Ja und Amen - Josef Imbach - E-Book

Ja und Amen E-Book

Josef Imbach

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Beschreibung

Was glaube ich? Und nicht minder wichtig ist wohl eine andere Frage, nämlich: Warum glaube ich? Oder auch: Warum glaube ich nicht (mehr)? Dieses Buch legt das Apostolische Glaubensbekenntnis auf allgemein verständliche Weise aus und versucht Glauben begründbar zu machen. Denn die zentralen christlichen Glaubensinhalte sind über Jahrtausende hinweg in ganz unterschiedlichen Kontexten - oftmals inmitten von heftigen Auseinandersetzungen politischer Gegner oder theologischer Kontrahenten - entstanden. Kein Wunder also, dass sie vielen Menschen heute nicht mehr ohne Weiteres zugänglich sind und deshalb in eine zeitgemäße Sprache übersetzt werden müssen. Dabei räumt Josef Imbach auch mit einigen Missverständnissen auf, die sich im Laufe der Kirchengeschichte gebildet haben, und macht auch für Außenstehende christliche Glaubensaussagen leicht verständlich.

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Josef Imbach

Ja und Amen

Josef Imbach

Ja und Amen

Was Christen glauben

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2020

© 2020 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen

(Foto: shutterstock)

Satz: Crossmediabureau

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN (Print) 978-3-429-05441-0

ISBN (PDF) 978-3-429-05063-4

ISBN (ePub) 978-3-429-06464-8

Inhalt

Warum glaubt (nicht), wer (nicht) glaubt?

Dank

Das Apostolische Glaubensbekenntnis

Ich glaube

Glaube als Wissensersatz?

Glaube als Ausdruck von Vertrauen

Das Glaubensverständnis der Schrift

Kein toter Satzglaube!

Unangefochtener Glaube?

»Armselige Bettler sind wir.«

Religionskritik als Glaubenshilfe

… an Gott, den Vater, den Allmächtigen

Gottesbilder

Ein Vatergott?

Allmächtiger Gott oder »Theologie als Hinketanz«

Evolutionstheorie und Schöpfungstheologie

Hat Gott die Welt geschaffen?

… an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn

Neutestamentliche Christusbekenntnisse

Vom Christus der Evangelien zum Jesus der Geschichte

Der Anspruch Jesu

Wahrer Gott und wahrer Mensch

Verschiedene Christusbilder

Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria

Einflüsse der antiken Mythologie?

Wie die »junge Frau« zur »Jungfrau« wurde

Ein Abstecher in die Werkstatt der Bibelkundigen

Immerwährende Jungfrauschaft?

Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben

Rechtfertigung allein aus Glaube

Gottes Zorn besänftigen?

Anklage seitens jüdischer Repräsentanten – Verurteilung durch Pilatus

Kreuzigungsdarstellungen

Der missverstandene Anselm von Canterbury

Sachliche Information oder theologische Interpretation?

Wie hat Jesus seinen Tod verstanden?

»Für uns gestorben« oder Wovon Jesus die Menschheit erlöst hat

Kreuzesnachfolge – richtig verstanden

Hinabgestiegen in das Reich des Todes

Dem antiken Weltbild verpflichtet

Am dritten Tage auferstanden von den Toten

Wie kam es zum Osterglauben?

Die Ostererzählungen

Konsequenzen für den Glauben

»Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?«

Aufgefahren in den Himmel

Zwei unterschiedliche Darstellungen

Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten

Wiederkunft und Weltgericht

Ich glaube an den Heiligen Geist…

Geisterfahrungen biblisch

Geisterfahrungen heute – Mystik des Alltags

Dreifaltigkeit

… die heilige katholische Kirche

Wie die Kirche entstand

Ämter

Kirche als Reich Gottes auf Erden?

Kirche als Sakrament

Katholische Kirche?

Gemeinschaft der Heiligen

Die Ursprünge

Die Schelte der Reformatoren

Liebe konkret

Heilige als Vorbilder?

Vergebung der Sünden

Schuldgefühle und Schuldbewusstsein

Schuldgeschichte als Entschuldigungsgeschichte

Gewissenserforschung ganzheitlich

Sünde – »ein vergleichsweise humoristisches Wort«

Wege der Versöhnung

Das Menschenrecht auf Irrtum

Auferstehung der Toten und das ewige Leben

Das biblische Menschenbild

Was leibliche Auferstehung bedeutet

Auferstehung im Tod

Wir sind nie ganz wir selbst

Amen oder Woran Gott glaubt

Glossar

Literatur

Warum glaubt (nicht), wer (nicht) glaubt?

»Was macht es de facto für einen Unterschied, zu glauben oder nicht zu glauben? Ich kann doch auch an etwas glauben, was es nicht gibt, was nicht wahr ist, und tatsächlich glauben viele Leute von ganzem Herzen an die wildesten Sachen, an fliegende Untertassen, Vampire, daran, dass Hitler die Menschheit liebte und sie retten wollte […], aber macht ihr glühender Glaube ihre Überzeugungen vielleicht wahrer? Wenn sie jedoch nicht glauben, sich weigern zu glauben und behaupten, die Konzentrationslager hätte es nie gegeben, lässt ihr Nichtglaube den Rauch in die Schlote zurückkehren und die eingeäscherten Körper der Kinder wieder lebendig werden? Tilgt die Tatsache, dass sie nicht an die Krematorien glauben, etwa deren Existenz, macht sie weniger echt, verwandelt sie in Ziegelsteine, in Nebel? Dieses emphatische Herumreiten darauf, ob man glaubt oder nicht, kam mir schon als Kind übertrieben vor, wie ein künstliches Problem, eine Überbewertung, ein Totem. Der Glaube, egal welcher, war nichts anderes als der Versuch, die Wahrheit zu verstecken oder den Weg dorthin mit einer Art Bluff abzukürzen. Verstehen, ja, klar, erkennen auch, erfahren, suchen, aber glauben?1«

Es gibt eine ganze Menge Gründe, die für die Existenz Gottes sprechen. So ist der Verfasser des alttestamentlichen Weisheitsbuches davon überzeugt, dass die Größe und Schönheit der Geschöpfe Rückschlüsse auf den Schöpfergott erlaubt (vgl. Weisheit 13,5). Der Apostel Paulus schlägt in die gleiche Kerbe; im Römerbrief verweist er darauf, dass »Gottes unsichtbare Wirklichkeit aus den Werken der Schöpfung mit Vernunft wahrgenommen« werden kann« (1,20) – ein Gedanke, der Jahrhunderte später von Thomas von Aquin (1225–1274) aufgegriffen und zu einer Art Gottesbeweis ausgearbeitet wird. Wer aber von Geschöpfen oder von Schöpfung spricht, setzt – meist ohne sich darüber Rechenschaft zu geben – die Existenz eines Schöpfers voraus! Und begründet so den Gottesglauben aufgrund des persönlichen Glaubens.

Andere denken ganz anders. Sie verweisen darauf, dass es gewichtige Gründe gibt, welche den Glauben in seinen Fundamenten erschüttern. Ihr Hauptargument: Wie kann Gott es zulassen, dass Unschuldige leiden? Angesichts dieses Einwands greifen keine noch so gut gemeinten theologischen Erklärungen. Hier müssen die Gottgläubigen passen (wir werden darauf später zurückkommen2). Darum wusste schon der Verfasser des Buches Ijob. Ijob, der über alle Maßen Geprüfte, gelangt am Ende zu einer Einsicht, welche die ganze jüdische und christliche und islamische Theologie seither unbeholfen oder gottesmutig nachstottert: Wir haben keine Antwort auf diese bohrendste aller Fragen.

Manche Christgläubige haben ihren Glauben vom Elternhaus einfach mitbekommen, ohne sich je ernsthaft Gedanken darüber gemacht zu haben. Andere hätten Rückfragen, die sie aber nicht einmal vor sich selbst zu formulieren wagen, weil man (so wurde ihnen eingetrichtert) einfach akzeptieren muss, was die Kirche seit Jahrhunderten lehrt. Manche wagen sich weiter vor und bekennen sich bezüglich einzelner überlieferter Glaubenssätze offen zu ihren Zweifeln.

Was glaube ich? Nicht minder wichtig ist wohl eine andere Frage, nämlich: Warum glaube ich? Oder auch: Warum glaube ich nicht (mehr)?

Dieses Buch ist ein Versuch, das Apostolische Glaubensbekenntnis auf allgemein verständliche Weise auszulegen. Diesem Anliegen zugrunde liegt die Überzeugung, dass die vor Jahrhunderten formulierten Glaubensinhalte nicht mehr ohne Weiteres zugänglich sind und deshalb der Übersetzung in eine zeitgemäße Sprache bedürfen. Dabei geht es nicht nur darum, verbreitete Missverständnisse auszuräumen, sondern auch die christlichen Glaubensaussagen im Hinblick auf die Anforderungen und Herausforderungen unserer Zeit zu aktualisieren.

Dass dabei Themen zur Sprache kommen, die ich bereits in anderen Publikationen behandelt habe, ergibt sich aus der Natur der Sache. Erwähnt sei noch, dass Leser und Leserinnen mit der Lektüre bei jedem beliebigen Kapitel beginnen können, da jedes eine Einheit für sich darstellt.

Dank

Wie bereits anlässlich zahlreicher früherer Buchpublikationen hat Imelda Casutt auch diesmal das Manuskript gegengelesen und die Korrekturen überprüft und mich dabei nicht nur auf stilistische Unebenheiten, sondern auch auf sachliche Ungenauigkeiten aufmerksam gemacht. Mein Dank gilt darüber hinaus Nadine Kastenhofer und Sonja Wiesner, die den Text ebenfalls kritisch durchgesehen haben. Danken möchte ich auch Thomas Häußner, dem Leiter des Echter Verlags, für die wie immer überaus gute Zusammenarbeit.

1 E. Albinati, Die katholische Schule, München 2018, 251.

2 Dazu mehr im Abschnitt Allmächtiger Gott? im folgenden Kapitel.

Das Apostolische Glaubensbekenntnis

ICH GLAUBE

an Gott, den Vater, den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde,

und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige katholische Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden,

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben.

AMEN

Ich glaube

Wer an etwas oder an jemanden glaubt, trifft eine ganz persönliche Entscheidung. Dafür gibt es bestimmte Gründe, welche andere nicht nachvollziehen können und deshalb nicht zu teilen vermögen. Das gilt auch im Hinblick auf das Glaubensbekenntnis der Kirche.

Wer immer sich dieses Bekenntnis zu eigen macht, steht mit seiner ganzen Person dahinter. Eine solche Entscheidung bezieht sich auf den Glaubensschatz einer Gemeinschaft, die sich seit rund zwei Jahrtausenden auf Jesus beruft. Wer sich zum christlichen Glauben bekennt, zeigt, was ihn mit allen anderen Getauften verbindet. Mit einem Wort, mein Glaube ist deckungsgleich mit unserem Glauben.

Deckungsgleich? Schon ein flüchtiger Blick auf die Entwicklung des Glaubensbekenntnisses zeigt, dass einzelne Aussagen häufig umstritten waren; dass es immer wieder zu Verketzerungen und Verfolgungen von Gläubigen kam, welche die ›offizielle‹ Interpretation von biblischen Aussagen und mancher darauf aufbauender Glaubenssätze nicht nachzuvollziehen vermochten; dass die daraus resultierenden Spannungen zu Spaltungen führten … Dass die damit verbundenen theologischen Auseinandersetzungen in etlichen Fällen auf Machtfragen zurückzuführen sind, wird geschichtskundige Christenmenschen kaum erstaunen. Gleichzeitig werden sie darauf verweisen, dass nicht nur leidige Rechthabereien zum Streit um eine sachgerechte Auslegung des Glaubensbekenntnisses führten.

Glaube als Wissensersatz?

Der folgende (stark gekürzte) Dialog aus Alberto Moravias Roman La Noia spielt sich zwischen dem jungen Maler Dino und Cecilia ab, der früheren Geliebten von Dinos verstorbenem Künstlerkollegen Balestrieri.

»Warum legten Sie so großen Wert auf Balestrieris Lektionen?« »Ich hatte mich in ihn verliebt – oder vielmehr glaubte ich das.« »Und er reagierte darauf nicht? Warum nicht?«

»Das weiß ich nicht. Ich glaube, ich gefiel ihm nicht, das ist alles. So ging es zwei oder drei Monate lang weiter, er wich mir jetzt geradezu aus, und ich litt darunter.«

»Glauben Sie, dass Balestrieri nichts von Ihnen wissen wollte, weil Sie ihm zu jung waren?«

»Nein, das nicht.«

»Oder weil er Sie ein wenig für eine Tochter ansah?«

»Ich glaube nicht. Davon hatte er mir nie etwas gesagt.«

»Oder glauben Sie, dass Balestrieri Angst hatte, Sie kennenzulernen?«

»Angst, warum Angst?«

»Angst, weil er vorhersah, was dann wirklich geschehen ist, nämlich dass er sich in Sie verlieben würde. Manchmal macht die Liebe Angst.«3

Fünfmal ist in diesem Gespräch von glauben die Rede, und zwar stets in der Bedeutung von vermuten, mutmaßen, meinen, der Ansicht sein. Tatsächlich wird das Wort umgangssprachlich fast ausschließlich in diesem Sinn verwendet. Glauben heißt dann so viel wie nicht wissen. Ähnliches gilt für das Substantiv Glaube, dem, wenn es nicht gerade als Synonym für Religion oder Konfession verwendet wird (›der islamische Glaube‹), ein Beigeschmack von Naivität anhaftet. Begreiflich deshalb, dass auch beim Begriff Gottesglaube Bedeutungsinhalte mitschwingen, die eher an Köhlerglaube oder an Aberglaube erinnern. Das mag damit zusammenhängen, dass der religiös verstandene Glaube seit dem Beginn der Neuzeit immer häufiger im Hinblick auf das exakte Wissen definiert wurde, welches sich der Mensch mittels der immer stärker sich entwickelnden Naturwissenschaften aneignen konnte, deren Ergebnisse nachprüfbar sind. Was sich mit diesem Wissensbegriff nicht deckt, wäre dann dem Bereich des Glaubens zuzuordnen. Glaube erscheint so als Vermutung, die sich auf Gründe stützt, welche zu einer überprüfbaren und damit sicheren Aussage nicht ausreichen. Man glaubt etwas, beispielsweise dass man einem anderen Menschen sympathisch ist, weil gewisse Anzeichen dafür zu sprechen scheinen, wobei eine letzte Gewissheit fehlt …

Vor diesem Horizont erscheint der religiöse Glaube fast notwendigerweise als eine Art Wissensersatz. Anhand eines Beispiels verdeutlicht: Aussagen über das menschliche Leben fallen in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaften, z. B. der Medizin, der Biologie, der Physik, der Chemie … Was nach dem Tod kommt, lässt sich weder nachprüfen noch beweisen; also kann man es auch nicht wissen, sondern bloß Mutmaßungen darüber anstellen. Man glaubt dann eben (oder auch nicht) an die Existenz Gottes, an ein Leben nach dem Tod, an die Auferstehung …

Dagegen wäre allerdings zu fragen, ob die empirischen Wissenschaften und das von ihnen erarbeitete Wissen wirklich so objektiv sind, wie man gemeinhin annimmt. Beruht nicht auch die ›objektive‹ Forschung auf höchst subjektiven Voraussetzungen? Die Entscheidung, sich in Molekularbiologie zu spezialisieren und nicht Theologie oder Schmetterlingskunde zu studieren, ist sicher nicht objektiv-wissenschaftlicher Art, sondern eine persönliche (also subjektive) Entscheidung. Außerdem findet die wissenschaftliche Forschung nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird von den Neigungen und Vorlieben und der Weltanschauung der Forschenden beeinflusst, was sich wiederum auf die Ergebnisse auswirkt. Wissenschaft wird ja kaum je um ihrer selbst willen betrieben, sondern ist interessengeleitet. In der Praxis bedeutet das, dass eine Wissenschaftlerin möglicherweise aus rein persönlichen Gründen ein Ziel verfolgt, etwa indem sie für ein Unternehmen arbeitet, das ihr in finanzieller Hinsicht besonders attraktiv erscheint. Solche subjektive Faktoren gehen allemal auf Kosten der wissenschaftlichen Objektivität. Daran sollte man schon denken, wenn man vom Glauben abschätzig als von einer subjektiven Angelegenheit spricht.

Aber auch aus anderen Gründen hat sich die These von der Wertfreiheit der Wissenschaften als Mythos erwiesen. Die Entscheidung etwa, das menschliche Erbgut zu manipulieren, ist gewiss nicht wissenschaftlicher, sondern ethischer Natur.

Schließlich ist daran zu erinnern, dass der mathematischnaturwissenschaftlichen Erkenntnis in unserem Alltag eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt. Bekanntlich befassen sich die Naturwissenschaften mit dem, was in Zeiteinheiten, Zahlen und Formeln festgehalten werden kann. Ihr Forschungsbereich begrenzt sich auf das Empirische, auf das Mess- und Wägbare. Die meisten menschlichen Lebensvollzüge aber spielen sich gerade außerhalb dieses Bereichs ab. Ein Geologe, der einen Stein untersucht, kann dessen Gewicht und Alter, seine Herkunft und seine Zusammensetzung feststellen. Aber wenn ich ihn frage, warum es besser sei, diesen Stein als Briefbeschwerer zu benützen, statt jemandem damit den Schädel einzuschlagen, betrifft diese Frage ihn in seiner Eigenschaft als Forscher überhaupt nicht, und zwar ganz einfach deshalb, weil es sich nicht um ein wissenschaftliches, sondern um ein ethisches und damit um ein im weitesten Sinn weltanschauliches Problem handelt. Gerade diese weltanschaulichen Fragen, welche die Wissenschaften nicht beantworten können, sind in unserem Alltag entscheidend. Warum soll sich eine Politik am Menschen und nicht an der Macht orientieren? Weshalb ist es besser, Nahrungsmittel statt Waffen zu produzieren? Welches ist der Sinn und das Ziel unseres Lebens? Angesichts solcher und ähnlicher Fragen lassen uns die empirischen Wissenschaften im Stich. Das bedeutet, dass ihre Forschungsergebnisse nicht ausreichen, um das Leben sinnvoll zu bewältigen. Und zwar reichen sie deshalb nicht aus, weil sie sich nur auf einzelne Aspekte der Wirklichkeit, eben auf das Mess- und Wägbare, beschränken, ja sich aufgrund ihrer Methode darauf beschränken müssen. Die Wirklichkeit als Ganze jedoch lässt sich bekanntlich nicht in mathematische, physikalische und chemische Formeln pressen. Wenn sich ein Physiker damit begnügte, anlässlich einer Aufführung von Carl Orffs Carmina Burana (die, während ich dies niederschreibe, eben vom Rundfunk ausgestrahlt werden) die Luftschwingungen und die Klangstärken zu messen, so würde er nie vom rauschhaft-überwältigenden Charakter dieses musikalischen Kunstwerks mitgerissen. Umgekehrt kann man von Orffs Musik schwärmen, ohne von Musikgeschichte und Tonlehre und der Anatomie des menschlichen Ohres ein umfassendes Detailwissen zu besitzen, eben weil es eine Art der Erkenntnis gibt, die ganz anders beschaffen ist als die empirische. Diese Erkenntnis kommt immer da zustande, wo ein Mensch nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen sieht.

Man mag diese Art von Erkenntnis als unwissenschaftlich bezeichnen, aber man sollte darüber nicht vergessen, dass sie in unserem Leben eine entscheidende Rolle spielt. Überdeutlich zeigt sich das, wenn wir die beiden Arten von Erkenntnis miteinander vergleichen. Jedermann weiß, dass Wasser auf Meereshöhe bei null Grad den Gefrierpunkt erreicht. Diese Tatsache wird sicher niemanden aufrütteln. Und schon gar nicht würde jemand daran denken, dafür sein Leben einzusetzen. Wenn aber ein Mensch zu einem anderen sagt: »Ich mag dich, ich hab’ dich gern, ich liebe dich«, dann lässt sich auf eine solche Aussage ein ganzes Leben gründen, obwohl sie nicht beweisbar ist. Wie aber weiß ich, dass die Liebe nicht vorgetäuscht ist um irgendeines Vorteils willen, den man sich von mir erhofft? Obwohl diese Möglichkeit in keinem Fall mit mathematischer Sicherheit auszuschließen ist, geschieht es, dass man der Liebe eines anderen Menschen derart gewiss ist, dass nicht einmal der entfernteste Gedanke an eine mögliche Täuschung aufkommt. Warum das? Bestimmt nicht, weil Liebe blind machen würde (sie macht eher erfinderisch und sehend!), sondern weil es außer der wissenschaftlichen Erkenntnis eine Art des Erkennens und damit des Wissens gibt, die sich auf einer ganz anderen Ebene abspielt. Dieses Wissen als Gewissheit erwächst aus dem vertrauensvollen Umgang mit den Mitmenschen. Solche Gewissheiten sind kein Wissensersatz, bloß weil sie nichtwissenschaftlich sind. Es handelt es sich ganz einfach um einen anderen, erfahrungsbedingten Weg der Erkenntnis. Auf diesem Weg gewinnen wir die für unsere Daseinsbewältigung entscheidenden Einsichten, die unsere existenziellen Entscheidungen beeinflussen.

Glaube als Ausdruck von Vertrauen

Wenn wir die Begriffe Glaube und glauben wortgeschichtlich analysieren, stellen wir fest, dass ihre ursprüngliche Bedeutung auf dieser personalen Ebene festzumachen ist. Beide, das Substantiv und das Verb, leiten sich ab vom urgermanischen galaubjan (etwas lieb halten, hoch schätzen, gutheißen) und liubian (willfahren, nachgeben, freundlich sein), woraus dann im 12. Jahrhundert das mitteldeutsche Wort gelouben entstand. Damit haben die Germanenmissionare das lateinische credere (glauben; entstanden aus cor dare, sein Herz verschenken an …) übersetzt.

In späterer Zeit gewinnt glauben auch die Bedeutung von für wahr oder für wahrscheinlich oder für möglich halten. Ursprünglich verweist das Verb auf die Beziehung zwischen Personen oder zwischen Mensch und Gott. Glauben besagt dann so viel wie jemandem Vertrauen entgegenbringen.4

Von dieser Grundbedeutung scheint noch etwas durch, wenn wir heute das Wort Glaube nicht im Hinblick auf eine Sache, sondern in Bezug auf eine Person verwenden. Angenommen, wir befinden uns in einer fremden Stadt und erkundigen uns nach dem Weg zum Bahnhof. Wir fragen jemanden und nehmen ganz selbstverständlich an, dass die Auskunft richtig ist. Augenblicklich lässt sich das aber gar nicht nachweisen; es wird sich erst später herausstellen, wenn wir aufgrund der erhaltenen Angaben das Ziel erreicht haben. Bis es soweit ist, sind wir dem oder der Unbekannten irgendwie ausgeliefert. Dies setzt die Annahme eines anderen Menschen als Person voraus. Wem das nicht einleuchtet, mache die Gegenprobe: Warum wenden wir uns nicht an die erstbeste Person, die vielleicht einen etwas zwielichtigen Eindruck macht? Ganz einfach, weil es am Vertrauen fehlt oder weil Misstrauen angebracht scheint. Ich glaube das (die Auskunft), bedeutet in diesem Zusammenhang zuallererst: Ich glaube dir das.

Besonders deutlich wird das, wenn wir an unsere privaten zwischenmenschlichen Beziehungen denken. Wenn eine uns nahestehende Person sagt: »Du bist mir sympathisch, ich mag dich!«, werden wir bestimmt nicht antworten: »Du hast zwar keinen Beweis für deine Aufrichtigkeit geliefert, aber ich habe immerhin eine ganze Reihe von Gründen, die dafür sprechen, dass du es ehrlich meinst.« Eine solche Äußerung würde unser Gegenüber zutiefst verletzen, zu Recht! Wir sagen nicht: »Ich vertraue diesen und jenen Anhaltspunkten und Erwägungen«, sondern: »Ich glaube es, weil ich dir vertraue.« Glaube richtet sich nicht auf Dinge, auf Gegenstände oder auf Objekte, sondern immer auf eine Person. Weil wir gute Gründe haben, jemandem zu vertrauen, können wir glauben, was die betreffende Person uns mitteilt.

Schließlich kann man auch an jemanden glauben. In diesem Fall stehen nicht mehr einzelne Äußerungen im Vordergrund (ich glaube etwas), an denen man keinerlei Zweifel anmeldet, weil man jemandem vertraut (ich glaube dir). Damit liegt das ganze Gewicht auf der Beziehung: Weil und wenn wir einer Person bedingungslos vertrauen, können wir sagen: Für diesen Menschen lege ich die Hand ins Feuer; ich glaube einfach an ihn.

Wenn im religiösen Sprachgebrauch von Glauben die Rede ist, ist diese dritte Dimension letztlich mitgemeint, aus der die anderen beiden sich erst ableiten lassen. Ich glaube an Gott; deshalb kann ich ihm vertrauen und für wahr halten, was er mir mitteilt.5

glauben

menschlich

theologisch

etwas

Ich glaube, dass sie mich sympathisch findet.

Ich glaube, dass Gott ist.

jemandem

Ich glaube ihr, dass sie mich sympathisch findet.

Ich glaube Gott, dass er mein Heil will.

an jemanden

Ich glaube an sie, an ihre Treue. Ich lege für sie die Hand ins Feuer.

Ich glaube an Gott: Er ist mein Heil.

Das Glaubensverständnis der Schrift

Damit zeigt sich, dass dem Glauben, verstanden als Vertrauen, eine absolut zentrale Bedeutung zukommt. Und dass sich der Gottesglaube seiner Struktur nach von anderen menschlichen Vertrauensakten in nichts unterscheidet, sondern lediglich eine Art der Vertrauensäußerung (neben anderen) darstellt. Aber das Spezifische des christlichen Glaubensvollzugs ist damit noch nicht erfasst.

Das hängt nicht nur mit dem Inhalt des christlichen Glaubens (warum Jesus und nicht Buddha?), sondern auch mit der Wesensdifferenz zwischen Gott und Mensch zusammen. Denn ein bedingungsloses Vertrauen ist, streng genommen, nur Gott gegenüber möglich, weil er allein die ganze Wahrheit und Wahrhaftigkeit und deshalb absolut treu ist.

Diesen Tatbestand drückt das Alte Testament mit dem Verb aman aus, das fest sein, gegründet sein, sich stellen auf bedeutet. Aman (von dem sich das liturgische Amen herleitet) besagt, dass eine Sache hält, was sie verspricht. Auf Jahwe-Gott angewandt bedeutet das, dass er zu seinen Verheißungen steht und dem Menschen durch alle Gefährdungen hindurch die Treue hält. Dafür kennt das Alte Testament noch eine ganze Reihe anderer Begriffe, nämlich batah (hoffen auf, vertrauen auf), hasah (sich bergen, Zuflucht nehmen), emunah (Festigkeit, Sicherheit), emet (Glaube, Wahrheit, Stabilität). Diese Ausdrücke wurden in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, mit dem Substantiv pistis und dem Verb pisteuein übersetzt. Beide Wörter werden später im Neuen Testament zu Schlüsselbegriffen und bedeuten nichts anderes als Glaube(n) oder eben Vertrauen.

Was das konkret bedeutet, führen uns zahlreiche biblische Episoden vor Augen. Erinnert sei etwa an jene missverständliche und in der Tat oft missverstandene Erzählung, die davon berichtet, wie Gott Abraham befiehlt, seinen einzigen Sohn zu schlachten (Genesis 22,1–19).6

Die Erzählung von der Opferung Isaaks könnte uns leicht auf den Gedanken bringen, dass Gott mit dem Menschen sein grausames Spiel treibt. Vermutlich neigen wir dazu, uns von vornherein und vorbehaltlos mit Isaak, dem Opfer, zu identifizieren. Aufgrund unserer Sympathie für ihn rücken wir ihn ins Zentrum. Im Mittelpunkt aber steht gerade nicht er, sondern Abraham: »Gott stellte Abraham auf die Probe«, heißt es schon am Anfang (Genesis 22,1). Abraham selbst gibt sich vorerst keine Rechenschaft darüber, dass Gott ihn prüft. Das weiß bloß der Erzähler – und er sagt es uns gleich. Die ganze Erwartung der damaligen Leser und Zuhörerinnen richtete sich überhaupt nicht darauf, was mit Isaak nun tatsächlich geschehen würde. Vielmehr war man gespannt zu erfahren, wie Abraham angesichts der absurden Forderung Gottes reagieren würde. Absurd ist diese Forderung deshalb, weil jeder Israelit genau wusste, dass Jahwe im Gegensatz zu den Gottheiten anderer Völker keine Menschenopfer wünschte. Absurd ist sie aber auch im Hinblick auf das Versprechen, das Gott Abraham gegeben hat, nämlich ihn zum Stammvater eines großen Volkes zu machen (Genesis 17,2). Wie soll sich diese Zusage erfüllen, wenn Gott Abraham befiehlt, seinen Sohn zu schlachten?

Die Frage ist daher, ob Abraham auch jetzt noch an Gottes Treue glaubt, obwohl er nicht einsieht, auf welche Weise dieser unter den gegebenen Umständen sein Wort wird halten können. Denn nichts mehr hört Abraham von Gott während der ganzen dreitägigen Reise zum Opferberg. Buchstäblich bis zum letzten Augenblick hüllt sich Gott in Schweigen. Willkürlich hat er offenbar sein Versprechen rückgängig gemacht und grundlos seinen Treuebund aufgekündigt.

Wenn dem tatsächlich so wäre, stünde diese Geschichte nicht in der Bibel. Dort steht sie aber, weil am Beispiel Abrahams gezeigt werden soll, dass man in jeder Situation felsenfest auf Gott zählen kann.

Man kann diese Erzählung nur verstehen, wenn man keine falschen Fragen stellt, die an ihrer Sinnspitze vorbeizielen. Es handelt sich um eine Glaubensgeschichte, die dazu einladen will, sich mit Abraham und seiner Haltung zu identifizieren.

Ihre jetzige Ausformung hat die besagte Episode im 9. vorchristlichen Jahrhundert erhalten, zu der Zeit also, als das Volk Israel sich in der gleichen Lage befand wie Abraham. Nach dem Tod König Salomos wurde das Reich geteilt. Ein Niedergang setzte ein, während die Nachbarvölker gleichzeitig immer stärker und mächtiger wurden und die Existenz Israels massiv bedrohten. Angesichts der zunehmend aussichtslosen Situation begann man sich zu fragen: Wozu hat Gott uns, seinem Volk, das Land verheißen; weshalb hat er uns aus Ägypten befreit und durch die Wüste hierher geführt, wenn jetzt doch alles zusammenbrechen soll? Warum liefert er uns anderen Völkern aus, obwohl wir doch sein Bundesvolk sind? Wie steht es mit Gottes Treue, die seit Abraham und Mose für alle kommenden Geschlechter gelten soll?

Angesichts solcher Fragen war die Geschichte von der Erprobung Abrahams von einer ungeheuren Aktualität. Sie vermochte das Volk Israel in der Gewissheit zu bestärken: So wie Gott Abraham wider allen Anschein die Treue bewahrte, so wird er auch uns in unserer ausweglosen Lage beistehen. Gerade die Abrahamgeschichte vermochte Israel in der Gewissheit zu bestärken: Was Gott angefangen hat, führt er zu Ende, vorausgesetzt, das Volk ist gewillt, wie Abraham zu handeln, der bereit war, seinen Sohn zu lassen, aber nicht seinen Gott.

Warum prüft Gott? Ist er grausam, unberechenbar? Auf diese Frage antwortet die Erzählung weder mit einem unmöglichen Ja noch mit einem vorschnellen Nein. Irgendwie macht sie die Frage gegenstandslos, indem sie zeigt: Gott ist wohl unbegreiflich, aber man kann immer auf ihn zählen.

Was für Abraham gilt, der mit seinen 75 Jahren im Vertrauen auf Gott den Aufbruch wagte und seine Heimat mit einem unbekannten Ziel verließ; was für das auserwählte Volk gilt, das den Auszug aus Ägypten wagte und einer ungewissen Zukunft entgegenging; was für Jesu Jünger galt, welche »alles verlassen haben« (Matthäus 19,27) und sich seiner Führung anvertrauten, das trifft für alle Gläubigen zu. Der Glaube ist und bleibt ein Wagnis, das den bedingungslosen Einsatz der Person erfordert. Er ist deshalb nicht ein Akt neben anderen, sondern ein Grund-Akt des Vertrauens, der den ganzen Menschen in Anspruch nimmt und sich auf sein gesamtes Denken und Handeln auswirken muss.

Kein toter Satzglaube!

Selbstverständlich weist der Glaube auch eine inhaltliche Seite auf. Wenn und weil Menschen sich Gott anvertrauen, glauben sie ihm, was dieser ihnen offenbart.

Dieses intellektualistische Glaubensverständnis war in der katholischen Theologie und Verkündigung über Jahrhunderte hinweg vorherrschend. Glaube wurde hauptsächlich als assensusintellectus, als Zustimmung des Verstandes zur geoffenbarten Wahrheit, verstanden. Von einer solch einseitigen und deshalb höchst missverständlichen Begriffsbestimmung des Glaubens zeugt unter anderem ein Text des Ersten Vatikanischen Konzils aus dem Jahr 1870.

»Da der Mensch ganz von Gott als seinem Schöpfer und Herrn abhängt und die geschaffene Vernunft der ungeschaffenen Wahrheit völlig unterworfen ist, sind wir gehalten, dem offenbarenden Gott im Glauben vollen Gehorsam des Verstandes und des Willens zu leisten. Dieser Glaube […] ist nach dem Bekenntnis der katholischen Kirche eine übernatürliche Tugend, durch die wir mit Unterstützung und Hilfe der Gnade Gottes glauben, dass das von ihm Geoffenbarte wahr ist.«7

Der Katechismus von 1955, mittels dessen die Zehn- und Elfjährigen über Jahrzehnte hin bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil indoktriniert wurden, beantwortete die Frage »Was heißt glauben?« mit einem einzigen kurzen Satz: »Glauben heißt, alles für wahr halten, was Gott geoffenbart hat und durch die Kirche zu glauben lehrt.«

Offensichtlich verstanden Konzil und Katechismus unter glauben ausschließlich die verstandes- und willensmäßige Bejahung göttlicher Offenbarungswahrheiten.

Bei aller Einseitigkeit hat diese Auffassung einen Anhalt am Neuen Testament. Ein Beleg dafür findet sich im Römerbrief: »Wenn du mit deinem Mund bekennst: Herr ist Jesus – und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet werden« (Römer 10,9). Bedeutet das, dass der Mensch das Heil schon allein dadurch erlangt, dass er Glaubenssätzen, bzw. Glaubenswahrheiten innerlich zustimmt?

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965) meinte aufzeigen zu können, dass das alttestamentliche Glaubensverständnis, verstanden als rückhaltloses Vertrauen auf Gottes Treue und Macht, schon im Neuen Testament, vorab bei Paulus, verkürzt wurde. Nicht dem Glaubensakt (ich glaube dir), sondern dem Glaubensinhalt (ich glaube, dass …) komme die entscheidende Bedeutung zu.8

Dagegen ist einzuwenden, dass auch das Alte Testament Glaubenssätze kennt, etwa dass Gott gerecht ist und die Guten belohnt. Dennoch ist Buber insofern zuzustimmen, als die Bekenntniswahrheiten im Neuen Testament eine viel wichtigere Rolle spielen. Das hängt mit der Sache selbst zusammen, insofern dort im Vergleich zu den Schriften des Alten Testaments wesentlich Neues hinzugekommen ist, nämlich der Glaube daran, dass Jesus Christus, der Erlöser und Herr, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, Heil schafft. Seit Jesus ›wissen‹ die Menschen mehr über Gottes Wesen und ihre eigene Bestimmung. Bei diesem Erkenntniszuwachs, der sich in Bekenntnissätzen niederschlug, handelt es sich tatsächlich um ein Glaubenswissen. Allerdings setzt der ›Was-Glaube‹ (Glaubensinhalt), von dem Buber spricht, den ›Du-Glauben‹ (Glaubensakt) gerade voraus. Kurzum, das Bekenntnis zu Jesus wurzelt in jedem Fall im Glauben an ihn als den Christus und Messias. So etwa sagt Jesus zur Samariterin: »Glaube mir, Frau« (Johannes 4,21), und eröffnet ihr anschließend, dass er der Messias ist (4,26). In seiner Abschiedsrede fordert Jesus die Jünger auf: »Glaubt an Gott und glaubt an mich!« (Johannes 14,1; vgl. Matthäus 18,6). Paulus seinerseits sagt von Jesus: »Wer an ihn [Jesus] glaubt, wird nicht zugrunde gehen« (Römer 9,33).

Aber auch nach neutestamentlichem Verständnis reduziert sich der Glaube keineswegs auf einen Akt des Verstandes oder des Willens. Vielmehr geht es zuallererst um eine Grundentscheidung, die den ganzen Menschen mit Herz und Hirn in Beschlag nimmt.

Diese Einsicht hat sich in der Offenbarungskonstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanums niedergeschlagen. Dort wird die Aussage des Ersten Vatikanums, das Glauben als Verpflichtung zum Gehorsamsdienst des Verstandes und des Willens gegenüber Gott versteht, ergänzt durch die Aussage, dass Glaubende sich »ganz Gott frei anvertrauen« und so sich ihm überantworten.9 Damit wird der intellektuelle Dogmenglaube ausdrücklich in den größeren Zusammenhang der vertrauenden Hingabe hineingestellt.

Unangefochtener Glaube?

Im Hinblick auf die Vertrauensstruktur des Glaubens stellt sich eine Frage, die in den alten Katechismen – wenn überhaupt! – in einer, höchstens zwei Zeilen abgehandelt wurde, nämlich die nach einem angefochtenen Glauben.10

Der Begriff Anfechtung bezieht sich dabei nicht auf mögliche Glaubensschwierigkeiten inhaltlicher Art (z. B.: Wie soll man sich einen Gott in drei ›Personen‹ vorstellen?), sondern meint jene Zweifel, welchen das Gottvertrauen selbst ausgesetzt sein kann.

Derartige Unsicherheiten sind nichts Außergewöhnliches, wenn man damit Ernst macht, dass der Glaube wesentlich Vertrauen ist. Nicht zufällig findet sich schon im ältesten Evangelium der Hinweis, dass es auch im Glaubensleben Grauzonen gibt, sodass Glaube und Unglaube meist gar nicht sauber auseinanderdividiert werden können. Nennt der Vater des von Jesus geheilten epileptischen Jungen nicht beides im selben Atemzug? »Ich glaube; hilf meinem Unglauben!« (Markus 9,24).

Immer wieder zeigt das Neue Testament, dass blinder Glaube und fraglose Gläubigkeit keineswegs etwas Selbstverständliches sind. Lukas illustriert das anhand der Gestalt Marias, die er als Vorbild der Gläubigen hinstellt. Das erste Wort, das er ihr in den Mund legt, ist ein Einwand in Form einer Frage: »Wie soll das geschehen?« (Lukas 1,34). Im Gegensatz zum Zweifel des Zacharias (vgl. 1,18–20) scheint ihre Frage dem Evangelisten zufolge selbstverständlich zu sein. Erst nach der Erklärung des Verkündigungsengels erwidert Maria: »Mir geschehe, wie du es gesagt hast« (1,38). Auch bei den Aposteln und Jüngern geht in Sachen Glauben nicht alles fraglos ab (vgl. u. a. Matthäus 13,10; Markus 6,52; Johannes 16,18–19). Besonders deutlich bringen das die Ostergeschichten zum Ausdruck, die geradezu durchsetzt sind von den Zweifeln und dem zeitweiligen Unglauben der Jünger. Nach Lukas und Johannes schenken diese den Grabbesucherinnen keinerlei Glauben (Lukas 24,11; Johannes 20,25). Einige zweifeln sogar angesichts einer Erscheinung des Auferstandenen selbst (Matthäus 28,17). Die Emmausjünger bringen ihre Enttäuschung offen zum Ausdruck: »Wir aber hatten gehofft, dass er [Jesus] der sei, der Israel erlösen werde« (Lukas 24,21).

Kein Mensch kann von sich behaupten, er besitze den Glauben ein für alle Mal. Vielmehr geht es darum, das Gottvertrauen je neu zu verwirklichen und zu vertiefen.

Das gilt im Übrigen für alle grundlegenden Entscheidungen, die in einem gewissen Sinn für immer gefällt werden. Eine Frau kann sich anlässlich ihres silbernen Ehejubiläums oder ein Ordensmann sich bei seiner goldenen Professfeier fragen, ob die damalige Entscheidung richtig war. Wenn beide zu dem Ergebnis kommen, dass sie bei allen Unstimmigkeiten und trotz gelegentlichen Versagens noch immer zu ihrem Versprechen stehen können und sich weiterhin dazu bekennen wollen, so wiederholen sie damit eben nicht einfach einen früheren Entschluss, sondern treffen damit eine neue Entscheidung, die auf der früheren aufbaut und mit ihr im Einklang steht. Mit anderen Worten: Entscheidungen, die man ›ein für alle Mal‹ trifft, bewahrheiten sich erst (und immer neu) im konkreten Vollzug. Eben dies gilt auch für den Glauben.

Auch das Gottvertrauen ist, wie jedes menschliche Vertrauen überhaupt, Anfechtungen ausgesetzt, Zweifeln unterworfen und von Krisen bedroht. Es wäre falsch, hier von Sünde zu sprechen, wie dies früher häufig geschah. Damit würde die existenzielle Dimension des Glaubens völlig verkannt.

Zwar hat der Begriff Krise in den meisten Ohren einen negativen Klang. Indessen aber handelt es sich ganz einfach um eine Herausforderung. Wenn zwei Menschen plötzlich feststellen, dass ihre Ehe in eine Krise geraten ist, besagt das lediglich, dass vieles von dem, was bislang irgendwie selbstverständlich war, nicht mehr trägt und deshalb der Überprüfung bedarf; dass man sich, wahrscheinlich fast unmerklich, auseinandergelebt hat; dass man vergessen hat, dass eine zwischenmenschliche Beziehung nicht von selbst fortbesteht. Kurzum, Langgewohntes oder scheinbar Altvertrautes ist – im Wortsinn – fragwürdig geworden.

Angesichts einer solchen Erkenntnis sind sehr verschiedene Reaktionen denkbar. Man kann in Panik ausbrechen. Oder man kann sagen: Das darf doch nicht wahr sein! Man weigert sich anzuerkennen, dass man manches falsch gemacht hat. Man kann aber auch nach den Gründen der Krise fragen und nach Wegen zu ihrer Überwindung suchen. Krisen erweisen sich im Nachhinein oft als wichtige Momente eines Reifeprozesses. Freilich muss man sich bewusst sein, dass es dabei häufig der Hilfe Dritter bedarf.

Das alles trifft in analoger Weise auch für die Glaubenskrisen zu, die, wenn sie denn bewältigt werden, zu einem gestärkten und gefestigten Gottvertrauen beitragen. Dabei gilt auch hier, dass solche Schwierigkeiten umso leichter zu überwinden sind, je intensiver eine Person sich gestützt und gehalten weiß von der kirchlichen Gemeinschaft, in und mit der sie ihren Glauben nicht nur bekennen, sondern auch leben möchte.

»Armselige Bettler sind wir.«

Seinen sprachlichen Ausdruck findet der Glaube im Gebet, will sagen in der Meditation, im Lobpreis Gottes und im Dank. Und in der Bitte. Was das Bittgebet betrifft, liegt es nahe, auf eine Schwierigkeit einzugehen, die den Gottgläubigen seit jeher zu schaffen macht.

Wenn immer wir, ganz gleich wen, um etwas bitten, bekunden wir damit unsere Abhängigkeit. Allein der Gedanke, in jemandes Schuld zu stehen, ist für viele Menschen unerträglich. Das hängt wohl damit zusammen, dass wir im zwischenmenschlichen Bereich das Bitten weitgehend verlernt haben. Keinesfalls möchten wir anderen zur Last fallen; immer wollen wir allein zurechtkommen. Sollten wir uns wirklich einmal gezwungen sehen, einen Bekannten um einen Gefallen zu bitten, neigen wir dazu, uns möglichst umgehend zu revanchieren, damit alles seine Ordnung hat. Ordnung – das bedeutet in diesem Fall, niemandem etwas schuldig bleiben.

Selbst wenn wir uns einreden, alles mit eigenen Mitteln schaffen und unser Leben aus eigener Kraft bewältigen zu können, sind wir dennoch abhängig von unseren Mitmenschen. Das beweist schon die banale Tatsache, dass niemand sein Dasein sich selbst verdankt. Erst die Zuwendung, die wir seitens anderer erfahren, bringt Freude und Helligkeit in unser Leben. Ein verständnisvoller Blick, eine flüchtige Sympathiebezeugung, ein gewinnendes Lächeln vermögen einen Menschen zu verzaubern; sie beweisen ihm, dass er den anderen nicht gleichgültig ist.

Jeder Mensch braucht Anerkennung und Liebe. Schon bei Kindern lässt sich feststellen, dass ihr Verhalten weitgehend gesteuert wird von der Angst, abgelehnt und nicht geliebt zu werden. Begreiflicherweise, denn ein Mensch, um den sich niemand kümmert, verkümmert.

Anteilnahme, Verständnis und Liebe aber lassen sich nie erzwingen; sie sind ein Geschenk, das wir nicht von Rechts wegen einfordern, sondern dankbar entgegennehmen dürfen.

Wenn immer uns ein Mensch freundschaftlich verbunden ist, machen wir die Erfahrung, dass wir plötzlich weder Hemmungen noch Bedenken empfinden, ihn um etwas zu bitten. Je tragfähiger eine menschliche Bindung ist, umso weniger zögern wir, ein Anliegen vorzutragen. Da kommt der Gedanke an eine Demütigung gar nicht erst auf.

Von daher stellt sich natürlich die Frage, warum manche Gläubige zögern, vor Gott als Bittstellende zu erscheinen. Das hängt wohl damit zusammen, dass das Bedürfnis, im Leben allein zurechtzukommen, von der zwischenmenschlichen Ebene unbewusst auf die Beziehung zu Gott übertragen wird. Wenn man meint, im alltäglichen Leben nur dann etwas darzustellen, solange man auf niemanden angewiesen ist, möchte man auch vor Gott nicht unbedingt als Bittstellerin oder als Bettler erscheinen. Wenn immer man es als demütigend empfindet, eine Bitte vor Gott auszusprechen, ist die Beziehung zu Gott gestört. Die Einstellung gegenüber dem Bittgebet wird so geradezu zum Gradmesser für die Intensität des Glaubens.

Allerdings erhebt sich hier ein ernst zu nehmender Einwand sozialethischer Art. Wäre es nicht ehrlicher, sich darauf zu beschränken, Gott für etwaige Verfehlungen Abbitte zu leisten? Warum, darüber hinaus, noch Bitten und Fürbitten vorbringen? Besteht da nicht der Verdacht, dass solches Beten letztlich nichts anderes sei als eine Flucht vor der Verantwortung und damit sozusagen ein Alibi für vertane Chancen und verpasste Gelegenheiten?

Bertolt Brecht hat diesem Vorwurf in seinem Stück Mutter Courage und ihre Kinder eine ganze Szene gewidmet.

Während des Dreißigjährigen Krieges bedrohen die kaiserlichen Truppen die evangelische Stadt Halle, in der sich auch die Marketenderin Mutter Courage aufhält, während ihre stumme Tochter Kattrin vor der Stadt bei Bauersleuten Unterschlupf gefunden hat. Mitten in der Nacht werden diese von einigen Soldaten aufgeweckt. Mit der Drohung, das Vieh zu töten, wollen sie den Sohn des Bauern zwingen, ihnen den Weg in die Stadt zu zeigen. Unbemerkt von den Soldaten greift sich Kattrin eine Trommel, steigt auf das Dach des Stalls und zieht die Leiter hinter sich hoch. Die beiden Bauersleute beschränken sich darauf, Gott darum zu bitten, er möge ihre Angehörigen in der Stadt retten. Kattrin hingegen beginnt die Trommel zu rühren, um die Städter aus ihrem Schlaf aufzuwecken und sie vor der drohenden Gefahr zu warnen:

DER BAUER Hör auf der Stell auf mit Schlagen, du Krüppel!

DIE BÄUERIN Die Kaiserlichen auf uns ziehn! […]

DER FÄHNRICHkommt mit seinen Soldaten und dem jungen Bauern gelaufen: Euch zerhack ich!

DIE BÄUERIN Herr Offizier, wir sind unschuldig, wir können nix dafür. Sie hat sich raufgeschlichen. Eine Fremde.

DER FÄHNRICH Wo ist die Leiter?

DER BAUER Oben.

DER FÄHNRICHhinauf: Ich befehl dir, schmeiß die Trommel runter! Kattrin trommelt weiter. Ihr seids alle verschworen. Das hier überlebt ihr nicht. […]

ERSTER SOLDAT […] Hörst du, wir machen dir einen Vorschlag zum Guten. Komm herunter und geh mit uns in die Stadt, stracks voran. Zeig uns deine Mutter, und sie soll verschont werden. Kattrin trommelt weiter. […]

DER FÄHNRICH Ich halts nicht aus. Ich schieß sie herunter, und wenn alles hin ist. Holt die Kugelbüchs!

Zwei Soldaten laufen weg. Kattrin trommelt weiter.

DIE BÄUERIN Ich habs, Herr Hauptmann. Da drüben steht ihr Wagen. Wenn wir den zusammenhaun, hört sie auf. Sie haben nix als den Wagen.

DER FÄHNRICHzum jungen Bauern: Hau ihn zusammen. Hinauf: Wir haun deinen Wagen zusammen, wenn du nicht mit Schlagen aufhörst.

Der junge Bauer führt einige schwache Schläge gegen den Planwagen.

DIE BÄUERIN Hör auf, du Vieh!

Kattrin stößt, verzweifelt nach ihrem Wagen starrend, jämmerliche Laute aus. Sie trommelt aber weiter. […]

DER JUNGE BAUERwirft plötzlich die Planke weg: Schlag weiter! Sonst sind sie alle hin! Schlag weiter, schlag weiter. […]

Die Soldaten mit der Büchse kommen gelaufen.

DER FÄHNRICH Stell auf! Stell auf! Hinauf, während das Gewehr auf die Gabel gestellt wird: Zum allerletzten Mal: Hör auf mit Schlagen! Kattrin trommelt weinend so laut sie kann. Gebt Feuer! Die Soldaten feuern. Kattrin, getroffen, schlägt noch einige Schläge und sinkt dann langsam zusammen. Schluss mitm Lärm! Aber die letzten Schläge Kattrins werden von den Kanonen der Stadt abgelöst. Man hört von Weitem verwirrtes Sturmglockenläuten und Kanonendonner.

ERSTER SOLDAT Sie hats geschafft.11

Sowohl Kattrins Mutter wie auch die Verwandten der Bauersleute befinden sich in der bedrohten Stadt. Und alle beide, Kattrin und die Bauern, riskieren ihre Existenzgrundlage (den Wagen; den Hof und das Vieh) und darüber hinaus auch ihr Leben, wenn sie die Stadtbewohner warnen. Während die Bauersleute sich mit Beten behelfen, entschließt sich Kattrin zum Handeln und provoziert so gleichzeitig einen Sinneswandel beim Jungbauern. Anfänglich bereit, den Soldaten den Weg zu weisen, entschließt er sich, dem Beispiel Kattrins folgend, zum aktiven Widerstand (»Schlag weiter! Sonst sind alle hin!«).

Offensichtlich will Brecht diese Szene als Lehrstück im Stück verstanden wissen. Gezeigt wird, dass Betende Gott letztlich nur vorschlagen, wie er ihre Ideen verwirklichen soll, weil sie selbst dazu zu bequem oder zu feige oder unfähig oder all das zusammen sind. Das Bitt- und Fürbittgebet dispensiert demnach vom persönlichen Einsatz? Es gerät zur frommen Ausrede für Trägheit oder Feigheit, oder es gerinnt zum magischen Zauberspruch, mittels dessen man versucht, Gott unter Druck zu setzen? Es dient lediglich der Selbsttäuschung und der Beruhigung des schlechten Gewissens?

Damit würde die Karikatur des Bittgebets zum Maßstab seiner Beurteilung gemacht. Ebenso wenig wie der Glaube zur Weltflucht ermächtigt, sondern den tatkräftigen Einsatz in der Welt zur Verbesserung der irdischen Verhältnisse impliziert, kann das Beten als Alternative zum Handeln verstanden werden. Betende wissen sich dem Beispiel Jesu verpflichtet, der seine Predigt durch seine Praxis besiegelte und seinen Dienst an den Armen und Kranken, an den Benachteiligten und Sündern als Prüfstein und Verifikationskriterium für seine innige Beziehung zum ›Vater‹ verstand.

Bitte und Fürbitte schließen die Ausschöpfung aller Möglichkeiten konkreten Handelns nicht aus, sondern ein. Beten für andere ist zudem ein Ausdruck von Solidarität; jede Fürbitte stellt gleichzeitig ein Aktionsprogramm dar, das es zu verwirklichen gilt. Guten Gewissens kann man seine Hände nur zum Gebet falten, wenn man bereit ist, sie auch offen zu halten für notleidende Mitmenschen.

Reicht ein solcher Einsatz nicht aus? Warum darüber hinaus noch beten? Angesichts dieses Einwandes werden Gottgläubige sich darauf besinnen, dass Gottes Schöpfungstat nicht in einer Art Initialzündung besteht. Die biblische Lehre vom Schöpfergott besagt, dass sein Heilshandeln weiterdauert, weil er die ganze Welt und jeden einzelnen Menschen trägt und erhält. Freilich greift Gott nicht hinter dem Rücken der Menschen in den Weltenlauf ein. Wohl aber gibt er ihnen die Kraft zu handeln. Deshalb ist er in jeder Situation anrufbar. Das ist auch der Grund, weshalb wir Gott um alles bitten sollen, was uns sinnvoll erscheint.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, was mit der göttlichen Vorsehung gemeint ist. Der Glaube an Gottes Walten darf nicht zur Passivität verleiten. Die oft missverstandene Lehre von der Vorsehung meint nichts anderes, als dass Gott zu seinen Verheißungen steht und dass er uns in allem Leid, bei allen Prüfungen und durch alle schlimmen Erfahrungen hindurch die Treue hält.

Im Bittgebet und in der Fürbitte tragen Gläubige ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte und (warum es nicht eingestehen?) ihre Ohnmacht vor Gott.

Wer immer seine Not vor Gott offen ausspricht, gibt sich Rechenschaft darüber, dass es auf dieser Welt trotz aller nur möglichen Absicherungen keine allerletzten Sicherheiten gibt, und bekennt gleichzeitig seinen Glauben daran, dass dieser Gott sich um alle und alles sorgt, dass man sich auf ihn auch in der äußersten Verlassenheit verlassen kann und dass man zu guter Letzt nur in ihm eine feste Stütze und einen sicheren Halt findet. Auf ergreifende Weise kommt das zum Ausdruck in jener letzten Aufzeichnung, die man neben Martin Luthers Sterbebett gefunden hat, und die weniger als Ergebnis seiner theologischen Beschäftigung denn als genuiner Ausdruck seiner Glaubenserfahrung zu werten ist: »Wir sein pettler. Hoc est verum – Bettler sind wir; dies ist die reine Wahrheit.«12

Spätestens hier werden viele Betende einen Einwand vorbringen. Trotz der Zusicherung Jesu, dass Gott jedes Gebet erhört, machen Menschen immer wieder die Erfahrung, dass ihre Bitten unerfüllt bleiben. Gerade dann, wenn sie am dringendsten auf ein Zeichen warten, müssen sie häufig feststellen: Gott redet nicht, er antwortet nicht, er hilft nicht. Gott schweigt.

Mit dieser Problematik haben sich schon die Kirchenväter herumgeschlagen.13 Dabei ging es vor allem um eine Verheißung Jesu im Matthäusevangelium.

»Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet! Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten« (7,7–11).

Gelegentlich wurde dieser Text allegorisch gedeutet; das Versprechen der Gebetserhörung beziehe sich auf rein geistige Gaben. Andere wiederum betonten, dass es darauf ankomme, wieman bete. Dabei rekurriert man gern auf eine Stelle im Jakobusbrief: »Ihr bittet, und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet« (4,3).

Kann (oder soll) man sich mit der Auskunft zufriedengeben, dass das Schweigen Gottes auf einen Mangel an Beharrlichkeit zurückzuführen ist? Wenn ein Mensch sein ganzes Unglück vor Gott ausbreitet, und dies im Vertrauen, dass einzig dieser Gott noch helfen kann und helfen wird, wird man ihm kaum einen Mangel an guter Absicht vorwerfen können.

Statt uns hier weiter in theoretischen Erörterungen zu ergehen, tun wir gut daran, den Blick auf Jesus zu lenken. Bekanntlich beschränkt er sich nicht darauf, die Seinen zu ermahnen, Gott ganz und gar zu vertrauen und sich gänzlich seinem Willen zu unterstellen. Vielmehr nimmt er sich in seiner schwersten Stunde selbst beim Wort, wenn er in seiner Todesangst zu Gott fleht: »Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst [soll geschehen]« (Markus 14,36).

Ein dem Geist Jesu entsprechendes Bittgebet schließt ein, dass Betende bereit sind, ihre Bitten unter den Vorbehalt dieses von einem unbedingten Gottvertrauen getragenen Jesuswortes zu stellen, welches das eigene Wollen dem Willen Gottes unterordnet: »Dein Wille geschehe« (Matthäus 6,10). Betende orientieren sich am Vorbild Jesu, wenn sie alle menschliche Bedürftigkeit ganz und gar Gottes Sorge anheimstellen, im festen Vertrauen darauf, dass »denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht« (Römer 8,28).

Damit stellt sich die Frage nach der Erhörung vor einem neuen Horizont. Das Beispiel des im Ölgarten mit Gott ringenden Jesus zeigt, dass dieser Gott sich vorbehält, dem Menschen die Erfüllung einer konkreten Bitte zu verweigern. Solche Nichterfüllung aber ist nicht gleichbedeutend mit einer Nichterhörung.

Wenn Gott einer gegenständlichen Bitte nicht stattgibt, ist der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Er muss versuchen, sich in einer Situation zurechtzufinden, um deren Änderung er doch gebetet hat.