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Gerd Zucker staunt nicht schlecht, als er beim Joggen im Meroder Wald dem leibhaftigen Cristiano Ronaldo begegnet – und dem Superstar, der soeben seine Fußballerkarriere beendet hat, darüber hinaus auch noch das Leben rettet. Ronaldo ist so dankbar, dass er sich bereit erklärt, für den gerade erst gegründeten FC Merode in der Kreisliga C zu spielen – Die Landesliga ist das Ziel! Zucker bringt Ronaldo und seinen Manager heimlich am Rande des Dorfes unter, nur wenige Eingeweihte wissen von der Anwesenheit des Weltstars. Doch bald verbreiten sich erste Gerüchte, Offizielle von Alemannia Aachen versuchen, den Ausnahmekicker abzuwerben und Gerd Zucker sieht sich vor große Herausforderungen gestellt.
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2024
Günter Krieger
Als Cristiano Rnaldo nach Merode kam
Die haarsträubend komische Story vom Superstar, der in der rheinischen Provinz strandete
Eifeler Literaturverlag 2024
Impressum
1. Auflage 2023
© Eifeler Literaturverlag
In der Verlagsgruppe Mainz
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Eifeler Literaturverlag
Verlagsgruppe Mainz
Süsterfeldstraße 83
52072 Aachen
www.eifeler-literaturverlag.de
Gestaltung, Druck und Vertrieb:
Druck & Verlagshaus Mainz
Süsterfeldstraße 83
52072 Aachen
www.verlag-mainz.de
Umschlaggestaltung:
Dietrich Betcher
Lektorat:
Christoph Swiontek
Druckbuch:
ISBN-10: 3-96123-083-8
ISBN-13: 978-3-96123-083-9
E-Book:
ISBN-10: 3-96123-115-X
ISBN-13: 978-3-96123-115-7
Zum Gedenken an Gerhard Zucker,
der Unmögliches möglich machen wollte.
Karrierestationen von
Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro.
Tag 1: Sonntag
Die Warnung vor dem Sturmtief »Putin« interessierte Gerd Zucker nicht die Bohne. Im Gegenteil, bei diesem Mistwetter würde er den Wald ganz für sich alleine haben. Dachte er zumindest. Er hasste es, wenn alle Welt ihn beim Joggen anquatschte. Aber wenn man wie er bekannt war wie ein bunter Hund, der sich nicht nur in allen Ortsvereinen aktiv engagierte, sondern überhaupt gern den Mäzen und Wohltäter herauskehrte, dann musste man eben damit leben.
Zucker, ein Mittvierziger von blendendem Aussehen, verheiratet mit Vera, einer ehemaligen Miss Rheinland, zwei Kinder, Meike und Luca, Zwillinge, als weitbekannter Immobilienhändler in der Ersten Liga spielend, ein Gewinnertyp im geläufigsten Sinne, eben dieser Zucker hatte sich zeit seines Lebens als Visionär gesehen. An besagtem Nachmittag, als Putin sich anschickte, als Sommersturm sein Unwesen über der Nordeifel zu treiben, sollte Zucker beim Joggen im sturmgepeitschten Wald des 700-Seelen-Dorfes von Merode die denkwürdigste Begegnung seines Lebens haben. Und immerhin hatte er schon viele denkwürdige Begegnungen gehabt, nicht nur mit dem Papst oder der Bundeskanzlerin, sondern auch mit Ivanka Trump, Greta Thunberg, mindestens drei Typen, die behaupteten, sie wären schon einmal von Außerirdischen entführt worden, sowie einem, der sich für Jesus hielt.
Wenn Gerd Zucker joggen ging, dann tat er das selten ohne Wilson. Wilson war ein vierjähriger, leicht übergewichtiger Boxerrüde, dessen Spezialität das Sabbern war. Vera wurde deshalb zu Hause fast wahnsinnig. Beinahe täglich ließ sie die Putzfrau antreten. Vera bestand darauf, dass ihr Mann den Köter zum Joggen mitnahm, dann sabberte er wenigstens solange nicht im Haus herum. Das war Zucker eigentlich weniger recht, denn Wilson war nicht der sportlichste Hund und bremste ihn in seinem Lauftempo, aber um des lieben Friedens willen tat er, was Vera von ihm verlangte und nahm den Hund mit in den Wald. Seine frühere Hoffnung, Wilson würde im Lauf der Zeit an Kondition zulegen, hatte sich bislang nicht erfüllt. Stattdessen war Wilson eher noch lahmer geworden. Die Tierärztin sagte, das läge an seinen Hüften, und eigentlich müsse man das Tier vor größerer Belastung schonen. Aber wer rastet, der rostet, hatte Vera irgendwo gelesen, zu fett war das Viech ja sowieso. Von Gegenargumenten wollte sie nichts hören. Was vielleicht eher daran lag, dass Vera und die Tierärztin früher Klassenkameradinnen gewesen waren und sich gegenseitig die Jungs ausgespannt hatten.
Während Zucker den ansteigenden Marienweg hochjoggte, der vorbei am Soldatenfriedhof »Marienbildchen« weiter waldeinwärts führt, musste er sich eingestehen, dass er noch nie einen so heftigen Sommersturm erlebt hatte. Die Herbststürme der vergangenen Jahre hatten ja bereits viel Unheil angerichtet, aber dass einem nicht mal im Sommer Schonfrist gewährt wurde, musste am verdammten Klimawandel liegen. Kein Wunder, dass die besorgten Meteorologen das Sturmtief nach Putin benannt hatten. Immerhin hatten sie sich auch schon auf einen Namen für das nächste Hochdruckgebiet geeinigt, es würde »Selenskyj« heißen.
Der Wind wirbelte wie eine Furie um den Jogger und seinen Hund herum, und der Wald stieß ein Geschrei aus, das den Geräuschpegel auf dem Pausenhof einer Grundschule locker übertönte. Zucker hielt Wilson fest an der Leine, was den Hund davor bewahrte, von einer Böe in den Abgrund gerissen zu werden, wo er zehn Meter tiefer im Forellenbach gelandet wäre. Dem Hund schien die Gefahr nicht wirklich bewusst zu sein, denn als er am Wegrand den kolossalen Haufen eines Artgenossen erblickte, beharrte er darauf, in aller Seelenruhe daran zu schnuppern, sodass Zucker wieder nichts anderes übrigblieb, als auf der Stelle zu treten. Ein vorbeifliegender Ast verfehlte ihn um Haaresbreite. Rechts des Weges, am ansteigenden Huppenberg, führten die Baumkronen einen vogelwilden Windtanz auf. Und jetzt, verdammt nochmal, fing es auch noch an zu blitzen und zu donnern.
Vielleicht sollte er seinen Waldlauf abbrechen und umkehren? Andererseits hatte Vera ihre nervtötende Freundin Beatrix zum Kaffeeklatsch geladen, und auf diese Begegnung hatte er keinen Bock.
»Weiter, Fettwanst!«, schrie er seinen Hund an, denn der Sturm wollte übertönt sein. Wilson musste sich noch zweimal bitten lassen, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Dass sie momentan Rückenwind hatten, machte die Sache etwas leichter, wenn auch nicht ungefährlicher, schließlich wusste jedes Kind, dass man sich während eines Sturmes nicht im Wald herumtreiben sollte. Sogar im Radio hatten sie vorhin noch davor gewarnt, doch hey, wenn Zucker immer einen auf Mimose gemacht hätte, stünde er heute nicht dort, wo er war. Erfolg war nie ohne Risiken zu erreichen, wenngleich er zugeben musste, dass ein bedrohlicher Sturm inklusive Gewitter nicht gerade als Argument für beruflichen Erfolg herhalten konnte. Also erwog er noch einmal umzukehren, denn eine Begegnung mit Beatrix war wenigstens nicht lebensgefährlich. Weil aber Wilson unvermutet Agilität an den Tag legte und echten Speed bekam – offenbar machte der Sturm ihn eher wuschig statt ängstlich –, beschloss Zucker, seinen Lauf fortzusetzen. Über den Erbsweg würde er dann nach Merode zurückehren und am Ende wie geplant seine komplette Runde absolviert haben.
Windumtost, aber ohne Zwischenfälle erreichte er die Stelle, wo der Marienweg in den Erbsweg mündet, linkerhand eine Sitzbank. Genau hier kam es nun zu der erwähnten Begegnung, die um ein Haar in einer Tragödie geendet hätte.
Zwei Männer, Mittdreißiger, beide trugen Rucksäcke. Der eine, dunkelhaarig, athletische Statur und rotes Nike-Käppi, saß mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Bank und hielt sich den rechten Fuß. Der zweite, kleiner, runder, kahlköpfig und Augenlider so dick wie Cocktailtomaten, stand etwas ratlos daneben. Sie bemerkten den herannahenden Zucker und wunderten sich sichtlich, dass sich außer ihnen noch jemand bei diesem Hundewetter im Wald tummelte.
»Kann ich helfen?« Unmittelbar vor der Bank blieb Zucker stehen.
»Halten Sie Ihren Köter zurück!«, forderte der Kahlkopf.
»Der tut nix!«, beteuerte Zucker, obwohl Wilson den Kahlkopf böse anknurrte. Das machte er sonst nie, auch nicht bei Fremden, außer bei dem neulich hausierenden Spendensammler für den Zirkus, wenngleich weit und breit kein Zirkus gastiert hatte.
»Wir kommen schon zurecht«, sagte der Kahlkopf und packte seinen Kumpan grob am Arm, um ihn von der Bank zu zerren. Als dieser aufrecht stand, ließ er sich aber sogleich wieder unter lautem »Fuck«-Schmerzgeschrei niedersinken.
»Sind Sie sicher, dass ich nicht helfen kann?«, hakte Zucker nach.
»Er hat sich den Knöchel verstaucht, hoffentlich ist nichts gebrochen!«, sagte der Kahlkopf. Resignierend nahm auch er auf der Bank Platz.
Zucker musterte den Verletzten eingehend, während seine Kinnlade immer weiter nach unten klappte.
»Ist das möglich, Wilson?«, fragte er seinen Hund. Wen hätte er sonst fragen sollen?
Vor ihm, dort auf der Bank, da saß –
»Cristiano Ronaldo! Alter Schwede, das ist Cristiano Ronaldo!«, rief er aus.
Ronaldo und der Glatzkopf wichen seinem Blick aus. Dementieren hätte wenig Sinn gemacht. Wie hätte man Cristiano Ronaldo auch verwechseln können? Den Papst konnte man verwechseln, okay, vielleicht auch Manuel Neuer, Olaf Scholz oder Helene Fischer – nicht aber CR7, einen der größten Fußballer ever.
Was zur Hölle machte Cristiano Ronaldo mitten im Meroder Wald, noch dazu an diesem Tag und bei diesem Sauwetter?
»Fragen Sie besser nicht«, sagte der Glatzkopf vorsorglich; irgendwie klang es wie eine Drohung.
»Aber das … das ist ja der Wahnsinn«, fand Zucker.
»Ja, das hören wir öfter.«
»Sind Sie sein Manager?«
»Ich? Jawoll. Sie haben es erfasst.«
Das alles musste Zucker erstmal sacken lassen. Noch vor wenigen Minuten hätte er die Wahrscheinlichkeit auf einen Sechser im Lotto zehnmal höher eingeschätzt als eine zufällige Begegnung mit CR7 und dessen Manager beim Joggen im sturmumtosten Wald von Merode.
»Warum läufst nicht einfach weiter, Alter?«, gab Cristianos Manager sich genervt von Zuckers Anwesenheit.
»Aber wie soll er denn weitergehen mit seinem verletzten Fuß?«, gab Zucker zu bedenken.
»Ist das vielleicht dein Problem?«
Höflich war anders, aber Genervtsein war eine Managerkrankheit und in einer Situation wie dieser auch irgendwie verständlich. Daher beschloss Zucker, seinen Lauf nunmehr fortzusetzen und die beiden Männer in Ruhe zu lassen, ganz sicher hatten sie längst um Hilfe ersucht, denn wo ein Cristiano Ronaldo war, da war sein Mitarbeiterstab bestimmt nicht weit.
Zucker hob eine Hand zum Gruß, den CR7 mit Leidensmiene erwiderte, und schickte sich an weiterzulaufen. Eine apokalyptische Sturmböe kam in diesem Augenblick über sie. Es blitzte hell auf, und aus den Augenwinkeln konnte Zucker gerade noch sehen, wie die Äste der Eiche hinter der Sitzbank sich grotesk verrenkten. Er fuhr herum. Ein fürchterliches Krachen war zu vernehmen. Ein Ast aus der Krone von der Länge eines Kleinwagens, getroffen vom Blitz, war im Begriff abzubrechen und würde gleich – um Himmels Willen – würde gleich unweigerlich auf die Sitzenden hinabstürzen.
Zucker winkte den Männern aufgeregt zu und wies mit wilden Gesten auf das nahende Unheil über ihren Köpfen hin. Endlich erkannten die beiden die Gefahr. Wie von der Tarantel gestochen sprang Cristianos Manager auf und brachte sich mit fünf, sechs weiten Sätzen in Sicherheit.
Wieso zum Henker half er dem verletzten CR7 nicht?
Geistesgegenwärtig ließ Zucker Wilson los und stürmte Richtung Bank, wo CR7 sich zwar erhoben hatte, aber vor Schmerzen oder Entsetzen oder beidem nicht imstande war, sich zu bewegen. Mit aufgerissenen Augen schien er auf seine Exekution zu warten. Die Luft roch nach angesengtem Holz und Elektrizität.
Der getroffene Ast hatte sich inzwischen weitgehend vom Stamm gelöst und beugte sich, langsam zwar, aber unaufhaltsam, der Schwerkraft. Zucker erreichte den sechsfachen Weltfußballer des Jahres in letzter Sekunde, riss ihn mit sich fort, und stieß ihn, weil er einfach zu kompakt war, um ihn weiter zu schleppen, aus der Gefahrenzone. CR7 stürzte bäuchlings zu Boden, während nur drei Schritte hinter ihm die Bank von dem Verderben bringenden Ast buchstäblich in Kleinholz zerlegt wurde.
Für zwei oder drei Sekunden herrschte Totenstille, schwieg der Sturm, als sei er entsetzt darüber, welch hochprominentes Opfer ihm da gerade durch die Lappen gegangen war.
»Au wei!«, schrie Cristiano.
Cristianos Manager trat zögerlich näher und beugte sich über seinen Goldesel, der sich den Fuß hielt.
»Alles in Ordnung, Alter?«
»Fuck!«, fluchte Cristiano. »Du hättest mich beinahe sterben lassen, Alter.«
»Er spricht ja deutsch«, wunderte sich Zucker.
»Aber nur ein paar Sätze. Danke, dass Sie ihm das Leben gerettet haben.« Der Manager sah offenbar ein, dass es keinen Grund der Welt mehr gab, weiter unfreundlich zu sein.
»Na ja«, winkte Zucker ab. Das hätte doch jeder getan. Also … fast jeder.«
»Ich hab als Kind mal einen Ast vor die Rübe bekommen, davon bin ich bis heute traumatisiert, wissen Sie. Es war eine Kurzschlussreaktion aus Panik, wissen Sie. Ich wollte ihn nicht im Stich lassen.«
»Schon gut, es ist ja nochmal gut gegangen. Aber nochmal gefragt – wie bringen Sie ihn denn jetzt von hier weg?«
Der Manager kratzte sich die Glatze. »Na schön, ich will ehrlich sein: Seine Bodyguards haben heute ihren freien Tag.«
»Alle?«
»Nun ja, es sind Drillinge, und sie haben Geburtstag.« Er zückte sein Handy. »Und ein fucking Netz gibt’s hier auch nicht.«
Zucker hatte tausend Fragen, aber jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort dafür.
»Was halten Sie davon: Ich eile zurück ins Dorf und hol Sie dann mit meinem SUV hier ab.«
Der Manager dachte nach. »Wir möchten auf keinen Fall, dass seine Anwesenheit bekannt wird. Right, Cris?«
»Yes«, bestätigte dieser, »no public, no public.« Er rieb sich immer noch den Fuß.
»Er wollte extra am Arsch der Welt ein paar Tage ausspannen, ganz unbehelligt von Fans und Medien.«
»Na ja, als Arsch würde ich es nicht …«
»Sorry, das sollte natürlich keine Beleidigung sein. Ein Hintern muss ja nicht hässlich sein.« Er zwinkerte. »Wissen Sie, was ich meine?«
»Ich glaube schon, hähä. Aber wo, ähm, ist denn Ihr Quartier?«
»Nun ja, wir haben ehrlich gesagt noch keines. Wir wollten uns, äh, vor Ort darum kümmern.«
»Kein Problem. Ich bringe Sie beide irgendwo hin, wo niemand Sie behelligen wird. Mein Ehrenwort.«
Der Manager streckte ihm die Hand hin. »Freddy Wollnitz, Cristianos Manager für den deutschen Markt. Danke, dass Sie uns helfen möchten.«
Zucker schlug ein. So langsam kam er in sein Element. »Gerd Zucker, Immobilienhändler und Improvisationskünstler. Bei mir sind Sie mit Ihrem Schützling in den richtigen Händen, es wird mir eine Ehre sein. Warten Sie hier, in einer halben Stunde bin ich zurück. Achten Sie gut auf Blitze und herumfliegende Äste, ja?«
Das wäre nun echt der Hammer, wenn er zurückkäme und die beiden erschlagen vorfände.
»Vergessen Sie Ihren Köter nicht!«, rief Wollnitz ihm hinterher.
Wilson hatte Gefallen an Cristianos teuren und offenbar nagelneuen Nike-Schuhen gefunden und schnüffelte ungeniert und sabbernd daran herum. Zucker eilte hin, schnappte nach der Leine und riss den Hund mit sich.
»Was fällt dir ein, Wilson? I am so sorry, Mr. Ronaldo.«
»Macht nothing«, beteuerte dieser, vermutlich war das Mundart aus Manchester.
Im Affentempo zurück nach Merode. Blöd nur, dass Wilson seinen Elan wieder verloren hatte und wie ein störrischer Esel gezogen werden musste. Herrgott, dieser Hund konnte einen in den Wahnsinn treiben. Da wartete ein verletzter Cristiano Ronaldo mitten im Wald auf Hilfe, die nur er, Gerd Zucker, ihm bringen konnte, aber Wilson machte wieder auf Bremsklotz.
Die zündende Idee kam Zucker, als er erneut den Ehrenfriedhof passierte. Dieser, etwa so groß wie zwei Tennisplätze, war ringsum von einem Holzzaun umschlossen. Wenn er Wilson hier ließ, um ihn dann später, wenn die Bergung gelaufen war, wieder abzuholen, käme er für den Rest des Weges wenigstens zügig voran.
Gedacht, getan. Er schob den Riegel des Pfortentörchens beiseite, löste die Leine und ließ den Hund auf das Friedhofsgelände. Möglicherweise war es nicht besonders pietätvoll, seinen Hund auf einem Friedhof einzusperren, aber das hier war ein Notfall, und die gefallenen Soldaten, die hier begraben lagen, waren seit fast achtzig Jahren tot. Außerdem würde niemand Wind davon bekommen, denn keine Menschenseele – nun ja, fast keine Menschenseele – lungerte jetzt im Wald herum.
»Du wartest hier auf mich und rührst dich nicht von der Stelle, bis ich dich wieder abhole, kapiert?«
Wo sollte Wilson auch hin? Eher überspränge wohl eine Schildkröte den Zaun als Sportskanone Wilson.
Ohne den sabbernden Bremsklotz und trotz heftigem Gegenwind benötigte Zucker keine Viertelstunde, bis er zu Hause ankam.
Das Haus ›Auf dem Kamp‹, in das er vor ein paar Jahren mit seiner Familie eingezogen war, war von Anfang an nur als Zwischenlösung gedacht gewesen. Seinen und Veras Traum, eine Villa im Neubaugebiet ›Tannenwald‹ zu bauen, nur wenige Gehminuten vom Kamp entfernt, hatte er sich inzwischen erfüllt: Das Prachtstück war so gut wie bezugsfertig und gänzlich neu möbliert. Die letzten Handwerker waren erst vergangenen Freitag abgezogen und der Umzug für die kommenden Tage zur großen Freude Veras und der Kinder geplant. Nur seine seit Jahren verwitwete Mutter, Lene Zucker, kurz Oma genannt, freute sich nicht wie jeck auf das neue Heim, obwohl sie dort ihre eigene Küche haben würde: »Jetzt hät dat Schmitze Billa, in Poppelsdorf en Villa«, pflegte sie den aus ihrer Sicht bestehenden Größenwahn des Sohnes im kölsche Platt zu kommentieren. Als gebürtige Kölnerin hatte sie für jede Lebenslage einen Spruch parat. In letzter Zeit war sie ein wenig, nun ja, kindisch geworden. Zucker vermutete eine Frühform von Demenz.
Den SUV holte Zucker aus der Garage, ohne seiner Familie Meldung zu machen, sie hätte ihn für verrückt erklärt. Oma hielt ihn trotzdem für verrückt, denn er sah sie oben am Fenster stehen, wo sie ihm den Scheibenwischer machte. Okay, unter anderen Umständen hätte sie vollkommen Recht gehabt, man fuhr bei diesem Wetter weder Auto noch ging man aus dem Haus, Punkt. Er tat, als habe er sie nicht gesehen und fuhr los.
An der ›Kuhgasse‹ angelangt, bog er in den Wald ab. Zum Glück blockierte kein Sturmholz den Weg, sodass die weitgehend geschotterte Strecke bis zum Bergungsort gut befahrbar war. Bis auf ein paar umherwirbelnde Zweige, die ab und an gegen die Windschutzschreibe klatschten, verlief die Fahrt ohne Zwischenfälle, und als er bei den beiden Männern ankam, stand denen die Erleichterung in die Gesichter geschrieben.
Von beiden Seiten stützten sie CR7 und halfen ihm in den Wagen, wo er sich stöhnend (»Oh, Fuck«) auf der Rückbank ausstreckte. Wollnitz nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
»Ein wirklich netter Zug von Ihnen«, stellte Wollnitz klar.
»Man tut, was man kann, um einem der weltbesten Fußballer zu helfen«, beteuerte Zucker.
»Er ist der Beste«, betonte Wollnitz.
Meike, Zuckers Tochter, die später einmal Sportreporterin werden wollte, sah das übrigens anders. Sie hielt Lionel Messi für den Besten und stritt darüber ständig mit ihrem Bruder Luca, der seit jeher ein Ronaldo-Fan war. Mit ihren sechzehn Jahren waren die beiden fußballverrückten Teenager quasi mit den Weltstars aufgewachsen. Sie würden ganz schön dumm aus der Wasche gucken, wenn sie erfuhren, was ihrem Vater heute im Wald passiert war.
»Nun ja, man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen«, sagte Zucker in dem Glauben, das klänge fachmännisch und diplomatisch.
»Er ist der Beste!«, wiederholte Wollnitz, sodass es wie eine Drohung klang.
»Auf jeden Fall«, gab Zucker nach.
»Wohin bringen Sie uns?«, verlangte Wollnitz zu erfahren.
Zucker erläuterte ihm seinen Plan. Er wolle sie in seine noch unbewohnte Neubauvilla am Meroder Ortsrand bringen, wo sie sich erst einmal in aller Ruhe erholen könnten. Dort seien sie unbehelligt und dürften bleiben, solange sie nur wollten.
»Eine Villa?«, hakte Wollnitz skeptisch nach.
»Ich könnte mir vorstellen, Cristiano wohnt für gewöhnlich noch eine Spur luxuriöser, aber für die Nacht wird es ihm und Ihnen bestimmt reichen. Und morgen sehen wir weiter.«
