Allesfresser. Kriminalroman - Christine Lehmann - E-Book

Allesfresser. Kriminalroman E-Book

Christine Lehmann

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Beschreibung

Der zwölfte Fall ist für Lisa Nerz eine besondere Herausforderung. Ein berühmter Koch ist verschwunden. Im alten Rosensteintunnel taucht eine grausige Leiche auf. Lisa begibt sich zuerst online auf Spurensuche. Sie soll die Identität der Person herausbekommen, die im Netz ein anonymes Veganblog verfasst. Denn die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hegt einen schrecklichen Verdacht. Schnell merkt sie: In den sozialen Medien ist das Thema Ernährung sehr präsent. Da tobt der reinste Glaubenskrieg um die Frage, was wir essen sollten, vielstimmig, aggressiv und giftig. Doch um das weite Feld der Spielarten zwischen veganer Lebensweise und politischem Veganismus kennenzulernen, muss Lisa Nerz die Lederjacke ausziehen, den Computer ausschalten und sich in die Schlacht zwischen Omnivoren und Veganern begeben. Und wieder zeigt sich: Es ist alles ganz anders, als gedacht. »Lehmann legt ihre Bücher an wie Backsteine, die gefälligst Fensterscheiben zu zerschmettern haben. Nerz ist provokant, reizbar und schredderzüngig, trotz ihrer Schläue agiert sie reflexhaft antiautoritär. Allerdings schreibt Christine Lehmann nie in zittrigen Tönen deprimierter sozialer Schadensvermessung. Die Streitlust von Lisa Nerz drückt sich in der Dynamik, Frechheit, Wendigkeit ihrer Sprache bestens aus.« Stuttgarter Zeitung »Das tolle an Lisa-Nerz-Romanen ist, dass ich in jedem einzelnen so viel über unsere Welt lerne, wobei zugleich das Gefühl vorherrscht, ›bloß‹ locker unterhalten zu werden. In dieser Hinsicht leisten Christine Lehmanns Krimis bei aller Flapsigkeit genau das, was zu den vornehmsten Aufgaben von Literatur gehört: Sie beleuchten ein Stück Wahrheit. Und sei es nur die, dass Entscheidungen rund ums Essen folgenreicher sind, als wir uns tagtäglich klarmachen. Guten Appetit!« Else Laudan »Auch diese waghalsige Geschichte hat Lehmann mit handfestem Humor grundiert, sie ist frisch, ruppig, gelegentlich schrill, stets vielschichtig. Unter Veganern wird sie sich damit wohl keine Freunde machen.« Frank Rumpel, CulturMag

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Seitenzahl: 360

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Über das Buch

Der zwölfte Fall ist für Lisa Nerz eine besondere Herausforderung. Ein berühmter Koch ist verschwunden. Im alten Rosensteintunnel taucht eine grausige Leiche auf. Lisa begibt sich zuerst online auf Spurensuche. Sie soll die Identität der Person herausbekommen, die im Netz ein anonymes Veganblog verfasst. Denn die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hegt einen schrecklichen Verdacht.

Schnell merkt sie: In den sozialen Medien ist das Thema Ernährung sehr präsent. Da tobt der reinste Glaubenskrieg um die Frage, was wir essen sollten, vielstimmig, aggressiv und giftig. Doch um das weite Feld der Spielarten zwischen veganer Lebensweise und politischem Veganismus kennenzulernen, muss Lisa Nerz die Lederjacke ausziehen, den Computer ausschalten und sich in die Schlacht zwischen Omnivoren und Veganern begeben. Und wieder zeigt sich: Es ist alles ganz anders, als gedacht ...

»Lehmann legt ihre Bücher an wie Backsteine, die gefälligst Fensterscheiben zu zerschmettern haben. Nerz ist provokant, reizbar und schredderzüngig, trotz ihrer Schläue agiert sie reflexhaft antiautoritär. Allerdings schreibt Christine Lehmann nie in zittrigen Tönen deprimierter sozialer Schadensvermessung. Die Streitlust von Lisa Nerz drückt sich in der Dynamik, Frechheit, Wendigkeit ihrer Sprache bestens aus.« Stuttgarter Zeitung

»Sehr vergnüglich, wie Lehmann Handlungspartikel und Motiv-Optionen aufmarschieren und dann abservieren lässt ... mit viel, viel Spielwitz.« Deutschlandradio Kultur

Über die Autorin

Christine Lehmann lebt in Stuttgart und Wangen (Allgäu), ist als Nachrichten- und Aktuellredakteurin beim SWR tätig und schreibt Romane, Kurzkrimis, Kriminalhörspiele (Radio Tatort) und Glossen. Mehr Informationen finden Sie auf ihrer Homepage.

Christine Lehmann

Allesfresser

Der 12. Lisa-Nerz-Krimi

Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2016

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Printausgabe: © Argument Verlag 2016

Lektorat: Else Laudan

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 15.04.2016

ISBN 978-3-95988-040-4

Vorwort

Richtig essen wird immer schwieriger. Allergien nehmen zu, ebenso chronische Krankheiten und zivilisatorische Verschleißleiden, die auf Essgewohnheiten beruhen oder auch nicht – je nachdem, wem man glaubt. Schon 1982 schrieb Rohkostfreund Werner Sonntag in der Zeit, »dass über die Hälfte aller Krankheiten in der Bundesrepublik ihre Ursache in der Ernährung haben. Das Nachdenken beginnt aber erst, wenn es einem mal dreckig gegangen ist. Wieso Allergie? Was ist los mit den Zähnen? ... Der Chefkoch [einer ›Gesundkost‹-Fabrik, die Industriezucker verwendet] spricht von wirtschaftlichen Zwängen. Die Reformhäuser, denen es – als einzigen im Einzelhandel – glänzend geht, sind gefüllt mit ›wirtschaftlichen Zwängen‹. ... Der Suchende hat es schwer. Und viele suchen.«

Das war vor 34 Jahren. Seitdem hat sich die Lage weiter zugespitzt. Heute ist alles bio, was nicht billig ist, auf meinem Pestogläschen steht plötzlich ›vegan‹, die beteiligten Lobbys sind kaum überblickbar, von Ethikfragen ganz zu schweigen. Genau der richtige Zeitpunkt für die kriminalliterarische Lästerexpertin Lisa Nerz, ihre virtuelle Wahrheitenverkostung auf die Glaubenskämpfe um Ernährung auszudehnen.

Und wie das so ist mit ideologisch aufgeladenen Themen, scheint es wenig gesichertes Wissen zu geben, sondern vor allem jede Menge Widersprüche und Grauzonen. Sowie auf allen Seiten reichlich Frontmache, Rechthaberei, Gier und Missionsdrang. Ganz besonders im Netz, wo mittels Social Media eine Kultur des Verkündens blüht. Information ist billig und wildwüchsig. Es herrscht eine grelle Kakophonie aus Exhibitionismus, Aggression, Schmähungen und Da-geht’s-lang-Parolen.

Wieder einmal nutzt Christine Lehmann das Genre Krimi als kulturellen Spiegel. Oder ist es doch ein Zerrspiegel?

Wie auch immer: Ich lasse mich gern in eine Küche setzen, durch die Brutzelgeräusche und appetitliche Düfte ziehen, während parallel eine unbekannte, tief ernste Stimme philosophische Gruselzenarien entwirft. Das tolle an Lisa-Nerz-Romanen ist, dass ich in jedem einzelnen so viel über unsere Welt lerne, wobei zugleich das Gefühl vorherrscht, ›bloß‹ locker unterhalten zu werden. In dieser Hinsicht leisten Christine Lehmanns Krimis bei aller Flapsigkeit genau das, was zu den vornehmsten Aufgaben von Literatur gehört: Sie beleuchten ein Stück Wahrheit. Und sei es nur die, dass Entscheidungen rund ums Essen folgenreicher sind, als wir uns tagtäglich klarmachen. Guten Appetit!

Else Laudan

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

1

Es ist eine große Tötungslust in uns. Für jeden Mord führt ihr gute Gründe an. Ich musste sie töten, sagt der Serienkiller, weil sie eine böse Frau war. Ich habe eine Familie zu ernähren, meine Kinder wollen studieren, sagt der Metzger. Wenn ihr den Mund aufmacht, kommen Begründungen heraus. Wenn ich euch zuhöre, dann ist der Massenmord ein vernünftiger Akt. Ihr habt euch daran gewöhnt, Mörder zu sein.

Am Strick führe ich dich ins Menschenschlachthaus. Du riechst das Blut, du hörst das Ächzen der Sterbenden, aber du vertraust mir. Wenn deine Beine versagen und dir die Sinne schwinden, ist es zu spät. Ich warte nicht, bis das Betäubungsmittel wirkt. Ich haue den Haken in deine Fersen und schlitze dir gleich den Hals auf. Du zuckst noch, während du an den Füßen baumelnd vom Band zu den Zerlegern gefahren wirst, die dir den Bauch aufschneiden und die Eingeweide herausholen.

Mit scharfem Messer ritzte Richard die Hautseite der Entenbrust. Vorsicht, nicht das Fleisch verletzen! Er langte nach Salz- und Pfeffermühle und drehte die Mühlenköpfe mit resolutem Knirsch.

»Schmeckt Salz aus der Mühle eigentlich eleganter?«, fragte ich.

»Schon gut, Lisa, für dich dient essen nur der Lebenserhaltung.« Er rieb Salz und Pfeffer mit den Fingern in die Schnittwunden.

Cipión schnüffelte. Er durfte nicht erwarten, dass Richard ein Stück fallen ließ, und wartete doch. Der Dackel kannte die menschliche Fähigkeit, eigenen Prinzipien untreu zu werden. Um seine Hoffnung zu dämpfen und sich selbst vor der bevorstehenden Enttäuschung zu schützen, hatte er sich an der Heizung unter dem Küchentisch zusammengerollt und tat vor sich und der Welt so, als interessierte ihn das alles nicht. Doch seine Nase bewegte sich, und ab und zu musste er den Kopf heben.

Im abenddunklen Fenster spiegelten sich Küchenlampe, Hängeschränke und die halb angelehnte Tür hinter mir. ­Richard langte hüfthoch runter und drehte den Ofen auf milde Hitze. Mit der anderen Hand stellte er eine Eisenpfanne auf das ­Cerankochfeld und ließ am Faden Öl in die Fläche rinnen.

»Gefressen ist doch alles in zehn Minuten.«

»Darum muss das Kochen Freude machen«, erwiderte er und wischte sich die Hände am um die Hüfte geschlungenen Handtuch ab. Seine asymmetrischen Augen glitzerten. Er hatte zwar das Jackett abgelegt, aber er kochte im weißen Hemd mit Weste.

Ich streckte die Beine unter den Küchentisch und scrollte durch den Content des Blogs vegancode. Die Posts hatten weder Datumsheader noch Footer. Die Einträge standen als Texte untereinander. Die jüngsten oben.

Ich kann keinen Unterschied erkennen zwischen Hunden und Katzen, die wir verwöhnen, und Schweinen und Kühen, die wir quälen und töten. Meine Mutter stellt Vogelhäuschen auf und rettet Igel über den Winter. Als die Wale an der Küste von Neuseeland verendeten, war sie in Tränen aufgelöst. Eine Stunde später briet sie ein Putenschnitzel. Als ob die Biopute nicht sterben musste. Ich bin anders. Ich bin straight. Ich mache die Augen auf, ich unterscheide nicht zwischen menschlichen und tierischen Tieren, zwischen Haustieren und Schlachtvieh.

Im Menschenbauernhof nehme ich dir dein neugeborenes Kind weg. Und wenn du schreist, dann binde ich dich an. Zwei Mal am Tag setzt dir jemand die Pumpe an die Brüste, deine Milch wird abgezapft und verkauft. Solange du Milch gibst, musst du nicht schwanger werden. Versiegt sie, dann wirst du künstlich geschwängert, aber auch das nächste Kind kannst du nicht behalten. Nach zehn oder fünfzehn Jahren bist du verbraucht und wirst geschlachtet.

»Wieso könnt ihr sie nicht aufspüren?«

»Sie benutzt ein anonymes Routing-Programm«, antwortete der Oberstaatsanwalt. Er kippte die Pfanne und leitete aus der Viskosität den Hitzegrad des Öls ab. »Solche Programme suchen sich ihre Routen über Rechner von Privatpersonen, die es ebenfalls installiert haben. So geht das über ein paar Stationen ins Internet. Die eigene IP-Adresse landet nur beim ersten Computer. Beim zweiten Punkt landet man dann mit der des ersten, beim dritten mit der des zweiten und so weiter. So was lässt sich praktisch nicht zurückverfolgen. Zudem wird die Route alle paar Minuten erneuert.« Richard legte die erste, dann die zweite Entenbrust mit der geritzten Hautseite zuunterst in die Pfanne. Das Fett knallte und spritzte.

»Dafür braucht man aber ein paar Kenntnisse.«

»Nicht mehr, als auch du mit Hilfe des weltweiten Gehirns zusammenkratzen könntest.«

Ich hatte schon nach anonymem Bloggen gegoogelt. In der Tat: Dazu musste man kein Nerd sein. »Da braucht sie vermutlich nicht mal einen kleinen Bruder dazu.«

»Den gibt es nicht. Zumindest wird er nicht erwähnt.« Wieder guckte er auf die Uhr, drehte die Hitze unter der Pfanne etwas zurück, nahm eine Gabel und wendete die Entenbrüstchen von der Haut- auf die Fleischseite. Die Pfannenschlacht zwischen Wasser und Fett flammte erneut auf.

»Das wäre das erste Mal, dass du eine Diät durchhältst«, war Mamas Reaktion. Es geht nicht um Diät. Das begreift ihr nie. Es geht nicht um eure versklavenden Regeln, nach denen wir schön sein sollen. Darum kann es nicht gehen angesichts des massenhaften Leids fühlender Lebewesen, die geschlachtet und zerstückelt werden. Meine Mutter will die Kontrolle über mich nicht verlieren, darum droht sie. »Glaub nicht, dass ich extra für dich koche, mein Kind.« Sie setzt mir Käsespätzle vor. »Die kannst du doch wohl essen. An den Bohnen war auch Butter, und bist du gestorben?«

Ihr seid Sadisten. Ihr werdet gemein, wenn ihr im Unrecht seid. Es ist das schlechte Gewissen. Ihr faselt von Bio und dass auch ihr weniger Fleisch essen wollt, ihr redet von gesund leben, ihr nehmt Vitamine, ihr schimpft über die Hormone im Schweinebraten und Antibiotika. Ihr sagt: »Nichts kann man mehr essen.« Mit Gicht- und Arthrosefingern zerschneidet ihr weiter die Steaks, zerreißt Hähnchenflügel. Ihr stopft Eiweiß in euch hinein, das eure Gelenke in Dauerentzündungen zerfrisst. Dazu Sahne, darüber Käse, hinterher Milcheis und Schlagsahne. Zwischendurch ein Joghurt für die Darmflora. Ihr giert nach Gesundheit und vergiftet euch täglich. Ihr findet es schick, den Politikern zu misstrauen, aber ihr glaubt der Milchindustrie, die euch seit Jahrzehnten weismacht, Milch gebe euch Kalzium, und den Schwefel verschweigt, der eurem Körper mehr Kalzium entzieht, als die Milch euch gibt. Milch ist ein Stoff für Säuglinge, den produzieren die Mütter. Ihr suckelt Kuhmilch wie Babys. Ihr wollt nicht erwachsen werden. Wie Kinder kneift ihr die Augen zu, wenn man euch die Wahrheit zeigt und ihr Verantwortung übernehmen müsstet. Mit euren vermilchten Kindergehirnen und kollernden Hämorrhoiden-Därmen könnt ihr das nicht.

»Wow! Das gefällt mir.«

»Hm.« Richard teilte seine Aufmerksamkeit zwischen dem Geschehen in der Pfanne und dem Ziffernblatt seiner Armbanduhr. Mit dem Pfannendreher legte er die Brüstchen auf einen Teller und schob sie in den Ofen. Ah, Stille! Nur etwas Rauch zog noch durch die Küche. Richard nahm die Pfanne vom Herd, goss das Öl in den Ausguss, stellte sie zurück und löschte mit blutrotem Kirschsaft. Die Kirschen tropften bereits in einem Sieb in der zweiten Spüle ab. Mit kräftigen Händen öffnete er ein vakuumverschlossenes Glas Geflügelfond und schüttete die harngelbe Brühe in den wallenden und dampfenden Kirschsaft. Mit dem Pfannendreher kratzte er den Bratensatz vom Pfannenboden, während die Flüssigkeit schnell Kochfahrt aufnahm. Ich vermutete, dass noch irgendeine Art von rotfarbigem Alkohol aus Trauben dazugehörte, aber den ließ Richard wie immer weg.

»Und jetzt einreduzieren«, sagte ich.

»Reduzieren, Lisa.«

»Redukochen?«

Richard nahm die Sellerieknolle und begann die erdige Schale abzuschneiden. Die verletzten Ölkanäle entließen Aromen von Phthalid. (Googelte ich nebenher.) Wie spricht man das aus? Fffffta...

»Wenn das eine Art privates Tagebuch ist, warum stellt die Schreiberin es ins Netz? Wer die URL hat, ist drauf.«

»Aber die Mutter findet es garantiert nicht unter der Matratze oder hinterm Schrank«, sagte Richard.

»Sprichst du aus Erfahrung?«

Er gab einen undefinierbaren Laut von sich.

»Sag bloß, du hast als Kind Tagebuch geschrieben.«

»Damals gab’s keine Wolken zum Auslagern.«

Meine Mutter hatte vermutlich auch gesucht, aber nichts gefunden. Bestimmte Menschen taten gut daran, ihre Geheimnisse im Kopf aufzuheben. Den knackte man nicht mit einem Passwort. »Aber warum stellt sie es nicht auf einen externen Server, zu dem nur sie Zugang hat?«

»Das kostet Geld. Und man muss volljährig dafür sein.«

»Eine Sicherung des Blogs als ›nur für mich‹ wäre auch nicht schlecht gewesen.«

»Vielleicht soll das Blog für bestimmte Leute zugänglich sein. Es werden keine Klarnamen und Orte genannt.«

Ich kopierte »Mit euren vermilchten Kindergehirnen« in Anführungszeichen in die Google-Suchzeile. Der entsprechende Post aus dem Blog erschien. Sie hatte auch keinen noindex-Meta-Tag gesetzt. »Und wie bist du darauf gestoßen?«

»Ein Kollege hat mich auf das Blog aufmerksam gemacht. Es war wohl Beifang der Pornografie-Fahnder.«

»Gelogen, Richard. Die vom BKA, BND und NSA haben das Netz nach Stichworten durchgerastert wie Mord und Terrorismus.«

Richard blickte mich an. »Weil Terroristen Mord und Terrorismus immer als Flags vor sich hertragen. Würde ich auch so machen, wenn ich was in der Richtung vorhätte.« Wenn Richard sich Ironie gestattete, dann herrschte Fegefeuer der Verachtung.

»Willst du damit sagen, die Schlapphüte suchen genauso deppert wie ich hier über die Suchmaschine nach Begriffen wie schlachten, töten und Blut?«

Dazu sagte er nichts.

Ich rief Facebook auf. Die Vegane Gesellschaft hatte über 65.000 Mitglieder und behauptete: »Veganer beenden das Unrecht, das das eine Tier zum Kuscheltier und das andere zum Sklaven macht.« Dazu das Bild eines Schweins mit Katzenkopf. Und: »Milch tötet Kälbchen und Kühe und gefährdet auch dein eigenes Leben.«

»Wusstest du, dass Milch so granatenmäßig ungesund ist?«

Du denkst, Kühe sterben doch nicht daran, dass sie Milch geben. Das ist ein Irrtum. Damit du Milch trinken kannst, muss die Kuh gebären. Das Kalb wird ihr nach der Geburt entrissen, auch Bio-Kälber. Männliche Kälber werden sieben Monate lang gemästet und dann geschlachtet, weibliche Tiere werden ab dem zweiten Lebensjahr jedes Jahr künstlich befruchtet, damit sie gebären und Milch geben. Nach fünf Jahren sind sie verbraucht und werden geschlachtet. Eigentlich könnten sie dreißig Jahre alt werden. Und wir kriegen Asthma, Neurodermitis, Morbus Crohn, Akne, Diabetes, Nierensteine und Krebs. In Ländern mit hohem Milchkonsum gibt es besonders viel Osteoporose.

Ich ging meinen Milch-, Käse- und Joghurtkonsum durch und hörte meine Knochen bröseln. So fängt das an mit dem Veganwahnsinn. Es ist die Angst. Als ob ich hundert werden wollte.

»Nur seltsam«, bemerkte Richard, »dass bei uns siebzig Prozent der Erwachsenen Milchzucker verdauen können. Offenbar war es ein Evolutionsvorteil, wenn man sich in unseren Breiten Milchkühe halten konnte. Damit kam man über die langen und kalten Wintermonate ohne Pflanzenwachstum.« Er löste das Schalenpapier von einer kleinen Zwiebel und ließ das Messer über sie hinweghacken. Dann öffnete er den Kühlschrank und nahm die Butterdose heraus. Mit einem frischen Messer schnitzte er ein paar Flocken in einen Topf und stellte die Herdplatte an. Die Butter schmolz, er fegte mit dem Messer die Zwiebeln hinein und schob sie mit dem Kochlöffel hin und her. Sonntagsduft kam auf, der Geruch nach gebratenen Zwiebeln, der in meinem Kindheitsdorf sonntagmittags durch die Straßen zog.

»Und was beunruhigt dich an diesem Tagebuch so?«, erkundigte ich mich. »Abgesehen davon, dass sich die Autorin den veganen Schuss gesetzt hat?«

Der Staatsanwalt warf mir einen Blick aus asymmetrischen Augen zu.

Ich musste lachen. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass es den Menschenbauernhof mit dem Menschenschlachthaus wirklich gibt.«

Er schob die Selleriewürfel vom Brett in den Topf, wo sie zu schmurgeln begannen. »Das Menschenschlachthaus, das war ein Bestseller von Wilhelm Lamszus. Der hat 1912 den Ersten Weltkriegs vorweggenommen, ohne ihn verhindern zu können. ›Zitternd sehen wir, wie unsere Gesichter, unsere Uniformen rote nasse Flecken haben, und erkennen deutlich Fleischfasern auf dem Zeug. Eine fremde abgerissene Hand ... und da ... und da ... Stücke Fleisch, daran die Uniform noch haftet – da wissen wir es, und Grauen fällt uns an: Da draußen liegen Arme, Beine, Köpfe, Rümpfe, die heulen in die Nacht hinaus, das ganze Regiment liegt dort zerfetzt am Boden, ein Menschenklumpen, der zum Himmel schreit.‹«

»Brrr! Soll ich Wagner fragen, ob er einen Weg zu ihrem Computer findet?«

»Wagner kann nicht helfen.« Richard streute zwei Löffel Instantgemüsebrühe in den Topf, ließ Wasser in den Messbecher laufen und erstickte das Geschmurgel. Wieder nahm er die Salzmühle und ließ Kristalle in den noch zarten Dampf rieseln. Dann langte er nach dem Schälchen Zucker, das er für Gäste im Kaffeetassenschrank stehen hatte. Mit den Fingerspitzen streute er eine Prise ins Gemüse. Deckel drauf. »Ich habe ihn schon gefragt.« Er schaute mit memorierendem Blick auf die Armbanduhr.

»So ernst nimmst du das?«

»Lisa, wir sperren ganze Schulen, sobald ein jugendlicher Wirrkopf eine Amokdrohung ins Netz stellt.« Er wischte sich die Hände am Hüfthandtuch ab. »Lies es ganz!«

Nichtmenschliche Tiere werden massenhaft massakriert, aber wenn ich ein menschliches Tier töte, bin ich für euch eine Mörderin und kriege lebenslänglich. Mandela war 72, als er rauskam. Ich wäre dreißig Jahre jünger, hätte also noch ein Leben. Falls ich den Knast überlebe. Politische haben es schwer dort, berichtet eine von uns, die drin war. Für die Muslime kocht ihr halal. Aber Veganer, die sollen eben das Fleisch weglassen. Es gebe keinen medizinischen Grund, sich vegan zu ernähren. Als ob es einen medizinischen Grund für halal gäbe. Ihr versteht auch den Unterschied zwischen vegetarisch und vegan nicht. Es geht nicht nur ums Fleisch, es geht um Milch, Honig, Eier. Ihr könnt nicht sagen, ob das Brot mit Lecithin aus Eiern gebacken wurde, ob der Kuchen Gelatine enthält, ob in der Salatsoße Laktose verarbeitet ist. Und wenn die Hände und Füße kribbeln und ich Veg1-Tabletten brauche, dann sagt ihr: »Essen Sie Fleisch, dann sind Sie geheilt.« Wer nicht kooperiert, wird nicht vorzeitig entlassen. Wer nicht für die Kriegs- und Autoindustrie gegen ein paar Cent Teile zusammenbaut, den mobbt ihr. Bei mir werdet ihr anschließende Sicherungsverwahrung verhängen. Veganismus ist gemeingefährlich.

Im Gesetz steht, ein Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. Tagtäglich tötet die Fleischindustrie aus Habgier Hunderttausende Schweine, Hühner, Puten und Kühe. Was unterscheidet die von euch, außer dass ihr ein Gesetzbuch schreiben könnt, außer dass ihr Maschinen, Käfige und Techniken für Unterwerfung, Folter und Massenmord entwickelt habt? Tiere haben auch ein Nervensystem, sie empfinden Schmerzen, sie können leiden, sie haben Gefühle, sie können denken, Werkzeuge benutzen, sogar welche bauen. Ein Krake kann schauspielern. Er stellt Tiere dar, die sein Fressfeind fürchtet, eine Schlange, eine giftige Flunder. Vögel können zählen, sie können einander austricksen, sie benutzen Werkzeuge, sie spielen aus Lebenslust. Als Mörder bestraft ihr aber nur den, der das Tier tötet, das sich Mensch nennt.

Wenn ich dich töte, dann nicht aus Habgier, auch nicht zur Befriedigung meines Geschlechtstriebs. Ich habe keine niedrigen Beweggründe. Auch dafür habt ihr ein Wort. Ihr nennt es Terrorismus.

»Na ja, so leicht ist es nicht, einen Menschen zu töten, wie die hier schreibt. Man ist nämlich live dabei, wenn er stirbt. Und wer Tiere nicht sterben sehen kann, der soll einen Menschen sterben sehen können? Nee-nee, Richard.«

»Die Tierschützerszene hat durchaus ein gewisses Aggressions­potenzial, Lisa. Es werden Pelzläden verwüstet, Farbbomben auf Metzgereien geworden.«

»Ach Gott, ein Metzger ist doch nun wirklich nur das letzte Glied in der Kette der bösen Fleischindustrie.«

»Aber leicht als Zielscheibe auszumachen.«

»Aber nicht leicht umzubringen. Bei all den Messern um sich herum. Schon gar nicht von einer jungen Veganerin.«

Sein Schweigen wurde groß.

»Was ist los? Was ist passiert?«

»Eigentlich darf ich dir das nicht sagen. Es ist absolutes Stillschweigen vereinbart worden zwischen Polizei, Familie und der Presse. Und bislang halten sich alle daran.«

»Das hört sich vielversprechend an.«

Richard zögerte nur noch, um mich zappeln zu lassen. »Aber du darfst auf keinen Fall ...«

»Mach ich nicht, versprochen. Nun sag schon!«

»Hinni Rappküfer ist verschwunden.«

»Aha, und wer ist das?«

»Ein ziemlich populärer Fernsehkoch, Lisa. Er hat ... er hatte sonntags seine Show. Die Sendungen werden auf Schloss ­Favorite in Ludwigsburg aufgezeichnet.« Richard kam auf meine Seite des Tischs und dirigierte mein Auf und Ab in den Blog­texten. »Da ist es!«

Sonntag, Mordstunde. Es sieht leicht aus. Du stehst hinter dem Herd, ganz Herr über Töpfe und Nahrung, Dompteur toter Tiere. Deine Augen leuchten, deine Begeisterung springt über. Du hast Charisma. Die Skrupel redest du nieder. Du sprichst von einem schönen Stück Fleisch, einem schönen Fisch, zärtlich streichelst und klopfst du Fasern und silbrige Haut. »Die Augen des Fischs müssen klar sein, dann ist er frisch«, erklärst du den Hausfrauen. Es gefällt dir, du genießt die Macht über das, was tot vor dir liegt, damit du es aufschneiden und zerstückeln kannst. Du nennst Speck, was ein geräuchertes Teil vom toten Schwein ist, als habe es nichts mit dem Leben zu tun, das enden musste, damit du zeigen kannst, wie cool du bist, wie geschmeidig du aus Leichenteilen Gaumenfreuden bereitest. Du bist ein intelligenter Mensch, wieso erkennst du nicht, was du tust?

»Es gibt doch Dutzende von Fernsehköchen, die mit Fleisch und Fisch hantieren. Warum hat sie sich ausgerechnet in den verguckt?«

Das Netz überschwemmte mich mit Kochbüchern und Rezepten. »Wenn Sie Kartoffelbrei richtig machen wollen, nehmen Sie genauso viel Butter wie Kartoffeln, die Butter klären Sie ...«

Umpf!

Für diese Menge Butter war Rappküfer schlank, ein dunkelblonder Bursche mit wasserblauen Augen voller Energie und Liebe zum Tun. In Youtube-Videos ging er hinter der Küchenzeile auf und ab und jonglierte mit Messer und Brett. »Immer quer zu den Fasern schneiden, sonst wird das Fleisch zäh!« Während er Sahne schlug, Eier quirlte und hauchdünnes Kalbfleisch durch die Panade zog, dozierte er mit einer an Zwischentönen reichen und weichen, aber tiefen Stimme: »Der Veganismus ist bei genauer Betrachtung die Kulmination sämtlicher Ernährungslügen der letzten Jahrzehnte, kaschiert durch völlig überzogene ethische Ansprüche. Ich wurde hineingeboren in eine traditionsreiche Vegetarierfamilie. Mein halbes Leben bin ich krank gewesen. Dann habe ich umgestellt auf eine besonders fleisch- und fettreiche Kost.«

Okay. Da konnte ich mithalten.

»Sie alle, meine Damen und Herren, fürchten seit Jahrzehnten nichts so sehr wie tierisches Fett und Cholesterin. Man erzählt Ihnen, Herzinfarkte, Arteriosklerose und Krebs gingen darauf zurück. Sie verkneifen sich Eier und Butter und stopfen stattdessen Veggiecremes und Pflanzenöl in sich hinein, gar nicht zu reden von all der Schokolade, den Burgern, dem Brot und Kuchen. Und das, meine Damen und Herren, hat dramatische Auswirkungen auf Ihre Gesundheit. Das Heer der frierenden und von Burnout geplagten Menschen wird immer größer, von den vielen Krebstoten ganz zu schweigen. Ja, ich weiß, Veganer behaupten immer wieder, dass rein pflanzliche Kost gesund sei und alle Nährstoffe zur Verfügung stelle, die der Körper braucht. Aber was nützen Ihnen all die vielen guten Nährstoffe, wenn Ihre Zellen nicht mit ausreichend Energie versorgt werden? Und dazu eignen sich am besten ungesättigte Fette. Kohlehydrate hingegen, wie sie von Veganern und Vegetariern und – seien Sie ehrlich, auch von Ihnen – im Übermaß konsumiert werden, blockieren die Energiegewinnung in den Mitochondrien der Zellen. Im schlimmsten Fall befördern sie Diabetes, jetzt schon eine Volkskrankheit. Dazu kommen Unmengen von Pflanzenölen. Geben Sie zu, auch Sie glauben, ein Öl sei besser als das Stück Butter, das ich hier nehme. Was Sie nicht wissen, weil man es Ihnen verschweigt: Ihr Distelöl oder andere mehrfach ungesättigte Fettsäuren führen zu Fetteinlagerungen in Nieren und Leber und sogar in den Zellen der roten Blutkörperchen. Die platzen, und Sie werden anämisch, müde und schwach. Und noch was tun sie Ihren Zellen an. Man nennt es Peroxidation. Ungesättigte Fettsäuren zerstören Ihre körpereigenen Fette, die Lipide. So machen sie die Zellmembranen kaputt. Sie brauchen eine Unmenge Selen und Vitamin E, um das aufzufangen. So viel können Sie sich gar nicht zuführen.«

»Wusstest du das?«, fragte ich Richard. »Wie kannst du da noch Olivenöl nehmen?«

»Weil man eine Vinaigrette mit Öl und nicht mit Butter macht, Lisa.« Er schlug mit der Gabel Essig und Senf und ließ das Öl aus der Flasche nur tröpfchenweise hineinrinnen.

»Und das Cholesterin ...«, fuhr Rappküfer unerbittlich im Youtube-Viereck fort, »ja, das, meine Damen und Herren, ist nun wirklich einer der wichtigsten Stoffe für Regeneration, Reparatur und Aufbau unseres Organismus. Unser Herz besteht fast nur aus Cholesterin. Je höher der Cholesteringehalt Ihrer Nahrung, desto stabiler sind Ihre Zellmembranen und Ihr Bindegewebe.«

»O Gott, wir werden alle sterben.«

»Unausweichlich«, antwortete Richard. »Und zwar völlig unabhängig von dem, was wir essen.«

Ich suchte rasch nach Beschwichtigung. »Schau mal, dieser Rappküfer stellt sich gegen den Rest der Welt. Seine Thesen werden von ungefähr 80.000 Artikeln in Google widerlegt, die den gesundheitlichen Nutzen von mehrfach ungesättigten Fettsäuren beschwören. Weißt du was?«

Er schaute über die Schulter rückwärts. »Nein.«

»Unsere vegane Bloggerin mag sich ja mächtig an ihm reiben. Aber Rappküfers Gegner sitzen in den Chefetagen der Gesundheitsindustrie, die ihre Öle und Cholesterinsenker verkaufen will. Wenn dem jemand was getan hat, dann die. Wie kommt ihr überhaupt darauf, dass er entführt wurde? Vielleicht hat er sich abgesetzt. Flucht vor der ›Ich habe da schon mal was vorbereitet‹-Show. Oder er ist beim Drachenfliegen verunglückt.«

»Er ist beim Joggen verschwunden«, antwortete Richard. »Auf dem Schmidener Feld.«

»Habt ihr mal unter die Planen für den Spargel geguckt?«

Richards Braue zuckte ungehalten. »Seine Familie ist der Meinung, er sei entführt worden.«

»Warum?«

»Es gab Drohungen.«

»Aus der Veganerszene?«

Richard nickte. »Tatsache ist, dass gestern die Mannschaft eines Ruderboots im Oberwasser der Staustufe Poppenweiler eine verschlossene PET-Flasche aus dem Wasser gefischt hat. Eigentlich eine Manöverübung für die Mannschaft, aber es stellte sich bei näherer Betrachtung heraus, dass die Flasche ein ... ein Salatblatt enthielt.«

Ich musste lachen.

»Und zwar eines vom Radicchio. Darin war von außen gut erkennbar die Botschaft geritzt: ›Bin entführt, Hinni Rapp.‹ Deshalb brachte man sie umgehend zur Polizei.«

»Er hätte halt nur noch dazuschreiben müssen, wo er steckt.«

»Es handelte sich um ein eher kleines Stück Salatblatt. Und es steht zu vermuten, dass ihm sein Aufenthaltsort nicht bekannt ist.«

»Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass unsere straighte Veganerin irgendwas damit zu tun hat.«

»Ihr ist das falsche Wort, Lisa.«

»Also du?«

»Meisner leitet die Ermittlungen. Und sie ist gar nicht glücklich, dass sich in den zehn Tagen, die Rappküfer jetzt schon abgängig ist, nicht eine einzige belastbare Spur ergeben hat. Sie haben sein ganzes privates und berufliches Umfeld umgekrempelt. Ohne irgendwelche Verdachtsmomente oder Anhaltspunkte. Man hat auch das ganze Abhörklimbim installiert, aber es gab keinen einzigen Anruf mit irgendeiner Lösegeldforderung.«

»Wie lange hält wohl ein Salatblatt in einer PET-Flasche frisch?«

»Die Spezialisten vom LKA sagen, gekühlt im Flusswasser gut vierzehn Tage. Rappküfer könnte es gelungen sein, die Botschaft schon am ersten Tag seiner Entführung abzusetzen, vielleicht aber auch erst vor ein paar Tagen.«

»Immerhin ist damit schon mal klar, dass er sich irgendwo am Neckarufer befindet.«

»Nicht unbedingt. Ganz Stuttgart wird in den Neckar entwässert, es gibt zahllose Abwasserröhren und kleine Zuleitungen, einschließlich des Nesenbachs, der von Vaihingen aus Stuttgart als unterirdischer Abwasserkanal durchquert. Außerdem fließt oberhalb des Fundorts auch die Rems in den Neckar. An diesem Ende kannst du nichts holen, Lisa. Das beackert die Polizei. Aber vielleicht hier.« Er deutete auf mein Tablet.

»Mann, Richard, für unmögliche Zusammenhänge bin eigentlich ich zuständig. Und deine Rolle ist es, ›Unsinn!‹ zu sagen.«

»Immerhin ist die Autorin des Blogs im Schwäbischen zu Hause. Sie redet von Käsespätzle.«

»Dann würde ich dem BKA empfehlen, V-Leute in Veganerkreisen zu rekrutieren.«

»Das BKA kümmert sich um nationale Bedrohungen.«

»Veganismus ist eine nationale Bedrohung. In der Kantine des Stuttgarter Anzeigers gibt es seit neuestem jeden Mittag ein veganes Gericht. Tofu und Ahornsirup marschieren durch die Instanzen. Manager schreiben Kochbücher und predigen die Erlösung durch Gemüse. Der Messias ist eine Möhre.«

Richard deutete ein Schmunzeln an.

Während ich den Bloginhalt auf mein Tablet runterzog und überflog, zerfielen im Backofen bei schwacher Hitze die Molekülketten der Enten-Proteine zu Aminosäuren. Sie hörten auf, biologische Fähigkeiten zu haben, auch wenn die DNS erhalten blieb. Im Topf wurden die Selleriewürfel weich, Zellen platzten.

2

Gestern Nacht haben wir den Metzgereibetrieb besucht. Wir haben Fenster und Türen mit Farbe geschmückt, das Türschloss des Leichenhandels mit Kleber verschlossen und die Werbeschilder mit dem Wort »Mörder« verziert. Außerdem haben wir den Satz »Solange Menschen schlachten, gibt es Krieg« an der Hauswand hinterlassen. Merkt euch: Wir geben niemals auf, solange ihr fühlende Lebewesen als Produktionsmaschinen für eure Gefräßigkeit missbraucht. Wir solidarisieren uns mit allen Kämpfenden gegen diese Perversion weltweit. Keinen Frieden mit Massenmördern! Feuer, Flamme und Farbe der Tierausbeutungsindustrie! Für die Befreiung von Tier und Mensch!

Gebrannt hatte noch kein Metzgerladen, wie ich dem Netz entnahm, aber nicht nur ein Schlachter in Norddeutschland, auch einer in Baden-Württemberg war schon Opfer von Farbbombenanschlägen geworden, und das mehrfach. Der Laden befand sich in Leinfelden. Der Inhaber bezifferte den Schaden auf mittlerweile dreißigtausend Euro und stand kurz vor der Aufgabe. Ein örtlicher Aktivist der Tierschutzorganisation FAMA (Front against Murder of Animals) hielt sein Gesicht in die Kamera des Pressefotografen, bestritt jegliche Beteiligung an diesen Anschlägen, konnte und wollte aber nicht verhehlen, dass sie ihn freuten.

Falsch ist, was anderen wehtut, Menschen, Tieren, der Erde, auf der wir leben. Das ist eine Wahrheit. Sie ist so einfach, dass jedes Kind sie versteht. Wenn ihr die Augen aufmachtet, könntet ihr nichts essen, was ein Gesicht und eine Mutter hat.

Im Menschenbauernhof lebst du von Kindheit an eingepfercht mit Tausenden deiner Spezies, nackt und ohne Rückzugsmöglichkeit. Damit ihr euch nicht gegenseitig zerfleischt vor Stress, reiße ich dir schon als Kind Fingernägel und Zähne raus. Du brauchst sie nicht, denn du kriegst nahrhaften Brei mit Medikamenten, die dich schnell fett machen. Scheißen und pinkeln kannst du unter dich. Die Ammoniakdämpfe zerfressen dir die Lungen, aber so lange lebst du nicht, dass dir das Sorgen machen müsste. Alle sagen, du bist glücklich, denn du kennst kein anderes Leben, du musst dich um nichts kümmern, für dich wird gesorgt von deiner Geburt bis zu deinem Tod.

Ich begab mich ganz runter zum Anfang. Es begann ohne Vorspruch und ohne Zielerklärung.

Wenn im Fernsehen Berichte über Legebatterien und Tiertransporte kamen, habe ich nicht hingeschaut. Ich dachte, es wird ja abgestellt, wenn sie darüber berichten. Es seien Ausnahmen, Auswüchse. Meine Mutter kauft sowieso im Bioladen und nur zertifizierten Fisch. Ich habe nicht wissen wollen, dass die Fische innerlich platzen, wenn man sie aus der Meerestiefe holt, und im langsamen Todeskampf ersticken, wenn sie aus den Netzen in die Bäuche der Fischkutter fallen. Ich aß, weil es hieß, es sei gesund, und wir gehörten nicht zu denen, die Billigfleisch im Supermarkt kaufen. Mein Unbehagen ignorierte ich. Meine Übelkeit hielt ich für Hunger. So stopfte ich immer noch ein bisschen mehr in mich hinein, weil es im Kopf eine falsche Befriedigung erzeugte, ein falsches Glück.

Bis mein Körper Nein sagte. Es war Ostern. Vor mir lag ein Stück Lammbraten. Ich sah das Lämmchen mit blanken Augen auf der Weide springen. Nur ein paar Tage hatte es atmen dürfen. Meine Hände konnten Messer und Gabel nicht fassen.

»Du wirst doch jetzt nicht unter die Vegetarier gehen?«, sagte mein Vater. Er glaubt seit seiner Studentenzeit, sich perfekt in der Welt auszukennen. »Der Mensch ist ein Omnivore, ein Allesfresser«, trompetete er über den Tisch. »Einer der vielen Denkfehler der Vegetarier ist, dass sie glauben, die Intensivmast sei die einzige Möglichkeit, Tiere zu halten. Der zweite ist, dass sie glauben, dass Nutztiere Getreide brauchen, mit dem man besser die Menschen direkt ernähren könnte. Aber, mein liebes Kind, Schafe fressen, was wir Menschen nicht verdauen können: die Zellulose der Gräser. Die wandeln sie für uns in hochwertige Nahrung um, in Fleisch und Milch, in Eiweiß und Fett.«

Ich dachte, mein Anfall würde vorübergehen. Ich behauptete, ich würde eine Diät machen. Meine Mutter schwor auf No-Carb, keine Kohlehydrate. »Das ist das Einzige, was wirkt. Keine Kartoffeln, kein Brot, dafür viel Fleisch und Fisch.« Sie denkt, sie kennt sich damit aus, weil sie immer wieder eine Diät macht und immer fetter wird.

Dann sah ich Storchenbein, das Mädchen in roten Leggins. Sie war eine Klasse unter mir. Das wusste ich, also musste ich sie vorher schon gesehen haben. Aber erst an diesem Tag sah ich sie bewusst. Sie stand unter der Linde mit einem dunklen Brot in der Hand und biss in einen Apfel. Vielleicht schaute ich sie deshalb an, weil ich Hunger hatte, denn ich hatte mein Geld vergessen und konnte mir nichts beim Schulbäcker kaufen. Sie lächelte, kam zu mir und bot mir ihr Brot an.

»Cashewcreme«, sagte sie. »Das ist vegan.«

Auch ihre Schuhe waren vegan. Sie sahen aus wie Leder, waren aber aus Mikrofaser von Buchenholz. »Kannst du in der Waschmaschine waschen.« Ich dachte an die neuen Stiefel und sagte: »Vegan ist nicht so mein Ding. Aber das Brot ist lecker.«

»Hab ’ne Botulinvergiftung überlebt«, erzählte sie. »Gepökelter Schinken vom Biohof. Glückliches Schweineleben, den ganzen Tag auf der Weide. Leider ohne Nitritsalz gepökelt. Das hielten die für gesünder. Und wir hatten keine Ahnung.«

Auf dem Feld nebenan hatte ein Bauer Mist aus seiner Hühnermast ausgebracht. Dieser Mist enthielt Leichenteile. Mit dem Regenwasser drang der Dung in die Bioschweineweide ein. Und damit das Bakterium Clostridium botulinum. Es vermehrt sich hauptsächlich in Tierkadavern. Nitritsalz hätte die Bakterien abgetötet, so aber vermehrten sie sich im Schinken und produzierten das Gift.

»Man schmeckt es nicht«, sagte Storchenbein. Sie bekam Lähmungen und musste auf der Intensivstation behandelt werden. »Seitdem esse ich kein Fleisch mehr«, sagte sie. »Zuerst waren wir nur Vegetarier. Aber wenn du Eier isst, ändert sich ja nichts. Die Felder werden weiter mit Leichenteilen vergiftet. Und wenn meine Mutter nicht auf vegan umgestellt hätte, würde sie heute auch nicht mehr leben.«

Sie litt unter Morbus Crohn. Mindestens fünfzehn Prozent der Rinder haben Paratuberkulose. Der Erreger ist in der Milch, er kommt mit der Gülle auf die Felder, er überlebt im Wasser monatelang. Er kann uns über die Milch oder ein halbrohes Steak infizieren und Morbus Crohn auslösen. Bei dieser Krankheit hat man immer wieder Durchfall und kann einen Darmverschluss kriegen. »Gilt als nicht heilbar«, sagte Storchenbein. »Aber meine Mami wurde geheilt, als sie aufhörte, Milch zu trinken und Milchprodukte zu essen. Wenn du das gesehen hast, dann weißt du, warum du vegan lebst. Alles andere wäre total bescheuert.«

Betrifft mich nicht, dachte ich. Aber es ließ mir keine Ruhe. Ich informierte mich. Das Campylobacter kann Durchfall und Hirnhaut- und Gelenkentzündungen auslösen, bis hin zu Lähmungen. Die meisten Leute vergiften sich zu Weihnachten, wenn sie die Pute zu früh aus dem Ofen holen, oder wenn sie die Hände nicht gründlich waschen, bevor sie den Salat oder Nachtisch machen.

Ich konnte keine Eier mehr essen und keine Milch mehr trinken. »Du willst doch eigentlich auch öfter mal vegetarisch kochen«, sagte ich zu Mama. Sie hätte Gemüse und Kartoffeln vegan zubereiten können und für Vater was braten. Aber dazu war sie zu feige. »Dein Vater ist imstande und geht zum Essen ins Restaurant. Männer brauchen ihr Stück Fleisch.«

Er hält sich irre was darauf zugute, dass er kein Rassist ist, nicht homophob und nichts gegen den Islam hat. Er hält sich für einen linken Öko, nur klüger als alle anderen. Er denkt, es reicht, gegen Atomkraft zu sein und mit dem Rad in die Schule zu fahren. »Speziesismus«, sagte er, »ist keine politische Kategorie, sondern Naturromantik.«

»In einer speziesistischen Gesellschaft«, erklärte ich, »müssen Millionen Lebewesen leiden und sterben, nur weil sie einer anderen Spezies angehören als das menschliche Tier.«

»Das ist kein menschliches Alleinstellungsmerkmal«, sagte mein Vater, »deine lieben Tiere trennen auch zwischen Spezies, nämlich denen, die man frisst, und denen, die man nicht frisst. Ein Gnu stirbt qualvoll, wenn der Löwe es gepackt hat. Löwen beißen ihm nämlich in die Kehle oder ins Maul und drücken ihm die Luft ab, bis es erstickt. Der Mensch gehört zu den Raubtieren, und sogar zu den schlimmsten, das will ich dir konzedieren. Vom Tier unterscheidet uns die Ethik. Wir legen fest, was gut und böse ist. Und wir sind fähig zum Mitleid, zum Beispiel mit Tieren.«

»Darum kann ich es vor meinem Gewissen nicht mehr rechtfertigen«, sagte ich, »dass andere Lebewesen für mich leiden müssen, wenn ich es vermeiden kann.«

Er lachte sein sadistisches Pädagogenlachen. »Dann verzichte doch zuallererst mal auf dein Handy und deinen Laptop. In den kongolesischen Minen sterben die Arbeiter für Tantal. Mit dem Geld werden Kriege finanziert. An einem durchschnittlichen Handy klebt mehr Blut als an einem Steak. Und nicht zu vergessen das Kupfer. Du dürftest kein Licht anmachen, keine Uhr tragen. Bei der Herstellung von Kupfer verwendet man nämlich Knochenleim als Inhibitor.«

Für ihn ist die Welt in Ordnung, wenn er sie erklärt hat und die anderen schweigen.

Ich fragte Storchenbein. Sie hatte ein Handy für ihre Musik vor allem. Licht machten sie auch an. Es gibt auf der ganzen Welt kein Kupfer, wo nicht bei der Reinigung in der Elektrolyse Knochenleim verwendet wird. Sie versuchten so wenig Kupfer wie möglich zu verwenden. Mit dem Geigespielen hatte Storchenbein aufgehört, als sie erfuhr, dass Geigen mit Knochenleim geklebt werden, weil er hart ist und den Ton am besten überträgt. Plastiktüten verwendete sie auch nicht. Erdöl besteht aus toten Tieren. Sie wurden zwar nicht für uns umgebracht, aber Plastik schadet den Tieren heute. Es schwimmt tonnenweise im Meer.

Sie haben mich mit ins Zentrum genommen. Ihre Mutter kocht freitags dort. Zum ersten Mal hörte ich Goldfinger. Und als sie sangen »I didn’t ask to be broken« und dann »so free me!«, da musste ich echt weinen. Ich fühlte mich gleich richtig dort. Sie sind Freeganer. Sie holen sich die Nahrungsmittel aus den Containern hinter den Läden. Täglich landen Tausende Tonnen im Müll, nur weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Woanders sterben Kinder an Hunger. Aber in Deutschland ist es eine Straftat, Diebstahl, wenn ich mir hole, was in die Müllverbrennung soll. An wem? Ihr könntet die abgelaufenen Lebensmittel verschenken. Doch das tut ihr nicht, denn das würde eure Lebensmittelpreise verderben. Deshalb kriminalisiert ihr die Lebensmittelretter. Das ist eure Logik.

Am Kühlschrank klebte ein Zettel, auf dem stand, wie man die Lebensmittel kennzeichnen sollte. Ein Strich für nicht-vegan, ein Kreis für vegan und ein Smiley für containert und vegan. Nicht alle, die an den Kühlschrank gehen, sind Veganer. »Wir schreiben niemandem etwas vor«, haben sie mir erklärt. »Das muss jeder für sich selbst entscheiden.«

Ich fragte, was man machen müsste, um im Haus zu wohnen. »Nichts«, sagten sie und lachten. Sobald ich achtzehn bin, kann ich bei ihnen einziehen. Irgendeine Ecke findet sich für mich.

Richard steckte ein Gerät zusammen, das mich an den Satz meines Vaters erinnerte, wenn er sich zu Tisch setzte: »Da hat Mutti aber wieder gezaubert.« Mein Vater zauberte nicht, wenn er in seinem Zweitwagenhandel einen Motor wieder zum Laufen brachte, denn Schraubendreher hießen nicht Zauberstab. Zu Zeiten meiner Eltern, als Männer nur am offenen Feuer Fleisch wendeten, war die Zubereitung von Suppen oder Kartoffelbrei eine Kunst der Alchemie, die man durchaus mit Misstrauen betrachtete. Immerhin war mein Vater auf dem Sofa im Wohnzimmer verendet, als ich vierzehn war. Herzinfarkt.

»Wie hieß noch mal die Frau, die vor zweihundert Jahren ein Dutzend Menschen vergiftet hat?«

»Gesche Gottfried, auch der Engel von Bremen genannt. Wie kommst du darauf?«

»Keine Ahnung.«

Richard ließ den Zauberstab surren und senkte ihn in den Topf mit dem weich gekochten Sellerie. »Ihren ersten Mord beging sie 1813 an ihrem Ehemann.« Über den Topf gebeugt fing er mit hackenden Bewegungen die Stückchen ein und zermalmte sie. »Zwei Jahre später brachte sie ihre Mutter um und, weil es so schön lief, noch zwei Töchter, ihren Vater und ihren Sohn. Im folgenden Jahr hielt sie sich zurück und vergiftete nur ihren Bruder. Im Jahr danach war ihr zweiter Mann dran.« Der Inhalt des Topfs wehrte sich mit unanständigen Geräuschen gegen die Zerstückelung. »Sechs Jahre war sie abstinent, dann vergiftete sie ihren Verlobten. In den folgenden Jahren ging es weiter mit ihrer Freundin, einem Nachbarn, der Vermieterin, dem kleinen Kind einer Freundin und der Freundin selbst. Der Letzte war ein Freund, dem sie Geld schuldete.«

»Dann ging es ihr ums Geld?«

»Nicht unbedingt.« Richard hob den Zauberstab aus dem Mus. »Es war wohl eher eine Folge ihrer Erfahrung, wie leicht es war, jemanden umzubringen, ohne dass irgendwer Verdacht schöpfte. Man bedauerte sie sogar für ihre tragischen Verluste. Es wurde zum Selbstläufer, zur gewohnheitsmäßigen Reaktion auf Widerstände, Sorgen und Unlust. Ihr erster Mann musste sterben, weil er einer Liebschaft, ihre Kinder, weil sie der zweiten Ehe im Weg standen. Das waren keine Widerstände, die sie nicht auch anders hätte überwinden können. Und das kleine Kind ihrer Freundin dürfte ihr in keiner Weise im Weg gestanden haben. Mit manchem Mord befreite sie sich auch aus Geldsorgen. Ihre Männer hat sie jedes Mal langsam vergiftet und dabei so aufopfernd gepflegt, dass sie ihr versprachen, sie in ihren Testamenten zu bedenken.« Er klopfte die Reste Mus aus dem Zauberstab.

»Und wie hat sie es gemacht?«

»Sie hat Mäusebutter ins Essen gemischt.« Richard spülte den Kopf des Zauberstabs unterm Wasserhahn ab. »Mäusebutter, so nannte man damals mit Arsen gemischtes Fett in kleinen Kügelchen. Übrigens sind auch gar nicht alle gestorben, die sie damit verköstigt hat.«

»Nicht lustig, eine Arsenvergiftung«, bemerkte ich. »Tagelang Krämpfe, Erbrechen, Koliken, innere Blutungen, schließlich Nieren- und Kreislaufversagen. Das muss doch aufgefallen sein.«

»Damals starb man oft an Infektionen. Bakterien waren noch unbekannt, von Viren ganz zu schweigen, und wie gefährlich die Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen waren, schien auch niemand zu wissen oder wissen zu wollen. Erstaunlich ­eigentlich, wenn man bedenkt, dass das Wissen über Lebensmittel und ihre Zubereitung zur Entgiftung seit Tausenden von Jahren tradiert wird. Aber es sieht so aus, als ginge das Wissen darüber in regelmäßigen Abständen fast vollständig verloren. Meine Mutter hat grüne Kartoffeln noch weggeworfen, und das in den Hungerzeiten nach dem Krieg, weil sie Solanin enthalten. Und heute wundern sich die Leute, wenn sie nach Pellkartoffeln oder in der Schale gebackenen Kartoffeln Kopfschmerzen kriegen. Dass man die grünen Stellen wenigstens wegschneidet, haben sie noch nie gehört.«

»Liegt sicher daran, dass Pommes keine Schale haben«, bemerkte ich. »Und wie hat man Gesche drangekriegt?«

»Ihr Vermieter hat Verdacht geschöpft, als er die Kügelchen im Schinken fand. Er ließ sie von einem Apotheker untersuchen.«

Richard öffnete den Kühlschrank, nahm einen Becher Sahne heraus, zog den Deckel ab und goss einen großzügigen Schwapp in den Topf. Er schnitt eine Zitrone in zwei Hälften und drückte eine davon mit kräftiger Hand durch die Finger der anderen Hand ins Püree. Die Kerne blieben in seinen Fingern zurück. Er schüttelte sie in den Mülleimer und spülte die Hände ab.

»Gesche Gottfried war übrigens die letzte Person, die in Bremen öffentlich hingerichtet wurde, 1831 vor dreißigtausend Zuschauern.« Wieder schaute er auf seine Uhr. »Und ihr Prozess war der erste in der Rechtsgeschichte, wo die Verteidigung die Schuldunfähigkeit der Angeklagten ins Feld führte. Das Gericht verwarf den Antrag, und zwar mit dem heute noch gültigen Argument, Gesche Gottfried habe gewusst, was sie tat und dass sie damit Unrecht beging.«

»Jetzt weiß ich, wie ich drauf komme.«

Er schaute mich an.

»Ich musste mir klarmachen, dass es wenigstens eine Massen­mörderin auf der Welt gibt. So erscheint deine Idee weniger absurd, dass unsere Veganerin einen Starkoch einpfercht, mästet und dann zur Schlachtbank führt.«