Als wären wir Feinde - Julia Augustin - E-Book
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Als wären wir Feinde E-Book

Julia Augustin

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Beschreibung

Seit zehn Jahren herrscht Bürgerkrieg in Syrien. Amir dient bei den Oppositionellen, Hakim steht auf der Seite der regierungstreuen Truppen. Mal haben die Truppen des einen, mal die des anderen die Stadt erobert. Durch Zufall begegnen sich die beiden Männer so immer wieder. Doch obwohl sie auf gegnerischen Seiten stehen, kämpfen sie nicht gegeneinander, schießen nicht aufeinander, sondern reden miteinander. Eines Tages bleiben sie aber bei einem ihrer heimlichen Treffen nicht mehr unter sich.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

Teil 1

Kapitel 1 Amir

Kapitel 2 Hakim

Kapitel 3 Amir

Kapitel 4 Hakim

Kapitel 5 Amir

Kapitel 6 Hakim

Kapitel 7 Amir

Kapitel 8 Hakim

Kapitel 9 Amir

Kapitel 10 Hakim

Kapitel 11 Amir

Kapitel 12 Hakim

Kapitel 13 Amir

Kapitel 14 Hakim

Kapitel 15 Amir

Kapitel 16 Hakim

Kapitel 17 Amir

Kapitel 18 Hakim

Kapitel 19 Amir

Teil 2

Kapitel 1 – Feuerpause

Kapitel 2 - In den Bergen

Kapitel 3 – Nacht

Kapitel 4 – Länger

Kapitel 5 – Risiko

Kapitel 6 – Seiten

Kapitel 7 – Das Haus

Epilog

Literaturverzeichnis

Julia Augustin

Als wären wir Feinde

Impressum

Julia Augustin

Als wären wir Feinde

[email protected]

Berlin

Prolog

„Du solltest besser gehen, Hakim“, spuckt er auf die trockene Erde.

„Du auch“, lautet die leise Antwort.

Die Sonne brennt. Die Luft flimmert. Die Erde ist trocken. Der Sand wirbelt mit jedem Schritt auf.

„Wie viel Menschen hast du heute getötet?“, dreht sich Amir um und legt die raue Hand zum Schutz vor der leuchtenden Sonne vor die Augen.

„Du?“, lacht Hakim bitter und dreht sich von ihm.

„Eines Tages werden sie euch bestrafen“, ballt der um zehn Zentimeter kleinere Amir die Hände zu Fäusten.

„Du solltest gehen“, seufzt Hakim und streicht über die Maschinenpistole.

„Und euch gewinnen lassen?“, hebt der andere drohend den Zeigefinger und spuckt erneut auf die Erde. „Niemals!“ Er hebt seine Waffe wieder auf, drückt sie eng an die mittlerweile zerschlissene Uniform. „Hörst du: Niemals!“

Hakim wendet sich wieder der Ebene zu, als plötzlich der Boden erzittert.

„Schnell“, werfen sich die beiden Männer – der etwas kleinere und zartere Amir und der große kräftige Hakim – auf die trockene Erde.

Erneut erzittert der Boden.

„Das ward ihr“, flüstert Amir, während in seinen Ohren der Puls rauscht.

Wieder kauern sie sich nebeneinander nah am Boden.

Vorsichtig sucht Hakim mit seinen dunklen, stets zusammengekniffenen Augen die Ebene ab.

Der Turm, drängt es sich ihm in Gedanken.

Langsam richtet er sich wieder auf, klopft den Staub der trockenen Erde von seiner gepflegten Uniform.

„Du solltest gehen“, flüstert er nun und möchte den langsam aus der Erstarrung lösenden Amir aufhelfen.

„Kümmere du dich um dein Leben!“, wehrt der die Hand ab.

Schweigend starren sie in Richtung der Flammen in der Ferne.

„Wie viel werden es sein?“, murmelt Amir irgendwann mit zusammengepressten Zähnen.

„Wie viel habt ihr auf dem Gewissen?“, steckt Hakim die Hände in die Taschen und tritt einen Schritt zurück.

„Es sind Zivilist:innen. Frauen, Kinder...“, rauft sich Amir mit seinen zarten Händen, die nur durch die Haut rau geworden sind, das kurze dunkle Haar. Er ist der Jüngere von ihnen. Nur der dichte, schwarze Vollbart lässt ihn hart und gnadenlos erscheinen.

„Du solltest gehen, Bruder“, legt Hakim ihm die Hand auf die Schulter.

Die lastet schwer, brennt.

„Fass mich nicht an! Und nenn mich nicht Bruder!“, wehrt der Mann in der zerlumpten Uniform erneut ab, ehe er mit eiligen Schritten in dem Dickicht verschwindet.

Ausdruckslos starrt Hakim allein auf die Flammen, die sich hoch hinaus über der kleinen Stadt in die Luft schlagen. Er hört die Schüsse in der Ebene. Den Knall. Die Stille danach.

Sie ist das Schrecklichste.

Während nun auch der Hühne, der Große, Kräftige, der Mann von Herkunft seinen Platz verlässt, erzittert die Erde ein drittes Mal.

Diesmal lodert die ganze Stadt.

Teil 1

Kapitel 1 Amir

„Schuss!“, pfeifen die Kugeln um ihre Ohren.

„Laden!“, vollführen ihre Hände schon automatisch.

„Deckung!“, kauern sie sich hinter die Barrikaden.

Die Kugeln zischen über ihnen entlang.

Dann wird es still.

Gefährlich still.

Wahrscheinlich ist das der tödlichste Moment.

Nur ihr Atem keucht.

Yunus` feuchter Klang neben dem seinen.

Immerhin: Sie leben.

„Laden!“, flüstert der Kamerad an seiner Seite.

„Wie viel Schuss haben wir noch?“, blickt er aufmerksam zu der Munition zwischen ihnen.

„Reicht erst einmal noch“, kneift Yunus seine grünen Augen zusammen und drückt ab.

Knall! Knall! Knall!, hört er irgendwann auf zu zählen.

Danach wird es erneut still.

„Hast du getroffen?“, flüstert er dem anderen ins Ohr.

„Hoffentlich!“, bemerkt er, dass dessen Hände zittern.

Plötzlich schlagen über ihnen die Kugeln ein.

Eins, zwei, unzählige zerreißen die Luft.

Sie kauern sich noch kleiner hinter die schützenden Wände, halten die Hände über die Ohren.

Lauschen erneut.

Still.

Wo werden sie sein?

Vor allem: Wie nahe?

Fragend blickt er zu Yunus.

Der nickt.

Knall! Knall!, fliegen die Kugeln aus seiner Waffe durch die Luft.

Treffen oder treffen nicht.

Irgendwann zählt man nicht mehr.

So arbeiten sie sich zur nächsten Wand vor.

Ein Schuss, zwei Schüsse, mehrere.

Pause.

Ihre Brust hebt sich, senkt sich.

Das Herz klopft, krampft.

Hofft, spürt, dass es weiter schlägt.

„Um die Ecke!“, weist Yunus mit seinem faltigen Gesicht nach vorne, wo die Kugeln eingeschlagen sind.

Er greift in seine Tasche.

Zündet.

Wirft das Geschoss.

Der Weg ist frei.

Sie zählen nicht die Körper, über die sie unterwegs steigen.

Erahnen nur die Flammen rechts und links, die die Balken stürzen lassen.

Hören nicht die Schreie, leises Wimmern.

Nur ihren Atem, das feuchte Keuchen von Yunus in seinen Ohren, bemerken sie.

Die Füße stolpern beinahe über die Steine – große und kleine – die Scherben, das Holz und was da ansonsten vielleicht noch liegt.

Seine Ohren rauschen noch immer.

Das Herz schlägt zum Zerspringen.

Instinktiv duckt er sich plötzlich an die kalte Hauswand, zieht Yunus noch in letzter Sekunde mit sich.

Die Erde erzittert.

Glas zerspringt.

Schreie verhallen.

Die Flammen lodern.

„Scheiße!“, hält Yunus fassungslos die Hand vor den Mund.

„Wie viel haben wir noch?“, wühlt er eilig in den Taschen.

„Nicht mehr viel“, hält der Kamerad den Blick auf die Flammen gerichtet.

Am Ende der Straße sehen sie sie laufen.

Bewaffnet bis an die Zähne.

Bereit wie sie zum Äußersten zu schreiten.

Yunus legt die Waffe an.

„Wenigstens einen“, murmelt der.

„Nicht“, senkt er vorsichtig die Waffe.

„Wenigstens einen“, wiederholt der alte Kamerad jedoch immer wieder.

„Besser nicht. Komm“, zerrt er ihn auf die andere Straßenseite.

„Hilfe!“, klingt ein verzweifelter Ruf leise an ihre Ohren.

„Wo?“, blicken sie sich suchend um.

„Wir sollten besser...“, mahnt Yunus.

„Da!“, stürzt er schon zu der Frau.

„Hilfe!“, flüstert sie und schaut sie mit blassem Gesicht an.

„Hier!“, drückt er ihr sein Kopftuch auf die Wunde.

„Hier!“, reicht ihr Yunus etwas aus seiner Flasche.

„Hilfe!“, ruft sie erneut, während sie sich durch die Trümmer arbeiten.

„Komm!“, zerrt er den Kameraden am Ärmel weiter.

„Komm!“, murmelt er immer wieder, während seine Hände zu zittern beginnen.

Ihre schwarzen Stiefel zermalmen den gesprengten Beton unter den Füßen.

Das Knirschen hören sie nicht.

In ihren Köpfen rauscht das Blut, die Angst, oder was da sonst noch ist.

„Vorsicht!“, hilft er dem Kameraden über eine längst zerstörte Treppe.

„Leise!“, legt der urplötzlich einen Finger an die Lippen und bleibt stehen.

„Komm!“, drängt er, aber der Kamerad kommt nicht.

„Leise!“, legt der ein Ohr auf den Boden und späht aufmerksam nach rechts und links.

„Was? Wir müssen hier weg!“, zeigt er mit der Waffe in Richtung Ausgang, nachdem er auch gelauscht hat.

Doch Yunus kehrt zurück. Er lässt ihn stehen, geht mit großen Schritten zielstrebig an die graue rissige Wand gegenüber, bückt sich, lauscht.

„Wo gehst du hin?“, bleibt er unschlüssig stehen, weil noch immer sein Herz in der Brust zerspringt.

„Komm!“, winkt der Kamerad und legt ein paar Steine beiseite.

„Was? Wir müssen gehen!“, nähert er sich vorsichtig.

Noch schneller wirft Yunus einen Stein nach dem anderen zur Seite.

Da hört er es!

Die Stimmen.

Er lädt.

Zur Sicherheit.

Das ist das einzige, was zählt.

„Komm! Hilf mir!“, greift der alte Kamerad nach seinem Arm.

Doch er streckt den Lauf der Waffe in das Loch.

Jemand schreit erschrocken.

„Leise! Niederlegen! Amir, zieh die Waffe zurück!“, zerrt Yunus an seinem Arm.

Vorsichtig zieht er die Maschinenpistole zurück, starrt nun selbst in das Loch, das der Kamerad freigelegt hat.

Starrt nun selbst in acht ängstliche Kinderaugen, auf eine Frau oder die Nikab, unter dem sie wohl verborgen ist, einen Mann in der Mitte des Lebens, der zwischen ihnen kauert.

„Wir können ihnen nicht helfen“, dreht er sich von dem Loch weg.

„Amir, wohin gehst du?“, ruft Yunus aufgeregt, als er mit der Waffe in der Hand sich von dem Loch entfernt.

„Wir haben keine Zeit“, erklärt er und deutet auf die Wände, hinter denen weiter die Schüsse fallen, die Erde bebt.

„Amir, hilf mir!“, kniet Yunus vor dem Loch und streckt die Hand hinein.

„Hier sind sie sicherer als draußen“, kneift er die Augen fest zusammen. „Komm endlich!“

„Bruder, wir müssen ihnen helfen. Der Mann ist verletzt“, stützt sich Yunus am Boden, um sich langsam zu erheben.

Er hat keine Ahnung, wie alt der Kamerad wirklich ist. Durch den grauen Bart, die langsamen Bewegungen und den wohl genährten Bauch besitzt er etwas Verwundbares. Das ist gefährlich.

Gefährlich mitten im Krieg.

„Amir, wir können sie nicht einfach hier lassen!“, fleht Yunus.

„Doch!“, schießt er einen Stein über den Boden. „Wir müssen!“

„Amir, wo ist dein Herz?“, greift sich der Kamerad an den Kopf und zieht das Kopftuch tiefer.

„Gib ihm dein Tuch und dann lass sie hier!“, bleibt er aber stehen.

„Amir, komm!“, nimmt der alte Mann sein eingestaubtes Tuch vom Kopf.

„Sie werden ihn erschießen. Jetzt lass endlich!“, entfernt er sich weiter von dem Loch.

„Amir!“, hastet der Kamerad an seine Seite.

„Scheiße!“, flucht der dann immer wieder, während er ihn eilig um die Ecken zerrt.

„Still!“, legt er einen Finger an die Lippen und lauscht, als sie den Ausgang erreicht haben.

„Da!“, deutet der Kamerad auf die gegenüberliegenden Fenster.

„Vorsicht!“, ziehen sie sich sofort in das Gebäude zurück und rennen, so schnell die Beine sie tragen, den ganzen Weg zurück. Stolpern erneut über den zerbröckelten Beton, die zerstörte Treppe, den langen Gang.

Dann bebt alles.

Alles.

Der Boden unter ihnen zerreißt.

Die Säulen stürzen.

Es ist still.

Benommen tastet er nach seiner Waffe.

Die liegt kühl in seiner Hand.

„Yunus!“, greift er danach neben sich zum Kameraden.

„Yunus!“, hockt er sich dann panisch neben den Älteren.

„Mach die Augen auf!“, schlägt er auf die runden Wangen.

Noch immer ist es still.

Benommen dreht er den Kopf, lässt den Blick kreisen.

Über Säulen, die zusammengestürzt sind.

Betondecke, die in der Mitte zusammengestürzt ist.

Eingestaubte Fetzen.

Kein Blut.

„Mach die verdammten Augen auf!“, versucht er, den Kameraden an die Wand zu dem Loch zu ziehen.

Er hält inne. Lauscht.

Noch immer ist es still.

Sind sie nun sicher?

„Helft mir!“, lässt er den Kameraden zu der Frau hinab, die erschrocken die Kinder an sich drückt.

„Los!“, zwängt er sich danach selbst durch das schmale Loch in den Keller.

„Leise!“, mahnt er die Frau und die Kinder.

„Yunus, mach die verdammten Augen auf!“, tastet er unten in dem dunklen Keller nach dem Puls am dicken und feuchten Hals des Kameraden.

„Scheiße! Scheiße!“, wiederholt er leise.

„Amir!“, sagt der Kamerad endlich mit schwacher Stimme.

„Still!“, lauschen sie nun alle nach den Schritten oben.

„Still!“, legt er nur noch den Finger warnend vor den Mund.

Sie kauern sich in die dunklen Ecken.

Die kleinen Kinder unter den langen Nikab der unsichtbaren Frau.

Er mit dem Kameraden auf der anderen Seite.

„Wo sind sie?“, hören sie die Stimmen.

„Weit können die nicht sein!“, lauschen sie mit pochendem Herzen.

„Weiter!“, entfernen sich die Schritte.

Fast möchten sie schon aufatmen.

„Da ist etwas“, haben sie nun offenbar doch eine Spur gefunden.

„Blut!“, beobachten sie.

„Bis dort drüben“, schließen sie und treten näher.

Erneut legt er mahnend den Finger vor die Lippen, schließt die Augen.

„Im Loch!“, erkennen sie.

„Mach du das!“, scheinen sie sich zu trennen.

Und du lässt einen Gewehrlauf in das Loch.

Du erkennt einen Mann, der dort liegt.

Verwundet.

Wehrlos.

In Uniform.

Du erledigt das.

Mit einem Schuss.

Bevor du weitergeht.

„War nur einer!“, ruft du den anderen zu.

„Weitersuchen!“, werden die Stimmen nun aber leiser.

„Leise!“, mahnt er noch immer mit einem Finger vor den Lippen.

Bemüht sich, nicht zu dem Toten in dem dämmrigen Licht zu blicken.

Bemüht sich, nicht das unangenehme Piepen in den Ohren wahrzunehmen.

Bemüht sich, das Herz, das vor Angst fast zerspringt, durch tiefes Atmen zur Ruhe zu zwingen.

Angst ist trügerisch.

Sie lähmt.

Sie erstarrt.

Genau das dürfen sie nicht.

Yunus` Kopf liegt schwer auf seiner Schulter.

Immer wieder tastet er den Puls an dem dicken, feuchten Hals.

„Alles okay?“, flüstert er.

„Okay“, klingt es matt.

„Leise!“, mahnt er dann, weil eines der Kinder schluchzt.

„Ruhe! Ruhe!“, mahnt die brüchige Stimme unter dem Nikab und zieht die Kinder näher.

Stille ist es, die sie dann umfängt.

Geruch von Urin.

Geruch von Blut.

Geruch von Angst.

Ansonsten Stille.

Er spitzt die Ohren, lauscht auf jeden kleinsten Tritt über ihnen.

Tastet zwischendurch immer wieder an Yunus` Hals.

„Verdammte Verräter!“, zischt der Kamerad nun. „Ich hätte schießen sollen.“

„Leise! Leise!“, mahnt er und spürt, wie seine Beine zittern.

„Leise, Liebes!“, flüstert die unsichtbare Frau unter dem Nikab einem der Kinder zu.

Leise ist es, als sie noch immer in dem Loch harren: Eine Frau mit vier Kindern, zwei Soldaten, ein Toter.

Leise bleibt es, während die Dunkelheit über ihnen hereinbricht. Es wird so finster in dem Kellerloch, dass sie nicht mehr die Hand vor Augen sehen können. Nur die Ohren lauschen, lauschen nach Schritten, Stimmen, Schüssen.

Doch auch draußen scheint es still geworden.

Fast wie in den Nächten am Wachposten, wenn er stundenlang in die Ebene späht, mühsam die Augen offen hält, die Waffe stets geladen, die Ohren wie ein Luchs gespannt.

Fast wie in den Nächten, in denen in der Finsternis hin und wieder eine Artillerie die Nacht gespenstisch erhellt.

Fast wie in den Nächten, wenn er begreift, dass das Zirpen der Grillen sein einziger Gefährte ist.

Fast wie in den Nächten, in denen er jedes Mal fürchtet, dass es die letzte werden könnte.

„Wir sollten gehen“, flüstert Yunus in sein Ohr.

„Ich weiß nicht“, seufzt er und lauscht noch immer.

„Wann ansonsten? Morgen frisst uns der Durst, übermorgen die Fliegen an dem Kadaver, im Tageslicht die Gewehre der anderen“, knirscht Yunus, wobei die alte, verrauchte Stimme noch immer matt klingt.

„Werden wir es schaffen?“, fragt er mehr sich selbst, das Schicksal, das Leben, das ihm bisher einen weiteren Tag geschenkt hat.

„Amir, was redest du?“, greift der Kamerad im Dunkeln nach seiner Hand.

„Die Frau und die Kinder?“, lauscht er nun wieder.

„Wir können sie nicht retten. Du hast Recht gehabt“, zerrt Yunus ihn auf die Beine.

„Wir können sie auch nicht mehr hier lassen“, zögert er.

„Wir müssen“, tastet sich der Kamerad zu der Öffnung zum Erdgeschoss vor.

„Woher kommt ihr?“, versucht er in der Finsternis die Silhouette der Frau mit den Kindern auszumachen.

„Vom Land“, flüstert es plötzlich ziemlich nahe an seinem Ohr in die Stille.

„Warum seid ihr hier?“, hilft er Yunus, sich an der Wand nach oben zu ziehen.

„Bitte helft uns! Wir fliehen nur, aber niemand weiß wohin“, berührt ihn eine zarte Hand.

Erschrocken zieht er die seine zurück.

„Ist das dein Mann?“, deutet er auf den Toten.

Sie schweigt.

„Amir, kommst du?“, flüstert der Kamerad von oben.

„Dein Mann?“, wiederholt er schneidend.

„Amir“, erinnert Yunus.

„Ja, ich komme“, versucht er sich nun, an der bröckelnden Betonwand nach oben zu ziehen.

„Bitte helft uns!“, greift da erneut eine zarte Hand nach seinem Arm.

„Wo wollt ihr hin?“, hält er inne.

Weil er wieder keine Antwort erhält, zieht er sich ein Stück weiter nach oben.

„Ich weiß es nicht“, schluchzt eine Frau. „Irgendwohin, wo es sicherer ist...“

„Amir, reich mir deine Hand“, flüstert Yunus unterdessen.

„Warte, erst die Kinder“, steigt er jedoch wieder hinab und hebt das jüngste nach oben.

„Amir, wir wissen gar nicht, wer die Leute sind...“, wendet der Kamerad ein.

„Es sind Kinder“, lässt er sich das nächste an die Hand geben.

„Bruder, wir müssen uns vorsehen...“, mahnt Yunus mit deutlichem Zweifel in der Stimme.

„Das nächste“, bittet er den sprechenden Nikab.

„Warum trägst du einen Nikab?“, fragt er die Frau direkt, obwohl es sich für einen anständigen Mann nicht schickt, solche Fragen zu stellen.

„Bitte“, berührt sie seine Hand.

„Bist du vom IS?“, bleibt er aber hart.

„Nein!“, ruft sie verzweifelt und krallt sich noch fester in sein Handgelenk.

„Warum trägst du dann den Nikab?“, fragt er weiter. „Al Qaida? Ferqa 55? Al-Jabha al-Shamiye? Faylaq al-Sham? Sultan Mourad und Ahrar al-Sharqiye?“

„Nein! Nein!“, berührt ein zarter Körper seinen Arm. „Bitte helft uns!“

„Wer bist du dann?“, rührt er sich noch immer nicht.

„Amir, wo bleibst du?“, flüstert Yunus, während eines der Kinder weint.

„Wir kommen vom Land und wollten weg, weil wir um unser Leben fürchten“, stammelt sie.

„Ist er dein Mann?“, erinnert er wieder an den Toten.

„Nein! Er ist mein Schwager“, steht sie nun direkt neben ihm. „Bitte!“

„Du fliehst als Frau in einem Nikab ohne einen Mann? Wer soll dir das glauben?“, wird er misstrauisch.

„Amir, komm doch! Was machst du da?“, drängt der Kamerad oben, als sich das Kind noch immer nicht beruhigt.

„Los!“, hilft er ihr schließlich doch nach oben, ehe er sich selbst aus dem Loch zwängt.

„Bitte nehmt uns mit!“, hält sie die beiden Männer am Arm.

„Ich habe dich gewarnt“, seufzt Yunus. „Wir können nicht...“

„Verflucht!“, hockt er sich auf den Boden in dem finsteren Raum.

„Gehen wir!“, drängt der Kamerad.

„Hier sind sie gleich tot“, seufzt er.

„Amir, wir wissen nicht, wer sie sind. Wohin will sie denn?“, zerrt Yunus ihn auf die Beine.

„Bitte!“, fasst sie nach seiner Hand.

„Dann müssen die das prüfen!“, beschließt er.

„Amir, das ist riskant. Vielleicht ist sie eine Spionin“, widerspricht der ältere Kamerad.

„Wenn ihr ein Sterbenswörtchen sagt oder unterwegs versucht zu fliehen, erschieße ich euch alle auf der Stelle“, raunt er der Frau zu, die erschrocken zusammenzuckt.

Dann folgt er tastend Yunus, der bereits zu der zersprengten Treppe vorgedrungen ist.

Noch immer ist es gespenstisch still.

Kein Schuss verhallt.

Keine Flammen prasseln.

Keine Stimmen erklingen.

In normalen Zeiten würden sie sich sicherer fühlen.

Die Straße liegt dunkel und verlassen vor ihnen.

„Lass mich zur Ecke vorgehen!“, drückt er sich mit einem der Kinder auf dem Arm an der Hauswand entlang.

Zerbrochenes Glas knirscht unter den Stiefeln. Der kleine Kinderkopf schluchzt leise in sein Ohr.

Wie ein Jagdtier lässt er den Blick ständig um sich kreisen.

Zu den Fenstern gegenüber, wo sie am Tage lauerten.

Zum einen Ende der Straße, zum anderen.

Doch sie ist menschenleer.

Daher pfeift er leise, sodass Yunus mit einem anderen Kind auf dem Arm und der Frau und den letzten beiden ihnen nachkommen.

„Leise!“, mahnt er und späht um die Ecke.

Aber auch dort ist die Straße leer.

Wieder eilt er ein Stück voraus, um die Lage zu erfassen, ehe er die anderen folgen lässt.

Auf diese Weise schlängeln sie sich durch das Labyrinth schmalster Straßen, zwischen Trümmern durch die Dunkelheit.

„Wartet!“, eilt er voraus, als sie es fast bis an den Stadtrand geschafft haben.

„Leise!“, legt er augenblicklich dem Kind eine Hand vor den Mund.

Er hätte es wissen müssen!

Hier begegnen sie sich meistens.

Seit zehn Jahren.

Entweder steht er als Wachposten oder der andere.

Je nachdem, welche Truppe gerade die Stadt unter Kontrolle gebracht hat.

„Hakim“, wirft er einen Stein in die Nähe des stattlichen Mannes.

„Amir, was zum Teufel...“, dreht sich der erschrocken zu ihnen.

„Leise! Bist du allein?“, flüstert er.

„Ich wollte nur an die frische Luft“, versichert der große Mann mit dem selbst hier penibel rasierten Gesicht.

„Eines Tages erschießen sie dich“, warnt er über die Unachtsamkeit.

„Bist du allein?“, tritt Hakim direkt neben ihn.

„Nein!“, deutet er in Richtung der Straße, wo Yunus noch auf seine Meldung wartet.

„Ich dachte, heute erwischen sie euch!“, legt der andere dann die Hand auf seine Schulter, sodass sich das Kind auf seinem Arm noch ängstlicher in ihn krallt.

„Du solltest besser verschwinden“, zischt er.

„Unsere Leute sind aber nicht weit“, warnt Hakim ihn ernst.

„Ich weiß, aber wir haben keine Wahl. Du siehst, dass ich ein Kind bei mir trage...“, schiebt er den anderen von sich, um ihn endlich zum Gehen zu bewegen.

„Amir, pass auf dich auf!“, flüstert der zum Abschied, ehe er mit seinem großen, kräftigen Körper in einem Hauseingang verschwindet.

Sofort gibt er Yunus das Zeichen.

„Wir müssen uns beeilen. Sie sind ganz nahe. Ich habe Stimmen gehört“, drängt er.

Sie rennen nun die Straße entlang, stolpern hin und wieder über die Steine.

Der Atem springt bereits.

Die ganze Brust keucht und schmerzt.

„Da!“, keucht Yunus, als sie endlich die Ebene erreichen.

Sie stolpern weiter durch die Dunkelheit, raffen sich jedes Mal neu auf, um auf keinen Fall Zeit zu verlieren.

Zeit ist das Kostbarste seit Jahren.

Zeit bedeutet Leben.

„Ah! Wartet!“, ruft die Frau in dem schwarzen Nikab, weil sie ihnen nicht mehr folgen kann.

„Deckung!“, herrscht er, damit sie sich alle augenblicklich auf den Boden werfen.

„Deckung!“, murmelt er, während hinter ihnen in der Stadt plötzlich Flammen leuchten.

„Deckung!“, denkt er, während sie sich wieder erheben, um noch eiliger zu ihrem Lager zu gelangen.

„Wartet!“, ruft die unsichtbare Frau verzweifelt, aber kann doch nicht mit ihnen mithalten.

„Warte!“, raunt er Yunus zu, als sie schon fast den Hügel erreicht haben.

„Bruder, komm! Wir haben keine...“, keucht der Kamerad und er kann sich vorstellen, dass auch ihm die Schweißperlen auf der Stirn stehen.

„Wir müssen sie hier zurücklassen“, flüstert er, damit die Frau sie nicht sofort hören kann.

„Hier?“, dreht sich Yunus erschrocken zu ihm. „In der Dunkelheit ist ein Mensch ein Mensch...“

„Ich weiß...“, seufzt er und wirft einen raschen Blick zurück auf die Flammen in der Stadt.

„Aber wir wissen nicht, wer sie ist“, gibt er zu Bedenken.

„Die Kameraden müssen das entscheiden...“, keucht Yunus nun noch schneller. „Mensch ist Mensch. Wenn nicht sie schießen, dann unsere...“

„Ja, verdammt! Aber sie sind zu langsam...“, presst er hervor und drückt das Kind fester an sich.

„Komm!“, greift der Kamerad aber nach der unsichtbaren Frau, um sie zwischen den stachelnden Pflanzen nach oben zu ziehen.

„Mein Bein...“, schluchzt eines der Kinder, weil es offenbar erschöpft ist.

„Komm!“, presst er die Zähne aufeinander und nimmt es auf den Rücken.

„Hoffentlich sind sie noch da!“, argwöhnt Yunus, als sie schon fast die Spitze erreicht haben.

Hoffentlich wird unsere Hilfe nicht unser Todesurteil, schießt es ihm in den Kopf.

Gutmütigkeit wird schließlich meistens bestraft.

Hier zählen nur Stärke und Leben.

Alles andere hat keine Chance.

„Woher kommt ihr?“, fragt der Kamerad unterdessen die Frau.

„Vom Land“, flüstert sie wieder.

„Leise“, mahnt er, da sie noch längst nicht angekommen sind.

„Leise!“, wiederholt er, während sein Rücken durch die Last der Kinder ächzt.

„Wie weit ist es noch?“, jammert die Frau.

„Still!“, fährt er sie böse an.

Nur der Wind raschelt in den Gräsern.

Nur ganz leise knarrt es in den Ästen der schützenden Aleppo-Zedern.

Nur ihr Atem keucht und keucht.

Nur in der Ferne hallen einzelne Schüsse.

„Flugzeuge!“, wirft er sich am anderen Berghang auf die Erde.

„Verdammte Russen!“, schnaubt Yunus wütend, als sie eilig hinabsteigen.

„Ich dachte, es wären Amerikaner“, merkt er, wie die Uniform durch den Schweiß an seinem Rücken klebt.

„Leise!“, bleibt Yunus am Eingang der Schlucht stehen.

„Leise!“, mahnt er die beiden Kinder.

Vorsichtig legen sie sich in das Gras und starren in die Dunkelheit.

Angestrengt lauschen sie in die Dunkelheit.

Gewöhnlich ist das die Stelle, an der der erste Posten patrouilliert.

Oft genug hatte er selbst hier gestanden.

War auf und ab geschritten, das Gewehr in Anschlag, die Augen trotz der Müdigkeit angespannt.

„Kamerad!“, ruft er, als der Wachposten endlich ankommt und vor ihnen mit der Waffe auf und ab schreitet.

„Wer da?“, richtet der erschrocken die Waffe auf sie.

„Kamerad“, tritt Yunus als Erster vor und flüstert etwas.

„Wer ist das?“, deutet die Wache auf die unsichtbare Frau und richtet die Waffe erneut auf diese mit den Kindern.

„Aus der Stadt! Sie haben uns heute eingeschlossen“, berichtet er keuchend.

„Wer ist sie?“, tritt der Wachposten näher und pfeift de Verstärkung heran.

„Keine Ahnung!“, gesteht er und blickt sich unruhig um.

„Kamerad! Warum bringt ihr eine Frau hierher, die ihr nicht kennt...“, tadelt der andere.

„Sie wären gestorben. Wir sind selbst nur...“, setzt Yunus das Kind von seinem Rücken.

„Wer bist du?“, greift der Wachposten grob nach dem Arm der Frau.

„Vom Land“, antwortet sie mit Angst in der Stimme.

„Antworte gefälligst richtig, wenn ich dich frage: Wie heißt du?“, bellt der.

„Nashma“, haucht sie, während sich die Kinder ängstlich an sie drängen.

„Woher kommst du?“, stellt sich der Wachposten direkt vor sie.

„Von der Gasstation“, haucht sie.

„Welche Gasstation?“, packt der sie grob an der Schulter und lässt sie seinen hasserfüllten Atem spüren.

„Hinter der Stadt“, antwortet sie leise.

„Warum trägst du dann den Nikab?“, wird auch der Wachposten argwöhnisch.

„Ich habe Angst“, antwortet die Frau.

„Ist sie bewaffnet?“, wendet sich der Wachposten nun an ihn und den Kameraden.

„Keine Ahnung...“, gestehen sie kleinlaut.

„Nein, ich habe nichts. Bitte, helft uns doch! Wir wollen...“, fleht Nashma verzweifelt.

„Warum trägst du den Nikab?“, wiederholt nun einer der hinzugeeilten Kameraden.

„Ich habe Angst. Wenn sie mich sehen, töten sie mich...“, hält sie die Kinder fest an sich.

„Vielleicht ist sie bewaffnet“, raunen sich die Kameraden zu.

„Bist du bewaffnet?“, fragen sie sie direkt.

„Nein! Warum…?“, klingt ihre Stimme schrill.

„Durchsuche sie!“, nickt ihm der Kamerad zu.

„Jawohl!“, tastet er vorsichtig, um sie nicht noch mehr zu verängstigen.

„Du hast gesagt, dass du vom Land kommst...“, flüstert er dabei in ihr Ohr, weil sich auch in ihm Argwohn breit macht.

„Kamerad, was besprichst du mit ihr?“, tritt aber jemand daneben.

„Woher kommst du?“, dreht er ihren Kopf direkt zu sich.

„Von der Gasstation“, wiederholt sie jedoch erneut angsterfüllt.

„Wo ist dein Mann?“, richtet der Wachposten seine Waffe nun auf sie.

„Bitte!“, lässt sie sich auf die Knie fallen.

„Wo?“, klingt es bloß zischend.

„Ich weiß nicht...“, stammelt sie.

„Da war ein Mann mit ihr im Loch“, meldet sich nun Yunus mit bebender Stimme.

„Mein Schwager!“, greift sie ein. „Er war verwundet, aber einer von euch.“

„Einer von uns...“, spuckt der Wachposten vor ihr auf die Erde.

„Du kannst den Nikab ablegen. Wir sind nicht der IS“, bleibt er dann vor ihr stehen.

„Danke, Bruder“, zittert sie am ganzen Körper.

Erschrocken starren die Männer das Mädchen im Schein der flackernden Lampen an.

„Sie haben die Gasstation bombardiert“, erklärt es nur tonlos, weil sie auf die Verbrennungen starren.

Für kurze Zeit herrscht wieder Stille.

Für kurze Zeit sagt niemand ein Wort.

Für kurze Zeit hören sie nur in der Ferne die Geschosse.

Für kurze Zeit fühlen sie vielleicht so etwas wie Mitleid.

„Was machen wir mit ihr?“, treten die Kameraden abseits von dem Mädchen mit den Kindern zusammen.

„Sie kann eine Spionin sein“, überlegen sie.

„Wir können sie nicht hierbehalten“, argumentieren sie.

„Als Frau allein wird sie nicht weit kommen“, schlussfolgern sie.

„Wie seid ihr von der Gasstation in die Stadt gekommen?“, tritt er erneut argwöhnisch an sie heran.

„Zu Fuß“, schaut sie ihn mit ihren schwarzen Augen an.

„Warum dorthin, nicht ins Gebirge, wenn ihr doch auf der Flucht seid?“, lässt er keine Ruhe.

„Amir, komm!“, ruft ihn Yunus, weil die Kameraden sie einfach stehen lassen.

„Weil meine Schwester dort lebte“, bohren sich ihre Blicke fest in seine Augen.

„Wo ist deine Schwester jetzt?“, verschränkt er die Arme vor der Brust.

Seufzend zuckt sie mit den Schultern.

„Warum warst du mit deinem Schwager in dem Loch ohne deine Schwester?“, überfallen ihn immer größere Zweifel.

„Sie ist tot...“, drückt sie die Kinder an sich.

„Geh!“, dreht er sich um und folgt den Kameraden.

„Wohin?“, ruft sie da mit Tränen.

„Geh!“, wiederholt er, ohne den Kopf noch einmal zu drehen.

„Wo sollen wir denn hingehen?“, wird ihre Stimme verzweifelter.

„Verschwinde!“, richtet er jetzt die Waffe auf sie.

Kapitel 2 Hakim

Die Nacht ist der ärgste Feind.

Was trügt sie doch von Sicherheit!

Man wälzt sich von einer auf die andere Seite.

Hofft.

Mahnt sich: Denk doch nicht!

Draußen zirpen die Grillen.

Die Grillen zirpen wie eh und je.

Die Grillen zirpen selbst im Krieg.

Seit Jahren einfach weiter.

Nacht für Nacht zirpen sie.

Stets im selben Rhythmus.

Wechseln mit der Stille.

Mit Fußtritt seiner Stiefel.

Mit Schnarchen ohne Schlaf.

Die Grillen sind beständig.

Nur schlafen kann er nicht.

Draußen donnern die Geschosse.

Das ist dann, wenn Grillen doch verstummen.

Der Himmel plötzlich lodert.

Das Herz in seiner Brust zerspringt.

Dann wird es wieder dunkel.

Die Grillen zirpen noch ihr Lied.

Sein Atem keucht, wird langsamer.

Der eine schnarcht, der andere wälzt sich.

Er wird wohl schlafen, aber gut gewiss nicht.

Gut ist nämlich gar nichts.

Man schläft, weil es sein muss.

Irgendwann macht die Müdigkeit zu mürbe.

Nur ein wacher Soldat ist ein lebender Soldat.

Das ist nur zu gut bekannt.

Man isst auch, weil es sein muss.

Schmecken soll hier gar nichts.

Sie benötigen Kraft.

Kraft ist Stärke.

Nur Stärke überlebt.

Wieder erleuchtet plötzlich die Stadt.

Wieder rauscht das Blut in seinen Ohren.

Die Kameraden draußen rüsten sich.

Heute ist es wieder ernst.

Dabei ist Ernst ein ständiger Begleiter.

Bisweilen, wenn man Wache schiebt.

Mit Stiefeln Staub und Stein zermürbt.

Angestrengt in Stille lauscht.

Ach nein, die Grille zirpen weiter laut.

Wacheist schon lästig.

Vor allem, wenn man müde wird.

Wer müde ist, wird unaufmerksam.

Amir warnt ihn immer.

Wache Schieben gleicht der Routine von Schlaflosigkeit.

Spähaufträgen.

Schießen gegen alle und jeden.

Man geht nur, macht nur, folgt nur.

Man denkt doch nicht!

Wenn nicht sie, dann wir…

Niemand weiß, wie viel er schon getötet hat.

Niemand weiß es.

Wer zählt es schon?

Er hat nicht einmal hingeschaut, wenn seine Kugeln zischen.

Kugeln zischen immer im Krieg.

Krieg ist nun einmal grausam.

Krieg hat ihn auch nicht gefragt.

Er kam plötzlich.

Klopfte nicht vorher höflich an.

War plötzlich da.

Man entscheidet sich.

Amir ging dahin.

Er blieb treu.

Treu ist so etwas wie Tradition.

In einer anderen Familie wäre Tradition vielleicht das Gegenteil.

Vielleicht wäre er wie Amir.

Vielleicht auch nicht.

Amir ist ein Hitzkopf.

Voller Hass und Bitterkeit.

Aber verbittert sind wohl alle.

Das hat er diesmal auch ganz kurz gedacht.

Gewiss, sonst hätte er sie nicht erschossen.

Aber Schießen ist nun einmal Befehl.

Befehlen folgt man, hinterfragt sie nicht.

Fragen stehen einem teuer.

Fragen gleicht schließlich längst Verrat.

Verräter:innen gibt es überall.

Da wäre er nur einer mehr.

Eine Kugel mehr als Strafe.

Diese Nacht ist lästig.

Lästig war die Wache vorher.

Lästig war auch, dass wieder Amir ihn hätte überrennen können.

Amir ist nun fort.

Fort ist so ein Wort, über das man lieber nicht mehr nachdenkt.

Fort kann nämlich alles heißen.

Fort bedeutet eventuell versetzt.

Bloß die Stadt gewechselt.

Der Rest ist überall genauso.

Fort bedeutet eventuell geflohen.

Täglich fliehen etliche.

Fliehen, träumen, hoffen.

Aber wohin?

Nach Europa?

Ist Europa denn das Paradies?

Fort bedeutet, man geht verloren.

Verloren, weil man Geisel ist.

Lebend Pfand für Forderungen.

Verloren, weil man verwundet ist.

Ohne Arm, ohne Bein in einem armen Lazarett, das mit Glück morgen auch noch steht.

Fort bedeutet: Ist nicht mehr.

War mal lebend, jetzt nicht mehr.

Fort bedeutet, man denkt nicht nach.

Fort bedeutet selten Gutes.

Man kann sich von einer auf die andere Seite drehen.

Da beschwert sich schon der erste Kamerad.

Kamerad.

Das ist hier so ein geläufiges Wort.

Ein Wort wie Bruder.

Hoffnungsschimmer.

Vielleicht auch nur Fassade.

Der eine kommt aus dem Norden.

Der andere war schon ganz am Anfang mit dabei.

Wieder welche sind die Neuen.

Kugelfutter.

Er muss die Augen schließen.

Nur die Grillen zirpen hören.

Doch wieder reißt die Luft entzwei.

Wieder lodert alles.

Er presst die Lider fest zusammen.

Der Atem schneidet wieder schwerer.

So dreht und wendet er sich noch.

Schlummert schließlich, dämmert so dahin.

Wer findet wirklich Schlaf?

Aber morgen wird der Truppenführer kommen.

Er wird brüllen.

Tief in seine Träume brüllen.

Niemand träumt hier wirklich.

Wenn, sind Träume auch kein wahrer Segen.

Zumindest schreien Träumer häufig.

Brüllen, wälzen sich und schwitzen.

Es müssen keine guten Träume sein.

Am besten träumt man gar nicht.

Der Truppenführer wird vor ihnen entlang schreiten.

Sie mustern.

Den Bärtigen neben ihm, den Kleinen danach…

Er wird vor ihm stehen bleiben.

Einfach stehen.

Schauen mit den großen Augen.

Rund sind sie, blau.

Himmelblau.

Fröstelnd.

Er wird ihn mustern.

Die Augen dabei vor Missfallen zusammenkneifen.

Ein bisschen an seiner Uniform zupfen.

Wahrscheinlich sitzt ein Knopf nicht richtig.

Wahrscheinlich ist fast alles korrekt.

Wahrscheinlich möchte er nur zupfen.

Vielleicht einmal schauen, ob da überhaupt noch ein Mensch vor ihm ist.

Menschen sind sie bekanntlich alle.

Nur manchmal vergessen sie das kurz.

Da drückt man nur den Hebel.

Da hört man nur das Zischen.

Duckt sich wieder.

Schützt die Ohren.

Robbt am Boden.

Hofft.

Hofft.

Menschen hoffen immer.

Manchmal packt ihn dann die Wut.

Vor allem dann, wenn wieder einer fort ist.

Einer von ihnen.

Vielleicht dicht neben ihm.

Ein Junger, Alter.

Das zählt hier gar nicht.

Wenn sein Herz plötzlich zum Zerspringen schlägt.

Er läuft und rennt.

Knie weich wie Samt verschmelzen.

Dabei sollen sie doch tragen.

Schnell ihn um die Ecken bringen.

Hasten.

Eilen.

Sich verstecken.

Die Knie retten schließlich ihre Leben.

Wer fort ist, hatte schlechte Knie.

Oder schlechte Augen.

Eine Waffe übersehen.

Einen Moment lang unaufmerksam.

Ja, Amir mahnt ihn immer.

Dabei hat er es längst selbst begriffen.

Ärgert sich da wieder.

Ärgert sich, dass er erwischt worden ist.

Erwischt beim müde Sein, nicht Denken.

Was macht man ansonsten, wenn man gerade unaufmerksam ist?

Denkt man?

Träumt man?

Starrt man?

Ist man müde?

Spürt man schon den Tod?

Amir behält natürlich Recht.

Amir weiß es selbst zu gut.

Amir hätte nämlich längst geschossen.

Amir hasst sie doch alle.

Sie, das sind die Seinen.

Aber Amir tötet ihn nicht.

Amir warnt bloß.

„Pass doch auf, Hakim!“

Erneut durchsteht er diesen Tag.

Man zählt hier nämlich nicht in Jahren.

Man zählt Minuten, Stunden.

Freut sich, wenn man am Ende einer jener ist, die ins Lager zurückkehren.

Die schlafen dürfen.

Dürfen bedeutet zwar nicht, dass man es auch kann.

Aber immerhin: Man darf.

Wird nicht getadelt für Unaufmerksamkeit.

Wird nicht getadelt für eine Kugel, die daneben geht.

Man darf schlafen.

Jede Minute zählt.

Wer weiß nämlich, ob sie ihn nicht schon in dieser Nacht plötzlich wecken werden?

Wer weiß nämlich, ob sich nicht schon in dieser Nacht das Blatt wendet?

Wer weiß schon, wann sie wieder wechseln werden?

Gewechselt haben sie schließlich ständig.

Ständig hieß es: Wir oder ihr.

Diesmal stand er zur Wache.

Morgen hoffentlich auch noch.

Aber wer weiß: Bald wird Amir womöglich an seiner Stelle stehen.

Vielleicht trinken sie sogar die gleichen Wasser.

Vielleicht baden sie sogar im gleichen Fluss.

Vielleicht hausen sie in gleichen Tälern.

Je nach dem, wem diesmal diese Stadt gehört.

Heute hat Amir ihn gerettet.

Oder rettete er Amir?

Was wäre, wenn er aufmerksam gewacht hätte?

Gewacht und Schritte kommen hören?

Schritte sind immerhin bedrohlich.

Schritte bedeuten stets Gefahr.

Schritte zeugen von Menschen.

Menschen gibt es nur die einen: Sie oder wir.

Wir hätten ihn beim Pausieren erwischt.

Erwischt beim Träumen.

Unaufmerksam sein.

Hätten ihn dafür bestraft.

Gelästert.

Nächste Wache schieben lassen.

Das wäre wenig angenehm…

Sie hätten seine Träume rasch beendet.

Hätten Kriegsgesetz rasch angewandt.

Eine Kugel heißt das.

Peng!

Schon stand eine Wache.

Wer weiß, vielleicht hätten sie erneut die Stadt erobert…

Doch dann kam nur Amir.

Amir mit dem Kind.

Seit wann tragen Soldaten Kinder?

Sind nicht die einzigen Kinder ihre Waffen?

Warum tragen sie sie außerdem durch eine leere Stadt?

Eine Stadt in Schutt und Asche…

Wer weiß: Vielleicht erobern sie eines Tages nur noch die Ruinen…

Zum Glück hat Amir ihn erkannt.

Zum Glück hat Amir nicht erst geschossen.

Danach geschaut.

Hätte er das auch getan?

Amir hat dann noch gerufen.

Rufen ist noch mutiger.

Mutig, weil die anderen hinter einer Mauer lauern könnten.

Ihn erspähen.

Beim nachsichtig Sein.

Die anderen straften immer.

Ihn, der nachgibt.

Ihn, der vorwarnt.

Ihn, der rettet.

Oder straften den, der unaufmerksam war.

Jetzt mit großen Augen starrte.

Erleichtert, dass es Amir war.

Erleichtert, weil er deshalb lebt.

Die anderen straften somit ihn.

Ihn, der Amir ziehen ließ.

Amir mit dem Kind auf dem Arm.

Amir, den Verräter.

Draußen ist es wieder still.

Draußen sprechen nur die Grillen.

Draußen pfeifen keine Kugeln.

Draußen ist es dunkel.

Dunkel ist gefährlich.

Dunkel heißt: Man sieht sich nicht.

Dunkel heißt: Man muss vertrauen.

Vertrauen - das geht gar nicht.

Vertrauen kann man nur dem Glück, dem Schicksal - das ist Leben.

Hoffen, beten - mehr bleibt einem nicht.

Hoffen, dass man selbst es nicht gewesen ist.

Vertrauen, das geht nicht im Krieg.

Vertrauen ist für Frieden.

Frieden, das war früher einmal.

Frieden war ein Märchen.

Frieden war, als sie noch lachten.

Tanzten, sangen, sich vergnügten.

Frieden war noch vor dem Krieg, fast ein anderes Leben.

Frieden -ja, das war einmal.

War so schön.

Doch Schuld sind nur die anderen.

Die anderen schrien: „Revolution!“

Die anderen füllten bald die Straßen.

Mit Fahnen, Wut und Aggression.

Mit Waffen -von wegen Revolution!

Die anderen wollten nur die Macht, den Umsturz, die Regierung.

Ein neues Gesicht an vorderster Position.

Das nannten sie dann Frühling.

Sie forderten Gerechtigkeit.

Ist Krieg vielleicht gerecht?

Der Rechtsstaat sei nicht Rechtsstaat mehr.

Er sei korrupt, verlogen.

Er sei auch grausam, unterdrücke viel.

Vor allem die Sunnit:innen.

So kämpften sie um Religion.

Religion sei Freiheit.

Dabei waren sie doch alle frei.

Zumindest fühlte es sich so an.

Freiheit auf dem Weg zur Arbeit.

Freiheit auf dem Weg zu Freund:innen.

Freiheit auch im eigenen Haus.

Freiheit selbst beim Beten.

Freiheit bedeutet schließlich nicht Gleichheit.

Gleichheit, ja das war noch nicht.

Frauen sind eben keine Männer.

Mann und Mann nicht einerlei.

Ja, und Gefangene nun einmal nicht frei.

Nicht frei, das ist natürlich nicht so schön...

Die fehlende Freiheit jener anderen geschah gewiss nicht zu seinem Gefallen.

Gefallen hat ihm nur die Arbeit.

Das Büro, die noblen Möbel.

Der Anzug, der noch glänzte.

Die Mienen, wenn er vor ihnen ging.

Mienen voller Anerkennung.

Gefallen hat ihm auch der Fußball.

Fußball ist wahrer Sport.

Man rennt und rennt, bis alles brennt.

Die Lungen, Flanken, selbst der Atem.

Dann schießt man, freut sich, springt empor.

Ein Ball im Tor – das fügt sich.

Beim Fußball waren sie nicht Feind.

Da hielten sie zusammen.

Sie rannten, schwitzten, freuten sich.

Teilten dann den Abend.

Wenn Sonne ganz als Feuerball die Stadt in sich ertränkt.

Freiheit, oh, sie war sehr schön.

So schön wie eine Rose.

Zärtlich noch, zerbrechlich.

Sie lernte doch erst leben!

Schön und lieblich wie die Liebe.

Ach, die Liebe, wohin ging sie nur?

Liebe, die macht traurig.

Liebe, ja diewar einmal...

Liebe ist auch nicht für Krieg.

Krieg bedeutet Hassen.

Man hasst hier seine Feinde.

Die, die Kameraden töten.

Frauen, Kinder und Familien.

Die, die Häuser sprengen.

Eine Stadt in Schutt und Asche legen.

Die, die schießen, statt zu schlafen.

Hass, Hass…

Man hasst am besten jeden.

Hass ist besser als Zärtlichkeit.

Zärtlichkeit macht nur verletzlich.

Sie macht blind, verblendet bloß.

Macht einen milde, wenn es falsch ist.

Zärtlichkeit ist wie Vertrauen.

Beides für die Tonne.

Zeitverschwendung.

Fast Ironie.

Am besten vergisst man sie gleich beide.

Hier vergisst es sich ganz schnell.

Was soll man sich auch merken?

Welches Essen heute in den Mund gequält?

Welchen Schlaf heute nicht gefunden?

Welche Straße heute verteidigt?

Welche Namenlosen dort durchlöchert?

Hier vergisst er sogar gerne.

Vergessen schützt vor bösen Träumen.

Solchen, wenn die anderen schreien, stöhnen und sich wälzen.

Träumen heißt hier: Sich erinnern.

Erinnern, das ist nur das eine:

Angst.

Vielleicht noch ein Gesicht.

Vielleicht noch eine Wunde.

Vielleicht noch Blut.

Ganz viel Blut.

Blut fließt schließlich ständig im Krieg.

Immerfort, wenn man so will.

Blut ist ihre Währung.

Die einen zahlen sie.

Sie sterben.

Sie waren eben am falschen Ort.

Unaufmerksam.

Vor allem auf der falschen Seite.

Blut, das ist, wovon die anderen leben.

Die WährungderenÜberlebens.

Der Pfand für Schlaf am Abend.

Ein Hoffnungsblick auf Sieg.

Blut -das ist, wenn er sich umdreht.

Die Ohren gern verschließt.

Der Magen krampft und streikt.

Wenn diese Angst zum millionsten Mal sich in jede Pore verkriecht.

Blut - das ist, wenn er schnell atmet.

Vielleicht ist er getroffen.

Vielleicht auch nur der Nebenmann.

Und hoffentlich nur verwundet.

Früher wurde ihm da übel.

Er ganz blass und setzte sich.

Der Arzt hat nur gelacht, gesagt: „Das kenne ich.“

Aber früher, das war vor dem Krieg.

Ein ganz gewöhnliches Leben.

Ein Leben ohne Angst und Tod.

Ein Leben noch zu Hause.

Der Gedanke an zu Hause ist der furchtbarste.

Zuhause lebt jetzt hinter Schloss und Riegel.

Verbannt für eine Ewigkeit.

Unwirklich. Fern. Unerreichbar.

Zu Hause hinter jenem Tor, dort blühte noch das Leben.

Dort wuchsen Blumen bunt und schön.

Dufteten und strahlten.

Es rannten Kinder, seine Kinder.

Fawad und Fadila.

Sie lachten, spielten, suchten sich.

Erkundeten und waren neugierig.

Die Kinderaugen noch so zahm, als ob kein Tropfen dieser Welt ihr Seelenheil zerbräche!

Die kleinen Hände an seinem Hals: „Oh, Papa, bitte geh nicht!“

Aber Papa ging.

Er ging noch vor dem Abschied.

Trat durch die Tür wie an jedem Tag.

Trug dafür sogar den Anzug.

Die Schuhe glänzten, blitzten sauber.

Er lächelte undscherzte.

Er nahm sie hoch in seinen Arm.

Er küsste sie und winkte.

Sie lächelten und freuten sich.

Sie ahnten schließlich gar nichts.

Stattdessen sprangen sie durch diesen Garten, versteckten sich und riefen.

Lachten, bis er längst gegangen.

Spielten und vielleicht vergaßen.

Dass sie vergaßen, war sein Wunsch.

Vergessen wäre leichter.

Da war ein Mann, womöglich ein Papa.

Jemand, der sie liebte.

Ein Spielgefährt, ein Geschichten-Vorleser.

Ein liebevoller Vater.

Manchmal albern, manchmal streng.

Fürsorglich oder weise.

Beschützer für die ganze Welt.

Der gegen allen Kummer kämpfte.

Der sie bewahrte vor dem Unrecht.

Der ihnen nur das eine brachte: Frieden.

Fawad fragte: „Wann kommst du wieder?“

Fadila bettelte: „O bitte geh nicht!“

Der Vater sagte: „Ich komme wieder.“

Und innerlich betete: Hoffentlich wirklich.

Der Krieg beginnt mit einer Lüge.

Seine Lüge sagte er bereits am Abschiedstor.

Er log, indem er gar nichts sagte.

Die Klinke drückte, für sie lächelte.

Als er auf die Straße trat, erklärte: „Ich gehe nur zur Arbeit.“

Fawad fragte: „Wie lange bleibst du denn?“

Er nur druckste: „Das weiß ich nicht. Ich muss weit reisen.“

Wahrscheinlich war das am ehesten die Wahrheit.

Kapitel 3 Amir

In der Ebene ist es wieder still. Nur sein Herz läuft Amok.

„Amir“,wispert Yunus plötzlich aus der Dunkelheit. „Amir!“

„Was?“, blickt er finster weiter vor sich.

„Vielleicht hätten wir sie nicht hierher mitnehmen sollen“, klingt es weiter neben ihm.

„Wen meinst du?“, knurrt er böse.

„Na ja Bruder, du weißt schon: die Frau, die Kinder... Vielleicht hätten wir nicht Wache schieben müssen.“

„Wir hatten keine Wahl“, unterbricht er da energisch.

„Amir, ich meine nur...“, redet der Kamerad aber weiter.

„Lass mich in Ruhe“, schießt er einen Stein weg.

„Eventuell war sie eine Spionin“, lässt Yunus noch immer nicht locker.

„Sie wird nicht wiederkommen“, verspricht er.

„Ja, sie wahrscheinlich nicht...“, argwöhnt der Alte.

„Was hätten wir denn machen sollen?“, dreht er sich nun um.

Sie schweigen wieder, starren in die Dunkelheit, die diesmal ihren Tod bringen könnte.

Ebene versinkt in Finsternis, nur ab und zu leuchtet es über der Stadt.

Ein kühler Wind weht um ihre Nasen, sodass es fröstelt, sodass er die Uniform noch fester an den Körper zieht.

Nur mit Mühe kann er die Augenlider offen halten, zwingt sich in die Finsternis zu lauschen: Kommt dort jemand?

Sind dort Schritte?

Oder ist es nur der Wind?

Man wird hier beinahe paranoid.

„Ich denke, dass sie nicht gelogen hat“, erklärt er plötzlich in die Stille. „Der Mann in dem Loch trug schließlich tatsächlich unsere Uniform. Wie du weißt, haben die Feinde ihn erschossen.“

„Ich weiß nicht, Amir...“, murmelt Yunus irgendwo in seiner Nähe. „Vielleicht war er bloß ein Deserteur. Vielleicht hat er sich die Uniform gestohlen.“

Er nickt grimmig.

„Und selbst wenn er keiner von ihnen gewesen ist, bedeutet es noch lange nicht, dass er auf unserer Seite stand“, schlussfolgert Yunus logisch.

„Glaubst du, dass sie es schaffen wird?“, überlegt er weiter.

„Gott allein entscheidet über unser Schicksal“, mahnt der Kamerad, der ihm auf einmal aus der Finsternis eine Hand auf die Schulter legt, über die er sogleich erschrickt.

Die Nacht versinkt wieder in der Stille. Nur hin und wieder tönen die Geschosse in der Ferne.

Sein Körper ist so schwach wie der eines Kranken.

Müde rollen die Augen auf und ab.

Doch immer wieder, wenn sie zufallen möchten, schlägt er sich mit der rauen Hand auf die Wangen.

„Ich habe auch eine Schwester“, spricht er in die Dunkelheit, um wach zu bleiben.

„Amir, wir haben getan, was wir tun konnten“, gähnt der Kamerad hörbar.

„Ich habe auch eine Schwester“, wiederholt er aber nachdenklich und spürt, wie es sich wie ein schwerer Stein auf seine Brust legt.

„Auch sie hat Kinder“, seufzt er, weil ihn auf einmal all die Erinnerungen heimsuchen.

„Ich habe auch eine Schwester“, murmelt er noch in Gedanken, während seine Augen wie in Routine die finstere Ebene absuchen.

„Amir, du hast ein viel zu weiches Herz!“, seufzt Yunus und möchte offenbar ein für alle Mal dieses Thema beenden.

Über der Stadt lodert es wieder. Das Geräusch von Geschossen dringt bis zu ihnen.

Innerlich fühlt er, wie seine Beine zittern, so als wäre er noch immer dort, voller Angst vor dem einen Augenblick, wenn die Wachsamkeit allein nicht mehr genügte. Innerlich spürt er das Vibrieren der Erde, wenn sie unter den Granaten erzittert. In Gedanken riecht er den Gestank des Feuers.

„Denkst du nicht an daheim?“, flüstert er, als sich sein Weg mit dem des Kameraden schneidet.

„Amir...“, seufzt der erneut, als bedaure er die plötzliche Sehnsucht seines Bruders.

„Und?“, lässt er jedoch nicht locker.

„Was ist los mit dir, Bruder?“, entfernen sich eilig die Schritte des anderen.

Erneut erleuchtet der Himmel, schlagen Flammen weit hinaus in die Nacht.

„Hast du sie vergessen?“, streicht er gedankenverloren über sein Gewehr.

„Amir, zum Teufel! Jetzt verhalte dich endlich wie ein anständiger Mann! Wenn du überleben möchtest, dann merke dir eines: Du darfst nicht fühlen! Kein Mitleid! Verstehst du?“, erwidert Yunus diesmal gereizt.

„Ja“, ist er nun derjenige, der sich beeilt, allein mit seinen Gedanken zu sein.

Der Wind zieht eisiger durch das Land. Vielleicht ist er auch nur müde.

Der Mond leuchtet bloß als winzige Sichel.

Die Finsternis verschlingt jetzt alles.

Er gähnt.

Fühlt sich todmüde.

„Ich habe auch eine Schwester“ , murmelt er in die Dunkelheit, um dennoch wach zu bleiben.

„Ich habe auch eine Schwester“, seufzt er und wehrt sich gegen die Erinnerungen.

„Ich habe auch eine Schwester“, flüstert er, während der Wind wieder eisig durch die Ebene zieht und er schweren Schrittes seine Wachroute fortsetzt.

„Djamila, kleine Schwester, bitte verzeih mir!“, spricht er zu den Sternen.

Dann bebt erneut die Erde, ein Schrei ertönt, wieder menschlicher.

„Alle bereit halten. Sie kommen!“

Kapitel 4 Hakim

Der Morgen hat schon längst begonnen.

Morgen ist wie immer nachts.

Nachts, wenn alle anderen schlafen.

Wenn er vielleicht zum ersten Mal die Augen dann zusammendrückt.

Wenn er sich windet, wenn er sich dreht.

So uneins zwischen wach und schlafend.

Ständig bereit, zur Verfügung zu stehen.

Ständig lauernd, wachsam, besorgt um sein Leben.

Die Kameraden schauen auch nicht besser.

Manche reiben sich die Augen.

Manche aufgeregt wie wildes Tier.

Hasten hierhin, hasten dorthin, greifen nach den Waffen.

Stellen sie sich in Reihe und Glied.

Warten auf den Gruppenführer.

Dieser schreitet.

Schreitet.

Vor, zurück, vorbei. - Wie immer.

Dafür bleibt noch Zeit.

„Heute werden wir sie zermalmen“, heißt es.

„Kein einziger darf überleben!“, schwören sie sich ein.

„Wir befreien unser Land vom Terrorismus“, parodieren sie noch, während sie bereits die Waffen an sich gedrückt auf die Straßen hasten.

Wenn die Laster bereits fahren, Panzer rollen.

Einer nach dem anderen verladen wird.

Ein Raunen greift um sich.

Vorahnung, Adrenalin und Angst.

„Überraschung“, nennen sie es beinahe zärtlich.

„Morgengruß“, wird es sodann sarkastisch.

„Ein Gruß in ihre süßen Träume“, werden sie am Ende zur Gefahr.

Er gehört zur Bodentruppe.

Vielleicht noch besser als Panzer fahren.

Dafür die Vorhut.

Der Spähtrupp.

Die, die man als erstes niedermäht.

Aber schnell, schnell.

Es bleibt gar keine Zeit zum Denken.

Auf einen Laster gedrängt, einem Transporter sitzen dreißig Mann wie er.

Alle in der makellosen Uniform.

Alle mit der Waffe in der Hand.

Starren in die Dunkelheit.

Blicke kreisen bis zum Horizont, wo die Sonne vielleicht bald aufgehen wird.

Dabei wird es doch ohnehin hell werden.

Hell und hell ist schließlich einerlei.

Hell ist die Sonne, die wie ein leuchtend rotes Meer die Ebene flutet.

Rot und blutig sie ertränkt - fast wie eine Vorahnung.

Hell ist auch das Feuer.

Dann, wenn ihre Waffen treffen.

Dann, wenn Rauch gen Himmel steigt.

Dann, wenn die Gemäuer lodern.

Oder Menschen.

Auch das wird einerlei.

In der Ferne hören sie schon Donner.

Lichter blitzen, der Himmel erzittert.

Wieder nur der Donner.

Dann erneut ein Blitz, ein Licht, eine Warnung.

Ein Wind zieht um die Nasen.

Eisig ist er. Fröstelnd. Herzlos.

Er zieht den Kragen etwas höher.

Könnte er nur schlafen!

Doch „Los, los“, heißt es, halten längst die Laster.

Springen sie von deren Fläche.

Klicken Waffen, die schon entsichert.

Hasten sie in Dunkelheit.

Hasten, hören nur den Atem.

Atem, der sich hebt und senkt.

Hören Donner, sehen Blitze, hasten weiter in die Finsternis.

Finsternis hat längst gesehen.

Pfeifend zischen deren Kugeln.

Scheint das Licht nun viel zu nah.

Sind die Flammen längst bei ihnen.

Brennen ihre Autos nieder.

Mähen ihre Männer nieder.

Tot.Tod. Er ist längst da…

Blut in seinen Adern pulsiert.

Adern pochen, fast zerspringen.

Wut ist da und dieser Hass.

Jetzt ist er Soldat.

Soldat –der wehrt sich.

Soldat – der schießt.

Soldat – der tötet.

Soldat – der funktioniert.

Soldat – der mit Glück überlebt.

Wenn er den Hebel drückt, dann sterben gleich ein Dutzend Mann.

Dann geht nicht Schuss und Schuss der Rhythmus.

Nein!

Dann heißt das Salven, Mähen, Laden, Schießen.

„Heute werden wir sie zermalmen“, das war Befehl und das wird wahr.

Befehlen, denen gehorcht man.

Und Finsternis macht blind.

Finsternis hat kein Gesicht.

Hat nicht diese Augen, diesen Mund, Nase, Bart.

Und was sonst noch unterscheidet.

Finsternis bleibt anonym.

Auch das weiß der Soldat.

Finsternis und Waffen - vielleicht noch ein Befehl –lassen sie gewähren, lassen sie sich wandeln, machen sie zu Maschinen, zu Soldaten.

„Schuss, Schuss!“, das geschieht schon automatisch.

Automatisch wie das Zählen.

Atmen, Keuchen.

Kurz sich Schützen, kurz in Deckung Gehen.

Hoffen.

Automatisch wie das Sterben.

Dort ist es hell.

Dort ist Tod.

So gerät in den Hintergrund, dass die Sonne langsam leuchtet.

Ihr roterStrahl, ihre Wärme sich einen Weg zum Himmel kämpft.

Das Licht nun brennt, eine Ebene enthüllt.

Blendet. Erleuchtet.

Trügerisch ein Ziel verfehlt.

Kugeln pfeifen weiter.

Granaten erschüttern weiter.

Feuer lodert nun bei Tag.

Und Menschen - Menschen sterben weiter.

Menschen sterben, jetzt halb im Nebel.

Im Nebel ihrer Waffen.

Nebel ist wie Feuerrauch.

Trügerisch. Gespenstisch.

Und doch ein Vorhang.

Sieht man so nämlich nicht die ganze Wahrheit.

Das trotz des Sonnenlichts.

Nebel ist gefährlich.

Gefährlich, weil sie genauso schießen.

Schießen aus der Dämmerung.

Versteckt und zugleich halb gesehen.

Treffen, verwunden, töten.

Nebel ist gefährlich.

Raubt er schließlich ihre letzte Deckung.

Lässt sie frei.

Frei zum Ziel.

Sichtbar.

Und verwundbar.

Nebel ist wie Angst im Feld.

Angst, die wacht hier ständig.

In seinem Schlaf, auf diesem Feld.

Wer weiß – vielleicht wird es der letzte Ort…

Dennoch Angst wie Nebel.

Mischt sich zwischen Laden, Schießen.

Zwischen Wut und Hass.

Mehr ein Gefühl.

Momentaufnahme.

Man folgt ihr nur.

Lädt vielleicht noch hastiger…

„Auf die Wagen!“, stürzen sie zurück, klettern auf die letzten Laster.

Sie - das sind die Überlebenden.

Die Glücklichen diesen Morgens.

Die in Angst und Überlebensdrang sich möglichst als die Ersten auf die Flächen schwingen.

Die in einem Zug aus Menschlichkeit Verwundete nach oben reichen.

Die sich ducken oder schießen, wenn deren Kugeln pfeifen.

Da erwischen sie noch jenen oder jenen.

Kamerad, der eben saß.

Schon das Gefühl von Überleben.

Hoffnung.

Was ist sie trügerisch!

„Ah!“, gurgelt nur ein erstickter Schrei, während genau ihm gegenüber der Mann den Kopf hängen lässt.

„Ah!“, duckt sich der Rest der Kameraden, um nicht genauso hängen lassen zu müssen.

„Ah!“, murmelt er, als er seinen Kopf wie im Traum abtastet, um aufzuatmen.

„Ah!“, denkt er mit schaurigem Blick zu dem Toten.

Zum Glück war ich es nicht.

Der Tote zwischen ihnen ist aber längst vergessen.

Es hat auch niemand nachgeschaut.

Man wird erfahren mit der Zeit.

Tod erkennt man mit dem Blick.

Erkennt man, während sich die Seele abwendet.

Schnell ein Schloss davor verschließt.

Man sieht das Blut, sieht die Augen, die schon glasig.

Sieht die Blässe.

Riecht ihn fast.

Er ist schon viel zu nahe.

Dann folgt schon längst der nächste…

„Ah!“, gurgelt es.

Vielleicht war es nur ein Streifschuss.

„Ah!“, ducken sie sich und beobachten panisch, wie der Panzer rollt.

Auf schweren Ketten.

Schnell.

Viel zu schnell.

„Ah!“, rast sein Herz, sucht noch hektisch nach der Stadtgrenze.

Nicht mehr weit...

Doch ein Meer in Flammen.

Zugleich bessere Deckung.

Alles wäre besser.

Besser als ein verdammter Laster mit den Toten, Verwundeten, dazwischen ein paar Überlebenden.

Besser als ein Laster, der einsam über die Ebene fegt.

Der den Staub aufwirbelt.

In alle Himmelsrichtungen sprengt.

Rast.

Warum fährt er bloß nicht schneller?

Merkt er denn gar nichts?

Merkt nicht, wie sie nach und nach zusammensinken?

Gurgeln?

Köpfe hängen lassen?

Verzweifelt die Mündung ihrer Waffen über den Rand strecken?

Ab und zu laden, drücken?

Wie verteidigt man sich ansonsten gegen Panzer?

Was sind da schon Gewehre?

Warum haben sie denn nichts?

Ihr Panzer stoppte gleich zu Beginn…

Da ging wohl der Treibstoff aus.

Fürchtete jemand um sein Leben.

Stattdessen schickte man die Bodentruppen.

Einer muss vorangehen.

Niemand möchte Erster sein.

Denn Erster bedeutet beinahe sicher den Tod.

Der Panzer rollt.

Rückt näher.

Dreht das Rohr.

Jenes Rohr.

Gleich ist es geschehen.

Einige Meter weiter sind noch weitere Verzweifelte.

Verzweifelte wie sie auf Lastern.

Tot, halb tot, lebendig.

Rasend zwischen Staub und Waffen.

Erster zu sein bedeutet aussortiert.

Zermalmt, bevor sie zermalmen.

Täter, Opfer.

Das wird schnell einerlei.

Schuldig sind sie wohl alle.

„Flugzeuge!“, flüstert ein Kamerad neben ihm mit keuchendem Atem.

Flugzeuge, starrt er nur verständnislos zum Himmel.

Himmel, der ist blau, lebendig.

Unschuldig, so schön.

Himmel, das ist dort, wo wirklich Punkte kreisen.

Sich bewegen, näher rücken.

„Jetzt sind wir gerettet“, flüstert die Stimme neben ihm, als suchte sie einen Glauben.

„Hoffentlich sind es keine Amerikaner“, zieht er sich wieder murmelnd in seine Deckung zurück.

„Es sind Russen, Bruder! Das schwöre ich. Wir sind sicher“, klopft ihm da jemand auf die Schulter.

„Hoffentlich“, seufzt er für jemanden.

Jemanden namens Bruder.

Punkte werden größer, werden Linien.

Sind nicht schwarz oder weiß, zeigen Farbe.

„Verdammt! Es sind doch Amerikaner!“, flucht er und der Schreck steht im Gesicht.

„Bruder! Es sind Russen. Gleich sind wir auch wieder in der Stadt“, klopft ihm jemand namens Bruder erneut auf die Schulter.

Linien werden größer, zeigen schließlich ein Gesicht.

Ein Kampfjet in ganzer Form.

Gefährlich, laut.

Nah.

„Deckung!“, kauern sie sich auf den Boden.

„Deckung!“, fürchtet also nicht nur er.

„Deckung!“, ruft auch jemand, deutet auf den Panzer.

Dann vibriert gleich alles.

Oben wird zu unten.

Stabil zerfällt zu instabil.

Leben bleibt nicht mehr lebendig.

Alles bebt.

Bebt.

Es bebt schon selbst sein Trommelfell.

Kreischt und piept gefährlich.

Lähmend. Ahnend.

Was ist nur geschehen?

Oben ist nicht unten.

Kamerad war Kamerad.

Manche nur verwundet.

Schreien, ahnen doch den Tod.

Was spürt man in den eigenen Knochen?

Sind sie denn noch alle da?

Da an Ort und Stelle?

Nicht verrückt?

Nicht gesprengt?

Nicht zertrümmert?

Wirklich nichts.

Nur die Ohren kreischen.

Kreischen, machen Höllenlärm.

Ächzen und pulsieren.

Sein ganzer Kopf pulsiert.

Arme tasten alles.

Spüren, was noch ist und bleibt.

Blicke hasten nach rechts und links.

Sehen: Lebend. Glücklich. Tot. Vorbei.

Er beginnt zu laufen.

Läuft mit Waffe in der Hand.

Läuft, so schnell die Beine tragen.

Beine zählen alles.

Läuft, wenn keine Laster fahren.

Fahrer war dabei nicht tot.

Sprang genauso aus dem Wagen.

Läuft.

Läuft.

Wie er.

Um sein Leben.

Soldat schaut nie zurück.

Zurück liegt selten Gutes.

Zurück, verlassen bleibt das Schlachtfeld.

Schlachtfeld war nun einmal Ort des Schlachtens.

Geschlachtetes lässt man hinter sich.

Stattdessen schaut man nur nach vorne.

Registriert, wie eine Stadt beginnt.

Geschützte Mauern.

Geschützte Reste.

Ruinen.

Bis hierher kamen sie einst schon.

Wumps!, bebt plötzlich wieder alles.

Bebt und stört den Lebenslauf.

Wie soll man laufen, rennen, wenn dabei alles verschwimmt?

Er schaut zurück.

Zurück in eine Ebene.

Zurück, wo Tag die Nacht schon längst verdrängt.

Zurück, wo einzeln Laster stehen.

Rauchend. Qualmend.

Noch in Flammen.

In eine Ebene aus Staub.

Staub und ein paar Menschen.

Staub, Menschen, etwas Blut.

Elend.

Wo Menschen, da auch Elend.

Zurück, wo ist da noch Gefahr?

Ist der Tod denn noch gefährlich?

Ein Panzer, der nun ausgebrannt.

Das Rohr gerichtet, das Rohr bereit.

Dann doch zersprengt, zersplittert.

Zurück, wo Autos fuhren.

Autos, Laster, Kameraden.

Mutig und bereit.

Bereit für alles.

Alles zu geben.

Und sei es ein weiteres Leben.

Zurück an diesen blauen Himmel.

Blau mit schwarzen Linien.

Flugzeugen.

Retter oder Feind.

Knall!, bebt es erneut.

Versacken seine Beine.

Fällt er wie ein nasser Sack.

Alles flimmert, surrt.

Hände klatschen in den Staub.

Wirbeln auf. Vermischen.

Piepen, Höllenlärm in den Ohren.

Letzter Blick zur Stadt.

Dunkel.

Wenn alles verschwimmt.

Kapitel 5 Amir

Seit etlichen Stunden kämpfen sie schon. Wie von allein drücken seine Hände nur den Knopf.

Man denkt wieder nicht, lädt nur. Flucht noch ab und zu.