Alles ist schwer, bevor es leicht wird - Marc Gassert - E-Book

Alles ist schwer, bevor es leicht wird E-Book

Marc Gassert

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  • Herausgeber: Ariston
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Das Tao der Disziplin

Innere Stärke, Willenskraft und atemberaubende Körperbeherrschung – das sind die Fähigkeiten, für die die Mönche des Shaolin-Klosters weltweit bewundert werden. Marc Gassert konnte diese Tugenden während seines mehrjährigen Aufenthalts in Asien bei verschiedenen Großmeistern regelrecht aufsaugen. Er zeigt: Wir alle können unser mentales Potential wie die Shaolin entfalten, um in unserem Leben das umzusetzen, was wir uns vornehmen!

»Nicht das Anfangen wird belohnt, sondern das Durchhalten!« Mit dieser Lebenseinstellung motiviert Marc Gassert die zahlreichen Zuhörer in seinen Vorträgen und Seminaren zu mehr Selbstdisziplin und Willenskraft. Mit seinem unverstellten Blick auf die asiatische Tradition beweist er, dass Disziplin eine kraftvolle Tugend ist, mit der wir unsere Ziele, beruflich wie privat, erreichen. Inspirierende fernöstliche Weisheit – voller Enthusiasmus, Klarheit und Effizienz für unseren Alltag übersetzt!

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Seitenzahl: 314

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Marc Gassert

Alles ist schwer

bevor es leicht wird

Mit dem Wissen der Shaolin zu mehr Disziplin und Willenskraft

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2013 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München

unter Verwendung eines Motivs von Kay Blaschke

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-10816-8V002

Inhalt

Das Geheimnis der Selbstdisziplin

Von dem der auszog, das Kämpfen zu lernen

Einleitung: Die Reise beginnt

1. Der Weg zur Disziplin

Disziplin ist der Kampf mit mir selbst

Am Anfang fing ich Fliegen

Das Dasein als Meister

Der beste Kampf

2. Die Shaolin – Meister der Disziplin

Eine kurze Geschichte der Shaolin

Wǔ Dé – Die zwölf Tugenden der Shaolin

Der chinesische Drache ist erwacht

3. Die Macht des Willens

Der legendäre Kieselstein-Bruchtest

Mentales Training: Visualisieren

Die fünf Bereiche der Selbstkontrolle

4. Der Verlust von Willenskraft

Wie acht »Maulwürfe« Ihre Willenskraft aushöhlen

Ergänzungen des Gelben Kaisers

Der Alltag im Kloster

5. Kampf der Trägheit, Sieg des Willens

Die Schätze der Shaolin: Toolbox mit 20 Werkzeugen

Die Erkenntnisse des Berg-See-Wechsels

6. Balance – ruhende Drachen und fleißige Bienchen

Entschleunigen Sie!

Zen-Meditation: Das Geheimnis des Sitzens

Die Natur des Qigong

Nahrung nährt Willenskraft

Die Macht von Yin und Yang

Wollen Sie jetzt!

Mein Zehn-Punkte-Plan

7. Danksagung

8. Quellen- und Literaturverzeichnis

Dies ist ein Buch für alle, die wirklich tun wollen, was sie sich vorgenommen haben.

Gewidmet allen Meistern der Kampfkunst, allen voran

meinem Sifu Baklayan.

Das Geheimnis der Selbstdisziplin

»Meister, was ist Selbstdisziplin?« Ich blicke in gutmütige, mandelförmige Augen, die in einem Moment Erstaunen ausdrücken, im nächsten Augenblick voller Kraft und Ausdrucksstärke auf mir ruhen. Der Meister nimmt sich alle Zeit für eine Antwort. Dann greift seine Hand zum Bambuspinsel und führt diesen in die Tusche. Die andere Hand umfasst den Ärmel, damit dieser nicht durch die Farbe streift. Jede Bewegung des Meisters ist voller Anmut und Perfektion. In genau gemessenen Strichen entstehen auf dem Reispapier zwischen uns Schriftzeichen, ein Kunstwerk. Der Pinsel gleitet erst langsam, dann schnell, zaghaft und wild. Die Tusche bildet kleine Pfützen an genau den richtigen Stellen. Erst als der Pinsel wieder auf dem Block ruht, beuge ich mich vor, um auf das Blatt zu blicken. Ich sehe nicht das, was ich erwartet habe. Ich schaue auf das Blatt. Das erste Zeichen muss wohl Selbst bedeuten. Das zweite Zeichen ist das, das man allgemein für Kontrolle verwendet, und das dritte ist ganz eindeutig Herz. Meine Augen blicken ratlos. Dann spricht der Meister: »Ihr nennt es Selbstdisziplin, für uns ist es Moral.«

Von dem, der auszog, das Kämpfen zu lernen

Der Herrscher des Vorgartens

Was bringt einen Jungen deutscher Eltern mit bayrischen Wurzeln und blonden Haaren dazu, sich den Shaolin zuzuwenden? Unsicherheit. Aus für mich mysteriösen, beängstigenden und als Kind nicht nachvollziehbaren Gründen musste meine Familie ständig umziehen. Wechselnde neue Umgebungen, neue Häuser, meistens mit Sicherheitsvorkehrungen, aber glücklicherweise immer mit großem Garten. Ein unbestimmtes Gefühl von Gefahr lag ständig in der Luft. Die besorgten Augen meiner Mutter, die Herren mit den Sonnenbrillen, die Pistole in der Schublade …

All das gab es, weil mein Vater im Auftrag Deutschlands für Interpol arbeitete, also in meinen Augen so eine Art Polizist war. Meine Freunde von der deutschen Schule in Rom sagten, mein Vater sei ein Mafiajäger, und ich fand, das klang gut.

Während ich, stets ein wenig zu behütet, zum Herrscher unseres Vorgartens heranwuchs, fand vor unserem Gartentor das echte Leben statt. Und ich bekam davon nichts mit. Das änderte sich, als ich mein erstes Fahrrad bekam und wir aus der Via Ardeatina im Zentrum Roms an den Stadtrand, näher ans Meer zogen. Von dort aus konnte ich nun mit meinem kleinen Bonanza-BMX in die große Welt vorstoßen.

Ich durfte jeden Morgen die Brötchen holen, beim Fornaio, dem Bäcker. Es war berauschend, für das ganze Frühstück verantwortlich zu sein, die Bäckerei zu stürmen und wie ein siegreicher Imperator auf dem Streitwagen mit Stützrädern die Panini stolz am Lenker nach Hause zu fahren.

Als weißblonder Wuschelkopf war ich Attraktion und Außenseiter zugleich. »Biondo, Biondo, Biondino!«, riefen die Männer und Frauen und befühlten, sofern in Reichweite, die Qualität und Echtheit meines Haupthaares.

Schlimm war der erste Tag im Kindergarten, als alle Kinder mich auslachten, an meinen Haaren zogen und mich wie einen Aussätzigen behandelten. Klar war ich anders. Aussehen, Denken, Handeln, alles anders und zu deutsch. Vielleicht haben die Kinder auch nur das nachgeplappert, was die Eltern hinter vorgehaltener Hand geflüstert haben. Wie auch immer – es tat weh!

Als ich nach einem weiteren Umzug von meinen neuen Spielgefährten mit »Heil Hitler!« begrüßt wurde, war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Ich weiß nur noch, dass ich unter Tränen gestammelt habe: »Aber Mussolini war doch auch blöde.« Das hatte ich nämlich meinen Eltern nachgeplappert. Ach, wie gerne wollte ich ein schwarzhaariger, braun gebrannter Römer sein, akzeptiert werden und dazugehören.

Mein Vater schien von allen stets respektiert zu werden, obwohl er ein in meinen Ohren fürchterlich klingendes Bayrisch-Italienisch sprach. Wahrscheinlich war er so beliebt, weil er extra nach Italien gekommen war, um den Italienern zu helfen? Oder war es so, weil er eine Schusswaffe besaß?

Bei nächster Gelegenheit versuchte ich, mit meinem Vater anzugeben: »Hey, mein Vater hat fei eine echte Pistole in der Schublade«, prahlte ich. Die Reaktion der anderen Kinder war entwaffnend: »Na und? Meiner auch.«

Auf dem Bolzplatz konnte ich zumindest zeigen, dass ein Deutscher fair spielt, für sein Team durch dick und dünn geht, fleißig ist und tugendhaft. Fußball sollte aber nicht mein Weg werden, denn bald sollten wir Rom verlassen. Mein Vater musste nach Guatemala umsiedeln und schickte mich mit meiner Mutter nach Deutschland. Ich war damals gerade sieben Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr. Die Anweisung an meine Mutter hatte ich mitbekommen. Es ging um meine Ausbildung: »A bayrisches Abitur und a Studium seiner Wahl, dann derf er machen, was er wui.« Die Anweisung an mich war schrecklich: »Und du passt auf’d Mama auf, gell!«

Was guckst du?

Und auf einmal war die Welt nicht mehr heil. Ich saß in einem grauen, kalten, unfreundlichen Deutschland, schrecklich einsam, ohne meinen Vater. Nun waren meine Mutter und ich nur noch zu zweit. Kein Haus mit Garten, kein Zaun, keine Kameras. Die Kätzchen der Nachbarn waren das einzig Herzerwärmende in einem Viertel, in dem die Menschen genauso wenig Deutsch sprechen wollten wie ich. In diesem Viertel war ich schon wieder Außenseiter.

Dieses Mal gab es allerdings kein Wuscheln durch die blonden Haare, dieses Mal gab es Stress. Angst auf dem Schulweg, Angst auf dem Schulhof, Angst vor der Angst. Auf einmal standen sie vor mir, zwei Jungs mit Flaum über der Oberlippe, buschigen Augenbrauen und bösartigem Funkeln in den schwarzen Augen. Sie versperrten mir den Weg und bauten sich vor mir auf. Hilfe suchend sah ich mich um, niemand da, allein im Englischen Garten, direkt am Eisbach, mitten im Winter.

Und nun kam er, der Satz: »Was guckst du?«

Ich war auf diese Frage nicht vorbereitet. Gab es eine logische Antwort? Etwas, das die Jungs veranlassen würde, ihres Weges zu ziehen? Ich hatte beide angeschaut – klar, das macht man doch so, und vielleicht war die Frage »Was guckst du?« gar nicht so unberechtigt. Wirklich uncool und vielleicht sogar wirklich dumm war meine vor Angst erstickte, hilflose Antwort: »Gar nichts.« Da war er, der unvermeidliche Konflikt: »Warum schaust du uns an? Willst du Probleme?« Irgendwie war mir klar, dass es nicht um Worte gehen würde. Egal was ich sagte, es würde falsch sein. Und tatsächlich bekam ich nach einigen Sekunden die erste Ohrfeige. Es tat gar nicht weh, aber Schreck, Angst und Demütigung standen mir so offensichtlich ins Gesicht geschrieben, dass die beiden vor Genugtuung über Ihren erfolgreichen Umgang mit mir grienten.

»Jetzt leg dich in den Fluss, ganz konkret auf dem Bauch!«, forderte der Kleinere der beiden.

Das war zu viel. Ich riss mich los, sprang durch das eiskalte Wasser und rannte, wie ich damals glaubte, um mein Leben.

An diesem Tag beschloss ich zu lernen, wie man sich verteidigt. Nie wieder wehrlos sein, nie wieder Kontrolle über die Situation verlieren und am allerwichtigsten: nie wieder die Kontrolle über mich selbst verlieren! Mein ganzes Leben war ich zu behütet aufgewachsen, abgeschirmt von der Welt, ohne ausreichendes Wissen über die Geschehnisse um mich herum. Allgegenwärtige Gefahr blieb für mich spürbar. Nun also wollte ich mich der Welt stellen und suchte nach einem Weg. Im Fernsehen hatte ich neben »Karate Kid« einige Eastern gesehen. Bruce Lee und andere Heroen der Kampfkünste schienen mir als Vorbilder geeignet, machten diese doch mit sämtlichen Gaunern und Ganoven kurzen Prozess.

Kurze Zeit später fand ich den Einstieg in die Welt der Kampfkünste. Ich war der, der auszog, um das Kämpfen zu lernen. Und was ich fand, war der Weg zur Selbstdisziplin. Tatsächlich war es die Disziplin, die mit dem täglichen Training in mein Leben kam, die begann, mich zu verändern. Ich »vergaß« das Zähneputzen nicht mehr, richtete nach dem Aufstehen den Frühstückstisch. Und was meine Mutter am meisten freute: Meine schulischen Leistungen steigerten sich mit einem Schlag enorm. Dabei musste ich meiner Mutter mein Kampftraining verheimlichen. Sie versuchte, mich stets von einer Welt der Aggression fernzuhalten, und hätte nicht verstanden, dass die Kampfkunst keinen Schläger aus mir machen würde. Für meine Mutter war Kampf ein Zeichen von geistiger und seelischer Armut, geeignet für primitive Menschen von geringer sozialer Kompetenz. Für mich war es der entscheidende Schritt in mein eigenes Leben. Die Erkenntnis über die Notwendigkeit der Selbstverantwortung.

Einleitung: Die Reise beginnt

Nun beginnt unsere Reise zur Disziplin. Und sie geht mit vielen Fragen einher:

Warum kämpfen wir überhaupt mit dem Thema Disziplin?

Ist Disziplin eine Frage des Charakters?

Ist Disziplin eine Frage der Erziehung?

Kann man Disziplin lernen?

Ist es vielleicht schon zu spät?

Was erschöpft unsere Willenskraft, die die Basis der Disziplin ist?

Auf dem Weg zu den Antworten führt meine Geschichte zu verschiedenen Kampfkünsten und erzählt von unterschiedlichen Meistern. Sie berichtet von der Wiege der Kampfkunst, den Shaolin. Dabei gebe ich nicht allen Meistern einen Namen, sondern skizziere die Dialoge. Mein Anliegen ist es, damit eine universale Weisheit zu transportieren und das Geheimnis der Selbstdisziplin zu lüften.

Damit Sie mit den asiatischen Prinzipien vertraut werden, muss ich Ihnen den einen oder anderen Begriff aus dem Chinesischen, Japanischen oder Koreanischen erklären. Da alle Kampfkünste den gleichen Ursprung haben, erscheint es mir gerechtfertigt, Erkenntnisse aus Taekwondo und Karate dem Wissen der Shaolin zuzuführen. Dabei geht es mir nicht um die Unterschiede in den Kampftechniken, sondern um die grundlegende innere Haltung zur Kampfkunst und den Bezug zur Selbstdisziplin.

Zu Beginn des Buches geht es darum, die Grundlagen für die »Schätze der Shaolin« zu schaffen.

Anschließend wenden wir uns der »Kiste der Werkzeuge« zu, um intensiv und nachhaltig am Thema Disziplin und Willenskraft zu arbeiten. Es geht sowohl um Disziplin aus unserer Perspektive als Europäer als auch um meine persönlichen Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten mit verschiedenen Kampfkunstmeistern – übersetzt in eine für uns Westler verständliche Sprache.

Ich möchte Sie mit diesem Buch auch dazu einladen, alles kritisch zu hinterfragen, was ich schreibe. Denn: Widersprüche sind das Salz in der Suppe und machen den Text erst lebendig.

Es geht mir auch um die Balance von Disziplin und Nichtdisziplin. Den Swing. Jede Tugend, auch die Disziplin, gerät zur Untugend, wenn sie zu einseitig gelebt wird. Diese Erkenntnis ist schwer verdaulich, aber wahr. Übertriebene Disziplin macht uns zwanghaft, kalt und traurig. Wir verlieren Herzenswärme, Empathie und Lebenslust. Gleichzeitig stürzt uns ein Mangel an Disziplin ins Chaos. Wir beschäftigen uns also unter anderem mit der angenehmen Kunst des Erholens. Wie lade ich den Akku wieder auf? Und wie begegne ich dieser verrückten Welt ein wenig gelassener? Ein gelassener Mensch ist für seine Umwelt wesentlich erträglicher als einer, der ständig mit der Welt abrechnet.

Gegen Ende des Buches verrate ich Ihnen einen Geheimtipp, sozusagen das »ultimative Rezept« für mehr Disziplin und Willenskraft. Wenn Sie also bis zum Ende durchhalten, dann haben Sie sich die Belohnung wirklich verdient. Übrigens: Der Geheimtipp steht nicht auf der letzten Seite, falls Sie jetzt nach hinten blättern wollten!

Zum tieferen Verständnis möchte ich auch über die Schattenseiten der Shaolin sprechen, über den Verlust von Kultur, über militärischen Drill und über den Preis, den man für ein Höchstmaß an Disziplin zu zahlen hat. Letztlich ist nicht alles Gold, was glänzt, und jede Medaille hat zwei Seiten.

Alles in allem möchte ich Ihnen praktische Hilfen an die Hand geben, damit Sie nach Lust, Laune, Können und Vermögen an der Entwicklung und Entfaltung Ihrer eigenen Selbstdisziplin arbeiten können. Dieses Buch soll auch auf einem vergnüglichen Weg zum Ziel führen. Ich möchte Sie anregen, einen Weg zu wählen, der auf Lebensfreude und auf der Verpflichtung sich selbst gegenüber beruht. Wenn Sie sich Ihr eigenes Wohlergehen zu Herzen nehmen, müssen Sie jeden Tag daran arbeiten. Sie sind also bereits während des Lesens auf dem Weg, Ihr eigener Kung-Fu-Meister zu werden.

Also frisch ans Werk und bleiben Sie dran!

shī fu lǐng jìn mén, xiū xíng zài gè rén

Der Lehrer öffnet die Tür. Man tritt selbst hindurch.

Der Weg zur Disziplin

Im Kloster der Shaolin in China habe ich folgenden Satz gelernt: »Der Fleißige schlägt stets den Talentierten.«

Eine Entsprechung in unserem Kulturkreis finden wir in Äsops wunderbarer Fabel vom Wettlauf zwischen Hase und Schildkröte. Sie kennen die Geschichte? Der talentierte Hase springt im Wettlauf los, er glaubt sich seines Sieges sicher und gönnt sich sodann auf halber Strecke ein Nickerchen. Er verschläft und wacht erst auf, als die untalentierte Schildkröte ihn nicht nur überholt hat, sondern bereits im Ziel ist.

In Japan lautet ein Sprichwort:

才子才に倒れる

saishi sai ni taoreru

Der Talentierte verliert aufgrund seines Talents.

Wenn wir die Augen öffnen, sehen wir den Beweis für dieses Sprichwort täglich in unserem Umfeld. Fleiß lohnt sich immer, vor allem langfristig.

Die Menschen in unserer Gesellschaft sind geschwächt durch den Mangel an Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Durchhaltevermögen und zielgerichteter Selbststeuerung. Es fehlt ihnen an Selbstdisziplin und Ausdauer.

Zugegeben, das Wort »Disziplin« schreckt viele Menschen ab, klingt es doch nach Härte, preußischem Drill, Gehorsam, Zwang und Strafen. Das ist – mit Verlaub gesagt – Humbug! Disziplin ist etwas Erstrebenswertes, Großartiges, vielleicht die wichtigste Tugend im Leben. Disziplin hilft Ihnen, Ihre Ziele zu erreichen, sei es privat oder beruflich, und zwar mit dauerhaftem Erfolg. Die schönste Definition liefert der Duden: »Disziplin ist das Beherrschen des eigenen Willens, der eigenen Gefühle und Neigungen, um etwas zu erreichen.«1

Wenn ich mein Leben betrachte, stelle ich fest, dass ich in vielen Lebensbereichen äußerst diszipliniert sein kann, während ich in anderen weit hinter meinen Ansprüchen agiere und folglich zurückbleibe.

Es lohnt sich, besonders diese defizitären Bereiche genauer zu betrachten. Warum fällt es mir so schwer, Strafzettel zu überweisen, behördliche Schreiben zu öffnen oder Päckchen zur Post zu bringen? Wohingegen es mir wie ein Kinderspiel vorkommt, jeden Morgen um 5.30 Uhr aufzustehen und konsequent meinen Morgenlauf zurückzulegen, ganz egal wie die Witterung ist. Für die defizitären Bereiche habe ich in der Wiege der Kampfkünste nach »Rezepten« gesucht, nach einer Toolbox, nach Tricks und Werkzeugen, die mir den täglichen Kampf mit mir selbst erleichtern. Wo sonst, wenn nicht bei den Shaolin, würde ich das Geheimnis sagenumwobener Selbstdisziplin erlernen können? Wer bei den Shaolin lernt, so glaubte ich, der würde selbst mit dem stärksten Gegner fertigwerden. Und eines ist klar: Der härteste Gegner ist man selbst.

Was für mich funktioniert hat, das verrate ich auf den folgenden Seiten. Ich erkläre Ihnen, wie Sie Selbstdisziplin erlernen können und dadurch endlich in die Lage versetzt werden, die Dinge zu erledigen, die Sie tun wollen und müssen. Ich zeige Ihnen auch, wie Sie ausdauernd arbeiten und konzentriert bei der Sache bleiben können. Es geht dabei um die Disziplin, die nicht von außen gefordert und kontrolliert wird, sondern um das Disziplinieren des eigenen Denkens und Handelns aus eigenem, freiem Willen heraus.

Sie dürfen sich auf die Schatzkiste in diesem Buch freuen, mit – wie der Name schon sagt – Schätzen, Werkzeugen, Rezepten und Gedächtnisstützen, mit denen jeder etwas anfangen kann, sobald er deren Funktionsweise erkannt und geübt hat.

Die von mir sorgfältig ausgewählten Werkzeuge stammen hauptsächlich aus dem Gedankengut des asiatischen Kulturkreises und ich ergänze sie in diesem Buch durch Erkenntnisse der westlichen Wissenschaften und durch praktische Übungen. So erhalten Sie ein kompaktes Einmaleins an Wissen und Anregungen, um zu mehr Disziplin und Willenskraft zu gelangen.

Nun fragen Sie sich vielleicht, ob Disziplin und Willenskraft nicht dasselbe sind? Willenskraft kann für jeden etwas anderes bedeuten. Der Duden formuliert kryptisch:

»Willenskraft ist die Fähigkeit eines Menschen zur Willensanspannung.«

Ich würde Willenskraft wie folgt beschreiben:

Willenskraft ist die für Disziplin benötigte Energie. Willenskraft wird genährt von Lebenskraft und Vitalkraft. Genau damit werden wir uns noch eingehender auseinandersetzen.

Disziplin ist der Kampf mit mir selbst

Sie benötigen zum Lesen dieses Buches keinerlei Vorkenntnisse in der Kampfkunst. Sie müssen nicht lernen, wie man mit Handkanten Ziegelsteine zerbricht, an der eigenen Kehle stählerne Speerspitzen verbiegt oder dem lästigen Zeitgenossen an der Bar den Hintern versohlen kann. Allerdings werden Sie kämpfen müssen. Mit allem, was Sie haben. Körper und Geist, List und Tücke, Gewalt und Glauben. Sie treten in den Ring, gegen einen Gegner, der mit allen Wassern gewaschen ist, der Ihnen ebenbürtig ist, der all Ihre Schwächen kennt und schonungslos ausnutzt. Ein übermächtiger Gegner. Sie stehen im Ring mit sich selbst! Es geht um jenen Teil in Ihnen, der bald sagen wird: »Das weiß ich doch alles schon – weg mit dem Buch!«

Was Sie vielleicht überraschen wird: Sie müssen in diesem Kampf nicht siegen. Wenn Sie es schaffen, Ihren Gegner zu einem Verbündeten zu machen, waren Sie bereits erfolgreich. Wie das funktioniert? Ganz einfach! Fragen Sie sich selbst, ob Sie wirklich dazu bereit sind, selbst Ihr eigener Sparringspartner zu sein. Ich verspreche Ihnen, wenn Ihre Antwort »Ja« lautet, haben Sie in sich selbst den besten Übungspartner Ihres Lebens gefunden!

Wie gesagt: Sie müssen keine Kampfkunst erlernen – es sei denn, Sie möchten das gerne.

Mich hat das traditionelle Taekwondo zu den Kampfkünsten gebracht und damit auch zur Disziplin. Schon bald stand ich mit mir selbst im Ring. Mein Training hatte sofort Auswirkungen auf alle meine Lebensbereiche. Heute bin ich geneigt zu sagen, dass mir das Training zu Selbstbewusstsein und Selbstachtung verholfen hat.

Ich traute mir immer mehr zu und stellte mich infolgedessen ständig neuen Herausforderungen.

Eine besondere Herausforderung war für mich, mein Studium der Kommunikationswissenschaften in Japan (Tokio) fortzusetzen. Dort habe ich gelernt, dass Disziplin viel mehr ist als das Durchhalten beim Sport oder das Erledigen einer ungeliebten Aufgabe. Ich entdeckte, dass Taekwondo in Japan verpönt ist, da es eine koreanische Kampfkunst ist. Ich entschied, meinen schwarzen Gürtel in Taekwondo an den Nagel zu hängen und mit Karate zu beginnen. Dies schenkte mir Zugang zur japanischen Kultur. Ich fühlte mich im Karate sehr schnell wohl und gewann tiefere Einblicke in die Natur der Kampfkunst, ihre Philosophie und ihren künstlerischen Aspekt.

Ich erlebte, dass Disziplin ein fester Bestandteil der japanischen Kultur und untrennbar mit japanischer Ethik und Moral verbunden ist. Wer das wirklich verstehen will, muss sich intensiv mit diesem Land befassen. In Japan habe ich gelernt, dass Kampfkunst auch ein Ausdruck von Lebensfreude sein kann, in dem es stets um das Miteinander, niemals um das Gegeneinander geht.

Nachdem ich mich tiefer mit diesen zwei Kampfkünsten, Taekwondo und Karate, beschäftigt hatte, erkannte ich, dass beide einen gemeinsamen Ursprung haben: die Shaolin-Kampfkunst. Es erschien mir daher logisch, den Weg zu dieser »Quelle« der Kampfkunst zu gehen und direkt von den Shaolin zu lernen.

So kam es, dass ich im Shaolin-Kloster im Herzen Chinas Shaolin Quan (nördliches Shaolin-Kung-Fu) lernte und trainierte. In Alan Baklayan fand ich meinen Sifu, einen Meister und Lehrer, eine väterliche Leitfigur. Er unterwies mich in einem der ältesten Stile des Shaolin-Kung-Fu: Hung Gar Kuen (südliches Shaolin-Kung-Fu). Er ist bis heute mein Sifu geblieben.

Alan Baklayan ist ein seriöser Meister. Seine Schüler nennen ihn »Meister« oder »Sifu« (im Mandarin wird das »Schryfu« gesprochen, auf Kantonesisch heißt es »Shifu«). Einen solchen Lehrer zu finden, ist unglaublich schwierig. Der seriöse Meister lässt eine tiefgründige persönliche Auseinandersetzung mit der Tradition erkennen, er behandelt die Angelegenheiten seines Lebens und der Schule auf sowohl pragmatische als auch spirituelle Weise. Jeder Schüler, der die Bekanntschaft eines solchen Meisters macht, kann sich glücklich schätzen. Von meinem Sifu lernte ich die wichtigsten Lektionen in Sachen Disziplin. Seither bedeutet Disziplin für mich in erster Linie, sich den Dingen, die das Leben mit sich bringt, zu stellen.

Kung Fu (man spricht es eigentlich Gong Fu aus) ist im traditionellen chinesischen Sprachgebrauch keine Bezeichnung für die Kampfkünste im Speziellen. Der Begriff »Kung Fu« ist durch den Action-Star Bruce Lee in die westliche Welt gekommen und hat sich fälschlicherweise als Oberbegriff für sämtliche, aus China stammenden Kampfkunststile durchgesetzt. Im eigentlichen Sinne bezeichnet Kung Fu jedwede Fertigkeit, die man sich durch harte Anstrengung erarbeitet hat. Dies kann sich auf die Kampfkünste, aber auch auf alle anderen Fähigkeiten beziehen. Für mich ist das wahre Kung Fu der Wille, sich dem Leben zu stellen. Damit verschmelzen für mich die Begriffe »Disziplin« und »Kung Fu« zu einer Einheit.

Im Training wie im täglichen Leben gibt es genau dafür viele Beispiele:

•Im Kampf ist es der Moment, in dem ein Gegner vor Ihnen steht und Sie wissen, gleich wird er auf Sie losstürmen und versuchen, Sie zu erledigen.

•Im Alltag ist es der Moment, in dem Sie zum Training gehen müssen, aber ausgerechnet heute überhaupt keine Zeit oder keine Lust haben.

•Es ist der Moment, in dem Sie wissen, dass andere die nächste Übung viel besser als Sie hinbekommen werden.

•Es ist der Moment, in dem Sie bei der Prüfung vor Ihrem Lehrer stehen und plötzlich alles vergessen, was Sie jemals gelernt haben.

Momente wie diese kennen wir alle. Meistens neigen wir dazu, solchen Situationen mehr oder weniger aus dem Weg zu gehen. Wir nutzen eher die Ausrede, erklären uns und anderen, warum uns dies und das gerade nicht möglich ist. Im Kung Fu aber lernen Sie, dass Sie sich dem Augenblick, dem Leben, nicht entziehen können. Sie entdecken, dass die Welt nicht untergeht, wenn Sie sich einer unangenehmen Situation stellen. Im Gegenteil: Sie erfahren, dass Sie solche Situationen meistern können, dass jede unangenehme Situation Ihr Lehrmeister sein kann und Sie an ihr wachsen können. Wer einmal mit Kung Fu angefangen hat, der begreift schnell, dass er es hier mit einer Übung in Willenskraft und Disziplin zu tun hat, für deren Investition es lange Zeit keine Rendite geben wird. Aber wenn die Belohnung dann eines Tages »ausgezahlt« wird, ist sie wahrhaft unbezahlbar.

Ich habe als eines meiner Lebensmottos den Leitsatz gewählt: »Nicht das Anfangen wird belohnt, sondern das Durchhalten.« Dieses Motto beziehe ich übrigens auf alle Lebensbereiche.

Am Anfang fing ich Fliegen

Wie fast alle Menschen im Westen wollte ich das Geheimnis der Kampfkunst zunächst mit dem Kopf verstehen. Genauer gesagt: Ich wollte durch die Lektüre verschiedener Bücher die für mich geeignetste Kampfkunst herausfiltern. Ich begann mit Literatur über die Shaolin. Der Legende nach waren und sind die Shaolin die großartigsten Kämpfer – der Sache wollte ich auf den Grund gehen. Wie schnell man durch das Lesen von Büchern zu einem Experten wird, ohne einen Funken Praxiserfahrung zu besitzen! Wissen um die Essenz von Kung Fu war mir zunächst völlig egal. Meine einzige Frage war: Was muss ich tun, damit ich wie ein Shaolin kämpfen kann? Körper und Geist trainieren? Klar, mache ich! Dabei habe ich selbstverständlich fast ausschließlich an Körperübungen gedacht. Wie werde ich stark und ausdauernd und mit welcher Technik verteidige ich mich am besten? Voller Eifer stürzte ich mich in Bücherberge über Kampfkünste. Während des Lesens sah ich mich vor meinem inneren Auge Saltos schlagen und drei Gegner mit einem einzigen Roundhouse*-Tritt erledigen (*Roundhouse ist der Oberbegriff für kreisförmig ausgeführte Fußtechniken). Ich trainierte, verschlang Seite um Seite der Theorie und spielte Szenen aus Kung-Fu-Filmen nach.

Zufällig stolperte ich über eine Geschichte, die mich bis unter die Haarspitzen motivierte. Eine wahre Geschichte. Wahre Geschichten sind immer besonders motivierend. Es handelte sich um die bekannte Geschichte von den »drei Schwertkämpfern«. Die Geschichte wird auf den berühmten Kensai (Schwertheiligen) Miyamoto Musashi zurückgeführt. Er ist der Protagonist in dem Gleichnis vom Schwertheiligen:

Es saßen einst drei Schwertkämpfer in einem überfüllten japanischen Wirtshaus. Am Tisch nebenan saß der berühmte Meister Miyamoto Musashi. Die drei benahmen sich derb daneben und versuchten, durch Beleidigungen und Spott den Meister zu einem Kampf zu verführen. Meister Musashi, der größte Schwertkämpfer Japans schien aber von den dreien keine Notiz zu nehmen. Als die Kommentare an Frechheit zunahmen, ergriff der Meister mit ruhiger Hand seine Essstäbchen und vollführte mit ihnen vier schnelle Bewegungen durch die Luft. Anscheinend mühelos hatte er mit jeder Bewegung seiner Essstäbchen eine Fliege aus der Luft gegriffen. Er legte alle vier Fliegen auf den Tisch und wandte sich den Störenfrieden zu. Diese verließen eiligst den Raum und flohen über alle Berge.2

Fälschlicherweise dachte ich damals, dass ein echter Großmeister tatsächlich das Fangen von Fliegen üben sollte. Infolgedessen wurde ich Fliegenfänger. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit versuchte ich, Fliegen zu fangen. Nicht mit den Essstäbchen, sondern mit den Händen. Ich dachte, dieses Training würde mich schneller, besser, meisterlicher machen. Anders herum wird ein Schuh daraus! Wer wie der Meister aus dem Gleichnis beiläufig Fliegen fangen kann, präsentiert damit das Ergebnis und Zeugnis von Kung Fu auf allerhöchstem Niveau. Wer Körper und Geist so in Einklang bringen kann, dass er mit Essstäbchen Fliegen fängt, ist ohne Zweifel ein Kämpfer über dem Niveau der drei Schwertkämpfer. Der wahre Kung-Fu-Meister drückt sein Kung Fu in jeder seiner Handlungen aus.

Ich verstand damals nicht, dass es auf so unendlich viel mehr ankommt, als mit schnellen Reflexen körperlich zu agieren.

Die Geschichte der drei Schwertkämpfer hat eine große Bedeutung, denn sowohl in Japan als auch in China wird sie oft und gerne erzählt. Es ist ursprünglich eine japanische Geschichte.

Wenn ich mich einiger Geschichten aus Japan bediene, werden Sie sich vielleicht fragen: Was hat das mit den Shaolin zu tun? Die Antwort ist philosophisch und entspringt einer buddhistischen Redewendung: Alle Lehren haben denselben Ursprung.3 Egal ob Sie sich mit Musik, Kampfkunst, Gartenarbeit oder Malerei beschäftigen. Es gibt nur ein Ziel: Ihr Herz zu finden. In der buddhistischen Welt symbolisiert das Herz eine erstrebenswerte Geisteshaltung. Die angestrebte Perfektion hingegen wird stattdessen als Eitelkeit bezeichnet.

Ohne die Arbeit, ohne die Praxis wäre die Lehre nur eine Theorie ohne Sinn. Theorie und Praxis, Körper und Geist – alles ist untrennbar miteinander verbunden.

Hegen Sie nach dieser Schilderung den geheimen Wunsch, Kung Fu zu erlernen, um Körper und Geist – und auch Ihre Disziplin und Willenskraft – zu trainieren? Sobald Sie sich entscheiden, sind Sie auf dem Weg und – mit entsprechender Übungszeit und etwas Disziplin – wird Ihr Kung Fu richtig gut. Mit Kung Fu erwerben Sie sich eine Basiskraft, die Ihnen in jeder Lebenssituation weiterhilft. Es ist eine gute Methode, um zu Ihrer persönlichen Quelle vorzudringen. Aber: Es geht um weitaus mehr als um reine Körperlichkeit. Meister Alan Baklayan hat zu uns Schülern gesagt: »Es ist nicht unser Hauptlebenszweck auf dieser Welt, gute Kämpfer zu werden, sondern uns zu guten Menschen zu entwickeln.«

Das Dasein als Meister

Bitte lassen Sie mich beteuern: Ich maße mir nicht an, Ihr Meister sein zu wollen. Ich bin lediglich ein Schüler, der Ihnen von seinen eigenen Erfahrungen berichten möchte. Vielleicht bin ich Ihnen mit meiner Tollpatschigkeit um das eine oder andere Fettnäpfchen voraus. In diesem Sinne bin ich Ihr persönliches »gutes-schlechtes« Beispiel. Außerdem gebietet der Anstand, Ihnen mitzuteilen, dass ich zwar einige Meistergrade in Form von schwarzen Gürteln gesammelt habe, aber mich trotzdem nicht als »Meister von eigenen Gnaden«, »Mönch der unkeuschen Shaolin«, »Guru der großen Einsicht« aufspielen werde.

In China kann man auf vier Arten ein offizieller Meister werden:

1.Man nennt sich einfach so. In diesem Falle muss man einen neuen Stil begründen und sich von seinem Sifu lossagen.

2.Man kauft sich eine Meisterurkunde. Das kennen wir ja auch von Doktortiteln.

3.Man übernimmt die Schule seines Meisters.

4.Man eröffnet mit Erlaubnis seines Meisters eine eigene Schule.

Bislang habe ich keine der vier Möglichkeiten in Erwägung gezogen. Ich bitte darum, dass Sie mich vielmehr nach meinem Kung Fu beurteilen.

Ein guter Meister verschleudert sein Wissen nicht, denn verschleudertes Wissen würde beim Schüler nicht ankommen. Einer chinesischen Redensart entsprechend macht ein guter Meister lediglich die Tür auf und lädt den Schüler dazu ein, selbst hindurchzuschreiten.

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist in allen Kampfkünsten so angelegt, dass der Schüler seine Lektionen selbst erfahren muss. Warum das so ist? Lesen Sie den Sinnspruch von Konfuzius:

ERZÄHLE es mir – und ich werde es VERGESSEN.

ZEIGE es mir – und ich werde mich ERINNERN.

Lass es mich TUN – und ich werde es BEHALTEN!

Außerdem weiß ein guter Meister, dass es gefährlich ist, seinem Gegenüber das eigene Wissen aufzudrängen, selbst wenn dieser darum bittet.

Dazu gibt es eine berühmte Filmszene mit Bruce Lee, die dem japanischen Kulturkreis entliehen ist: Bruce Lee hält zwei Gläser in den Händen, die randvoll mit Wasser gefüllt sind. Er sagt: »In einem Glas befindet sich all dein Wissen und in dem anderen Glas befindet sich das, was ich dir an Wissen zu bieten habe.« Wie kann nun der Schüler das Wissen des Meisters seinem Wissen hinzufügen, ohne dass sein eigenes Glas überläuft? Des Rätsels Lösung ist: Der Schüler muss zunächst seinen Becher leeren, dann kann er das Wissen des Meisters aufnehmen.

Damals, im Alter von zwölf Jahren, hatte ich große Ehrfurcht vor der poetischen Kraft dieser Metapher. Heute halte ich diese Aufforderung für schlichtweg unmöglich. Wir können das »Gefäß« nicht »leeren«, um dann gänzlich unreflektiert die »Weisheit« eines anderen aufzunehmen, und wir sollten das auch nicht tun.

Aber Bruce Lee wollte es so. Bruce Lee war ein Suchender. Noch heute gilt Bruce Lee als Sinnbild für eiserne Disziplin, als Archetyp des unbesiegbaren Kämpfers und als Philosoph. Er war auf der Suche nach dem perfekten Kampfsystem, der ultimativen Weisheit, der Erleuchtung, dem richtigen Weg. Das bedeutet, dass er alles infrage gestellt und selbst nichts blind und gedankenlos aufgenommen hat. Weder Kampftechniken noch Philosophie. Beidem hat er sich mit all seinem Herzblut gewidmet. Vom Suchenden, getragen von der Überzeugung des Wertes der eigenen Erkenntnis, wandelte sich Bruce Lee im Laufe der Jahre zu einem Mann, der dogmatisch von seinen Schülern verlangte, seine Lehre widerspruchslos zu akzeptieren und zu übernehmen. Bruce Lee setzte seinen Schülern einen klaren Rahmen, innerhalb dessen er sie zum disziplinierten Arbeiten mit sich selbst bringen konnte.

Viele Menschen brauchen tatsächlich einen starken »Führer«, der ihnen die Richtung weist. Sie ziehen es vor zu akzeptieren, zu gehorchen und zu folgen. Auf diese Weise gelingt es ihnen, diszipliniert zu sein. Man mag sich fragen, warum diese Menschen diese Vorgehensweise bevorzugen. Ist es vielleicht ein Zeichen von Trägheit oder Gleichgültigkeit? Das Phänomen scheint nicht nur auf die Kampfkünste zuzutreffen, sondern auch auf so vieles mehr, auf die Gesellschaft, die Arbeit, die Politik.

Ich möchte Sie dazu anregen, selbst herauszufinden, wie Sie ticken, welche Motoren Sie antreiben, welche Vermeidungsstrategien Sie entwickelt haben und an welchen Stellen Sie Ihr eigener innerer Gegner sind. Es geht zunächst darum herauszufinden, wie Sie ticken. Dann darum, was zu tun ist. Und schließlich was Sie tun müssen, wenn auf dem Weg zur Disziplin Ihre Motivation verloren geht. Das ist die Suche nach Wahrheit. Auf der Suche nach Wahrheit gibt es weder Meister noch Schüler.

Der beste Kampf

Das koreanische Taekwondo (der Weg des Fußes und der Hand) war mein Einstieg in die Welt der Kampfkunst. Die asiatische Kampfkunst wird in Europa oft mit dem chinesischen Wu Shu oder dem japanischen Wort »Budo« beschrieben. Diese Wörter sind in ihrem Ursprung erstaunlich »kampfesfeindlich«. Betrachten wir in aller Ruhe die Begrifflichkeiten:

Wu Shu: 武 術

Budo: 武道

Wu Shu und Budo sind Überbegriffe aller asiatischen Kampfkünste. Wu Shu ist chinesisch, Budo japanisch. Die Zeichen der Vorsilben Bu und Wu sind absolut identisch, werden aber in der jeweiligen Landessprache anders ausgesprochen. Wie noch immer ganz wenigen Menschen, selbst innerhalb der Kampfkunst-Gemeinde bekannt ist, setzt sich das Schriftzeichen 武 (Wu beziehungsweise Bu) eigentlich aus mehreren Zeichen zusammen.

Wu 武 bedeutet »militärisch«, »kämpferisch«, es verweist auf den Kampf. Aber Wu besitzt auch noch eine feinsinnigere, tiefer gehende Bedeutung. Es besteht nämlich aus zwei weiteren Zeichen. Das erste heißt Zhi 止und bedeutet »aufhören«, »eine Sache stoppen« oder »beenden«. Das zweite Zeichen, Ge 戈 bezeichnet eine alte Kriegswaffe. Sie sieht ein wenig aus wie eine mittelalterliche Hellebarde. Diese Waffe steht symbolisch für Krieg. Die Kernaussage ist also: Hören Sie auf, die Hellebarde zu benutzen, beenden Sie deren Einsatz – Schluss mit Krieg!

Das ist die tiefere Bedeutung von Wu.

Der zweite Teil des Wortes, Shu, wird durch dieses Zeichen 術 dargestellt. Das bedeutet Kunstfertigkeit im Sinne von reinem Können. Shu verweist auf eine künstlerische, teils auf Kreativität und Können basierende, teils auf Eleganz und Schönheit bedachte Anwendung. Das ist wiederum die Essenz der japanischen Kampfkunstbegriffe Jutsu 術 und Do 道.

Genau wie Bu und Wu aus dem gleichen Zeichen bestehen, benutzen auch Shu und Jutsu das Zeichen 術. Während Shu 術 die Technik beschreibt, ist Do 道 der Weg, also das dahinterstehende philosophische Prinzip.

Die Erkenntnis ist: Der beste Kampf ist der, der nicht gekämpft wird – weil man die Nachteile eines Kampfes genau kennt oder weil man vielleicht ohnehin gewinnen würde. Dieser Zustand, diese Erkenntnis kann als Ziel des Erlernens von Kampfkunst gesehen werden.

Die Shaolin verschmelzen Buddhismus mit Chan beziehungsweise Zen, Konfuzianismus und Taoismus zu einem sehr komplexen Geflecht.

Ich versuche, auf diese schwierigen Begriffe so einzugehen, dass sie auch für Menschen unseres Kulturkreises zu fassen sind.

•Budo ist ein ständiger Prozess. Der Weg zur Perfektion der Technik, des Handelns und letztlich des Charakters ist nie zu Ende, weil wahre Perfektion niemals vollständig erreicht werden kann (Do).

•Perfektion ist flüchtig, so wie der erlebbare Moment des Augenblicks (Zen).

•Der Weg ist gekennzeichnet durch die Dynamik von Yin und Yang, dem Pendeln zwischen den Extremen (Taoismus).

•Ziel ist es, den goldenen Weg der Mitte zu finden (Buddhismus), die Dualität der Welt zu überwinden (Taoismus) und sein eigenes Herz zu erreichen.

•Dies kann nur geschehen, indem man das Ego aufgibt, die Flüchtigkeit des Materiellen erkennt und sich als Teil des großen Ganzen identifiziert (Zen).

•Die Einordnung in das große Ganze birgt das konfuzianistische Dogma, dass jeder seinen festen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung finden und ausfüllen, seine Aufgabe im Kosmos (Taoismus) erfüllen sowie dem Ganzen dienen muss.

•Zudem ist der Weg (Do) derjenige, der zur Natürlichkeit führt. Er ist die ewige Suche nach der natürlichen, aufrechten Haltung von Körper und Geist.

Wenn Sie diesen Passus bereits jetzt verstanden haben, ziehe ich meinen Hut. Wenn dem noch nicht so ist, geben Sie nicht auf, lesen Sie weiter. Ihre Aufmerksamkeit ist auf jeden Fall in die richtige Richtung gelenkt. In Richtung Do – Sie sind auf dem Weg.

Nicht umsonst fragen sich mehr und mehr abendländische Sinnsucher, ob das Licht der Weisheit im Osten aufgeht – ex oriente lux? Vielleicht. Oder warum sind es gerade Daoismus und Chan beziehungsweise (Zen-)Buddhismus, die im Westen zunehmend Konjunktur haben?

Vielleicht erfasst uns eine Strömung der Renaissance. Immerhin ist Konfuzius älter als Seneca. Oder befinden wir uns in einer Welle rückwärtsgewandter Naturromantik? Zurück zur Natur?

Was auch immer der Grund für die Popularität dieser Themen ist, es ist auf jeden Fall gut, manchmal in den Rückspiegel zu sehen, um voranzukommen. Rücksicht und Vorsicht gehören zusammen. Das ist ganz im Sinne von Yin und Yang.

xiuxing yangshen

Den Charakter korrigieren, den Körper nähren, pflegen, kultivieren.

Die Shaolin – Meister der Disziplin

Warum sind wir Menschen so undiszipliniert? Es liegt nicht an fehlendem Wissen, nicht an Unvermögen, meist nicht einmal an fehlender Motivation. Es fehlt uns an Treibstoff für diszipliniertes Verhalten, der Willenskraft. Hier sind wir bereits am Kasus knaxus, dem eigentlichen Grund, weshalb viele herkömmlichen Methoden, sich diszipliniertes Verhalten anzueignen, letztlich scheitern. Mit herkömmlichen Methoden kommen wir oft nicht ans Ziel, selbst wenn unsere Planung perfekt scheint.

Wenn wir aber davon ausgehen, dass Willenskraft wie ein Muskel funktioniert, der bei Gebrauch gestärkt wird, aber bei Überbeanspruchung schlappmacht, dann sind wir dem Geheimnis auf der Spur. Wir müssen herausfinden, was diesem »Muskel« im Verlauf eines Tages die Kraft absaugt, und wir müssen herausfinden, wie wir ihn wieder fit bekommen.

In den kommenden Kapiteln möchte ich die uns bekannten Methoden aus einem asiatischen Blickwinkel betrachten. Das uns bekannte Zielen, Planen, Motivieren und Belohnen bringt nichts, wenn der Muskel zu ermattet ist, zu schwach ist, um seine Tätigkeit auszuführen.

Genau hier kommen die Shaolin ins Spiel. Sie sind die Meister der Willenskraft, die Vorbilder der Tugend und die Heroen einer der Menschlichkeit verpflichteten Ethik.

Die legendären Shaolin-Mönche erreichen mit ihrer sagenumwobenen Willenskraft und mit eiserner Disziplin Dinge, die wir als nahezu übermenschlich und ehrfurchtsgebietend empfinden. Wer würde nicht gerne in perfektem Einklang von Körper und Geist leben, dabei tugendhaft und fröhlich jeden Tag angehen und alle anstehenden Verpflichtungen mit Eifer und Elan bewältigen?

Ja, das will ich auch, werden Sie jetzt vielleicht denken. Die Shaolin haben ganze Lebenszeiten aufgewendet, um zu dieser Haltung zu kommen. Sie bauen auf einer jahrhundertealten Tradition auf.

Eine kurze Geschichte der Shaolin