Als die Armen Austern aßen - Josef Imbach - E-Book

Als die Armen Austern aßen E-Book

Josef Imbach

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Beschreibung

Nicht selten wirkten sich gesellschaftliche und machtpolitische Entwicklungen auf die Essgewohnheiten der Bevölkerung aus. Städte und Zünfte, aber auch ganze Nationen haben immer wieder Monopolansprüche auf Nahrungsmittel angemeldet, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Ähnliches gilt für obrigkeitliche Erlasse, die dem einfachen Volk den Genuss von bestimmten Speisen oder Getränken verwehrten, oft mit der fadenscheinigen Begründung, die Gesundheit zu fördern oder die Arbeiterklasse vor Verweichlichung zu schützen. In Wirklichkeit spielten dabei sehr unterschiedliche Beweggründe eine Rolle. Fast immer ging es um Macht – und um diese durchzusetzen, griff man nicht selten auch zu den Waffen. Dass aber ausgerechnet solche Verfügungen dazu führten, dass die Armen im England des 19. Jahrhunderts sich gerade noch ein paar Austern leisten konnten, gehört zu den vielen Kuriositäten, von denen in diesem Buch die Rede ist.

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Josef Imbach

Als dieArmenAusternaßen

Kurioses ausder Geschichteder Küche

Inhalt

Vorwort

Kleinkrieg am Familientisch

Justinus Kerners versöhnlicher Feldzug gegen den Aberglauben

Wenn Gottesstreiter sich ums Essen kümmern

Tödliche Schokolade

Offensive gegen das kirchliche Fastengebot

Kampagnen gegen Trink- und andere Unsitten

Nachrichten von der Salzkriegsfront

Der Champagnerkrieg

Das Brot der Mönche – der Rechtsstreit ums richtige Bier

Der Nürnberger Pfefferkuchenkrieg

Raubzug aufs rote Gold

Von reichen Prassern und armen Schluckern

Pariser Brotneid

Kaffee als Statussymbol

Hirschbraten verboten, Austern erlaubt

Widerstand gegen die ›Kartoffelbefehle‹

Wenn Patrioten auf die Barrikaden steigen

Die oder das Käsefondue? Und welche(s) ist ›klassisch‹?

Das Reinheitsgebot oder das Ringen um Anstand

Prügelei um ein paar Zwiebeln willen

Ente gut, alles gut!

Literatur

Bildnachweis

Vorwort

Nicht nur die Liebe, auch die Sozialgeschichte geht durch den Magen. Gelegentlich schlägt sie auch auf den Magen. Und genau darauf wollen wir unser Augenmerk richten: Es geht darum, wie sich gesellschaftliche und machtpolitische Entwicklungen auf die Essgewohnheiten der Bevölkerung auswirkten und auswirken.

Städte und Zünfte, aber auch ganze Nationen haben immer wieder Monopolansprüche auf Nahrungsmittel angemeldet, um sich so finanzielle Vorteile zu verschaffen. Ähnliches gilt für obrigkeitliche Erlasse, welche dem einfachen Volk den Genuss von bestimmten Speisen oder Getränken verwehrten, oft mit der fadenscheinigen Begründung, die Gesundheit zu fördern oder die Arbeiterklasse vor Verweichlichung zu schützen. Dass ausgerechnet solche Verfügungen dazu führten, dass die Armen im England des 19. Jahrhunderts sich gerade noch ein paar Austern leisten konnten, gehört zu den vielen Kuriositäten, von denen in diesem Buch die Rede ist.

Es handelt sich nicht um eine systematische Darstellung, sondern um historische Momentaufnahmen, um Ereignisse und Episoden, die nicht selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen führten. Dabei spielten sehr unterschiedliche Beweggründe eine Rolle. Unter anderem galt es, kirchliche Fastenordnungen durchzusetzen, sittenwidrige Gepflogenheiten zu unterbinden, Adelsprivilegien zu wahren oder den Ruhm einer Stadt zu mehren, welche die Urheberschaft für ein bestimmtes Gericht für sich beanspruchte. Um diese und ähnliche Ziele zu erreichen, griffen die Interessierten nicht nur zum Pergament und zum Gänsekiel, sondern nicht selten auch zu den Waffen.

Beim Verfassen dieses Buches durfte ich vielerlei Hilfe erfahren. Ein besonderer Dank gebührt Viktoria Hausmann und Dr. Timo Gimbel für ihre ebenso sorgfältige wie inspirierende Lektoratsarbeit, Anja Carrà für die grafische Gestaltung, sowie Imelda Casutt, die auch diesmal mit der ihr eigenen Akribie die lästige Arbeit des Korrekturlesens auf sich genommen hat.

Kleinkrieg am Familientisch

Wie war doch alles so schön damals, als man bei uns in der Schweiz noch säbi Zyt sagte, wenn man früher meinte. Ja, säbi Zyt war alles anders als heute, da fand sich die Familie noch täglich mindestens zweimal am Esstisch zusammen.

Aber saß die vereinte Familie auch einträchtig beim Mittags- und Abendmahl? Ich weiß es nicht. Ich kann nur schildern, wie es bei uns zu Hause vor mehr als einem halben Jahrhundert zuging. Zum Essen versammelten sich sieben Mäuler, die sich auf fünf Kinder, den Nährvater und die Mutter verteilten. Ebenso wichtig wie die Mäuler waren die Beine. Sieben Personen, das macht 14 Beine. (Wenn man die Tisch- und Stuhlbeine dazurechnet sind es 46 …) Unter diesen Beinen waren vor allem die Beine der Kinder in einem hohen Maß mitteilungsbedürftig. In der Regel begannen die Mahlzeiten friedlich. Doch das änderte sich mitunter schlagartig. Etwa wenn die Kleine wie üblich nach dem größten Stück Apfelkuchen schrie. Und es auch kriegte! Spätestens da wurde eines der geschwisterlichen Beine ungeduldig, spürte ein kaum zu unterdrückendes Ziehen und Zucken … Und: Zack! Laut und dramatisch heulte die kleine Schwester auf. Der Nährvater fragte, was los sei. Der Prügler behauptete, mit dem Fuß versehentlich ans Tischbein gestoßen zu sein. Der Fratz bellte: »Das hat er absichtlich gemacht! Von dem hab ich schon viele blaue Flecken!« Dann zankten sich die Kinder darüber, wer mehr Flecken von wem am Bein hat, nicht nur blaue, sondern auch gelbe und rote. Und braune! Sogar grüne! Das tönte dann, als stritten sie sich übern Regenbogen. Die Mutter sagte: »Jetzt esst endlich!« Der Vater brüllte: »Ruhe, zum Teufel noch mal!« Die Mutter darauf: »Sag so was nicht vor den Kindern!« Genau in dem Moment schlug die Getretene unterm Tisch zurück, und ihr Fuß steckte nicht etwa in weichen Pantoffeln, sondern in solidem Schuhwerk. Dabei kippte sie auch noch die Milchtasse um; man muss wohl erst ein gewisses Alter erreichen, um die motorischen Tätigkeiten synchronisieren zu können …

Zu Kleinkriegen und kämpferischen Auseinandersetzungen rund ums Essen kam und kommt es nicht nur am Familientisch. Die sind bloß ein Miniaturschauspiel dessen, was sich im Großen in der Gesellschaft abspielt da quando il mondo è mondo, wie man in Italien sagt. Also seit jeher.

Justinus Kerners versöhnlicher Feldzug gegen den Aberglauben

Vom Mittelalter bis zur Neuzeit galt der Aderlass als Allheilmittel gegen fast jede Art von Krankheit. Ärzte konnten sich allerdings nur die Reichen leisten. Und die Armen? Nahmen Zuflucht zu weniger kostspieligen Mitteln, um ihre Gebrechen zu kurieren.

In Mariazell in der Steiermark, im bayrischen Andechs, im schweizerischen Maria Einsiedeln, aber auch an anderen Wallfahrtsorten konnte man kleine Bildchen der Gottesmutter kaufen, winziger noch als Briefmarken, aber wie diese in ganzen Bogen gedruckt. Im Volk hießen diese Bilderbogen ›geistliche Nahrung‹ oder ›Essbildle‹. Die Wallfahrer verschluckten die pillenartig zusammengeknüllten Papierchen und erhofften sich davon himmlischen Segen. Auch das Vieh bekam die ›geistliche Nahrung‹ vor dem Almauftrieb. Häufig mischte man die Bildchen als Heilmittel unter Speis und Trank. Die römische Ritenkongregation billigte noch 1903 diese Praxis, sofern sie »nicht in abergläubischer Absicht« gepflegt werde.

Verwandt mit diesen Schluckbildchen (denen der in der Schweiz gebräuchliche Ausdruck ›Fresszettel‹ seine Entstehung verdankt) sind die sogenannten Schabmadonnen aus Gips oder gebrannter Tonerde, welche bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts an Marienwallfahrtsorten feilgeboten wurden. Um Krankheiten zu heilen, schabte man sich einige Partikel davon ab und nahm diese mit etwas Flüssigkeit zu sich. Um die Wirkung zu erhöhen, ließ man sie in der Regel nach dem Erwerb segnen (wohlgemerkt: nach dem Erwerb, denn mit gesegneten Gegenständen durfte nach allgemeiner Überzeugung kein Handel getrieben werden).

Noch 1950 konnten die Wallfahrenden im italienischen Loreto Steinstaub vom ›Heiligen Haus‹ erwerben, der Wohnstätte der Heiligen Familie, die angeblich von Engeln auf wundersame Weise von Nazaret erst nach Kroatien und später nach Loreto gebracht worden war.

Dem Volksglauben zufolge wirkte der besagte Steinstaub gegen Gebrechen aller Art, allerdings nur, wenn er in Flüssigkeit aufgelöst aus einer ›Loretoschale‹ getrunken wurde, die das Abbild der dortigen Madonna und die Aufschrift con polvere della Santa Casa trug. Begreiflich daher, dass viele Pilger und Pilgerinnen schon aus rein prophylaktischen Gründen eine solche Schale erwarben – vermutlich ohne sich zu fragen, ob nicht vielleicht die Betreiber ortsansässiger Töpfereien die fromme Mär in die Welt gesetzt hatten.

Indirekt gehen solche skurrilen Gepflogenheiten auf den heiligen Augustinus zurück, welcher die Ansicht vertat, die Erde vom Heiligen Land würde die Dämonen fernhalten und auch sonst allerlei wunderbare Wirkungen zeitigen. Später glaubte man Ähnliches von Steinen, die man sich von den Märtyrergräbern besorgte. Irgendwann begann man damit, Hohlkreuze nicht nur mit Reliquien, sondern auch mit ›heiliger‹ Erde und ›heiligen‹ Steinen zu füllen, wovon man sich ebenfalls eine besondere Wirkung erwartete. Daraus entwickelte sich später der Brauch, Schabmadonnen herzustellen.

Knoblauch galt lange als Abwehrmittel gegen Dämonen, Geister und Vampire. Und gegen den ›bösen Blick‹.

Was die magischen Vorstellungen des einfachen Volkes betrifft (auch das gehört zur Sitten- und Sozialgeschichte), erweist sich ausgerechnet die Küche als wahre Fundgrube. Dort findet sich allerlei Nützliches, um ein Zipperlein zu kurieren oder um übelwollenden Hausgeistern den Garaus zu machen.

In der guten alten abergläubischen Zeit waren selbst aufgeklärte Geister felsenfest davon überzeugt, dass Knoblauch das zuverlässigste Mittel gegen Vampire darstelle. Die missgünstigen Druden, welche schon manchen Haushalt durch- und manches Ehepaar auseinandergebracht haben sollen, besänftigt man am besten mit drei weißen Gaben, nämlich mit Salz, Mehl und Eiern. Bier indessen hilft angeblich weder gegen die Untoten noch gegen Kobolde, sondern zieht – so ging der Volksglaube – bloß die Hexen an, die ihre Nase nur zu gern in den weißen Schaum stecken. In Leobschütz verbrannte man 1581 zwei Frauen, weil sie, wenn wir dem Chronisten trauen dürfen, »auf vollen Bierfässern eine Luftfahrt gemacht und sie auf der Kirchturmspitze ausgesoffen hatten«.

Unsere Altvordern wussten noch von Dingen, die heute kein studierter Medikus mehr kennt. So lesen wir in einem Kreuterbuch aus dem Jahr 1543: »So die schwangeren Weiber oft Quitten essen, sollen sie sinnreiche und geschickte Kinder gebären.« Manche verlangt es statt nach Quitten nach Reis, dessen Verzehr sich auf die Folgen der Liebeslust ebenfalls günstig auswirken soll. Weshalb sonst sollten die Hochzeitsgäste nach vollendeter Zeremonie das Brautpaar mit den weißen Körnern bewerfen? Dem Vernehmen nach bewirkt der Verzehr von Reis gelegentlich schon vor der Heirat wahre Wunder, etwa wenn händchenhaltende Verliebte sich in die Arme fallen, noch bevor sie ihren Teller mit Risotto geleert haben. Dann war’s wohl wirklich Liebe auf den ersten Biss.

Ähnlich wie mit den Quitten und dem Reis verhält es sich mit den Krapfen, die man ohne Risiko genießen kann – es sei denn, die Familie ist schon vollständig. Denn Krapfen (wer daran zweifelt, kann es ja darauf ankommen lassen) fördern die Fruchtbarkeit. In früheren Zeiten gierten auch die guten Hausgeister nach dieser Leckerei. In manchen Gegenden trinken sie dazu noch immer gern ein Krüglein Milch.

Nun sind aber Krapfen, Quitten und Reis beileibe nicht alles, was die Küche an Ersprießlichem zu bieten hat. Auch Erbsen sollen Wunder wirken. Wer eine Schote mit neun Kügelchen öffnet, dem lacht das Glück lauthals entgegen. Ähnlich gute Aussichten hat, wer vor dem Frühstück drei Mal niesen muss. Sollte dabei jedoch das Brot auf den Boden und auf die Butterseite fallen oder das Salzfässchen umstürzen, wird das Schicksal gnadenlos zuschlagen. Das gilt auch, wenn jemand an einer Hochzeitstafel Salz verschüttet: Dann drohen harte Ehejahre (was allerdings gelegentlich auch ohne Salz eintritt), wie Zeitzeugen berichten. Segensreich wirkt sich – nicht nur beim Hochzeitsschmaus – ein durch häufiges Anstoßen verursachtes Gläserklingen aus. Im Wein badet nämlich nicht nur die Wahrheit, es planscht darin auch der Alkoholteufel; ihn und alle übrigen Dämonen wussten unsere Vorfahren mit Kettengerassel und, wenn keine eisernen Fesseln zur Hand waren, mit Gläsergeklirre wirksam zu verjagen. Allerdings liegen in der zügellosen Zecherei auch gewisse Gefahren. Wer ein Glas füllt, bevor es leer getrunken ist, bekommt die Gicht oder eine böse Schwiegermutter. Wenn das Verhängnis seinen Lauf nimmt, droht gar beides.

Aber, bei allen Kobolden und Druden, vergessen wir bloß das Gewürzbord nicht! Dort lagern Essenzen und Kräuter, welche die blaue Pille überflüssig machen, von der sich nicht nur lendenschwache Greise eine Leistungssteigerung erhoffen. Manche schwören darauf, dass Akelei, Petersilie, Vanille, Salbei, Knabenkraut, Fenchelsamen und Liebstöckel die Liebeslust und damit die Lebensfreude steigern. Oder umgekehrt. Wieder andere versprechen sich die gleiche Wirkung vom Verzehr von rohen, möglichst frisch gelegten Eiern (je roher die Eier, desto froher der Freier). Wer sich vor Salmonellen fürchtet, findet in der Küche jede Menge anderer Mittelchen, denen eine ähnliche Wirkung zugeschrieben wird. Denn auch Kresse, Zwiebeln, Rüben und Sellerie sollen müde Männer munter machen. Und natürlich der Spargel, der aber wegen seiner eindeutigen Form immer wieder zu zweideutigen Reden Anlass gibt. Vermutlich liegt darin das Geheimnis seiner Wirkkraft.

Sollte, wie Botaniker und Partnerschaftsberaterinnen fast einhellig versichern, der Glaube an die geheimnisvolle Wirkkraft des Spargels tatsächlich auf krudem Aberglauben beruhen, helfen bestimmt Austern und Gänsezunge, Kaviar und Krebse, Schnecken und Pfeffer – oder all das zusammen. Womöglich gilt dies auch für Trüffel. Wobei aber höchst umstritten ist, ob der hält, was die Volksmedizin verspricht. Bewiesen ist lediglich, dass das Kilo zwischen zwei- und dreitausend Euro kostet. Im Übrigen figurierten zeitweilig auch der Fliegenpilz und die Tollkirsche auf der Liste der Aphrodisiaka. Davon aber sei allen dringend abgeraten. Es könnte sich sonst leicht ergeben, dass sie statt den Gipfel der Lust die ewigen Jagdgründe erreichen. So ist der rote Fliegenpilz mit den lustigen weißen Tupfern nur ungenossen, etwa auf Neujahrskarten, ein Glücksbringer. Ob er gut verdaulich ist, lässt sich schwer feststellen, da er in der Regel ziemlich schnell zur finalen Betäubung führt. Dann hilft auch die ostasiatische Ginsengwurzel nicht mehr, welche angeblich ein hohes Alter garantiert.

Natürlich gibt es auch abergläubische Rituale. Aber dafür haben wir nichts übrig. Wir halten uns an das Reale. Wer Leuten begegnet, die Unglaubliches berichten, sollte sich an den Dichter Justinus Kerner (1786–1861) halten. Der kennt ein Rezept, von dem er vermutet, dass es selbst in hoffnungslosen Fällen gelegentlich hilft. Kerner war übrigens nicht nur Dichter, sondern auch Arzt. Und Spiritist. Und somit besonders befähigt, jedwedem kulinarischen Aberglauben den Kampf anzusagen.

Trinkt euer Bier nur dreister,

Speist eine Wurst dazu,

Dann lassen euch die Geister

Und böse Träum’ in Ruh.

Wenn Gottesstreiter sich ums Essen kümmern

Am 20. September 1575 hatte der heilige Karl Borromäus, seit 15 Jahren Kardinal und Erzbischof von Mailand und gefürchtet wegen seines kompromisslosen Einsatzes für eine eiserne Kirchenzucht, wieder einmal seinen strengen Tag. Nachdem er in Bergamo ein Frauenkloster visitiert hatte, sah er sich zu etlichen Rügen veranlasst. Aus seinem abschließenden Bericht (publiziert 1937 von Angelo Roncalli, dem späteren Papst Johannes XXIII.) geht hervor, dass er vor allem am Verhalten einer gewissen Schwester Valeria Anstoß nahm:

Leider mussten Wir feststellen, dass besagte Schwester offenbar eine unglückselige Neigung zum Hamstern an den Tag legt. In der Tat hatte sie hinter ihrer Schlafstelle größere Mengen an Esswaren und andere Dinge versteckt. Ex nunc verfügen Wir daher, dass sie von ihrer Zelle in den gemeinschaftlichen Schlafsaal hinüberwechselt und dort verbleibt, bis der hochwürdigste Bischof etwas anderes verfügt. Item verfügen Wir außerdem, dass sie sich unter keinen Umständen in der Nähe der Klosterpforte aufhalten darf. Jeder Kontakt mit der Außenwelt ist ihr strengstens untersagt, und zwar für die nächsten drei Jahre, oder auch länger, falls es dem hochwürdigsten Bischof geboten erscheint. Item untersagen Wir ihr für die kommenden drei Jahre, die Küche zu betreten. Jede Missachtung dieses Verbots ist mit einer Kerkerstrafe von jeweils einer Woche zu ahnden. Außerdem ordnen Wir an, dass besagte Schwester während der ganzen folgenden Woche in Gegenwart der anderen Nonnen ihre Mahlzeiten kniend in der Mitte des Speisesaals einzunehmen hat. Nach Ablauf dieser Frist soll sie während eines Jahres jeweils am Freitag auf oben genannte Weise ihre Mahlzeiten zu sich nehmen.

Angesichts derartiger ans Sadistische grenzenden Disziplinarmaßnahmen erscheinen die etwas ungewöhnlichen Ratschläge, welche der heilige Alfons Maria von Liguori den Gesponsen Christi fast zweihundert Jahre später erteilte, von geradezu umwerfender Hochherzigkeit. Im Jahr 1761 nämlich veröffentlichte der Gründer der Redemptoristen (›Kongregation des allerheiligsten Erlösers‹), der später als Moraltheologe die Sittenlehre der katholischen Kirche nachhaltig beeinflusste, unter dem Titel Die wahre Braut Christi eine Art Sittenspiegel für Nonnen. Nicht nur von Gebet und Meditation und der Beherrschung der Sinne ist dort die Rede, sondern – wen wundert’s? – außerdem von der offenbar auch in Frauenklöstern grassierenden Gaumenlust.

Setzen wir also alles daran, um uns von diesem viehischen Laster nicht besiegen zu lassen! Gewiss müssen wir uns ernähren, um unser Leben zu erhalten. Indessen weist schon der heilige Augustinus darauf hin, dass wir die Speisen wie eine Arznei behandeln sollen; er ermahnt uns, nur gerade so viel zu essen, als nötig ist. Wer seinen Leib mit Speisen beschwert, ist wie ein vollgeladenes Schiff, das nur mühsam vorankommt.

Die beste Abtötung besteht darin, sich jener Speisen zu enthalten, die einem schmecken, aber der Gesundheit schaden, wie etwa das Frühobst. Außerdem rate ich, das Jahr über auf einige Arten von Obst gänzlich zu verzichten, ein oder zweimal während der Woche überhaupt kein Obst zu essen und die übrigen Tage sich die eine oder andere von den bei Tisch aufgetragenen Früchten zu versagen. Von leckeren Speisen möge man allenfalls ein wenig versuchen. Lobenswerter jedoch wäre es, sie zurückzuweisen unter dem Vorwand, dass sie einem nicht bekommen. Beherzigenswert ist auch der Rat des heiligen Bernhard, von seinem Leibgericht nur wenig zu kosten. Das Verlangen zu trinken sowie den Wunsch, die vorgesetzte Mahlzeit sogleich zu verspeisen, soll man bezwingen. Insbesondere die jungen Klosterschwestern ermahne ich, auf Wein, Branntwein und Liköre zu verzichten.

Die hier genannten Entsagungen verleiten nicht zum Hochmut, noch schaden sie der Gesundheit. Überdies ist es nicht notwendig, sie alle gleichzeitig auf sich zu nehmen. Eine jede verzichte lediglich auf das, was die Mutter Oberin oder der Beichtvater für richtig finden. Schließlich ist es besser, häufig auf kleine Dinge zu verzichten, als bloß gelegentlich große Opfer zu bringen.