"Als ich König war und Maurer" -  - E-Book

"Als ich König war und Maurer" E-Book

5,0

Beschreibung

Casanova, Lessing, Goethe, Pope, Heine, Kipling, D'Annunzio, Tucholsky: Sie alle waren nicht nur große Dichter ihrer Zeit, sondern gehörten auch dem Bund der Freimaurer an. Seit Beginn traten viele bekannte Schriftsteller dem Freimaurerbund aus unterschiedlichen Beweggründen bei. Schon im 18. Jahrhundert wurden mehr als 15.000 Logenlieder veröffentlicht, meist pädagogisch-moralische Appelle oder Trinklieder. In Glücksfällen gingen diese Lieder über den Status der Gebrauchsliteratur hinaus. Die vorliegende Anthologie ist eine ausführliche und repräsentative Sammlung aller relevanten poetischen Texte zur Freimaurerei, ihren Symbolen, Motiven und Ritualen. Heinz Sichrovsky schafft damit erstmals einen umfassenden Überblick über freimaurerische Dichtung, die entweder für den Logengebrauch geschrieben wurde oder von freimaurerischer Symbolik und Wortwahl geprägt ist. Die 90 Porträts schuf der namhafte Künstler Oskar Stocker.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 414

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (18 Bewertungen)
18
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heinz Sichrovsky (Hg.)

„Als ich König war und Maurer“

 

 

 

Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei

Hg. von Helmut Reinalter in Zusammenarbeitmit dem Institut fur Ideengeschichte

Band 19

Heinz Sichrovsky (Hg.)

„Als ich König war und Maurer“

Freimaurerdichtung aus vier Jahrhunderten

Eine Anthologie mit 90 Porträts von Oskar Stocker

Dem Andenken des Künstlers und FreundesHelmuth Lohner gewidmet

Inhalt

Einführung

Freimaurergedichte

Alexander Pope

The Universal Prayer/Allgemeines Gebet

The Dying Christian to His Soul/Popens sterbender Christ an seine Seele

Theodor Gottlieb Hippel

Gebet

Matthias Claudius

Abendlied

Freimaurer-Lied

Schlusslied

Johann Gottfried Herder

Gebet zur Eröffnung der Loge

Lied des Lebens

Johann Wolfgang von Goethe

Verschwiegenheit

Gegentoast der Schwestern

Trauerloge

Zwischengesang

Symbolum

Selige Sehnsucht

Karl Philipp Moritz

Drei Gedichte aus Andreas Hartknopf

Friedrich Schiller

An die Freude

Johann Gottlieb Fichte

Sonett

Zacharias Werner

Tafellied zu Wielands Einführung

Stanzen

Voltaire

Adieux à la vie/Ade dem Leben

Aloys Blumauer

Der Feigenbaum und der Weißdorn

An die Weisheit

Der Hausherr und die Schwalbe

Johann Baptist Alxinger

Tischlied

Joseph Franz Ratschky

Auf Alxingers Tod

Emanuel Schikaneder

Die Zauberflöte

Gottlieb Leon

Tafellied um Almosen für die Armen

Franz Heinrich Ziegenhagen

Eine kleine deutsche Kantate

Robert Burns

A Man’s a Man for A’ That/Trotz alledem!

Gottfried August Bürger

Das Lied vom braven Mann

Friedrich Leopold Graf Stolberg

Lied an einen Freimaurer bei seiner Aufnahme

Johann Heinrich Voß

Pfingstlied

Der englische Homer

Thomas Thaarup

Hymnus

August von Kotzebue

Die Freimaurer

Friedrich von Matthisson

Die Vollendung

Johann Gaudenz Salis von Seewis

Ermunterung

An die edeln Unterdrückten

Ernst Gebhard Salomon Anschütz

Dem Meister vom Stuhl

Claude Joseph Rouget de Lisle

Hymne à la raison/Hymne an die Vernunft

Thomas Moore

Fallen Is Thy Throne/Nun trau’r in Schweigen, Israel

Ferdinand Freiligrath

Vor der Fahrt

Maximilian von Schenkendorf

Lied der Maurer

Adelbert von Chamisso

Der neue Diogenes

Friedrich Rückert

Zum Anfang

An unsere Sprache

Wilhelm Müller

Zur Einweihung eines Brüdertempels

Die Nebensonnen

Alexander Nikolajewitsch Radischtschew

Ode an die Freiheit

Alexander Puschkin

Sendschreiben nach Sibirien

Der Prophet

Heinrich Zschokke

Der Maurer-Lehrling

Heinrich Heine

Symbolik des Unsinns

Ludwig Bechstein

Schiboleth

Heinrich Hoffmann

Trinkspruch des Br. Hoffmann, im Namen und als Dank der Frauen

Emil Rittershaus

Dem Papste

Zur Jahresversammlung des „Vereins deutscher Freimaurer“ 1869

Rob Morris

Never Slight a Hailing Brother/Verachte nie einen Bruder, der nach dir ruft

Edwin Markham

Man Making/Menschwerdung

A Destiny/Eine Bestimmung

Oscar Wilde

The Ballad of Reading Gaol/Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading

Arthur Conan Doyle

The Banner of Progress/Das Banner des Fortschritts

Rabindranath Tagore

Drei Gedichte

Rudyard Kipling

The Mother-Lodge/Meine Mutterloge

The Palace/Der Palast

Jubal and Tubal Cain/Jubal und Tubal Kain

The Widow at Windsor/Die Witwe von Windsor

The Totem/Das Totem

José Martí

Versos Sencillos XXXIX/Einfache Verse XXXIX

Giosuè Carducci

A Satana/An Satanas

Giuseppe Mazzini/Joseph Mazzini

Gabriele D’Annunzio

Ditirambo IV/Dithyrambos IV

Antonio de Curtis

La Livella/Die Wasserwaage/die wossawog

Salvatore Quasimodo

Uomo del mio tempo/Mensch meiner Zeit

Heinrich Glücksmann

Joseph Lewinsky

Theodor Roosevelt

Johannes Urzidil

Drei Kettensprüche

Endre Ady

Der Feuerzünder

März des Feuers

Paul Richter

Du lebst

Heilige Flammen

Kurt Tucholsky

Ludendorff oder Der Verfolgungswahn

Mikhail Naimy

Das Buch des Mirdad

Ernst Schönwiese

Haikus

Michael Guttenbrunner

Der Maurer

Garibaldis letzter Wunsch

Alexander Giese

Saxa Loquuntur

Gerd Scherm

Tempel

Joseph Tsang Mang Kin

Egregore

Apprentice/Der Lehrling

Stephan Eibel-Erzberg

das große geheimnis der fm

Ungereimtes – Freimaurerische Prosa

Jean Terrasson

Geschichte des ägyptischen Königs Sethos

Giacomo Casanova

Erinnerungen

Eduard und Elisabeth bei den Megamikren

Gotthold Ephraim Lessing

Gespräche für Freimaurer

Christoph Martin Wieland

Über das Fortleben im Andenken der Nachwelt

Heinrich Jung-Stilling

Das Heimweh

Stendhal

Die Kartause von Parma

Ludwig Börne

Über Freimaurerei

Vinzenz Chiavacci

Der Weltuntergang

Karel Čapek

Der Absolutum oder Die Gottesfabrik

Ernst Lothar

Der Engel mit der Posaune

Ivo Andrić

Die Brücke über die Žepa

Milo Dor

Alle meine Brüder

Gedichte zur Geschichte – Nichtfreimaurerisches von Freimaurern

Eugène Pottier

L’Internationale/Die Internationale

Louise Michel

À mes frères/An meine Brüder

Antonio de Castro Alves

Das Sklavenschiff

Mark Twain

The War Prayer/Gebet im Kriege

Mehmet Emin Yurdakul

Heda, Türke, wach auf!

Anton Wildgans

Vae Victis!

Legende aus dem Alltag des Krieges

Fritz Grünbaum

Der rote Pegasus

Octavian Goga

Von uns

Fritz Brügel

Die Arbeiter von Wien

Federico García Lorca

Romance De La Guardia Civil Española/Romanze von der spanischen Guardia Civil

Franz Karl Ginzkey

Fabrik des Herrn

Lied an Deutschland

Deutsche Weihnacht

Felix Salten

Der Springquell

Friedrich Torberg

Kaddisch 1943

Otto Grünmandl

Schlussstück

Georg Kreisler

Erwartet nicht zu viel

Wolfgang Bauer

Märzwind

Anhang

Alphabetische Liste der Autoren

Quellennachweis

Literatur

Glossar

Danksagung

Einführung

Das ist Freimaurerlyrik:

„Ich erbitte mir, auf heute, sonst kein Teil, als Brot und Frieden, Aus der andern Güter Menge wähle nie mein eigner Wahn!

Ob sie recht verteilet worden, sei von Dir allein entschieden. Nur Dein Will’, o Herr, geschehe! Was Du tust, ist wohl getan.“

Und auch das ist Freimaurerlyrik:

„Heil dir, o Satanas, Kettenzerbrecher,

gefang’nen Denkens Befreier, Rächer!

Dir lass uns opfern, zu dir uns beten:

Du hast den Gott der Priester zertreten!“

Zwei Texte von weltliterarischem Rang an den Extrempositionen der Freimaurerei (die auch Bund oder Bruderkette genannt wird): ein Gebet von Alexander Pope aus den Gründertagen im frühen 18. Jahrhundert; und die berühmte Hymne A Satana (An Satan), ein Hauptwerk des italienischen Literaturnobelpreisträgers Giosuè Carducci aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem Luzifer aus gnostischer Sicht kein Feind, sondern ein prometheisches Erkenntnissymbol ist. Dass beide aus ein und derselben Bewegung, demselben Gedankengut, derselben moralischen Intention geschrieben werden konnten, erscheint unvorstellbar und ist doch Faktum. Zurückzuführen ist das Paradoxon auf die tiefe, bis heute unüberbrückte Spaltung der Weltfreimaurerei.

In den katholisch dominierten Ländern etwa des romanischen und des lateinamerikanischen Raums ist sie bis heute eine progressiv politische und antiklerikale Bewegung mit revolutionärer Geschichte, war über Jahrhunderte verboten und stand unter Kirchenbann. In protestantischen Ländern wie Deutschland, England, Schweden oder den USA agiert sie legitimistisch und religionstreu und zählte Könige, Bischöfe und Präsidenten zu ihren Mitgliedern.

So waren Friedrich der Große von Preußen, fünf englische und zehn schwedische Könige den französischen Revolutionsführern Marat und Desmoulins theoretisch bis über das Grab in Bruderliebe verbunden. Fünfzehn amerikanische Präsidenten, von George Washington bis Gerald Ford, und der FBI-Gründer J. Edgar Hoover pflogen die prinzipiell gleichen Rituale wie die lateinamerikanischen Freiheitshelden Benito Juarez, Simon Bolivar und Salvador Allende oder der italienische Revolutionär Giuseppe Garibaldi.

Die Auswirkungen zeigen sich bis heute. Während die Freimaurer in Deutschland oder den USA mit Inseraten und Gästeabenden um Mitglieder werben, herrscht etwa im katholisch sozialisierten Österreich das Prinzip der Abgeschlossenheit: Zweieinhalb Jahrhunderte Kirchenbann – er wurde noch 1983 vom damaligen Kardinal Ratzinger bekräftigt, ist heute aber de facto außer Kraft –, 123 Jahre Verbot in der Habsburger-Monarchie, Verfolgung im klerikalfaschistischen Ständestaat und im Nazi-Reich und frequente Nachstellungen im Berufsleben waren Argumente genug. Dabei wählte die österreichische Freimaurerei zeit ihres Bestehens den dritten Weg: aus der Deckung (so nennt man die Geheimhaltung) verändernd in die Gesellschaft zu wirken.

Es gab und gibt dabei eine Unzahl verschiedener Systeme: Neben den weltumspannenden Freimaurerorganisationen existieren auch kleine Einheiten mit mystischer, politischer, sektenhaft religiöser oder geselliger Zielrichtung. Sie werden als irreguläre oder Winkellogen bezeichnet, aber auf den Begriff „Freimaurerei“ gibt es kein Patent. Wer sich berufen fühlt, kann gründen, wozu die Berufung (oder was er mit ihr verwechselt) ihn treibt.

Zumindest äußerlich aber ist allen das Ziel gemeinsam: die Veredelung des Einzelnen vom rauen zum behauenen Stein, der sich in den Tempel der allgemeinen Menschenliebe fügt und die Welt so den Idealen von Freiheit und Mitmenschlichkeit um den Bruchteil eines Millimeters näher bringt. Übergeordnetes Symbol dieses Vorganges ist der Bau des ersten Salomonischen Tempels etwa 950 vor Christus.

Etwa 2,5 Millionen Freimaurer insgesamt arbeiten in allen Teilen der Welt. In einigen Ländern – etwa im Iran – steht die Mitgliedschaft unter Strafdrohung wie einst in den diktatorischen Systemen der Nazis, des spanischen Faschistenführers Franco oder des Warschauer Paktes.

In jedem Land wirkt mindestens eine Großloge als übergeordnete legislative und organisatorische Instanz. Unter ihrem Dach genießen die Logen (von englisch: lodge, Behausung) weitgehende Autonomie. Als Reminiszenz an die handwerkliche Vergangenheit der Freimaurerei, auf die noch zurückzukommen ist, werden die Logen auch Bauhütten genannt.

Die Logen – in Österreich etwa 70 mit durchschnittlich je 40 Mitgliedern – sind kleine Einheiten mit Vereinsstruktur und gewähltem Vorstand, die einander an je einem Abend pro Woche im Logenhaus zur rituellen Tempelarbeit und zum anschließenden Brudermahl treffen. Jede Loge trägt einen symbolischen Namen, jeder ist zur Arbeit ein eigener Tempel zugewiesen, der am entsprechenden Wochentag nur ihr zur Verfügung steht.

Der Großloge steht der von allen Logen gewählte Großmeister vor. Sein Amt ist, wie jedes in der Freimaurerei, befristet. Ist das Mandat abgelaufen, fügt er sich wieder als einfaches Mitglied in die Bruderkette ein.

Was ist eine Loge?

Dasselbe gilt für die einzelnen Logen, deren so genannte Beamte regelmäßig neu gewählt werden.

Der Meister vom Stuhl oder Stuhlmeister ist Vorsitzender der Loge und leitet die Tempelarbeit. Sein Symbol ist das für Recht und Menschlichkeit stehende Winkelmaß, das er an einem Band auf der Brust trägt. Er kann durch einen Stellvertreter unterstützt werden.

Die beiden Aufseher verrichten mit dem Meister vom Stuhl die rituelle Arbeit. Symbol des Ersten Aufsehers ist die Wasserwaage. Sie steht für das gleiche Recht aller Menschen, unabhängig von Geburt, Religion und Weltanschauung. Dem Zweiten Aufseher ist das Lot oder Senkblei zugeordnet, das Symbol der Gradheit und Wahrhaftigkeit des Handelns (weitere Beamte sind im Glossar beschrieben).

Die klassische Freimaurerei findet mit drei Graden – Lehrling, Geselle und Meister – ihr Auslangen. Diese so genannten Johannisgrade sind nach Johannes dem Täufer benannt, dem Schutzpatron der Steinmetzzünfte. Bis heute ist der Johannistag – der Termin der Sommersonnenwende am 24. Juni – der zentrale freimaurerische Feiertag.

Wer Freimaurer werden will, braucht einen Bürgen, der ihn seiner eigenen Loge zuführt. Deshalb rekrutieren sich Neuzugänge vorwiegend aus dem Bekanntenkreis schon aktiver Freimaurer. Das verpflichtende Prozedere sieht eine längere Vorprüfung – auch durch persönliche Treffen mit den so genannten Informatoren – vor. Verläuft der Vorgang positiv, avanciert der Anwärter zum Suchenden. Sämtliche Brüder des jeweiligen Landes werden über das Aufnahmebegehren informiert. Erheben sich keine Einwände, wird innerhalb der Loge mittels weißer oder schwarzer Kugeln abgestimmt. Das Idealresultat dieser so genannten Ballotage wird „hell leuchtend“ genannt.

Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt und erteilt der Großmeister als letztzuständige Instanz das Visum, wird der Suchende in einer feierlichen rituellen Zeremonie – Rezeption genannt – in den Bund aufgenommen. Zuvor meditiert er in der Dunklen Kammer des stillen Nachdenkens. Dann wird er im Tempel mit verbundenen Augen durch drei Erkenntnisstufen geführt. Am Ende dieser drei so genannten Reisen wird ihm, in Anwesenheit zahlreicher festlich gekleideter Brüder, durch Abnehmen der Binde das große Licht erteilt.

Nun ist er als Lehrling gleichberechtigtes Vollmitglied der Loge. Das Ziel dieses ersten Grades ist die Selbstdefinition, die Grundanforderung lautet „Erkenne dich selbst“.

Nach heute mindestens einem Jahr wird der Lehrling rituell zum Gesellen befördert. Nun geht es um seine Sozialisierung, sein Verhältnis zur Welt, im Besonderen zu den Brüdern, und die Bekämpfung der Eitelkeit. „Beherrsche dich selbst“ lautet hier der Auftrag. Der Geselle ist angehalten, sich auf die Wanderschaft zu begeben, das heißt: auch andere Logen zu besuchen und so seinen Horizont zu erweitern.

Mindestens ein weiteres Jahr später wird der Geselle in den dritten Grad, zum Meister, erhoben. „Veredle dich selbst“ lautet hier die Erfordernis, und das Ziel wird durch das Goethe’sche Stirb und Werde (aus dem Gedicht Selige Sehnsucht) vorgegeben, dort exemplifiziert durch den Schmetterling, der in die Kerzenflamme fliegt: Der Freimaurer überwindet im Erhebungsritual symbolisch den eigenen Tod, um als veredelter Mensch weiterzuleben und zu arbeiten.

Das Logenleben artikuliert sich in einer Vielzahl an Symbolen und Ritualen. Ohne die Kenntnis ihrer Geschichte kann freimaurerische Kunst nicht verstanden werden. Die verbindlich festgelegte rituelle Arbeit findet im Tempel statt, einem rechteckiger Raum mit vier angenommenen Himmelsrichtungen, in dessen Mitte der so genannte Tapis liegt: ein kunstvoll gefertigter Teppich, auf dem sich die Symbole des freimaurerischen Lebens konzentrieren. Den Tapis umstehen drei hohe, von Kerzenflammen gekrönte Säulen. Sie verkörpern die maurerischen Grundtugenden, die oft auch große oder kleine Lichter genannt werden: Weisheit für den Meister-, Stärke für den Gesellen- und Schönheit für den Lehrlingsgrad.

Der Osten ist der Ort des Sonnenaufganges und der Vollendung. In den Ewigen Osten geht nach freimaurerischer Terminologie jeder Bruder nach seinem Tod. Der Osten, der an der einen Schmalseite des Tempels angenommen wird, ist der Platz des gewählten Meisters vom Stuhl. Vor seinem Pult befindet sich ein Altar mit den freimaurerischen Hauptsymbolen: Der Zirkel verkörpert die Menschenliebe, das Winkelmaß das redliche Handeln. Dazu kommt die Bibel, die durch andere konfessionelle Schriften (etwa den Koran) ersetzt werden kann. Dieses Buchsymbol steht für das Sittengesetz.

Im gegenüberliegenden Westen liegt das vom Tempelhüter bewachte Tor, flankiert von den beiden alttestamentarisch beglaubigten Säulen des Salomonischen Tempels (1 Könige 7). Hier haben meist die beiden Aufseher ihre Pulte. Sie und der Meister vom Stuhl sind mit Hämmern versehen und schlagen rituelle Codes auf ihre Pulte. Diese Klopfzeichen haben sich im Verlauf der Geschichte immer wieder verändert. Deshalb ist ihre historische Kenntnis zur Entschlüsselung freimaurerischer Partituren (etwa der Zauberflöte) unerlässlich.

Die Brüder sitzen in Kolonnen an den Längsseiten des Tempels, im Süden (also an der rechten Seite von der Tür aus gesehen) und im gegenüberliegenden Norden.

Das Ritual verläuft im Prinzip weltweit gleich, variiert aber in Details. Zu Beginn betreten die Brüder in ritueller Ordnung den Tempel und nehmen ihre Plätze ein. Als weitere Reminiszenz an die Altvorderen wird über der Abendbekleidung ein kleiner symbolischer Maurerschurz getragen. Ein von Loge zu Loge verschieden gestaltetes Bijoux, ein um den Hals getragener Anhänger, identifiziert den Eintretenden.

Der Meister vom Stuhl und die beiden Aufseher entzünden die Kerzen der Weisheit, der Stärke und der Schönheit. In mehreren Ländern – auch in Österreich – folgt das Baustück, ein Vortrag zu einem freimaurerisch relevanten Thema. Parteipolitische Debatten und konfessioneller Hader sind bei Androhung der Unterbrechung untersagt. Die Loge wird rituell geschlossen. Beim anschließenden gemeinsamen Mahl, an der so genannten Weißen Tafel im Speisesaal, wird das Thema des Vortrags diskutiert.

Woher kommt die Freimaurerei?

In den englischen Dombauhütten des Mittelalters arbeiteten die für Architektur und Steinbildhauerei zuständigen freestone masons. Sie trugen das Licht der Kunst und der Wissenschaft in eine der dunkelsten Epochen der Geschichte, doch ihr Auftraggeber – die Kirche – war Hauptverursacher des Dunkels. Also traf man einander im Geheimen, um das gemeinsame bessere Wissen brüderlich zu pflegen. Der Begriff „freemason“ findet sich erstmals in den Dokumenten des Kathedralenbaus von Exeter anno 1396. Aus diesem etymologischen Grund wird der Begriff „freimaurerisch“ oft durch das Lehnwort „masonisch“ ersetzt, und die Logen heißen als Reminiszenz an die Gründertage auch Bauhütten.

Die oft behauptete exklusiv englische Herkunft der Freimaurerei ist allerdings im Lichte jüngster Forschungen anzuzweifeln. Helmut Reinalter verweist auf den normannischfranzösischen Begriff „masoun“, der schon in Wörterbüchern des 12. Jahrhunderts auftaucht. Die Bezeichnung „lodge“ findet sich im 13. Jahrhundert sowohl in England als auch in Schottland. Zur nämlichen Zeit entwickelten auch die französischen Gesellenbruderschaften als offensichtliche Wegbereiter freimaurerähnliche Strukturen.1

Alle anderen Herkunftsmythen sind ins Reich der Legende zu verweisen. Weder unter den altägyptischen Osiris-Priestern noch in der Tafelrunde des Gralskönigs Artus amtierte ein Urzeit-Freimaurer. Auch mit dem Templerorden, einer besonders brutalen Elite-Formation des Kreuzritterheers, hat der Bund dankenswerterweise nichts zu tun. Die Templer gerieten Anfang des 14. Jahrhunderts in ein päpstlich-königliches Intrigenspiel, wurden verboten, verfolgt und verbrannt. Dass sich eine Restpopulation nach Schottland gerettet und dort den Freimaurerbund begründet hätte, liegt zwar jenseits jeder historischen Wahrscheinlichkeit, ist aber doch der Gründermythos des bis heute einflussreichen und seriösen Hochgrad-systems der Schotten.

Die geschichtlich dokumentierbaren freemasons gingen derweil in England ihrer Arbeit in den spärlicher werdenden Dombauhütten nach. Bald sah man sich nach angenommenen Mitgliedern um, das heißt: Man akzeptierte auch Nicht-Handwerker, um den Bestand der Bruderschaft zu sichern. So entstand die speculative masonry, die symbolische Freimaurerei, in der einander Adel, Bürgertum und Werktätige gleichberechtigt begegneten. Am Ende waren die Nicht-Steinmetze in der Überzahl, und am 24. Juni 1717 organisierten sich vier Londoner Logen zur ersten Großloge der Geschichte. Die Freimaurerei begann sich rasch auszubreiten. 1737 wurde in Hamburg die erste deutsche Loge begründet. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind ein wesentlich von den Freimaurern um George Washington und Benjamin Franklin geschaffenes Gebilde.

Dabei ging es um die konstante Verbesserung der Welt, nicht um gewaltsame Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse: Die 1723 in England formulierten und nach wie vor verbindlichen Alten Pflichten schreiben sogar ausdrücklich Respekt vor Landesgesetzen und Religionen vor. Auch kann bis heute nur zum Freimaurer aufgenommen werden, wer prinzipiell an ein höheres Wesen glaubt. Um Äquidistanz zu den Konfessionen zu signalisieren, wird Gott in der klassischen Freimaurerei Großer Baumeister aller Welten genannt.

Die Spaltung in „Engländer“ und „Franzosen“

Von Frankreich ausgehend aber formierte sich im romanischen Raum eine radikal laizistisch und systemverändernd agierende Gegenmacht zur englisch geordneten Freimaurerwelt. Wesentliche Häupter der Französischen Revolution waren Freimaurer, und die Bastille wurde im Namen der masonischen Grundtugenden Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gestürmt. Seither ist die freimaurerische Welt in eine englisch und eine französisch dominierte Hälfte gespalten, als deren oberste, gesetzgebende Instanzen die Großloge von England bzw. der Grand Orient de France firmieren.

Auch in Österreich arbeiten Logen beider Richtungen, die einander gegenseitig nicht anerkennen. Die Großloge von Österreich ist englisch ausgerichtet. Sie akzeptiert traditionell keine weiblichen Mitglieder, um Zerwürfnissen zwischen den Brüdern zu vorzubeugen. Frauen arbeiten im gemischten französischen Freimaurerorden Droit Humain (Menschliches Recht), der auch eine österreichische Zweigstelle betreibt.

Die erste österreichische Loge datiert aus dem Jahr 1742. Die Katholische Kirche hatte den Konkurrenten um die Macht da schon identifiziert und für gefährlich befunden: Am 28. April 1738 hatte Papst Clemens XII. den Bund unter Kirchenbann gestellt. In Österreich allerdings kümmerte sich niemand darum, denn die Apostolische Majestät Franz I., die höchste weltliche Autorität des katholischen Abendlandes, war 1731 in Den Haag selbst Freimaurer geworden (und damit theoretisch exkommuniziert). Seine Gattin und Nachfolgerin Maria Theresia missbilligte den Bund und verbot ihn mehrfach, aber es war zu spät: Ein Großteil des Staatsapparats befand sich in Freimaurerhand, Freimaurer veranlassten bei Hof die Abschaffung der Folter, die Einführung der Schulpflicht und die Schließung zahlreicher Jesuitenklöster. Maria Theresias Sohn und Nachfolger Joseph II. war grundsätzlich ein Sympathisant, aber auch ein strenger Rationalist.

Außerdem stand er, ohne es zu wissen, unter dem Einfluss der Illuminaten. Die waren ein in Bayern begründeter, kurzlebiger, aber mächtiger Geheimorden mit dem formulierten Ziel, die Freimaurerei systematisch zu unterwandern, um demokratische und antiklerikale Veränderungen auf den Weg zu bringen. In Österreich gelang das vorzüglich. So war die von Mozart frequentierte Elite-Loge „Zur wahren Eintracht“ das heimliche Zentrum der regionalen Illuminatenorganisation und Stuhlmeister Ignaz von Born einer der Spitzenrepräsentanten. Der Geheimbund hatte die Freimaurerei fest in seine Struktur integriert: Die erste Stufe des Aufstiegssystems war die so genannte Minervalkirche, die zweite bestand aus den drei maurerischen Graden, und darauf bauten die Hochgrade auf.

1785 erfüllte sich ein Verhängnis, das die führenden Illuminaten Born und Johann Fürst Dietrichstein-Proskau selbst angebahnt hatten: Sie wollten die Bruderkette komplett in die Hand bekommen und überredeten den Kaiser, die Zahl der Logen drastisch zu reduzieren (etwa in Wien von acht auf zwei). Diese so genannten Sammellogen standen dann zwar komplett unter illuminatischer Kontrolle, konnten aber auch problemlos von der Geheimpolizei observiert werden. Viele Brüder traten sofort aus oder fanden in den verbliebenen Logen keinen Platz, der Mitgliederstand reduzierte sich von rund 1000 auf etwa 360. Mit diesem Zeitpunkt ging die österreichische Bruderkette in den freien Verfall über. Als 1791 die Zauberflöte uraufgeführt wurde, war außer Mozart kaum noch ein namhafter Mensch Freimaurer. Born, der mancherorts für das Vorbild Sarastros gehalten wird, und viele andere hatten schon gedeckt – so nennt man den konsensualen Austritt aus dem Bund.

1792 wurde der Freimaurerhasser Franz II. gekrönt, eine Allegorie der Reaktion und der Paranoia, die im Gefolge der Französischen Revolution epidemisch wurde. Ende 1793 löste sich die letzte Wiener Loge auf, 1795 wurde die Freimaurerei offiziell verboten. Das Verbot hielt, bis 1918 das Kaiserreich zusammenbrach, wurde im Reichsteil Ungarn aber schon 1869 nicht mehr umgesetzt.

Die Hochgrade

Born und Dietrichstein hatten mit ihren dirigistischen Maßnahmen die Entwicklung also nur beschleunigt und waren zudem von prinzipiell nachvollziehbaren Erwägungen ausgegangen: Die europäische Freimaurerei hatte nämlich eine ebenso rasante wie chaotische Entwicklung genommen. Betrüger und Scharlatane – etwa der Gaukler Giuseppe Balsamo, genannt Cagliostro – hatten im Namen des Bundes dubiose Hochgradsysteme errichtet. Das heißt: Auf die drei klassischen Johannisgrade, die das Fundament jeder freimaurerischen Betätigung sind, wurden immer neue weiterführende Obskuranzen getürmt.

Die Aussicht, möglichst weit über die drei Grade hinaus zu höchsten Erkenntnisstufen vorzudringen, ließ wohlhabende Adepten viel Bares investieren. Rekordhalter Cagliostro bot gar 90 Grade an und kassierte für jede Beförderung, wobei am Ende nichts Geringeres als die Überwindung des physischen Todes stehen sollte. Der deutsche Reichsfreiherr Karl Gotthelf von Hund begründete das kurzlebige, aber einflussreiche Hochgradsystem der Strikten Observanz, das sich auf den Templerorden zurückführte. Der alchimistisch-mystische Orden der Gold- und Rosenkreuzer berief sich auf einen 1614 erschienenen Roman des Pastors Johann Valentin Andreae, der einen fiktiven Jüngling namens Christian Rosenkreuz dramatische Wege der Initiation gehen lässt. Dagegen hielten die streng rationalistisch organisierten Illuminaten. Die Afrikanischen Bauherren erklärten sich aus dem Fantasy-Roman Sethos, auf dem Werk des Freimaurers Jean Terrasson beruht auch das Libretto der Zauberflöte; die Asiatischen Brüder leiteten sich aus der Kabbala her (und waren immerhin die ersten, die Juden aufnahmen). Alle Versuche, des Gewirrs der Systeme Herr zu werden und die Freimaurerei auf ihren ernsten, werthaften Kern zurückzuführen, scheiterten. Doch als Born und Dietrichstein mit der Staatsgewalt einschritten, zerstörten sie damit die österreichische Bruderkette.

Die hat heute einen tauglichen Kompromiss zwischen Aufklärung und Esoterik gefunden: Den intellektuellen Illuminaten um Born verdankt sie das Baustück, den in vielen Ländern unbekannten, hier aber obligaten Vortrag während der Tempelarbeit. Andererseits aber vermeidet sie parteipolitische Zuspitzung und beharrt auf der spirituellen Kraft des Rituals, die sie etwa von der säkularisierten, an Charity-Organisationen orientierten amerikanischen Freimaurerei abhebt. Wichtige Impulse danken die Österreicher dem bedeutenden Shakespeare-Darsteller und temporären Burgtheaterdirektor Friedrich Ludwig Schröder, der 1801 mit dem Dichter Johann Gottfried Herder ein von Scharlatanerien und faulem Zauber gereinigtes Reformritual formulierte.

Vom Gewirr der Hochgrade aber blieben am Ende zwei seriöse Richtungen: der Schottische Ritus (mit 33 Graden), dessen mythologisches Fundament der Templerorden ist; und der York Ritus, auch Royal Arch (Maurer vom Königlichen Bogen) genannt. Beide bearbeiten symbolisch die Ereignisse nach dem Bau des Salomonischen Tempels, um zu eigenen, inneren Erkenntnissen zu gelangen.

Innerhalb der klassischen Dreigradmaurerei leidet man unter dem nie bereinigten historischen Konflikt zwischen der englisch und der französisch dominierten Lehrart und staunt über ein Paradoxon: Von Schweden aus verbreitete sich im 18. Jahrhundert eine streng christlich ausgerichtete Freimaurerei, die Angehörigen anderer Religionen bis heute den Zutritt verwehrt. Sie wurde vom preußischen Generalstabsmedikus Wilhelm Kellner von Zinnendorf nach Deutschland importiert und hat dort so viele Anhänger, dass sie in einer eigenen Großloge, der Großen Landesloge von Deutschland, organisiert ist. Eine Marotte der Geschichte führte ausgerechnet die Weltbürger Gotthold Ephraim Lessing und Matthias Claudius, zwei der größten deutschen Dichter, Philanthropen und Humanisten, in eine Zinnendorf-Loge.

Freimaurerliteratur

Der Freimaurerbund ist im schönen Wortsinn ein Kunst-Produkt. Seine Gründer waren Architekten und Steinbildhauer; der Gesang begleitete früh seine Rituale; und seine Stiftermythen beruhen auf großer Literatur. Der im Alten Testament beschriebene Bau des Salomonischen Tempels bildet das Fundament des Ganzen. Der Mythos vom Sterben und veredelten Auferstehen wanderte vom alten Ägypten durch die Religionen, Philosophien und Literaturen. Er wurde bestimmend für den dritten freimaurerischen Grad, den des Meisters. In teils seriösen, teils obskuren Hochgradsystemen berief man sich auf die Artus-Sage, die Grals- und Templerlegenden oder, wie schon ausgeführt, auf neuzeitliche Belletristik.

Viele Schriftsteller traten dem Bund aus denkbar unterschiedlichen Beweggründen bei, doch einige der besten – etwa Heinrich Heine, John Steinbeck oder Mark Twain – waren bloße Karteileichen. Tausende literarische Amateure dichteten für den Logengebrauch. Schon aus dem 18. Jahrhundert sind 15.000 Logenlieder überliefert. Aber die Resultate, meist pädagogisch-moralische Appelle oder Trinklieder für das Brudermahl nach der Tempelarbeit, gelangten nur in Glücksfällen über den Status der Gebrauchsliteratur hinaus. Umso spannender ist das Aufspüren freimaurerischer Konnotationen in profanen (also nicht-freimaurerischen) Texten. Wobei hier konsequente Vorsicht und Selbstkontrolle Voraussetzung ist, um Überinterpretation zu vermeiden: Die Freimaurerei ist jung, ein Puzzle aus einer Vielzahl an Religionen, Mythologien, Mythen und Riten. Bekanntermaßen sind weder die Symbolik der Zahlen 3, 5 und 7 noch der Todes- und Auferstehungsritus des Meistergrades freimaurerischen Ursprungs, und auch die Sonne wurde nicht im Bruderkreis erfunden.

Literaturgeschichtlich bedeutsame Texte zum unmittelbaren Gebrauch der Loge schrieben unter den Größten nur Goethe, Herder, Matthias Claudius und, kurioserweise, der Nicht-Bruder Friedrich Schiller, der die Ode An die Freude im freimaurerischen Auftrag schuf. Maßgebliche theoretische Schriften zum Thema verfassten Gotthold Ephraim Lessing und Christoph Martin Wieland. Lessing, Autor der fundamentalen Abhandlungen Ernst und Falk – Gespräche für Freimaurer und Erziehung des Menschengeschlechts, war ein singulärer Fall. Wie auch Matthias Claudius gehörte er der Hamburger Loge „Zu den drei Rosen“ an. Doch während sich Claudius mit zumindest anfänglicher Begeisterung in der Bruderkette etablierte, betrat Lessing die Loge nach seiner Aufnahme nie wieder: Die „Drei Rosen“ arbeiteten nach dem christlichen Zinnendorf-System, Angehörige anderer Konfessionen wurden nicht akzeptiert. Der Weltbürger und Freigeist Lessing zog die Konsequenzen und schuf aus der Entfernung bedeutendste freimaurerische Literatur, die im anti-christlichen Kampfstück Nathan der Weise zur Vollendung gelangte.

Lessing ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Goethe erschrieb aus weitgehender Distanz den gesamten freimaurerischen Kosmos, von den alchimistischen Rosenkreuzern bis zu den radikalpolitischen Illuminaten. Der Nobelpreisträger Rudyard Kipling wurde 1886 in den indischen Kolonien Freimaurer, übersiedelte nach England und besuchte nie wieder eine Loge. Aber sein Werk – die berühmten Dschungelbücher inbegriffen – ist ein Steinbruch masonischer Symbole, Rituale und Chiffren.

Freimaurerliteratur ohne Freimaurer

Einige der Besten arbeiteten sich gar aus gänzlicher Entfernung – nämlich als Nicht-Freimaurer – an der Materie ab. Das Geheimnis scheint oft inspirativere Wirkung getan zu haben als die erlebte Realität. Umberto Ecos umständlicher Freimaurerroman Der Friedhof von Prag hat Vorgänger von wesentlich höherem Karat. Jean Pauls Debütroman Die unsichtbare Loge ist die Geschichte des Gustav von Falkenberg. Den überstellt die Familie gleich nach seiner Geburt in eine verschlossene Höhle, wo ihn ein Erzieher acht Jahre lang nach idealen Prinzipien ausbilden soll. Am Ende wird der zum Mann Herangewachsene von einer apokalyptischen Vision in purer Freimaurermetaphorik heimgesucht: das Leitbild der Tugend; der Westen als Ort der Unvollkommenheit, von dem aus man sterbend in den idealen Osten treten wird; das zentrale Symbol des Flammenden Sterns und die Sonne als Verkörperung Gottes; endlich die vorwegnehmende Begegnung mit dem Tod, der, jenseits aller christlichen Sanktionsdrohung, als Eingehen in die Vollendung des Ostens verstanden wird.

„Ich wandte mich nach Osten, und ein ruhig-großer, in Tugend seliger, wie ein Mond aufgehender Engel lächelte mich an und fragte: ‚Kennst du mich? – Ich bin der Engel des Friedens und der Ruhe, und in deinem Sterben wirst du mich wiedersehen. Ich liebe und tröste euch Menschen und bin bei eurem großen Kummer. – Wenn er zu groß wird, wenn ihr euch auf dem harten Leben wundgelegen: so nehm’ ich die Seele mit ihren Wunden an mein Herz und trage sie aus eurer Kugel, die dort im Westen kämpft, und lege sie schlummernd auf die weiche Wolke des Todes nieder.‘

Ach! ich kenne einige schlafende Gestalten auf diesen Wolken! …

‚Alle diese Wolken ziehen mit ihren Schläfern nach Morgen – und sobald der große gute Gott aufgeht in der Gestalt der Sonne: so wachen sie auf und leben und jauchzen ewig.‘

O siehe! Die Wolken gen Osten glühen höher und drängen sich in ein Glutmeer zusammen – die steigende Sonne nahet sich – alle Schlummernden lächeln lebendiger aus dem seligen Traum dem Wachen entgegen – (…)

Ein Sonnenblitz schlug empor – Gott ruhte flammend vor der zweiten Welt – alle geschlossenen Augen fuhren auf.“2

Leo Tolstoi, der dem Bund mit Respekt begegnete, lässt im zweiten Teil des Romans Krieg und Frieden den Protagonisten Pierre Besuchow Halt in der Freimaurerei finden. Die Schilderung von Pierres erster bewusster Begegnung mit dem Bund rührt an tiefere Erkenntnisse als fast alle Logengedichte:

„‚Ich würde niemals zu behaupten wagen, dass ich die Wahrheit kenne‘, sagte der Freimaurer, der durch seine bestimmte und feste Redeweise Pierre in immer größeres Erstaunen versetzte. ‚Kein Mensch kann allein zur Wahrheit vordringen. Nur Stein auf Stein, unter der Mitwirkung eines jeden aus den Millionen Geschlechtern seit dem Stammvater Adam bis auf unsere Zeit, kann der Tempel errichtet werden, der dem großen Gott eine würdige Stätte sein soll.“3

Mit ähnlicher Kompetenz lässt Thomas Mann im Zauberberg den italienischen Freimaurer Settembrini den Bund gegen den jesuitisch indoktrinierten Naphta in Schutz nehmen. Auch für ihn ist Luzifer kein Teufel, sondern ein Licht- und Erkenntnisbringer.

Karl May, der wegen seiner kriminellen Jugendverfehlungen das masonische Vorprüfungsverfahren nie bestanden hätte, tat auch in dieser Hinsicht, was er am besten konnte: Er fabulierte sich mittels Fachliteratur und Phantasie seine eigene Freimaurerei, die sein esoterisches Spätwerk in Beschlag nahm.

„Ich bin weder Freimaurer noch Jude“, beginnt der portugiesische Weltschriftsteller Fernando Pessoa den Fragment gebliebenen Aufsatz Juden und Freimaurerei. Doch wie Pessoa in der Zeit des sich formierenden Faschismus die gegen beide gerichtete Hetzschrift Die Protokolle der Weisen von Zion widerlegt: Das zählt in seiner diagnostischen Kompetenz und seinem Engagement zum Besten der Freimaurerliteratur.

„Was Rom anbelangt, so sind die Ziele einer solchen Kampagne zwei. Die Katholiken in ihrer anti-freimaurerischen Neigung zu stärken oder eine solche Neigung, falls sie nicht aktiv bestehen sollte, hervorzurufen; und die Nicht-Katholiken, ob religiös oder nicht, von der Gefahr der Freimaurerei zu überzeugen, die eine Gefahr für jede Religion und sogar für die Gesellschaft und die Zivilisation überhaupt darstellt – als eine Art verkapptem oder unbewusstem Bolschewismus, den sogar Menschen ohne Religion nach Kräften bekämpfen sollten, wenn es ihnen ernsthaft um das Land oder die Gesellschaft zu tun ist.“4

Wenig später legitimierten die Nazis mit dem Verweis auf die „jüdisch-bolschewistisch-freimaurerische Weltverschwörung“ den Massenmord.

Eine Verteidigungsschrift, wie sie kein Bruder präziser hätte ersinnen können, schuf auch der Nicht-Freimaurer André Gide, der Nobelpreisträger des Jahres 1947. Im satirischen Roman Die Verliese des Vatikans lässt er einen von Gaunern genasführten französischen Katholiken nach Rom aufbrechen, um Papst Leo XIII. aus den Kerkern der Engelsburg zu befreien: Die Freimaurer hätten den Pontifex dort interniert und durch ein Double ersetzt.

Und Hermann Hesse, kein Freimaurer, legt im Gedicht Mit der Eintrittskarte zur Zauberflöte ein geradezu leidenschaftliches Bekenntnis ab:

„So werd ich dich noch einmal wiederhören,

Geliebteste Musik, und bei den Weih’n

Des lichten Tempels, bei den Priesterchören,

Beim holden Flötenlied zu Gaste sein.

So viele Male in so vielen Jahren

Hab ich auf dieses Spiel mich tief gefreut,

Und jedesmal das Wunder neu erfahren

Und das Gelübde still in mir erneut,

Das mich als Glied in eure Kette bindet,

Morgenlandfahrer im uralten Bund,

Der nirgend Heimat hat im Erdenrund,

Doch immer neu geheime Diener findet.

Diesmal, Tamino, macht das Wiedersehen

Mir heimlich bang. Wird das ermüdete Ohr,

Das alte Herz euch noch wie einst verstehen,

Ihr Knabenstimmen und du Priesterchor –

Werd ich vor eurer Prüfung noch bestehen?

In ewiger Jugend lebt ihr, selige Geister,

Und unberührt vom Beben unserer Welt,

Bleibt Brüder uns, bleibt Führer uns und Meister,

Bis uns die Fackel aus den Händen fällt.

Und wenn einst eurer heitern Auserwählung

Die Stunde schlägt und niemand mehr euch kennt,

So folgen neue Zeichen euch am Firmament,

Denn alles Leben dürstet nach Beseelung.“5

Die Motive

Die abgedruckten Logengedichte decken ein reiches Themenspektrum ab:

· den Großen Baumeister aller Welten, das überkonfessionelle Gottessymbol, Gegenstand vieler Logengebete vor allem aus dem protestantischen Raum;

· die Sonnen- und Mondsymbolik;

· die freimaurerischen Grundtugenden Weisheit, Stärke und Schönheit (oft große Lichter oder Säulen genannt), die in zahllosen Varianten auftauchen;

· die nicht minder präsente Arbeit am rauen Stein als Synonym für die Selbstveredelung mit den Appellen zu Disziplin und Bescheidenheit;

· den Weg der Initiation vom Dunkel ins Licht;

· den Meistergrad mit dem rituellen Todeserlebnis, dessen Ziel es ist, das Sterben in Würde zu lehren, indem der Tod als Vollendung im Licht des Ewigen Ostens kommuniziert wird;

· die radikale Demokratie des Todes;

· diverse Regalien aus der Loge, etwa Wasserwaage, Lot oder Winkel.

Subversive Inhalte sind in expliziter Logenliteratur selten, doch trafen einander in der Abwehr der päpstlichen Verdammnisurteile einträchtig die österreichischen Illuminaten mit den laizistischen Franzosen und den legitimistischen deutschen Protestanten. Schillers Ode An die Freude ist von einer Radikalität, die nur noch Max von Schenkendorf in seinem Freimaurergedicht zur Befeuerung der antinapoleonischen Freiheitskriege mobilisierte.

Noch größer ist die Themenbreite in freimaurerisch konnotierten, aber nicht zum Logengebrauch bestimmten Texten. Hier ist es ein Vergnügen, Verschlüsseltes zu dechiffrieren: exemplarisch in Chamissos Der neue Diogenes, wo ein Steinmetz den Kaiser Napoleon mit den Worten „Lass mich behauen meinen Stein“ in die Grundtugend der Demut einweist, oder in Heines Spottgedicht Symbolik des Unsinns, das sich über esoterische Zahlenspiele erheitert.

Der erste Anhang dieses Buches enthält freimaurerische Prosa. Bedeutenden theoretischen Einlassungen Lessings, Wielands und Ludwig Börnes steht Initiatorisches von Casanova und Jung-Stilling bis Stendhal und Ivo Andrić gegenüber. Ernst Lothar und Karel Čapek bringen im 20. Jahrhundert ein neues Thema ein: die Enttäuschung über die Logenrealität, die als spießig und vereinsmeierisch beklagt wird.

Im zweiten Anhang kommentieren Freimaurer die Weltgeschichte, und hier krachen alle Gegensätze der Jahrhunderte aufeinander: Freimaurer beförderten die Französische Revolution, schrieben Die Internationale und die Marseillaise, gründeten die Vereinigten Staaten von Amerika, fielen in lateinamerikanischen Freiheitskriegen, bekämpften die Sklaverei in Brasilien, warben für die Freiheit Ungarns, entwarfen pazifistische Manifeste, fertigten Hetzgedichte in beiden Weltkriegen, propagierten als islamistische Visionäre das Kalifat, bereiteten in Rumänien den Holocaust vor, starben im Spanischen Bürgerkrieg, wurden in die Emigration getrieben oder in Konzentrationslagern ermordet.

Bemerkenswert sind die Unterschiede zwischen den Kulturkreisen. Wohl im Sog der Vorbildgestalten Lessing, Goethe, Herder und Wieland waren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts überproportional viele deutsche Schriftsteller freimaurerisch organisiert. Dann reduziert sich die Population, und selbst der Renommierfreimaurer Kurt Tucholsky war Mitglied einer von der Nomenklatura nicht anerkannten Winkelloge. England, das Mutterland des Bundes, prunkt mit ersten Größen wie Oscar Wilde, Arthur Conan Doyle und Rudyard Kipling, doch mieden alle drei den Logenalltag. Kipling schuf allerdings, wie zuvor der Kollege Lessing, aus der Distanz einige der leuchtendsten Beispiele freimaurerischer Literatur.

In Österreich war der Bund bis 1918 verboten und blieb vom weltliterarischen Aufschwung um die Jahrhundertwende daher unbeteilt. Dafür wurde das Wiener Großlogenhaus in den Nachkriegsjahrzehnten zum Zentrum der literarischen Aufklärung um Milo Dor, George Saiko, Friedrich Torberg, Herbert Eisenreich, Reinhard Federmann, György Sebestyén, Fritz Habeck, Harald Zusanek, Jörg Mauthe, Ernst Schönwiese und Michael Guttenbrunner. Die bedeutendere Folgegeneration fiel allerdings weitgehend aus, eine Konsequenz des Jahres 1968, in dem alle Ausprägungen des Männerbundes und der Esoterik obsolet wurden.

In Italien etablierte sich, von Casanova bis zu Gabriele D’Annunzio, Giovanni Pascoli und den Nobelpreisträgern Giosuè Carducci und Salvatore Quasimodo, eine elegante freimaurerische Literaturtradition. Fadendünn ist hingegen das Aufkommen in Skandinavien, wo der Bund quasi ein Teil des Staatsapparats wurde. Mark Twain und John Steinbeck waren nur in ihrer Jugend für kurze Zeit Freimaurer, der einzige konsequent praktizierende Bruder unter den anhaltend bekannten Amerikanern war der literarisch unerhebliche General und Politiker Lew Wallace, Verfasser des Historienschinkens Ben Hur. Auch in Frankreich, wo sich die Freimaurerei von der revolutionären zur staatstragenden Größe etablierte, bleibt man zumindest in weltliterarischen Belangen auf die siebenundfünfzigtägige Mitgliedschaft Voltaires und auf den kaum praktizierenden Bruder Stendhal verwiesen. Macht und Kunst harmonieren offenbar nur unter sehr speziellen Bedingungen. Aus Frankreich stammt allerdings auch die einzige Frau im Konvolut, die Revolutionärin und Freimaurerin Louise Michel.

Die von Brüdern geführten Befreiungskämpfe in Lateinamerika waren von vereinzelten literarischen Stimmen aus den Logen befeuert, auch konnte Freimaurerliteratur in der Türkei, in Indien und sogar im Libanon identifiziert werden. Dagegen sucht man in Schwarzafrika vergebens nach Publizierbarem. Zwar wird die Freimaurerei in den postkolonialen Gesellschaften engagiert betrieben und auch von Machtinhabern frequentiert. Doch erwiesen sich Spuren zu namhaften Autoren aus Senegal oder Mali als falsch, und für lebende Personen kann die Deckung lebenserhaltend sein. So bleibt der Dichter und Philosoph Joseph Tsang Mang Kin, ehemals Kulturminister der Vielvölkerinsel Mauritius, der einzige Repräsentant Afrikas und auch seines Herkunftslandes China, wo die Freimaurerei nach langer Tradition – auch der Diktator Tschiang Kaishek war Mitglied einer Loge in Massachusetts – unter Todesdrohung verboten ist.

Auswahl und Methode

Ziel dieser Anthologie ist die Sammlung und Edition freimaurerischer Lyrik aus vier Jahrhunderten, von Freimaurern entweder für den Logengebrauch geschrieben oder durch Gegenstand, Symbolik und Wortwahl nachvollziehbar konnotiert. Um ein Konvolut bloßer Gebrauchsliteratur zu vermeiden, wurde das Thema so weit gefasst, wie es im Lichte seriöser Text-interpretation möglich war. Einziger nachweislicher Nicht-Freimaurer im Konvolut ist Friedrich Schiller: Seine Ode An die Freude entstand im Auftrag einer Loge. Zweifelsfälle sind als solche ausgewiesen.

Da einige der bedeutendsten Schriftsteller aus dem Bruderkreis entweder keine einschlägige Lyrik oder gar nichts zum Thema geschrieben haben, wird die Sammlung durch zwei Anhänge erweitert: Der erste enthält freimaurerische Prosa, darunter so Essenzielles wie Lessings Ernst-und-Falk-Dialog und die letzte Logenrede Wielands. Der zweite, mit nichtfreimaurerischer Lyrik von Freimaurern, ist eine Zusammenstellung welt- und literaturgeschichtlicher Momentaufnahmen.

Die Einführung, die biographischen Notizen und die Text-kommentare bieten mit dem abschließenden Glossar eine gründliche Einweisung in die Freimaurerei: Zum Verständnis des Buches sind keine Vorkenntnisse erforderlich.

Der Schwerpunkt liegt beabsichtigtermaßen auf deutschsprachigen Texten: 33 deutsche und 21 österreichische Autoren (aber mangels weiterer Kandidaten nur eineinhalb Schweizer, Johann Gaudenz von Salis-Seewis und der eingebürgerte Deutsche Heinrich Zschokke) sind in der Sammlung vertreten. Ansonsten wurde die Auswahl der 124 Texte von 90 Autoren aus 21 Ländern naturgemäß durch das Angebot an Übersetzungen begrenzt. Nachdichtungen und literarische Übertragungen wurden prinzipiell bevorzugt, Texten in englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache steht die deutsche Version synoptisch gegenüber. Die Nachdichtungen der namhaften österreichischen Autoren Dimitré Dinev und Helmut Korherr entstanden auf Anregung des Herausgebers für dieses Buch.

Auf Texte in entlegeneren Sprachen musste mit Bedauern verzichtet werden, wenn keine literarisch relevanten Übersetzungen vorlagen. Vollständigkeit konnte also nicht das Ziel sein. Es wurde aber versucht, die einschlägig relevanten Kulturkreise zumindest punktuell wahrzunehmen.

Lebende Personen konnten nur in geringster Zahl aufgenommen werden. Sie unterliegen der freimaurerischen Deckung, die in Ländern wie Ungarn oder Polen zuletzt wieder zur Existenzfrage wurde. Nach Jahrzehnten erst faschistischer und dann stalinistischer Verfolgung ist es dort jetzt wieder gefährlich, Freimaurer zu sein.

Auf die Berücksichtigung der zum Teil sublimen Werke, in denen sich Nicht-Freimaurer wie Jean Paul, Leo Tolstoi, André Gide, Thomas Mann, Hermann Hesse oder Fernando Pessoa mit dem Bund auseinandersetzten, musste verzichtet werden. Sie werden im Einführungskapitel gewürdigt und sind zur Lektüre empfohlen.

Die Texte wurden behutsam in die neue Rechtschreibung übertragen. Die Zeichensetzung wurde nur korrigiert, wenn sich durch ihre Beibehaltung Verständlichkeitsprobleme ergeben hätten.

Wo noch Abdruckrechte zu wahren sind, wurden deren Inhaber gewissenhaft recherchiert. In einigen wenigen Fällen waren keine Erben auffindbar. Wer dennoch Rechte zu bean-spruchen hat, wird gebeten, sich beim Verlag zu melden.

Heinz Sichrovsky

___________

1 Reinalter: Die historischen Ursprünge und Anfänge der Freimaurerei. In: Zeitschrift für Internationale Freimaurer-Forschung 31/14.

2 Jean Paul: Sämtliche Werke III, erste Lieferung, dritter Band. Berlin: G. Reimer 1826, 182–183.

3 Leo Tolstoi: Krieg und Frieden. Köln: Anaconda 2009, 458.

4 Fernando Pessoa: Juden und Freimaurerei. Leipzig: Edition Erate 2006, 82.

5 Hermann Hesse: Stufen. Berlin: Insel 2013.

Freimaurergedichte

Alexander Pope

England(1688 London–1744 Twickenham)

Alexander Pope, Sohn eines katholischen Leinenhändlers im anglikanischen England, war ein bedeutender Frühaufklärer, brillanter Satiriker und kompetenter Homer-Übersetzer. Als Mitglied der „Lodge No 16“ in der Taverne „Goat at the Foot of the Haymarket“, London, gehörte er der organisierten Freimaurerei schon in ihren Gründertagen an. Ursprünglich formierte sich der Bund aus Werkleuten der englischen Dombauhütten (stonemasons), von denen sich die gebräuchlichen Begriffe masonisch für freimaurerisch und Bauhütte für Loge herleiten. Da sich nach dem Mittelalter das Aufkommen an Dombauten aber in Grenzen hielt, begann man auch Nicht-Handwerker aufzunehmen. Künstler, Gelehrte, Aristokraten und Geschäftsleute trafen einander in Hinterzimmern von Gaststätten zum brüderlichen Austausch. Am 24. Juni 1717 vereinigten sich in England vier seit langem bestehende Logen zur ersten Großloge. Dieser Tag gilt als Gründungsdatum der modernen Freimaurerei.

The Universal Prayer

Father of all! in ev’ry Age

In ev’ry clime ador’d,

By Saint, by Savage, and by Sage

Jehovah, Jove, or Lord!

Thou Great First Cause, least understood;

Who all my Sense confin’d

To know but this, that Thou art Good,

And that myself am blind.

Yet gave me, in this dark Estate,

To see the Good from Ill;

And binding Nature fast in Fate,

Left free the Human Will.

What conscience dictates to be done

Or warns me not to do,

This teach me more than Hell to shun,

That, more than Heav’n pursue.

What Blessings thy free Bounty gives,

Let me not cast away;

For God is paid when Man receives,

T’ enjoy is to obey.

Yet not to earth’s contracted Span

Thy Goodness let me bound,

Or think Thee Lord alone of Man

When thousand worlds are round:

Let not this weak, unknowing hand

Presume thy bolts to throw

And deal damnation round the land

On each I judge thy Foe.

If I am right, thy grace impart

Still in the right to stay

If I am wrong, oh teach my heart

To find that better way.

Allgemeines Gebet

Herr und Vater aller Wesen, aller Himmel, aller Welten,

Aller Zeiten, aller Völker! Ewiger! Herr Zebaoth!

Die Verehrung schwacher Menschen kann Dein Wohltun nicht vergelten,

Gott, dem alle Götter weichen! Unaussprechlich großer Gott!

Weise, Heilige, Barbaren fühlen, denken und bekennen

Dich, Du Ursprung aller Dinge! unerforschter Geist der Kraft!

Mein Verständnis ist begrenzet: Nur Dich groß und gut zu nennen,

Und mich selber blind zu wissen; das ist meine Wissenschaft.

Doch in diesem dunkeln Stande meiner Sinnen und Gedanken

Gabst Du mir, zu unterscheiden, was hier gut und übel sei.

Stellte gleich der Arm der Allmacht der Natur gemess’ne Schranken;

Ließ dennoch das freiste Wesen Willen und Gewissen frei.

Lehre mich das Gute lieben, lehre mich das Böse hassen;

Aus dem allerreinsten Triebe dem Gewissen folgsam sein;

Wenn es dies zu tun befiehlet, oder das zu unterlassen,

Dies mehr als den Himmel suchen, das mehr als die Hölle scheu’n.

Lass mich auf den Segen achten, den wir nur von Dir erlangen,

Auf die Milde Deines Reichtums, auf der Gaben Überfluss.

Ihm, dem Geber, wird vergolten, wann wir Menschen recht empfangen:

Der Gehorsam, den Er heischet, ist ein fröhlicher Genuss.

Lass mich aber Deine Güte nicht an unsern Erdkreis binden:

Herr, sei mir ein Gott der Menschen, doch der Menschen nicht allein!

Andre Körper und Geschöpfe müssen Deine Huld empfinden

Und, in mehr als tausend Welten, Spiegel Deiner Größe sein.

Nimmer werden meine Hände bei der Schwäche so verwegen,

Mit den Waffen Deines Eifers, Deinen Keilen umzugeh’n

Und mit donnerndem Verdammen Land und Volk zu widerlegen,

Die, nach meiner blöden Einsicht, Deiner Wahrheit widersteh’n!

Bin ich auf dem rechten Wege; so verleihe Deine Gnade,

Diesen Weg nicht zu verlassen, da mein Fortgang Dir gefällt;

Irr ich als ein Kind des Irrtums; ach! so bringe mich zum Pfade,

Wo die Füße selt’ner straucheln und Dein Licht die Bahn erhellt.

Save me alike from foolish Pride,

Or impious Discontent

At aught thy wisdom has deny’d

Or aught thy Goodness lent.

Teach me to feel another’s Woe

To hide the fault I see;

That Mercy I to others show,

That Mercy show to me.

Mean tho’ I am, not wholly so

Since quick’ned by thy breath

Oh lead me where so e’er I go

Thro’ this day’s Life or death.

This day, be Bread and Peace my lot

All else beneath the Sun,

Thou know’st if best bestow’d or not

And let thy will be done.

To thee, whose Temple is all Space

Whose Altar, Earth, Sea, Skies!

One chorus let all Being raise

All Natures Incense rise!

Schütze mich vor eitlem Stolze, der sich bei dem Gut erhebet,

Das dem sterblichen Besitzer Deine Milde nur gelieh’n:

Auch vor rohem Missvergnügen, das umsonst nach Dingen strebet,

Die ihm Deine Macht und Weisheit teils versagen, teils entzieh’n.

Bilde selbst mein Herz, o Vater! dass es sich zum Mitleid neige,

Und um andrer Wunden blute, Fehler decke, die es schaut;

Würdige mich des Erbarmens, das ich fremder Not erzeige,

Froh im Ausfluss des Vermögens, das mein Gott mir anvertraut.

Zwar bin ich gering und nichtig: doch wird der gering erfunden,

Den Dein Odem selbst beseelet, Herr der Jahre, Tag’ und Zeit?

Ordne Du, an diesem Tage, meine Wege, meine Stunden

Wie Du willst, zu weiterm Leben oder auch zur Ewigkeit.

Ich erbitte mir, auf heute, sonst kein Teil als Brot und Frieden,

Aus der andern Güter Menge wähle nie mein eigner Wahn!

Ob sie recht verteilet worden, sei von Dir allein entschieden.

Nur Dein Will’, o Herr, geschehe! Was Du tust, ist wohl getan.

Dich, dem aller Welten Kreise, aller Raum zum Tempel dienen,

Dich besingen alle Wesen, ewig mit vereintem Chor!

Und von Erde, Meer und Lüften als von Deines Altars Bühnen,

Schwinge sich zu Dir der Weihrauch opfernder Natur empor!

Nachdichtung von Friedrich von Hagedorn

In Popes Gebet wird das überkonfessionelle, von „Weisen, Heiligen, Barbaren“ (2. Strophe) verehrte Gottessymbol angerufen, der Große Baumeister aller Welten. Freimaurerischem Gedankengut entsprechen außerdem: die prioritäre Verpflichtung zur Wohltätigkeit (10. Strophe), der Lebensweg vom Dunkel ins Licht (Strophe 8) sowie der Tempel als Ort der rituellen Arbeit am Menschheitsgebäude, zu dessen Bausteinen sich die Brüder zu veredeln trachten (Strophe 13). Das Vordringen zur Weisheit über die Bekämpfung der Eitelkeit in Strophe 9 entspricht der Wegstrecke des Freimaurergesellen zum Meistergrad. Der Mensch, der mit Vernunft seinen freien Willen zu handhaben weiß (Strophe 3), wird als Protagonist des Weltbildes der Aufklärung auch exemplarisch in Haydns Schöpfung vorgestellt. Der Übersetzer Friedrich von Hagedorn war kein Freimaurer.

The Dying Christian to His Soul

Vital spark of heav’nly flame!

Quit, oh quit this mortal frame!

Trembling, hoping, ling’ring, flying;

O the pain, the bliss of dying!

Cease, fond Nature, cease thy strife,

And let me languish into life!

Hark! they whisper; angels say,

Sister Spirit, come away!

What is this absorbs me quite?

Steals my senses, shuts my sight,

Drowns my spirits, draws my breath?

Tell me, my soul, can this be death?

The world recedes; it disappears!

Heav’n opens on my eyes! my ears

With sounds seraphic ring:

Lend, lend your wings! I mount! I fly!

O Grave! where is thy victory?

O Death! where is thy sting?

Popens sterbender Christ an seine Seele

Lebensfunke, vom Himmel erglüht,

Der sich loszuwinden müht!

Zitternd-kühn, vor Sehnen leidend,

Gern und doch mit Schmerzen scheidend –

End’, o end’ den Kampf, Natur!

Sanft ins Leben

Aufwärts schweben,

Sanft hinschwinden lass mich nur.

Horch! mir lispeln Geister zu:

„Schwester-Seele, komm zur Ruh!“

Ziehet was mich sanft von hinnen?

Was ist’s, das mir meine Sinnen,

Mir den Hauch zu rauben droht?

Seele sprich, ist das der Tod?

Die Welt entweicht! Sie ist nicht mehr!

Harmonien um mich her!

Ich schwimm’ im Morgenrot –

Leiht, o leiht mir eure Schwingen,

Ihr Brüder-Geister, helft mir singen:

„O Grab, wo ist dein Sieg? wo ist dein Pfeil, o Tod?“

Nachdichtung von Johann Gottfried Herder

Diese Nachdichtung wurde im Nachlass des Freimaurers Herder gefunden. Das Gedicht gibt exemplarisch den freimaurerischen Gedanken vom Tod als Vollendung wieder. Es wurde von Schubert vertont.

Theodor Gottlieb Hippel

Deutschland(1741 Gerdauen–1796 Königsberg)

Der Ostpreuße Theodor Gottlieb Hippel, Schriftsteller, Staatsmann, Aufklärer, Sozialkritiker, Verfechter der Frauenrechte und Freund Kants, wurde 1762 in die Loge „Zu den drei Kronen“ in Königsberg aufgenommen. Sein Roman Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z ist ein satirisches Tableau der Verirrungen, denen die esoterische Freimaurerei im 18. Jahrhundert unterlag. Als Herausgeber freimaurerischer Liederbücher schrieb er das hier abgedruckte erste deutsche Logengebet. Das Motto entstammt dem Carmen saeculare des Horaz (einer Vorbildgestalt der Freimaurerei) und lautet: „Gewährt, was wir zu heiliger Stunde erbitten.“

Gebet

Date, quae precamurTempore sacro

Richter frei geschaff’ner Geister,

Großer Welten größ’rer Meister,

Blick auf unsre Maurerei!

Uns befällt ein heilig Grauen,

Was wir hier im Dunkeln bauen,

Bleibet nicht von Fehlern frei.

Wo in abgemess’nen Kreisen

Dich so viele Welten preisen,

Strahlet deine Majestät:

Auch in fest verschloss’nen Zimmern

Ohne Strahl bei schwachen Schimmern

Wird dein Ruhm bei uns erhöht.

Sieh auf unsre Arbeit nieder,

Segne du den Fleiß der Brüder,

Wenn die Eintracht sie verstärkt!

Gib, dass auf der ganzen Erde

Ihr Gebäude sichtbar werde,

Das man jetzt kaum halb bemerkt!

Unaufhörlich dich zu preisen,

Bleibt der letzte Zweck des Weisen

Und das Glück der Ewigkeit.

Diesem würdigsten Geschäfte

Opfert, Brüder! Mut und Kräfte,

Bis uns einst der Tod befreit.

Hippels Gebet ruft freimaurerische Grundbegriffe auf: Die „frei geschaff’nen Geister“ in Strophe 1 verweisen auf die bis heute aktuelle Voraussetzung für die Aufnahme: Der neue Bruder muss ein freier Mann von gutem Ruf sein. Ursprünglich war damit der Ausschluss Leibeigener gemeint, heute sind geistige Freiheit und die Unbelastetheit durch Schulden oder Vorstrafen gefordert. Die Strophen 1 und 2 thematisieren das Gottessymbol des Großen Baumeisters und seiner freimaurerischen Werkleute. Die Arbeit als Synonym für die rituellen Vorgänge im Tempel ist Gegenstand der dritten Strophe. Endlich fordert das Gebet zum Streben nach Weisheit auf, der Grunderfordernis für den dritten Grad, den des Meisters. Dessen Ziel ist die Vorbereitung auf den Ewigen Osten, die Vollendung im Tod. Der Meistergrad ist der höchste der klassischen Freimaurerei. Auf ihm bauten diverse Hochgradsysteme auf. Neben deren seriösen Ausprägungen (etwa den Riten des Royal Arch und der Schotten) etablierten sich auch Scharlatane, weshalb die klassische dreigradige Maurerei mit den Hochgraden offiziell nicht verbunden ist.

Matthias Claudius

Deutschland(1740 Reinfeld–1815 Hamburg)