Alles Propaganda! - Birand Bingül - E-Book

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Birand Bingül

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Beschreibung

Seit der Präsidentschaft von Donald Trump herrscht große Sorge über den Zustand der demokratischen Debattenkultur. Und auch hierzulande lässt sich eine zunehmend unversöhnliche und aufgeheizte Rhetorik beobachten. Birand Bingül legt in seinem beunruhigenden Weckruf dar, dass dies Teil einer Propaganda-Strategie ist, die den Kollaps des politischen und gesellschaftlichen Dialogs anstrebt – und damit den Kern der liberalen Demokratie angreift. Deutlich wird: Zum Schutz unserer Demokratie müssen wir die Propaganda durchschauen, denn nur so können wir Gegenstrategien entwickeln.

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Birand Bingül

Alles Propaganda

Wie Manipulation unsere Demokratie gefährdet

Copyright © 2023 Birand Bingül

Originalausgabe

© Atrium AG, Zürich, 2023

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Annemike Werth, Hamburg

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03792-223-1

 

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EinführungSchockwellen und Monster

Wenn man die Nachrichten des Tages oder Posts in den sozialen Medien verfolgt, muss man seit einigen Jahren feststellen, dass die westliche Welt erzittert angesichts politischer Schockwellen, die insbesondere durch die liberalen Demokratien Europas und der USA rollen. Immer wieder geht es um Wut, Hass, Fake News oder vermeintliche Verschwörungen. Zu beobachten sind Angriffe auf Parlamente und Parlamentarier:innen, Gerichte und Richter:innen, Wissenschaften und Forscher:innen, Medien und Journalist:innen. Und dabei bleibt es nicht. In den vergangenen Jahren kam es in vielen Ländern zu politisch motivierten Morden. Polarisierung ist eines der zentralen gesellschaftlichen Phänomene der Gegenwart. Allerorten werden dafür vor allem Rechtspopulist:innen und Autoritäre verantwortlich gemacht. In praktisch allen Staaten der westlichen Welt haben sich in den vergangenen Jahren Politiker:innen und ihre Parteien etabliert, die mal populistisch, mal autoritär genannt werden: Donald Trump in den USA, Putin in Russland, Erdoğan in der Türkei, Orbán in Ungarn, die AfD in Deutschland. Rechter Couleur finden sie sich in Europa außerdem in Belgien, Dänemark, England, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, der Schweiz, der Slowakei, Spanien und Tschechien. Es gibt sie aber auch in der linken Variante, wie Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien. Die Liste ist lang. Und die Wahlerfolge reißen nicht ab. Giorgia Meloni errang mit der rechtsradikalen Fratelli d’Italia im Herbst 2022 den Wahlsieg und wurde zur Ministerpräsidentin Italiens. In Schweden kamen die Schwedendemokraten kurz zuvor auf mehr als zwanzig Prozent und wurden damit zu einer einflussreichen Größe in dem sozialdemokratisch geprägten Land.

Das Phänomen der Populist:innen und Autoritären wurde in jüngerer Zeit ausgiebig von Expert:innen verschiedenster Disziplinen analysiert.[1] Dennoch attestierte Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in einer Titelseiten-Story nüchtern: »Gegen ihre Feinde haben demokratische Parteien noch kein wirksames Mittel gefunden.«[2] Die finnische Investigativjournalistin Jessikka Aro kommt zu dem Schluss, die westlichen Staaten seien »für die Herausforderungen einer organisierten Verbreitung von Hass im Internet schlicht nicht gerüstet«.[3] Aro weiß, wovon sie spricht. Sie hat sich, unter schwersten persönlichen Anfeindungen und gegen sie gerichteten Hetzkampagnen, ein internationales Renommee als Spezialistin für den russischen Informationskrieg aufgebaut.

Doch wie kommt es, dass die sogenannten autoritären Parteien so viel Macht und Einfluss gewinnen konnten? Möglicherweise liegt der Grund darin, dass nicht gut genug verstanden wird, was diese Feinde wie tun und warum – und ohne richtige Diagnose kein hilfreiches Rezept.

Dieses Buch will aus Sicht eines Kommunikationsexperten einen Beitrag zum besseren Verständnis, sprich zur präziseren Diagnose, leisten. Zunächst sind dafür die populistisch und autoritär genannten Parteien und Bewegungen als das zu begreifen, was sie eigentlich sind: Sie sind Parteien, die systematisch Propaganda nutzen. Sie sind Propagandaparteien. Sie nutzen ein komplexes und aufwändiges Konzept. Es existiert eine Blaupause für Propagandaparteien und solche, die es werden wollen: Strategien und Maßnahmen, Sprache und Techniken fügen sich zu einem System der Propagandamaschinerie zusammen, in der das Ganze mehr ergibt als die Summe seiner Einzelteile. Dieses Propagandakonzept fußt in ungeahntem Maße auf den tieferen Propagandalogiken von Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Goebbels beschrieb Propaganda als »Avantgarde« und »Bahnbrecherin der Realpolitik«.[4] Mit der nationalsozialistischen Mutter aller modernen Propaganda muss sich auseinandersetzen, wer das Heute entschlüsseln möchte. Diese kommunikativ-historischen Bezüge werden in Alles Propaganda! immer wieder hergestellt.

Die Propaganda dient ganz bestimmten Zielen. Propagandaparteien streben Macht um der Macht willen an. Sie polarisieren mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Dialog zu vergiften. Wird der Dialog unmöglich gemacht, erstarrt die Meinungsbildung, und die Demokratie wird gelähmt. Sie tut sich sehr schwer, Ergebnisse zu liefern, gerade in strittigen Fragen. All das spielt den Propagandaparteien in die Hände.

Propaganda blendet und verführt. Sie untergräbt und verwirrt. Sie zerstört und vernichtet. Wer die westliche Demokratie schützen will, muss die Propaganda der Gegenwart in ihrer Gänze und Tiefe erkennen und durchschauen. Sonst werden Gegenstrategien allenfalls Stückwerk bleiben und der Vormarsch der Propagandakrieger:innen weitergehen. Propaganda ist das größte Ungeheuer der Gegenwart. Es hat viele Arme und Köpfe. Und doch scheint es zuweilen, mitten auf der politischen Bühne stehend, übersehen zu werden oder unsichtbar zu sein – mit fatalen Folgen für die liberale Demokratie.

Kapitel 1Propagandaparteien

Wenn man das Monster der Propaganda verstehen und seinen Schockwellen etwas entgegenstellen will, muss man zunächst das Wesen einer Propagandapartei erkennen. Landläufig kursieren verschiedene Bezeichnungen, die jedoch den Kern des Phänomens verfehlen. Der viel diskutierte Begriff des Populismus zum Beispiel ist schlichtweg irreführend. Er zielt auf die Beziehung der Populist:innen zum Wahlvolk. Dabei ist der Wunsch, die Stimme des Volkes zu sein, nur vorgetäuscht. Es geht um die Verführung der Menschen, um ihre Gefolgschaft zu sichern. Der entscheidende Wesenskern ist die Beziehung zur Kommunikation mit der Bevölkerung. Mit anderen Worten: Ein Politiker kann prinzipiell populistisch handeln, ohne propagandistisch zu werden. Und viele Politiker:innen der liberalen Demokratien agieren – mindestens zeitweise – populistisch und müssen es als Volksvertreter:innen auch tun. Wer von Autoritären spricht, zielt hingegen zu sehr darauf ab, dass hier ein illiberaler Gegenpol zur liberalen Demokratie gesetzt werde. Zudem führt der Begriff Autoritäre die Aufmerksamkeit auf das Dominanzgebaren entsprechender Politiker:innen, was den Kern der Sache zusätzlich vernebelt. Zuschreibungen wie Protest- oder Anti-Partei sind ebenfalls irreführend, weil auch Protest und Anti-Haltung nicht die Essenz dieser Parteien ausmachen. Es ist viel treffender, Parteien wie die AFD, Trumps Republikaner, die türkische AKP oder die ungarische Fidesz als Propagandaparteien zu bezeichnen, wie gleich deutlich werden wird. Sie sind in ihrem Wesenskern propagandistisch. Sie werden von Propagandapolitiker:innen angeführt.

 

Nach gängigen Definitionen ist Propaganda deutlich negativ konnotiert. Propaganda lässt sich als sehr aggressive, ideologisch motivierte politische Kommunikation beschreiben, die massiv und dauerhaft ausgeführt wird. Propaganda möchte die Bevölkerung mit allen zur Verfügung stehenden, speziell unlauteren und manipulativen Mitteln auf bestimmte Weise und auf ein bestimmtes Ziel hin beeinflussen, insbesondere bezüglich ihrer Emotionen, Meinungen und Verhaltensweisen. Die eigentlichen Ziele und Interessen hinter der Propaganda werden verschleiert. Parteien, die sich der Propaganda unterwerfen, stellen ebendiese an den Anfang und in das Zentrum ihres politischen Handelns. In einer solchen Partei dient alles politische Handeln einer propagandistischen Funktion. Das Wahlvolk und die Inhalte sind nachrangig. Ihre Politik ist Propaganda. Propaganda ist ihre Politik.

Alle Propagandaparteien eint, dass sie auffällig viele Ressourcen in ihre Kommunikationsarbeit investieren. Im Vergleich zu anderen Parteien haben sie die größten Kommunikationsabteilungen und die meisten Social-Media-Aktivitäten. Sie haben ein großes Interesse daran, eigene Medien und andere Kanäle zum Wahlvolk zu schaffen und zu nutzen. Es ist typisch für Propagandaparteien, einerseits etablierte Medien anzugreifen und andererseits, wo nur möglich, in ihnen vorzukommen und am besten generell die Macht über sie zu erlangen.

Auf die Propagandaarbeit wirken neben Politiker:innen auch Politikberater:innen ein, genauso wie Kommunikator:innen, Spezialagenturen, aber auch Meinungsforscher:innen und die sogenannten Pollster, die häufig parteiintern die Datenbasis liefern für propagandistische Kernbotschaften und Aktionen. Zu nennen sind auch Trollfabriken bzw. Trollfarmen, in denen Mitarbeitende gezielt Falschinformationen im Netz verbreiten mit dem Ziel, Meinungen zu manipulieren, Wahlausgänge zu beeinflussen und Kritiker:innen regelrecht mundtot zu machen. Die bekannteste Trollfabrik ist die »Agentur für Internet-Forschung« in St. Petersburg, die u.a. Einfluss auf Wahlen in den USA und Europa nahm. Russlands Präsident Putin behauptet zwar, dies sei eine privat geführte Einrichtung, aber es gibt einige Evidenz, dass diese Trollfabrik staatlich gesteuert wird.[5] Einer Studie zufolge beschäftigten 2017 weltweit dreißig Regierungen Trollfabriken.[6] Sind Propagandaparteien an der Macht, kommen zusätzlich Akteur:innen in staatlichen Medien und Geheimdiensten hinzu, sprich propagandistisch hoch funktionale Teile des Staatsapparats.

Die Propagandapartei der Gegenwart rekrutiert gezielt möglichst viele Anhänger:innen aus einer Masse enttäuschter, besorgter, zweifelnder, verängstigter, wütender Menschen. Der viel beschworene Volkswille spielt dabei allenfalls eine untergeordnete Rolle. Propagandaparteien geht es in einer – häufig ausgrenzenden – Dauerkampagne darum, durch geschickten wie radikalen Missbrauch politischer Kommunikation Zustimmung zu gewinnen. Propagandaparteien werden nicht von Inhalten getrieben, die Inhalte sind letztlich beliebig austauschbar, wenn sie nicht wie gewünscht verfangen. Die Masse ist der Schlüssel zur ersehnten Macht. Ist erst einmal die Zuneigung der Masse durch die Propagandapartei gewonnen, kommt die Umkehrung: Die Anführer:innen erklären, was der Volkswille ist – und das Volk folgt. Diese Macht um jeden Preis zu maximieren oder zu erhalten, ist der verborgene, wirkliche Antrieb der Propagandapartei. Das ist ihr alleiniger Daseinszweck. Propagandaparteien geht es, das sei wiederholt, um Macht um der Macht willen.

Dass es Propagandaparteien nicht um Inhalte geht, kann zum Beispiel an einem Phänomen festgemacht werden, das sich Unsicherheitsparadox nennen lässt: Die Propagandapolitiker:innen behaupten, sie träten an, um etwas gegen Verunsicherung und Unsicherheit der Masse zu tun. Faktisch verstärken sie die Verunsicherung und Unsicherheit aber fortwährend, weil sie das ihrem versteckten Ziel viel näherbringt.

Darüber hinaus ist es alles andere als Zufall, dass Propagandaparteien politisch öfter rechts als links verortet sind. Schließlich nehmen sie häufig Bezug auf eine Vergangenheit, in der es dem Land angeblich besser ging und das Volk mehr Grund gehabt habe, Nationalstolz zu empfinden – das ist ein konservatives Urmotiv. So ist die emotionale Anschlussfähigkeit gerade in Europa und in Nordamerika im konservativen Lager deutlich größer als im linken. Die russische Essayistin Svetlana Boym spricht von »restaurativer Nostalgie«. Eine vergangene – verklärte und idealisierte – Heimat soll wiederhergestellt und der alten Identität zu neuem Glanz verholfen werden. So unmöglich sich Vergangenheit wiederherstellen lässt, so paranoid entschlossen handelten die Anhänger:innen der restaurativen Nostalgie, sagt Boym: unter Verzicht auf kritisches Denken und im Bann von großen Symbolen. Auf diese Weise könne restaurative Nostalgie Monster gebären.[7]

 

Es ist augenscheinlich, wie sehr sich die Propagandapolitiker:innen in ihrem Tun und Auftreten ähneln. Dass sie sich über ihre Strategien austauschen und auch beieinander abkupfern, ist belegt und wenig überraschend. Der frühere Trump-Berater und Chef von Breitbart News Steve Bannon war beispielsweise häufig in Europa, tauschte sich u.a. mit Alice Weidel von der AFD, dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán sowie einem Berater Marine Le Pens aus, nahm an exklusiven Runden entsprechender Kreise teil und wollte mit seiner Brüsseler Stiftung »The Movement« die Rechtsnationalen Europas einen. Es wäre naiv anzunehmen, dass Ähnlichkeiten in der Propaganda ausschließlich Ergebnis flüchtiger Absprachen und einer munteren Copy-and-Paste-Mentalität seien.

Doch trotz der Ähnlichkeiten und Querverbindungen sind Propagandaparteien unbedingt differenziert zu betrachten. Eine kurze Typologie soll helfen, Propagandaparteien in ihren verschiedenen Stadien und Entwicklungsstufen einzuordnen.

Die Philosophin Hannah Arendt hat in ihrem epochalen Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft aus dem Jahr 1951 nach Analyse von Hitlers NS-Staat und Stalins Sowjetunion zwischen totalitärer und prätotalitärer Propaganda unterschieden. Demnach ziele die prätotalitäre Propaganda auf die Gewinnung von Sympathisant:innen und Parteigänger:innen ab, während in der totalitären Welt die reine Indoktrination herrsche, die sich gegen jedermann richte und völlige Enthemmung erfahre. Totalitäre Propaganda lasse keine andere Sichtweise mehr zu und mache Koexistenz von Ansichten unmöglich.[8] Arendts Unterscheidung von prätotalitärer und totalitärer Propaganda lässt sich auf heutige Verhältnisse übertragen und verfeinern, speziell mit Blick auf die Parteien als propagandistische Akteure. Totalitäre Propaganda geht mit Kriegspropaganda in einem nicht-demokratischen – allenfalls scheindemokratischen – Regime einher. Vorher bereits existierende Menschenverachtung wird in dieser Propagandaform bis zur Vernichtungsideologie gesteigert. Das Mittel totalitärer Propaganda ist, wie Arendt herausgearbeitet hat, die Indoktrination – gegebenenfalls sogar im Weltmaßstab. Hierzu gehört heutzutage auch die Destabilisierungspropaganda mittels Hackerangriffen und Trollfarmen, die vor allem in Wahlzeiten kompromittierendes Material stehlen und verbreiten, um zum Beispiel Kandidat:innen wie Hillary Clinton in den USA oder Emmanuel Macron in Frankreich zu diskreditieren und die Wahlentscheidung der Bürger:innen zu beeinflussen. Teil von totalitärer Propaganda ist, dass sie den ohnehin hohen Kommunikationsaufwand ins Absurde steigert, um das mühevoll konstruierte Weltbild frei von Rissen und Brüchen zu halten. Daran lässt sich die große Instabilität der totalitären Propaganda ablesen.

In Kriegszeiten kommt Propaganda intensiv zum Einsatz – und wird auch mehr diskutiert, gemäß der Weisheit »Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer«. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurde begleitet von schamloser, oft plumper und in Russland lange wirkungsvoller Kriegspropaganda. Der russische Präsident Wladimir Putin hat totalitäre Propaganda im Rahmen des Ukraine-Feldzugs in Reinkultur aufgeführt und aufführen lassen. Totalitäre Kriegspropaganda ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs.

Prätotalitäre Propagandaparteien zeichnen sich dadurch aus, dass sie – teils langfristig – die Alleinregierung stellen und gewisse Meilensteine erreicht haben. Dazu gehört u.a., dass die Führungsperson mit außerordentlicher Machtfülle ausgestattet ist und dass um diese Führungsperson ein Kult etabliert wird. Außerdem kann bei prätotalitären Propagandaparteien die Aufrechterhaltung demokratischer Kernelemente unter Schwächung von Institutionen wie Parlament und Justiz sowie Kontrolle über die Opposition, über Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Medien beobachtet werden. Sie zeichnen sich durch kommunikative Dominanz aus, die den öffentlichen und veröffentlichten Diskurs maßgeblich steuert und prägt. Prätotalitäre Propaganda hat das Potenzial, wesentlich stabilere Verhältnisse mitzuorganisieren als totalitäre. Zu den heutigen prätotalitären Propagandapolitiker:innen lassen sich Viktor Orbán und Recep Tayyip Erdoğan zählen.

Zu den prätotalitären Propagandaparteien zählen einige Untertypen. In die Kategorie der abgewählten prätotalitären Propagandaparteien gehören beispielsweise die Republikaner von Donald Trump – wobei die nächsten Wahlen bereits ihre Schatten vorauswerfen.

Koalierende Propagandaparteien haben es in Regierungsverantwortung geschafft, können aber nicht durchregieren. Zu diesen Parteien gehört gegenwärtig die polnische PiS, die von Jarosław Kaczyński geprägt wurde – sie hat in der Vergangenheit allerdings auch schon allein und prätotalitär regiert. Als Juniorpartner hat zum Beispiel die FPÖ zwischen 2017 und 2019 mit der konservativen Partei des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz regiert, ehe die Ibiza-Affäre die FPÖ aus der Regierung katapultierte.

Eine oppositionell-wirksame Propagandapartei zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine direkte politische Macht hat, aber großen Einfluss und Druck auf regierende Parteien ausübt, neuralgische öffentliche Debatten prägt und Entscheidungen mit beeinflusst. Sie verzeichnet erhebliche Stimmgewinne, ohne Gesamtsiege einzufahren und an Regierungsmacht zu kommen. Zu oppositionell-wirksamen Propagandaparteien zählen die AFD von Frauke Petry während der sogenannten Flüchtlingskrise oder der Rassemblement National mit Marine Le Pens beiden zweiten Plätzen im Präsidentschaftsrennen.

Nicht zuletzt lassen sich scheiternde Propagandaparteien identifizieren, die aus verschiedenen Gründen erfolglos in der Opposition agieren, propagandistisch nicht durchdringen und eine randständige Rolle einnehmen, was gerade in der Propagandalogik der puren Massengewinnung fatal ist. Die gegenwärtige AFD reiht sich hier ein.

 

Dieser Typologie von Propagandaparteien unterliegt ein dynamisches, kein mechanistisches Verständnis: Auf Fortschritte können ebenso Rückschritte folgen und umgekehrt. Und nicht jede Propagandapartei wird – oder muss – danach streben, totalitär zu werden.

Gemäß der skizzierten Typologie hat im historischen Rückblick die NSDAP fast alle Stadien durchlaufen – am Anfang scheiternde Propagandapartei, am Ende der Weimarer Republik oppositionell-wirksam, nach der Machtergreifung 1933 in kürzester Zeit prätotalitär und mit Kriegsbeginn endgültig totalitär – bis zum Untergang. Der Bezug zum Hitler-Regime soll dabei nicht dazu dienen, all diese Parteien inhaltlich über einen Kamm zu scheren. Es geht lediglich darum zu analysieren, welche Kommunikationsstrategien wie und warum angewendet werden.