifestyle

Ungesundes Essen in Kliniken

Lieber Arbeit statt Rente

Die Angst vor dem Fitnessstudio

Endlich Antworten: Interview mit Dr. med. Michael Dümpelmann

Fazit

Mutprobe: An FKK-Stränden auf Amrum und Föhr

Alte Fragen, neue Antworten: Was habe ich gewonnen, was noch nicht gewagt?

20 Sommer, vielleicht nur 15: Das Leben ruft

Es wird Zeit, sich auf die Hinterbeine zu stellen

Schüttel deinen Speck: Wir, zusammen

»Meine Bulimie habe ich überwunden«: Interview mit der ehemaligen Leistungsturnerin Kim Bui

Literatur

Dank

Um den Persönlichkeitsschutz zu wahren, wurden die Beschreibungen von einigen Personen so weit verändert, dass sie nicht in ihrer Identität erkennbar sind.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Für mein/unser triangulierendes Objekt

Helmer: Du bist in erster Linie Frau und Mutter.

Nora: Daran glaub’ ich nicht mehr.

Ich glaube, dass ich in erster Linie ein Mensch bin, ich genauso gut wie du, – oder jedenfalls, daß ich versuchen muß, es zu werden.

Henrik Ibsen: Ein Puppenheim

Über die Sprache in diesem Buch

Die Sprache spiegelt immer den Zeitgeist wider. Zündhölzer heißen mittlerweile Streichhölzer, aus Illustrierten wurden Zeitschriften, der Kleingarten wandelte sich zu Schrebergarten und Datsche, und Teenies sprechen heute von einem Crush, wenn sie verliebt sind. Während manche klagen, dass das Englische überhandnehme, nutzen sie selbstverständlich Lehnworte: türkische wie Joghurt (Yoğurt) oder französische wie Balkon (balcon). Sprache ist dynamisch, nicht statisch.

Aktuell löst das Gendern Diskussionen aus, besonders die Satzzeichen in der Mitte. Ob sich Binnen-I, Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich durchsetzen, scheint mir weniger relevant als die berechtigte Erwartung aller, auch sprachlich repräsentiert zu sein. Wie zum Beispiel Menschen mit Handicap – beziehungsweise Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Nicht weiß erscheint ebenso diskutabel wie BIPoC (Black Indigenous People of Color) für Schwarze und indigene Menschen. Und ist queer nicht eleganter als LGBTQIA+? Mehrgewichtige neutraler als Übergewichtige? An der Entwicklung einer modernen Sprache möchte ich mich beteiligen. So schreibe ich hier weder über Fräulein noch Taliban*innen. Doch in Bezug auf das herrschende generische Maskulinum haben Untersuchungen gezeigt, dass kleine Kinder, die den Satz »Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker« hören oder lesen, glauben, dass diese Berufe nur von Männern ausgeübt werden. Deshalb schreibe ich dieses Buch im generischen Femininum: Es ist ein Experiment, das zur Reflektion einlädt! Herzlich willkommen!

Einleitung

Früher war alles leichter. Ich zum Beispiel!

Heute bin ich dick. Nicht kurvig, nicht moppelig – dick. Und nicht stolz darauf. Meine Freundinnen würden nie etwas Unfreundliches über mein Gewicht sagen. Doch für mich ist es ein Problem. Denn ich bin – und es tut weh, das zu schreiben – sogar fettleibig. Adipositas ist eine Krankheit, und deshalb sorge ich mich um meine Gesundheit! Aber auch um mein Selbstbild, denn ich schäme mich, weil ich überall auffalle: im Job, beim Sport, auf Geburtstagspartys – in meinem Umfeld ist wirklich jede schlank. Als feministischer Mensch und freie Autorin der Zeitschrift Brigitte weiß ich, dass bei Übergewicht nicht Selbsthass, sondern Akzeptanz angebracht ist. Also gehe ich ins Freibad und starre Menschen in XXXL nicht strafend an, wenn sie Eis essen. Viele andere tun das. Denn unsere Gesellschaft diskriminiert besonders fettleibige Frauen. Und selbst diejenigen, deren Gewicht gesund und normal ist, gelten oft als zu dick.

Es sind vor allem Modedesignerinnen, Werbeagenturen, Fernsehsender, Redaktionen und Verlage, die über die öffentliche Präsenz von Frauen und die Verfügbarkeit von Kleidung entscheiden. Diese sogenannten Gatekeeper legen fest, wer als schlank und attraktiv genug gilt. Doch der Widerstand gegen ihre strengen Normen wächst, erfolgreich. Weltweite Bewegungen wie Fat Acceptance, Body Positivity und Body Neutrality setzen sich für vielfältige Körperbilder und neue Sehgewohnheiten ein. Seit es soziale Medien gibt (Facebook startete 2004, Youtube 2005, Instagram 2010 und Tiktok 2016), steigt ihr Erfolg stetig an, da sie über diese Kanäle leicht und schnell wie nie Milliarden Menschen rund um den Globus erreichen.

Die Digitalisierung bietet eine bisher einmalige Chance für fast alle, Einfluss auf die öffentliche visuelle Wahrnehmung zu nehmen. Eine enorme Chance für mehr Toleranz – auch für mich. Denn ich bin nicht nur traurig und beschämt über meinen Körper. Ich bin auch wütend, weil er seit meinem zwölften Lebensjahr verurteilt wird, erst von anderen und schließlich auch von mir selbst. Mein Vater, meine Mitschülerinnen, die Gesellschaft und die Medien beschimpften mich lautstark: Du bist zu dick! Also fühlte ich mich zu dick, egal, ob ich 55, 65 oder 85 Kilo wog (bei 1,74 Meter).

Doch wenn ich mir heute Fotos von früher ansehe, könnte ich weinen, weil sie offenbaren, dass ich eine gute Figur hatte! Jedes Kleid und jede Jeans, die mir damals gefielen, hätte ich unbeschwert tragen können. Statt Kohlsuppe zu kochen, mir einen Pulli um die Hüften zu schlingen, mich im Bauch-Beine-Po-Kurs zu quälen und Push-up-BHs zu kaufen! Zwei Jahrzehnte litt ich unter Minderwertigkeitsgefühlen, zweifelte an mir, hielt Diät – für nichts. Jetzt bin ich krankhaft übergewichtig. Und kann die Hoffnung nicht loslassen, dass ich es eines Tages schaffen werde, wieder schlank zu sein. Doch wenn ich frustriert auf mein jahrelanges Scheitern beim Abnehmen zurückblicke, frage ich mich: Was ist, wenn es mir nie gelingen wird? Werde ich immer hässlich und schuldig bleiben?

Mein Verstand rebelliert dagegen, mich unattraktiv zu finden. Denn er sagt mir, dass Schönheitsideale kulturell geprägt sind; so gelten zum Beispiel im westafrikanischen Mauretanien runde Frauen als bildhübsch und begehrenswert. Doch ich lebe in Europa, in einer Gesellschaft, die zwar deutlich offener ist als vor fünfzehn Jahren, aber weiterhin junge, weiße1, blonde und zunehmend operierte Püppchenfrauen in Size Zero feiert – wie die Influencerinnen Caro Daur oder Ann-Kathrin Götze. Zudem hat sich der Wettbewerb um den After-Baby-Body verschärft.

Ist der Säugling auf der Welt, zeigt sich das am Körper der Mutter: der Bauch dicker und weicher, die Brüste größer und hängender, der Körper insgesamt unförmiger. Das wird als Makel wahrgenommen. Frauen, denen die Geburt nach wenigen Wochen nicht mehr anzusehen ist, die zügig wieder schmal und durchtrainiert sind, bekommen dafür öffentlich Applaus. Aber Curvy Models wie Ashley Graham, Paloma Elsesser oder Angelina Kirsch sowie Aktivistinnen, Bloggerinnen und Plus-Size-Designerinnen wehren sich. Auch Sängerinnen wie Lizzo, Billie Eilish und Zoe Wees verweigern sich den geltenden Gesetzen. Sie fordern Pluralität und definieren Weiblichkeit neu. Durch ihre enorme Reichweite bei Social Media kann die analoge Welt sie nicht ignorieren.

Was für tolle Bewegungen! Da will ich unbedingt mitmachen! Denn ich bin jetzt 50 Jahre alt und ich möchte mich endlich okay finden! Ich bin es gründlich leid, dass andere scharf über mich urteilen und dass ich scharf über mich urteile! Ich wünsche mir, dass das weibliche Geschlecht sich nicht mehr an den Maßstäben des male gaze, des männlichen Blicks, messen lassen muss! Der besagt, dass die äußerliche Attraktivität darüber entscheidet, wie wertvoll, erfolgreich, begehrt oder neudeutsch fuckable Mädchen und Frauen sind. Für sie gilt: Survival of the prettiest!

Der männliche, heteronormative, weiße Blick auf die Welt ist noch lange nicht überwunden. Das offenbart sich besonders bei den Ansprüchen an äußere Schönheit. Natürlich hadern auch manche Männer mit ihrem Aussehen. Und natürlich verfügen auch attraktive Männer über Privilegien. Aber sie halten keine Industrie am Laufen, die Bauchweg-Hosen und teure Shape Wear produziert! Herren tragen vielleicht Uhren und Manschettenknöpfe, aber selten Ohrringe, Broschen und Perlenketten. Sie kaufen kein Make-up, keine Wimperntusche oder Lippenstifte in der Farbe der Saison. Sie gehen nicht zur Mani- oder zur Pediküre (obwohl es bei vielen wünschenswert wäre); sie schminken nicht gegen Schlupflider an und klagen nicht über Winkfleisch. Schmerzen, die mit Stöckelschuhen einhergehen, kennen sie genauso wenig wie den Verzicht der Jahresanfangs- und der Bikini-Diät im Frühsommer!

Die Diskriminierung der Frauen ist offensichtlich – und sie macht mich wütend! Doch wie viel ist damit gewonnen? Ich weiß, dass die Körperideale brutal und realitätsfern sind. Ich weiß, dass sie bei Frauen strenger sind als bei Männern. Ich weiß, dass Gesundheit wichtiger ist als Schönheit. Ich weiß, dass ich mich akzeptieren sollte, wie ich bin. Trotzdem fühle ich mich in meiner Haut nicht wohl. Es reicht eben nicht, kluge Essays oder romantisierende Ratgeber zu lesen. Es reicht nicht, feministisch zu denken. Es reicht nicht, der Schwarzen, großen, dicken, queeren, supercoolen US-amerikanischen Yogalehrerin Jessamyn Stanley auf Instagram zu folgen. Es reicht nicht, die Modejournalistin und Aktivistin Melodie Michelberger niedlich zu finden. Es reicht nicht, an die üppigen Nana-Frauenfiguren der französisch-schweizerischen Künstlerin Niki de Saint Phalle zu erinnern. Es reicht nicht, #femalepower zu liken. Es reicht nicht, sich über Photoshop® und operierte Schlauchbootlippen aufzuregen. Es reicht nicht, eine Diät zu machen. Es reicht genauso wenig, Diäten zu verdammen! Es reicht nicht, gut gemeinte Tipps zu mehr Selbstliebe zu befolgen. Eine Veränderung wirklich zu wollen, reicht nicht – obwohl etliche Life Coaches und Gurus genau das behaupten. Zu wissen, was gesund und was ungesund ist, reicht auch nicht. Wer Chips und Cheeseburger isst, derjenigen ist meistens bekannt, dass das schädlich ist. Das gilt genauso für Süßigkeiten, Drogen, Alkohol, Zigarren und Zigaretten; für stundenlanges Videospielen oder Durch-Tiktok-Scrollen, vor dem Fernseher versacken oder Disney+/Netflix/Prime-Binge-Watching. Genügend Menschen wollen damit aufhören oder den Konsum reduzieren und strengen sich an. Aber oft ist das Bedürfnis stärker als das Wissen. Nicht von ungefähr rauchen und trinken auch Krankenpflegerinnen! Wie kann ich diese Diskrepanz überwinden? Wie schaffe ich es, mich nicht mehr unästhetisch zu finden? Was braucht es, damit ich mich gesund ernähre (auch wenn ich dadurch nicht automatisch abnehme)? Was muss sich, was kann ich ändern, um mich okay zu finden, wenn es nicht an Wissen und Willen fehlt?

Um Antworten zu finden, würde ich jetzt normalerweise für ein Fachbuch zum Thema recherchieren. Meine Welt ist eine verkopfte – das wird mir, der Journalistin, die ich von Kindesbeinen an in Büchern lebe, nach Banklehre, Studium und zwei Volontariaten heute erst bewusst. Beim Ju-Jutsu-Training, wenn ich versuche, eine neue Technik zu lernen, höre ich oft: »Du denkst zu viel! Jetzt mach erst mal!« Spät begriff ich, dass nicht nur Gespräche und Gedrucktes mich vorwärtsbringen, sondern praktische Erfahrungen. Schwimmen lernt frau nur im Wasser. Schwedisch, in dem frau es spricht. Nähen, indem frau näht. Beziehungen in Beziehungen. Die intellektuelle Herangehensweise reicht nicht, es braucht gleichermaßen die Praxis. Um mich körperlich anders zu fühlen, muss ich meinen Körper anders erleben! Wenn ich also aus Frust Schwarzwälder Kirschtorte esse, bringt mich nicht der hundertste zu Recht warnende Artikel über die Gefahr von Industriezucker weiter, sondern die Frage, wie ich mein Bedürfnis nach Trost stattdessen stillen könnte.

 

In diesem Buch bestehen die Kapitel deswegen nicht nur aus Reflexionen, sondern aus Selbstversuchen, Reisen und Begegnungen. Dabei lote ich innere und äußere Grenzen aus, an die auch die Leserinnen immer wieder stoßen. Mein Übergewicht schränkt mich täglich ein: beim Treppensteigen, auf dem Fahrrad, beim Blick in den Kleiderschrank. Das schmerzt jeden einzelnen Tag; seit Jahren schwanke ich zwischen Verzweiflung und Entsetzen. Ich möchte gerne Freiheiten zurückgewinnen, wie zum Beispiel entspannt in den Spiegel zu sehen. Mein Ziel ist, dass es mir nach den Mutproben leichter fällt, mich zu akzeptieren, wie ich bin! Mich zu zeigen, wie ich bin. Zu mir zu stehen. Ich möchte mich okay finden und okay fühlen.

Trotzdem werde ich niemals rufen: »Hej, ich bin fett und finde es mega!« Starkes Übergewicht ist ungesund und eine Last, das werde ich keinesfalls verleugnen! Aber ich werde genauso wenig die Diskriminierung verharmlosen, die Vorurteile, dass Dicke einfach faul und disziplinlos sind. Von Krankheiten wie dem Lipödem über Medikamente wie Neuroleptika bis zu Gehalt und Genetik: Fettleibigkeit hat unterschiedliche Ursachen. Wäre es nicht schön, wenn das selbstverständlich respektiert würde, statt Übergewichtige zu verdammen?

 

Ich wünsche mir mehr Wohlwollen. Von allen, für alle. Deshalb stelle ich in Allein unter Dünnen meinen Alltag auf den Kopf und meinen Mut auf die Probe. Ich traue mich zum Bauchtanz und zum Krav Maga, ein Selbstverteidigungssystem aus Israel. Buche einen Kochkurs. Wage mich an verschiedene Strände, von Amrum bis Zypern. Bade nackt an einem FKK-Strand. Ich buche eine Ganzkörpermassage, finde heraus, ob Sporturlaub Spaß macht, und besuche Gemälde von Rubens im Museum. Ich recherchiere das Wissen von Hirnforscherinnen und Influencerinnen, frage Ärztinnen nach der Behandlung von Adipositas und Psychoanalytikerinnen nach unbewussten Gründen für Extrapfunde. Ich erfahre, was Fitnessstudios mit der Industrialisierung zu tun haben und ob ich dort willkommen bin. Ich zeige ungeschönte Bilder von mir auf Social Media und fürchte mich davor, dass sie Hass auslösen, weil ich mich als dicke Frau (beim Sport) zeige. Für meine emotionalen, oft kindlichen Bedürfnisse suche ich Trostspender, die lustvoll, aber unschädlich sind.

Werde ich am Ende rundum glücklich sein? Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe sehr, dass ich zumindest zufriedener sein werde! Und wenn nicht, möchte ich trotzdem lieber mit diesem Versuch Schiffbruch erleiden, als mich in die Passivität zu verkriechen und dort zu bleiben. Was ich erleben werde: Grenzerfahrungen. Rückschritte. Fortschritte. Stillstand. Und ganz bestimmt: Wachstum und Spaß!

1Herkunft und Familie: Niemand ist eine Insel

Ich fühle mich wie eine Grundschülerin, die an die Tafel gerufen wird und sich dort vor Angst in die Hose macht, für die ganze Klasse sichtbar. So etwas Peinliches habe ich lange nicht erlebt! Meine Freundin Tina aber kann darüber schmunzeln und sagt: »Vielen Dank für diese köstliche Anekdote! Wie gemacht für dein Buch, würde ich sagen!«

Dieser Satz wird, in Variationen, noch häufiger fallen. Wenn eine Mutprobe nach hinten losgeht, eine Idee in sich zusammenfällt; wenn ich mich blamiert oder etwas Komisches erlebt habe. Erproben werde ich mich oft, obwohl ich nicht besonders mutig bin. Meine Überzeugung, dass frau nicht alles kann, selbst wenn sie es wirklich will, egal, wie penetrant Gurus, Prominente und Ratgeberinnen es behaupten, bestätigt sich andauernd. Auch führt die Erweiterung meiner Komfortzone nicht zu pastellig-gefilterten »Juhu, hier ist meine Superkraft!«- Posts. Aber: Außer wertvollen Erfahrungen ernte ich Geschichten. Und die Arbeit als Journalistin hat mich gelehrt: In den absurden, peinlichen und bizarren Erlebnissen stecken oft die besten Anekdoten!

Das Erlebnis, das zu der Anekdote führte (ich nehme zum ersten Mal am Pilates teil und pupse – natürlich, ohne es zu wollen), über die meine Freundin Tina mit mir gelacht hat, geschah Anfang 2023, als ich begann, dieses Buch zu schreiben. Mein Ziel zum 1. Januar lautete: Ich möchte mich in meinem Körper wohlfühlen. Im Sinne der aktuellen Trends, von Body Positivity bis Diversität, also Vielfalt, sollte es weniger schwierig umzusetzen sein als die Erstellung des Rutherford’schen Atommodells. Meine Erfahrung aus der Vergangenheit sagt mir aber auch: Leicht wird es nicht. Denn Adipositas bedeutet: Mein Alltag ist schwer, meine Gesundheit in Gefahr, mein Selbstbild im Keller, und meine Perspektiven sind begrenzt. Jahrzehntelang habe ich gegen meinen Körper gekämpft; jetzt, durch gesammeltes Wissen über Gesundheit, Feminismus und Inklusion, leuchtet mir ein, dass ich mich als dicke Frau in Ordnung finden darf. Nur: Wohl fühle ich mich nicht! Dabei suggeriert mir die Konsumgüterindustrie, dass es leicht ist mit dem Wohlfühlen, mit dem Glück!

Mutprobe: Finde ich als Dicke im Fitnessstudio einen Platz?

Vom Weißburgunder (»Feel Lucky Stars Inside Yourself«) über Tee (»Wohlfühl-Collection«) über Kärtchen (»24 inspirierende Karten mit ermutigenden Sätzen im Visitenkartenformat«), Kissen (»Wohlfühlzeit Zirbenliebe«), Kosmetik (»Mama & Ich Wohlfühl Gesichtscreme«): Radio Happiness sendet rund um die Uhr. Die Botschaft lautet: Glück ist erstrebenswert, verfügbar und käuflich. Frau kann das Glücklichsein erreichen, indem sie das Richtige trinkt/kauft/cremt/übt/ – und/oder ihr Mindset, ihre Haltung ändert. Ebenfalls hoch im Kurs: einen Ratgeber lesen. Zum Beispiel: Glück doch mal! Das kreative Workbook für alle, die sich das gute Leben selbst gestalten wollen. Oder: Mögest du glücklich sein. Entdecke dein Höheres Selbst und verbinde dich mit deiner inneren Kraft. Oder: Die neue Glücksformel. Glücklich sein und positives Denken sind erlernbar. Oder: Mein Glück in 100 Listen. Ein originelles Ausfüllbuch, um herauszufinden, was dich wirklich glücklich macht. Oder: Gelenke im Glück. So läuft es wie geschmiert. Oder: Die Systematik von Glück und Erfolg. Ein 7-Punkte-Plan, der Ihr Leben verändert. Die passenden Hashtags liefert Social Media: #blessed, #feelgood, #goodvibesonly, #goodlife, bebildert mit Fotos von Blumen, Sonnenuntergängen, Stränden, Bergseen, Katzen, Babys, halb nackten Frauen, Blaubeeren, Palmen. Ein Nachrichtensprecher appelliert: »Bleiben Sie zuversichtlich!« Youtube quillt über vor Power Talks von Life Coaches, die das glückliche Leben verheißen. Ganz schnell! Ganz leicht! Natürlich kann frau auch Kurse von Achtsamkeit, Manifestation bis Kakao-Ritual besuchen, sich coachen lassen oder an Festivals teilnehmen. Und ist danach, Simsalabim, glücklich.

Was soll ich sagen? Offensichtlich bin ich zu doof zum Glücklichsein. Nicht mal wohlfühlen kann ich mich! Mit dem #luckygirlsyndrome, erfolgreich bei Tiktok, wird es wohl auch nichts mehr. Aber es gibt Frauen jenseits von Barbie, die mich inspirieren: zum Beispiel die australische Schauspielerin und Comedienne Celeste Barber, 41. Unter dem Hashtag #celestechallengeaccepted parodiert sie Bilder und Videos von Prominenten, die mit geölten Waschbrettbäuchen, Schlauchbootlippen und übersexualisierten Posen dem Schönheitswahn die Krone aufsetzen. Genauso stärkt mich die Schauspielerin Elena Uhlig, die 2021 in einer Talkshow sagte: »Ich bin die Dralle, die um die Ecke kommt und lustig ist, und darauf habe ich keinen Bock mehr.« Die Olympiasiegerin im Ringen Aline Rotter-Focken, die Sängerin Kerstin Ott, die Komikerinnen Tahnee und Nicole Jäger und Plus-Size-Model Zoe Flindris (die als Jugendliche Leistungssportlerin im Eiskunstlauf war): Sie alle zeigen mir andere Körper, andere Formen von Weiblichkeit; im Alltag, auf der Bühne, beim Sport. Menschen wie sie brauche ich für meine Entwicklung! Denn, Selbstliebe hin oder her, es wird mir nicht gelingen, mich allein gegen meine Sozialisation, meine westeuropäische Kultur zu stemmen (die Size Zero feiert) und mich frei zu machen von äußerer Bewertung.

Das Ich bildet sich über das Du

»Jeder Mensch hat das Bedürfnis, von anderen gesehen, beachtet, geliebt und anerkannt zu werden«, sagt Dr. Martin Altmeyer, Psychologe und Psychoanalytiker, dazu. »Unser Gehirn ist ein soziales Organ, welches uns mit anderen Menschen vernetzt. Erst im Spiegel des anderen entsteht unser Selbstbild, so erwerben wir unsere Identität. Deshalb suchen wir nach Resonanz. Das Entstehen und Gelingen von Beziehungen zu anderen Menschen sind wesentlich davon abhängig, in welchem Maße wir uns im Gegenüber gespiegelt sehen.« Ich bekam, lebenslang, gespiegelt: nicht okay. Wie (zu) viele Frauen!

Wenn ich mich frage, wann ich mich in meinem Körper am ehesten wohlfühle, lautet die Antwort: beim Baden im Meer und beim Ju-Jutsu. Deshalb drehe ich jetzt, im Januar, zuerst an dieser Schraube: mehr Sport, neuer Sport. Da ich mir das Wohlgefühl bisher weder auflisten, malen, hindenken noch verordnen konnte, entscheide ich mich für den Ansatz, dass ich meinen Körper anders erleben muss. Mein früherer Therapeut, Dr. Weston, sagte einmal mit bestechender Logik zu mir: »Schwimmen lernt man nur im Wasser.« Was mit dem Mutter-Kind-Turnen begann, setzte sich bei mir über die Jahre mit Turnen für Fortgeschrittene, Ballett, Jazzdance, Segeln, Reiten, Dance Aerobic (in der Sprache der DDR: Popgymnastik), Rückengymnastik und Joggen fort; mittlerweile mache ich Kampfsport, nicht gut, aber gern. Als ich 22 war, schien das Alter ähnlich weit entfernt wie der Jupiter zu sein, aber heute bin ich froh, dass das Training mir Spaß macht. Denn inzwischen ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich, zumal als Schreibtischarbeiterin, wegen des Rückens/Nackens oder wegen der Knie/Schultern/Hüfte von meinem Orthopäden Physiotherapie verschrieben bekomme. Doch für mich ist Bewegung weit mehr als ein notwendiges Übel. Oft höre ich von Frauen (wie die Moderatorin Barbara Schöneberger, die in ihrem Podcast »Mit den Waffeln einer Frau« davon erzählte), dass sie nur für ihre Gesundheit Sport machen, um ihr Gewicht zu halten oder um abzunehmen. Ich finde das schade. Schließlich gehört das Physische untrennbar zu unserer Persönlichkeit.

»Geist, Körper und Seele sind eins«

Diesen Satz sagte mir der österreichisch-US-amerikanische Hirnforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel 2019 in einem Interview, und er meinte es nicht esoterisch, sondern biologisch-ganzheitlich. Ohne Körper und ohne Gehirn kein Ich. Seit den langen Jahren, die ich wegen schweren Depressionen in Kliniken verbringen musste, weiß ich außerdem aus leidvoller Erfahrung – wie viele Patientinnen –, dass ein gesunder Bewegungsapparat ein Privileg ist!Aus diesem Grund sind meine Ziele: mehr Spaß, mehr Gesundheit. Abnehmen wäre ein Bonus, die Blutwerte sind wichtiger.

Da ich zu dem Sportverein, in dem ich schon lange Mitglied bin, von meiner Wohnung aus eine Stunde unterwegs bin, melde ich mich zusätzlich in einem Fitnessstudio um die Ecke an. Nur durch das Buchprojekt wird das finanziell möglich. Ich bin seelisch krank und kann daher leider nur in Teilzeit arbeiten. Die journalistische Arbeit wird nicht besonders gut bezahlt, und da ich nicht jede Woche eine Lesung oder einen Vortrag aus meinen beiden ersten Büchern Kalt erwischt und Von Wahn und Sinn halten kann, lebe ich vom Bürgergeld (früher Hartz IV) und verdiene als Selbstständige etwas dazu.

Ich muss daher seit mehr als fünfzehn Jahren mit sehr wenig Geld auskommen. Deshalb freue ich mich auf das Fitnessstudio, es hat sogar ein Schwimmbad und einen Wellnessbereich! Alles, was mein Herz und meine Gelenke aushalten, will ich probieren: Zumba und Faszientraining, Rückengymnastik und Aqua-Gym. So lange ich nicht hüpfen oder Ball spielen muss, traue ich mir das zu, ich bin ja nicht komplett unsportlich. Dachte ich. Tja. Übermut tut selten gut.

Pilates ohne Powerhouse

Auf dem Plan heute steht: Pilates. Gemeint ist eine spezifische Gymnastik, viel Kräftigung, gerade für die tiefer liegenden Muskeln, wenig Kardio. Ich radle hoch motiviert zum Studio. Im Rückblick frage ich mich, ob ich mir die Peinlichkeit erspart hätte, wenn ich selbstbewusst hineingeschritten wäre und dabei mein Handtuch wie Zorro seinen Umhang hinter mir hergezogen hätte. Ist nicht alles eine Frage der richtigen Pose?

Der Kurs findet in einem Loft statt, durch die Dachfenster glimmt das letzte Licht des Tages. Der Weg dorthin führt über Treppen; nach zwei Stockwerken mache ich Pause, weil ich weder hechelnd noch angeschwitzt oben ankommen will. Mein Brustkorb pumpt. Die Frustration darüber beißt mich, ich könnte mich hinsetzen und heulen. Das einzig Gute an meiner Masse ist, dass ich mich darin verstecken kann. Äußerlich wirke ich unempfindlicher, als ich bin. Anders als beispielsweise Magersüchtige, durch ihre fragilen Körper ist die Not äußerlich sofort sichtbar, obwohl sie härter und disziplinierter sind als ich. Mein ängstliches, hypersensibles Wesen soll niemand direkt sehen, daher schütze ich mich mit einem Körperpanzer. Eine erfolgreiche, aber leider dysfunktionale Strategie. Ich wünsche mir, dass ich, sollte ich je wieder schlank werden, Muskelmasse als Schutz einsetzen kann. Die Pilatestrainerin, etwas älter als ich, ist sehr schmal. Sofort fühle ich mich im Minus. Wir sind nicht einfach eine Dünne und eine Dicke, sondern sie ist richtig, und ich bin falsch. Ich sage ihr, dass ich neu bin und wegen einer Entzündung im Schleimbeutel den rechten Arm kaum nutzen kann, damit sie mich nicht für faul oder blöd hält. Sie reagiert freundlich und meint, ich soll es ruhig angehen lassen. Ich fühle mich wie Dumbo (der Zeichentrickelefant mit den zu großen Ohren) neben Bambi (dem zarten Reh).

Mit uns stehen zehn weitere Frauen und vier Männer im Raum, alle aus meiner Sicht schlank. Von ihnen weiche ich deutlich ab, und das tut weh. Mein Blick auf ihre Körper ist vermutlich weniger streng als ihr eigener. Für mich sehen sie alle hübsch aus. Aber manche hadern vielleicht mit sich, weil sie nicht die Attribute von Influencerin Caro Daur oder Ex-Profisportlerin Anna Lewandowska vorweisen können (klein, klapperdürr, konvex gewölbte Bauchmuskeln). Als ich noch schlank war wie die Frauen hier, fand ich mich schrecklich dick. Heute wäre ich schon dankbar, wenn mir Größe 46 passen würde.

Mit einer schwarzen Rolle und einer Yogamatte verziehe ich mich in die letzte Reihe.Kurzes Aufwärmen, die dritte Übung ist die Standwaage. Ich falle um. Das Gleichgewicht halten kann ich überhaupt nicht, ich kenne das schon. Verlegen versuche ich es mehrfach, wackle hin und her und halte mich schließlich mit einer Hand an der Wand fest. Danach stellen wir uns wieder aufrecht hin. Jetzt sollen wir versuchen, das Powerhouse anzuspannen (die tiefen Muskeln in der Körpermitte, ich versuche, den Bauch einzuziehen), und danach das rechte Knie bis zum Nabel hochziehen. Dort halten, anschließend das rechte Bein lang nach vorn strecken, waagerecht zum Boden. Ich falle wieder um. Während die anderen wie Flamingos in einer Formation stehen, rudere ich mit den Armen und fühle mich noch mehr wie Dumbo. Wenn ich wenigstens fliegen könnte!

»Uuuuuuuund jetzt das rechte Bein wieder anziehen und dann laaaaang nach hinten ausstrecken«, sagt die Trainerin enthusiastisch. Fließende Bewegungen vorn, Unruhe in der letzten Reihe. Obwohl ich feste Turnschuhe mit Sporteinlagen trage, wackelt mein Fuß. Ich halte mich erneut an der Wand fest und würde mich am liebsten bei allen entschuldigen.

»Uuuuuuund jetzt das linke Bein, hoch, nach vorn, wieder anziehen, laaaaang nach hinten, horizontal; die Arme dabei erst weeeeeeiiiiiit zur Seite ausstrecken, dann laaaaang nach unten.« Ich spanne, so doll ich kann, die Muskeln an – und ruckle trotzdem hin und her. Flucht zur Wasserflasche. »Jetzt gehen wir in den Vierfüßlerstand.« Ha, auf den Knien und Händen ein Viereck bilden, das kann ich. Doch zu früh gefreut, gefordert wird eine Art 3-D-Seitentwist. Den linken Arm sollen wir erst waagerecht zur Seite strecken und als Nächstes gerade zur Decke, der Oberkörper dreht sich mit, der Blick folgt der Hand. Ich kenne eine ähnliche Figur vom Yoga. Ich kann sie nicht. Wo sind die positiven Vibes, von denen so oft gesprochen wird? Zumindest dämmert es weiter, das Loft wird dunkler. Klar habe ich schon x-mal gelesen, dass ich mich nicht vergleichen soll, aber ich bin hier mit Abstand die Schlechteste. Und das können alle sehen, trotz Dämmerung. Kurz denke ich darüber nach, laut »Dafür kann ich einen guten Lowkick!« zu rufen. Während die Gruppe anmutig vor sich hin turnt, fühle ich mich hochnotpeinlich. Gelenkig bin ich nicht, geschmeidig ebenso wenig, mal ist der Bauch im Weg, mal erhasche ich einen Blick in den Spiegel und möchte weinen. Die Yoga-Kobra kriege ich hin, den herabschauenden einbeinigen Hund nicht, zu viel Gewicht auf den Handgelenken. Am liebsten würde ich abbrechen. Doch wenn ich jetzt das Loft verlasse, werde ich noch mehr auffallen, ich muss den Kurs so dezent wie möglich zu Ende bringen. Ach, wäre ich doch gegangen! Denn: Schlimmer geht immer!

Wir rollen auf dem Rücken. Schön. Dann sollen wir die Beine mit Schwung lang über den Kopf nach hinten strecken, mit den Zehenspitzen den Boden berühren. Nicht schön. Kann ich nicht. Ich fühle mich wie eine umgekippte Buddhastatue. Dafür höre ich etwas: einen Pups. Nicht total laut, aber es haben sicher alle im Raum mitbekommen. Und, wie könnte es anders sein: Ich war es.

Wie konnte ich nur so bescheuert sein, hier mitzumachen? Wie blamabel! Aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Ich sage mir, du bist erwachsen, so was passiert hier bestimmt nicht zum ersten Mal, die Welt geht nicht davon unter. Trotzdem glühen meine Wangen, mein Körper verkrampft sich, ich traue mich kaum noch zu atmen. Ob es auffällt, wenn ich mich in dem hinteren Raum hinter den Gymnastikbällen verstecke? Zum ersten Mal nach langer Zeit kann ich nachvollziehen, was Menschen davon abhält, ihre (sportliche) Komfortzone zu verlassen. Oder auch nur, sie ein kleines bisschen zu erweitern. Beim Pilates fühlte ich mich doppelt blöd, weil die Gruppe ein ähnliches Level hatte, das ist beim Kampfsport anders, da üben Anfänger selbstverständlich mit Fortgeschrittenen. Sechzig Minuten lang bestand ich jedoch nur aus Scham und Frustration. Es war ätzend, negativ aufzufallen, und es hat mich genervt, dass ich die Übungen nicht mal ansatzweise konnte (auch wenn sie meiner Muskulatur gutgetan haben). Spaß gemacht hat das alles nicht. Gar nicht! Ich kenne ein paar Disziplinierte, die wegen des Aussehens oder der Fitness trotzdem dranbleiben, ohne Freude, aber über diese Disziplin verfüge ich nicht mehr.

Am Ende, zur Entspannung, kommt Katze-Kuh im Vierfüßlerstand. Wir dehnen den Rücken rund nach oben und dann nach unten, im Hohlkreuz. Babyeierleicht, wirklich. Aber das hilft auch nichts mehr.

Ein bisschen Spaß muss sein

Zu meiner Erleichterungkann ich am nächsten Tag mit Tina darüber lachen. Auch erzähle ich alles haarklein einem Kollegen, der eine ähnliche Situation zum Besten gibt. Ich entdecke später sogar eine entsprechende Parodie von Celeste Barber auf Instagram (»Control and discipline isn’t for everyone. SOUND ON«), ihr Gesichtsausdruck bringt mich noch mehr zum Lachen.Für die Buchung der nächsten Kurse im Fitnessstudio wird mir diese Erfahrung aber eine Lehre sein! Ich melde mich für Mobility & Stretch an: Das Training ist langsamer, ruhiger, mehr Stretching und weniger 3-D. Der perfekte Kurs für (Wieder-)Einsteigerinnen, egal, wie fit frau ist, egal, wie rund, egal, welches Alter! Kein Schwitzen, kein Laufen, nur dynamisches Dehnen. Doppelt angenehm für alle, die im Sitzen vor dem Rechner arbeiten. Ich fühle mich danach wie nach einer wohltuenden Massage!

Aber in Bezug auf unterschiedliche Sportarten wird mir erneut klar, dass ich die mag, die eine Art Animation haben, wie Reiten, Tanzen oder Kampfsport. Ich brauche auch unbedingt Musik, die mich mitzieht, und eine motivierende Gruppe. Auch hilft es, wenn die Optik weniger im Zentrum steht. Beim Ju-Jutsu (trainiert wird in einer weiten Stoffjacke plus passender Hose, im Gi) fällt mein Übergewicht weniger auf, nicht nur wegen der Kleidung, sondern auch, weil hier mehr Männer trainieren. Wahrscheinlich kann ich die Blamage beim Pilates-Kurs am Ende als amüsante Anekdote abspeichern, weil ich beim Sport schon häufig erlebt habe, dass das Dranbleiben mindestens ebenso wichtig ist wie das Talent. In den Jahren, in denen ich wegen Depressionen oft in einer Klinik war, musste ich regelmäßig mit dem Joggen wieder bei null anfangen. Am Anfang hechelte ich nach 15 Minuten wie ein Bluthund und hatte Seitenstiche. Mit einem Mix aus drei Minuten Gehen und drei Minuten Laufen erreichte ich mühsam eine halbe Stunde. Was soll ich sagen? Es ist entmutigend, die fehlende Kondition auszuhalten! Der mangelnden Fitness ehrlich ins Auge zu sehen: Ich kann nur eine Viertelstunde joggen? Das ist ja schrecklich! Ich hatte mich fitter in Erinnerung, doch die Jugend war da eben auch schon zwanzig Jahre her.

Bei realistischen Zielen aber zahlt sich das Durchhalten aus. Das Projekt »Ich will mich mehr bewegen« ist ein Marathon, kein Sprint. Um nicht sofort frustriert aufzugeben, muss der Einstieg langsam und motivierend sein! Denn Sport lohnt sich – in jedem Alter! Für die Eßlinger Zeitung schrieb ich einen Artikel über Ältere, die trainieren, und las dafür entzückt das Buch Reife Leistung. Mit Sport dem Alter trotzen. Inspirierende Geschichten von Menschen über 70 von Christoph Köln. Die Zahl der Pensionärinnen, die klettern, schwimmen oder Tai-Chi machen, nimmt zu. Es gibt Weltmeisterschaften für Master Athleten: beim Triathlon, Squash oder Skispringen. Doch wer sich nicht für Leibesübungen begeistern kann, fragt sich, was Ältere motiviert. Warum segeln die einen mit 78 durch die Biskaya, während anderen mit 45 beim Walking die Puste ausgeht? Haben sie genetisch Glück gehabt?

»Nein«, sagt Professor Helmut Frohnhofen entschieden. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie, Schlafmedizin, Intensiv- und Palliativmedizin. »Zwar verlieren wir schon mit dreißig jedes Jahr an Leistungsfähigkeit. Aber nur rund ein Drittel der Gesundheit im Alter wird von den Genen bestimmt! Zu weiteren 30 Prozent beeinflussen Krankheiten die späten Jahre, und zu 30 bis 40 Prozent hat man es selbst in der Hand.« Nämlich durch den Lebensstil. Dieser setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen: Fast Food oder selbst gekochtes Essen? Wie ist der Schlaf? Wie hoch ist der emotionale Stress? Wie viele Zigaretten am Tag? Welche Mengen an Alkohol trinkt jemand? Über- oder Untergewicht? Muss man jemanden pflegen? Eine Scheidung oder einen Todesfall verkraften? Wie stabil sind Familie, Freundinnen? Und: Wie oft bewegt frau sich?

»Bewegung ist Leben, eine biologische Notwendigkeit, und das Alter an sich ist keine Krankheit!«, sagt Helmut Frohnhofen. »Mit zunehmenden Lebensjahren gibt es natürlich einen Verschleiß der Gelenke, die Stärke der Knochen lässt nach und Ähnliches. Aber auch Neunzigjährige können durch Sport ihre Blutwerte noch verbessern.« Genauso wie die Muskelkraft, die Ausdauer oder die Fähigkeit, etwas zu heben oder zu greifen.

Aber die Vergangenheit sagt: Du bist zu dick!

Mich motiviert das – Janine Berg-Peer, eine befreundete Soziologin und Autorin, überhaupt nicht. Auch für ihr gleichsam lustiges wie informatives Buch Wer früher plant, ist nicht gleich tot. Meine Vorbereitung auf ein entspanntes Leben im Alter hat sie keinen Sport getrieben. Als sie mir erzählt, warum sie Training hasst, ist das für mich ein Schlüsselmoment: Ihre Erfahrungen stehen beispielhaft für die sehr vieler Frauen. »Als ich in die Pubertät kam, begannen meine Eltern mich darauf hinzuweisen, dass ich zu dick sei. Ich solle weniger essen und mehr Sport machen. Ich war nicht graziös, das sah ich an den kritischen Blicken meiner Mutter. Es führte dazu, dass ich mich ständig schämte. Im Sportunterricht erlebte ich den Klassiker: Beim Völkerball war ich die Letzte, die in eine Mannschaft gerufen wurde. Wenn ich es nicht aufs Pferd schaffte, sagte die Sportlehrerin, ich solle weniger essen und mir Mühe geben, dann käme ich bestimmt leichter auf das Gerät. Das Lachen der Mitschülerinnen war ihr sicher. Im Biologieunterricht wurde bei der Besprechung des Karpfens kichernd auf mich hingewiesen: Die Speckschicht, da kennt Janine sich aus. Das Merkwürdige ist, dass ich auf Fotos aus der Schulzeit gar nicht dick bin. Vielleicht etwas kräftig, aber keinesfalls dick.«

Wieso, weshalb, warum?

Den Ursachen für diesen Widerspruch, der bittere Folgen für das weibliche Geschlecht hat, über die Scham hinaus, will ich auf den Grund gehen. Warum werden normalgewichtige Kinder bereits von den Eltern und normalgewichtige Erwachsene auch von Menschen in Gesundheitsberufen stigmatisiert? Das (falsche) Urteil »zu dick« beeinflusst das gesamte Dasein. Auch ich ging zum Bauch-Beine-Po-Kurs, um dünner zu werden. Zum Glück hat mir Sport aber auch immer Spaß gemacht. In den Klinik-Jahren schaffte ich beim Joggen, nach Monaten des Dranbleibens, immerhin anderthalb Stunden am Stück. Ich federte nicht im Stil der knackigen Rettungsschwimmerinnen aus Baywatch dahin. Sondern trabte langsam und in Pluderhosen durch den Wald. Aber: anderthalb Stunden am Stück.

Kurz nach dem Pilates-Kurs musste ich zum Orthopäden, für die Wartezeit nahm ich mir das Fachbuch Sport & Gender mit. Der Inhalt ist ernüchternd, erschreckend. Ich las: »Weitere Bedenken gegen das Mädchenturnen waren Beeinträchtigungen von Schönheit und Anmut, z.B. durch sichtbare Muskeln, sowie sittliche Gefährdungen, wie sie z.B. bei der Beteiligung an Turnfesten vermutet wurden. Schließlich war auch die Meinung verbreitet, dass das Turnen Emanzipierte, Amazonen und Mannweiber heranbilden würde.«2 Ja, das ist (schon) hundert Jahre her. Einerseits. Aber in Relation zum Patriarchat, welches seit Jahrtausenden besteht, sind andererseits hundert Jahre keine lange Zeit. Beliebt sind Ballerina, Babydoll, Brigitte Bardot. Bin ich alles nicht. Bin ich stattdessen eine Emanze, eine Amazone, ein Mannweib? Im Loft habe ich mich nicht nur geärgert, dass ich die Übungen nicht konnte. Sondern genauso, dass ich nicht hübsch aussah. Ich stehe aber nicht im Rampenlicht, sondern bin, bestenfalls, ein Durchschnittsmensch. Wenn ich mich als Dicke beschämt als »abweichend von der Norm« wahrnehme, wie fühlen sich dann Menschen mit Behinderung? Oder mit einer nicht weißen Hautfarbe? Intersexuelle? Frauen ohne Brüste, als Folge von Krebs? Alte? Frauen mit Kopftuch? Menschen mit Feuermalen, Narben oder Schuppenflechte?

Oft lese ich, dass Adipöse unbedingt Sport machen sollen. Doch es gehört Mut dazu, sich in seinem Anderssein zu zeigen. Ich frage mich, ob die Gesellschaft erwartet, dass sich Mehrgewichtige (genauso wie Behinderte oder Hochbetagte) beim Sport nur in für sie geschaffenen Kursen bewegen. Manche sehen es andersherum und sagen, dass es für Adipöse nicht ausreichend geschützte Räume gibt. Es erinnert mich an die Debatten pro und kontra »Sonderschulen«. In mir entstehen Gedanken, die ich früher nicht kannte. Ob Breitensport inklusiv ist. Ob Bewegung einfach Freude machen darf oder ob es in unserer kapitalistischen, individualisierten Gesellschaft rein um Fitness und Leistung geht, gerade bei den Körpern. Sortiert das Sportangebot Menschen in High und Low Performer, ohne damit die Athletik zu meinen?

Der gleichermaßen komische wie hintergründige Film Freibad von Doris Dörrie wirft dazu interessante Fragen auf. Sind Burkinis Fortschritt oder Rückschritt? Braucht es genderneutrale Umkleiden? Trifft es Kinder, Frauen, Migrantinnen und Menschen, die nicht genügend Geld für einen Urlaub haben, am meisten, wenn durch steigende Energiekosten und fehlendes Personal Schwimmbäder geschlossen werden? Zum Thema »Konkurrenz unter Frauen« vertritt die Regisseurin eine klare Haltung: »Es gibt einen einfachen Grund dafür: Frauen wurden und werden für den Markt abgerichtet und zubereitet. Und den Markt bestimmt weiterhin das Patriarchat. Sie müssen nur Frauenzeitschriften aufschlagen, Modeschauen in Mailand besuchen, die Algorithmen von Instagram untersuchen, die Annoncen von Schönheitschirurgen recherchieren.«3

Wenn ich im Sommer das Freibad in meinem Viertel besuche, sehe ich weit mehr Menschen mit Schwarzer Hautfarbe als sonst in meinem Alltag, obwohl es dasselbe Stadtviertel ist. Warum? Keine Ahnung. Im (recht günstigen) Freibad in Hittfeld, etwa 30 Kilometer südlich von Hamburg, reagiere ich erst genervt auf die Masse an tobenden, kreischenden Jugendlichen (Hallo! Ich will in Ruhe meine Zeitung lesen! Mist, offenbar werde ich ein alter Grantler). Bis ich Artikel lese, die fragen, welcher öffentliche Raum Teenager im Sommer angeboten wird, wenn deren Eltern kein Geld für einen eigenen Pool im Garten haben. Wenn ich afrikanische oder indische Wurzeln hätte, 75 Jahre alt wäre oder einfach unsportlich und dick, mich aber trotzdem bewegen oder eben im Sommer schwimmen möchte – wo wäre ich willkommen? Oder, noch besser, normal?

In diesem Jahr nehme ich überall meine nach Akzeptanz fragende Brille mit. Wer nimmt am Pilates im Loft in Hamburg-Eimsbüttel teil? Klingt schick, ist schick. Passe ich nicht in den Kurs oder in den Stadtteil? Oder interpretiere ich da zu viel hinein? Bisher habe ich dort in der Dusche erstaunlich unterschiedliche Frauen gesehen. Wie wird mein Resümee in einem Jahr ausfallen? Stimmt es, dass die Elite in Premium-Fitnessstudios unter sich bleiben möchte, was sich über Aufnahmegebühr und Mitgliedsbeitrag regeln lässt? Im Kampfsport-Verein ist der Beitrag eher gering. Hier trainieren alle, Kinder, aber auch Hochbetagte. Trotzdem sind die meisten weiß. Nur wenige sind Geisteswissenschaftler. Oder BIPoC. Zufall? Wieso, weshalb, warumtrainiert wer wo?

Es ist mir klar, dass ich mich nur begrenzt von den Normen meiner Kultur frei machen kann. Aber jede Reflexion führt zu neuen Fragen. In welchem Maße in Wahrheit andere entscheiden, ob ich mich in meiner Haut wohlfühle. Beim Training, beim Klamottenkauf, beim Tanz in den Mai. Im Supermarkt, in der Umkleide, im Wartezimmer, im Bus, im Flugzeug. Wo darf ich sein? Und: Sind diese Fragen relevant, oder handelt es sich hierbei um Luxusprobleme?

Äußere Normen, die eine weiße, deutsche Frau beklagt, die anderen Frauen gegenüber sehr privilegiert lebt in der viertgrößten Wirtschaftsnation der Welt. Oder stimmt der Grundsatz der Frauenbewegung aus den Siebzigern (noch): Das Private ist politisch? Egal, ob divers oder pervers?

Mein Selbstbewusstsein ziehe ich aus dem, was mich ausmacht, zum Beispiel Schreiben, Sport, das Interesse für Skandinavien, Filme und Literatur. Und ob ich gemocht und respektiert werde. Gleichzeitig erlebe ich seit Jahren keinen Tag ohne Schuldgefühle. Das Übergewicht empfinde ich als meine Schuld, dass ich keinen Partner habe, keine Karriere, wenig Geld und selten passende Klamotten. Und, ja, selbstverständlich (!) habe ich daran einen Anteil! Natürlich werde ich nicht nur von der Umwelt bestimmt! Aber wie groß ist meine Verantwortung? Und mein Gestaltungsvermögen? Wann renne ich ergebnislos mit dem Kopf gegen die Wand?

Je mehr ich darüber lese, desto mehr bestätigt sich mein Verdacht, dass der gesellschaftspolitische Einfluss, ob Frauen, LGBTQIA+4, Menschen mit Behinderung, Alte, Schwache, Arme oder BIPoC sich schämen, riesig ist. Wer zieht sich ins Private zurück und meidet durch äußeren Druck öffentliche Räume? Alle, polemisch ausgedrückt, die weder FDP